Idea Transcript
Lukas Held, Jean-Christophe Lemaître & Till Grohmann (ed. )
Acta des Brüsseler Kongresses 2009 der Internationalen J.G. Fichte-Gesellschaft. Band III
IDÉALISMES
ALLEMANDS
Fichte und Schelling: Der Idealismus in der Diskussion. Volume III Acta des Brüsseler Kongresses 2009 der Internationalen J.G. Fichte-Gesellschaft Fichte et Schelling: l'idéalisme en débat
Till Grohmann, Lukas Held and Jean-Christophe Lemaitre (dir.)
Publisher: EuroPhilosophie Éditions Year of publication: 2017 Published on OpenEdition Books: 1 février 2017 Sérié: idéalismes allemands
OpenEdition
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GROHMANN. Till (dir.) ; HELD. Lukas (dir.) ; et LEMAITRE. Jean-Christophe (dir). Fichte und Schelling: Der Idealismus in der Diskussion. Volume III : Acta des Brüsseler Kongresses 2009 der Internationalen J.G. Fichte-Gesellschaft. Nouvelle édition [en ligne], Toulouse : n.p., 2017 (généré le 01 février 2017). Disponible sur Internet : .
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Unter dem Titel „Fichte und Schelling: der Idealismus in der Diskussion“ konzentrierte sich der Brüsseler Kongress der Internationalen J.G. Fichte-Gesellschaft von 2009 vornehmlich auf die reichhaltige Auseinandersetzung und die gegenseitige intellektuelle Beeinflussung der beiden Denker Fichte und Schelling. Dieser dritte Band der Kongressakten macht eine weitereAnzahl von internationalen Beiträgen verschiedener Autoren auf französischer und deutscher Sprache zugänglich. Im Mittelpunkt dieses Bandes stehen vornehmlich die Themenfelder der Geschichte und der Gesellschaft, der Rezeption und der Aktualität beider Denker, der Spätphilosophie im Vergleich und im Hinblick zeitgenössischer Philosophien und Denkarten, sowie schließlich Probleme des Rechts, der Freiheit und der Heteronomität. Sous le titre « Fichte et Schelling : L’Idéalisme en Débat », le Congrès bruxellois de l’Internationale J.G. Fichte-Gesellschaft de l’année 2009 s’est principalement concentré sur le riche débat et et l’influence intellectuelle mutuelle entre Fichte et Schelling. Ce troisième tome des Actes du Congrès met à la disposition d’un public plus large d’autres textes de divers auteurs en langue française et allemande. Au centre du présent tome se situent notamment des thèmes comme l’histoire et la société, la réception et l’actualité des deux penseurs, leurs philosophies tardives en comparaison et sous le prisme de la philosophie contemporaine ainsi que des problèmes liés au droit, à la liberté et à l’hétéronomie.
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TABLE OF CONTENTS
Geschichte und Gesellschaft / Histoire et société Fichtes und Schellings Verständnis der Geschichte und der Kultur Cristiana Senigaglia
Das Interesse an der Geschichte Der Wert der Mythologie Die Bedingungen der Transzendentalität Allgemeine methodologische Ansätze Die Epochen der Geschichte Die Teleologie und die Wege der Vernunft Der Begriff Kultur Staat und Kulturpolitik
Fichtes und Schellings Auffassungen des studentischen Werdegangs und des akademischen Curriculums Jean-François Goubet
1. Vorhaben des gegenwärtigen Referats 2. Die unterschiedliche Deduktion der Fakultätsgliederung aus der Idee 3. Zwei Konzeptionen des Ausgangs aus der Universität und der Vorbereitung zu derselben 4. Schlussbemerkungen über das Erbe der Aufklärung und die philosophische Methodik
Rezeption und Aktualität / Réception et actualité Schellingsches Natur- und Materieverständnis im und um das 20. Jahrhundert Norman Sieroka
Einleitung 1. Kontraste und Hintergrund: Peirce kontra Cassirer und Weyl 2. Selbstorganisation und innerphysikalische Überhöhung bei Prigogine und Haken 3. Weizsäckers Theorie der Ure und der komplementäre Kreisgang 4. Resümee und Relevanz für gegenwärtige Diskussionen
Einflüsse der Philosophie Fichtes und Schellings auf die Architekturtheorie um 1800 Petra Lohmann
Einleitung Schlussbetrachtung
Spätphilosophie im Vergleich: zeitgenössische Philosophie / Philosophie tardive en comparaison: philosophie contemporaine Fichte und Schelling in den späten Turiner Vorlesungen Luigi Pareysons Marco Ivaldo
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Die Möglichkeit des kollektiven Wissens bei Fichte Kritik des „idealistischen Individualismus“ und das „allgemeine Denken“ in „Die Thatsachen des Bewusstseyns“ (1810) Yukio Irie
1 Die Beziehung zwischen „Die Thatsachen des Bewusstseyns“ und „Die Wissenschaftslehre“ und die Methode von „Die Thatsachen des Bewusstseyns“ 2 Produktion der Objekte und des Ichs durch das allgemeine Denken 3 Einwände gegen Materialismus und idealistischen Individualismus 4 Die numerische Einheit des Bewusstseins im moralischen Nexus
La réception de Fichte et de Schelling dans la phénoménologie de Michel Henry Frédéric Seyler
1. La critique du monisme ontologique 2. Le pressentiment de l’immanence Conclusion
Recht, Freiheit und Heteronomität / Droit, liberté et hétéronomité Rechtslehre bei Fichte und Schelling Takao Sugita
I. Fragestellung II. Rechtslehre bei Fichte III. Freiheit und Zwang IV. Kontinuität zwischen 1796/97 und 1812 V. Freiheit und Recht bei Schelling
Droit, liberté et hétéronomie. Fichte et Schelling en 1796-1797 Délia Popa
1/ Le conflit des libertés et le droit à la contrainte. 2/ L’auto-affirmation multiple de la liberté. 3/ L’opposabilité des libertés
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EDITOR'S NOTE Crédits de première de couverture: Elene Ladaria. Tous droits réservés.
Geschichte und Gesellschaft / Histoire et société
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Fichtes und Schellings Verständnis der Geschichte und der Kultur Cristiana Senigaglia
Das Interesse an der Geschichte 1
Im August 1800, als Fichte einen Plan für das kritische Institut und die metakritische Zeitschrift fertig stellte, schrieb er an Schelling: „Noch besonders aber möchte ich Sie für den ersten Band, um Grundzüge einer Philosophie der Mathematik, ingleichen einer Philosophie der Geschichte, bitten; die
letztere nicht bloß transscendental deducirend; sondern besonders auch von praktischer Anwendbarkeit: fragend: was ist wirkliches Faktum (um die faden ConjecturalHistorien abzuhalten) und welche von den wirklichen Facten gehören in ein System der Geschichte - der Menschengeschichte, der Staaten-Geschichte, u.s.w.“1
Dadurch äußerte Fichte ein dringendes Interesse, das sein kulturelles Engagement jener Jahre charakterisierte. Ähnlich hatte er dies 1799 in einem Brief an die Brüder Schlegel auf den Punkt gebracht, als er die Herausgabe einer „pragmatischen“ Zeitschrift der Literatur und Kunst an die praktischen Forderungen des Zeitalters knüpfen wollte, um „zu zeigen, was bis jetzt geleistet sey, woran es noch fehle, und welchen Weg von nun an der menschliche Geist nehmen müsse“2. Dies entsprach im Übrigen nicht der Tätigkeit des Moments, sondern brachte eine Richtung des Denkens zum Ausdruck, die von Anfang an seine Überlegungen geprägt hatte. Bereits in seinen Vorlesungen Über die Bestimmung des Gelehrten von 1794 hatte er die Wichtigkeit einer philosophisch-historischen Erkenntnis betont, um genau wissen zu können, „auf welcher bestimmten Stufe der Kultur diejenige Gesellschaft, deren man Mitglied ist, in einem bestimmten Zeitpunkte stehe, - welche bestimmte Stufe sie von dieser aus zu ersteigen und welcher Mittel sie sich dafür zu bedienen habe.“3 Die Verbindung zwischen Philosophie und Geschichte diente seines Erachtens dazu, die allgemeinen vernünftigen Zwecke der Erhöhung der Kultur und des Lebens auf eine geistige bzw. geistesorientierte Ebene zu verfolgen, um dann die
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theoretische Erkenntnis auf Fakten anwenden und außerdem eine entsprechende, zielgerichtete Kulturpolitik gestalten zu können.4 2
Im Brief von 1800 spielte Fichte auf Schellings Veröffentlichung seines Systems des transzendentalen Idealismus an, worin das praktische Bewusstsein im Großen und Ganzen mit der Geschichte übereinstimmte und darüber hinaus die gesamte Bewusstseinsentwicklung idealgeschichtlich dargestellt war. Nichtsdestoweniger klagte Fichte indirekt über den Mangel an deutlichen, praktisch anwendbaren Hinweisen, was für ihn, wie er sich ein wenig später dazu äußert, ein „philosophisches Gemälde des gegenwärtigen Zeitalters“5 leisten soll. Schellings Hervorhebung der geschichtlichen Komponente ließ sich aber auf andere Gründe zurückführen: Erstens, er fand darin eine Korrespondenz zur inneren Dynamik und Prozessualität der Natur und eine Widerspiegelung des vereinheitlichenden und ursprünglich identischen Geistes: „Der Geist [...] kann nur in seinem Handeln aufgefaßt werden [...]; er ist also nur im Werden, [... ] nichts anderes als ein ewiges Werden. (Daraus begreift man zum voraus das Fortschreitende , Progressive unsers Wissens, von der todten Materie an bis zur Idee einer lebendigen Natur)“6. Zweitens, er begründete dadurch den theoretischen Wert seines anfänglichen (und in Wirklichkeit sich in den Jahren durchziehenden) Interesses an der Mythologie. Nicht, dass Schelling sich von der Beziehung zur Gegenwart abwandte. Im Gegenteil: Er nahm ohne Umschweife darauf Bezug, indem er hervorhob, wie die zeitgenössische Philosophie und insbesondere der transzendentale Idealismus nicht von irgendwoher als zufällige Geistesprodukte herkamen, sondern im Fortgang des Denkens und der Geschichte verwurzelt waren. Sein Interesse an der Geschichte war nichtsdestoweniger hauptsächlich auf die Vergangenheit gerichtet. Bereits in seinen frühen Schriften, in De malorum origine von 1792 und Über Mythen, historische Sagen und Philosopheme der ältesten Welt von 1793, unterstrich er die Analogie zwischen Geschichte und Mythologie, wobei die letztere Erklärungen und Erzählungen über die uralte Zeit lieferte, als die schriftliche Überlieferung noch nicht vorhanden war. Schelling stellte darüber hinaus eine Übereinstimmung zwischen der Menschheitsgeschichte und der apriorischen Ableitung aus Vernunftgründen in den Vordergrund, die dazu gedacht war, eine innere Korrespondenz zwischen Apriori und geistiger Entwicklung aufzuweisen.
Der Wert der Mythologie 3
Die Mythologie erlangt von Anfang an beim jungen Schelling eine wesentliche Bedeutung, indem sie als eine Urweisheit bewertet wird, welche die ursprüngliche und allgemeingültige Wahrheit in einer der Einbildungskraft zugänglichen und zusprechenden Weise verfasst. Dies beruht auf der den früheren Menschen bereitstehenden Fähigkeit, die Welt und ihren Gang zwar anschauen zu können, jedoch nur durch Gefühl und mittels einer dichterischen und symbolischen Sprache auszudrücken und zu übermitteln: „Auch ein von Natur aus ungebildeter Mensch wird dazu getrieben, höhere Dinge zu erforschen und seine Kräfte besonders auf die Gegenstände zu richten, die seinen Geist am meisten vorantreiben und zu deren Erforschung uns die Gesetze der Vernunft selbst hinzuführen. [...] Allerdings vollzieht sich das im Dunkeln, weil ja erst Anwendung und Erfahrung unsere Kräfte und ebenso die Vernunft mehr und mehr zur Entfaltung bringen.“7
Es geht daher um eine Notwendigkeit, die „Aussagen in Mythen einzukleiden“8, da die vernunftgemäßen Begriffe noch nicht ausgearbeitet worden waren, was andererseits aber
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nicht ausschließt, dass sie ein tiefgründiges Wissen und die Wahrheit zu enthüllen vermögen. Diese uralte Erkenntnis ist laut Schelling auch für die heutige Menschheit von unbestreitbarer Bedeutung, aber sie ist nur in Bruchstücken in der wahren Geschichte vorhanden, wovon die Philosopheme, d. h. die „zu Versinnlichung einer philosophischen Spekulation gedichteten Mythen“9, aufgespürt und entziffert werden müssen. Da Mythologie und Geschichte für ihn am Anfang zusammenfließen, sind die Mythen nicht der Geschichte entgegengesetzt10, sondern stellen ihren sozusagen immanenten Anfang dar, worin die erdichtete Geschichte über die eigene Familie, den Stand und das Land erzählt und gleichzeitig von dem gleichen, allgemein geltenden Ursprung der Menschheit berichtet. Dieser wird durch den anfänglichen Glückseligkeitszustand und die Verbannung des Menschen daraus veranschaulicht, welche die eigentliche Geschichte in Gang setzt. Diese anfängliche Wahrheit, die unter allen Völkern bezeugt wird, macht die Mythologie und ihre Erforschung so wichtig für die Geschichte, rechtfertigt in politischer Hinsicht die Theorie des Naturzustands und zeigt zugleich auf, dass eine ursprüngliche Vernunft bei den Menschen und ihrem Wissen enthalten ist, wodurch die Gestaltung der Welt nach ihren Verhältnissen ermöglicht wird und zugleich eruiert zu werden verdient. 4
Auch wenn die Mythologie in den folgenden Werken von Schelling nicht so explizit und ausführlich thematisiert wird (aber sie wird bekanntlich seine späte Phase wieder entscheidend prägen), werden die frühen Ideen wieder aufgenommen und bestätigt. Die Begriffe a priori, sagt zum Beispiel Schelling in der Allgemeinen Uebersicht der neuesten philosophischen Litteratur (1797-1798), sind ursprüngliche Anschauungsweisen des Geistes, deren man sich zuerst durch die poetische Wahrheit der Mythologie bewusst werden muss. Durch die genetische Ableitung des Begriffs aus der Anschauung kann der Einblick in die Vergangenheit gewonnen werden, welcher die Begrifflichkeit der Gegenwart erläutert und zugleich sie zukunftsadäquat und wirksam macht. Auch im System des ttansscendentalen Idealismus (1800) wird die Mythologie mit dem Ende des goldenen Zeitalters und dem durch das Auftreten der Freiheit charakterisierten Anfang der Geschichte in Verbindung gebracht. In Philosophie und Religion (1804) wird nochmals betont, wie die Mythologie die Symbolik der wahren Ideen enthält, die das Leben in der öffentlichen Sittlichkeit leiteten, den geschichtlichen Anfang ausmachten und die philosophische Reflexion später prägten: „Die Philosophie sucht auch in jenen grenzenlos dunkeln Raum das Licht der Wahrheit zu verbreiten, den Mythologie und Religion für die Einbildungskraft mit Dichtungen angefüllt haben“11.
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Fichte selbst geht in Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters auf das Thema ein und akzeptiert die Interpretation der Mythen als „Philosopheme“, die in der einfachen Form der Erzählung wiedergegeben werden. Allerdings bestreitet er ihre Teilhabe an der Geschichte, die sich ausschließlich mit der Empirie zu befassen hat, obwohl er einräumt, dass sie zum Faktum werden, „besonders, wenn sie der Logik gemäß sind“12. Es bleibe aber notwendig zu wissen, was man in der Geschichte nicht wissen könne. So werden die Mythen von Fichte zu logischen Hypothesen gemacht, die den Anfang der Geschichte kennzeichnen und doch ihr extern bleiben.13 Unter dieser Perspektive erzählt er von einem möglichen historischen Anfang, der durch ein Sich-Herausstellen einer Ungleichheit unter den Menschen sowie eine sich erstreckende Spannung zwischen Kultur und Unkultur erfolgt, wobei die Kultur immer - so Fichte - nur durch fremde Ankömmlinge kennengelernt und verbreitet wird.
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Die Bedingungen der Transzendentalität 6
Die Stellungnahme zur Mythologie veranschaulicht bereits einen Unterschied der Perspektive, was die Funktion des transzendentalen Denkens im Allgemeinen und die Auffassung einer Transzendentalgeschichte im Besonderen betrifft. Für Fichte sowie für Schelling geht es um die Aufdeckung der Beschaffenheit der Welt durch die Grundstrukturen des Bewusstseins, die ihre Prinzipien enthalten und widerspiegeln. Diesbezüglich gibt es aber gewisse Verschiebungen der Akzente, die daran gesetzt werden. Für Fichte wird die Subsistenz der Realität durch die ursprüngliche Einheit des Ich gewährleistet: Ein beliebiges „A sey für das urtheilende Ich, schlechthin, und lediglich kraft seines Gesetztseyns im Ich überhaupt“14 und auf Ich=Ich angewiesen. Das Ich gewährt die Kontinuität der Tätigkeit sowie die Einheit in der Entgegensetzung von Subjekt und Objekt, Mensch und Welt. Für Schelling dagegen wird durch die Operation des Bewusstseins die Identität im Entgegensetzen ans Licht gebracht, die Geist und Welt als komplementäre Seiten einer und derselben Einheit darstellt. Wie Schelling in der Allgemeinen Uebetsicht besonders schlüssig erläutert: „Erst durch mein freies Handeln, in so fern ihm ein Object entgegengesetzt ist, entsteht in mir Bewußtseyn. [...] Das Object aber war ursprünglich nur in der Anschauung, von der Anschauung gar nicht verschieden.“15 Erstens wird hier das Bewusstsein als allmählich entstehender Sachverhalt betrachtet, was das Bewusstlose mindestens implizit voraussetzt. Zweitens wird der Objektivität eine Gleichwertigkeit und daher ein Wahrheitswert zugeschrieben, der bei Fichte vielmehr auf die Seite der Subjektivität gelegt wird. Nicht, dass die Freiheit damit verneint wäre. Abstraktion und Reflexion sind für Schelling wie für Fichte Ausdrücke eines Handelns, das nur unter der Obhut der Freiheit stattfinden kann. Dennoch betont Fichte das Moment des Einstiegs ins Wissen und in die Philosophie, welches eine besondere Anstrengung, Konzentrationsfähigkeit und einen strengen Perspektivenwechsel gegenüber der Empirie und der Faktizität abverlangt. Andererseits gestattet die Ansicht Schellings einen intensiveren Weltbezug im Bereich der Erkenntnis, da die festgestellte Identität dafür spricht, dass Wahrheitsgehalte gleichermaßen im Objekt (und daher auch in den geschichtlichen Erzählungen und Bekundungen) enthalten sind. Letztendlich wird es dadurch laut Schelling ermöglicht, den Anfang der Welt und der Geschichte zu eruieren, die für Fichte vielmehr metaphysische Fragen bleiben, die nicht (oder nicht direkt) dem menschlichen Wissen zugänglich sind.
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Ist der geschichtliche Fortgang für Fichte hauptsächlich ein Prozess der Subjektivität, so ist seine durch die äußeren Umstände verursachte Hemmung ein Zeichen dafür, dass ein Widerstand von Seiten der Objektivität ausgeübt wird. Bereits zum Anlass der Französischen Revolution behauptet er, dass die Veränderung entweder durch Sprünge oder durch allmähliches Fortschreiten herbeigeführt werde; bei Hinderungen sei allerdings die Konsequenz oft eine gewaltsame Umwälzung, wodurch dann auch mit folgenschwerer Unausgewogenheit zu rechnen sei. Die transzendentale Möglichkeit der Geschichte, und daher einer philosophisch-historischen Betrachtung, basiert laut Fichte auf der allgemeinen Annahme, dass nur das Apriori notwendig bestimmt sei und nicht das Nacheinander, d. h. die spezifische Art und Weise, wie das Transzendentale sich empirisch verwirkliche. Dies führt zur weiteren Konsequenz, dass das Apriori zugleich als normatives Kriterium für die historischen Begebenheiten (die Empirie) gilt.16 Was den Fortgang überhaupt betrifft, wird davon ausgegangen, dass eine allgemeine zielgerichtete
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Entwicklung vorausgesehen werden könne, deren freie Modalität und Bestimmtheit allerdings nur von den Menschen selbst hervorzubringen sei. Als Fichte sich in einer späteren Phase mit der Frage der Transzendentalgeschichte ausdrücklich auseinandersetzt, wird somit eine Artikulation des Apriori durchgeführt, die einerseits den Einheitsbegriff der Zeit und der „sich entwickelnden Erfüllung dieser Zeit“17 voraussetzt, und andererseits unterschiedliche durch Grundbegriffe charakterisierte Epochen aufstellt, die aber „durch- und nebeneinander“ koexistieren und nur durch handlungsorientierte menschliche Erkenntnis begriffen und vorangetrieben werden können. 8
Da für Schelling das Selbstbewusstwerden nicht ausschließlich wie bei Fichte einen intern stattfindenden genetischen Prozess darstellt, der eine freiwillige Fokussierung auf die Subjektivität verlangt, sondern durch die unterschiedlichen Formen der Auseinanderund Entgegensetzung mit der Objektivität erreicht wird, gewinnt bei ihm die Geschichte des Selbstbewusstseins als Geschichte der Zustände, die zum Selbstbewusstsein führen, erheblich an Bedeutung. Transzendentalität und Prozessualität werden somit auf einer zum mindesten idealen Ebene in Verbindung gebracht.
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Bezüglich der Transzendentalauffassung der wirklichen Geschichte äußert Schelling zuerst eine skeptische Ansicht. Insbesondere in der Allgemeinen Uebetsicht vertritt er die These, dass keine Philosophie der Geschichte bzw. keine Transzendentalität der Geschichte möglich sei, da ihre empirische Komponente sich mit keiner Theorie a priori vertragen könne. Trotz der hier auftauchenden Bedenken, werden nichtsdestoweniger von Schelling wichtige Hinweise für einen Begriff der Geschichte gegeben, die ihr einen transzendentalen Rahmen verschaffen: das Verständnis der Geschichte als Bereich des Veränderlichen und Fortschreitenden, der alle periodischen und regelmäßigen Begebenheiten von sich ausschließt (oder, mit anderen Worten, Dynamismus mit Ausschluss des Mechanismus), sowie die Idee, „daß Geschichte überhaupt nur da ist, wo ein Ideal, und wo unendlich mannichfaltige Abweichungen von demselben im Einzelnen, doch völlige Congtuenz mit demselben im Ganzen statt findet“.18 Diese Ansätze führen Schelling später doch zu einer transzendentalen Konzeption der Geschichte, die durch einen Zwischenraum charakterisiert wird, der weder vollkommen frei und gesetzlos noch vollkommen notwendig und gesetzmäßig erscheint. Als durch die Gattung realisierbarer Zweck wird gesetzt, dass die Vereinigung zwischen Freiheit und Notwendigkeit angestrebt werde und als allgemeines Ideal für die Menschheit gelte. Die Einzelnen bleiben laut Schelling dabei frei und können den Prozess mitgestalten. Dennoch müssen alle anderen auch denselben Zweck wollen, damit der Einzelne einen Erfolg bei seinem Handeln verbuchen kann. Dies wird für Schelling nur dadurch ermöglicht, dass etwas Gemeinschaftliches, ein und derselbe Geist in der Geschichte realisiert wird und eine Art von zweiter Natur darstellt19, wie er in den Vorlesungen übet die Methode des akademischen Studiums (1802) präzisiert, die in ihrer unaufhaltsamen Tendenz zur Objektivierung letztendlich eine allgemeine Rechtsordnung anstrebt. Allerdings schlägt seine Auffassung der Geschichte zugleich eine metaphysische Richtung ein, denn, wie er sagt, „die Geschichte als Ganzes ist eine fortgehende, allmählich sich enthüllende Offenbarung des Absoluten“20, die aufgrund ihrer Unendlichkeit nie eine vollkommene Vereinigung von Freiheit und Notwendigkeit in der objektiv-historischen Welt zur Äußerung bringen wird.
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Allgemeine methodologische Ansätze 10
Durch ihre Reflexion über die Geschichte in ihren geschichtsphilosophischen Zügen setzen sich Fichte und Schelling mit grundsätzlichen methodologischen Fragen auseinander, welche sowohl die Beziehung zwischen Individuellem und Universellem betreffen als auch die Voraussagbarkeit der Zukunft thematisieren. Dies entspricht der allgemeinen Voraussetzung, dass die Geschichtsphilosophie prinzipiell die Möglichkeit in Anspruch nehme, aus den einzelnen Ereignissen und Epochen eine Kontinuität herauszulesen, welche die innere Gesetzlichkeit der Entwicklung, die Art und Weise der Verkettung und die Bedeutsamkeit der einzelnen Ereignisse feststellen könne.21 Allerdings sind ihre Ansätze mindestens partiell unterschiedlich.
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Fichte geht von der in der transzendentalen Philosophie begründeten Annahme aus, dass eine formal-universelle Idee der Geschichte aufzustellen sei, die sich am (Zweck-)Begriff orientiere, «die Verhältnisse der Menschheit mit Freiheit nach der Vernunft einzurichten»,22 woraus die Grundstrukturen und -artikulationen der Geschichte selbst abzuleiten seien. In diesem Kontext nimmt das individuelle Ereignis keine autonome Funktion ein, sondern gilt eher als empirische Überprüfungsmöglichkeit der Richtigkeit der transzendentalen (Re-) Konstruktion, was Fichte gleichzeitig gestattet, auf der einen Seite sich weniger auf den genauen historischen Verlauf im Detail zu konzentrieren, und auf der anderen Seite dieses Vorhaben als komplementär-notwendige Aufgabe für die empirische Geschichte anzuerkennen.23 Unter dieser Perspektive kann für ihn eine allgemeine Voraussehbarkeit der Zukunft gewährleistet werden, auch wenn der spezifische Verlauf sich der genauen Vorbestimmung entzieht.24 Da andererseits der Transzendentalerkenntnis der Geschichte die Fähigkeit zugeschrieben wird, die menschlichen Handlungen zu orientieren, ist es für Fichte gleichzeitig möglich, die einzelnen Vorkommnisse (das Individuelle) zu beeinflussen und sie schöpferisch und differenziert dementsprechend zu gestalten.
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Die methodologischen Betrachtungen Schellings in der Allgemeinen Uebetsicht gehen zuerst in die Richtung der Verneinung einer transzendental-apriorischen Erkenntnis der Geschichte, da diese sich für ihn hauptsächlich mit dem Individuellen befasst. Man könnte diesbezüglich die spätere Unterscheidung Windelbands im Bereich der neukantianischen Reflexion über die Pluralität der Methoden in Erinnerung rufen, wodurch das „Idiographische“ (das Singuläre bzw. Partikuläre) der Geschichte dem „Nomothetischen“ (dem Gesetzlichen und Allgemeinen) der Naturwissenschaften entgegengesetzt wird.25 Schelling beabsichtigt damit, das Neue, Dynamische und Schöpferische des Einzelnen aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die Möglichkeit in Erwägung zu ziehen, jeweils in ihrem Spezifikum die Spuren der Offenbarung des Absoluten aufdecken zu können. Die Offenbarung kann im Übrigen nicht rein zufällig und disartikuliert aufgefasst werden, sondern sie bezieht eine geschichtliche und daher zusammenhängende Entwicklung mit ein. Schelling gelangt damit allmählich zu einer Gesamtkonzeption, welche die Vereinigung zwischen Freiheit und Notwendigkeit „dramatisch“ darstellt und sie als ideales, aber nicht zu erreichendes Ziel anstrebt. Da diese Vereinigung daher durch Gegensätze und Unterschiede bewerkstelligt wird, gewinnt für ihn das Individuelle, und somit auch die kulturelle Vielfältigkeit, erheblich an Bedeutung und behält im einzelnen Dasein eine prinzipielle Unvoraussehbarkeit, die der Dynamik des Werdens Rechnung trägt.26 Dies verhindert allerdings nicht, dass
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letztendlich eine allgemeine, obwohl unbestimmte Richtung der Entwicklung geschichtsphilosophisch aufgezeigt werden kann, die aber nur im Nachhinein in ihren einzelnen Darstellungen zu eruieren ist, wodurch nur begrenzte Hinweise für das menschliche Handeln (hauptsächlich die Vollziehung der Rechtsordnung) zu gewinnen sind.
Die Epochen der Geschichte 13
Schellings Konzeption der Geschichte führt ihn zu einer Betrachtungsweise, die erstens auf die objektive Welt gerichtet ist und zweitens die tradierten Zeugnisse der antiken Zeit als verborgene Hinweise einer tiefgründigen Wahrheit privilegiert. Auch wenn er der Ansicht ist, dass die Geschichte mit der praktischen Philosophie fast koinzidiert, lehnt er dezidiert die Idee einer pragmatischen Geschichte ab. Seine Ansicht ist zuerst theoretisch und nur vermittelt zum Bereich des Praktischen übergehend. Dies wird durch seine Einteilung der Geschichte in drei Perioden besonders offensichtlich. Im System des transzendentalen Idealismus spricht er l) von der Periode des Schicksals, von einer blinden Macht beherrscht und durch den tragischen Untergang des Glanzes der alten Welt gekennzeichnet; 2) von einer Periode der Natur, in der die mechanische Gesetzmäßigkeit herrscht und das Naturgesetz sich als Naturplan gestaltet, das die Freiheit bezwingt; 3) von einer Periode der Vorsehung, die die Zukunft betrifft und noch nicht angefangen hat. Die ersten beiden Perioden werden insbesondere mit dem Griechentum und dem Römischen Reich identifiziert, und daher in die fernere Vergangenheit gerückt; die dritte Periode wird in eine unbestimmte Zukunft verlegt. Als weitere Bestätigung dieser auf die alte Weisheit gerichteten Perspektive gilt, dass Schelling sich in der Freiheitsschrift auch metaphysisch mit der Frage des Anfangs auseinandersetzt und im unvollendeten Werk Die Weltalter mehrmals den Teil „Die Vergangenheit“ verarbeitet und Gegenwart und Zukunft nicht bzw. nur fragmentarisch verfasst.27 Lediglich von einem politischen Standpunkt aus wird mittels der Jurisprudenz auf die rechtliche Lage und auf ihre zukünftige Entwicklung Bezug genommen.
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Fichtes transzendentale Eingliederung der Epochen, die er genetisch ableitet, verschiebt den Akzent (und die Aufmerksamkeit) vielmehr auf die aktuellen Anlässe, die dann die Richtung einer praktisch anwendbaren Projektdimension einschlagen. In Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters wird zuerst von zwei Hauptepochen ausgegangen, welche jeweils vom Vernunftinstinkt und von der Vernunftwissenschaft geleitet werden. Diese Hauptepochen werden aber weiter artikuliert, indem dazwischen ein Zeitalter des Befreiungsinstinktes rückt, das der Gegenwart entspricht und daher ein tiefgreifendes Wissen und ein praktisches Engagement fordert, die jeweils zwei weitere Phasen der Zukunft kennzeichnen. Daraus resultieren letztendlich fünf Epochen: „[l] Diejenige, da die Vernunft als blinder Instinkt herrscht; [2] diejenige, da dieser Instinkt in eine äußerlich gebietende Autorität verwandelt wird; [3] diejenige, da die Herrschaft dieser Autorität, und mit ihr der Vernunft selber zerstört wird; [4] diejenige, da die Vernunft und ihre Gesetze mit klarem Bewußtseyn begriffen werden; [5] endlich diejenige, da durch fertige Kunst alle Verhältnisse der Gattung nach jenen Gesetzen der Vernunft gerichtet und geordnet werden.“28
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Wird diese Einteilung genau betrachtet, so gibt es keinen auffälligen Unterschied zwischen Fichte und Schelling, was die ersten beiden Epochen und ihre Schilderung betrifft. Der Gegensatz betrifft eher Gegenwart und Zukunft, die für Fichte eine ausdrückliche theoretische sowie praktische Anstrengung benötigen und vielmehr trotz
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der Anwesenheit eines allgemeinen Weltplans, der den Fortgang in seinen Hauptzügen regelt, der menschlichen Entscheidung, Bestimmung und Gestaltung anvertraut werden. In der späteren Staatslehre wird diese Ansicht zugespitzt, indem Fichte von einer ständigen Entgegensetzung in der Geschichte zwischen Glauben und Verstand spricht, wo der Letztere für Werden, Veränderung, Einsicht und Recht gegen Sein, Beständigkeit und Autorität verantwortlich gemacht wird und die „neue Welt“ gegen die alte prägt und charakterisiert.
