Die Rolle des Partners und der Partnerin bei der Bewältigung arbeitsbedingter Belastungen

Dana Niemann beschäftigt sich mit der Frage, welchen Stellenwert der Partner/die Partnerin bei der Bewältigung von Arbeitsbelastungen einnimmt und wie sich der Prozess der sozialen Unterstützung in der Paarinteraktion gestaltet. Mittels einer quantitativen Studie untersucht sie den Einfluss der partnerschaftlichen Unterstützung auf die Gesundheit. Weiterführende Leitfadeninterviews eruieren die Unterstützungsinteraktion in der Partnerschaft wechselseitig aus Sicht des Unterstützungsempfängers und -gebers. Dabei belegt die Autorin die hohe Bedeutung des Partners/der Partnerin bei der Bewältigung von Arbeitsbelastungen und identifiziert Determinanten für wirksame und unwirksame Unterstützungsprozesse.


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Gesundheitspsychologie

Dana Niemann

Die Rolle des Partners und der Partnerin bei der Bewältigung arbeitsbedingter Belastungen Der interaktive Prozess der sozialen Unterstützung in Paarbeziehungen

Gesundheitspsychologie Reihe herausgegeben von T. Faltermaier, Flensburg, Deutschland C. Salewski, Hagen, Deutschland C.-W. Kohlmann, Schwäbisch Gmünd, Deutschland

In dieser Buchreihe werden sowohl grundlagen- als auch anwendungsbezogene Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Gesundheitspsychologie veröffentlicht. Gesundheit ist ein hoher Wert und eine wesentliche Voraussetzung positiver individueller Entwicklung und gesellschaftlicher Teilhabe. Gesundheit und Krankheit stellen daher ein wichtiges Handlungsfeld für das gesamte soziale System dar, für Gemeinschaften, Organisationen, Gesellschaft und Politik. Die Bücher der Reihe beschäftigen sich mit wissenschaftlich-psychologischen Fragen, die für die Entstehung von Krankheiten und Gesundheit, für den Umgang mit Krankheiten sowie für die Prävention und die Förderung von Gesundheit bedeutsam sind. Es können Arbeiten von hoher wissenschaftlicher Qualität zu klassischen und innovativen Themen der Gesundheitspsychologie mit der gesamten Spannbreite theoretischer und methodischer Zugänge veröffentlicht werden. Sie richtet sich an Leserinnen und Leser aus Forschung und Praxis, die psychologische Ansätze und Interventionen im Kontext der Gesundheitsförderung und Prävention verstehen, weiterentwickeln und anwenden möchten.

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/16160

Dana Niemann

Die Rolle des Partners und der Partnerin bei der Bewältigung arbeits­ bedingter Belastungen Der interaktive Prozess der sozialen Unterstützung in Paarbeziehungen

Dana Niemann TÜV Rheinland Group AMD TÜV Arbeitsmedizinische Dienste GmbH Magdeburg, Deutschland Zgl. Dissertation an der Europa-Universität Flensburg, 2017 Originaltitel: Die Rolle des Partners bei der Bewältigung arbeitsbedingter ­Belastungen. Eine Mixed-Methods Analyse des interaktiven Prozesses der sozialen Unterstützung in Paarbeziehungen

ISSN 2524-6046 ISSN 2524-6054  (electronic) Gesundheitspsychologie ISBN 978-3-658-24906-9  (eBook) ISBN 978-3-658-24905-2 https://doi.org/10.1007/978-3-658-24906-9 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Zusammenfassung Soziale Unterstützung stellt eine bedeutsame externe Ressource im Umgang mit Belastungen dar, die vor dem Hintergrund einer veränderten Arbeitswelt mit steigenden psychischen Anforderungen aufgrund von Globalisierung und technischen Fortschritt besondere Relevanz erfährt. Beruflichen Netzwerkmitgliedern werden aufgrund der vorhandenen Kontextinformationen und fachlichen Kompetenz adäquatere Unterstützungsleistungen unterstellt. Demgegenüber steht die herausragende Rolle des Partners im Rahmen von Unterstützungsprozessen, die sich durch Vertraulichkeit, Verlässlichkeit und Exklusivität auszeichnet. Vor diesem Hintergrund fokussiert die Dissertation den Stellenwert des Partners bei der Bewältigung arbeitsbedingter Belastungen im Vergleich zu berufsbezogenen Netzwerkmitgliedern. Ferner zielt die vorliegende Arbeit auf eine Beschreibung der komplexen Unterstützungsinteraktionen in Paarbeziehungen ab. Auf Basis der quantitativen Studie mittels einer schriftlichen Befragung bei 168 Mitarbeitern zweier verwaltungsorientierter Unternehmen mit Büroarbeitsplätzen und deren 69 Lebenspartnern wurden psychische Belastungen, Ressourcen und Beanspruchungen der Teilnehmer erhoben. Im Rahmen der nachgelagerten qualitativen Hauptstudie wurden 13 Paare unter Anwendung von leitfadengestützten Interviews detailliert zu der partnerschaftlichen sozialen Unterstützungsinteraktion befragt. Die zusammengehörigen Partner wurden hierfür jeweils gleichzeitig und getrennt voneinander interviewt. Sie reflektierten sowohl die Rolle als Rezipient als auch als Quelle von Unterstützungsleistungen. Die Ergebnisse der quantitativen Studie belegen die immense Bedeutung des Partners. Das Ausmaß partnerschaftlicher Unterstützung übersteigt soziale Unterstützungsleistungen durch berufliche Netzwerkmitglieder. Ein Direkteffekt auf Gesundheit konnte nachgewiesen werden, ein erwarteter Moderationseffekt blieb aus. Die qualitative Studie zeigte, dass die Verbalisierung der belastenden Ereignisse gegenüber dem Partner im Rahmen gezielter oder ritualisierter Kommunikationsräume eine hohe Bedeutung erfährt und einen entlastenden Effekt bringt. Die zugehörige Unterstützungsleistung in Form von Zuhören ist demgegenüber in vielen Fällen qualitativ ungenügend. Voreilig wird zu kommunikationsdominierenden Formen wie Feedback oder Ratschlägen übergegangen, die negative Reaktionsweisen hervorrufen und erst im Rückblick positiv bewertet werden. Dennoch offenbaren die Interviews den hohen Stellenwert partnerschaft-

VI

Zusammenfassung

licher Unterstützung bei Arbeitsbelastungen. Implikationen für zukünftige Forschungen und eine praxisbezogene Anwendung der Ergebnisse für Unternehmen und paartherapeutische Kontexte werden diskutiert.

Summary Social support represents a significant external resource dealing with stress, that shows a high degree of relevance in a changing working environment with increasing psychologicals demands due to globalization and technological progress. Based on their available context informations and professional competence, occupational network members are assumed to deliver more adequate support. In contrast, the role of the partner for social support processes is turned out to be prominent and can be characterized by familiarity, reliability and exclusiveness. Therefore, the dissertation focuses on the importance of the partner in dealing with workload compared with work-related network members. In addition, this work aims at a description of the complex interactions of support processes in partner relationships. Based on the quantitative study by a written survey of 168 employees of two administratively orientated companies with office workplaces and their 69 spouses, detailed informations about their psychological stress, ressources and strains were collected. In a following qualitative study 13 couples were asked in guideline-based interviews to reflect their spousal social support interactions in detail. For this pupose, the related partners were interviewed simultaneously and seperately from each other. They reflected both the role as a recipient and as a source of support. The results of the quantitative study demonstrate the immense importance of the spouse. The extent of spousal support exceeds the extent of social support delivered by work-related network members. A direct effect on health could be proved, an expected moderation effect could not be found. The qualitative study showed that the verbalization of stressful events against the partner in the context of targeted or ritualized communication spaces is overall important and leads to a relieving effect. However, the related support delivery in the form of listening given by the spouse is insufficient. Whereas dominant communication forms such as feedback or giving advice is offered too hasty, which causes negative reactions and is only positively evaluated in the review. Nevertheless, the interviews reveal the importance of spousal support even in dealing with work stress. Based on the results, implications for further research and practical implementation for companies and for couple therapy contexts are discussed.

Inhaltsverzeichnis 1

Einleitung .............................................................................. 1

2

Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext ....................................................................... 7

2.1

Relevante Theorien und Wirkungsmodelle ......................................... 11 2.1.1 Das Belastungs-Beanspruchungs-Konzept ................................... 12 2.1.2 Das Anforderungs-Kontroll-Modell ............................................. 14 2.1.3 Das Modell beruflicher Gratifikationskrisen ................................ 16 2.1.4 Das Arbeitsanforderungen-Arbeitsressourcen Modell ................. 18 2.1.5 Das transaktionale Stressmodell ................................................... 20 2.1.6 Das arbeitspsychologische Stresskonzept .................................... 23

2.2

Verwendung der Begrifflichkeiten im Bezugsrahmen der vorliegenden Arbeit ............................................................................... 27

2.3

Rahmenbedingungen und Merkmalsbereiche psychischer Fehlbelastungen im Erwerbsleben ....................................................... 28 2.3.1 Sozioökonomische Rahmenbedingungen ..................................... 29 2.3.2 Merkmalsbereiche und Ausmaß psychischer Fehlbelastungen .... 30

2.4

Auswirkungen und gesundheitliche Folgen von psychischen Fehlbelastungen ..................................................................................... 36 2.4.1 Kurzfristige Folgen psychischer Fehlbelastungen ........................ 37 2.4.2 Mittel- bis langfristige Folgen psychischer Fehlbelastungen ....... 39

2.5

Handlungsebenen zum Umgang mit psychischen Fehlbelastungen und arbeitsbedingtem Stress................................................................. 42 2.5.1 Struktureller Interventionsansatz auf Unternehmensebene .......... 43 2.5.2 Individueller Interventionsansatz auf Personenebene .................. 47

3

Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource ............................................................. 51

3.1

Begriffsbestimmung und Abgrenzung ................................................. 54

3.2

Formen und Typologien sozialer Unterstützung ................................ 56

X

Inhaltsverzeichnis

3.3

Quellen sozialer Unterstützung ............................................................ 59

3.4

Modell der Unterstützungsinteraktion ................................................ 62

3.5

Wirkmechanismen sozialer Unterstützung ......................................... 65 3.5.1 Das Moderatormodell ................................................................... 67 3.5.2 Das Haupteffektmodell ................................................................ 68 3.5.3 Das Mediatormodell ..................................................................... 69 3.5.4 Weitere Kausalmodelle ................................................................ 70