Die Teleologie und die Wege der Vernunft 16
Dieselbe Verschiebung der Akzente charakterisiert die Feststellung des regulativen Endzwecks der Geschichte und die Art und Weise seiner Durchführung. Gemeinsam ist die Idee, bei Fichte wie bei Schelling, eines Weltplans, der zur Verwirklichung der Vernunft führt und daher als Realwerden eines Ideals dargestellt wird. Dennoch wird bei Fichte die Komponente der Freiheit ausdrücklich betont, so dass der Zweck letztendlich darin besteht, „alle [menschlichen] Verhältnisse mit Freiheit nach der Vernunft einzurichten“29. Der Endzweck ist daher eine regulative Bedingung, die sich dann durch die Menschen unendlich weiter bestimmen und gestalten lässt. Ihre Verwirklichung basiert somit auf den freien Handlungen und Entscheidungen vernünftiger Wesen, die zuerst erforscht werden sollen, aber dann aktiv und mitgestaltend weiterzubringen sind. Wird damit eine Konzeption der Vorsehung eingeführt, so handelt es sich dennoch um eine Vision, die nur durch die Menschen ausgeführt werden kann und soll, und zwar „die Vorsehung, und der göttliche Weltplan bei Erschaffung eines Menschengeschlechts, der ja nur da ist, um von Menschen gedacht, und durch Menschen in die Wirklichkeit eingeführt zu werden“30. Zusammenfassend: Die Entwicklung des Weltplans kann nur durch Ausübung der menschlichen Freiheit kongruent mit den Prämissen vollzogen werden.
17 Bei Schelling ist vielmehr von der Einheit der Vernunft die Rede, die anfänglich unmittelbar und ununterschieden bereits da war und die später eintretende Trennung zwischen Individuum und Schicksal durch die Einsicht überwindet. Nicht, dass damit die Freiheit der einzelnen Menschen einfach verbannt werde. So Schelling: „Wir sind Mitdichter des Ganzen, und Selbsterfinder der besonderen Rolle, die wir spielen“.31 Die Einsicht wird nichtsdestoweniger vielmehr mit der Anschauung als mit der Handlung in Verbindung gebracht und die Tätigkeit eher mit einer negativen und aufhaltenden Funktion als mit einer positiven Aufgabe versehen. Infolgedessen ist nämlich darüber zu wachen, dass nicht „eine einseitige Richtung unsers Geistes, die nie das Ganze der Menschheit, sondern nur ein Bruchstück vor Augen hat, den menschlichen Geist in seinen Fortschritten aufhalte, oder seine Kraft lähme». 32 Die menschliche Freiheit wird unter dieser Perspektive hauptsächlich als eine dem Individuum zustehende Wahlfähigkeit zwischen Gutem und Bösem ausgedeutet, die trotz der Möglichkeit der Abweichung im Einzelfall das Ziel der Realisierung der Vernunft in ihrer Gesamtheit nicht verfehlen kann. 18
In Beziehung dazu ist Schelling der festen Überzeugung, dass eine verborgene Leitung der Vernunft in der Geschichte (Hegel wird später von der „List der Vernunft“ sprechen) vorhanden sei. Bereits in seinem frühen Werk De malorum origine hatte Schelling diesen Gedanken geäußert: „Wir wundern uns aber angesichts dieser Bosheit und Übel über den höchstweisen Plan bezüglich der menschlichen Dinge, aufgrund dessen diese Bosheiten und Übel schließlich zur Vollendung der höchsten Ziele der Menschheit ein gehöriges
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Stück beigetragen haben“.33 Auch später hebt Schelling bei mehreren Gelegenheiten hervor, dass in der Geschichte eine verborgene Notwendigkeit verschlüsselt sei, die über den Menschen stehe und zuerst als Schicksal und dann durch die Einsicht als Vorsehung ausgedeutet werden könne und müsse. Diese Notwendigkeit äußere die zugrunde liegende Einheit der Vernunft, die auch über den Willen der Menschen hinaus den Fortgang der Geschichte und ihre vernunftgemäße Teleologie zum Ausdruck bringe: „In der Freiheit soll wieder Nothwendigkeit seyn, heißt also ebensoviel als: durch die Freyheit selbst, und indem ich frey zu handeln glaube, soll bewußtlos, d. h. ohne mein Zuthun, entstehen, was ich nicht beabsichtigte, [...] vielleicht selbst wider den Willen der Handelnden.34
Die Menschen sind zwar frei in ihrem Handeln, aber es gibt eine höhere Vernunft, die ihre Selbstverwirklichung als Gattung durch die Geschichte hindurch vollbringt und dadurch Freiheit und Notwendigkeit sowie den Willen der unterschiedlichen Subjekte vereinheitlicht und harmoniert. 19 Auch bei Fichte wird die Ansicht vertreten, dass die Vernunft als Grundgesetz des Lebens die allgemeine Entwicklung bestimme, dass sie dabei auch als blinder Instinkt und „dunkles Gefühl“ geäußert zu werden vermöge und die Verhältnisse der Menschheit durch ihre eigene Kraft und ohne Zutun der menschlichen Freiheit gestalte. Allerdings betrifft dies die frühe Entwicklung in der Geschichte, als die Menschen sich ihrer Freiheit und Vernünftigkeit noch nicht gewusst sind. Die spätere Phase, die Fichte für die unmittelbare Zukunft vorhersieht, bezieht sowohl die Einsicht als auch eine bewusste Tätigkeit der Menschen mit ein, und ist daher durch ihren spezifischen, sich in unterschiedlichen Formen charakterisierenden Einfluss wesentlich und schöpferisch konnotiert.
Der Begriff Kultur 20
Diese Perspektiven werden bei Fichte und Schelling auch bezüglich des Verständnisses der Kultur kohärent widergegeben. Für beide wird Kultur in ihrer ursprünglichen Bedeutung als Bearbeitung der Natur (und allerersten des Bodens) verstanden: Ihr Entstehen beinhaltet einen Gewinn an Freiheit und den Aufbau fortschreitender Formen der Unabhängigkeit von der Umgebung. Kultur beinhaltet, wie Fichte sich ganz klar dazu äußert, „die Dinge [...] nach unsern Begriffen umzuändern“35; sie führt gleichzeitig eine Durchdringung des Geistes in die äußerliche Verhältnisse und eine Form von Kontrolle der Sinnlichkeit sowohl der Natur als auch des eigenen Körpers herbei.36 Der Kulturbegriff weitet sich zuerst zu den unterschiedlichen Sektoren der Selbsterhaltung und der Produktion aus, die im Zeitalter Fichtes und Schellings über die Landwirtschaft und die Manufakturen hinaus Industrie, Maschinenwesen und die dazugehörige Naturwissenschaft einschließen, um sich dann zu den höchsten Äußerungen der Künste, der Literatur, der Religion und der Philosophie zu erheben, die das höchste Bewusstsein der Zeit darstellen und gleicherweise Hinweise für die Zukunft erteilen sollen.
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Der Diskurs der Kultur wird von beiden Philosophen an die Reflexion Rousseaus geknüpft und mit dem eigentlichen, empirisch-faktischen Anfang der Geschichte in Verbindung gebracht. Fichte bestreitet dabei Rousseaus These im Diskurs über die Ungleichheit, dass die Entwicklung der Kultur eine Verschlechterung der Lage der Menschheit nach sich gezogen habe: Für ihn hingegen bedeutet die durch die Geschichte hindurch hervorgehende kulturelle Entwicklung die fortschreitende Annäherung des Menschen an
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das eigene Selbst (und zwar an Freiheit und Geist). Ähnlich bei Schelling wird der Anfang der Kultur mit dem Ausgang aus dem Naturzustand identifiziert und als Entstehung der Geschichte ausgelegt, auch wenn hier der These Rousseaus partiell nachgegangen wird, da die Kultur gleichzeitig das Verlassen des Unschuldigkeitsstadiums kennzeichnet und mit dem Auftreten des Bösen in der Welt in Zusammenhang steht. 22
Bei Fichte gestaltet sich dann der Gang der Kultur als ein fortschreitender Prozess, der, auch wenn er nicht linear dargestellt wird (was eine gewisse Mechanisierung bedeuten würde), nach vorne projiziert wird. Bei Schelling ist der Gang der Kultur eher dialektisch 37: Er beinhaltet auch mögliche Phasen der Dekadenz und des Verlustes, die dann zur Wiederherstellung der Einheit und der Synthesis führen sollen: „Es gibt keinen Zustand der Barbarei, der nicht aus einer untergegangenen Cultur herstammte. [...] Ich halte den Zustand der Cultur durchaus für den ersten des Menschengeschlechtes, und die erste Gründung der Staaten, der Wissenschaften, der Religion und der Künste für gleichzeitig oder vielmehr für eins, so daß dieß alles nicht wahrhaft gesondert, sondern in der vollkommensten Durchdringung war, wie es einst in der letzten Vollendung wieder seyn wird.“38
Deswegen bewegt sich die Kulturforschung für Schelling in beide Richtungen: in die Richtung der Entdeckung der Vergangenheit als verborgenen Schatzes der ursprünglichen Kultur, und in die Richtung der Zukunft als bewusste Wiedererlangung des hochwertigen, ursprünglichen geistigen Zustandes. 23 Beide Autoren heben dabei die Bedeutung der unterschiedlichen kulturellen Äußerungen hervor. Die verschiedenen Formen der Religion, der Mythologie und später auch der Philosophie und der Kunst bilden für Schelling keine zufällige Reihe; sie spiegeln die Verhältnisse, die Sensibilität und die Weltanschauung ihres Zeitalters wider und strukturieren sich in einem organisierten Bild des Ganzen, worin die einzelnen Äußerungen ihre spezifische Position und Bedeutung finden. Fichte akzeptiert diese Perspektive und betont dabei aber die Wichtigkeit, die kulturellen Ausdrucksweisen in ihrer Lebendigkeit, Bestimmtheit und Kommunikationsfähigkeit zu potenzieren, da sie dazu gedacht sind, neue Wege der geistigen Entwicklung einzuschlagen, die sich auch für andere Kulturen als richtungweisend herausstellen können.
Staat und Kulturpolitik 24 Ein durch Recht konnotierter Staat ist für Fichte sowie für Schelling das objektive Ergebnis der Geschichte in der Moderne. Schelling spitzt diesen Gesichtspunkt bis zur Behauptung zu, dass die Durchsetzung rechtlicher Verhältnisse das allgemeine Ziel der Geschichte sei und zu einer weltbürgerlichen Verfassung führen solle. Für Fichte ist der Staat ein Produkt der Moderne und ihres Rechtsverständnisses, aber nicht das letzte Ziel, das vielmehr die allgemeine Erhebung der Kultur und des Geistes betrifft. In dieser Hinsicht hat Schelling recht, wenn er behauptet, dass der Staat bei Fichte trotz seiner fortschreitenden Anpassung an die Vernunft immer die Funktion eines Mittels beibehalte. Dies kann allerdings dadurch erklärt werden, dass Schelling den Formen der Objektivierung des Geistes und der Vernunft viel mehr Wert beimisst, als Fichte es tut. Der Staat wird bei ihm nichtsdestoweniger wieder aufgewertet, als ihm dann in Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters und in den Reden an die deutsche Nation eine pädagogische und erzieherische Funktion auf die Öffentlichkeit zuerkannt wird.
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25 Wohlgemerkt: Die Erziehung ist eine wichtige Angelegenheit auch bei Schelling und wird mit der Fähigkeit des Zeitalters verknüpft, über sich selbst zu reflektieren: „Die Philosophie eines Menschen soll zugleich das Maas seiner Cultur seyn, und umgekehrt, sie soll selbst wieder dienen, den Menschen zu erziehen.“39 Deswegen arbeitet Schelling an erzieherischen Projekten für die Universität, welche das Wissen vermitteln sowie organisch artikulieren müssen und einen umfassenden Einblick in die Vergangenheit und in ihre kulturellen Leistungen zu gewährleisten haben. Was für Schelling hauptsächlich eine Frage des Verstehens ist, die dann mittelbar praktischen Zwecken dient, wird noch einmal bei Fichte in einer unmittelbar aktiveren Weise interpretiert. Die Bildung wird somit auch als Volkserziehung ausgedeutet, die eine allgemeine öffentliche Aufgabe vermitteln und sich dann für einige Individuen weiter und höher perfektionieren soll. Diejenigen, die im Nachhinein zu Gelehrten werden, sind sicher das lebendige „Archiv des Zeitalters“, aber auch und noch geprägter die „freien Künstler der Zukunft und ihrer Geschichte, die besonnenen Baumeister der Welt“.40 Die erzieherische und sozial engagierte Aufgabe scheint fast die theoretische Leistung zu überbieten und im Namen eines praktisch-reformistischen Ziels bevorzugt zu wirken. 26
Somit werden eine allgemeine Perspektive in Aussicht gestellt und dabei zwei komplementäre Projekte verfolgt. Was Fichte und Schelling vereinigt, ist die Idee eines grundlegenden, auf die Prinzipien zurückgehenden Wissens, das die unterschiedlichen Momente, Ausdrucksweisen und Ergebnisse organisch zu strukturieren und zu interpretieren gedenkt, um sie dann mit Hinblick auf die Zukunft fruchtbar zu machen. Das kulturelle Projekt Schellings konzentriert sich aber auf die Entdeckung der Wahrheitsbotschaften der Vergangenheit, auf die Erforschung ihrer spezifischen Ausdruckweisen sowie ihrer verborgenen metaphysischen Inhalte, auf deren Verbindungen und Verkettungen, die sie miteinander verknüpfen und aus ihrer Wechselwirkung heraus erklären lassen. Fichte fokussiert dagegen vielmehr seine Bemühungen auf eine Gestaltung der Zukunft, die diese kulturellen Zeugnisse vor allen Dingen lebendig erhalten soll, und dies nur tun kann, indem sie sie schöpferisch weiterentwickelt und auf immer neue und kreative Weisen bestimmt.
NOTES 1. Fichte an Schelling in Bamberg, Berlin d. 2. August 1800, in:
H.
traub
(Hg.), Schelling-Fichte
Briefwechsel, Neuried, ars una, 2001, S. 142.
2. Fichte an August Wilhelm und Karl Wilhelm Friedrich Schlegel in Jena, d. 23. Xbr. 1799, Ibid., S. 244. 3. J. G. Fichte , Über die Bestimmung des Gelehrten, in Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 1962ff. ( im Folgenden: GA), I, 3, S. 53. 4. Siehe dazu: p . l. Oesterreich , h . traub , Der ganze Fichte, Stuttgart, Kohlhammer, 2006, S. 25. 5. J. G. Fichte , Die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters, GA, I, 8, S. 196.
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6.
F. W. J.
schelling ,
Historisch-kritische Ausgabe, im Auftrag der Schelling-Kommission der Bayerischen
Akademie der Wissenschaften, Stuttgart, Frommann-Holzboog, 1976ff. (im Folgenden: HKA), I, 4, S.
85 f. 7. F. W. J. schelling , De malorum origine, HKA, I, 1, S. 107. 8. Ibid., S. 108. 9. F. W. J. schelling , Über Mythen, historischen Sagen und Philosopheme der ältesten Welt, HKA, I, 1, S. 209. 10. Siehe dazu auch:
X.
tilliette ,
"Die höhere Geschichte", in:
L.
hasler
(Hg.), Schelling. Seine
Bedeutung für eine Philosophie der Natur und der Geschichte, Stuttgart-Bad Cannstatt, Frommann-
Holzboog, 1981, S. 193-204. 11. F. W. J. schelling, Philosophie und Religion, in F. W. J. schelling, Sämmtliche Werke, Stuttgart, Cotta, 1856-61 (im Folgenden: SSW), IV, S. 47. 12. GA, I, 8, S. 300. 13. Siehe dazu: C. cesa , Urfragen und Gestalten der Menschheitsgeschichte im Hinblick auf den späten Fichte, "Fichte-Studien", 28, 2006, S. 15-29, insb. S. 22. 14. J. G. FICHTE, Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre, GA, I, 2, S. 257. 15. F. W. J. schelling , Allgemeine Uebersicht der neuesten philosophischen Litteratur, HKA, I, 4, S. 89. 16. Siehe dazu: H. traub , Johann Gottlieb Fichtes Populärphilosophie 1804-1806, Stuttgart-Bad Cannstatt, 1992, insb. S. 34. 17. GA, I, 8, S. 197. 18. HKA, I, 4, S. 186-187. 19. Vgl. dazu: H. J. sandkühler , „Die Geschichte, das Recht und der Staat als zweite Natur. Zu Schellings politischer Philosophie“, in Zeitschrift für politische Forschung, 55, 2, 2001, S. 167-195. 20. F. W. J. schelling , System des transscendentalen Idealismus, HKA, I, 9, 1, S. 301. 21. Vgl. dazu: A. C. danto , Analytische Philosophie der Geschichte, Frankfurt/M., Suhrkamp, 1980, insb. S. 36 ff, 292 ff. 22. GA, I, 8, S. 198. 23. Vgl. H. traub ,Johann Gottlieb Fichtes Populärphilosophie 1804-1806, S. 29 ff. 24. Über das Verhältnis zwischen Freiheit und Notwendigkeit bei Fichte siehe: R. picardi, Il concetto e la storia. La filosofia della storia di Fichte, Bologna, il Mulino, 2009, S. 73 ff. 25. Siehe dazu: W. windelband , Geschichte und Naturwissenschaft, Straßburg, Heitz, 3. Aufl. 1904. 26. Vgl. dazu: W. schmied - kowarzik , „Schellings Idee einer Naturphilosophie. Ein noch heute herausforderndes Projekt“, in Information Philosophie, 27, Heft 2, Juni 1999, S. 7-19, insb. S. 14 ff. 27. Vgl. F. W. J. schelling , Die Weltalter. Fragmente, SSW, 13, insb. S. 239 ff. 28. GA, I, 8, S. 206. 29. Ibid., S. 198. 30. J. G. FICHTE, Reden an die deutsche Nation, GA, I, 10, S. 297. 31. HKA, I, 9, 1, S. 301. 32. HKA, I, 4, S. 60. 33. HKA, I, 1, S. 145. 34. HKA, I, 9, 1, S. 293. 35. GA, I, 3, S. 31. Für eine Analyse des "Begriffs" und seiner Bedeutung auch in der späteren Geschichts- und Kulturphilosophie Fichtes siehe: H. traub , Johann Gottlieb Fichtes Populärphilosophie 1804-1806, S. 52 ff. 36. Vgl. O. ju n g , Zum Kulturstaatsbegriff, Meisenheim am Glan, Hain, 1976, S. 20. 37. Zur Bedeutung der Dialektik in Schellings Geschichtskonzeption siehe: W. MARX, Schelling: Geschichte, System, Freiheit, München, Alber, 1977, insb. S. 25. 38. F. W. J. schelling , Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, SW, I, 3, S. 309. 39. HKA, I, 4, S. 144.
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40. J. G. FICHTE, Die Staatslehre oder über das Verhältnis des Urstaates zum Vernunftreiche, 2. Aufl., Leipzig, Meiner, 1922, S. 30.
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Fichtes und Schellings Auffassungen des studentischen Werdegangs und des akademischen Curriculums Jean-François Goubet
1. Vorhaben des gegenwärtigen Referats 1
Der Impuls zum gegenwärtigen Referat ist in Fichtes Philosophie zu finden. Innerhalb seiner Überlegungen über die Bestimmung des Gelehrten oder die ideale Errichtung der Universität hat sich dieser mehrmals darüber geäußert, was für Etappen ein junger Mann zu durchlaufen hatte, um als ausgemachter Studierender zu gelten. Nicht nur die Vorschulung zur eigentlichen Studentenzeit, sondern auch das Praktikum, die Professionalisierung als Endstation der Gelehrten-Laufbahn wurde in Betracht gezogen. Die Sphäre des akademischen Wissens wurde ebenso zergliedert, wobei eine Einteilung in Fakultäten und eine Erschließung gewisser Seminare außer denselben auch stattfand. Sowohl subjektiv, als Lebenslauf des erwachsenen Gelehrten, als objektiv, als enzyklopädische bzw. didaktische Entfaltung der Wissenschaft, wurde also aus der Idee ein universitärer Plan deduziert.
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Mein Vorhaben ist es zu zeigen, dass Schelling in seinen Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums nicht das lieferte, was er versprach. Zwar hat er aus dem Gipfel der Idee des Absoluten gebaut, und die Deduktion der Fakultäten aus der Einheit der Wissenschaft bleibt trotz aller äußeren Mängel bewunderungswürdig. Aus der allumfassenden Indifferenz ist er jedoch nicht wirklich herausgegangen, so dass er die notwendigen faktischen Bedingungen einer akademischen Laufbahn berücksichtigen konnte und er auch keine Methode des Studiums, d.h. keine Regel für eine richtige Aneinanderreihung der Elemente eines Lebenslaufs an die Hand zu geben wußte. Aus dem Zentrum hin zu der Peripherie hat das schellingsche Denken gestrahlt, nur dass er dabei keine Rücksicht auf die Details einer Propädeutik oder einer seminaristischen Ausbildung genommen hat. Sicherlich hat Fichtes Schüler den spekulativen Blick einer Epoche
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geschärft, zu deren Erzeugung er beigetragen hat, sicherlich hat er sich entschiedener von der Aufklärung und ihrer Vorliebe für das Endliche überhaupt verabschiedet. Er hat jedoch dabei nicht vollzogen, was der Titel seiner Vorlesungen vermuten ließ. Jetzt möchte ich auf die Besonderheiten der fichteschen und schellingschen Auffassungen des akademischen Fortschreitens näher eingehen.
2. Die unterschiedliche Deduktion der Fakultätsgliederung aus der Idee 3
„Seit Schelling ist die Idee des Wissens gleichbedeutend mit dem Wissen von der Idee, d.h. von ihrer Einheit und ihren Verzweigungen“: so fasste Eduard Spranger die epochemachende Pointe der Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums zusammen1. Die Idee des Absoluten impliziert eine Organizität, die nur von der Seite eines frei schaffenden Geistes, eines lebenden Organs der Anschauung ergriffen werden kann. Wer den Sinn für die Wissenschaft nicht verstopft hat ist fähig, sich zum Ganzen zu erheben und zu sehen, dass die verschiedenen Fakultäten nur Akzentschiebungen kennen, weil sie alle Ausdrücke der Einen Subjekt-Objektivität sind. In der siebenten Vorlesung deutet Schelling die Theologie als objektive Darstellung des Indifferenzpunktes, die Medizin als die reelle Seite der Philosophie und das Recht als deren ideelle Seite ein, so dass eine eigenständige philosophische Fakultät ganz und gar ausfällt, indem die drei positiven Wissenschaften sie erschöpfen2.
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Wenn man den später geschriebenen fichteschen Entwurf über die Errichtung einer höhern Lehranstalt in Berlin liest, stößt man anscheinend zuvörderst auf ähnliche Stellen. Nur von einer philosophischen Enzyklopädie aus, das heißt eines umfassenden Verständnisses der wissenschaftlichen Verhältnisse, sei zu den positiven Bereichen des Rechts, der Medizin und der Theologie fortzuschreiten. Die Idee des Ganzen geht jeder lokalen Prüfung irgendeines Objekts voran. In diesem Sinne seien aber die drei sogenannten oberen Fakultäten von der philosophischen abhängig3, nicht miteinbegriffen. Die ehemalige Magd sei jetzt unumstritten zur Führerin geworden, nachdem Wolff für die architektonische Rolle der philosophischen Fakultät plädiert und Kant sie zum Berufungsgericht innerhalb der Akademie erhöht hatte. Der erste Rang impliziert jedoch, dass die Fakultäten massiv auseinander fallen, wenngleich der gelehrte Unterricht aller übrigen Bestandteile der Universität durch den philosophischen regiert wird.
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Sicherlich trägt die fichtesche Konzeption die Spur des Kantischen Gedankenguts mehr als die schellingsche. Im Deduzierten Plan sind noch die Studenten der oberen Fakultäten als künftige Beamten zu berücksichtigen, was zur Folge hat, dass sie nicht nur als Leiter der Vernunft, architektonische Gelehrten, sondern auch als Verwalter des Wissens, Techniker im Kreis der Wissenschaft, erscheinen. Eine Faktizität besteht für sich, obwohl sie prinzipiell aus der transzendentalen Sicht, zwar durch einen Sprung, zu gewinnen ist. An und für sich ist die positive Wissenschaft der philosophischen weder fremd, noch entgegengesetzt; historisch bleibt sie trotzdem da stehen, ohne in der Vernunft aufgelöst zu werden, ohne durch die Spekulation gesteigert zu werden. Schelling hat sich hingegen viel schärfer gegen die Vorrangstellung und relative Isolierung der Philosophie im Streit der Fakultäten geäußert, weil „das, was Alles ist, eben deswegen nichts insbesondere sein kann“4. Eine Nebenwirkung der Verneinung der Absonderung der philosophischen
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Fakultät ist in der Ablehnung einer Gegenüberstellung des Philosophischen und des Faktischen zu finden. Insbesondere dokumentiert die Naturphilosophie den Versuch, die Erscheinungen nicht nur mit Prinzipien zu stützen, sondern durch die Spekulation zu durchdringen und umzubilden5. 6
Ich kehre aber zu den Jenenser Vorlesungen zurück. Das Verhältnis zwischen Philosophie und dem Historischen innerhalb des Rechtlichen wird mir als Exempel dienen, um bemerkenswerte Unterschiede aufzuweisen. Eine bloße Erhebung des Faktischen zur Philosophie würde dieses aufheben, ja vernichten; es ist also üblich, sich in eine andere Ebene hineinzuversetzen, und zwar diejenige der Kunst6. Das Historische soll durch die Benützung eines epischen bzw. tragischen Stils konzentriert und verschönt werden. Es ist dabei nicht die Rede von irgendeiner Erdichtung, sondern von einer spekulativen Idealisierung der Geschichte. In der Mitte zwischen dem Gegebensein und dem reinen Anschauen taucht also eine eigentümliche künstliche Stufe auf.
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Anders bei Fichte, der in dem Erlanger Plan sich das Verhältnis zwischen Philosophie und Geschichte so denkt: „Z.B. der Lehrer des römischen Rechtes fingire einen Fall, und gebe seinem Auditorium auf, ein Gesetz für denselben zu geben, das consequent in das Ganze der römischen Gesetzgebung passe und daraus hervorgehe; oder der der Geschichte fingire ein Ereigniß und gebe auf, zu sagen, was in der und der bestimmten Zeit, in dem und dem bestimmten Lande aus jenem Ereigniß am Wahrscheinlichsten erfolgt sein würde: so wird sich ohne Zweifel gar klar ergeben, ob seine Zuhörer das römische Recht, oder die Geschichte wirklich durchdrungen haben“7.
Hier ist nichts von einem Sinn für die Kunst zu vernehmen; der Geist liegt nicht so sehr in einer ästhetischen Darstellung, als in einem Verständnis des Ganzen als Idee. Der Aufbau der akademischen Fakultäten steht demzufolge im Einklang mit der Auffassung der Rolle des Philosophischen gegenüber dem Historischen oder Faktischen.
3. Zwei Konzeptionen des Ausgangs aus der Universität und der Vorbereitung zu derselben8 9 8
Die objektive Entfaltung eines Curriculums, eines Lehrplans, hat ebenfalls Konsequenzen für ihren subjektiven Kontrapunkt, den studentischen Werdegang. Obwohl die zweite Jenenser Vorlesung Schellings „Über die wissenschaftliche und sittliche Bestimmung der Akademien“ lautet, handelt es sich mehr um deren Definition als um das Ziel deren Einrichtung fürs Leben. Zum ersten lernt man nichts darüber, wie die Akademie als Qualifizierungsanstalt für den künftigen Beruf fungieren soll. Zum zweiten ergibt sich die Universität keinesfalls als eine Probezeit für das männliche Alter, ein Lebensort wo die Jungen das sittliche Zusammenleben erfahren können. Von der Idee aus lässt sich zwar die Ganzheit des Wissens erschließen, aber nie etwas wie eine Gemeinschaft der angehenden Wissenschaftler; die lebendige Einheit der Lehre reimt sich demzufolge nicht mit einer Lebenseinheit der Gelehrten.
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Um den ersten Punkt anschaulicher zu machen genügt, dass man seine Aufmerksamkeit auf die Frage nach der theologischen Ausbildung lenke. Die große Aufgabe der Geschichte bestand nicht in ihrer pragmatischen Deutung, die Freilegung ihres Beitrags für das Betragen. Auf eine ähnliche Weise ist die Religion von der vorwiegend moralischen Interpretation zu befreien. Der Theologe soll in der Universität eine historische Konstruktion des Christentums bewerkstelligen. Da die objektive Symbolik der Griechen
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zwischen Unendlichem und Endlichem verlorengegangen ist, ist eine neue, subjektive Symbolik zu erschaffen, die Jesus als denjenigen denkt, der die Welt des Geistes eröffnet8. Weil das komplizierte Verhältnis zwischen Endlichem und Unendlichem in den Vordergrund kommt, ist „das Wesentliche im Studium der Theologie [...] die Verbindung der spekulativen und historischen Konstruktion des Christentums und seiner vornehmster Lehren“9, und auf keinen Fall eine auf moralische Verbesserung intendierende Homiletik. 10
Man vergleiche nur Erlanger oder Berliner Vorstellungen Fichtes mit den vorherigen, um eine unüberbrückbare Kluft zu entdecken. Am Ende seines Erlanger Plans hatte schon Fichte das homiletische Institut in Sicht gehabt, als er die Erschaffung pädagogischer Seminare für Philosophen befürwortete; der gelehrte Vortrag, genauso wie der populäre, war nicht aus dem alleinigen Besitz des Wissens zu schöpfen und erforderte die Erwerbung einer spezifischen Kunst10. Das Berlinische Gutachten ist weitläufiger hinsichtlich der Konsequenzen einer seminaristischen Ausbildung: der Volkslehrer hat eine Pastoralklugheit und die Kunst der Popularität mit Leuten aus dem Volk und ausübenden Geistlichen zu erlernen11. Sich ein gutes Herz zu fassen ist genauso wichtig als sich eine wissenschaftliche Bildung zu verschaffen. Die Schule soll letztlich zur Welt zurückführen, nachdem sie in die Teilnahme der Idee eingeweiht hat und die Mittel effektiv in ihr zu handeln an die Hand gab. Der Volkslehrer als Glied der Menschheit, praktisch lehrender Mensch unter den Menschen und nicht nur Gelehrter an seinem Schreibtisch, hat vor allem seine moralische Bestimmung zu erfüllen. Wo Schelling den Studenten für die Höhe der Spekulation gewinnen wollte, plant Fichte das Wissen unter dem ethischen Zweck schließlich gelten zu lassen.
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Das macht den Übergang zum zweiten Punkt, und zwar zur Geringschätzung des praktischen Interesses zugunsten des theoretischen bei Schelling. Der Angriff auf Fichte ist hier durchsichtig. Eine berühmte Stelle der Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten parodierend schreibt Schelling Folgendes: „Handeln, Handeln! ist der Ruf, der zwar von vielen Seiten ertönt, am lautesten aber von demjenigen angestimmt wird, bei denen es mit dem Wissen nicht fort will“12. Was den Gipfel und die Krönung der Wissenschaft bei Fichte bildete, wird jetzt mit einem Unvermögen und einer Unfähigkeit etwas zu leisten identifiziert! Die Studentenzeit hat nicht wie eine Probezeit zu gelten, da die Natur des Absoluten es versagt, dass man seine Bahn außerhalb des Triebes für die Wissenschaft und um ihrer Willen zieht. Da im Absoluten aber Freiheit und Notwendigkeit gleichgesetzt sind, kann das Handeln im Leben keine Selbständigkeit beanspruchen. Dieses ist ja nicht freier Entschluss im Kontakt mit Zufälligkeiten, entschiedene Trennung vom natürlichen Regelmäßigen, sondern löst sich zugleich in Denknotwendigkeiten auf.
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In Jena hatte Fichte auf Schellings Angriff gleichsam im Voraus erwidert. „Aber alle Geisteskultur ist nichts, u. hilft nichts, ohne Charakterbildung; u. ich erinnere abermals, was ich schon mehrmals erinnert habe, daß man irrt, wenn man in einer Akademie bloß eine Schule der Wißenschaften zu erbliken glaubt. Sie soll zugleich seyn eine Schule des Handelns“13
13
So liest man in der Tat im Nachlass. Die Opposition zwischen Schule und Leben ist nicht so streng, dass die höhere Lehranstalt sich nicht zugleich als Lebensort erweisen kann. Die Universität ist eine kleinere Welt, wo Jungen mit ihren Sitten und Bräuchen aus allen Ecken kommen, wo Gleichgesinnte eine Lebensgemeinschaft wie in einer Familie genießen14. Die Vorbereitung zur Welt deckt sich nicht mit einer vorherigen
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Weltfremdheit. Der Eintritt in das Mannsalter geschieht über dies allmählich, wenn die Verbindungen zur lokalen Gegend gelöst sind und der Junge mit Jungen und musterhaften Erwachsenen umgeht. Die Schule ist also Schule in zwei verschieden Sinnen, einmal im eigentlichen, da sie direkt unterweist, das zweite Mal im erweiterten, weil sie auch informell, durch Einprägung bildet. 14
Die Diskrepanz zwischen den beiden Philosophen ist im übrigen nicht so groß, was die Vorschulung zur Universität anbelangt. Für Fichte ist die Erlernung der alten Sprachen, so Friedrich Paulsen, „gleichsam das Bad der intellektuellen Wiedergeburt, wodurch die Fähigkeit zu denken überhaupt erst erlangt wird“15. Bei Schelling ist auch die Philologie zu kultivieren, damit man ein Werkzeug für die Textauslegung und die Erforschung der Natur habe16. Man darf jedoch bedauern, dass Schelling keine Propädeutik in seinen Jenenser Vorlesungen skizziert hat. Die allgemeine Enzyklopädie der Wissenschaften, für die er seinen Grundriss geben wollte, lässt sich kaum damit vergleichen, da es ihr auch an einer Propädeutik fehlt. Wie dem auch sei, sind Fichte und Schelling in ihrem Abschied von der aufklärerischen Pädagogik einig: die neuhumanistische Vorrangstellung der philologischen Bildung gegenüber der naturwissenschaftlichen kommt bei beiden klar zum Ausdruck.
4. Schlussbemerkungen über das Erbe der Aufklärung und die philosophische Methodik 15
Selbstverständlich hat sich Fichte selbst nicht mehr als ein Mitglied der Aufklärung, als einen Teilnehmer an der alten Welt verstanden. Seine Angriffe auf die platte Aufklärung, insbesondere auf die Berliner Kreise um Nicolai17, beweisen dies unwidersprechlich. Wie dem auch sei, er bleibt als Denker auf frühe Erregungen angewiesen, indem er insbesondere ein Thema wie dasjenige der Bestimmung des Gelehrten bzw. des Menschen stark betont18. Die Bildung zur Nützlichkeit ist außer Kraft gesetzt. Der Anfang der Aphorismen über die Erziehung von 1804 belegen dies eindeutig: „Einen Menschen erziehen heisst: ihm Gelegenheit geben, sich zum vollkommenen Meister und Selbstherrscher seiner gesammten Kraft zu machen. Der gesammten Kraft, sage ich; denn die Kraft des Menschen ist Eine und ist ein zusammenhängendes Ganze. Sogleich in der Erziehung einen abgesonderten Gebrauch dieser Kraft als Ziel ins Auge fassen, - den Zögling für seinen Stand erziehen, wie man dies wohl genannt hat, würde nur überflüssig seyn, wenn es nicht verderblich wäre“.
Außerdem verabschiedet sich der Idealist von der leichten, spielenden Erlernung der Sprachen, wie sie bei Basedow noch zu finden waren. Die Verbesserung der Welt durch die Handlung, die Erschließung des Lebens durch den Besuch der Schule bleiben aber wie früher brisante Motti. Schelling, der nur vorbeigehend auf einer gemäßigten Art Lessing würdigt, hat sich einen Schritt mehr, und zwar einen entscheidenden Schritt, von der Aufklärung entfernt. 16
Was die Lieferung einer eigentlichen Methode des akademischen Studiums anbelangt, hat sich jedoch Schelling nicht so erfolgreich erwiesen. Mit Schleiermacher kann man Folgendes bedauern: „Von der gewöhnlichen Verteilung, in welcher sich der Unterricht in den positiven Wissenschaften den Jünglingen auf der Universität anbietet, von der richtigen Abschätzung dieser einzelnen Teile und der zweckmäßigen Art, sie zusammenzufügen, ist so gut als gar nicht die Rede“19. Den studentischen Lebenslauf hat
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Schelling kaum behandelt, was eine gewisse Lücke in seinem Vortrag entstehen läßt. Die Schellingsche Methodik hat aber noch in einem anderen Sinn etwas Fehlerhaftes. Sie ist nämlich trotz aller Bemühungen, die Naturwissenschaft wiederaufzunehmen und umzubilden, viel zu sehr die Behauptung einer umfassenden Ansicht, einer reinen Spekulation, welche Probleme nicht auftauchen läßt. Dieses ist zumindest die Beurteilung Herbarts hierüber. Fichtes Behandlung des Ich-Problems, obwohl zu spekulativ, sei dennoch ein Denkanstoß gewesen. Der alte Jenenser Meister sei in dieser Hinsicht den jüngeren überlegen. „Ist die blosse Ansicht voll von den Spuren zufälliger Associationen, hat der Fleiss, der gute Vorsatz, der sie hervorbringen half, genug zu thun gehabt, nur gegen das Eindringen heterogener Einfälle sich zu stemmen, und widerstrebende Empfindungen zur Resignation zu bewegen: so äussert sich dagegen im System die Kraft irgend einer Methode, als positive Kraft, Gedanken zu schaffen, für den Platz, wohin sie gehören; es zeigt sich daran etwas von nothwendigen Zusammenhange; oder was wenigstens dafür gelten will, und die Schätzung desselben und das Streben darnach verräth.“20
So Herbart, der seinen ehemaligen Professor als einen Lehrer der wissenschaftlichen Philosophie, welche ohne Methodik nicht bestehen kann, begrüßte. Eine echte philosophische Methode fordert zum Selbstforschen auf, indem sie bündige Probleme auftauchen läßt. Sie weist beständig auf einen Zweck hin, zu dem das Wollen nicht ohne Denkanstrengung gelangen kann und worauf die Handlung sich mit Entschiedenheit richten soll.
NOTES 1. „Staat und Universität“, Über das Wesen der Universität, Leipzig, Meiner, 1919, S. XVII. 2. Die Idee der deutschen Universität. Die fünf Grundschriften aus der Zeit ihrer Neubegründung durch klassischen Idealismus und romantischen Realismus, E. Anrich (Hg.), Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1956, S. 62-63. 3. Ebd., Deduzierter Plan, § 26, S. 157. 4. Vgl. Fußnote 2. 5. Vgl. Z. B. E. Renault und F. Fischbach, Vorrede zu F. W. J. Schelling, Introduction à l’Esquisse d’un système de philosophie de la nature, Paris, Livre de poche, 2001, S. 37. 6. Vgl. die zehnte Vorlesung, Ebd. S. 85. 7. Ideen für die innere Organisation der Universität Erlangen, Fichtes Werke, Bd. XI, S. 280. 8. Vgl. die achte Vorlesung, Ebd., S. 70-72. 9. Neunte Vorlesung, Ebd., S. 80. 10. Vgl. Fichtes Werke, Bd. XI, S. 294. 11. Vgl. Deduzierter Plan, § 26, Ebd., S. 161. 12. Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, erste Vorlesung, Ebd., S. 9. 13. Von der Bestimmung der Gelehrten, GA, II, 3, S. 366. 14. Vgl. z. B. Ideen für die innere Organisation, Fichtes Werke, Bd. XI, S. 283-284, und Deduzierter Plan, § 37, Ebd., S. 172-174.
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15. Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart. Mit besonderer Rücksicht auf den klassischen Unterricht, Bd. 2, Berlin/ Leipzig, de Gruyter, 1921, S. 209. 16. Vgl. die dritte Vorlesung, Ebd., S. 30-31. 17. Vgl. E. Fuchs, „Fichte und die Berliner Aufklärung. Einige charakteristische Linien“, Fichte und die Aufklärung, C. De Pascale, E. Fuchs, M. Ivaldo, G. Zöller (Hg.), Hildesheim/Zürich/New York, Olms, 2004, S. 53-68. 18. Über die Ambivalenz der Aufklärung bei Fichte, vgl. H. Traub, « Le concept des ‘Lumières’ dans la Doctrine de la Science de 1805 de Fichte », trad. fr. A. Schnell, Archives de philosophie, 2009/3, pp. 483-495. 19. Texte zur Pädagogik, Bd. 1, M. Winkler und J. Brachmann (Hg.), Frankfurt-am-Main, Suhrkamp, 2000, S. 75. 20. Über philosophisches Studium, Sämtliche Werke, Bd. 1, G. Hartensein (Hg.), Leipzig, Voss, 1850, S 393.
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Rezeption und Aktualität / Réception et actualité
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Schellingsches Natur- und Materieverständnis im und um das 20. Jahrhundert Norman Sieroka
Einleitung 1
Naturphilosophische Ambitionen in dem Sinne, wie Schelling sie um 1799/1800 (z.T. im sehr konkreten Anschluss an aktuelle empirische Befunde zu Elektrizität, Magnetismus und Galvanismus) vertreten hat, sind, so könnte man meinen, spätestens seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert und mit der zunehmenden Spezialisierung naturwissenschaftlicher Einzeldisziplinen abwegig geworden. Naturwissenschaftler fokussieren eher auf Detailfragen, als dass sie über eine Sicht auf die Natur und deren Entwicklung als Ganzes spekulieren; geschweige denn, dass sie Begriffe des Handelns und der Aktivität als genuine Beschreibungsformen für das Natürliche betrachten. Umgekehrt tun sich Philosophen verständlicherweise schwer, das Wissen der ihnen professionell oft fremden Einzeldisziplinen in einem eigenständigen begrifflichen Rahmen zusammenzuhalten und zusammen zu denken. Dennoch gab und gibt es Einzelne, die dies auch im und um das letzte Jahrhundert versucht haben und die zumeist einen einzelwissenschaftlichen Hintergrund hatten. (Diese Autoren sind selbstverständlich keine Schelling-Experten; es geht ihnen nicht um eine genaue Schelling-Auslegung, und so soll denn auch meine folgende Darstellung keine Exegese sein, sondern lediglich versuchen, sozusagen ein paar Schlaglichter auf einige „Schellingsche Motive“, wie man es vielleicht nennen könnte, zu werfen.)
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Ich werde im Folgenden, in einem ersten Abschnitt, kurz auf Charles Sanders Peirce eingehen. Dieser Abschnitt soll vor allem als Hintergrund fungieren, um einige Themen/ Motive, die mir als ein typisch Schellingsches Erbe erscheinen, kurz einzuführen und gegenüber anderen Bezugnahmen abzugrenzen; nämlich einerseits gegenüber dem Entwurf einer transzendentalen Naturlehre im Sinne Fichtes durch den Mathematiker
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und Physiker Hermann Weyl, und andererseits gegenüber dem neukantianischen Naturund Materieverständnis bei Ernst Cassirer. Im zweiten Abschnitt werde ich auf die vagen Systementwürfe des Brüsseler Chemikers Ilya Prigogine und des Physikers Hermann Haken eingehen, die bereits vor einiger Zeit im Kontext der Naturphilosophie Schellings diskutiert wurden. Dies soll hier kurz kritisch hinterfragt werden und zugleich sollen die markanten Parallelen und Unterschiede zu Peirce benannt werden. In meinem dritten Abschnitt gehe ich auf Arbeiten zur Einheit der Physik und der Natur von Carl Friedrich von Weizsäcker ein, die wohl am prägnantesten ein Schellingsches Erbe zeigen. Und zum Schluss (in Abschnitt 4) werde ich die Relevanz der von Weizsäckerschen Arbeiten für gegenwärtige Diskussionen im Bereich der analytischen Wissenschaftsphilosophie aufzeigen.
1. Kontraste und Hintergrund: Peirce kontra Cassirer und Weyl 3
Betrachtet man einmal die naturphilosophischen Entwürfe der Amerikanischen Pragmatisten - und da wäre dann vor allem eben Peirce zu nennen -, so fällt im Unterschied zu Arbeiten der gerade genannten Cassirer und Weyl die starke Bezugnahme auf die Evolutionstheorie auf. (Auch ist ja historisch belegt, dass sich der Kreis um Peirce und James, vermittelt durch Chauncey Wright, sehr intensiv mit der Evolutionstheorie und ihrer Rezeption bei Spencer auseinandersetzte. Und zur Rezeption des Deutschen Idealismus in diesem Kreis siehe etwa die Diskussionen und Kritik von Peirce und James an Royce.) Cassirer und Weyl beginnen ihre Überlegungen in der 1920er/l930er Jahren immer von der Physik aus, die durch Relativitätstheorie und Quantenmechanik tiefgreifende systematische Neuerungen erfahren hatte. Dabei reflektieren sie die Physik immer zugleich als ein von Menschen betriebenes, kulturelles Unternehmen (siehe Cassirer 192l/l957a und 1937/l957b bzw. Weyl 1927). Bei Cassirer führt dies bekanntermaßen letztlich zum transzendentalphilosophischen Großprojekt einer Kritik der Kultur, die an die Stelle der kantischen Kritik der Vernunft zu treten habe. Bei Weyl führt es zu einer detaillierten Agenstheorie der Materie und dem Aufstellen einer Art historischen Dialektik des Materiebegriffs, die letztlich Bestandteil eines transzendentalphilosophischen Rahmens bleibt - einer mit Fichte gesprochen „pragmatischen Geschichte des menschlichen Geistes“ (GA I,2, S. 365). (Diese kurzen Bemerkungen mögen bereits zur Kontrastbildung für das nun Folgende genügen. Außerdem habe ich die Ansätze von Cassirer und Weyl andernorts bereits ausführlich behandelt; siehe Sieroka 2007 und 2009 bzw. Sieroka 2010.)
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Demgegenüber beginnt der Agapasmus von Peirce von der Biologie aus; nämlich von der Grundannahme der Lamarckschen Evolutionstheorie, wonach es Entwicklung mit der Ausprägung von Gewohnheiten zu tun hat, und überträgt sie vom Tierreich auf die Evolution der gesamten Wirklichkeit. So wie nach Lamarck Giraffen einen langen Hals haben, weil sie sich wiederholt nach hochhängenden Blättern an Bäumen gestreckt haben, sind insbesondere auch alle Naturgesetze Resultate solcher Gewohnheitsbildungen. Etwas salopp und vereinfachend könnte man es vielleicht so illustrieren: Fällt ein Stein beim ersten Mal noch aus Zufall nach unten (statt nach oben oder nach rechts oder links), so hat er nach dem achten Fall nach unten bereits eine
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Gewohnheit ausgebildet; eine Gewohnheit, die wir nun mithilfe des Gravitationsgesetzes beschreiben. 5
Als Ausgangspunkt für diese Evolution der gesamten Wirklichkeit nimmt Peirce eine Art „Ursuppe“ von geistigen Zuständen bzw. Affekten an. Zur Ausbildung von Gewohnheiten, von Mustern, kommt es in dieser „Ursuppe“ aufgrund dessen, was Peirce als „Liebe“ bezeichnet (verstanden als aYanp; daher auch der Name Agapasmus). Mit dieser eher unüblichen, technischen Verwendungsweise soll letztlich nur genau der Affekt bzw. Zustand benannt werden, der im Gegensatz zu allen anderen die Neigung hat, Verbindungen einzugehen. „Liebe“ wird also als eine Art Anziehungskraft verstanden, die überhaupt erst die Etablierung von Mustern ermöglicht - von Regelmäßigkeiten, zu denen dann eben auch die Naturgesetze gehören und deren erstarrte Form die Materie ist. In einem Manuskript aus der Zeit um 1890 heißt es: In der Philosophie braucht man einen kompromißlosen Evolutionismus. [...] Nun ist der einzige Weg, das zu tun, der, irgendwie zu zeigen, daß Gesetzlichkeit das Produkt des Wachstums, der Evolution, gewesen sein könnte. Deshalb müssen wir wenigstens ein Prinzip des Wachstums als fundamentaler ansetzen als jedes mechanische Gesetz. Der Vorschlag, zu dem das führt, liegt auf der Hand. Er lautet, daß Materie Geist ist, der unter die fast vollständige Herrschaft von Gewohnheiten geraten ist, daß es zuerst nur Geist gab, eine ungeheure, nicht personifizierte Mannigfaltigkeit an Geist. (Peirce 1998, S. 129, 138)
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Im Unterschied zu Cassirer und Weyl kommt damit der Evolution der Natur und der Wirklichkeit eine besondere Rolle zu; und zwar eine Rolle, wie sie im Ansatz bereits in Schellings System des transzendentalen Idealismus auftritt: Die Organisation überhaupt [der Lebewesen] ist die in ihrem Lauf gehemmte und gleichsam erstarrte Succession [...]. Da die Intelligenz durch die ganze organische Natur sich selbst als thätig in der Succession anschauen soll, so muß auch jede Organisation im weiteren Sinne des Wortes Leben, d.h. ein inneres Princip der Bewegung, in sich selbst haben. Das Leben mag wohl mehr oder weniger eingeschränkt seyn; die Frage also; woher jener Unterschied? reducirt sich auf die vorhergehende: woher die Stufenfolge in der organischen Natur? Diese Stufenfolge der Organisationen aber bezeichnet nur verschiedene Momente der Evolution des Universums. (SSW 1,3, S. 493-494)
Aber damit wird zugleich auch ein wichtiger Unterschied zwischen Schelling und Peirce offenkundig. Denn die gerade zitierte Passage ist als ein Stück Transzendentalphilosophie zu verstehen; und sie entstand in einer Zeit als Schelling an eine Komplementarität von Naturphilosophie und Transzendentalphilosophie glaubte (vgl. SSW 1,3, S. 272, und SSW I,4, S. 81-84). Es geht in der Passage also darum aufzuzeigen, bzw. sogar abzuleiten, welche subjektiven Bedingungen zu unserer Naturauffassung führen - und umgekehrt geht es in der Naturphilosophie um die natürlichen Umstände, die Subjektivität überhaupt ermöglichen. Gemäß dieser Komplementaritätsannahme sollte die Deduktion des Organischen im Rahmen der Naturphilosophie den Übergang zum transzendentalen Idealismus ermöglichen; und umgekehrt die transzendentale Deduktion der Materie einen Übergang (von eben der Transzendental-) zur Naturphilosophie. Das ist bei Peirce anders: Erstens hat sein naturphilosophischer Agapasmus kein transzendentalphilosophisches Komplementär-Projekt; zweitens - so unglaublich das auch sein mag - scheint er die von ihm behandelte Ausbildung von Gewohnheiten als einen realhistorischen Prozess zu betrachten.1 7
Schließlich ist noch zu bemerken, dass Peirce durch seinen Liebesbegriff eher einen Ansatz allgemeiner Anziehung statt Abstoßung vertritt. Auch bei Peirce, so könnte man
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argumentieren, steht also die Elektrizitätslehre bzw. der Elektromagnetismus Modell; allerdings nicht wie bei Schelling im Sinne des Widerstreits verschiedener Pole oder Polaritäten, sondern im Sinne wechselseitiger Attraktion.
2. Selbstorganisation und innerphysikalische Überhöhung bei Prigogine und Haken 8
Das Vorwort zur Neuauflage von Peirces naturphilosophischen Schriften hat Ilya Prigogine verfasst. Es war wohlüberlegt und erscheint plausibel, hier auf den berühmten Chemiker zurückzugreifen, der über Irreversibilität, Selbstorganisation und dissipative Strukturen gearbeitet hat. Und so lobt Prigogine erwartungsgemäß in seinem Vorwort, wie Peirce mit der Betonung des Zufalls und der Irreversibilität „Pionierarbeit“ in der Beschreibung der Entwicklung der Natur geleistet habe (Peirce 1998, S. 9). Dabei ist allerdings Prigogines eigene „Ursuppe“, von der er wörtlich spricht (ebd.), nicht eine der geistigen Zustände bzw. der Affekte, sondern eine der Moleküle, aus der sich Proteine und Nukleotide bilden. Das markiert bereits einen wichtigen Unterschied zum Peirceschen Projekt und auch zur Schellingschen Naturphilosophie. Denn Prigogine geht von einer im Raum (bzw. in der Raumzeit) gegebenen Materie aus. In Schlagwörtern ausgedrückt hat also Prigogines Position einen physikalistischen Ausgangspunkt, während man bei Peirce, bei dem ja Materie als erstarrte Gewohnheit aufgefasst wurde, eher von einem Panpsychismus sprechen könnte. Und Schelling macht in seiner Naturphilosophie wiederum etwas anderes, wenn er versucht, über die von ihm unterschiedenen Kräfte von Magnetismus, Elektrizität und Galvanismus die Materie in ihrer Dreidimensionalität und mit ihr den Raum zu deduzieren (siehe SSW 1,3, S. 314-321).
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Man kann sicherlich - das hat Marie-Luise Heuser-Keßler gezeigt (Heuser-Keßler 1986) eine Reihe von Parallelen zwischen Schellings Redeweise von der Selbstorganisation der Materie und dem, was Prigogine über dissipative Strukturen schreibt, ausmachen. Gleiches gilt auch für die Synergetik Hermann Hakens (siehe ebd. sowie Haken 1981), in der Konzepte aus der Physik des Lasers als selbstorganisierende Prozesse interpretiert und zum Prototyp diverser natürlicher und gesellschaftlicher Prozesse stilisiert werden. Es ist hier nicht der Ort, den Charakter dieser metaphorischen bzw. analogischen Übertragungen eigens kritisch zu hinterfragen. Für den gegenwärtigen Kontext genügt es, zusammenfassend zu bemerken, dass es den Einzelwissenschaftlern Prigogine und Haken nicht um ein naturphilosophisches Projekt im Sinne Schellings geht - weder im Sinne von dessen dynamischem Materieverständnis, das die Genese von Materie und zugleich von Ausdehnung allgemein einschließt; noch im Sinne eines spezifischen philosophischen Projekts, das durch eine Transzendentalphilosophie zu ergänzen wäre. Denn bei Prigogine und Haken fehlt offensichtlich jegliches Bemühen und Interesse, eine eigenständige Theorie der Subjektivität aufzustellen. Mehr noch: Sie halten die Physik bzw. Chemie als Naturwissenschaft für ein sich selbst genügendes Projekt zur Beschreibung der gesamten Wirklichkeit. - Und somit hat sich, durch die Fokussierung auf Prigogine und Haken, die Rezeptionsgeschichte der Naturphilosophie im 20. Jahrhundert vielleicht bisher zu sehr auf Autoren beschränkt, deren eigenes Anliegen doch eher weit von demjenigen Schellings entfernt ist. Damit komme ich zu Carl Friedrich von Weizsäcker, der ein transzendental- und naturphilosophisches Komplementär-Projekt im Sinne Schellings zwar nicht im Detail
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ausgeführt, aber vielleicht als einziger im 20. Jahrhundert doch zumindest angedeutet hat.
3. Weizsäckers Theorie der Ure und der komplementäre Kreisgang 10
Von Weizsäckers Ansatz ist durch seinen einzelwissenschaftlichen Hintergrund in der Physik geprägt; und zwar insbesondere durch die Entwicklung der Quantenmechanik. Er bedient sich hier sogar eines konkreten mathematischen Formalismus, um damit seinen naturphilosophischen Entwurf zu skizzieren (siehe von Weizsäcker 1988); und zwar in folgender Weise: In der Quantenmechanik gibt es mit dem Spin, einer Art nicht klassischem Eigendrehimpuls von Teilchen wie dem Elektron, eine Größe, die in lediglich zwei möglichen Varianten vorkommt, nämlich „spin up“ und „spin down“. Größen dieser Art werden in einem wohldefinierten mathematischen Formalismus behandelt; ihnen liegt eine bestimmte mathematische Struktur zugrunde.2 Da der Formalismus selbst inhaltlich nicht an bestimmte Vorstellungen gebunden ist, interpretiert von Weizsäcker ihn als eine allgemeine Beschreibung von Uralternativen (oder kurz „Uren“) im Sinne eines Ja-oder-Nein.
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In der Beschreibung durch diesen Formalismus sind damit „spin up“-„spin down“Zustände nicht von Ja-Nein-Alternativen zu unterscheiden. Das Verhalten einer zentralen quantenphysikalischen Größe und dasjenige von subjektiven Entscheidungen ist hier strukturell gleich, isomorph. Weiterhin versucht von Weizsäcker zu zeigen, dass diese Struktur auch für andere Bereiche der Quantenphysik sowie für die Darstellung von Raum und Zeit grundlegend ist.3 Und insgesamt möchte er damit belegen, dass die Natur und die Subjektivität als Ganze strukturgleich (bzw. aus gleichen Elementen) aufgebaut sind.
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Was es damit also bei von Weizsäcker nicht gibt, ist eine besondere Betonung oder Herausstellung eines Ich oder eines Bewusstseins - und das unterscheidet seinen Ansatz insbesondere von dem bereits erwähnten Ansatz von Weyl, der durch Fichte beeinflusst wurde und bei dem die Materie quasi immer aus der Perspektive des Ich behandelt wird. Ohne auf Details eingehen zu müssen, sollte hier ein Unterschied augenscheinlich sein zwischen, einerseits, der Weylschen Annahme eines Ich, das als Handelnder über die (aktive) Materie in die Welt der Erscheinungen eingreift, und andererseits der von Weizsäckerschen Theorie der Ure, in der subjektive Entscheidungen letztendlich nichts anderes sind als Spin-Einstellungen oder Drehungen im Raum. Es findet hier eine Art „Entpersonalisierung“ bzw. „Naturalisierung“ von Handlungen, Tätigkeiten statt, die man durchaus mit der Auseinandersetzung zwischen Fichte und Schelling vergleichen kann. Denn auch dort ging es ja insbesondere um die Frage, wie weit man der Natur Handlung zuschreiben kann, ohne sie zu einem Ich zu machen, bzw. umgekehrt, sich des Übertragungs-Charakters bewusst zu sein, wenn man bei natürlichen Geschehnissen von Handlungen spricht (siehe etwa FSW XI, S. 362).
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Schließlich ist bei von Weizsäcker immer wieder von einem „philosophischen Kreisgang“ die Rede, der „von der Logik über die Physik und Evolutionsbiologie zu den biologischen Voraussetzungen der Logik“ führt (von Weizsäcker 1988, S. 165), also im Sinne Schellings natur- wie transzendentalphilosophische Ambitionen hat. Es geht um die „Bedingungen der Existenz erfahrungsfähiger Wesen“, ebenso wie um die „Klärung der
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Voraussetzungen der Physik“ (ebd., S. 346, 381). Die naturphilosophische Seite dieses Kreisgang-Modells wäre die physikalisch-biologische Beschreibung der gesamten Evolution des Universums (vom Urknall bis zur Entstehung bewussten Lebens). Der sozusagen transzendentalphilosophische Halbkreis wäre der Rückgang vom Bewusstsein zu den Grundstrukturen physikalischer Materie mittels einer Geschichte der Naturwissenschaft, die in ihrem Verlauf bis zur Beschreibung des Urknalls vordringt. Und beide Halbkreise bedienen sich strukturell dem Beschreibungsansatz über Ure, über entpersonalisierte Ja-Nein-Entscheidungen.4
4. Resümee und Relevanz für gegenwärtige Diskussionen 14 Abschließend lässt sich fragen, ob das bisher Dargestellte gegenwärtig überhaupt noch von Relevanz ist. Oder anders formuliert: Sind die Ansätze von Peirce und von Weizsäcker nicht letztlich ähnlich schwer einlösbar wie der ursprüngliche Ansatz Schellings? Es wäre sicherlich beeindruckend, wenn es gelänge, Schellings komplementäre Rahmenkonzeption von Natur- und Transzendentalphilosophie oder von Weizsäckers Kreisgang überzeugend zu aktualisieren. Nicht nur, weil dann mit dem Begriff Naturphilosophie wieder mehr verbunden werden würde, als die von Formeln bereinigte populäre Nacherzählung naturwissenschaftlicher Theorien; sondern auch, weil relevante Übergänge zwischen dem Physikalischen und dem Geistigen deutlich würden. - Doch das ist, wie erwähnt, philosophisch wie einzelwissenschaftlich extrem anspruchsvoll. Deshalb möchte ich mich abschließend auf einen bescheideneren (heuristisch, kritischen) Nutzen naturphilosophischer Ambitionen beschränken. Sich naturphilosophischen Herausforderungen zu stellen, kann helfen, so scheint es, ein kritisches Licht auf andere philosophische Projekte zu werfen. 15 Im Anschluss an die Arbeiten von Weizsäckers wird beispielsweise weiterhin über mögliche aprioristische und verallgemeinerbare Strukturen der Quantenmechanik gearbeitet (siehe etwa Mittelstaedt 2000). Auch dieses Projekt scheint philosophisch sehr ambitioniert, hat aber doch zumindest einige interessante und relevante wissenschaftstheoretische Einsichten geliefert. Weiterhin kann man - und mit dieser kurzen Fallbeschreibung möchte ich enden - den Schellingschen Ansatz von Weizsäckers sehr fruchtbar mit dem gegenwärtig in der analytischen Wissenschaftsphilosophie vieldiskutierten Strukturrealismus in Beziehung setzen (siehe exemplarisch Ladyman 1998): 16
Der Strukturrealismus ist eine Variante des wissenschaftlichen Realismus, der statt der Gegenstände die Strukturen wissenschaftlicher Theorien für wirklich hält - grob gesprochen also beispielsweise die Grundgleichungen der Elektrodynamik (die Maxwell Gleichungen) und nicht etwa ihre wechselhafte gegenständliche Interpretation der letzten 150 Jahre (Annahme und Ablehnung der Existenz eines Äthers, Elektronen als „kleine Kügelchen“ etc.). Diese Abwendung von einem Gegenstandsrealismus innerhalb der analytischen Wissenschaftsphilosophie geschah vor allem aufgrund der sogenannten pessimistischen Meta-Induktion, also aufgrund der wissenschaftshistorisch motivierten Schlussfolgerung, dass, gegeben das Scheitern vergangener wissenschaftlicher Theorien, auch die gegenwärtigen sich früher oder später wohl als falsch herausstellen werden.