3.6

Diagnostik sozialer Unterstützung ....................................................... 71

3.7

Determinanten im Unterstützungsprozess .......................................... 77 3.7.1 Situationale Faktoren.................................................................... 78 3.7.2 Intrapersonale Faktoren ................................................................ 79 3.7.3 Interpersonale Faktoren ................................................................ 82

3.8

Belastende Aspekte sozialer Unterstützung ........................................ 83

4

Stand der Forschung zu sozialer Unterstützung bezüglich Arbeit, Geschlecht und Partnerschaft ............. 87

4.1

Soziale Unterstützung im Arbeitskontext ............................................ 87

4.2

Soziale Unterstützung und Geschlecht ................................................ 90 4.2.1 Das Geschlechtsrollenselbstkonzept ............................................ 91 4.2.2 Geschlechtsspezifische Aspekte sozialer Unterstützung .............. 94

4.3

Soziale Unterstützung in Partnerschaften ........................................... 97

5

Zusammenführung und Ableitung der zentralen Fragestellung und des Forschungsziels........................... 101

6

Methodik............................................................................ 103

6.1

Studiendesign ....................................................................................... 103 6.1.1 Studienzweck ............................................................................. 105 6.1.2 Studienverlauf und Stichprobengewinnung ............................... 106 6.1.3 Stichprobe .................................................................................. 109

6.2

Quantitative Vorstudie ........................................................................ 111

Inhaltsverzeichnis

6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4

XI

Hypothesen................................................................................. 111 Messinstrument .......................................................................... 115 Analysevorgehen ........................................................................ 119 Auswertungsmethodik ................................................................ 120

6.3

Qualitative Hauptstudie ...................................................................... 123 6.3.1 Forschungsfragen ....................................................................... 123 6.3.2 Interviewtechnik ......................................................................... 125 6.3.3 Interviewsituation ....................................................................... 127 6.3.4 Auswertungsmethodik ................................................................ 128

7

Ergebnisse der quantitativen Vorstudie ......................... 135

7.1

Soziodemographie................................................................................ 135

7.2

Reliabilitätsanalyse .............................................................................. 138

7.3

Deskriptive Statistik ............................................................................ 140 7.3.1 Anforderungen und Belastungen ................................................ 140 7.3.2 Ressourcen ................................................................................. 142 7.3.3 Beanspruchungen ....................................................................... 145 7.3.4 Soziale Unterstützung ................................................................ 146

7.4

Überprüfung von Unterschiedshypothesen ....................................... 150 7.4.1 Unterschiede im Unterstützungsausmaß hinsichtlich des Geschlechts ................................................................................ 150 7.4.2 Unterschiede im Unterstützungsausmaß hinsichtlich des Geschlechtsrollenselbstkonzeptes .............................................. 151 7.4.3 Unterschiede im Unterstützungsausmaß hinsichtlich des Beziehungsstatus ........................................................................ 152 7.4.4 Unterschiede im Unterstützungsausmaß hinsichtlich im Haushalt lebender Kinder ........................................................... 154

7.5

Testung von Zusammenhangshypothesen ......................................... 155 7.5.1 Arbeitsbelastungen und Beanspruchungen................................. 155 7.5.2 Soziale Unterstützung und Beanspruchungen ............................ 156

7.6

Testung von Einflusshypothesen ........................................................ 157

XII

Inhaltsverzeichnis

8

Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie ....................... 171

8.1

Soziodemographie................................................................................ 171

8.2

Belastung, Beanspruchung und Bewältigungsverhalten .................. 174 8.2.1 Arbeitsbelastungen ..................................................................... 174 8.2.2 Belastungsausmaß ...................................................................... 179 8.2.3 Auswirkungen der Arbeitsbelastungen auf die Gesundheit........ 181 8.2.4 Strategien zum Umgang mit den Arbeitsbelastungen ................ 185

8.3

Unterstützungsnetzwerk zur Bewältigung der Arbeitsbelastungen 189

8.4

Sicht als Unterstützungsempfänger ................................................... 194 8.4.1 Stellenwert der Kommunikation von Arbeitsbelastungen im Rahmen der Partnerschaft .......................................................... 194 8.4.2 Unterstützungsbedürfnis............................................................. 198 8.4.3 Unterstützungsmobilisierung...................................................... 202 8.4.4 Erhaltene Unterstützung ............................................................. 206 8.4.5 Outcome des Unterstützungsprozesses....................................... 209 8.4.6 Bewertung des Unterstützungsprozesses .................................... 212 8.4.7 Veränderungswunsch ................................................................. 214

8.5

Sicht als Unterstützungsgeber ............................................................ 217 8.5.1 Wahrgenommene Arbeitsbelastungen des Partners ................... 217 8.5.2 Wahrgenommene Beanspruchung des Partners ......................... 218 8.5.3 Wahrgenommener Umgang des Partners mit den Arbeitsbelastungen ..................................................................... 220 8.5.4 Wahrgenommene Unterstützungsmobilisierung des Partners .... 222 8.5.5 Geleistete Unterstützung ............................................................ 224 8.5.6 Outcome des Unterstützungsprozesses....................................... 228 8.5.7 Bewertung des Unterstützungsprozesses .................................... 229

9

Diskussion .......................................................................... 235

9.1

Interpretation der Ergebnisse ............................................................ 235 9.1.1 Zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse der quantitativen Vorstudie .............................................................. 235

Inhaltsverzeichnis

XIII

9.1.2 Zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie ............................................................. 238 9.2

Stärken und Schwächen der Studie ................................................... 247

9.3

Anwendungsmöglichkeiten ................................................................. 248 9.3.1 Perspektiven für die Forschung .................................................. 249 9.3.2 Perspektiven für die Praxis ......................................................... 251

Literaturverzeichnis................................................................... 253

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:

Anteil ausgewählter Diagnosegruppen an den AU-Tagen (Bundesministerium für Arbeit und Soziales [BMAS], 2006, 2016) ......................................................................................... 8

Abbildung 2:

Entwicklung der AU-Tage in Mio. nach ausgewählten Diagnosegruppen (BMAS, 2006, 2016) ................................... 9

Abbildung 3:

Das Belastungs-Beanspruchungs-Konzept (Rohmert & Rutenfranz, 1975; mod. nach Lohmann-Haislah, 2012, S. 14) ...................................................................................... 13

Abbildung 4:

Das Anforderungs-Kontroll-Modell (mod. nach Karasek & Theorell, 1990, S. 32) ............................................................. 15

Abbildung 5:

Das Modell beruflicher Gratifikationskrisen (mod. nach Siegrist, 1996, S. 99) .............................................................. 17

Abbildung 6:

Das Arbeitsanforderungen-Arbeitsressourcen Modell (Bakker & Demerouti, 2007, S. 313).................................................... 19

Abbildung 7:

Das transaktionale Stressmodell (Lazarus & Folkman, 1984; mod. nach Bamberg & Busch et al., 2012, S. 118) ................. 21

Abbildung 8:

Arbeitspsychologische Erweiterung des transaktionalen Stressmodells (mod. nach Bamberg & Keller et al., 2012, S. 12) ........................................................................................... 24

Abbildung 9:

Modell der Unterstützungsinteraktion (mod. nach Knoll & Schwarzer, 2005, S. 336) ........................................................ 64

Abbildung 10:

Wirkung sozialer Unterstützung (mod. nach Kienle et al., 2006, S. 115)........................................................................... 66

Abbildung 11:

Dimensionen und Typen der Geschlechtsrollenorientierung (mod. nach Strauß & Möller, 1999, S. 203) ........................... 93

Abbildung 12:

Triangulatives Studiendesign bestehend aus Vorstudie und Hauptstudie mit einer Kombination aus quantitativen und qualitativen Verfahren .......................................................... 104

Abbildung 13:

Schematische zeitbezogene Darstellung des Untersuchungsablaufs ........................................................... 107

XVI

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 14:

Ablaufmodell der angewandten inhaltsanalytischen Auswertung (mod. nach Gläser & Laudel, 2010, S. 203; mod. nach Mayring, 2010b, S. 60) ....................................... 130

Abbildung 15:

Verteilung der Belastungen .................................................. 142

Abbildung 16:

Verteilung der Ressourcen.................................................... 144

Abbildung 17:

Mittelwertausprägung der sozialen Unterstützung durch verschiedene Netzwerkmitglieder innerhalb der Geschlechter ......................................................................... 148

Abbildung 18:

Mittlerer Belastungsindex in Abhängigkeit des partnerschaftlichen Unterstützungsausmaßes ....................... 158

Abbildung 19:

Mittlerer Beschwerdeindex in Abhängigkeit des partnerschaftlichen Unterstützungsausmaßes ....................... 159

Abbildung 20:

Mittlerer Beschwerdeindex in Abhängigkeit des Belastungsausmaßes sowie des partnerschaftlichen Unterstützungsausmaßes ...................................................... 160

Abbildung 21:

Mittlerer Beschwerdeindex in Abhängigkeit der Kombination von Unterstützung durch den Partner und den Vorgesetzten ......................................................................... 162

Abbildung 22:

Grafische Darstellung von Interaktionseffekten ................... 170

Abbildung 23:

Erweitertes Modell der Unterstützungsinteraktion (mod. nach Knoll & Schwarzer, 2005, S. 336) ........................................ 245

Tabellenverzeichnis Tabelle 1:

Beispielhafte kurz- und langfristige Stressfolgen (Bamberg & Keller et al., 2012, S. 15) ....................................................... 26

Tabelle 2:

Beispielhafte Merkmale psychischer Belastungen in ihren kritischen Ausprägungen (mod. nach GDA, 2016, S. 17ff) ... 31

Tabelle 3:

Beispiele für Möglichkeiten einer individuellen Belastungsbewältigung (Bamberg & Keller et al., 2012, S. 18; Kaluza, 2004, S. 50ff) .................................................. 48

Tabelle 4:

Typologie alltagsbezogener sozialer Unterstützung (mod. nach Laireiter, 1993, S. 27) ............................................................. 57

Tabelle 5:

Fragebogenverfahren zur Diagnostik sozialer Unterstützung (Gusy, 1995, S. 83ff; Knoll & Kienle, 2007, S. 63ff) ............. 72

Tabelle 6:

Forschungszweck der quantitativen Vorstudie und der qualitativen Hauptstudie ....................................................... 105