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17 Aber was sind dann die Strukturen, die dieser Realismus annimmt und die die Wirklichkeit ausmachen sollen? Physikalische Strukturen ohne physikalische Gegenstände anzunehmen überzeugt hier nicht. Und so haben einige Autoren mittlerweile in Richtung eines Primats mathematischer Strukturen argumentiert (siehe etwa LyTe 2004). Doch damit haben sie m.E. ihr ursprüngliches Anliegen, den wissenschaftlichen Realismus zu retten, aufgegeben. Will man hier eine konsistente Position aufbauen, die ernst machen soll damit, die mathematischen Strukturen als das Wirkliche aufzufassen, so wird man genau in Richtung einer transzendental- bzw. naturphilosophischen Position gehen müssen, wie sie von Weizsäcker mit seiner Theorie der Ure skizziert hat. - Ob sie befriedigend ausgearbeitet werden kann, mag, wie gesagt, bezweifelt werden und muss hier nicht behandelt werden. Aber dennoch scheint der Befund bemerkenswert, dass auch im 20. Jahrhundert und auch gegenwärtig bei so manchen philosophischen Autoren (bewusst und unbewusst) Schellingsche Motive und naturphilosophische Hinterlassenschaften auszumachen (und gegebenenfalls zu kritisieren) sind.
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NOTES 1. An dieser Stelle wäre auch A.N. Whitehead zu nennen, bei dem ebenfalls ein realhistorischer evolutionärer Prozess der Natur im Vordergrund steht. An die Stelle der Peirceschen Affekte („pure feelings“) treten in Whitehead 1929/1978 die „actual entities“ und deren komplexe Zusammenschlüsse. Und auch bei Whitehead gibt es, ähnlich wie bei von Weizsäcker (siehe unten), einen starken Entscheidungsbegriff. (Für einen ausführlichen Vergleich der „naturphilosophischen“ Ambitionen von Whitehead und Weyl siehe Sieroka 2008.) 2. Diese mathematische Struktur ist die der SU(2), der zweidimensionalen speziellen unitären Gruppe. 3. Das ist aber nicht unproblematisch und führt ihn u.a. später zur Annahme von „Anti-Uren“ ( ebd., S. 394, 406). 4. Schließlich möchte von Weizsäcker in einem „erneuten, großen Kreisgang“ (ebd., S. 640) auch noch auf die Theorie der Ure selbst und deren Vollständigkeit reflektieren. Siehe auch ebd., S. 583: „Die physikalischen wie die im Bewusstsein bereitliegenden Voraussetzungen unseres Wissens werden von Anfang an benutzt, im Kreisgang aber nachträglich auch beschrieben. Der Anspruch, damit eine volle Beschreibung der Wirklichkeit zu geben dürfte uneinlösbar sein; legitim ist der Anspruch, eine in der gegebenen Näherung konsistente Beschreibung zu geben.“
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Einflüsse der Philosophie Fichtes und Schellings auf die Architekturtheorie um 1800 Petra Lohmann
Einleitung 1
Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist die Beziehung zwischen Philosophie und Architektur um 1800, die im Kontext von J ohann gottlieb fichtes (1762 -1814) und Friedrich Wilhelm schellings (1775-1854) Bedeutung für die Architekten Ludwig Friedrich catel (1776-1819)1 und LEO von klenze (1784-1864)2 entwickelt wird. Letztere wollten mit Hilfe der Philosophie die Architektur als sittlich-religiöses Kultivierungsinstrument begründen. Dies setzte für sie zu allererst die vollgültige Aufnahme der Architektur in das System der schönen Künste voraus. Dieser Status wurde der Architektur auf Grund des ihr eigentümlichen Mechanischen, Physischen und Zweckmäßigen nur eingeschränkt zugebilligt.3 Besonders lautstark wurde die Abwertung der Architektur von Kunsthistorikern wie Christian ludwig Stieglitz (1756-1836) und joh an n georg sulzer (1720-1779) vertreten. Dagegen wehrten sich die Architekten zunehmend. 1798 gründete david gilly (1746-1808) als Zeichen einer selbstbewußten Wertschätzung der eigenen schöpferischen Tätigkeit bezogen auf eine klar definierte Kunstart Architektur, die Berliner Bauakademie, die der Akademie der schönen Künste gleichberechtigt gegenüberstehen sollte.
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Die Begründungsmomente der Architektur als eigenständige und für die ästhetische Kultivierung des Menschen notwendige Kunstart, entlehnten prominente Architekten der zeitgenössischen Philosophie. Neben den schon genannten Architekten trifft dies auf deutschsprachigem Gebiet vor allem auf schinkel und fichte sowie Friedrich gilly (1756-1836) und KARL HEINRICH HEYDENREICH (1764-1801) zu. Den Bezug zur Philosophie gingen diese Architekten auf sehr unterschiedliche Art und Weise und in ebenso
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unterschiedlicher Hinsicht an. Die Motivationen reichen hierbei von den Formulierungen der Konstruktionsvoraussetzungen eines ästhetischen Prinzips der Architekturtheorie bis hin zur Begründung eines individuellen werkpraktischen Standpunktes innerhalb der eklektischen Strömungen im beginnenden Historismus.4 In diesem Spektrum spielen vor allem zwei Aspekte eine zentrale Rolle: die Begründung der Architektur als Wissenschaft und die Formulierung einer Weltanschauung, die mit Hilfe von Architektur realisiert werden soll. Diese beiden Aspekte werden im Folgenden an Hand der Darstellungen der Wirkungen fichtes auf catel und schellings auf klenze konkretisiert. 3
Der Vortrag hat folgende Zielsetzungen: Es soll zunächst ganz allgemein mit dem Nachweis der Wirkung der Philosophie auf die Architektur deutlich werden, daß sich innerhalb dieses Gegenstandsbereiches nicht nur die Grenze des Wahren zum Schönen öffnet, sondern die Philosophie selbst ein praktisches Übungsfeld wird. Philosophie gewinnt in diesem Kontext eine außerordentlich hohe Bedeutung für die Lebenspraxis, denn Architektur ist die einzige Kunst, die im unmittelbaren Gebrauch und Alltag erfahren wird und keine besondere kontemplative Umgebung verlangt, wie das z.B. mit der Musik und dem Konzertsaal oder dem Gemälde und dem Museum der Fall ist.5 Wie disparat die Philosophie qua Architektur Einfuß auf das Leben zu nehmen vermag, zeigt der Blick auf Analogien und Differenzen zwischen den Wirkungen fichtes und schellings auf das Architekturgeschehen der Zeit. Fichte wird dafür von catel unter disziplinischnormativer und schelling von klenze unter religionsphilosophischer Perspektive herangezogen. Die Architekten legen zwar beide ihren Anforderungen an das Bauwerk den gleichen Ausgangspunkt, d.i. dessen Verständnis als instrument der Kultivierung sittlich-religiösen Lebens, zu Grunde, aber ihre Rekurse auf die philosophischen Ausrichtungen der Anforderungen selbst sind völlig unterschiedlich motiviert. Während es catel um die Form der Architekturtheorie geht, geht es klenze um die ästhetische Gestalt der Architektur. catel interessieren fichtes Systembegriff sowie dessen Bestimmung des Verhältnisses von Metawissenschaft und konkreter Einzelwissenschaft. klenze hingegen begründet mit schelling seine Auffassung vom griechischen Stil als einzig möglichen Stil christlicher Architektur.
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Folgende Materialien liegen den genannten Zielsetzungen zu Grunde: neben Briefen, Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre (1794), catels Grundzüge einer Theorie der Bauart Protestantischer Kirchen (1815), schellings Philosophie der Kunst (1802/3), - der Offenbarung (1841), - und der Mythologie (1856), klenzes Philosophie-Schrift (1816-20), seine Architektonischen Erwiderungen und Erörterungen über Griechisches und Nichtgriechisches (1860/63) sowie seine Architectur des christlichen Cultus (1822). Der Theoriestatus dieser Materialien ist sehr unterschiedlich. Es handelt sich um publizierte Werke und unveröffentlichte Fragmente. Die auf diesen Materialien basierende Untersuchung gliedert sich in drei Teile, deren wichtigste Bestimmungsstücke folgende sind: fichtes
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Für den ersten, Fichte und catel 6 gewidmetem Abschnitt, ist das Verhältnis von System und Tektonik7 relevant, das es im Hinblick auf ein Konzept der Architektur zu entwickeln gilt, in dem die auf der „Einheit des Schönen, Nützlichen und Vernünftigen“ angestrebte architektonische „Konstruktion“8 durch eine entsprechende Theorie von spezieller „Struktur“9 zu begründen ist. Für den zweiten, schelling und klenze betreffenden Abschnitt ist klenzes Rekurs auf den Stilbegriff, den er mit schelling in Rücksicht auf das der Mythologie entnommene ,Programm einer neuen Religion’10 formuliert, von Bedeutung. Möglichkeiten und Grenzen der Untersuchung sind folgende: Es darum geht, Begründungsmomente von Architektur in der Philosophie an Hand eingängiger Punkte
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darzustellen und dabei u.a. den erst in jüngerer Zeit von der Forschung beachteten Bezug unterstützen. Die Entwicklung dieser Momente ist hier auf das Hauptsächlichste eingeschränkt. So kann z.B. nicht hinreichend gezeigt werden, wie subtil diese Begründungsmomente seitens der Architekten angegangen werden. Zu nennen wäre hier z.B. klenzes Untersuchung der anthropologischen Dimension des griechischen Stils, die er im Rahmen seiner Umdeutung von schellings platon Interpretation entwickelt und für die er weit auseinanderliegende Positionen der Architekturgeschichte von vitruv (ca. 70 v. Chr. - 10 v. Chr.) über cesare cesariano (1475 1543) bis hin zu jean-nicolas-louis durand (1760 - 1834) , kombiniert. Was auch ausbleiben muß, ist eine wertende Gegenüberstellung der Bedeutungen fichtes und schellings für die Architekturtheorie. Demgegenüber folgt in der schlussbetrachtung die Würdigung des Wissenschaftsbegriffs, der sich in der Art und Weise der interdisziplinären Bezüge der genannten Protagonisten aufeinander zeigt. fichtes auf die Ästhetik zu
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1. Die Beziehung zwischen Fichte und catel läßt sich an Hand eines undatierten, mit der Überschrift An C. über Baukunst versehenen Brief fichtes an den Architekten belegen, mit dem er ihm auf einen nicht mehr erhaltenen Brief antwortet, in dem catel laut ernst Bergmann „ein Werk über die Baukunst, in welchem sie nach den allgemeinen Principien der Kunstphilosophie abgehandelt wurde, Fichten zur Beurteilung vorgelegt“11 hatte. Bei catels Werk handelt es sich um die Grundzüge einer Theorie der Bauart Protestantischer Kirchen. Dieses Werk erschien 1815 und ist der Form nach wesentlich durch Fichte beeinflußt. Diese Auffassung vertritt auch der Architekturhistoriker Hermann schmitz, für den sich bei catel, „dem Schüler Fichtes, der um sich greifende theoretisierende [...] Zeitgeist in [hohem] Maße“12 dokumentiert.
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Wirkung auf catel zeigt sich vor allem an den Bezügen des Architekten auf den Systembegriff, an dem er, wie seine häufigen Reden vom „System der Baukunst“ und der systematischen Anordnung ihrer „Grundsätze“ zeigen zuhöchst interessiert ist. Motiviert sind bei ihm diese Rekurse durch das Nachdenken über die „zweckmäßige[...] Organisation des Ganzen sowohl, wie der Theile“ der Architekturtheorie, in der das „Ideal der Kirche“ im Ausgang von einem „Prinzip der Baukunst“ formuliert wird, das seinerseits als Instanz für „Normalkirchen“ fungiert.13
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catel geht
es bei seiner Anlehnung an Fichte weniger um spezifisch ästhetische Aspekte einer philosophischen Theorie, sondern vielmehr um disziplinische Aspekte, mit denen er seine normativen Anforderungen an seine sogenannten „Normalkirchen“ begründen will. Der durch skizzenhafte Überlegungen zu einer anvisierten streng wissenschaftlichen Form der entsprechenden Architekturtheorie der „Normalkirchen“ bestimmte Kontext seiner Bezüge auf den systembegriff zeigt, dass es ihm um die Begründung dieser Architekturtheorie als Einzelwissenschaft durch eine Art philosophischer Metatheorie geht, die der konkreten Wissenschaft wie die der Architektur, nicht nur Evidenz verleiht, sondern auch einen formalen und ideellen Überbau liefert, der Ziel, Legitimation und Konstruktion des unter dem Anspruch als Kultivierungsinstrument fungierenden architektonischen Handelns begründet. schnittpunkt zwischen Architektur und Philosophie ist für catel der Systembegriff.
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Allgemein betrachtet gilt bezüglich des Systembegriffs für den Architekturtheoretiker fritz neumeyer: Die „Idee des Zusammenhangs, die Vorstellung von einer Ordnung der Dinge, in der sie als Teile eines größeren Ganzen aufgehoben sind“ ist die „Grundlage jedes systemgedanken“14. Dies gilt seiner Auffassung nach für die Philosophie wie für die
fichtes
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Architektur. Der philosophische Systembegriff des deutschen Idealismus intendiert das auf einem Prinzip gründende geschlossene Ganze eines Gedankengebäudes, welches - was das Verhältnis von Grundsätzen und Teilsätzen angeht - architektonisiert ist. So liegt wie schon RENÉ DESCARTES (1596 - 1650) und KARL LEONHARD REINHOLD (1757 - 1823) betonen dem „Gedankengebäude“ des philosophischen Systems „ein Baugedanke [...] zu Grunde“15 . Die Architekturmetapher fungiert hierbei nicht nur als Ordnungsmedium und Instrument der Wissenschaft, sondern auch als deren Kriterium. Bei immanuel kant (1724 - 1804) ist die dafür in der Kritik der reinen Vernunft (1781) erfolgte Bestimmung der „Architektonik“ als „Kunst der Systeme“ relevant. Damit geht bei ihm ein Verständnis von „Wissenschaft“ als „Systembau der Vernunft“ einher, dass die wohlgeordnete Einheit der Erkenntnis „unter einer Idee“ impliziert, die ihrerseits als Unterscheidungsmerkmal zwischen „gemeine[r] Erkenntnis“ (coacervatio) des gesunden Menschenverstandes und „reine[r]“ Vernunft (articulatio) der Philosophie fungiert (Ak. A III S. 539). 10
Bei Fichte ist die Architekturmetapher (vgl. GA I,2, S. 116)16 in zwei für catel wesentlichen Punkten erweitert. Erstens, was die Beziehung von Systemkonzeption und Aufklärung angeht. So wird bei fichte wolfgang h. schrader zufolge über reinhold hinausgehend die Vereinbarkeit „aetiologischer [...] und teleologischer [...] Bestimmungen des System[s]“17 gewährleistet. Zweitens, was den Umfang des Systems bezüglich des Verhältnisses von Philosophie als Metawissenschaft und den konkreten Einzelwissenschaften angeht. Beide Wissenschaften haben unterschiedliche Objekte: für die Wissenschaftslehre sind das die „notwendigen Handlungen des Geistes“ und für die Einzelwissenschaft sind es die „freie [n] Handlung[en]“ (GA I,2, S. 142). Um Anspruch auf Wahrheit erheben zu können, müssen die einzelnen Sätze der besonderen Wissenschaften jedoch untereinander in einem notwendigen Zusammenhang stehen. Da Notwendigkeit allein durch die Wissenschaftslehre begründet wird, „müsste im Grundsatz einer besondern Wissenschaft eine Handlung, die die WL freigelassen hätte, bestimmt werden: die WL gäbe dem Grundsatze das Notwendige und die Freiheit überhaupt, die besondere Wissenschaft aber gäbe der Freiheit ihre Bestimmung“ (GA I,2, S. 134f.), die zwar „den Graden nach“ unabschließbar und „unendlich“ ist, „aber der Art nach [...] durch Gesetze [die in der Wissenschaftslehre aufgestellt werden] vollständig bestimmt und [...] gänzlich erschöpf [bar]“ ist (GA I,2, S. 130).
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Die unter dem Systembegriff firmierende ideelle und formale Kompatibilität von Philosophie und Einzelwissenschaft, wie die der Architektur, hat Fichte in seinem Antwortbrief an catel thematisiert, in dem er „Grundsätze[... formuliert ]“, nach denen „die vorliegenden Ansichten [catels] geordnet werden“18 müssten. Zur Erläuterung führt er die tektonische Analogie zwischen der Kunst der Begriffe, d.h. der Redekunst resp. der Philosophie und der Baukunst an. Für ihn stimmen beide Künste darin überein, daß sie ihrer Struktur nach gleichermaßen auf systematischen Vorgaben, „allgemeinen Regeln [ ...] Ordnung und Klarheit“ beruhen und den Zweck gemeinsam zu haben, „ganz und durchaus allen Theilen und Verhältnissen nach [...] Werkzeug zu seyn der sittlichen Freiheit“ (GA III,8, S. 8).
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2. Während catel mit fichte die Evidenz der Tektonik seiner Architekturtheorie sicherstellen will, wandte sich KLENZE 1838 mit einer religionsphilosophischen Fragestellung an schelling,19 weil er „in eine Diskussion hineingerathen [sey], welche zwar auf unumstößlicher Überzeugung beruht, jedoch auf schwierige[...] und verwickelte Pfade führt“20. Von schelling erhoffte er sich Rat für seine Explikation der Architectur des christlichen Cultus, für die er die „Formel gleichsam worin die Gottheit das „Grundgesetz
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der Architektur [...] eingeschlossen ha[t]“ 21, ableiten möchte. Seine Anlehnung an ist dabei esoterisch und exoterisch motiviert. In esoterischer Hinsicht geht es ihm um die theoretische Fundierung eines besonderen Christentumsverständnisses, und in exoterischer Hinsicht um die angemessene stilistische Ausdrucksform christlicher Architektur. Beide Hinsichten zusammengenommen bilden die notwendigen Voraussetzungen der Architektur des christlichen Cultus. Denn einerseits verlangt die Exoterik der christlichen Architektur aus Gründen der Evidenz nach einer „ewige[n göttlichen] Regel“ und andererseits träte ohne die ästhetische Praxis die in der Esoterik zu leistende Letztbegründung dieser „ewigen Regel“22 nicht aus der Abstraktheit der Reflexion ins Leben. schelling
13 In beiden Fällen strengt Klenze eine Einheit zwischen Christentum und Antike an. Damit steht er in Opposition zu dem damals einflußreichen Johann david passavant, der in den Ansichten über die bildenden Künste (1820) urteilt, die griechische Architektur sei heidnischen Ursprungs und deswegen für den Kirchenbau ungeeignet. Ähnlich unterstellten robert wiegmann und franz kugler klenze Atheismus, weil seine Architectur des christlichen Cultus letztlich auf einen Vergleich der esoterischen Lehre der griechischen Mysterien mit dem Monotheismus christlicher Prägung hinausläuft.23 Insbesondere kugler weist auf den Verlust der eschatologischen Bedeutung des Christentums hin, weil dieses infolge des genannten Vergleichs auf innerweltliche Verhältnisse verkürzt wird. 14 Der vor dem Hintergrund dieser Problematik von klenze um Rat gefragte schelling antwortete, dass die Antike zuerst wegen der „geistlosen, bloß äußerlichen und formellen Nachahmung“ in Misskredit gekommen sei. „Mir aber scheint, daß es um die christliche Kunst ganz anders stehen würde, wenn sie die Tiefe [und „die geistige Methode“] vorerst nur zu erkennen suchte, in welche die griechische mit ihren Gegenständen hinabgestiegen ist und wenn sie dann mit den ihrigen eine gleiche oder doch ähnliche zu erreichen sich bemühte“24.
In Anlehnung an schelling rekonstruiert klenze ansatzweise eine Architekturgeschichte auf der Basis einer Mythengeschichte und Geschichtsphilosophie, wonach Manfred frank zufolge die „Einheit von Subjekt und Objekt in der glücklichen Antike ganz unter dem Vorzeichen [...] der Objektivität stand und sich in Natur-Gottheiten offenbaren konnte [...], während [... der] moderne[...], wissenschaftliche[...] Geist dieselbe Identität in die [Abstraktheit] der Reflexion verschoben [hat]. Nun aber ist in der Natur selbst - durch den Idealismus - das Wirken der Ideen nachgewiesen“,
so man „einen ,neue[n], ebenso grenzenlose[n] Realismus’ erwarten“ darf, der den sinnlichen Mangel „des analytischen Geistes mit der Fülle materieller inhalte wieder versöhnt. Und diese Versöhnung - als die wieder sichtbar und sinnlich gewordene ,Idee aller Ideen’ - wird als Wiederkunft der Götter sich offenbaren“25. Entwicklung zum „positiven Christentum“26 bedeutet für Klenze die Erkenntnis des Mysteriums als „Schlussstein der Offenbarung“ zu begreifen, welche sich in einer Geschichte zeigt, in der die altindischen, nubischen, ägyptischen, persischen und griechischen Lehren als zweige einer religiösen Weltbildung angesehen werden müssen, die sich als „ein Hinwirken der ganzen Vor- und Mitwelt auf [das christliche] Moment der Erlösung“27 vollendet. 15 Mit schelling identifiziert er Dionysos mit dem Kind in der Krippe und hält ihn für den ,kommenden’, für den ,befreienden’ Gott, der die Essenz des ganzen mythologischen Prozesses als eine Möglichkeit in sich enthält und aus dem Mystischen allmählich ins Offenbare wendet.28 Da „jenem letzten Weltregenten Dionysos [...] vorzüglich
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Griechenland zugethan“29 war, kann für Klenze nur der griechische Stil der spezifische Stil christlicher Architektur sein.
Schlussbetrachtung 16
catels und klenzes Integration
der Philosophie in die Architekturtheorie geschah in einer Zeit, die peter burke zufolge im Rückblick wie ein „magischer Moment des Gleichgewichts zwischen Kunst und Wissenschaft“30 sowie der Interdisziplinarität der einzelnen Wissenschaften selbst wirkte. Es prägten sich nicht nur innerhalb der Kunst verschiedene Bewegungen aus; sondern Kunst und Wissenschaft profilierten sich aneinander und traten in ein neues Verhältnis, welches sich laut Charles p. snow mit der Formel von den 'zwei Kulturen'31 fassen lässt und eine Phase des Übergangs markiert:32 Die Grenzen zwischen den Künsten und den Wissenschaften wurden allererst gezogen und waren noch durchlässig. Doch der schnell eintretende Fortschritt der Wissenschaften führte dazu, dass die „Dominanz [und „Hierarchie“] der traditionellen Fachgebiete [...] gleich von zwei Seiten, [d.h.] von den Wissenschaftlern und den Künstlern [...] infrage gestellt wurde“33.
17 Einerseits beanspruchten die gegenüber Theologie, Recht, Medizin und Geisteswissenschaften weniger anerkannten technischen Fächer einen höheren Stellenwert im Wissenssystem, analog zur Architektur im System der Künste. Andererseits ereignete sich, wie es larry shiner nennt, die „Erfindung der Kunst“34, die nunmehr zu einer Wissenschaft wurde. „Das späte 18. Jh. war die Zeit, in der die Kunstkritik ([z.B.] diderot's Salons) und der Kunstmarkt aufkamen und [sich] die Ästhetik“35 als philosophische Disziplin ( baumgarten, kant und sulzer) etablierte. Die „Gründungsurkunde“ der Münchner Kunstakademie bezeichnete peter burke zufolge die Kunst ausdrücklich als „wissenschaftlich“36. Diese Akademien verbreiteten sich sehr schnell. Sie sollten „die Werkstätten der Künstler als hauptsächlichen Ausbildungsort [...] ersetz[en]“37 und unter den (Kunst)-Handwerkern für die Verbreitung des „guten Geschmacks“38 sorgen, d.h. sie sollten selbst für die Ästhetik verantwortlich sein.39 18 Dieses Ansinnen firmierte anfänglich unter der vom SCHELLING-Freund Friedrich immanuel Niethammer (1766-1848) angestrebten Einheit von „Berufsbildung und Humanitätsbildung“40, die jedoch im Zuge der Verwissenschaftlichung von Kunst zunehmend aufbrach und in einer Selbstbezüglichkeit von Kunst gipfelte, die sich in dem „berühmte[n] Satz des 19. Jh. l'art pour l'art“ niederschlägt. „Im frühen 20. Jh. gab es seitens der Künstler eine Reihe von Versuchen“ - so peter burke zufolge in außerordentlichem Maße z.B. von marcel duchamp (1887 - 1968) - „die immer weiter auseinanderklaffende Trennung von Kunst und [...] Leben zu untergraben“41, denn Kunst wird damit jener umgebung entzogen, für deren Kultivierung sie ursprünglich geschaffen wurde. 19 Aus dieser Trennung resultiert ein Problem, das als Verlust von Instanzen und als Dilemma der Willkür und totalen ästhetischen Beliebigkeit bezeichnet werden kann, welches in der Architekturdebatte zunehmend diskutiert wird und das mit den Formen kurzlebiger Avantgarden zu tun hat. So monierten jüngst prominente Architekten und Architekturtheoretiker der Gegenwart in Foren wie der Zeitschrift Wölkenkuckucksheim, daß angesichts des mit dem genannten Problem einhergehenden Verlustes eines Sinnzusammenhangs Architektur zu selten als Arbeit am Grundsätzlichen angelegt ist. Was sie fordern, ist nichts weniger als ein Paradigmenwechsel, der sich - was die
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Substanz seiner „Wertvorstellungen“ angeht, auf „den Theoriediskurs der Vormoderne“42 besinnt.
NOTES 1. Vgl. ROLF H. johannsen , Ludwig Friedrich (Louis) Catel. 2. Vgl. Winfried nerdinger (Hg.), Leo von Klenze. Architekt zwischen Kunst und Hof 1784 - 1864, München, Prestel, 2000. 3. Christian Ludwig Stieglitz , Encyklopädie der bürgerlichen Baukunst in welcher alle Fächer dieser Kunst nach alphabetischer Ordnung abgehandelt sind. Ein Handbuch für Staatswirte, Baumeister und Landwirte, 5 Bde., Leipzig. Caspar Fritsch, 1772-1798. JOHANN GEORG sulzer , Allgemeine Theorie der Schönen Künste in einzelnen, nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter auf einander folgenden Artikeln, Leipzig, M. G. Weidmanns Erben und Reich, 1771-1774. 4. Vgl. dazu Geschichte allein ist zeitgemäß. Historismus in Deutschland, hg. v . Michael brix u. Monika Steinhäuser , Lahn-Gießen, Anabas Verlag Kampf, 1978. Architektur des 19. Jahrhunderts, hg. v. claude mignot , Köln, Taschen, 1994. 5. Vgl. dazu herman sörgel, Architektur-Ästhetik. Theorie der Baukunst, Berlin, Gebr. Mann, 1998. 6. louis (Ludwig Friedrich ) catel war der Bruder des seinerzeit berühmten Malers franz catel, der mit Fichte häufiger zum Soupé zusammentraf. louis catel war Schüler und Freund von david und Friedrich gilly. Vater und Sohn gilly führten in Berlin die Bauakademie, die neben der französischen école polytechnique die zeitgenössisch bedeutendste Ausbildungsstätte für Architekten war. 7. fritz neumeyer (Hg.), Quellentexte zur Architekturtheorie, München, Prestel, 2002, S. 9. Vgl. dazu auch kenneth framptons Begriff der Tektonik, in: ders., Studien zur Kultur des Tektonischen, München, Oktagon Verlag, 1993, S. 1-35 u. 69-97. 8. ANDREAS kahlow , Karl Friedrich Schinkel und David Gilly. Aufklärung, Technik und Neuhumanismus in der Architektur, in: Karl Friedrich Schinkel. Aspekte seines Werks, hg. v. susan M. paik , Stuttgart u. London, Edition Axel Menges, 2001, S. 20. 9. fritz neumeyer , Das Schauspiel der Objektivität und die Wahrheit des Architekturschauspiels, in: Über Tektonik in der Baukunst, hg. v. HANS kollhoff, Braunschweig u. Wiesbaden, Viehweg, 1993, S. 55. 10. Manfred frank , Der kommende Gott, Frankfurt a. Main, Suhrkamp, 1982 und ders. Gott im Exil Vorlesungen über die Neue Mythologie, Frankfurt a. Main, Suhrkamp, 1988. 11. ernst Bergmann (Hg.), Fichte-Briefe, Leipzig, Insel Verlag, 1919, S. 460. 12. HERMANN SCHMITZ 1925, S. 42, zitiert nach JOHANNSEN 2007, S. 6. 13. CATEL 1815 zitiert nach JOHANNSEN 2007, S. 6 14. NEUMEYER 2002, S. 9 15. NEUMEYER 2002, S. 9 16. Vgl. dazu fiches Definition von Wissenschaft in Ueber den Begriff der Wissenschaftslehre §1: „Die Wissenschaft sei ein Gebäude; der Hauptzweck derselben sei Festigkeit. Der Grund ist fest, und so wie dieser gelegt ist, wäre der Zweck erreicht. Weil man aber im bloßen Grund nicht
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wohnen, durch ich allen sich weder gegen den willkürlichen Anfall des Feindes, noch gegen die unwillkührlichen Anfälle der Witterung schützen kann, so führt man auf denselben Seitenwände, und über diesen ein Dach auf. Alle Theile des Gebäudes werden mit dem Grunde, und unter sich selbst zusammengefügt, und dadurch wird das Ganze fest; aber man baut nicht ein festes Gebäude, damit man zusammenfügen könne, sondern man fügt zusammen, damit das Gebäude fest werde; und es ist fest, in so fern alle Theile desseelben auf einem festen Grunde ruhen“ (GA I,2, S. 116). 1 7 . wolfgang H. schrader , Systemphilosophie als Aufklärung, in: studia leibnitiana, hg, v. Karl Müller, Heinz Schepers u. Wilhelm Totok. Bd. XV 1983, 72 - 81, Stuttgart, Franz Steiner Verlag, S. 80. 1 8 . BERGMANN 1919, S. 464. 1 9 . Zur Bedeutung schellings für klenze vgl. DIRK klose, Klassizismus als idealistische Weltanschauung Leon von Klenze als Kunstphilosoph, München, Kommissionsverlag UNI-Druck, 1999. 2 0 . KLENZE 1821 (2), S. 5. 2 1 . Ebd.. 2 2 . KLENZE 1821 (2), S. 5. 2 3 . ROBERT w iegm ann : Der Ritter Leo von Klenze und unsere Kunst, Düsseldorf, Schreiner, 1839, S. 1. 2 4 . schelling an klenze, 15.5.1836, Klenzeana II / 9. 2 5 . MANFRED FRANK 1988, 2 6 . KLENZE 1822,
S. 247 f..
S. 2.
2 7 . Ebd., S. VII.
Vgl. MANFRED FRANK 1988, S. 245 ff. und S. 310 f.. creuzer , Symbolik und Mythologien der alten Völker, besonders der Griechen, Leipzig u. Darmstadt 1821, Bd. 3, S. 318. Vgl. KLENZE 1822, S. 1-3. 3 0 . peter burke , Um 1808: Neuordnung der Wissenschaften/Circa 1808: Restructing Knowledges, in: Internationale Schelling Vorlesung der Akademie der Bildenden Künste, Bd. 1/The Schelling Lectures on Arts and Humanities, Vol. 1, hg. v. Maria I. Pena Aguado, München, Deutscher Kunstverlag, S. 29. 3 1 . Vgl. CHARLES percy snow , Die zwei Kulturen. Literarische und naturwissenschaftliche Intelligenz, Stuttgart, Klett-cotta 1967. 3 2 . Vgl. OTTO brunner , Werner conze U. reinhart kosellek (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe (9 Bde.), Stuttgart, Klett-cotta, 1972-1997. 3 3 . PETER BURKE, 2008, S. 33. 3 4 . larry shiner , T h e In v e n tio n o f Art: a c u ltu ra l h is to ry , C hicago, U n iv e rsity o f C hicago P re ss, 28.