Tabelle 7:

Anzahl der Teilnehmer an der quantitativen und qualitativen Studie .................................................................................... 110

Tabelle 8:

Die eingesetzten Skalen im Fragebogen ............................... 115

Tabelle 9:

Inhaltsbereiche des Interviewleitfadens ................................ 126

Tabelle 10:

Auszug aus dem Kategoriensystem ...................................... 132

Tabelle 11:

Auszug aus der Gegenüberstellung von Eigen- und Fremdwahrnehmung ............................................................. 134

Tabelle 12:

Metrische Merkmale der Analysestichprobe ........................ 135

Tabelle 13:

Nominale Merkmale der Analysestichprobe ........................ 136

Tabelle 14:

Reliabilitätsanalyse ............................................................... 138

Tabelle 15:

Deskriptive Statistik der Anforderungen und Belastungen... 141

Tabelle 16:

Deskriptive Statistik der Ressourcen .................................... 143

Tabelle 17:

Deskriptive Statistik der Beanspruchungen .......................... 145

Tabelle 18:

Deskriptive Statistik der sozialen Unterstützung .................. 146

XVIII

Tabellenverzeichnis

Tabelle 19:

Post-hoc Test zum Ausmaß der sozialen Unterstützung durch unterschiedliche Unterstützungsquellen ............................... 147

Tabelle 20:

Post-hoc Test zum Ausmaß der sozialen Unterstützung durch unterschiedliche Unterstützungsquellen innerhalb der Geschlechter ......................................................................... 149

Tabelle 21:

Ergebnisse zur Überprüfung der Unterschiedshypothesen bezüglich des Geschlechts .................................................... 150

Tabelle 22:

Ergebnisse zur Überprüfung der Unterschiedshypothesen bezüglich des Geschlechtsrollenselbstkonzepts .................... 152

Tabelle 23:

Ergebnisse zur Überprüfung der Unterschiedshypothesen bezüglich des Beziehungsstatus ............................................ 153

Tabelle 24:

Ergebnisse zur Überprüfung der Unterschiedshypothesen bezüglich im Haushalt lebender Kinder................................ 154

Tabelle 25:

Zusammenhang zwischen Belastungen und negativen Beanspruchungen.................................................................. 155

Tabelle 26:

Zusammenhang zwischen sozialer Unterstützung und negativen Beanspruchungen ................................................. 156

Tabelle 27:

Baseline-Charakteristika für die logistische Regressionsanalyse ............................................................... 164

Tabelle 28:

Startmodell der binär logistischen Regressionsanalyse ........ 165

Tabelle 29:

Finales Modell der binär logistischen Regressionsanalyse ... 167

Tabelle 30:

Wahrscheinlichkeiten zum Erreichen einer guten Gesundheit bei der Kombination von Merkmalsausprägungen ............... 168

Tabelle 31:

Moderationsanalyse mit PROCESS für SPSS ...................... 169

Tabelle 32:

Übersicht über die Interviewteilnehmer ............................... 172

Tabelle 33:

Angabe der Arbeitsbelastungen und Anzahl der Probanden. 174

Tabelle 34:

Angabe der Beanspruchungen und Anzahl der Probanden ... 182

Tabelle 35:

Angabe der Bewältigungsstrategien und Anzahl der Probanden ............................................................................. 185

Tabelle 36:

Angabe des Unterstützungsnetzwerkes und Anzahl der Probanden ............................................................................. 190

Tabellenverzeichnis

XIX

Tabelle 37:

Stellenwert der Kommunikation von Arbeitsbelastungen aus Empfängersicht ..................................................................... 195

Tabelle 38:

Unterstützungsbedürfnis aus Empfängersicht....................... 199

Tabelle 39:

Unterstützungsmobilisierung aus Empfängersicht ............... 203

Tabelle 40:

Erhaltene Unterstützung aus Empfängersicht ....................... 206

Tabelle 41:

Auswirkung des Unterstützungsprozesses aus Empfängersicht ..................................................................... 210

Tabelle 42:

Bewertung des Unterstützungsprozesses aus Empfängersicht ..................................................................... 212

Tabelle 43:

Veränderungswünsche aus Empfängersicht ......................... 215

Tabelle 44:

Wahrgenommene Arbeitsbelastungen aus Gebersicht .......... 217

Tabelle 45:

Wahrgenommene Beanspruchung aus Gebersicht................ 219

Tabelle 46:

Wahrgenommenes Bewältigungsverhalten aus Gebersicht .. 220

Tabelle 47:

Wahrgenommene Unterstützungsmobilisierung aus Gebersicht ............................................................................. 222

Tabelle 48:

Geleistete Unterstützung aus Gebersicht .............................. 224

Tabelle 49:

Begründung für die geleistete Unterstützungsform aus Gebersicht ............................................................................. 225

Tabelle 50:

Auswirkung des Unterstützungsprozesses aus Gebersicht ... 228

Tabelle 51:

Auswirkung des Unterstützungsprozesses aus Gebersicht ... 229

1

Einleitung

Die Erwerbsarbeit stellt einen zentralen Lebensbereich im Erwachsenenalter dar, dessen positiven Aspekte in Bezug auf eine Existenzsicherung, Sinnstiftung und Alltagsstrukturierung herauszustellen sind (Kroll, Müters & Dragano, 2011). Dennoch haben sich die Arbeitsbedingungen in der modernen Gesellschaft aufgrund einer Verschiebung von produktionsnahen hin zu Dienstleistungs- und wissensbasierten Tätigkeiten (Badura, 2010; Harlfinger, Wenchel, Arning, Angermaier & Panter, 2003) in Kombination mit veränderten sozioökonomischen Rahmenbedingungen in einer Weise verändert, die eine Zunahme von psychischen Arbeitsanforderungen für die Beschäftigten zur Folge hat (Kölbach & Zapf, 2015). Angesichts der branchenübergreifend zunehmenden psychischen Belastungen in der Erwerbsarbeit und der daraus resultierenden Fehlbeanspruchungsfolgen erfahren organisationale und soziale Ressourcen im Umgang mit den steigenden Arbeitsanforderungen eine besondere Bedeutung und finden innerhalb verschiedener Konzepte zu Stress und arbeitsbedingten Belastungen Berücksichtigung. Innerhalb der zentralen Konzepte der Gesundheitspsychologie hat sich die soziale Unterstützung (Bodenmann, 2000) als eine bedeutsame externale Ressource im Umgang mit Belastungssituationen herausgestellt (Hobfoll, 2001; Orth-Gomér, 2001). Inhaltlich ist das Konstrukt durch seinen Bezug auf den qualitativ-funktionalen Aspekt von Sozialbeziehungen (Knoll & Schwarzer, 2005) von dem sozialen Netzwerk als quantitativ-strukturellen Aspekt zu differenzieren (Faltermaier, 2017). Während das soziale Netzwerk lediglich die Eingebundenheit in ein soziales System interpersonaler Beziehungen (Laireiter, 1993) ohne Spezifizierung der Funktion bezeichnet (ebd.), ist mit sozialer Unterstützung ein Interaktionsprozess zwischen einem Unterstützungsgeber und empfänger gemeint, der auf die Behebung oder Linderung eines leiderzeugenden Problemzustandes auf der Seite des Rezipienten abzielt (Knoll & Schwarzer, 2005). Die Verknüpfung beider Konstrukte ergibt sich aus der notwendigen Voraussetzung vorhandener sozialer Netzwerkstrukturen für die Mobilisierung von Personen zu Unterstützungsleistungen (Kienle, Knoll & Renneberg, 2006). In Abhängigkeit der Art der hilfreichen Interaktion werden häufig emotionale, instrumentelle und informationelle Unterstützung differenziert (Knoll & Schwarzer, 2005). Orth-Gomér (2001) ergänzt die drei genannten Formen der Hilfe © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Niemann, Die Rolle des Partners und der Partnerin bei der Bewältigung arbeitsbedingter Belastungen, Gesundheitspsychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24906-9_1

2

1 Einleitung

zudem um evaluative Unterstützungsleistungen. Obwohl sich emotionale Unterstützung für die Bewältigung einer Vielzahl von Umweltanforderungen als adäquat erwiesen hat, entspricht nicht jede Form der Unterstützungsleistung den Anforderungen einer jeden stressreichen Situation (Hobfoll, 2001). Neben der Angemessenheit der jeweiligen Unterstützungsform tragen intrapersonale Faktoren des Unterstützungsgebers und des Empfängers (Knoll & Schwarzer, 2005) sowie interpersonale Faktoren zwischen Unterstützungsgeber und -rezipient zu einer erfolgreichen Interaktion im Sinne eines gelungenen Unterstützungsprozesses bei (Kienle et al., 2006). Die Wertung einer Interaktion als soziale Unterstützungsleistung erschließt sich über die Kognitionen beider Interaktionspartner, die Aufschluss über Störungen im Unterstützungsprozess aufgrund möglicher Missverständnisse oder Fehlinterpretationen geben können. Es empfiehlt sich daher sowohl die Perspektive des Unterstützungsgebers als auch des -rezipienten sowie idealerweise eines nichtteilnehmenden Beobachters bei der Untersuchung der sozialen Unterstützungsinteraktion einzubeziehen (Dunkel-Schetter, Blasband, Feinstein & Bennett Herbert, 1992). Das Modell der sozialen Interaktion (Knoll & Schwarzer, 2005) berücksichtigt im Interaktionsprozess auf der Seite des Unterstützungsempfängers das Bedürfnis nach Unterstützung, die wahrgenommene bzw. erwartete Unterstützung, die Mobilisierung von Unterstützung und den Erhalt von Unterstützung sowie auf der Seite des Unterstützungsgebers die geleistete Unterstützung. Stresssituationen können in Abhängigkeit von dem Bedürfnis nach Hilfe und der Überzeugung, dass Personen im sozialen Netzwerk für den sozialen Rückhalt zur Verfügung stehen, einen Unterstützungsempfänger dazu veranlassen, die Netzwerkmitglieder für die Unterstützungsleistung zu mobilisieren. Die Leistung der Unterstützung vom Unterstützungsgeber erfolgt aufgrund dieser Mobilisierung oder aus eigener Motivation und wird auf der Seite des Empfängers zu einem gewissen Teil als erhaltene Unterstützung wahrgenommen (ebenda). Im Rahmen der Bewältigung arbeitsbezogener Belastungen werden insbesondere berufsbezogenen Netzwerkmitglieder wie Kollegen oder Vorgesetzte als angemessen diskutiert (Gusy, 1995). Als wichtigste Quelle sozialer Unterstützung hebt Cutrona (1996b) jedoch nahe stehende Personen hervor und verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf die herausragende Bedeutung des Lebenspartners (Cutrona & Suhr, 1994). Bodenmann (2000) betont nicht nur den qualitativen Unterschied des Partners als Unterstützungsquelle zu anderen Netz-

1 Einleitung

3

werkmitgliedern, sondern auch die Leistung von Unterstützung aus Motiven der Homöostaseregulation in Partnerschaften anstelle ausschließlich altruistischer Beweggründe (Bodenmann, 1995). Der Stellenwert des Partners als wichtigste Unterstützungsquelle differiert allerdings zwischen Männern und Frauen. Während Männer ihre Partnerin als wichtigste und hauptsächliche Unterstützungsquelle nennen (Knoll & Schwarzer, 2005), wenden sich Frauen eher an Freunde, Nachbarn oder andere Familienangehörige und beziehen aus diesem Netzwerk mehr soziale Unterstützung insbesondere emotionale Unterstützung als Männer, erhalten aber im Gegenzug weniger partnerschaftliche Unterstützung (Antonucci & Akiyama, 1987; Matthews, Stansfeld & Power, 1999). Aufklärungspotenz hinsichtlich der Geschlechtsunterschiede besitzt nach Helgeson (2002) die kulturelle Männlichkeitsnorm und die damit verknüpften Attribute der Unabhängigkeit und Unverwundbarkeit, die einer Mobilisierung und dem Erhalt von sozialer Unterstützung widersprechen. Zudem schreibt sie Männern weniger Kommunikationskompetenzen für eine wirksame Mobilisierung von Unterstützung zu. Demnach besteht ein enger Zusammenhang zwischen Gender als sozial konstruiertem Geschlecht und sozialer Unterstützung. Cutrona (1996b) benennt zahlreiche Faktoren, die einen reibungslosen Prozess der sozialen Unterstützung in Paarbeziehungen beeinflussen. Der Unterstützungsempfänger sollte über eine Vielzahl von Kommunikationsfähigkeiten für eine unmissverständliche Äußerung des Unterstützungsbedarfs sowie über eine Auswahl an Strategien zur Mobilisierung von sozialer Unterstützung verfügen. Auf der Seite des Unterstützungsgebers müssen die verbalen und nonverbalen Signale richtig entcodiert werden. Zudem beeinflussen kausale Attributionen für das eigene und das Verhalten des Partners jedes Stadium der sozialen Unterstützungsinteraktion. Angesichts bisheriger Forschungsergebnisse stellt sich im Rahmen der vorliegenden Arbeit die zentrale Frage, welchen Stellenwert der Partner bei arbeitsbedingten Belastungen im Vergleich zu arbeitsbezogenen Netzwerkmitgliedern innehat. Wenn der Partner, wie vielfach berichtet, eine herausragende Rolle im Prozess sozialer Unterstützung einnimmt, und ein Fehlen partnerschaftlicher Unterstützung nicht kompensiert werden kann, müsste diese Unterstützungsquelle auch bei Arbeitsbelastungen wirksam werden. Neben der Frage nach der Rolle des Partners soll im weiteren Verlauf der Arbeit auch geklärt werden, wie sich der Interaktionsprozess sozialer Unterstützungsleistungen durch den Partner gestaltet. Dementsprechend zielt die vorliegende Arbeit darauf ab, die Interakti-

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1 Einleitung

onsprozesse zur Unterstützung in Partnerschaften detailliert zu betrachten und umfassend zu beschreiben, um Unterstützungsprozesse und deren Auswirkungen optimal verstehen zu können. Hierin liegt die Limitation der bisher bevorzugt angewandten quantitativen Studien. Letztlich sollen wirksame und unwirksame Unterstützungsprozesse innerhalb von Partnerschaftsbeziehungen beschrieben werden. Dem Forschungsgegenstand der sozialen Unterstützung in Partnerschaftsbeziehungen bei arbeitsbedingten Belastungen wird sich zunächst mittels einer quantitativen Vorstudie durch eine standardisierte schriftliche Befragung genähert. So ergeben sich erste Hinweise über die Rolle des Partners im Unterstützungsprozess bei der Bewältigung der erlebten Arbeitsbelastungen. Darüber hinaus dient die vorgelagerte Untersuchung zur Rekrutierung der Interviewteilnehmer für die Hauptstudie, die sich auf die Untersuchung der Unterstützungsinteraktionen konzentriert. Ein ergänzendes qualitatives Forschungsdesign auf Basis leitfadengestützter Interviews von Paaren eruiert die Sicht als Rezipient und Quelle von Unterstützungsleistungen gleichermaßen. Die quantitative und qualitative Studie werden innerhalb des Forschungsprozesses komplementär mit gegenseitig ergänzendem Charakter eingesetzt. Während mittels der quantitativen Studie der Stellenwert des Partners mit beruflichen Netzwerkmitgliedern abgeglichen und die Auswirkung partnerschaftlicher sozialer Unterstützung auf die Gesundheit untersucht wird, bildet die qualitative Studie den detaillierten Unterstützungsprozess zur Bewältigung der Probleme in der Arbeit ab und vergleicht dabei die Sicht des Empfängers und Gebers. Wenn die soziale Unterstützung zur Bewältigung der arbeitsbedingten Belastungen im Fokus steht, muss zu Beginn im Kapitel 2 eine Auseinandersetzung mit dem Thema Belastung im Arbeitskontext erfolgen. Hierfür werden zunächst relevante arbeitswissenschaftliche Konzepte und Stressmodelle vorgestellt, die das Zusammenspiel von Belastungen, Ressourcen, Bewältigungsverhalten und gesundheitsrelevanten Auswirkungen verdeutlichen. Darüber hinaus erfolgt eine Klärung der unterschiedlichen Begrifflichkeiten. Im weiteren Verlauf werden die Ursachen und Merkmalsbereiche psychischer Belastungen vorgestellt und deren unternehmensrelevanten und individuellen Auswirkungen beschrieben. Handlungsansätze für eine strukturelle und individuelle Intervention zeigen Wege des Umgangs mit psychischen Belastungen auf.

1 Einleitung

5

In diesem Rahmen kann die Aktivierung sozialer Netzwerkmitglieder zur Belastungsbewältigung eine mögliche individuelle Strategie darstellen. Die soziale Unterstützung steht als externe Ressource den Belastungen gegenüber. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Konzept ist Bestandteil von Kapitel 3. Dabei erfolgt zunächst eine begriffliche Abgrenzung zwischen dem sozialen Netzwerk und der sozialen Unterstützung, bevor die verschiedenen Unterstützungsleistungen und -quellen sowie das Modell der Unterstützungsinteraktion und die verschiedenen Wirkmechanismen dargestellt werden. Es existiert mittlerweile eine Vielzahl an möglichen Instrumenten und Methoden zur Erfassung sozialer Unterstützungsleistungen und -prozesse, denen im weiteren Verlauf besonderes Augenmerk geschenkt wird. Die Beschreibung der für den Prozess relevanten Determinanten findet abschießend ebenso Berücksichtigung wie der Blick auf belastende Aspekte einer Unterstützungsinteraktion. Aufgrund einer Vielzahl an Forschungen zu sozialer Unterstützung können im Kapitel 4 die im Rahmen der vorliegenden Arbeit relevanten Befunde zusammengetragen werden. Der Fokus liegt hierbei besonders auf Unterstützungsprozess im Arbeitskontext, geschlechtsspezifische Aspekte sozialer Unterstützung und der unterstützenden Interaktion in Partnerschaftsbeziehungen. Kapitel 5 führt die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammen und leitet zu der zentralen Fragestellung sowie dem Forschungsziel der Arbeit über. Hieran knüpft der Methodikteil in dem Kapitel 6 an. Es folgt eine detaillierte Darstellung des Studiendesigns mit Beschreibung des Studienverlaufs, der Stichprobengewinnung und letztlichen Zusammensetzung der Stichprobe. Die Vorstudie und die daran anschließende Hauptstudie basieren auf unterschiedlichen Forschungsmethoden, die hinsichtlich der eigesetzten Analyseinstrumente, der Rahmenbedingungen für den Einsatz der Methode und bezogen auf die Auswertungsstrategie ausführlich beschrieben werden. Während Kapitel 7 die Ergebnisse der quantitativen Vorstudie fokussiert, stellt Kapitel 8 die Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie dar. Letztlich werden die Befunde der Mixed-Methods Analyse im Kapitel 9 in Bezug auf die Hypothesen, Forschungsfragen und vorausgehender wissenschaftlicher Erkenntnisse diskutiert. Eine mögliche Erweiterung des Modells der sozialen Unterstützungsinteraktion nach Knoll und Schwarzer (2005) wird eingeführt. Die Auseinandersetzung mit den Stärken und Schwächen der Studie mün-

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1 Einleitung

det auch in Implikationen für zukünftige Forschungsvorhaben. Die Ergebnisse der Studie fließen abschließend in Hinweise für eine praxisbezogene Anwendung ein.