2 9 . GEORG Friedrich
20 01 . 3 5 . PETER BURKE, 2008, 36. 37. 38. 39.
S. 51. PETER BURKE, 2008, S. 51, vgl. auch S. 32f., PETER BURKE, 2008, S. 53. PETER BURKE, 2008, S. 51. Vgl. EGON friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit (Bd. 1), München, dtv, 2003, S. 5.
4 0 . PETER BURKE, 2008,
S. 33. 4 1 . PETER BURKE, 2008, S. 55. 4 2 . jochen meyer , Perspektiven der Architekturtheorie. Überlegungen zur einer lebensverbundenen Theorie der Architektur, in: Wolkenkuckucksheim, 9. Jg./H. 2, (Rundgespräch zur Architekturtheorie), hg. v. EDUARD führ u. fritz neumeyer , Cottbus, www.cloud-cuckoo.net, 2005 (10.01.2010).
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Spätphilosophie im Vergleich: zeitgenössische Philosophie / Philosophie tardive en comparaison: philosophie contemporaine
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Fichte und Schelling in den späten Turiner Vorlesungen Luigi Pareysons Marco Ivaldo
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Luigi Pareyson hat in späten Turiner Vorlesungen zu Anfang der achtziger Jahre die Philosophie Fichtes und Schellings zum Gegenstand seiner Ausführungen gemacht. Die Hauptlinien dieser Interpretation möchte ich im Folgenden nachzeichnen. 1.
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Es ist zunächst angebracht, das Grundanliegen des Fichte-Buches von Pareyson vom Jahre 1950 (zweite, vermehrte Auf. 1976) kurz zusammenzufassen, eines Buches, das einen Meilenstein der Fichte-Forschung darstellt und Claudio Cesa zufolge “die gleiche Position” in Italien innehabe, die “das klassische Werk Martial Gueroults in Frankreich” hatte1. Pareyson hatte sich früher mit der Existenzphilosophie und insbesondere mit Karl Jaspers beschäftigt, bevor er sich Fichte zugewandt hatte, dessen Philosophie er frei von philosophiehistorischen Schemata hegelianischer Herkunft deutete. Dieser Zugang ist ein Wesenszug auch seiner späteren Schelling-Interpretation. Er sieht einen gemeinsamen Charakter bei Fichte und Schelling: Fichtes „ganze Philosophie [sei] eine Kritik ante litteram der Hegelschen Philosophie“; der „zweite Schelling“ - unter dieser Benennung versteht Pareyson grundsätzlich die Philosophie Schellings in den „neun Jahrfünften“ ab der Freiheitsschrift 1809 - sei „deutlich ein nachhegelianischer Denker“. Schellings Philosophie - betont Pareyson in Abhebung von der These von Walter Schulz - stellt keine Selbstauflösung des Idealismus im Sinne einer „Vollendung“ desselben dar, sondern sie muss als eine Selbstauflösung im Sinne eins „Austritts“ aus dem Idealismus selbst angesehen werden: Schelling tritt aus dem Idealismus insofern heraus, als er nach der Freiheitsschrift immer deutlicher „den Vorrang des Seins vor dem Wissens erkennt“2.
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Nun ist eine der zentralen Thesen des Werkes über Fichte, dass dieser als Kritiker ante littetam Hegels gerade deshalb auftreten konnte, weil er die spätere Perspektive Hegels einer von einem absoluten Standpunkt aus verfassten Philosophie oder „Logik“ des Absoluten hellsichtig vorausgesehen und im voraus widerlegt habe. Fichtes „System der Freiheit“ ist nämlich einerseits durch die „Treue zum Standpunkt des Endlichen“ bzw. des „endlichen Geistes“ methodisch gekennzeichnet; andererseits will sie von diesem Standpunkt ausgehend zu einer Behauptung des Absoluten gelangen, die aber erst als „indirekte Behauptung“ desselben erfolgen kann, indem sie den endlichen Geist als das einzig mögliche Bewusstsein bzw. als Bild des Absoluten begreift und durchdringt. Nach Fichte kann die Philosophie nicht direkt das Absolute, sondern das Bewusstsein des Absoluten oder sein Bild zum Thema haben.
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Somit muss die Philosophie sich zugleich als “kritisch” und als “radikal” erweisen. Nach der WL besteht zunächst die Aufgabe der Philosophie nicht darin, die menschliche Erkenntnis horizontal zu erweitern bzw. neue Erkenntnisse zu den älteren prozessual hinzuzufügen - dies ist Sache des empirisch-faktischen Wissens und der Einzelwissenschaften. Die Philosophie soll hingegen die Erkenntnis selbst (das „Wissen“ oder die „Erfahrung“) begründen. Transzendentalphilosophie ist “Reflexion in der zweiten Potenz” (Reflexion in der ersten Potenz ist das faktische Erfahrungswissen); Philosophie ist zweite Reflexion, Wissenswissen. Diesem Philosophiebegriff gemäß muss sich der Transzendentalphilosoph seines eigenen Standpunktes und seiner Denkleistungen im Akt des Philosophierens ständig bewusst bleiben und beide zugleich in der Selbstreflexion rechtfertigen. Die Transzendentalphilosophie soll dem entsprechend auf die Koinzidenz von Sagen und Tun des Philosophen abzielen.
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Die WL ist ferner “Philosophie aus dem Standpunkt des Endlichen”, welche sich die Aufgabe stellt und legitimiert, das Absolute “behaupten” zu können, ohne “den Standpunkt des Endlichen aufzugeben”3. Sie entwickelt einerseits eine “Erklärung der Wesensstruktur des menschlichen Wissens und des Endlichen” (Pareyson, 1976, S. 170), wobei die drei Grundsätze der GWL keine “spekulative Logik” des Absoluten, sondern “die ideellen Bedingungen des reellen Bewusstseins” wiedergeben, welche als „ursprüngliche Handlungen“ im faktischen Wissen schon immer tätig sind. Andererseits lässt sich im Laufe des fichteschen Philosophierens ein Übergang im Denken des Absoluten selbst feststellen. In ihrer internen Entwicklung durch die unterschiedlichen Darstellungen hindurch geht die WL von einer Behauptung der “Idealität” zu einer der “Realität” des Absoluten über. Dem entspricht eine (mitlaufende) Entwicklung im Denken des Endlichen selbst: Zunächst wird das Endliche als “Tendenz zum idealen Absoluten”, dann als “Präsenz des realen Absoluten” begriffen. Genauer ausgesprochen: Von 1793 bis 1799 werden Idealität des Absoluten und Praktizität des Endlichen zusammen gedacht und zugleich ausgearbeitet; der endliche Geist handelt dank der Tätigkeit (Agilität) des Absoluten selbst, das aber vorwiegend als ein in sich ideales Absolutes gedacht wird. Diese Auffassung musste aber nach Pareysons Auslegung konsequenterweise zu einer „Verabsolutierung des Endlichen“ führen, mit der sich Fichte wegen seiner echten religiösen Gesinnungen nicht zufrieden geben konnte. Mit der Bestimmung des Menschen kommt er demnach zum Denken eines realen Absoluten. Damit wird jedoch die Treue der WL zum Standpunkt des Endlichen nicht zurückgenommen: Der endliche Geist, und nicht der absolute, wird von nun an als das Bewusstsein, genauer: “als das einzig mögliche Bewusstsein des Absoluten” (a. a. O., S. 7) angesehen. Dem entsprechend wird die spätere WL zur “Rekonstruktion” des endlichen Geistes als Bewusstseins eines als solchen selbst
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nicht-objektivierbaren Absoluten. Das bringt eine “ganz sonderbare Dialektik” von Wissen und Nicht-Wissen bzw. Nicht-Sein und Sein zum Vorschein, der zufolge das Sein als Ursprung des Wissens erfasst wird, indem es als das Nicht-Sein des Wissens selbst, als das Andere des Wissens verstanden wird. Das Sein ist Ursprung erst als Grenze, es ist Wissensgrund nur als Negation des Wissens. 2. 6
Pareyson beabsichtigte, dem Fichte-Band vom Jahre 1950 einen zweiten Band folgen zu lassen, der als die zweite Stufe „eines umfassenden Werkes über den ganzen Fichte“34 angesehen werden sollte. Sogar die Überschrift dieses Bandes wurde angekündigt: Während der erste Band (ursprünglich nur „Fichte“ betitelt) den Untertitel „Das System der Freiheit“ hätte tragen sollen (wie bei der zweiten Auflage desselben tatsächlich geschah), sollte die Fortsetzung mit dem Untertitel „Das System des Absoluten“ versehen werden. Im Vorwort zum zweiten Auflage des Fichte-Buches bzw. des ersten Bandes (1976 erschienen) schreibt der Verfasser, dass „andere Interessen [ihn] von der Vervollständigung der Arbeit bis zu jenem Zeitpunkt abgehalten“5 hatten. Das bedeutet aber nicht, dass Pareyson in der Zwischenzeit sein Interesse an Fichte verloren hätte. In einem Brief an Reinhard Lauth vom 16. Juli 1963, dessen Kenntnisnahme ich Erich Fuchs verdanke und der am Anfang der Beziehungen und dann der Freundschaft zwischen ihm und Lauth steht, schrieb Pareyson: „Die Studien über Fichte habe ich nicht aufgegeben. Selbst wenn in diesen letzten Jahren mit anderen Arbeiten beschäftigt, werde ich bald zu Fichte zurückkommen, um mein Buch, vom dem nur der erste Band erschienen ist, fortzusetzen und zu Ende zu führen“. Dieser zweite Band wurde aber nicht mehr herausgebracht. Dass aber Fichte ein lebendiges Thema bis in die letzten Jahre hinein geblieben ist, lässt sich u. a. aus einer Bemerkung entnehmen, die Pareyson 1988 in Neapel in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Freiheit gemacht hat. Pareyson behauptet: „Es war genau Fichte, von dem ich einen weit ursprünglicheren und tieferen Freiheitsbegriff als den moralischen erkennen lernte, wie aus seiner Absicht, ein System der Freiheit aufzubauen, und aus seiner Konzeption einer Art eines ,moralischen Pantheismus’ deutlich wird“6. Eben diesen ursprünglicheren und radikaleren - man könnte hinzufügen: ,ontologischen’ - Freiheitsbegriff legt Pareyson seiner Ontologie der Freiheit zugrunde. Es ist aber vor allem die posthum veröffentliche Turiner Vorlesungsreihe der Jahre 1982/19837, die von der lebendigen Präsenz der Philosophie Fichtes im seinen Denken Zeugnis ablegt. Hier, insbesondere in der sechsten und siebenten Vorlesungsstunde, findet sich ein Abriss jenes „Systems des Absoluten“, das Pareyson nicht mehr zu einer geschlossen Publikation, d. h. zum geplanten, zweiten Fichte-Band hat führen können. 3.
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Ich möchte zunächst einige Erläuterungen zum Thema der Vorlesungsreihe vorausschicken. Ihr vom Verfasser selbst angekündigter Titel heißt: „Sein und Freiheit. Das Prinzip und die Dialektik“. Zur Verdeutlichung des ersten Begriffspaares („Sein und Freiheit“) wird von Pareyson zu Beginn der Vorlesungen eine zentrale These seiner Ontologie der Freiheit bündig vorgelegt: Der Mensch ist „ontologischer Bezug“, und das bedeutet, dass der Mensch nicht etwas ist, das zusätzlich einen Seinsbezug hat, sondern
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der Mensch ist durch und durch, oder konstitutiv „Bezug zum Sein“. Nun ist der Kern des Seinsbezuges, der der Mensch ist, die Freiheit. Zum Sein in Bezug zu sein, heißt, frei zu sein. Allein über die Freiheit verwirklicht sich jene „Intentionalität zum Sein“, die der Mensch in sich ist. Einziger Zugang zum Sein ist die Freiheit. Sein und Freiheit sind so eng miteinander verbunden, dass es angebracht ist zu sagen, dass das Sein sich nicht so sehr in die Freiheit „auflöst“, sondern eher auf sie „hinausläuft“. Freiheit und Sein convettuntut: „Das Sein selbst ist Freiheit, d. h. unsere Freiheit macht das Wesen des Seins offenbar [...]. Das Sein kann seinerseits nicht anders denn als Freiheit verstanden werden“ (Pareyson, 1982/1983, S. 12). 8
Nun zum Begriffspaar „Prinzip und Dialektik“: Sich auf Sein und Freiheit zu besinnen, heißt, über das Ursprüngliche, oder über das (Ur-)Prinzip nachzudenken. Mit solchen Überlegungen zu Sein und Freiheit „befinden [wir] uns an der Wurzel, an der Quelle, am Ursprung, wir stehen am Anfang, wir sind beim Prinzip“8. Prinzip ist aber nicht dasselbe wie „Grund“. Pareyson hält „die gegen den Grund[-Begriff] geführte Polemik für sehr richtig“9, eine Polemik, die ihm zufolge bereits auf die Kritik von Plotin gegen Aristoteles zurückzuführen ist. Der Begriff des Grundes, vor dem das Denken stehen bleiben müsse (avaYKp oupvai), sei letzten Endes nur eine „Versteifung“ dessen, was das Prinzip eigentlich ist. Wie Fichte durch seine verschiedenen Wissenschaftslehren deutlich gemacht hat, tritt das Prinzip in Bezug auf das Wissen, das es zu erfassen beansprucht, „ständig zurück“. Diese Konzeption des „fortwährenden, unaufhaltsamen Rückgangs“ des Prinzips stellt die Errungenschaft Fichtes in Vergleich zu Descartes dar.
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Das Prinzip ist nicht Grund; vielmehr ist es „Abgrund“. Im Gefolge von Plotin, und auch von Fichte und Schelling, sollte man aber zugleich erkennen - und hier tritt die eigentliche Paradoxie des Prinzips, in der seine Aporetik steckt, zum Vorschein -, dass der Abgrund gar nicht dem „Leeren“ (= einem bloßem Nichts) gleichzusetzen ist. Dass das Sein (bzw. die Freiheit) abgründig sei, bedeutet überhaupt nicht, dass es leer, sondern dass es „unausschöpfbar“ ist. Nichts darf ausschließen, dass der Abgrund nicht das Leere, sondern eher „das Volle, d. h. die Quelle, die Ursprünglichkeit, der Ursprung“ sei. Denn, nur wenn der Abgrund nicht das Leere, sondern die Quelle ist und bleibt, erhält und behält das Leben seine eigentümliche Unruhe und Beweglichkeit. Diesbezüglich wird eine zweite Form der Paradoxie des Prinzips offenbar: Plotin, aber auch Schelling, setzen auf dem Höhepunkt ihrer Philosophie das, was letzterer als einen „undurchdringbaren Begriff“, einen „verwirklichten Widerspruch“ bezeichnet. Der Ursprung (als absolute Freiheit) ist bei ihnen einerseits Abgrund, und demnach ist er nichts dessen, was nicht Prinzip ist; er ist „absolute Negation“. Andererseits, und in eins damit, muss diese absolute Negation (auch „absolute Transzendenz“ genannt) die Quelle sein, dank der sich alles andere, was nicht Prinzip ist, erklären lässt. Das Prinzip muss außerhalb jeglicher Bestimmung sein; zugleich muss es die Erklärung aller Bestimmungen, aller Behauptungen in sich bewahren - ein Thema, das Pareyson ausführlich aus Plotin verfolgt und rekonstruiert, aber auch in den Erlanger Vorlesungen Schellings über die Natur der Philosophie als Wissenschaft (1821) hatte lesen können (Pareyson hatte 1974 eine italienische Übersetzung dieses Werkes herausgegeben10).
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Gerade die Paradoxie des Prinzips eröffnet den Raum einer „Dialektik“, die dem Hegelschen Bild von Dialektik entgegengesetzt ist. Pareyson stellt einer „Dialektik der Notwendigkeit“ eine „Dialektik der Freiheit“, einer „Dialektik des Prozesses“ eine „Dialektik der Spannung“, einer synthetischen eine antithetische oder antinomische Dialektik gegenüber. In ersteren wird der Widerspruch aufgehoben und vernichtet; in
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letzteren wird er offen gehalten. Den Widerspruch vernichten zu wollen, würde bedeuten, das Leben selbst zu vernichten, jenes Leben, das „fortwährender Widerspruch“ ist - hieraus kann man ersehen, dass Pareyson den Widerspruch nicht so sehr als logischen, sondern als konkret-existentiellen Begriff versteht. Der Widerspruch muss also offen gehalten werden, und dies in demselben Augenblick, in dem man den Versuch unternimmt, ihn zu „erklären“; dabei muss aber ganz klar bleiben, dass jeglicher Erklärungsversuch keine endgültige Beilegung des Widerstreits erbringen darf. Auf eine Beilegung des Widerspruches könne man nur hoffen; sie sei „eschatologisch“, d. h. außerhalb aller Zeit. 4. 11
Was ist nun das eigentümliche Wort, welches Fichte hinsichtlich dieses Spannungsfeldes zwischen Prinzip und Dialektik ausspricht? Fichte stellt eine besondere Dialektik von Wissen und Nicht-Wissen (Hauptmotiv: „das Wissen ist Nicht-Sein und das Sein ist Nicht Wissen“) heraus, die einen „höchst interessanten“ und sehr „aufschlussreichen“ Weg bahnt, um über das Prinzip philosophieren zu können. Verfolgen wir einige Hauptpunkte dieser Fichte-Lektüre, die sich vorwiegend auf eine Wiederbesinnung der Darstellungen der Wissenschaftslehren aus den Jahren 1801/2 und 1804-II stützt.
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Ohne aufzugeben, ein - sogar: das - System der Freiheit zu sein, will die WL zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Entfaltung, ein - sogar: das - System des Absoluten liefern. Letzteres stellt keine Negation des ersteren dar: „Kritizismus, Dialektik und Ontologie sind [bei Fichte] am innigsten miteinander verbunden“11. Gerade diese Verknüpfung stellt das Eigentümliche der WL in Vergleich zu anderen philosophischen Ansätzen dar, die zur selben geistesgeschichtlichen Konstellation gehören.
13 Die WL beabsichtigt, zu einer Behauptung des Absoluten zu gelangen, ohne den Standpunkt des Endlichen - nämlich: den kritischen Ansatz - aufzugeben. Fichte macht deutlich, dass der Reflexionsakt des Ich auf sich selbst einen tiefer liegenden Vollzug in sich enthält, den Pareyson als „Akt der Seinsanschauung“ (Seinserfassung) bezeichnet: „Der Akt, durch den sich das Ich sich selbst zu eigen macht, ist derselbe Akt, durch den das Ich das Sein erfasst“12. Die Sich-Aneignung (des Ich) ist nur als (mitlaufende) Seinserfassung möglich. Die kritische Ebene wird aber damit nicht verlassen. Das Wissen erweist sich als wahrhaft kritisch, selbstbewusst, selbstreflexiv nur dann, wenn es - ein Ideal von vollkommener Selbstbewusstheit bzw. perfekter Selbstdurchdringung verfolgend - sich selbst in seiner „Entstehung“ (Genesis) erfasst. Sich selbst aber in seiner Entstehung zu erfassen, bedeutet, seinen eigenen „Ursprung“ zu ergreifen. Nun ist Wissen durch und durch „Intentionalität“: Wissen ist immer Wissen von etwas, auch in der Form des Wissens von sich selbst, des Wissenswissens. Auch die Freiheit - die hier dem Wissen gleichgesetzt wird, indem sie dessen eigentliches Wesen konstituiert - ist in sich selbst „Offenheit“, „Aufgeschlossenheit zum Sein“. Wenn sich also das Wissen am eigenen „Ursprung“ ergreift, (an)erkennt es jenes Sein, von dem wir allein behaupten können, dass es qua Ursprung Nicht-Wissen ist. Hieraus kommt die (antinomische) Dialektik von Wissen und Nicht-Wissen bzw. von Wissen und Sein zum Vorschein: „Das Sein ist das Nicht-Sein des Wissens [=Nicht-Wissen], und das Wissen ist insofern ein Wissen, als es das Sein nicht ist, als es also das Nicht-Sein des Seins ist, Nicht-Sein“13. 14 Vertiefen wir noch einmal die springenden Punkte dieses Hauptgedankens. Zunächst zum Verhältnis Kritizismus-Dialektik: Nach selbstkritischer Ansicht ergibt sich, dass das
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Wissen dadurch ausgezeichnet ist, „Intention“ bzw. „Intentionalität“ zu sein. Das Wissen ist nach Pareyson per definitionem „sekundär“, und zwar in dem genauen Sinne, dass es nicht Ursprung, Ursprünglichkeit ist, sondern erst Aufgeschlossenheit (Aufgeschlossensein) zu dem, was Plato Bdnepov (das Andere) nannte. Ein „absolutes Wissen“, welches Ursprung von sich selbst zu sein beanspruchte, wäre Wissen von Nichts, also kein Wissen; das Ergebnis solchen Anspruches wäre die Selbstauflösung des Wissens. Ursprung des Wissens kann nur das Andere des Wissens sein, und zwar das, bezüglich dessen das Wissen Intentionalität ist: das Sein. Das Sein wird als der Ursprung des Wissens insofern (an)erkannt, als es als Nicht-Wissen bzw. als Nicht-Sein des Wissens erfasst wird. Sein ist Ursprung nur als „Grenze“, Entstehung nur als „Schranke“, als „Einschränkung“, es ist „Begründung nur als Negation“. Das Sein ist per definitionem das, was das Wissen beschränkt, und diese Beschränkung erweist sich in eins als Begründung, sie ist Beschränkung als Begründung, unzertrennlich Negation und Position des Wissens. Wenn Fichte (vgl. WL 1804-11) von einer Selbstvernichtung des Wissens vor dem Sein redet, in dem Sinne, dass „der Begriff nur sich selbst vernichtend zum Sein kommt“, bedeutet dies keine „schwache Wiederholung der Schwärmerei“14, sondern das Ergebnis vollkommener und luzider Selbstaufklärung des Wissens, der zufolge sich letzteres als Nicht-Sein erkennt. 15 Dann zum Verhältnis Dialektik-Ontologie: Nur dank Selbstvernichtung des Denkens und des Begriffes erfasst man das Absolute, ohne den Standpunkt des Endlichen zu verlassen. Im Wissen selbst und durch es wird sein „Boden“ erreicht; es wird seine „Tiefe“ als jener „Grund“ erkannt, den Pareyson durch deutsche Worte wie „Ungrund“, und „Abgrund“ bezeichnet. Das Sein erweist sich damit als die Vernichtung des Denkens, und der Begriff kommt insofern zum Sein, als er sich selbst vernichtet. Auf diese Weise tritt eine „ursprüngliche Komplizität von Sein und Begriff“ zum Vorschein, welche dialektischen Charakter hat: Sie besteht in der Unzertrennlichkeit zweier Termini (Sein/Begriff), die sich gegenseitig negieren. Sein und Begriff sind unzertrennlich, und zugleich ist das Eine die Negation des Anderen. Gerade in einer solchen „originären Unzertrennlichkeit“ könnte man sagen: in dieser Unzertrennlichkeit per negationem - liegt jenes „Licht“, von dem die WL 1804-II spricht, das Licht nämlich als dialektische Einheit von Sein und Begriff, der zufolge das Sein sich als das Un-begreifliche, das Un-durchdringbare, als die Vernichtung des Begriffes erweist, und der Begriff nur dann zum Sein kommen kann, wenn er sich selbst negiert. Fichte habe viel früher als Heidegger eingesehen, dass das Licht die Genesis des Wissens bzw. des Denkens jenseits der Trennung im Bewusstsein von Subjekt und Objekt ist. 5. 16
Beinahe am Ende der siebenten Turiner Vorlesung findet sich jedoch eine entscheidende Bemerkung. Pareyson stellt fest, die fichtesche Dialektik von Wissen und Nicht-Wissen die er auf Cusanus’ docta ignorantia anspielend auch als „Dialektik von nicht-wissendem Wissen und wissendem Nicht-Wissen“ bezeichnet - bewege sich auf dem “allerhöchstem Niveau der Spekulation” (a. a. O., S. 58), aber diese „sehr tiefgehende“, „sehr hohe“ „sehr subtile“ Dialektik wäre noch nicht die “wahre Dialektik”, welche “Entgegengesetzte, die radikal entgegengesetzt sind”, zum Thema haben muss. Wissen und Nicht-Wissen seien Pareyson zufolge Begriffe, die nicht „wahrhaft und radikal entgegengesetzt“ sind, denn zwischen ihnen bestehe - wie eben gesagt - eine gewisse Komplizität. Radikal
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entgegengesetzt, und deshalb Thema einer „wahren Dialektik“, seien hingegen “Gut und Böse, Leiden und Seligkeit, Wahrheit und Irrtum”. „Wahre Dialektik“ sei daher diejenige, die zwischen diesen Begriffspaaren zustande kommt und den einschlägigen Widerspruch offen zu halten weiß. Damit will aber Pareyson nicht sagen, dass die Dialektik von Wissen und Sein falsch sei. Seine Ansicht ist vielmehr, dass sie „äußerst dienlich“ bleibt, um sich mit dem Frage nach dem Prinzip auseinanderzusetzen, aber als solche noch nicht ausreichend ist, um die Aporetik des Prinzips selbst zu fassen. Die Dialektik von Wissen und Nicht-Wissen bewegt sich auf der Ebene dessen, was Pareyson selbst „Hermeneutik“ in seinem Sinne nennt, nämlich auf der Ebene der Interpretation, die er als das zurOffenbarung-Führen einer unendlichen, unerschöpflichen, jenseitigen Wahrheit begreift 15. Die Ebene aber, die die „wahre Dialektik“ im Unterschied zur Hermeneutik zu erreichen hat, ist diejenige, in der die Entgegengesetzten sich bereits im Prinzip selbst befinden und sich in ihm dialektisch einander entgegensetzen. Gerade eine solche Dialektik will Pareyson seiner Ontologie der Freiheit zugrunde legen, in der Schelling, insbesondere seine Freiheitsschrift, eine erhebliche Rolle spielt. 17 Ich lasse hier die grundlegende Frage außer Acht, ob Pareyson mit seiner Kritik an der Unzulänglichkeit der WL hinsichtlich der Dialektik von Gut und Böse ohne weiteres recht habe, oder ob vielmehr die Transzendentalphilosophie als offenes System der wirklichen Freiheit prinzipiell imstande sei, jener ethisch-religiösen Dialektik gerecht zu werden, und das, selbst wenn Fichte das Problem des Bösen, dessen ,negative Realität’, in seinen Schriften nicht genug erkannt und bedacht habe. Zu diesem Thema schließe ich mich an die Überlegungen an, die Reinhard Lauth in seinen Ricordi dalle mie conversazioni con Luigi Pareyson entwickelt hat, und an seine grundsätzliche Bestimmung vom Wesen der Freiheit vom absoluten Sollen her im interpersonalen Nexus. Hier möchte ich nur auf zwei Punkte eingehen, welche die Aufnahme und die Aufwertung von Schelling in den Turiner Vorlesungen betreffen. 6. 18
Zum ersten Punkt: Mit Rücksicht auf die Kantischen Modalkategorien (Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit) vertritt Pareyson die These, dass eine Philosophie der Freiheit, welche mit der Behauptung der Irreduzibilität (in bloß logischer Hinsicht) des konkret Geschichtlichen einhergeht, das Primat der Wirklichkeit vor der Möglichkeit und der Notwendigkeit anerkennen muss. Damit Freiheit und Faktum in ihrer bestimmten Seinsart (Modalität) bzw. in ihrer logisch unableitbaren Konkretheit erfasst und bewertet werden können, setzen sie das Primat der Kategorie der Wirklichkeit vor den anderen voraus. Nun hat gerade Schelling „auf angemessene Weise behauptet, dass die Möglichkeit der Wirklichkeit nicht vorausgeht, sondern ihr folgt“16. Die Wirklichkeit kann nicht als Verwirklichung einer ihr voraus gegebenen Möglichkeit angesehen werden: „Etwas ist nicht wirklich, weil es möglich ist, sondern vielmehr ist etwas, das wirklich ist, möglich“. Ebenso wenig darf sich das Wirkliche mit dem Notwendigen vermengen: „Vom Standpunkt des Wirklichen her gibt es nichts Notwendiges, nichts, das so definiert werden könne, dass es nicht nicht-sein könne“17. Die Wirklichkeit ist „immer voraus“: Ein Seiendes ist nicht wirklich, weil es möglich oder notwendig ist, sondern ein Seiendes kann (Möglichkeit) und muss (Notwendigkeit) deshalb existieren, weil es wirklich ist. Wenn Schelling die Figur der „Verwunderung der Vernunft“ vor dem „rein Seiendem“ zum Thema seiner späteren Philosophie macht und dieses Vernunft-Moment
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in die „Zäsur“ - in die „unterbrochene Kontinuität“ - zwischen negativer und positiver Philosophie hineinlegt, gibt er gerade diesem Vorrang der Wirklichkeit vor dem Denken Ausdruck: „Das bloß, das nur Existierende - liest man in der Berliner Vorlesung: „Einleitung in die Philosophie der Offenbarung oder Begründung der positiven Philosophie“ (1842-1843) - ist gerade das, wodurch alles, was vom Denken herkommen möchte, niedergeschlagen wird, das, vor dem das Denken verstummt, vor dem die Vernunft sich selbst beugt“; es ist jenes „alles überwältigende Seyn“ , vor dem die Vernunft „wie regungslos, wie erstarrt, quasi attonita“ ist, „um durch diese Unterwerfung zu ihrem wahren und ewigen Inhalt [...] zu gelangen“18. 19 Der zweite Punkt betrifft die oben erwähnte Idee einer Dialektik im Prinzip, die Pareyson einer Dialektik von Wissen und Nicht-Wissen in Bezug auf das Prinzip gegenüberstellt. „Sowohl das Positive als das Negative befinden sich innerhalb des Prinzips und setzen sich einander gerade deshalb dialektisch entgegen, weil sie sich bereits im selben Prinzip finden. Das Prinzip ist nicht ausschließlich positiv; in Wahrheit kann es wirklich positiv nur dann sein, indem es in sich bereits die Möglichkeit des Negativen hat“19. 20
Nun scheint mir in diesen Überlegungen bereits jener Schelling unüberhörbar anwesend zu sein, den Pareyson in Zusammenhang mit der Tradition der Theosophie und mit Jacob Böhme auslegt. In seiner Einführung zu der italienischen Ausgabe des SchellingSammelbandes mit Schriften über „Philosophie, Religion und Freiheit“ des Jahres 197420, greift Pareyson das schellingsche Hauptthema der Unterscheidung (Duplizität) zwischen dem Wesen, sofern es existiere, und dem Wesen, sofern es bloß „Grund von Existenz“ sei, auf. Schelling habe damit „die Konzeption der Identität der Entgegengesetzten im Absoluten, d. h. in Gott, aufbewahrt, aber jetzt werde sie in dem Sinne verstanden, dass es in Gott auch die Antithese gibt, das negative Prinzip, den blinden Willen, die egoistische Begierde“21. Die „Persönlichkeit“ Gottes ergebe sich erst aus dem Sieg des positiven über das negative Prinzip: Gott ist nicht, sondern wird zum persönlichen Gott. Seine Persönlichkeit ist „in gewisser Hinsicht eine Errungenschaft“.