2

Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

Die Tätigkeitsstruktur in der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts verschiebt sich, bedingt durch die Globalisierung und den technischen Fortschritt, von den produktionsnahen zu den Dienstleistungs- und insbesondere wissensbasierten Tätigkeiten. Durch die zunehmende Bedeutung der dematerialisierten Arbeit, die vorwiegend mentale Leistungsfähigkeit und personenbezogene Interaktionskompetenz erfordert, steigen die kognitiven und sozial-kommunikativen Anforderungen an die Beschäftigten (Badura, 2010; Harlfinger et al., 2003; Kühn et al., 2005). Zudem kennzeichnet sich der Strukturwandel der Arbeitswelt neben Globalisierung und Automatisierung u.a. durch » neue Arbeits- und Organisationsformen, » neue Arbeitsmittel, » neue Informations- und Kommunikationstechnologien, » Rationalisierungen verbunden mit Personalabbau, » Flexibilisierung von Arbeitszeiten und Beschäftigungsverhältnissen, » steigende Leistungsanforderungen durch Wettbewerbs- und Kostendruck, » Arbeitsverdichtung sowie » älter werdende Belegschaften aufgrund des demographischen Wandels (Harlfinger et al., 2003; Kühn et al., 2005). Mit den aktuellen Herausforderungen für die Unternehmen ändern sich zunehmend auch die Anforderungen für die Mitarbeiter in Richtung einer deutlichen Zunahme der psychischen Belastungen. Das bis vor einigen Jahrzehnten charakteristische Belastungsprofil, das überwiegend durch widrige physikalische Umgebungseinflüsse, chemische oder biologische Gefährdungen sowie schwerer körperlicher Arbeit geprägt war, stagniert zum aktuellen Zeitpunkt in bestimmten Wirtschaftszweigen noch immer auf einem hohen Niveau (Lohmann-Haislah, 2012; Oppolzer, 2009). Eine Gesamtbetrachtung über die Jahrzehnte hinweg zeigt allerdings eher rückläufige Tendenzen auf. Im Gegenzug steigen branchenübergreifend die psychischen Anforderungen verbunden mit der Arbeitsaufgabe, der Arbeitsorganisation, den Themen der Unternehmenskultur und der Gestaltung der arbeitsbezogenen sozialen Beziehungen. Dies spiegelt sich wiederum in einem veränderten Krankheitsgeschehen wider (siehe Abbildungen 1 und 2). © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Niemann, Die Rolle des Partners und der Partnerin bei der Bewältigung arbeitsbedingter Belastungen, Gesundheitspsychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24906-9_2

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2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

Anteil der Diagnosegruppen an den AU-Tagen Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems Psychische und Verhaltensstörungen Krankheiten des Atmungssystems Verletzungen, Vergiftungen Krankheiten des Kreislaufsystems Krankheiten des Verdauungssystem Übrige Krankheiten

2004

2014

24,3%

26,6%

6,6%

28,9%

10,5%

6,5% 12,9%

12,5%

23,2%

5,2% 5,9% 10,2%

14,6% 12,1%

Abbildung 1: Anteil ausgewählter Diagnosegruppen an den AU-Tagen (Bundesministerium für Arbeit und Soziales [BMAS], 2006, 2016)

Während der Anteil der psychischen und Verhaltensstörungen an den Arbeitsunfähigkeitstagen im Jahr 2004 bei 10.5 % lag, so war es im Jahr 2014 bereits 14.6 %. Innerhalb von zehn Jahren stieg diese Diagnosegruppe in ihrer Bedeutung für das Arbeitsunfähigkeitsgeschehen von der vierthäufigsten zur zweithäufigsten Krankheitsart an.

2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

9

Entwicklung der AU-Tage Psychische und Verhaltensstörungen Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems Krankheiten des Kreislaufsystems Krankheiten des Atmungssystems Krankheiten des Verdauungssystem

140 120

AU-Tage in Mio.

100 79,3

80 60 40

52,4

46,3

20 0 2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

Jahre Abbildung 2: Entwicklung der AU-Tage in Mio. nach ausgewählten Diagnosegruppen (BMAS, 2006, 2016)

Während die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage bezogen auf die Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems oder der Atemwege in den letzten Jahren keine trendhafte Entwicklung beschreibt, so zeigt die Abbildung 2 eine deutliche Zunahme der Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer und Verhaltensstörungen in den vergangenen Jahren (BMAS, 2016). Zeitgleich stellt diese Diagnosegruppe die häufigste Ursache für die Gewährung von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit dar. Lag der Anteil der Personen, die bedingt durch psychische Erkrankungen vorzeitig eine Erwerbsminderungsrente beziehen, im Jahr 2004 noch bei 31.3 %, so stieg er im Jahr 2014 bereits auf 43.1 %. Die Betrachtung der absoluten Fallzahlen aus dem Jahr 2014 (72.972) im Vergleich zu dem Jahr 2004 (52.686) offenbart eine Steigerung von 38.5 % (Deutsche Rentenversicherung Bund, 2015).

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2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

Die aktuelle Bedeutsamkeit der psychischen Erkrankungen wird neben dem generellen Anstieg der Arbeitsunfähigkeitstage als auch dem Bezug von Erwerbsminderungsrenten ferner durch die Krankheitsdauer deutlich. Arbeitsunfähigkeitsfälle aufgrund psychischer und Verhaltensstörungen dauerten im Jahr 2014 im Durchschnitt 27.5 Tage und waren damit viermal so hoch wie Erkrankungen des Atmungssystems (6.5 Tage) oder des Verdauungssystems (6.9 Tage). Zudem überstiegen sie die Krankheitsdauer von Erkrankungen des MuskelSkelett-Systems (17.4 Tage), von Verletzungen, Vergiftungen und Unfällen (17,1 Tage) sowie von Erkrankungen des Kreislaufsystems (20.1 Tage) (ebd.). Neben weiteren Determinanten wie genetische Disposition, schwerwiegenden Lebensumständen sowie gesellschaftlichen Entwicklungen gehen psychische Arbeitsbelastungen mit dem Auftreten psychischer Erkrankungen einher (Lohmann-Haislah, 2012). Angerer, Siegrist und Gündel (2014) überprüfen in ihrer Untersuchung von verschiedenen Studien den Zusammenhang zwischen arbeitsbedingten psychosozialen Belastungen und stressassoziierten Gesundheitsstörungen. Demnach ist das Risiko von Erkrankungen bezogen auf Angstund depressive Störungen, kardiovaskuläre Krankheiten sowie Beschwerden des Muskel- und Skelett-Apparates um 40 bis 80 % erhöht, wenn psychosoziale Arbeitsbelastungen vorliegen. Neben weiteren Risikofaktoren für das Entstehen dieser Gesundheitsstörungen liegt das attributable Risiko bei psychischen Belastungen der Arbeitswelt bei bis zu 20 %. In der Regel stehen Mitarbeiter mehreren arbeitsbedingten psychischen Belastungen gegenüber, wodurch das Risiko, an einer stressassoziierten Gesundheitsstörung zu erkranken, über die Zeit zunimmt. Die Relevanz dieses Zusammenhangs findet auch im Arbeits- und Gesundheitsschutz zunehmend Beachtung. Neben der Verhütung von Unfällen zielt das Arbeitsschutzgesetz seit der Umsetzung der EG-Arbeitsschutzrahmenrichtlinie 89/391/EWG in nationales Recht im Jahr 1996 auf eine menschengerechte Gestaltung von Arbeit ab (Oppolzer, 2009). Seit September 2013 sind Unternehmen zudem per Arbeitsschutzgesetz explizit dazu verpflichtet, die Auswirkung der Arbeit nicht mehr nur auf die physische sondern vielmehr auch auf die psychische Gesundheit in den Fokus zu rücken und die psychische Belastung innerhalb der Gefährdungsbeurteilung zu ergänzen (§ 4 Nr. 1, § 5 Absatz 3 Nr. 6 ArbSchG).

2.1 Relevante Theorien und Wirkungsmodelle

11

Für den weiteren Kontext der vorliegenden Arbeit erfolgt zunächst eine terminologische Klärung, was unter psychischen Belastungen zu verstehen ist. Weiterführend werden die verschiedenen Quellen psychischer Arbeitsbelastungen differenziert, die Folgen für die Gesundheit herausgestellt und mögliche Handlungsebenen zum Umgang mit psychischen Arbeitsbelastungen aufgezeigt. 2.1

Relevante Theorien und Wirkungsmodelle

Die Begriffe Arbeitsbelastung, Anforderung, Beanspruchung und Stress sind sowohl in der Alltagssprache als auch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch gängig und in beiden Kontexten durch ihre begriffliche Unschärfe geprägt (Oesterreich, 2001). In Abhängigkeit von den zu Grunde liegenden Stressmodellen und arbeitswissenschaftlichen Konzepten sind die Begrifflichkeiten in ihrer Bedeutung teils synonym oder gegensätzlich zu verstehen. Grundsätzlich können reaktions- und situationsbezogene von interaktionistischen Stressdefinitionen unterschieden werden (Faltermaier, 2017). Während reaktionsorientierte Definitionen, wie sie durch den Mediziner Selye (1956) geprägt wurden, Stress als „unspezifische Reaktion des Organismus auf jede Art von Anforderung“ (Selye, 1981, S. 170) bezeichnen, die sich in Form von physiologischen und endokrinologischen Veränderungen im Organismus kennzeichnet, definieren situationsbezogene Ansätze Stress über die äußere Situation mit ihren objektiven Anforderungen (Faltermaier, 2017). Letztere sind insbesondere im Feld der Arbeitswissenschaften und der Arbeits- und Organisationspsychologie populär. Aufgrund der fehlenden Berücksichtigung und Erklärung der individuell unterschiedlichen stressbezogenen Reaktionsmuster in beiden Ansätzen haben interaktionistische Stressdefinitionen, insbesondere durch die Arbeitsgruppe um Lazarus (Lazarus & Folkman, 1984), die nachfolgende Stressforschung maßgeblich geprägt. Der interaktionistische Ansatz betont die dynamische Wechselwirkung zwischen den Anforderungen der Situation und den Bewältigungsmöglichkeiten der Person (Faltermaier, 2017). Im Folgenden werden die im Rahmen der vorliegenden Arbeit relevanten Konzepte zu Stress und arbeitsbezogenen Belastungen näher vorgestellt: » das Belastung-Beanspruchungs-Konzept (Rohmert & Rutenfranz, (1975), » das Anforderungs-Kontroll-Modell (Karasek, 1979), » das Modell beruflicher Gratifikationskrisen (Siegrist, 1996),

12

2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

»

das Arbeitsanforderungen-Arbeitsressourcen Modell (Demerouti, Bakker, Nachreiner & Schaufeli, 2001), » das transaktionale Stressmodell (Lazarus & Folkman, 1984), » das arbeitspsychologische Stresskonzept (Bamberg, Keller, Wohlert & Zeh, 2012). Die Modellauwahl erfolgt vor dem Hintergrund der Relevanz für den Arbeitskontext, einer zusammenhängenden Darstellung der Auswirkungen von Belastungen und Stress im Individuum sowie der ergänzenden Integration von Ressourcen. 2.1.1 Das Belastungs-Beanspruchungs-Konzept Das Belastung-Beanspruchungs-Konzept von Rohmert und Rutenfranz (1975), das sich zunächst auf Umgebungsbelastungen mit physiologischen Beanspruchungen konzentrierte, zählt zu den vorherrschenden Konzepten in der Arbeitswissenschaft. In Erweiterung des Modells besitzen die Terminologien Belastung und Beanspruchung nunmehr Gültigkeit für die Beschreibung des Zusammenhangs von psychischen Einflussfaktoren der Arbeit und psychischen Auswirkungen beim Menschen (Bamberg & Keller et al., 2012; Oesterreich, 2001). Der Einzug des Belastungs-Beanspruchungs-Konzeptes in die europäische und deutsche Normierung ermöglicht einen einheitlichen Sprachgebrauch im sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Kontext. Zusätzlich wird im Arbeits- und Gesundheitsschutz durch Rückgriff auf das Modell von Rohmert und Rutenfranz (1975) die Darstellung der Auswirkung von psychischen Gefährdungen auf das Individuum erleichtert (Oesterreich, 2001). Der UrsacheWirkungs-Zusammenhang lässt sich wie in Abbildung 3 durch die bildliche Darstellung als Waage verdeutlichen.