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Genau dieses Hauptmotiv tritt in den Mittelpunkt Pareysons eigener Ontologie der Freiheit: Ihr zufolge existiert das Positive ab aeterno als Sieg über das Negative. Anders formuliert: Die ursprüngliche, abgründige Freiheit (Gottes) existiert als solche - d. h. in ihrer unmittelbaren „Selbstzeugung“ - als endgültiger Sieg über das Böse, jenes Böse, das auf ewig (= de jure, in seinem Anspruch) in Gott besiegt ist, aber als ständig drohende Möglichkeit für die menschliche Freiheit weiter besteht. Pareyson vertritt sogar die These, man sollte, um zu diesem abgründigen Freiheitsbegriff zu gelangen, „Schelling selbst von jeglicher übrig bleibenden Sorge um die Idee der Notwendigkeit frei machen“ (Pareyson, 1995, S. 464). Man solle Schelling mit Heideggers Begriff von „Nichts“ integrieren bzw. kompensieren, und seinen Freiheitsbegriff im Zusammenhang nicht mehr mit der Notwendigkeit, sondern mit dem „Nichts“ durchdenken, jenem Nichts (ihrer ) - als „Nichts der Freiheit“ bezeichnet -, von dem her die ursprüngliche, abgründige Freiheit sich selbst ,zeugt’.
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Zum Thema „Prinzip und Dialektik“ ergeben sich letzten Endes aus den Turiner Vorlesungen zwei Gedankenmuster. Nach dem einem erfolgt die Dialektik in Bezug auf das Prinzip als dessen Bild: Das Wissen erweist sich somit als Bild des Seins, und insofern als Nicht-Sein, als Bezug auf das Sein. Der Widerspruch liegt nicht im Sein, in der Wahrheit, er bildet vielmehr ein mögliches Moment des Reflektierens, dessen sich letzteres bewusst werden kann und das es zu bewältigen hat. Nach dem anderen Muster erfolgt die
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Dialektik im Prinzip selbst, als Entfaltung von dessen innerer Logik bzw. als spekulative ,Erzählung’ von dessen überzeitlicher ,Geschichte’. Der Widerspruch gehört in die Wahrheit selbst. Mit diesem zweiten Denkbild wird aber - so denke ich - der Boden einer Philosophie aus dem Standpunkt des Endlichen, auf den Pareyson selbst in den fünfziger Jahren den Akzent legte, der Boden des Kritizismus, verlassen; eine Preisgabe des Kritizismus, die mir eine Implikation - oder in anderer Hinsicht eine Voraussetzung einiger Ansätze der Ontologie der Freiheit zu sein scheint. Besteht denn nicht dadurch die Gefahr, dass damit die Ontologie der Freiheit zu ,unkritischen’ Aussagen über das innere Wesen des Absoluten kommen kann? Im Brief an Schelling vom 15. Januar 1802 ist folgender, berühmter Ausspruch Fichtes zu lesen: „Das absolute selbst aber ist kein Seyn, noch ist es ein Wissen, noch ist es Identität, oder Indifferenz beider: sondern es ist eben das absolute - und jedes zweite Wort ist vom Uebel“22 (GA III 5, S. 113). Dieses Diktum bringt das Spezifische einer Transzendentalphilosophie im Kantischen und Fichteschen Sinne mit Rücksicht auf die Frage nach dem Absoluten bündig zum Ausdruck, und es erweist sich m. E. auch bezüglich einer gründlichen Diskussion des epistemologischen Status von Pareysons Ontologie der Freiheit als noch immer ergiebig.
NOTES 1. Claudio Cesa, Die Rezeption der Philosophie Fichtes in Italien, in Erich Fuchs, Marco Ivaldo, Giovanni Moretto (Hg.), Der transzendentalphilosophische Zugang zur Wirklichkeit. Beiträge aus der aktuellen Fichte-Forschung, Frommann-Holzboog, Stuttgart-Bad Cannstatt, 2001, S. 550. 2. Luigi Pareyson, Essere e liberta. Il principio e la dialettica. Corso di Filosofia teoretica tenuto nell’Universita di Torino nell’a. a. 1982/1983, in “Annuario filosofico” 10 (1994), S. 50-51 (Abk. Pareyson, 1982/1983). 3. Luigi Pareyson, Fichte. I. Auf. Turin 1950. 2. vermehrte Auf. mit dem Titel: Fichte. Il sistema della liberta, Mursia Mailand,1976, S. 7. Die Seitenzahlen im Haupttext sind aus der 2. Auflage (Abk: Pareyson, 1976) angegeben. 4. Ibid., S. 9. 5. Ibid. 6. Luigi Pareyson, Ontologia della liberta. Il male e la sofferenza, Einaudi, Turin, 1995, S. 8 (Abk. Pareyson 1995) 7. Vgl. Anm. 2 8. Pareyson 1995, S. 13. 9. Ibid., S. 15. 10. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Scritti sulla filosofia, la religione, la liberta, hrsg. v. Luigi Pareyson, Mursia, Mailand 1974; enthält die Übersetzungen von Philosophie und Religion (1804), Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809), Stuttgarter Vorlesungen (1810), Erlanger Vorlesungen (1821). (Abk. Schelling, 1974) 11. Pareyson, 1982/1983, S. 56. 12. Ibid., S. 49. 13. Ibid., S. 51. 14. Ibid., S. 56. 15. Vgl. dazu Pareysons entscheidendes Werk: Verita e interpretazione [1971].
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16. Pareyson 1982/1983, S. 77. 17. Ibid. 18. SSW, II/3, S. 161, S. 165. 19. Pareyson 1982/1983, S. 58. 20. Vgl. Schelling, 1974 21. Schelling 1974, S. 14 22. GA III, 5, S. 113.
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Die Möglichkeit des kollektiven Wissens bei Fichte Kritik des „idealistischen Individualismus“ und das „allgemeine Denken“ in „Die Thatsachen des Bewusstseyns“ (1810)
Yukio Irie
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Die Begriffe „kollektives Wissen“, „gemeinsames Wissen“ („common knowledge“) und „wechselseitiges Wissen“ („mutual knowledge“) sind für die Erklärung der Kommunikation in der gegenwärtigen Philosophie und Sprachwissenschaft von zentraler Bedeutung. Während viele Forscher Kommunikation durch die Reduktion auf individuelle Intentionalitäten erklären, behauptet John Searle, dass ein solcher Versuch unmöglich ist. Seine Erklärung beruht stattdessen auf der Einführung der kollektiven Intentionalität. In seinem späten Werk stellt Fichte eine ähnliche Behauptung auf, nämlich dass nicht Individuen, sondern ein gemeinsames Ich über Wissen verfügt. Gelingt es uns, Fichtes Argument zu verteidigen, wäre dies ein großer Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion über das kollektive Wissen.
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Dieses Argument erschien erst nach 1800 unverhüllt in der späten Philosophie Fichtes. Das wichtigste charakteristische Merkmal der späten Philosophie Fichtes ist, dass Wissen als Erscheinung des Absoluten aufzufassen ist. Ein weiteres wichtiges Merkmal ist, dass allein das absolute Wissen allgemeines Wissen ist und vom Wissen der Individuen unterschieden werden muss, und dass das Verhältnis zwischen beiden dargestellt wird. Schon seit der früheren Wissenschaftslehre war dem späten Fichte zufolge das „Ich“ nicht individuell, sondern allgemein. Jedoch ging dies aus früheren Texten noch nicht klar hervor und die Beziehung zwischen dem allgemeinen und dem individuellen Wissen wurde nicht beleuchtet. Im Gegensatz dazu brachte Fichte zunächst das Argument von Wissen als Erscheinung des Absoluten an und deduzierte dann vielerlei Wissen davon. Die Genesis des individuellen Bewusstseins und Wissens ist dabei vom einzigen prinzipiellen Wissen abgeleitet. Ich möchte hier den Text „Die Thatsachen des Bewusstseyns“ (1810) behandeln. Der Grund, warum ich mich in dieser Arbeit nicht mit dem Text „Die Wissenschaftslehre“,
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sondern mit „Die Thatsachen des Bewusstseyns“ beschäftige, ist, dass in letzterem ausführlicher auf das Verhältnis zwischen „individuellen Ichs“ und dem „gemeinsamen Ich“ eingegangen wird.
1 Die Beziehung zwischen „Die Thatsachen des Bewusstseyns" und „Die Wissenschaftslehre" und die Methode von „Die Thatsachen des Bewusstseyns" 3
„Die Thatsachen des Bewusstseyns“ ist das „erste Stück” (GWII/12, S. 21, SWII, S. 541) der Philosophie und eine Einführung in die Wissenschaftslehre. In Hegels „Phänomenologie des Geistes“ entwickelt sich das Bewusstsein durch die Prüfung des Wissens von allein und „wir“ Philosophen sind lediglich Zuschauer. Dagegen beobachtet Fichte die „Thatsachen des Bewusstseyns“, indem er dem Bewusstsein selbst Fragen stellt, es zu Antworten auffordert und es manchmal bittet, eine Ansicht anzunehmen. „Sehr oft wird es auch noch einer besonderen künstlichen Vorkehrung bedürfen, damit das Bewusstseyn gerade auf diejenige Frage uns antworte, die wir ihm vorlegen: und so wird denn die blosse natürliche Beobachtung sich verwandeln in ein künstlich anzustellendes Experiment. “ (GWII/12, 21, FSWII, 54lf.)
Fichte stellt dem Bewusstsein nicht nur Fragen, sondern weist manchmal unter Verwendung des Resultats der Wissenschaftslehre auf die Antwort hin. Ein Beispiel findet sich am Anfang des zweiten Kapitels des ersten Abschnitts. „Dass es ein solches Seyn reiner Freiheit allerdings gebe, zu erweisen, fällt nun freilich der eigentlichen Philosophie anheim: hier wird Ihnen ein solcher Gedanke indessen nur als ein mögliches, problematisches Denken angemuthet.“ (GWII/12, S. 28, FSWII, S. 550f.)
Die „Thatsachen des Bewusstseyns“ sind „eine Naturgeschichte der Entwicklung dieses Lebens” (GWII/12S, S. 134, FSWII, S. 689), die drei Stufen umfassen - das theoretische Vermögen im ersten Abschnitt, das praktische Vermögen im zweiten Abschnitt und das höhere Vermögen im dritten Abschnitt.
2 Produktion der Objekte und des Ichs durch das allgemeine Denken 4
Im ersten Abschnitt führt Fichte die Begriffe des „Lebens“ und des „allgemeinen Denkens“ ein, um die äußerlichen Objekte und das Ich als Produkte des allgemeinen Denkens zu erklären: „Also das Ich ist ebensowohl Product des allgemeinen Denkens, wie das äussere Object, und es wird durch dieses Denken sich gegeben, wie auch das äussere Object gegeben ist.” (GWII/12, S. 37, FSWII, S. 562)
Im zweiten Abschnitt erklärt Fichte mehrere Ichs mit Hilfe des allgemeinen Denkens: „Man kann nicht sagen: ich denke (bringe denkend hervor) andere Iche, sondern vielmehr: das allgemeine und absolute Denken denkt (bringt denkend hervor) die anderen Iche und mich selbst unter ihnen.” (GWII/12, S.68, FSWII, S. 603)
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Diese Individuen sind getrennt und jedes verfügt über eine eigene Welt, da jedes nur in sein Inneres schauen kann. Sie sind durch „innere Anschauungen“ getrennt und sind daher durch das allgemeine Denken, das Gegenteil der Anschauung, miteinander verbunden. Alle Individuen denken „dasselbe Gemeine“ durch allgemeines Denken. Das
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allgemeine Denken, das absolute Denken und das ursprüngliche Denken sind hier dasselbe: „Wie ich Individuum die anderen denke, so denken diese wieder mich; und so viele ich denke, so viele denken wiederum mich. Alle also denken dieselbe Gemeine, dasselbe System von Ichen;[...] Jeder denkt alle Anderen durch absolut ursprüngliches Denken, nur nicht sich selbst.” (GWII/12, S. 72, FSWII, S. 608)
Auf diese Weise führt Fichte die Begriffe des „Lebens“ und des „allgemeinen Denkens“ als Erklärungen der Tatsachen des Bewusstseins ein, und diese Einführung gründet auf der Wissenschaftslehre. Diese Erklärung ist jedoch für den, der Fichtes Wissenschaftslehre noch nicht akzeptiert hat, möglicherweise nicht überzeugend. Wir können ein Argument für die Berechtigung dieser Einführung in diesem Text finden. Das Argument sind Fichtes Einwände gegen den Materialismus und den idealistischen Individualismus.
3 Einwände gegen Materialismus und idealistischen Individualismus 6
Fichte behauptete, dass wir unsere Übereinstimmung in den Vorstellungen nicht erklären können, wenn wir das Argument des „allgemeinen Denkens“ nicht annehmen. Um dies zu beweisen, widerspricht er dem Materialismus und dem idealistischen Individualismus.
(1) Einwand gegen den Materialismus 7
Nach Fichte denkt der Materialist, dass Dinge an sich als „Grund unserer Vorstellungen“ existieren (GWII/2, S. 85, FSWII, S. 624). Der Materialismus hat den Vorteil, dass er die Übereinstimmung der Vorstellungen von der Sinnenwelt leicht erklären kann, „gestützt auf das Ding an sich, und die Eindrücke, die es seinem Seyn gemäss macht“ (GWII/12, S. 85, FSWII, S. 625). Fichte wendet ein, dass der Materialismus jedoch nicht erklärt, wieso die Dinge an sich Vorstellungen in unserem Bewusstsein hervorrufen: „Wie ein Ding zu einem vom Dinge wesentlich verschiedenen Bilde in einer anderen vom Dinge abgesonderten, und gleichfalls wesentlich verschiedenen Kraft werden könne, darüber habt ihr noch niemals ein verständliches Wort vorgebracht, noch werdet ihr jemals ein solches vorzubringen vermögen.” (GWII/12, S. 85, FSWII, S. 625)
Fichte würde den gleichen Einwand gegen den Physikalisten in der gegenwärtigen „Philosophy of Mind” vorbringen und argumentiert schon in „Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre” (1797) auf diese Weise gegen den Materialismus. 8
Fichtes zweiter Einwand gegen den Materialismus besteht darin, dass der Materialist sich als vorstellendes Wesen nicht selbst erklären kann. Sein dritter Einwand ist, dass der Materialismus nicht erklären kann, wie die Vorstellung von anderen Vernunftwesen zu Stande kommt (GWII/2, S. 85, FSWII, S. 625): „Aber (ich schweige davon, dass er sich selbst als vorstellendes Wesen durchaus nicht zu erklären vermag) die Vorstellung von anderen vernünftigen Wesen ausser ihm kann er nie erklären. Denn ich möchte wissen, was für ein Eindruck eines sinnlichen Objectes das wäre, wodurch das Bild eines durchaus unsinnlichen, eines Ich entstände [...]?” (GWII/2, S. 85f., FSWII, S. 625)
Wenn der Materialist das Dasein des anderen Vernunftwesens zu beweisen versucht, dann kann er nicht anders, als das andere Ich aus einem anderen Körper eines anderen Menschen zu schließen. Ein solcher Schluss ist nicht möglich, weder „unmittelbar“ noch
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„mittelbar“. Wenn „aus einem so gestalteten Leibe nach irgend einem Grundsatze des Schlusses” unmittelbar ein Ich folgen würde, müsste man einen solchen Grundsatz nachweisen. Aber wie ist dies möglich? Wenn aus einem so gestalteten Leibe mittelbar analog ein Ich folgt, weil ich als Individuum einen solchen Leib habe, muss es notwendig sein, dass ich als Individuum einen solchen Leib habe. Aber der Materialist kann die Notwendigkeit nicht beweisen (vgl. GWII/2, S. 74, FSWII, S. 611). Fichtes Einwände gegen den Materialismus scheinen also hinreichend überzeugend zu sein.
(2) Einwand gegen den idealistischen Individualismus 9
Was Fichte als „idealistischen Individualismus“ oder „spekulativen Individualismus“ bezeichnet, ist der Standpunkt, dass „der Raum Form meiner Anschauung ist und, was im Raume ist, leichtlich, als gleichfalls meine Anschauung, folgen wird und dies Ich ein individuelles Ich ist” (GWII/12, S. 86, FSWII, S. 625). Fichte wendet hier gegen den idealistischen Individualismus ein: Wenn der idealistische Individualist gefragt würde „Wie weisst du denn, dass der Raum die Form der Anschauung sey?”, dann würde er antworten „nur durch unmittelbare innere Selbstanschauung“. Aber wenn die innere Selbstanschauung individuell ist, kann diese Antwort nur für ihn gelten. Auch wenn diese innere Selbstanschauung durch ein anderes Prinzip erklärt und die Erklärung nur für sein individuelles Bewusstsein gelten würde, könnte er nicht beweisen, dass der Raum auch eine Form der Anschauung anderer Individuen ist. Innerhalb des idealistischen Individualismus ist jeder Beweis nur eine individuelle Annahme. Und weiter: Wenn auch eine Übereinstimmung zwischen dem idealistischen Individualisten mit anderen Menschen bestünde, könnte diese Übereinstimmung nicht mehr als seine individuelle Annahme sein. Fichte ging davon aus, dass auch Kant ein idealistischer Individualist war. Nach Fichte war die Antwort von Kant auf diese Frage, dass der Raum die Form der Anschauung für uns Menschen sei (Anm.). Aber Kant hatte nirgendwo versucht, dies nachzuweisen. Kant hielte seine individuelle faktische Evidenz für allgemein gültig, sprach dies allerdings nicht deutlich aus.
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Ich möchte hier Fichtes bisherige Argumentation wie folgt ergänzen. Der idealistische Individualist denkt, dass der Raum seine Anschauungsform ist, weswegen Dinge und Ereignisse im Raum seiner Anschauung gegeben sind. Er als Idealist leugnet, dass Dinge an sich deren Gründe sind. Deswegen muss er die Gleichförmigkeit seines Erkenntnisvermögens und des Erkenntnisvermögens der anderen Menschen voraussetzen, damit seine Erkenntnisse und die der anderen Menschen miteinander übereinstimmen. Aber wie kann er die Gleichförmigkeit garantieren? Der Idealist kann die Garantie nicht auf eine biologische Basis setzen. Die alternative Methode ist, die Übereinstimmung der Erkenntnisse und die Gleichförmigkeit durch den Dialog mit anderen Menschen zu bestätigen. Dazu muss zunächst Dialog möglich sein. Aber die Entstehung des Dialogs setzt die allgemeine gemeinschaftliche Erkenntnis der Außenwelt oder allgemeines gemeinschaftliches Wissen voraus. Daher kann der individualistische Idealist die gemeinschaftlichen Erkenntnisse der Außenwelt aufgrund der Gleichförmigkeit des Erkenntnisvermögens nicht erklären. Der epistemologische Individualismus, sei er idealistisch, materialistisch oder dualistisch, muss den Grund der Übereinstimmung der Erkenntnisse in der Gleichförmigkeit des Erkenntnisvermögens suchen und kann deswegen auf die gleichen Schwierigkeiten stoßen.
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(3) Der Standpunkt der Wissenschaftslehre 11
Im Gegensatz zu diesen zwei Standpunkten erklärte Fichte seinen Standpunkt wie folgt: „Nun kommt es darauf an, was dieses Princip sey. Ist es nemlich mein Ich, als Individuum, so gilt jene objective Gültigkeit allein für mich Individuum, und es ist nicht abzusehen, wie sie irgend einem anderen angemuthet werden könne. Ist aber jenes Princip schlechthin das Eine und allgemeine Vernunftleben, und wird es gleich als solches deutlich gesetzt, so ist klar, dass die Allgemeingültigkeit für dieses und für jeden, in dem dieses sich äussert, gelten müsse, und von jedem, der dies nur einsieht, allen angemuthet werden könne.“ (GWII/12, S. 88, FSWII, S. 627)
Um die „objektive Gültigkeit“ oder „Allgemeingültigkeit“ zu erklären, muss man von einem allgemeinen Denken durch „das Eine und allgemeine Vernunftleben“ beim individuellen Ich ausgehen (GWII/12, S. 88, FSWII, S. 627). Dies gilt als Beweis der Existenz des „Einen Lebens“ oder des allgemeinen Denkens. Nach Fichte ist das Bewusstsein, das die bisherige Philosophie zu erklären versucht hatte, das Bewusstsein des individuellen Subjekts, weswegen die Wissenschaftslehre von allen für Individualismus gehalten wurde. Fichte beabsichtigte jedoch, das „Bewusstseyn eines alle Individualität in sich fassenden und aufhebenden Lebens” (GWII/12, S. 85, FSWII, S. 624) zu erklären. Folglich war das Ich, ein Subjekt des ersten Grundsatzes der Grundlagen der gesamten Wissenschaftslehre (1794), auch ein einziges allgemeines und kein individuelles Ich. 12
Aber Fichtes bisherige Argumentation ist nicht ausreichend, um seinen Standpunkt zu beweisen. Er hat nur eine Alternative vorgebracht. Die Gegner der Ideen Fichtes mögen sagen, dass es nachvollziehbarer ist, bei dem Gedanken zu bleiben, dass alle Erkenntnisse nur individuelle Annahmen darstellen, als ein allgemein vernünftiges Leben anzunehmen. Wie könnte Fichte diese Gegner überzeugen und dazu zu bringen, das allgemeine Leben und das allgemeine Denken zu akzeptieren?
4 Die numerische Einheit des Bewusstseins im moralischen Nexus 13
Im sechsten Kapitel des zweiten Abschnitts erklärt Fichte die Wahrnehmung des Produktes der Handlungen des Vernunftwesens. Dort bringt er ein wichtiges Argument vor. Indem er davon ausgeht, dass ein einziges Leben des Bewusstseins bei Individuen denkt, kann er die Übereinstimmung der Erkenntnisse der Sinnenwelt erklären. Dabei entsteht bei Individuen die gleiche Vorstellung von der Welt mehrere Male. Auf die gleiche Weise können wir Erkenntnisse über Handlungen von Individuen und deren Produkte mit der Erkenntnis natürlicher Dinge und Ereignisse erklären. Eine Handlung eines Individuums ist in der Tat eine Handlung des „Einen Lebens“ und die Erkenntnisse vieler Individuen über die Handlung ist auch die Erkenntnis durch das „Eine Leben“. Daher stimmen viele Individuen in der Erkenntnis der Handlung eines Individuums miteinander überein. Aber diese Erkenntnisse sind „lediglich Einerleiheit, keineswegs numerische Einheit“ (FSWII, S. 630).
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Fichte betont, dass dagegen im Fall des „moralischen Gesetzes“ (FSWII, S. 634) oder des „moralische[n] Nexus“ (FSWII, S. 637) der Gehalt des Bewusstseins der Individuen nicht nur einerlei, sondern auch numerisch eins ist. Wenn wir das beweisen können, ist die Bestätigung möglich, dass ausgerechnet ein allgemeines Denken des „Einen Lebens“ in
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den Individuen denkt. Fichte unterscheidet den physischen Nexus und den moralischen Nexus. „Physischer Nexus ist da, wo die Ursache unmittelbar durch ihre Wirkung auf sich selbst zugleich Wirkung auf das Andere ist“ (FSWII, S. 636). Der moralische Nexus ist dagegen „derjenige, wo zwischen die Sichbestimmung der Ursache und die Bestimmung eines Anderen durch sie ein Mittleres eintritt“ (FSWII, S. 637). Das „Mittlere“ ist ein moralisches Gesetz, ein „Soll“, die eigene Freiheit für die Freiheit der anderen Vernunftwesen zu beschränken: „Der Eine wirkt, welches eine Selbstbestimmung ist, die als solche durchaus und ganz in ihm bleibt. Aber unmittelbar vereint mit dieser Selbstbestimmung entsteht ein durchaus allgemeines Bewusstseyn für Alle, das ein beschränkendes Soll ebenso unmittelbar bei sich führt: und so ist denn, wie wir wollten und sollten, ein moralischer Zusammenhang zwischen Allen errichtet.“ (FSWII, S. 637) Fichte behauptet hier, dass das Bewusstsein des moralischen Gesetzes durchaus allgemein ist und für alle entsteht. Die Beziehung zu den anderen Vernunftwesen, die durch dieses allgemeine Bewusstsein vermittelt wird, ist der moralische Nexus. Können wir hier sagen, dass dieses Bewusstsein des moralischen Gesetzes numerisch eins ist? Fichtes bisheriger Gedankengang scheint mir nicht ausreichend, um zu beweisen, dass es ein numerisch einheitliches Bewusstsein in einem moralischen Nexus gibt. Wir können denken, dass alle sich des gleichen sittlichen Gesetzes bewusst sind, aber das Bewusstsein nur einerlei, aber nicht numerisch eins ist. 15 Fichte schreibt jedoch weiter: „Dies [der moralische Nexus] ist denn auch der Allen offenbare, und im gemeinsten Bewusstseyn sich äussernde Nexus zwischen freien und vernünftigen Wesen.“ (GWII/2, S. 96, FSWII, S. 638) Hier stellt Fichte anscheinend die Behauptung auf, dass ein moralischer Nexus sich im gemeinsten Bewusstsein äussert, d. h. das Bewusstsein des moralischen Nexus ist das numerisch einheitliche Bewusstsein als solches. Diese Erklärung ist nicht identisch mit Fichtes oben erwähnter Behauptung, dass das Bewusstsein des moralischen Gesetzes, das „ein Mittleres“ des moralischen Nexus ist, numerisch eins ist. Wir können das so interpretieren, dass beide Erklärungen wahr sind, d. h., dass das Mittlere im moralischen Nexus mit dem Bewusstsein des moralischen Nexus selbst identisch ist. Damit der moralische Nexus in der Tat besteht, müssen sich die Beteiligten ihres moralischen Nexus bewusst sein. Deshalb muss sich nicht nur jeder des gleichen sittlichen Gesetzes bewusst sein, sondern auch dessen, dass alle sich des gleichen sittlichen Gesetzes bewusst sind. Nach dieser Interpretation können wir sagen, dass das Bewusstsein des moralischen Nexus das numerisch einheitliche Bewusstsein sein muss, weil das Bewusstsein des moralischen Nexus das ist, was Individuen miteinander verbindet. Wenn das Bewusstsein des moralischen Nexus ein individuelles Bewusstsein wäre, könnte es Individuen nicht verbinden. Fichtes Beweis mag noch nicht hinreichend sein, aber er zeigt uns eine aussichtreiche Richtung.
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BIBLIOGRAPHY Fichte, Johann Gottlieb (1999): Die Thatsachen des Bewusstseyns, In: Johann Gottlieb Fichte Gesamtausgabe. Hrsg. v. d. Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bd. II, 12. Hrsg. v. Reinhard Lauth, Stuttgart-Bad Cannstatt, S. 9-136. Zitiert als GA II/12 mit Angabe der Seitenzahl. - Ders . (1971): Zur theoretischen Philosophie II, In: Sämmtliche/nachgelassene Werke Hrsg. v. Immanuel Hermann Fichte, Bd. II, Bonn/Berlin 1971. Zitiert als FSW II mit Angabe der Seitenzahl. Irie, Yukio (1993): Dialektik und Entschluss bei Fichte. In: Fichte-Studien Bd. 5, S. 93-106. - Ders. (2001) :Studien zur praktischen Philosophie des deutschen Idealismus (Japanisch), Tokio. - Ders. (2007): Was fuhrt eine Radikalisierung des Idealismus herbei? Ein Grund der Veranderung der Fichteschen Wissenschaftslehre, (Japanisch), In: Dilthey-Forschung, Bd. 18, S. 38-54. Searle, John (1995): The Construction of Social Reality, The Free Press, New York, London.
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La réception de Fichte et de Schelling dans la phénoménologie de Michel Henry Frédéric Seyler
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Qu’est-ce qu’un phénomène, quelle est l’essence de la « condition phénoménale » et donc de l’apparaître ? C’est dans son premier ouvrage, L’essence de la manifestation,1 que Michel Henry entreprend de répondre à cette question. Cette recherche à la fois phénoménologique et ontologique est également le point de départ de la phénoménologie de la vie inaugurée par l’auteur. Par ailleurs, il s’agit du seul ouvrage de M. Henry dans lequel il est fait référence à Fichte et à Schelling. Si donc il y a une réception henryenne de ces deux auteurs, c’est bien dans L’essence de la manifestation qu’il convient de la chercher. Mais cette réception est également limitée en ce qui concerne les œuvres envisagées par M. Henry : la quasi-totalité des références et citations renvoie soit à l’ Initiation à la vie bienheureuse2, soit au Système de l’idéalisme transcendantal3.
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Pour circonscrite qu’elle soit, cette double réception s’inscrit parfaitement dans le projet de l’auteur : mettre en évidence le monisme ontologique et ses conséquences, pour ensuite proposer son remplacement par ce qui deviendra la thèse de la duplicité de l’apparaître, thèse qui repose sur celle de l’immanence comme essence originaire de toute manifestation ou révélation. Dans ce contexte, l’appréciation des œuvres de Fichte et de Schelling est double : d’une part, elles illustrent selon l’auteur de manière exemplaire les difficultés du monisme ontologique en les portant pour ainsi dire à leur paroxysme, mais, d’autre part, elles comportent le « pressentiment » de l’immanence comme essence de l’absolu, sans pourtant penser cette immanence comme fondement de la phénoménalité, c'est-à-dire aussi bien comme essence de la manifestation.
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1. La critique du monisme ontologique 3
Le § 11 définit certes ce qu’il faut entendre par monisme ontologique, mais en renvoyant aux analyses qui précèdent : « Les présuppositions ontologiques qui ont été exposées et pensées comme la condition de la phénoménalité et comme constituant à ce titre l’essence du phénomène, seront désignées dans la suite de cet ouvrage sous le titre de “monisme ontologique“ »4. Ce sont les § 9 et 10 qui précisent ces présuppositions en les résumant par les concepts de distance phénoménologique et de dédoublement de l’être. De quoi s’agit-il et en quoi Fichte et Schelling sont-ils concernés par ces analyses ?
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Comme l’indique l’intitulé du § 9, le monisme ontologique se caractérise d’abord par le fait qu’il détermine de manière unilatérale l’essence du phénomène à partir de la distance et du surgissement d’un horizon. La distance s’y trouve pensée comme étant la structure même de la phénoménalité : « L’être n’est phénomène que s’il est à distance de soi. L’œuvre de la distance phénoménologique comprise comme un pouvoir ontologique [...] est justement d’instituer l’intervalle grâce auquel l’être pourra s’apparaître à lui-même »5 . Mais cette manifestation de l’être est son existence, on voit donc sans peine pourquoi le réquisit de la distanciation/différenciation de l’être implique son dédoublement : « Parce qu’elle se fonde sur la distance, l’existence de l’être est différente de l’être lui-même. Elle en diffère justement comme ce qui est à distance de lui-même, elle est l’être lui-même, si l’on veut, mais à distance de soi, dans sa non-coïncidence avec soi, elle est l’être dans la différence »6.
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Paradoxalement donc, le monisme ontologique semble impliquer, en considérant la distance comme nécessité de la manifestation, un dualisme distinguant être et existence. En même temps, le statut de cette distinction est plus subtil qu’il n’y paraît au premier abord : comme le montre l’analyse henryenne de la troisième leçon de l’Anweisung, c’est en vertu d’une nécessité « interne » que l’être non seulement se manifeste comme existence, mais aussi que son être même consiste en cette manifestation. Si l’existence du mur est « son être en dehors de son être »7, c'est-à-dire image et extériorité de l’être par rapport à lui-même, elle est en même temps nécessité inhérente à l’être absolu dès lors que celui-ci « doit exister » (soll da sein)8. S’ensuit une intrication, pour l’être, de la présence et de l’aliénation : « L’essence de la présence est l’aliénation. La présence à soi de l’être est une avec sa séparation d’avec soi dans le devenir autre [...], dédoublement dans lequel [...] [il] entre ainsi dans la condition phénoménale de la présence »9. Or, cette présence n’est autre que la manifestation. Il n’y a donc de manifestation que comme perte simultanée : l’être s’échappe en même temps qu’il se donne et c’est pourquoi il peut être désiré10. Surmonter la séparation n’est cependant pas possible, puisqu’elle est la condition de la donation11. La dualité est ainsi également unité dans la mesure où « l’être n’existe que comme être-autre, mais le retour de l’autre dans le même, ou plutôt l’unité qui les relie et que Fichte appelle la vie, ne supprime pas leur dualité mais la présuppose comme son fondement ontologique et phénoménal »12. La différence comme condition d’apparition dans le champ phénoménal touche ainsi, selon l’interprétation henryenne de Fichte notamment, l’Être absolu lui-même, c'est-à-dire Dieu : celui-ci, sans son devenir autre, non seulement ne réaliserait pas sa vocation à se manifester, mais, à la limite, « ne serait rien que l’Ungrund non seulement le plus obscur mais le plus abstrait et, comme tel, quelque chose de tout à fait irréel »13. En vertu de sa vocation à se révéler, Dieu « se confond »14 avec ces conditions qui définissent l’ouverture du champ des phénomènes, il
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est le « mouvement même qui actualise cette vocation »15. De ce fait, l’essence de l’absolu est l’essence de la manifestation comme telle et s’identifie à la mise à distance de soi, au devenir autre de l’être dans l’existence16. La forme de l’existence étant la conscience17, il n’y a pas lieu d’opposer l’ontologie contemporaine, notamment heideggérienne, aux philosophies de la conscience18. 6
Mais l’essence de la manifestation ainsi comprise a aussi pour conséquence de se voiler à la conscience qui en est pourtant l’effectuation. Plus exactement, elle se donne toujours au savoir en tant que « ceci ou cela »19, c'est-à-dire en tant que détermination finie, mais non dans son absoluité. Dès lors que l’essence pure de la manifestation ne se réalise que « dans l’objectivation et sous la forme de la détermination finie »20, elle peut être comprise par Fichte comme « l’avènement même du monde dans sa diversité »21, c'est-àdire comme ensemble de déterminations ontiques. Nous retrouvons ici la dimension de perte inhérente à l’entrée dans la condition phénoménale : cette entrée est certes accomplissement, elle est cependant aussi transformation et, dans cette mesure, perte de son originarité. La non-révélation de l’absolu « en tant que tel » va ici de pair avec la même limitation s’appliquant à la conscience, car se saisir dans sa pureté serait pour elle saisir l’absolu lui-même22. Dès lors, conclut M. Henry, « la conscience pure ne parvient pas dans la condition phénoménale. La conscience absolue est inconsciente »23 ou, comme le dit Fichte, « toujours la forme nous voile l’essence »24.
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C’est dans ce contexte que s’effectue également la réception henryenne de Schelling : l’absolu n’étant pas divisé mais identité absolue sans division, il ne peut en tant que tel apparaître à la conscience. C’est précisément dans la conscience que l’absolu se divise pour apparaître, mais l’être même de cette division comme action ou production demeure caché à l’intelligence de la conscience : « l’intelligence doit se dégager complètement de la production pour que la conscience puisse naître »25. Cette production, ou plutôt : cette productivité, est cependant celle de l’intelligence elle-même. C’est donc, ici encore, la séparation d’avec soi, la mise à distance de soi qui constitue le réquisit de la phénoménalité. Il s’agit « d’une condition primitive qui fait alors surgir comme deux termes apparemment différents l’intelligence et l’action [...]. L’intelligence n’est [...] rien d’autre que la conscience de l’action, c'est-à-dire l’action elle-même dans son opposition phénoménale à soi »26. C’est pourquoi aussi la conscience n’est pas synonyme du sujet, mais bien du couple sujetobjet comme figure de la division. La conscience est la division sujet-objet, elle ne peut donc en être un des termes : « Le moi de la conscience n’est pas sujet pur, il est en même temps sujet et objet »27.
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Mais si « la conscience est l’acte par lequel le sujet pensant se devient immédiatement objet »28, il faut aussitôt préciser que pareille objectivation est toujours solidaire d’une détermination, qu’ « arriver à la conscience et être limité, c’est une seule et même chose » 29. Si la condition de la conscience est que l’essence de toute réalité comprise comme activité primitive et infinie devienne objet pour elle-même, il faut nécessairement que cette dernière « devienne [...] définie et bornée »30. Par conséquent, l’activité limitatrice, condition de l’apparaître, ne peut elle-même apparaître. Mais, dans ce cas, comment une philosophie de la conscience peut-elle en parler ? Selon M. Henry, Schelling ne peut lever ce paradoxe qu’en faisant de cette activité, c'est-à-dire de la conscience pure, « la condition phénoménale effective de l’objet »31. Autrement dit, le point de vue transcendantal est possible dans la mesure où, « par induction »32, le philosophe découvre
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l’activité limitatrice comme condition de possibilité de l’apparaître phénoménal et peut ainsi en affirmer la réalité à l’encontre de la conscience commune. 9
Derechef, cependant, on demandera : la conscience pure se trouve-t-elle atteinte en ellemême par le point de vue transcendantal, « parvient-elle en elle-même à la condition phénoménale ? »33 Il s’agit ici de la question, à notre sens capitale pour toute philosophie transcendantale, de l’accès au transcendantal34. Or, le paradoxe semble avoir été seulement repoussé, non levé : car si « le propre du point de vue transcendantal est de ramener à la conscience et de rendre objectif ce qui, dans tout autre ordre de pensée, de connaissance ou d’action, est absolument non objectif, c'est-à-dire échappe à la conscience »35, c’est à nouveau et forcément d’un « rendre objectif » que cet accès est tributaire. Dans ce cas, toutefois, il s’agit à nouveau d’une perte de l’ « essence pure », perte occasionnée par son devenir phénoménal : « Le transcendantal ne peut s’apparaître que sous la forme de l’objet du sens interne. À moins de confondre les deux, comme le fait Schelling36, il faut reconnaître qu’ici encore le devenir phénoménal de l’essence de la phénoménalité est l’autosuppression de cette essence pure »37. Le jugement est dès lors sévère : ne pouvant se donner la réalité qui pourtant les définit, les philosophies transcendantales de Fichte et Schelling n’ont pu « sauver l’absolu qu’en le rejetant dans un arrière-monde »38. C’est ce que M. Henry découvre également dans le devenir de la liberté chez Fichte : pour se réaliser, il lui faut déplacer la limite qui s’oppose à elle. Mais cela, elle doit le faire à l’infini puisque cette opposition est tout aussi bien la condition de son existence39. Toutefois, ce jugement est tempéré par un second aspect présent dans la réception henryenne de Fichte et qui concerne l’intuition de la structure interne de l’immanence dont le Wissenschaftslehrer aurait eu le pressentiment.
2. Le pressentiment de l'immanence 10
L’approche transcendantale de la phénoménologie renvoie, chez Michel Henry, à une critique de la médiation et de l’objectivation comme essence de la manifestation : ce qui est finalement désigné par monisme ontologique, c’est le fait que médiation et objectivation désignent une même structure ontologique qui remplit deux fonctions de manifestation, à savoir celle « par laquelle l’essence rend l’étant manifeste et celle par laquelle elle se manifeste elle-même »40. Or, le geste transcendantal consiste ici à marquer, au contraire, la « dualité » du mode de révélation : le mode de révélation de l’étant ne peut être le même que celui de l’essence, puisque ce dernier est la condition transcendantale du premier. L’essence ne peut révéler l’étant que dans la mesure où elle parvient d’abord en soi-même et cela selon un mode propre de révélation41. Celui-ci doit se caractériser par l’absence de médiation, autrement dit par l’immédiateté. Telle est la signification ontologique du concept d’immanence, comme le souligne l’intitulé du § 36.
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Il convient alors de préciser la structure interne de l’immanence. En quoi Fichte en a-t-il eu le pressentiment ? C’est principalement dans son approche de l’amour, ainsi que dans son opposition à la réflexion que se fait jour la pensée de l’absolu « non plus comme surgissement et devenir de l’existence dans l’altérité, comme être-à-l’extérieur de soi de l’être, mais au contraire comme la persistance et le maintien de celui-ci en lui-même »42. L’amour est à la fois source de toute réalité et figure de ce qui n’est pas séparé de soi. De ce fait, la réflexion, qui est division, ne peut l’atteindre qu’en la solidifiant43. Mais pareille solidification est perte de l’essence de l’amour car celui-ci est unité dans laquelle ne
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surgit aucune extériorité, c'est-à-dire immanence. D’où une « nouvelle philosophie de l’existence » chez Fichte44, existence qui « ne saurait être dépassé[e] et qui, ne pouvant ainsi se dépasser soi-même, ne peut non plus revenir sur soi pour se poser soi-même ni tenter de se déduire ou de se comprendre »45. 12
L’immanence, en effet, n’est pas seulement unité mais aussi impossibilité de la mise à distance de soi. C’est pourquoi l’introduction d’une distance phénoménologique signifie la perte du mode de révélation propre à l’immanence. L’existence dont il est ici question constitue l’être même de l’absolu46, non plus comme introduction d’une différence entre être et existence (puisque cette différence n’existe que pour nous)47, mais comme ce qui repose et reste en soi. Elle implique la pensée religieuse de Fichte pour laquelle c’est bien l’amour qui apporte la béatitude : « La béatitude est une expérience [...] ou plutôt l’existence elle-même telle que la comprend maintenant Fichte, et cela en tant qu’elle n’est rien d’autre que “l’absolu se supportant et se maintenant lui-même“, rien d’autre que l’amour »48. De même que l’amour est pouvoir de révélation de l’être de l’absolu49 en même temps qu’il en constitue l’existence : il suffit pour ainsi dire à l’absolu d’exister pour se révéler sur un mode immanent qui est justement celui de l’amour.
13 Le problème est toutefois de savoir comment il convient de préciser ce mode de révélation, problème d’autant plus capital du point de vue éthique et religieux que sa résolution doit permettre de comprendre s’il est possible que l’absolu puisse ne pas se manifester à nous ou que, si cette manifestation a lieu, nous puissions l’ignorer. Pressentant et présupposant un autre mode de révélation que celui de la mise à distance de soi, Fichte aurait, selon M. Henry, laissé cette découverte dans « l’indétermination de la nuit » pour finalement revenir au « concept régnant et traditionnel de la phénoménalité »50, à savoir celui de l’extériorité transcendante. Fichte affirme, en effet, que, sans la médiation de l’image, l’absolu n’est pas découvert et que celui qui ne vit pas dans cette image ne vit pas non plus en présence de l’absolu mais s’en tient pour cette raison aux « degrés inférieurs de la vie spirituelle »51. 14 Certes, l’être absolu est depuis toujours entré dans la vie réelle, mais, tant qu’il n’a pas pris la forme de l’image dans la pensée pure, il n’y est pas reconnu52. Mais l’intervention de l’image est tout aussi bien mise à distance de l’immédiateté de la vie divine en nous, elle l’éloigne tout en la reconnaissant. Or, cette limitation n’est pas imputable à l’homme, mais à la « vision », c'est-à-dire à la structure de la phénoménalité comprise comme extériorité : « Il n’y a pas de connaissance finie qui ne soit en son essence révélatrice de l’absolu. Si la transcendance repose sur l’immanence, celle-ci est présente, de par son œuvre propre, partout où il existe un rapport, en l’homme, par conséquent »53. L’absolu ne peut donc pas se manifester à l’homme dans deux cas seulement : soit parce que son pouvoir de révélation serait perdu « en l’homme », soit parce que l’existence humaine serait séparée de l’existence absolue. Mais c’est là, selon l’analyse de M. Henry, « une impossibilité eidétique [...] si l’existence de l’absolu est l’essence de toute existence possible en général »54.
Conclusion 15
Du point de vue henryen, il convient ainsi d’affirmer avec Fichte que la vérité, comme identique à l’existence en l’homme de l’absolu, « existe » et est « accessible aux hommes » 55, avec Schelling que l’essence de la présence doit s’être rendue présente à elle-même avant d’accueillir un contenu objectif56, mais, semble-t-il, contre eux que la structure interne de l’immanence doit être saisie « comme originairement révélatrice de soi,
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comme celle de la révélation »57. Cette structure, M. Henry la désignera comme affectivité ou auto-affection. En introduisant une dualité à la place du monisme ontologique, Michel Henry n’évite toutefois pas le problème éthique et sotériologique. Car, si toujours déjà l’absolu se révèle à nous dans l’immanence de l’affectivité vivante, comment expliquer que la vie puisse ne pas être identique à la béatitude ou, plus exactement58, qu’elle puisse ne pas être reconnue en tant que telle ? 16
En outre, la réception henryenne de Fichte et de Schelling ne manque pas de soulever des questions, notamment lorsqu’un point de vue fichtéen lui est en quelque sorte appliqué en retour. Ainsi, il conviendrait de préciser si l’amour tel que l’envisage Michel Henry dans sa réception de l’Anweisung reflète bien la conception fichtéenne de celui-ci. Car si, pour ce dernier, l’amour unit ce que la réflexion sépare, il n’en reste pas moins qu’une telle union ne revient pas à la négation de la différence des termes de l’union. Or, c’est cette différence qui semble précisément abolie dans l’immanence henryenne. À y regarder de plus près, toutefois, la distinction qu’établit M. Henry entre le vivant, d’une part, et la Vie absolue, d’autre part, est bien interne à l’immanence, ce que Michel Henry décrit parfois comme une « transcendance dans l’immanence ». C’est dire que la différence - et elle doit bien être maintenue, puisque le vivant n’est pas la Vie absolue est d’un autre ordre que celle qui se présente dans l’extériorité de la phénoménalité ekstatique. Elle est, au contraire, pensée comme une différence à l’intérieur de la vie conçue comme phénoménalité pathétique, c'est-à-dire comme affectivité.
17 Plus encore que le concept d’amour, c’est en fait l’opposition de ce dernier avec l’image et la réflexion qui mérite d’être interrogée à la lumière de Fichte : en effet, l’assimilation de l’image et de la réflexion à l’extériorité pure et simple ne semble plus possible dès lors que l’on tient compte du statut même de l’image comme manifestation de la vie immanente, et donc comme expression de celle-ci. Dans cette optique, la WL 1805 n’envisage pas la réflexion comme étant nécessairement synonyme de représentation dans l’extériorité, mais ouvre au contraire la voie d’une pensée de la présence de l’absolu dans la vie finie aussi bien que de sa différence avec celle-ci59. Comme le montrent ces remarques indicatives, la réception henryenne de Fichte et de Schelling ne peut être considérée comme le dernier mot dans l’étude des rapports entre l’idéalisme allemand et la phénoménologie de la vie. Au contraire, elles invitent à les réexaminer en profondeur, notamment en ce qui concerne les lignes de convergence possibles entre la pensée henryenne, d’une part, et celles de Fichte et de Schelling, d’autre part.
NOTES 1. HENRY, M., L’Essence de la manifestation, Paris, P.U.F., 2ème édition, 1990 ( l ère édition : 1963). Ciaprès :EM. 2. FICHTE, J. G., Die Anweisung zum seligen Leben, oder auch die Religionslehre, Hamburg, Meiner, 5. Auflage, 2001. Ci-après : ASL suivi du numéro de la conférence. Cette édition reprend la pagination de l’édition Medicus. Par ailleurs, nous indiquons entre parenthèse les pages de la
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traduction française par M. Rouché, traduction à laquelle se réfère Michel Henry, ainsi que la pagination de la Gesamtausgabe. 3. SCHELLING, F. W. J., Historisch-Kritische Ausgabe, Reihe I : Werke, Band 9,1, Stuttgart, Frommann-Holzboog, 2005. Ci-après : IT où nous indiquons les pages de la traduction française par P. Grimblot, traduction à laquelle se réfère M. Henry, ainsi que la pagination dans l’édition critique après le sigle HKA. 4. Ibid., p. 91. L’auteur souligne, de même par la suite lorsque rien n’est indiqué. 5. Ibid., p. 81. 6. Ibid., p. 82. 7. ASL, 3, p. 51 (142) ; GA I.9, p. 87. 8. Ibid., p. 52 (143) ; GA I.9, p. 87. 9. EM, p. 87. 10. On retrouve ici l’intuition centrale qui guide les développements de R. Barbaras dans Le désir et la distance. 11. « La volonté de se retrouver véritablement en surmontant cette séparation autrement que par sa propre médiation ne saurait être qu’une “passion inutile“. L’être est le désir de soi, il est sa propre nostalgie ». EM, p. 90. L’allusion renvoie évidemment à Sartre. 12. Ibid., p. 87 qui renvoie à ASL, 1, p. 12 (100) ; GA I.9, p. 56. 13. Ibid., p. 84. 14. Ibid. 15. Ibid. 16. Ici surgit cependant une difficulté si l’on tient compte, comme le fait d’ailleurs M. Henry, du soin que Fichte met à distinguer l’Être absolu et stable de l’existence avec laquelle il ne se mélange ni se confond (cf. ASL, 3, p. 52 (143) ; GA I.9, p. 87). À l’inverse, l’auteur invoque également d’autres passages où Fichte semble, selon lui, indiquer le contraire, à savoir la « non distinction » entre l’être en soi et son existence (cf. ASL, 6, p. 92 (187) ;ASL, 8, p. 121 (220-221). Cf. toutefois le récapitulatif important effectué par Fichte lors de la quatrième leçon, ASL, 4, p. 63 (155) ; GA I.9, p. 96 : la différence être / existence est comprise comme conséquence de notre limitation. 17. ASL, 3, p. 52 (143) ; GA I.9, p. 87. 18. EM, p. 94 : « [La philosophie de la conscience] est une avec l’ontologie contemporaine qui a su justement donner pour thème à sa recherche la condition ontologique de possibilité de l’étant et comprendre cette condition comme le milieu ontologique de vérité ». Et, p. 93 : « L’avènement de l’idéalisme moderne dissimule en fait l’apparition dans l’histoire de la pensée d’un mode nouveau et proprement philosophique de questionner, celui qui, s’interrogeant sur la condition de possibilité de la chose, propose ainsi à la réflexion, comme son objet propre, l’élucidation de la sphère ontologique de l’existence ». 19. ASL, 4, p. 66 (158) ; GA I.9, p. 98. 20. EM, p. 144. 21. Ibid. 22. ASL, 4 : p. 64 (156) ; GA I.9, p. 97 b) où il est question de l’entendement ; p. 68 (160) ; GA I.9, p. 99 f) : « la conscience absolue est justement par elle-même l’accomplissement immédiat, et pour cette raison, non plus conscient de cette transformation ». Avec toutefois, comme l’indique Fichte, un dépassement dans la pensée s’élevant au-dessus de la conscience immédiate réelle et permettant de « rétablir [...] la vie divine », p. 69 (161) ; GA I.9, p. 100. 23. EM., p. 145. 24. ASL, 5, p. 82 (177), GA I.9, p. 111. Notons toutefois que la religion doit venir surmonter cet obstacle en tant qu’elle est entrée en la vie divine « sous sa forme première et primitive, comme vie » ( ibid.). Cet aspect fait également partie de la réception henryenne de Fichte, comme nous allons le voir.
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25. IT, p. 205 et p. 212 : « Tant que l’intelligence ne diffère pas de son action, aucune conscience de celle-ci n’est possible » ;HKA p. 197 et p. 204. 26. EM, p. 97. Selon M. Henry, cette conception de l’être se dédoublant pour s’apparaître « domine en fait toute l’œuvre de Schelling et notamment sa dernière philosophie » (p. 98). 27. IT, p. 65 ; HKA, p. 82. M. Henry situe cette approche dans une double continuité : avec la pensée de J. Böhme en amont, avec celles de Hegel et d’une partie de la phénoménologie contemporaine en aval (Merleau-Ponty, Sartre et, surtout, Heidegger) ; cf. notamment : EM, p. 109. 28. IT, p. 34 ; HKA, p. 55. 29. Ibid., p. 65 ;HKA, p. 82. 30. Ibid., p. 53 ;HKA, p. 71. 31. EM, p. 146. 32. IT, p. 71 ; HKA, p. 88. 33. EM, p. 147. 34. Notons que cette question doit se poser également en ce qui concerne la phénoménologie matérielle de M. Henry. 35. IT, p. 9 ; HKA, p. 35. 36. M. Henry renvoie ici à Schelling : « Le seul objet immédiat du point de vue transcendantal est le subjectif, le seul organe de cette philosophie est le sens intime » (IT, p. 15 ; HKA, p. 40). 37. EM, p. 147. 38. Ibid., p. 148. 39. Ibid. 40. Ibid., p. 346. 41. « Que ce parvenir originaire de l’essence en soi-même ne soit pas constitué par l’objectivation, qu’il ne puisse, comme le veulent Hegel et Heidegger en être la conséquence, cela résulte justement de ce qu’il en est la condition » ( ibid., p. 347).
42. Ibid., p. 373 où Henry renvoie explicitement à la dixième leçon de l’ASL où Fichte évoque l’amour comme n’étant « rien d’autre que le maintien de soi par l’Être absolu » et la « source de toute certitude, [...] de toute réalité » (ASL, 10, p. 154 (256) ; GA I.9, p. 168). 43. ASL, 10, p. 154 (256) ; GA I.9, p. 169. 44. EM, p. 375. 45. Ibid. 46. Ibid. 47. ASL, p. 63 (155) ; GA I.9, p. 96 ;EM, p. 376. 48. EM, p. 377. 49. Ibid., p. 378. 50. Ibid. 51. ASL, 3, p. 55 (146) ; GA I.9, p. 89. 52. Ibid. 53. EM, p. 382. 54. Ibid., p. 383. 55. ASL, 11, p. 167 (271) ; GA I.9, p. 177. 56. EM, p. 345 (renvoyant à IT, p. 54 ;HKA, p. 73). 57. EM, p. 384. 58. Puisque la vie est « nécessairement bienheureuse, car elle est la béatitude », ASL, 1, p. 5 (99) ; GA I.9, p. 55. 59. Ainsi, par exemple : GA II/9, p. 249-250 : « In Summa : Gott selber unmittelbar ist im Ich ; u. er ist das Ich ; und das Ich ist der gesuchte und unmittelbare Berührungspunkt seiner selbst und seines Existirens. »
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Recht, Freiheit und Heteronomität / Droit, liberté et hétéronomité
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Rechtslehre bei Fichte und Schelling Takao Sugita
I. Fragestellung 1
Wäre Natuttechtslehte die Staatsgestaltungstheorie auf Grund von Naturgesetz und Naturrecht, so wäre det Geschlossene Handelsstaat die sozio-ökonomische Theorie des autarkisch-autonomen, souveränen Staats. Wenn wir Fichtes Rechtslehte von 1812 lesen, finden wir diese starke logische Kontinuität in der Absicht hinter den frühen politischen Schriften, Bestimmung det Gelehtten 1794, der Gtundlage des Natuttechts 1796, dem Geschlosssenen Handelsstaat 1800 und der Rechtslehte 1812. Doch natürlich können wir in der Rechtslehte von 1812 die von den Schriften aus den 1790er Jahren verschieden betonte Punkten und die in den 1790er Jahren gefundenen Ausdrücke finden. Aber verstehen wir diese als die kontinuierliche Vertiefung und Ausfeilung des Denken, und verstehen wir die Gedankenentwicklung aus der gründlichen logischen Kontinuität. Diese hermeneutische Methode ist wirksam für die immanenten Interpretation von Fichtes politischem Denken als Ganzes. Die Kontinuität in Fichtes Denken ist fast nicht erwähnt. Die Veränderung oder Diskontinuität wird dagegen oft überflüssig erwähnt. Ich verstehe diese Situation der Fichte-Interpretation nicht. Lesen wir nämlich die sozial-politischen und rechtlichen Texten in den Werken des frühen und späten Fichte, finden wir nicht nur die Veränderungen sondern auch die Kontinuitäten. Wir müssen den Weg einer Rekonstruktion von Fichtes Gedankens gehen.
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Beide im Grunde verbindende Grundbegriffe sind das ursprüngliche Recht der menschlichen Freiheit, und das Individuum im Staat (Staatsbürger) als Rechtssubjekt auf dessen Grund. Die Bildung als Vollkommen der Humanität vermittelt durch Staat ist als Staatszweck begründet. Der Gedanke des Rechts und Staats als die Anstalt für die Vollendung der Humanität und Gesellschaft ist in der Natuttechtslehte von 1796, im Geschlossenen Handelsstaat und in der Rechtslehte durchgesetzt. Die Rechtslehte von 1812 ist auf der Grundlage von diesen zwei Texten rekonstruiert.
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In diesem Beitrag möchte ich die Kontinuität Fichtes in zwei Texten der Rechtslehre bestätigen, und zuletzt einige Bemerkung über die Beziehung zwischen Fichtes
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Rechtslehre und Schellings Rechtslehre (d.i. Neue Deduction des Natuttechts von 1796) machen und die Bedeutung der Schriften über Rechts- und Staatsphilosophie in den neunziger Jahren des 18. Jahrhunderts in Deutschland betrachten.
II. Rechtslehre bei Fichte 4
Was ist das Rechtsgesetz? Warum haben wir das Rechtsgesetz nötig? Das ist das Hauptthema in Fichtes Rechtslehte. Nach Fichte führt die Tatsache, daß jemandes Freiheit die Freiheit und Persönlichkeit eines anderen stört, zum Rechtsgesetz, das die Störung zu beseitigt. Gibt es keine Gelegenheit zur Störung, gibt es kein Rechtsgesetz. Rechtsgesetz und Staat, als die Bedingung der Möglichkeit der persönlichen Freiheit, werden deduziert, und alle staatliche Verfassungen und Rechtssphären werden konsequent vertraglich begründet. In diesem Punkt besteht die Eigentümlichkeit der Deduktion des Rechts bei Fichte. Alle Verträge sind notwendig, es gibt keine Rechtsverhältnisse ohne Vertrag. Rechtsgesetz und Zwang als Zustimmung der Mitglieder im Staat äußern sich als Freiheit. Die Freiheit kann nicht bestehen ohne rechtlich-staatliche Systematisierung. Die persönliche Freiheit der Menschen ist dem Inhalte nach, nicht ein Gegenstand des Vertragens..... nur dadurch dass einzelne den Rechtsvertrag überhaupt, u. zuförderst den Eigenthumsvertrag abschließt, erhält er jene persönliche Freiheit, als Recht, andere verbindend, indem er nur durch diese Äusserung seines Willens in ein Rechtssystem tritt ( SW. X.509, GA. II.13.208). Darum müssen sie alle Rechtsgemeine wollen und sie wirklich errichten. Außerdem wollen sie nicht das Recht. Das Recht ist ein Gemeinbegriff, der nur durch gemeinshcaftlichen Einsicht aller entstehen ( SW.X,513, GA.II,13,211).
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Das Recht ist deshalb das den rechtlichen Zustand produzierende vernünftige Gesetz. Außer dem Staat ist kein Recht. Wo jemand das Recht wollen, entsteht der Staat als Mechanismus der Rechtsgemeinschaft. Durch den Vertrag und die Rechtsgesetze können die Bürger die innerstaatliche Freiheit erlangen. Nur durch seinen Beitrag zur Errichtung einer Staatgewalt zeigt sich jemand unwidersprechlich als ein rechtliches Subjekt; u. erhält Rechte, des Eigenthums sowohl, als seine persönlichen. Die Leistung dieses Beitrags allein ist die Rechtszueignung. Ohne ihn ist, auf dem blossen Gebiet der Rechtslehre jedweder rechtslos (SW.X,515, GA. II,13,212) Der Staatsbürgervertrag ist die eigentliche letzte und vollendete Bedingung der Rechtsfähigkeit. Es gibt kein Naturrecht, sondern nur ein Staatsrecht (SW.X,515, GA. II, 13,213)
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In welcher Beziehung steht das Sittengesetz zu dem Recht und dem Staat in der Rechtslehte? Erstens: in reiner Vernunft ist ein Rechtsgesetz nicht möglich. Denn wo die reine Vernunft herrscht, herrscht allgemein das Sittengesetz, dort ist kein Recht nötig. Wo das Sittengesetz vollständig herrscht, stören sich die Freiheiten der Menschen nicht gegenseitig. Deshalb ist dort Recht und der Staat nicht nötig. Das Rechtsgesetz findet drum nur, wiefern das Sittengesetz noch nicht allgemein Herrschaft: und als Vorbereitung auf die Herrschaft desselben. Die allgemeine Herrschaft des letztern (Sitttengesetz) abrogiert das erste (Rechtsgesetz)(SW.X,502, GA.II,13,202). Das Recht liegt vor dem Rechte durch das Sittengesetz, als die Bedingung seiner Erscheinung (SW.X,517. GA.II,13,214).
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Recht und Staat sind nötig sozusagen als vorbereitende Vorrichtung zu der Herrschaft des Sittengesetzes. Rechtsstände sind die Voraussetzung für die moralische Freiheit. Die vollkommene und allgemeine Herrschaft des Sittengesetz abrogiert Recht und Staat. Wir finden das gleichen Logik in der berühmten Äußerung in der Bestimmung der Gelehrten von 1794: Das Leben im Staat gehört nicht unter die absoluten Zweck des Menschen, was auch ein sehr großer Mann darüber sage; sondern es ist ein nur unter gewissen Bedingung statt findendes Mittel zur Gründung einer vollkommenen Gesellschaft. Der Staat geht, ebenso wie alle menschliche Institute, die bloße Mittel sind, auf seine eigene Vernichtung aus: es ist der Zweck aller Regierung, die Regierung überflüssig zu machen (SW.VI,306, GA.I,3, 37)
III. Freiheit und Zwang 7
Wie und Wodurch ist die Freiheit des Menschen garantiert? Der Staat ist die absolut zwingende und verpflichtende Anstalt, um die höhere Freiheit aller und die Unabhängigkeit aller von dem Staat zu sichern. Insofern ist der Staat gerechtfertigt. Aber die Freiheit des Individuums wird durch die Freiheit des Anderen leicht verletzt. Wie sind die Freiheiten aller miteinander gesichert? Dafür werden das gemeine Rechtsgesetz und der Staat als Zwang zur Freiheit produziert. Diese Freiheit ist das absolute Recht des Menschen. Er hat gar kein Recht, und es ist mit ihm der Rechtsvertrag gar nicht geschlossen, wenn ihm nicht dieses Recht gesichert wird. Der Staat ist nicht der Wille des Rechts, und ist kein Staat, wenn nicht jedem in ihm dieses Recht gesichert. Der Staat hat drum zwei durchaus verschiedene Seiten u. Ansichten. (Es ist wichtig diese zu unterscheiden u. vereinigen, die Vernachlässigung hat übel Folgen gehabt.) Er ist absolut zwingende und verpflichtende Anstalt; er hat Recht, oder eigentlicher er ist das Recht selbst, zu einer zwingenden Naturgewalt geworden. Dieses Recht hat er aber nur unter Bedingung einer Verpflichtung, die höhere Freiheit aller, die Unabhängigkeit aller von ihm, zu sichern. Ist dies nicht in ihm geleistet, so kann er nicht vor Recht reden, denn er verletzt den Mittelpunkt des Rechts, und ist selbst unrechtlich, er ist blosser Zwang und Unterjochung. (SW.X.539, GA.II,13, 226) .
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Der Staat bei Fichte ist der Zwangsstaat und der Staat als Zwangsanstalt für die Förderung der Bildung zur Freiheit. Dieser Staat ist scharf unterschieden vom willkürlichen Despotismus oder willkürlicher Unterdrückung. Was ist der Verbindlichkeitsgrund des Staates. Die absolute Freiheit aller muß gesichert werden durch den Staat, denn nur unter dieser Bedingung ist er ein Staat. Aber wie kann er das? Er kann es nur durch Anstalten für die Bildung aller zur Freiheit. Warum? Das ist aus folgendem Grunde. Diese Freiheit wird nicht ausdrücklich gefoerdert beim Schließen des ursprünglichen Bürgervertrages, denn zur sittlichen Freiheit kommt man erst durch die Rechtsverfassung hindurch: diejenigen drum, von denen vorausgesetzt wird, daß sie sich erst in die Rechtsverfassung begeben, haben nicht jene Freiheit, noch ihren Begriff. Sie nimmt diese Freiheit unter das Recht. Denn das Recht ist die Bedingung zur Freiheit. Aber der Staat kann nicht eine Freiheit, die nicht ist, er kann nur sicher die Möglichkeit ihres Werdens. Geschieht durch Anstalt zur Bildung der Freiheit für alle, und dadurch, daß man sie in die Möglichkeit setzt, sie zu benutzen.(SW.X.540, GA. II.13,227-228). Wir verstehen auf diesem Kontext die Freiheit und den Zwang zur Vernunft bei Fichte. Hier finden wir die Freiheit und die Autonomie der Vernunft, die die fundamentale Idee der Aufklärung ist. Recht und Staat wird diskutiert als das auf die Vervollkommnung des Menschen zielende aufklärerische Modell des Vernunftstaats.