2.1 Relevante Theorien und Wirkungsmodelle

13

Beanspruchung niedrig

Mensch (Voraussetzungen)

hoch

Belastung (äußere Einflüsse)

Abbildung 3: Das Belastungs-Beanspruchungs-Konzept (Rohmert & Rutenfranz, 1975; mod. nach Lohmann-Haislah, 2012, S. 14)

Für die Beschreibung dieses Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs müssen zunächst die beiden Begrifflichkeiten psychische Belastung und psychische Beanspruchung gegeneinander abgegrenzt werden. Innerhalb der DIN EN ISO 100751:2000 sind folgende terminologische Definitionen aufgeführt: Psychische Belastung ist „die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken.“ (DIN; zit. nach Stegmaier, Frieling & Sonntag, 2012, S. 262) Psychische Beanspruchung ist „die individuelle, zeitlich unmittelbare und nicht langfristige Auswirkung der psychischen Belastung im Menschen in Abhängigkeit von seinen individuellen Voraussetzungen und seinem Zustand.“ (DIN; zit. nach Stegmaier et al., 2012, S. 262) Die psychische Einwirkung der äußeren Einflüsse geschieht durch die Sinnesorgane und Wahrnehmung des Menschen, durch informationsverarbeitende und mental-kognitive Prozesse sowie durch emotionale Vorgänge wie Gefühle und Empfindungen (Oppolzer, 2009). Die Quellen der psychischen Belastung liegen in der Arbeitsaufgabe selbst, den Prozessen der Arbeitsorganisation, den sozialen Interaktionen mit innerbetrieblichen Akteuren aber auch in der Arbeitsumgebung und den Arbeitsmitteln. Das Ausmaß der psychischen Belastung wird durch ihre Dauer und Intensität bestimmt (Bamberg & Keller et al., 2012).

14

2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

Kennzeichnend ist die wertneutrale Bedeutung der Terminologie als psychische Belastung gemäß der Definition (Kölbach & Zapf, 2015). Im Gegensatz zum Alltagssprachgebrauch mit einer negativen Konnotation des Begriffes, können Belastungen im Belastungs-Beanspruchungs-Konzept sowohl fördernde als auch gesundheitsabträgliche Wirkungen aufweisen. Gleiche psychische Belastungen führen abhängig von den subjektiven Voraussetzungen der Person, auf die diese einwirken, zu unterschiedlichen Beanspruchungen als unmittelbare Auswirkung. Die individuellen Leistungsvoraussetzungen und persönlichen Ressourcen des Menschen entscheiden in Kombination mit dem Ausmaß und der Intensität der Belastung über den Grad der psychischen Beanspruchung (Bamberg & Keller et al., 2012; Oppolzer, 2009). Um die fördernden und beeinträchtigenden Effekte der wertneutral formulierten Belastung stärker herauszustellen, wird häufig auch der Begriff der Fehlbelastungen geprägt, die mit einer größeren Wahrscheinlichkeit mit negativen Auswirkungen, den sogenannten Fehlbeanspruchungen, einhergehen (Nachreiner, 2008). Aufgrund der zunächst neutralen Formulierung des Begriffes Belastung können Hinweise auf die Schädigungslosigkeit der einwirkenden äußeren Einflüsse nur durch das Ausmaß der Beanspruchung gewonnen werden. Hinsichtlich der körperlichen Belastungen steht diesbezüglich eine Vielzahl von Messgrößen zur Festlegung von Belastungsgrenzen zu Verfügung, die die schädigungslose Ausführbarkeit einer Arbeit auf physiologischer Ebene zusichern. Für den Bereich der psychischen Belastung gestaltet sich dies wegen des interindividuell unterschiedlichen Beanspruchungserlebens deutlich schwieriger (Resch, 2003). Zudem fehlt es innerhalb des Belastungs-Beanspruchungs-Konzepts an Erklärungen, wie die Belastungen verarbeitet und bewältigt werden. Letztlich ist auch die neutrale Formulierung des Begriffs zu kritisieren, da sie durch den Widerspruch zum Alltagsverständnis missverständlich sein kann (Bamberg & Keller et al., 2012). 2.1.2 Das Anforderungs-Kontroll-Modell Das Anforderungs-Kontroll-Modell (Job-Demand-Control-Model) nach Karasek (1979) beschreibt die Wechselwirkung zweier Dimensionen von Tätigkeitsmerkmalen. Die Anforderungen (demands) auf der einen und Handlungsspielräume (control) auf der anderen Seite können jeweils zwei unterschiedliche Aus-

2.1 Relevante Theorien und Wirkungsmodelle

15

prägungen annehmen und entscheiden in ihrer Kombination über die jeweilige Auswirkung (siehe Abbildung 4) (Oesterreich, 2001).

hoch (high)

niedrig (low)

passiver Job (passive)

ruhiger Job (low strain/ relaxed)

stressiger Job (high strain)

aktiver Job (active)

Anforderungen (demand)

niedrig (low)

hoch (high)

Kontrolle/ Handlungsspielräume (control)

Abbildung 4: Das Anforderungs-Kontroll-Modell (mod. nach Karasek & Theorell, 1990, S. 32)

Der Faktor Anforderung (demand) bezieht sich auf Aspekte der Arbeitstätigkeit, die gesundheitsabträgliche Folgen für den Menschen haben können wie z.B. Zeitdruck, Arbeitsvolumen oder widersprüchliche Arbeitsanforderungen. Die Dimension entspricht demnach dem Begriff der Fehlbelastungen im BelastungsBeanspruchungs-Konzept. Das Ausmaß an Handlungsspielräumen (control) im Zusammenspiel mit dem Grad der Anforderungen führt zu gesundheitsabträglichen oder -förderlichen Auswirkungen. Handlungsspielräume sind gegeben, wenn Mitarbeiter beispielsweise eigene Entscheidungen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit treffen können. Stress entsteht bei einem hohen Ausmaß an Anforderungen bei gleichzeitig geringen Tätigkeitsspielräumen, da ohne ausreichende Freiheitsgrade die erfolgreiche Bewältigung von Arbeitsanforderungen erschwert

16

2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

wird. Sind beide Dimensionen stark ausgeprägt, wird ein anregender und herausfordernder Effekt der Arbeit erzielt, der die Entwicklung neuer Kompetenzen und Verhaltensmuster begünstigt. Generell ist eine Erweiterung der Handlungsspielräume anzustreben, während höhere Ausprägungen der Anforderungen zu vermeiden sind (Oesterreich, 2001). Kritisch merkt Lohmann-Haislah (2012) an, dass ein geringer Grad an Anforderung ebenfalls mit negativem Beanspruchungserleben durch Unterforderung einhergehen kann. Demgegenüber können Anforderungen solch ein hohes Ausmaß annehmen, dass trotz großer Freiheitsgrade eine Kompensation unmöglich ist. Zudem beschränkt sich das ursprüngliche Modell in dieser Form auf den Handlungsspielraum als einzig dargestellte Ressource im Umgang mit Arbeitsanforderungen und reduziert den Wirkungszusammenhang auf die Interaktionseffekte von letztlich zwei Dimensionen. Daher integrierten Johnson und Hall (1988) das Arbeitsplatzcharakteristikum der sozialen Unterstützung durch Vorgesetzte und Kollegen in einem Job-Demand-Control-Support-Model, das in späteren Arbeiten wiederum auch von Karasek und Theorell (1990) übernommen wurde. Das höchste Risiko für Fehlbeanspruchungen hat nach der Weiterentwicklung des Modells die Konstellation von hohen Anforderungen bei gleichzeitig niedrigem Handlungsspielraum und geringer sozialer Unterstützung. 2.1.3 Das Modell beruflicher Gratifikationskrisen Während Karasek und Theorell (1990) mit dem Job-Demand-Control(-Support)Model die externen Risikofaktoren bezugnehmend auf die Tätigkeitscharakteristika von Anforderungen, Handlungsspielräumen und später auch sozialer Unterstützung fokussieren, konzentriert sich das Modell beruflicher Gratifikationskrisen (Effort Rewad Imbalance Model) von Siegrist (1996) auf das Verhältnis von persönlichen Anstrengungen zur Erfüllung der Arbeitsanforderungen und Belohnung des eigenen Arbeitshandelns durch die Organisation (siehe Abbildung 5).