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Ihr sollt aber da (im Staat) seyn, erhalten werden, weil schlechthin (seyn) soll die Sittlichkeit, die Realisation des göttlichen Bildes, und es zu dieser nicht kommen kann ausser durch euch. Ist aber lezte Zwe(c)k, der Rechtsverbindung, so muß er auch erreicht werden können durch sie. und daß es Absicht sey, sie zu erreichen, muß jedem, der es verstehen kann, klar vor Augen gelegt werden können ( ebd.228). Der Staat ist Allgemeine Bildungsanstalten für alle, und zur Freiheit. zum Mögen (SW.X.541, GA.II,13,228).
IV. Kontinuität zwischen 1796/97 und 1812 9
Wenn das Prinzip des Rechts und Staats sich wie oben beschrieben verhält, so ist das sozio-ökonomische innere Konstruktionsprinzip des Staates bestimmt auch ähnlich. Fichte hält die Arbeit für wichtig. Aber seiner Gesichtspunkt von der Kontrolle der Arbeiten und Berufsstände, Streitpunkt von Besitz des Boden durch den Staat und die Verleihung dem Bauer durch den Staat werden aus späteren sozialistischen Gesichtspunkt interpretiert. Aber wir können nicht die Gründe in Fichtes Texte finden. Die Rede für Fichte ist nicht von der Möglichkeit des Besitzes des Bodens, sondern von der Möglichkeit des ausschließlichen Gebrauchsrecht des Ackers. Das ist die Möglichkeit, leben zu können, als freier Menschen. Wir verstehen diese Bedeutung auf dem Hintergrund der Grundlage des Naturrechts. Der höchste und allgemeinste Zweck aller freien Tätigkeit ist sonach der, leben zu können. Diesen Zweck hat jeder; und wie daher die Freiheit überhaupt garantiert wird, wird er garantiert. Ohne seine Erreichung würde die Freiheit, und die Fortdauer der Person, gar nicht möglich sein( SW.III,212, GA.I,4,22). Leben zu können ist das absolute unveräußerliche Eigentum aller Menschen. Es ist der Grundsatz jeder vernünftigen Staatsverfassung: Jedermann soll von seiner Arbeit leben können(ebd.). Die ursprüngliche Bedeutung und der Zweck der rechtlichen Garantie der freien Tätigkeitssphäre der Sinnenwelt wird diskutiert im Gesichtspunkt der ursprünglichen menschlichen Freiheit und des Existenzrechts der Menschen. Das ist die „Vorzeigung“ der rechtlichen staatlichen Bedingung zur menschlichen Existenz und Freiheit und des soziokonstruktiven Modells.
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Die Geschlossenheit des geschlossener Hndelsstaat ist der verkehrte Ausdruck der Unabhängigkeit (oder Autonomie) des Staates, und das ideale Modell, als ein System entworfen, soll das allgemeinen Existenzrecht aller als die Bedingung der Freiheit aller, des Arbeitsrechts aller, der Bildung und Entwicklung des Vermögen aller und der Wohlfahrt dauernd garantieren. Dabei müssen wir Rücksicht darauf nehmen, daß Fichte Kritik an dem altständischen Erbschaft des Vermögen und Berufs übt, sowie an dem Luxus und der Verschwendung, die die wirtschaftlichen Unabhängigkeit und Zirkulation im Gemeinwesen verletzen. Recht ist ein Wechselbegriff der Freiheit mehrerer, ihr sie vertragende Synthesis: nur wo Streit dieser, da sie.(SW.X,529, GAII,13, 221). Jeder hat das Recht der Selbsterhaltung. Sobald jemand nicht leben kann, ist in Beziehung auf ihn kein Kontrakt (SW.X. 531, GA. II,13,222). Jedem muß drum nach Befriedigung seiner eigenen Nothdurft, und Erfüllung seiner Bürgerpflichten noch Freiheit übrig bleiben für frei zu entwerfende Zweck (eigentlich zunächst für freie Bildung, u. Bildung zur Freiheit) ist das absolut persönliche Recht, das kein Vertrag verletzen darf, für dessen Sicherung vielmehr der ganze Rechtsvertrag ist (SW.X535-536,GA. II,13,224).
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V. Freiheit und Recht bei Schelling 11
Wir haben in den neunziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts die wichtigen Schriften über Rechtslehre. Nämlich Metaphysik der Sitten, 1. Theil, Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre von Kant (1796), Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre von Fichte (1796/97) und Neue Deduction des Natuttechts von Schelling (1796), und können ihren auch Philosophie des Rechts von Hegel (1821) hinzufügen.
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In welchem Kontext müssen wir diesen Schriften lesen? Sind diese Schriften nur die Anfänge ihrer großen metaphysischen philosophischen Schriften? Nein. Sie sind die Ergebnisse der kritischen Rezeption des großen geistigen Erben der Aufklärung und die der Reflexion der Ideen und Wirklichkeit der französischen Revolution . Sie sind die durch kritische Betrachtung über die Vergangenheit und dasselbe Zeitalter entworfene politischen Philosophien. Mit diesen Texte beginnen die Reformprojekte in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Außer der Neuen Deduction des Naturrechts, hat Schelling kein spezielles Werk zur Recht oder Staatsphilosophie verfasst. Aber wir können das Politische in vielen Texte bis seinen späten Jahren bei Schelling erahnen. Das Problem ist in welchen Texten wir das Politische bei Schelling erkennen.
13 Laut H. J. Sandkühler, ist Freiheit der Ausgang- und Endpunkt der ganzen schellingschen Philosophie. Dies gilt auch für sein politisches Denken. Nun kann sich Freiheit überhaupt nur durch ursprüngliche Autonomie ankündigen ( Neue Deduction §8) Nach Sandkühler, ist Schellings Einstellung zum Politischen geprägt von einem Gegen — gegen Revolution und gegen Utopien, ohne aber auf die Dimension Zukunft zu verzichten, Seine Äußerungen zu Recht und Staat und zum Politischen sind oft nur aufgrund ihrer politischen Zeitgebundenheit, nicht aber in der Perspektive der Systematik seiner Theorie beurteilt worden. Die philosophische Theorie und das Politische bilden bei Schelling einen wechselseitigen Wirkungszusammenhang. 14
Wir können das Echo Fichtes in der folgenden Thesen Schellings hören. Wir finden die Entstehung der ursprünglichen Menschen Freiheit und Recht als allgemeine Wille bedingt durch individuellen Willen ( Neue Deduction§34). Das höchste Gebot aller Ethik ist , daß Kein vernünftiges Wesen als bloßes Objekt, sondern als mithandelndes Subject gesetzt werde (§45). Insofern ich diesem Gesetz gemäß handle, verläugne ich meine Individualität, d.h. ich höre auf, meine Freiheit der Freiheit andrer moralischen Wesen entgegenzusetzen. Aber ich höre nur deßwegen auf meine Freiheit der Freiheit anderer moralischen Wesen entgegenzusetzen, damit umgekehrt diese aufhören, ihre Freiheit der Meinungen entgegenzusetzen (§46). Hier sehen wir die ethische und rechtliche Wechselseitigkeit der Subjekten der Freiheit. Rechts- und Staatsfunktionen hätten keinen Wert in sich und seien nur als Mittel zum Zweck der Freiheit des Individuums akzeptabel. Nun behaupte ich, indem ich die Selbstheit des Willens behaupte, nichts anders, als mein Recht. Also wird jede Behauptung meines Rechts gegen einen widerstreitenden Willen, zugleich Aufhebung dieses Willens, d.h. Zwang desselben. Also wird Mein Recht im Gegensatz fremden Willen notwendig zum ZwangsRecht(§ 150).
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15 Der Individualistische Freiheitsbegriff und die Wechselseitigkeit der Freiheit produciert den allgemeine Willen aller, und der Wille wird das Recht, sodann der Staat als Zwangsanstalt des allgemeinen Wille, d.i. das Recht entsteht als allgemeinen Übermacht für die Sicherung der Freiheit aller. Recht und Staat bei Schelling sind auch Mittel und Anstalt zur Realisierung der Freiheit wie bei Fichte. Das Hauptthema der Rechtslehre bei Fichte und Schelling ist die Freiheit des Individuums. Das ist das aund das w. Recht und Staat ist nur die Vermittlung und Funktion für die Sicherung und Realisierung der Freiheit des Menschen. Das ist das charakteristische Merkmal bei Fichte und Schelling. Nur zur Verwirklichung und Vervollkommnung der Freiheit des Individuums oder aller gibt es Recht und Staat. Es gibt das Kritische Verhalten gegen das tatsächliche Recht und den Staat um 1800 wieder.
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Droit, liberté et hétéronomie. Fichte et Schelling en 1796-1797
Délia Popa
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À côté des trois premiers écrits philosophiques schellingiens1, la Neue Deduktion des Naturrechts de 1796-1797 occupe une place qui n’a pas encore été suffisamment déterminée par la critique, à cause de son caractère inachevé et aporétique, de la position juridique et politique ambivalente qui s’en dégage et de l’apparente incongruité qu’elle semble manifester avec la position schellingienne ultérieure, notamment celle de la période de la philosophie de l’identité2. C’est dans cette ambiguïté du traité schellingien que nous voudrions ancrer la problématique de notre propos, afin de souligner la spécificité de la position de Schelling par rapport à celle que Fichte a développée au même moment, eu égard à une réflexion sur les actions collectives qui prend en compte aussi bien leur mode de réalisation que leurs éventuels blocages. Ainsi, plutôt que d’insister sur les nombreux points communs des deux traités du droit de 1797 - la critique du droit naturel, la défense de l’autonomie du droit par rapport à la morale, ou encore les solutions proposées pour régler le difficile rapport entre les libertés individuelles - nous allons essayer de dégager ici quelques différences qui permettent de mettre en évidence l’intérêt d’une nouvelle lecture du traité schellingien.
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Pour rendre compte de la difficulté du texte schellingien sur le droit, certaines interprétations envisagent sa contribution sur le droit à la lumière d’une crise qui se serait produite dans le parcours de son auteur : ce texte témoignerait ainsi d’un tâtonnement du jeune Schelling sur le terrain juridique, qui aurait pris fin avec la découverte du traité fichtéen3 ; ou alors, sur le fond d’une insatisfaction face à la solution proposée par Fichte, sa rédaction n’aurait été abandonnée que pour permettre l’élaboration d’une nouvelle perspective sur le droit dans le Système de l’idéalisme transcendantal de 1800 et dans les œuvres qui l’ont suivi4. Sans discuter ici ces deux thèses, nous allons privilégier dans ce qui suit une voie interprétative quelque peu différente, qui invite à lire le texte schellingien dans la continuité de ses trois premiers écrits, comme le dernier élément d’une série de quatre étapes à travers lesquelles Schelling pose les jalons de son chemin de pensée, en précisant de manière progressive son rapport à Fichte. Si l’on suit cette perspective herméneutique, son texte sur le droit peut être lu comme un
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premier pas franchi dans la direction d’une distance prise par rapport à Fichte, dont les enjeux restent encore à interroger.
1/ Le conflit des libertés et le droit à la contrainte. 3
Définissant l’être raisonnable comme le principe d’une action qui s’exerce tout d’abord sur elle-même, Fichte fait ressortir son individualité à partir du rapport pratique qu’un tel être entretient avec ce qui excède la sphère du déploiement inconditionnel de sa liberté. Toutefois, le domaine du Non-Moi n’est pas un corrélat passif de l’action du Moi, mais un principe qui participe à l’éveil de la conscience de soi et de sa liberté pratique. Forme qui désigne généralement le régime de l’altérité qui limite et oriente tout rapport à soi, le Non-Moi comprend le corps propre, puis les êtres qui agissent en obéissant à des lois organiques (la liberté des autres individus rationnels) et ensuite ceux qui suivent des lois purement mécaniques (la nature)5. Si les rapports que nous entretenons avec cette dernière forme d’altérité sont des rapports de subsomption, ceux que nous entretenons avec l’altérité des autres hommes sont des rapports d’action et de passion réciproque qui nous déterminent dans notre être et dans la pratique de notre liberté ; si bien que c’est en vertu d’un appel qui nous vient d’un autre être raisonnable que nous nous découvrons comme êtres disposant d’une activité mue par une causalité libre.
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La pratique de la liberté procède ainsi de la reconnaissance d’une auto-limitation qui conditionne l’évolution de toute subjectivité. Si notre propre rationalité ne se révèle au niveau de la conscience de soi que sous le coup de l’impulsion qu’une autre liberté exerce sur elle, c’est parce que Fichte définit d’emblée l’activité individuelle comme « contrainte et assujettie »6, comme matériellement déterminée et limitée. En déduisant l’intersubjectivité de la position de l’activité libre, Fichte ne fait pas que souligner l’autolimitation à laquelle cette dernière doit s’astreindre, mais vise également la source de la contingence des rapports sociaux, qui exigent une régulation fondée sur la reconnaissance réciproque des libertés7.
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Le droit assure une limitation de la liberté de chacun à partir de la liberté d’autrui et garantit ainsi une issue à l’aporie du conflit matériel des libertés différente de celle proposée par la morale. Là où la morale exige et sanctionne, le droit ménage les possibilités et fixe les conditions qui les rendent praticables par tous. Le droit vise à préciser les conditions pratiques de l’action commune, alors que la morale se contente de prescrire les obligations et les contraintes qui dérivent de ces conditions au niveau individuel. C’est pourquoi le droit ne peut revêtir une forme catégorique : son rôle est de préparer les conditions des interactions qui définissent une sphère du commun où la liberté de chacun n’est jamais à sacrifier. Cette condition positive du maintien mutuel de la liberté dans la totalité de l’expérience possible justifiera cependant, négativement, une certaine alliance de la force et de la raison au sein du concept du droit, en légitimant en dernière instance la contrainte exercée sur ceux qui ne le respectent pas.
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L’argument en faveur de cette alliance est que le droit rend compte uniquement de ce qui rentre dans la sphère « d’une relation entre des êtres raisonnables »8, relation qui ne dépend en rien de l’inflexion que peut prendre, spontanément ou sous le coup d’un impératif moral, leur volonté. C’est « l’action réciproque réelle »9 des êtres raisonnables qui intéresse le droit, avec son corollaire de conséquences et de réactions, dont la portée concrète doit être constamment réévaluée. Effectivement, ce n’est pas la seule observation des conditions formelles qui doit occuper le droit : si la question des
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conséquences des actions libres dans un cadre collectif se pose à lui avec acuité, c’est parce que les conditions matérielles de ces actions sont également à prendre en compte. Toute action se heurtant à une résistance, dont la première étant celle de notre propre corps10, il apparaît que la liberté d’autrui n’est pas seulement l’impulsion (Anstoss) première de ma position égoïque et de mon action, mais aussi une « matière subtile »11 sur laquelle je peux agir par la simple force (de même que l’autre peut agir sur ma propre liberté). C’est cette ambiguïté du statut de la liberté, à la fois appel adressé à la liberté d’autrui et support de la puissance aveugle de la force, qui donne au droit sa spécificité négative12. 7
S’appuyant sur le principe rationnel de la réciprocité des libertés, le droit se présente comme une « première forme d’aliénation »13 à laquelle la liberté doit se soumettre dans l’intérêt de sa durée dans le temps et de sa cohérence dans la totalité de l’expérience à venir. Contrairement à l’universalité de la moralité, le droit s’occupe seulement de ces situations où le principe de la réciprocité des libertés menace d’être transgressé. Ainsi est-il compris comme droit de contrainte sur celui qui n’en reconnaît pas la validité afin de rétablir avec lui une communauté rationnelle14. La décision pour la liberté dans l’action commune trouve ainsi sa condition dans un premier stade de la théorie fichtéenne de la pluralité sociale qui assure l’autolimitation mutuelle des diverses sphères d’activité15.
2/ L'auto-affirmation multiple de la liberté. 8
Là où Fichte cherchait à rendre compte du caractère pratique de l’intuition théorique, en la décrivant comme un principe d’action, Schelling conçoit la philosophie pratique comme un complément positif de la philosophie théorique16. Le principal problème posé par cette dernière réside dans la démarche objectivante, qui impose des bornes et des entraves à l’affirmation inconditionnelle de la liberté. Le domaine de la philosophie pratique est dès lors compris comme celui de l’exercice immanent de la liberté, qui cherche à réaliser son inconditionnalité « à travers une pratique infinie »17.
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Comme chez Fichte, l’individuation de la liberté s’entame à partir d’une rencontre avec une autre liberté : il s’agit de l’hétéronomie de l’autonome, à distinguer clairement chez Schelling de l’hétéronomie de l’hétéronome, à savoir la nature comprise comme ensemble de lois mécaniques. Mais cette double forme de manifestation de l’hétéronomie n’entraîne pas une perspective dualiste, raison pour laquelle l’effort de réalisation de la liberté ne pourra pas être assuré ici par un pacte entre l’ordre inconditionnel du rationnel et le jeu aveugle des forces physiques. La force, comprise par Schelling comme puissance, participe au mouvement d’affirmation de la liberté, qui ne peut être supprimé, mais seulement « détourné » par une inversion interne18. Etant donné que l’aliénation de la liberté est contenue dans les possibilités du développement intrinsèques de son mouvement, ce n’est pas une nouvelle forme - extérieure et contractuelle19 - d’aliénation qui pourra la prévenir ou la suspendre, mais un travail actif sur les conditionnements internes qui entravent son affirmation. Ce qui chez Fichte faisait son apparition comme conséquence inévitable de la sauvegarde de l’entente rationnelle, est déjà chez le jeune Schelling le titre d’un problème que la théorie du droit est appelée à résoudre.
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La réalisation de l’inconditionné qui incombe à la liberté passe par un effort (Stteben) empirique qui contredit nécessairement les autres efforts empiriques20. Or, la finalité de l’aspiration morale c’est de trouver dans l’autre un « sujet co-agissant »21, d’entrer donc
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avec lui dans une relation de réciprocité qui dépasse la nécessité mécanique de la contrainte. Pour résoudre ce problème, la philosophie morale exige une renonciation à la liberté empirique individuelle au nom de la liberté absolue ou générale. Mais, étant limitée aux commandements qui concernent la conscience individuelle, la morale ne parvient pas à rendre compte du fonctionnement réel de la communauté que celle-ci forme avec les autres libertés. Le problème de la cohésion de la pluralité des libertés reste ainsi pour elle sans solution. 11
Par rapport à la morale, le problème de l’éthique est inverse : visant à fonder un horizon commun de partage entre les diverses sphères de liberté, elle ne parvient pas à reconnaître au sein de cet horizon l’individualité de chacune de ces sphères. C’est pour répondre à cette exigence qui ne peut être satisfaite sur le terrain de l’éthique, que la fonction positive du droit sera introduite, en affirmant l’individualité de la volonté selon sa forme, là où la morale exigeait son sacrifice selon sa matière22. Cette distinction entre les deux dimensions de la volonté déplacera l’enjeu de la question juridique vers une affirmation du principe inconditionnel de la liberté contre tout système factuel de contrainte. Effort externe (physique) ou interne (psychologique) qui tend à supprimer l’ipséité de la volonté, symptôme d’une hétéronomie détachée de tout exercice de l’autonomie, la contrainte est l’élément que la liberté individuelle doit éviter dans son mouvement d’auto-fondation et dont elle doit se défendre dans sa pratique23.
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Entre le domaine pratique de la morale et le domaine théorique de la possibilité, le droit s’institue en point de charnière qui relie les actions à leurs principes, tout en leur octroyant une forme de réalisation qui tient compte de l’ipséité de l’agent qui assure leur concrétisation. Ainsi, son rôle ne se limite-t-il pas au rappel de la pure possibilité des principes de la liberté : c’est la réalisation de ces principes qui occupe le droit, en exploitant une « possibilité pratique (praktische Möglichkeit)»24 dont il faut souligner la problématicité. À l’irrésolution négative de l’éthique correspond ainsi l’irrésolution positive du droit, car de même que l’éthique accuse l’impossibilité d’identifier la liberté individuelle à la liberté universelle, le droit fait ressortir la difficulté d’identifier la liberté universelle à la liberté individuelle25. Dès lors, leurs tâches conjointes composent le thème d’un travail en cours et ce qui apparaît comme inconcevable au niveau théorique l’identification, dans les deux sens, de la volonté singulière et de la volonté universelle devient le but d’une pratique qui cherche à engendrer le commun à partir de l’affirmation des ipséités26.
3/ L'opposabilité des libertés 13
Si, en posant les bases d’une nouvelle théorie du droit, Fichte et Schelling poursuivent en 1797 des objectifs différents, c’est tout d’abord parce qu’ils ne partagent pas la même conception du droit naturel qu’ils critiquent : là où Fichte le comprend comme droit originaire à une liberté individuelle infinie, fiction théorique qui ne peut trouver d’applicabilité pratique27, Schelling le conçoit comme régi par « de pures lois naturelles » 28 qui menacent l’ipséité de la volonté. Pour Fichte le droit ne peut se concevoir comme « droit de penser ou de vouloir librement », mais uniquement comme « un droit de la conservation sensible de soi » ou encore comme « droit de contrainte contre celui qui nous agresse dans notre corps »29 - détermination du droit que Schelling cherche à dépasser30.
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14 La différence entre les deux conceptions de la liberté qui se dessinent ainsi n’est pas uniquement celle entre une liberté positive, qui cherche à s’incarner dans l’histoire pour pouvoir se vivre31 et une liberté négative, que le droit doit conforter dans la durée, mais aussi entre une liberté qui s’accomplit à chaque fois dans l’immédiat et une liberté dont la réalisation ne peut être confirmée que dans l’avenir. Dans le premier cas il s’agit d’un principe pratique d’auto-affirmation qui cherche à se déployer à tout moment de l’action humaine ; dans le deuxième, d’un principe de cohérence de l’expérience, qui doit trouver ses vérifications dans le temps total d’une existence, et que nul moment précis ne peut garantir entièrement. C’est cette condition temporelle de la liberté qui fait endosser à la théorie du droit de Fichte le rôle d’une « nécessité semblable à un mécanisme et évacuant absolument toute possibilité d’exception »32. 15
Se demander si l’autolimitation ne peut trouver une motivation qui soit interne à la réalisation individuelle de la liberté revient à remettre en question à partir d’un point de vue schellingien l’appartenance de la solution fichtéenne au champ de la philosophie pratique. Si l’on considère en effet la critique radicale par Schelling de la philosophie théorique comme domaine de l’objectivation, ce qui se présente chez Fichte comme une subsomption du domaine de la philosophie théorique au domaine de la philosophie pratique ne parvient pas à écarter un certain investissement du champ de la philosophie pratique par la raison théorique, dans la mesure où les manifestations de l’hétéronomie qui transgressent la cohésion établie entre les diverses sphères de liberté sont anéanties par le droit de contrainte.
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Cependant, la question de la réalisation pratique de la liberté dans un régime de pluralité rend possible une autre perspective, au sein de laquelle le point de vue de chaque ipséité évolue au sein d’un horizon commun, en participant à son devenir et en l’infléchissant à partir de sa propre auto-transformation. De cette philosophie pratique en amorce, l’éthique et le droit sont les premières expressions, la première en ce qu’elle thématise la constitution du domaine du commun, le deuxième en ce qu’il y reconnaît et cultive une dimension ipséique et dynamique. Conjugué au droit, le stade intermédiaire de l’éthique permet de poser les bases d’une approche de la constitution de la communauté pensée positivement comme décision et action partagées et non simplement négativement, comme sécurité réciproque33. Ainsi, le traitement de l’affirmation de l’autonomie dans le régime de l’hétéronomie emprunte une autre voie que celle de la limitation des manifestations de ce qui dépasse son articulation rationnelle, pour y voir la condition d’une auto-transformation à partir de la potentiation de l’engagement subjectif les uns auprès des autres. La rationalité même du partage des libertés en régime de pluralité peut être analysée génétiquement à partir d’une auto-réflexion dont l’hétéronomie est la condition positive.
17 Cette perspective peut être étayée à partir d’une considération du rôle de la résistance. Aussi bien chez Fichte que chez Schelling, la forme universelle de la liberté à laquelle les volontés commune et individuelle sont à rapporter doit être pensée à partir de l’effort ( Streben) de chaque volonté et de la résistance (Wiedefstand) par laquelle elle éprouve toute forme d’altérité. L’autolimitation de la liberté se présente ainsi comme solidaire de son opposabilité (Entgegenstreben) à partir de la résistance. Éveil à l’hétéronomie qui rend possible l’exercice de l’autonomie, la résistance peut être envisagée comme la condition empirique négative de l’empiètement des libertés, qui impose la nécessité de la contrainte. Toutefois, cette condition négative de la résistance trouve son corrélat dans le rôle positif qu’elle peut endosser, grâce auquel la passivité se convertit en activité et la
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nécessité en spontanéité34. Participant au processus d’apprentissage pratique par lequel chaque liberté affirme son ipséité, la résistance est le symptôme de l’hétéronomie qui intègre cet apprentissage à une communauté d’action. De l’autonome à un autre autonome, un pacte d’apprentissage mutuel s’établit alors, dans une réflexivité de l’acte où le commun se réinvente. C’est ainsi de l’affirmation d’une liberté qui se réfléchit à l’aune de ce qui lui résiste que Schelling semble avoir cherché à poser les jalons, si toutefois on s’accorde pour inscrire le caractère problématique du droit dans un processus où la liberté n’est pas seulement à sauvegarder et à défendre, mais aussi à augmenter et à transformer.
NOTES 1. Voir F. W. J. schelling , Premiers écrits, tr. J.-F. Courtine, Paris, PUF/Epiméthée, 1987. Les textes de Fichte auxquels Schelling semble se rapporter en premier sont la Doctrine de la science de 1794 et le Précis de ce qui est propre à la Doctrine de la science au point de vue de la faculté théorique de 1795. 2. Il s’agit surtout des Leçons sur la méthode des études académiques (1803) et du Système de toute philosophie (1804). Cette divergence de perspectives dans le parcours de Schelling est remarquée par J. rivelyague, Schelling et les apories du droit dans Schelling. Cahiers de philosophie politique, n° 1/1983, Bruxelles, Ousia, 1983, pp. 15-16. 3. Voir en ce sens X. tilliette , Une introduction à Schelling, Paris, Honoré Champion, 2007, p. 26. 4. Cf. J. rivelyague, Schelling et les apories du droit dans Schelling. Cahiers de philosophie politique, op. cit., pp. 15-16. 5. Pour cette distinction voir J. G. fichte , Conférences sur la destination du savant, tr. fr. J.-L. Vieillard-Baron, Paris, Vrin, 1969, p. 47. 6. J. G. fichte , Fondement du droit naturel, tr. fr. A. Renaut, Paris, PUF/Quadrige, 1984, p. 35. Souligné dans le texte. 7. Ibidem, pp. 61-62. 8. Ibidem, p. 69. 9. Ibidem, p. 70. 10. Ibidem, p. 75. 11. Ibidem, p. 85. 12. Cette ambiguïté a été exploitée par Hegel dans la critique qu’il adresse à Fichte dans son cours sur la Différence des systèmes philosophiques de Fichte et de Schelling, tr. fr. M. Méry, Paris, Vrin, 1952, p. 130 sq. 13. Ibidem, p. 119. 14. Ainsi compris, il « légitime celui qui a été traité contrairement au droit à traiter arbitrairement l’agresseur. », ibidem, p. 106. Fichte établira cependant une stricte dépendance de ce droit de contrainte par rapport au droit de juger rationnellement et souligne la distinction à faire entre le droit de contraindre qui appartient à la sphère juridique et le devoir de contraindre qui relève de la sphère morale (Ibidem, pp. 110-111). 15. Il s’agit du stade de l’intercorporéité, dont le rôle est de préparer la base matérielle de l’interpersonnalité. Cf. M. maesschalck, Philosophie de l’action et intersubjectivité. Fondements de la pensée politique de Fichte in Science et esprit, XLIV/1, 1992, pp. 25-44.
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16. « Ce que je ne peux pas réaliser théoriquement, je dois le réaliser pratiquement. » F. W. J. Nouvelle déduction du droit naturel, tr. fr. S. Bonnet et L. Ferry dans les Cahiers de philosophie politique, n°l/l983, Bruxelles, Ousia, 1983, §1, p. 96. 17. Ibidem, §16, p. 99. 18. L’inversion interne du mouvement de l’existence à partir de son fond de puissance sera décrite dans les Conférences de Stuttgart comme source du mal, dans lequel disparaît « tout ce qui est naturel ». F. W. J. schelling , Œuvres métaphysiques, tr. fr. J.-F. Courtine et E. Martineau, Paris, Gallimard/nrf, 1980, p. 244. 19. Aux théories du contrat social, Schelling oppose l’idée que la volonté ne peut pas être déterminée, car elle « échappe à l’infini » à toute objectivation. Tout pacte qui voudrait fixer l’affirmation de la liberté par des volontés différentes exigerait ainsi « une suite infinie de contrats , dont chacun confirmerait le précédent, mais aurait besoin d’une nouvelle confirmation ». Cf. F. W. J. schelling , Nouvelle déduction du droit naturel, op. cit., la note du § 85, p. 111. 20. « Une activité empirique sans bornes en l’un pose une passivité empirique sans bornes en l’autre ». Ibidem, § 25, p. 100. 21. Ibidem, § 45, p. 104. 22. La forme de la volonté individuelle que le droit fait ressortir tient à ce queje suis (une liberté qui cherche à réaliser l’inconditionnel) et à qui je suis (un individu confronté à d’autres individus qui réalisent différemment le même principe) ; alors que la matière de la volonté individuelle est constituée par ce que celle-ci réalise empiriquement, par les conséquences de ses actions et par ses œuvres, à savoir tout un domaine qui échappe à l’intuition de soi et qui est soumis aux aléas de l’évolution naturelle et des agencements automatiques. sur le développement de cette altérité mécanique, sur l’aliénation qu’elle exerce sur l’esprit et sur les conséquences juridiques de cette action, voir J. rivelyague, Schelling et les apories du droit, op. cit., p. 58 sq. 23. Ibidem, § 141, p. 123. 24. F. W. J. schelling, Nouvelle déduction du droit naturel, op. cit., § 61, p. 107. Souligné dans le texte. 25. Ibidem, § 72, p. 109. 26. Cf. Ibidem, § 140, p. 120. 27. J. G. fichte , Fondement du droit naturel, op. cit., p. 127 sq. 28. Ibidem, § 161, p. 126. 29. J. G. fichte , Fondement du droit naturel, op. cit., p. 127. Souligné dans le texte. 30. Cette conception de la liberté sera défendue dans Le système de l’idéalisme transcendantal, tr. fr. C.Dubois, Louvain, Peeters, 1978, p. 176 sq. 31. Sur ce point voir M. maesschalck , L’anthropologie politique et religieuse de Schelling, Paris, Vrin/ Louvain, Peteers, 1991, p. XV sq. 32. J. G. fichte , Fondement du droit naturel, op. cit., p. 153. 33. Pour cette deuxième conception de la constitution de la communauté voir Ibidem, p. 164 sq. 34. Pour cette perspective sur la résistance voir F. Proust , De la résistance, Paris, Cerf/Passages, 1997, p. 21 sq. schelling ,