2.1 Relevante Theorien und Wirkungsmodelle

17

Extrinsische Komponente

Anforderungen Verpflichtungen

Lohn, Gehalt Aufstiegsmöglichkeiten Arbeitsplatzsicherheit Wertschätzung Belohnung

Verausgabung Erwartungen („übersteigerte Verausgabungsneigung“) Intrinsische Komponente Abbildung 5: Das Modell beruflicher Gratifikationskrisen (mod. nach Siegrist, 1996, S. 99)

Die Gefahr von Gratifikationskrisen besteht bei einem Ungleichgewicht zwischen dem eigenen Leistungseinsatz und dem erwarteten materiellen oder immateriellen Ertrag seitens des Unternehmens, bei dem die eigenen Anstrengungen höher ausfallen als die antizipierte Belohnung (Schaper, 2014). Gratifikationen können nicht nur durch materielle Werte wie Lohn oder Gehalt erfolgen, sondern in besonderem Maße auch durch die gebotene Stellung im Unternehmen oder die Vermittlung von Anerkennung und Wertschätzung. Siegrist (1996) sieht den Stellenwert des Modells in verschiedenen Aspekten begründet. Zunächst einmal berücksichtigt es aktuell relevante Themen wie Arbeitsintensivierung oder auch prekäre Arbeitsbedingungen als Folgen der wirtschaftlichen Globalisierung. Weiterhin kommt dem Prinzip der sozialen Reziprozität von eigenem Einsatz und Gegenleistung eine wesentliche Bedeutung innerhalb des Modells zu. Zudem stützt es sich nicht nur auf Charakteristika der Arbeitssituation, sondern inkludiert gleichermaßen Merkmale der arbeitenden Person. Der geleistete Aufwand, der extrinsisch u.a. durch das Ausmaß an Anforderungen und Freiheitsgraden determiniert wird, wird intrinsisch durch die individuelle Leistungsbereitschaft und Bewältigungsstile sowie insbesondere auch durch stressverschärfende persönlichkeitsbezogene Merkmale wie Kontrollollambitionen, Perfektionismus oder eine übersteigerte Verausgabungsneigung bestimmt (Metz & Rothe, 2016). Gratifikationskrisen werden entweder aufgrund einer bestehenden Abhängigkeit

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2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

durch fehlende Jobalternativen oder aus strategischen Gründen für eine zukünftige Karriereaufwertung über eine längere Zeit hingenommen (Siegrist, 1996) und führen zu gesundheitsbedingten Beeinträchtigungen (Bamberg, Busch, Dettmers & Mohr, 2012). 2.1.4 Das Arbeitsanforderungen-Arbeitsressourcen Modell Sowohl das Anforderung-Kontroll-Modell von Karasek (1979) und seine spätere Weiterentwicklung mit Integration der Dimension arbeitsplatzbezogener sozialer Unterstützung (Karasek & Theorell, 1990) als auch das Modell beruflicher Gratifikationskrisen von Siegrist (1996) sind aufgrund ihrer geringen Spezifität und starken Vereinfachung in ihrer Aussagekraft zum Zusammenhang von Ressourcen und Arbeitsanforderungen limitiert (Schaper, 2014). Dies führte Demerouti et al. (2001) zur Konzeption des Arbeitsanforderungen-Arbeitsressourcen Modells von Burnout und Arbeitsengagement (job demands-ressources model) auf Basis der beiden Modelle von Karasek und Theorell (1990) und Siegrist (1996). Hinsichtlich der Arbeitsplatzcharakteristika werden Arbeitsanforderungen und Arbeitsressourcen unterschieden, wobei der Ressourcenbegriff deutlich umfangreicher verstanden wird (Schaper, 2014). Dabei berücksichtigt das Modell nicht nur die Auswirkungen von Arbeitsanforderungen auf die Gesundheit, sondern postuliert im Zusammenwirken mit arbeitsplatzbezogenen Ressourcen auch einen Effekt auf Motivation und Arbeitsengagement, die in Abbildung 6 dargestellt sind.

2.1 Relevante Theorien und Wirkungsmodelle

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mentale emotionale körperliche

Arbeitsanforderungen

+

(schlechte) Gesundheit -

etc.

organisationale Folgen

Unterstützung + Autonomie Feedback

Arbeitsressourcen

+

Motivation

etc. Abbildung 6: Das Arbeitsanforderungen-Arbeitsressourcen Modell (Bakker & Demerouti, 2007, S. 313)

Die Arbeitsanforderungen können körperlicher wie kognitiver und emotionaler Natur sein und in Rollenkonflikten, der Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, den Arbeitszeiten, emotionalen Anforderungen oder auch dem Arbeitsdruck begründet sein (Demerouti et al., 2001). Langandauernde Arbeitsanforderungen mit einer hohen Intensität sind mit physischen und psychischen Kosten für die Person verbunden und können die Verfügbarkeit von Ressourcen verändern. Arbeitsressourcen hingegen fördern die berufliche Zielerreichung und Motivation, mildern die negativen Effekte der Arbeitsanforderungen und unterstützen die persönliche Weiterentwicklung (Schaper, 2014). Ressourcenbezogene Tätigkeitsmerkmale entstammen der Arbeitstätigkeit selbst sowie den organisationalen und sozialen Bedingungen. Im Einzelnen können dies Karrieremöglichkeiten, soziale Unterstützung von Kollegen und Vorgesetzten, Coaching, das Betriebsklima, Partizipation bei Entscheidungen, Feedback über die Qualität der Leistungen, Variabilität und Handlungsspielräume sein (Demerouti et al., 2001). Jede Arbeitsgruppe verfügt entsprechend ihrer beruflichen Spezifität über unterschiedliche Arbeitsanforderungen und Tätigkeitsressourcen. Innerhalb des Modells gibt es zwei parallele Wirkungsstränge (Demerouti et al., 2001). Langfristig hohe Arbeitsanforderungen gehen mit Fehlbeanspruchung und gesundheitlichen Beeinträchtigungen einher. Ressourcen hingegen tragen zur Aufrechterhaltung von Motivation und Arbeitsengagement bei. Dane-

20

2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

ben gibt es verschiedene Wechselwirkungen, so dass ausreichend vorhandenen Ressourcen die negativen Auswirkungen der Arbeitsanforderungen puffern können (Bakker & Demerouti, 2007). Zudem beeinflussen auf Basis der Interaktion von Tätigkeitsressourcen und Arbeitsanforderungen der gesundheitliche Zustand und die Motivation die Produktivität als organisationale Folge. Letztlich ist im zeitlichen Verlauf auch von einer gegenseitigen Beeinflussung des Gesundheitszustandes und der Tätigkeitsbedingungen auszugehen. Erschöpfung kann beispielsweise aufgrund von fehlender Effektivität der Aufgabenerledigung zu höheren Arbeitsanforderungen und wiederum zu einem höheren Ausmaß an Erschöpfung führen. Motivationsverlust und fehlende Bindung zur Arbeit aufgrund von fehlenden Ressourcen zur Anforderungsbewältigung erhöhen die Fehlzeiten und trägt durch die stärkere Distanzierung zur Arbeit wiederum zu einem Ressourcenverlust bei. Demerouti (2012) betont die Bedeutsamkeit der dargestellten Wirkungszusammenhänge des Arbeitsanforderungen-Arbeitsressourcen Modells für den Arbeits- und Gesundheitsschutz, da das Ausmaß an Ressourcen hinsichtlich des Arbeitsengagements Vorhersagekraft besitzt und auch positive Organisationsfolgen postuliert, was in der Argumentation präventiver statt korrektiver Arbeitsgestaltung bei Organisationen Überzeugungskraft besitzt. 2.1.5 Das transaktionale Stressmodell In der Psychologie gehört das transaktionale Stressmodell (Lazarus & Folkman, 1984; Lazarus & Launier, 1981) zu den einflussreichsten Konzepten zur Erklärung des Stressprozesses und insbesondere der interindividuell unterschiedlichen Auswirkungen bei gleichen Auslösefaktoren und geht über den Arbeitskontext hinaus (Bamberg & Keller et al., 2012). Im Gegensatz zum reaktionsorientierten konzentriert sich das transaktionale Stressmodell in seiner psychologisch orientierten Perspektive auf die kognitive Verarbeitung der Reize (Franke & Franzkowiak, 2011). Hierbei wird der Stressprozess als dynamische Wechselwirkung zwischen den Anforderungen der jeweiligen Situation und der Person mit ihrer kognitiven Bewertung einschließlich ihres Bewältigungshandelns beschrieben. Einen zentralen Stellenwert nehmen in diesem Modell folglich die individuellen Bewertungs- und Bewältigungsprozesse ein (siehe Abbildung 7).

2.1 Relevante Theorien und Wirkungsmodelle

21

Umwelt/ Situation/ Reiz Intensität, Dauer/ Ambiguität, Vorhersagbarkeit, Kontrollierbarkeit

Person Wahrnehmung und Interpretation aufgrund von Konzept über die eigene Person, Ziele, Werte, Überzeugungen, Erfahrungen Primäre Bewertung Einschätzung des Stressors positiv

belastend Herausforderung, Bedrohung, Schaden/ Verlust

irrelevant

Sekundäre Bewertung Einschätzung der Bewältigungsmöglichkeiten fehlende Ressourcen

ausreichende Ressourcen Stress

Coping Stressbewältigung

problemorientiert

emotionsorientiert

Neubewertung Reflexion und Rückkopplung Abbildung 7: Das transaktionale Stressmodell (Lazarus & Folkman, 1984; mod. nach Bamberg & Busch et al., 2012, S. 118)

Die Auswirkungen der einwirkenden Reize hängen maßgeblich von der Bewertung und Bewältigung der jeweiligen Situation durch die Person ab. Die kognitive Bewertung erfolgt dabei zunächst in zwei wesentlichen Schritten (Bamberg & Keller et al., 2012). Bei der primären Bewertung („primary appraisal“) werden Ereignisse in Hinsicht auf ihre Vorhersehbarkeit, Kontrollierbarkeit sowie dem zeitlichen Verlauf und den daraus resultierenden potenziellen Beeinträchtigungen des eigenen Wohlbefindens eingeschätzt (Knoll, Scholz & Rieckmann, 2005; Ulich & Wülser, 2005). Die Situation kann hierbei vom Individuum entweder als irrelevant, positiv oder belastend bzw. stressend eingestuft werden. Im Falle der für den Stressprozess relevanten Einschätzung des Ereignisses als belastend erfolgen die drei weiteren Varianten der Situationsinterpretation als:

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2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

»

Herausforderung (die potentiell als positiv empfundenen Folgen stehen im Fokus), » Bedrohung (eine Schädigung bzw. ein Verlust ist zu erwarten) oder » Schaden bzw. Verlust (die Schädigung ist bereits eingetreten) (Bamberg & Keller et al., 2012). Bei der sekundären Bewertung („secondary appraisal“) wird das Ereignis nach den Bewältigungsmöglichkeiten und -fähigkeiten auf Basis der verfügbaren Ressourcen eingeschätzt. Trotz der Bezeichnung als primäre und sekundäre Bewertung wird durch die Begrifflichkeiten keine feste zeitliche Abfolge beschrieben. Dennoch sind beide Bewertungsprozesse durch ihre gegenseitige Einflussnahme unabdingbar miteinander verknüpft (ebd.). Stress entsteht, wenn die Interaktion von Person und Umwelt in Bezug auf das eigene Wohlbefinden als relevant erlebt wird und die individuellen Reaktionskapazitäten beansprucht oder gar überstiegen werden (Knoll et al., 2005). Werden adäquate, verfügbare Ressourcen zum Umgang mit der Situation durch das Individuum angenommen, kommt es zum Prozess der Stressbewältigung („coping“), die zwei zentrale Funktionen erfüllen kann. Die emotionsorientierte Bewältigung zielt auf eine Regulation der mit der Stresssituation verbundenen Gefühle und Gedanken ab, wohingegen die problemorientierte Bewältigung eine Veränderung der eigentlichen Situation durch eigenes Eingreifen anstrebt (ebd.). Eine weitere Differenzierung kann anhand der vier Bewältigungsformen » Suche nach Informationen, » direkte Handlungen, » Handlungshemmung/ -unterlassung und » intrapsychisches Coping vorgenommen werden, die in ihrer Funktion jeweils emotions- oder problemorientiert ausgerichtet sein können (Faltermaier, 2017). Liegt ein Ereignis außerhalb des eigenen Kontroll- und Einflussbereiches wird das Individuum aller Voraussicht nach eher emotionsorientierte Bewältigungsstrategien anwenden (Knoll et al., 2005). Die Bewältigungsversuche können eine Veränderung der Ausgangssituation oder den Zugewinn an Informationen und Ressourcen zur Folge haben, die zu einer Neubewertung („reappraisal“) des ursprünglichen Ereignisses führen. Durch die Reflektion der Informationen über die eigene Reaktion und über die Umwelt sowie die Evaluation der angewandten Bewältigungsstrategien er-

2.1 Relevante Theorien und Wirkungsmodelle

23

folgt eine Rückkopplung, die die Bewertung des Stressors und die Wahrnehmung zukünftiger Anforderungen verändern kann (Lohmann-Haislah, 2012; Ulich & Wülser, 2005). Zweifellos hat das transaktionale Stressmodell seinen Verdienst in der Formulierung eines komplexen kognitiven und dynamischen Stressprozesses mit der Fokussierung auf die individuellen Bewertungs- und Bewältigungsprozesse. Allerdings sind genau diese Komplexität und die Subjektivierung der Stressdefinition der Anlass für Kritik an dem Modell. Zum einen fehlt ein empirischer Nachweis des Stressprozesses auf Basis streng experimenteller Studien, da eine Operationalisierung und eindeutige Abgrenzung der einzelnen Bewertungsschritte nur schwer möglich ist (Knoll et al., 2005). Zum anderen werden durch den subjektiven Fokus im Modell die eigentlichen stressauslösenden Anforderungen kaum berücksichtigt (Bamberg & Keller et al., 2012). Hobfoll (1989) weist zudem kritisch darauf hin, dass das tatsächliche Erleben von Stress bei der erfolgreichen Bewältigung von belastenden Anforderungen in der rückblickenden Betrachtung unbemerkt bleiben könnte. 2.1.6 Das arbeitspsychologische Stresskonzept Das arbeitspsychologische Stressmodell (Bamberg & Keller et al., 2012) entstand im Rahmen eines Projektauftrages der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) zur systematischen Integration verschiedener stresstheoretischer Ansätze und zur vereinheitlichten Verwendung der unterschiedlichen Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit Belastung und Stress. Dabei fußt es im Wesentlichen auf dem Belastungs-Beanspruchungskonzept (Rohmert & Rutenfranz, 1975) sowie dem transaktionalen Stresskonzept (Lazarus & Folkman, 1984; Lazarus & Launier, 1981) und greift die Kritikpunkte beider Modelle innerhalb der erweiterten Konzeption mit Bezug zum Arbeitskontext auf. Der postulierte Stressprozess integriert sowohl Stressoren und Risikofaktoren, Ressourcen, Bewertungs- und Bewältigungsprozesse als auch mögliche Stressfolgen, die in Rück- und Wechselwirkungen miteinander stehen (siehe Abbildung 8).

24

2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

Bedingungsbezogene Stressoren Personenbezogene Risikofaktoren

Bedingungsbezogene Ressourcen

Bewertung primär sekundär

Bewältigung problem- oder emotionsbezogen

Stressfolgen (kurz- und langfristig) » somatisch » kognitivemotional » Verhalten

Personenbezogene Ressourcen

Abbildung 8: Arbeitspsychologische Erweiterung des transaktionalen Stressmodells (mod. nach Bamberg & Keller et al., 2012, S. 12)

Innerhalb des arbeitspsychologischen Stressmodells ist Stress per se negativ konnotiert und wird beschrieben als „[...] ein subjektiv intensiv unangenehmer Spannungszustand, der aus der Befürchtung entsteht, dass eine stark aversive, subjektiv zeitlich nahe (oder bereits eingetretene) und subjektiv lang andauernde Situation sehr wahrscheinlich nicht vollständig kontrollierbar ist, deren Vermeidung aber subjektiv wichtig erscheint“ (Greif, 1991, S. 13). Das in diesem Modell postulierte transaktionale Stressgeschehen integriert die Bewertungs- und Bewältigungsvorgänge ebenso wie die stressauslösenden Bedingungen und Ressourcen (Bamberg & Keller et al., 2012). Stressoren und Risikofaktoren sind der Auslöser für den Stressprozess, der durch adäquate Ressourcen günstig beeinflusst werden kann. Bei den stressauslösenden Faktoren werden bedingungsbezogene Stressoren und personenbezogene Risikofaktoren differenziert. Die Stressoren umfassen alle Aspekte und Merkmale, die durch die äußere Umwelt in Form von Arbeitsorganisation, -aufgabe und Umweltbedingungen vorgegeben sind und entsprechen dem Begriff der Fehlbelastungen. Hierdurch werden auch jene Ereignisse innerhalb des Stressprozesses berücksichtigt, die mit großer Wahrscheinlichkeit bei vielen Individuen mit negativen Auswirkungen auf die Gesundheit einhergehen. Risikofaktoren sind hingegen individuelle Merkmale, die sich innerhalb der Person befinden und an diese gebunden sind. Dies beinhaltet persönliche Eigenschaften und Verhaltens-

2.1 Relevante Theorien und Wirkungsmodelle

25

weisen ebenso wie individuelle Einstellungen oder auch Erkrankungen. So werden durch die personenbezogenen Risikofaktoren neben möglichen allgemeingültigen Stressoren in der Arbeitswelt auch die interindividuellen Unterschiede bei den Auslösefaktoren für Stress berücksichtigt. Den Stressoren und Risikofaktoren stehen Ressourcen gegenüber, die maßgeblich die weiteren Bewertungs- und Bewältigungsprozesse bestimmen. Ressourcen sind Merkmale oder Mittel, die ebenfalls in den äußeren Bedingungen des Arbeitskontextes oder innerhalb der Person liegen können (ebd.) und zur Bewältigung von Anforderungen durch Vermeidung des Auftretens von Stressoren oder Risikofaktoren oder wenigstens durch Minderung deren Ausmaßes und Wirkung genutzt werden können (Zapf & Semmer, 2004). Während die bedingungsbezogenen Ressourcen vorwiegend in der Arbeitsorganisation oder den Arbeitsaufgaben liegen, beziehen sich die personenbezogenen Ressourcen auf Kompetenzen, Fähigkeiten und Bewältigungsstrategien eines Individuums (Bamberg & Keller et al., 2012). Die Stressoren bzw. Risikofaktoren und die Ressourcen beeinflussen die Bewertungs- und Bewältigungsprozesse. Bamberg (2012) unterscheidet analog zum transaktionalen Stressmodell von Lazarus (Lazarus & Folkman, 1984; Lazarus & Launier, 1981) nach primärer und sekundärer Bewertung sowie emotionsund problemorientierter Bewältigung bei stressbezogener Bewertung eines Ereignisses und Einschätzung ausreichend verfügbarer Ressourcen (siehe Kapitel 2.1.4). In Erweiterung des transaktionalen Stressmodells berücksichtigt das arbeitspsychologische Stressmodell zusätzlich die kurz- und langfristigen Stressfolgen und geht damit auch über die unmittelbaren Beanspruchungen des Belastungs-Beanspruchungs-Konzepts hinaus (Bamberg & Keller et al., 2012). Die kurz- und langfristigen Stressfolgen betreffen sowohl die somatische, kognitive, emotionale als auch die Verhaltensebene und können weitreichende Auswirkungen auf das soziale berufliche wie private Umfeld und auf das Unternehmen haben (Tabelle 1).

26

2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

Tabelle 1: Beispielhafte kurz- und langfristige Stressfolgen (Bamberg & Keller et al., 2012, S. 15) Reaktionsebenen somatische Ebene

kognitive Ebene emotionale Ebene Verhaltensebene

kurzfristige Stressfolgen Ausschüttung von Stresshormonen, Erhöhung von Blutdruck und Herzfrequenz Konzentrationsstörungen Gereiztheit, Ärger, Frustration ungünstiges Gesundheitsverhalten, vermehrte Konflikte, Rückzug

langfristige Stressfolgen psychosomatische Beschwerden, organische Krankheiten Fehlerhäufigkeit, unüberlegte Entscheidungen Arbeitsunzufriedenheit, Ängstlichkeit Absentismus1, innere Kündigung, Leistungsverweigerung, Einschränkung des Freizeitverhaltens und der sozialen Kontakte, ungünstiges Gesundheitsverhalten

Das arbeitspsychologische Stressmodell vereint die individuelle Perspektive des Stressprozesses und bedingungsbezogene Aspekte auf Belastungs- und Ressourcenebene (ebd.). Es liefert damit gleichermaßen Ansatzpunkte für eine gesundheitsförderliche Arbeits- und Organisationsgestaltung wie für Interventionen zur individuellen instrumentellen, kognitiven und regenerativen Stressbewältigung. Dennoch bleibt kritisch festzuhalten, dass die Limitation des arbeitspsychologischen Stressmodells in dem engen Bezug zum Arbeitskontext liegt. Arbeitsbedingte Belastungen treten in der Regel nicht isoliert auf, sondern gehören zu einem Belastungskomplex, der im privaten Umfeld zusätzliche Dauerbelastungen (z.B. Pflege eines Angehörigen), Alltagsärgernisse1 oder kritische Lebensereignisse (z.B. Tod eines Familienangehörigen) umfassen kann (Faltermaier, 2017). Da sich diese Belastungen gegenseitig bedingen und verstärken können, sollten bei der Abbildung eines Stressprozesses im Arbeitskontext auch private Einflussfaktoren Berücksichtigung finden.

1

Alltagsärgernisse umfassen kleinere Zwischenfälle im alltäglichen Geschehen, die mit Gefühlen von Wut, Ärger und Frustration beim Individuum einhergehen (Faltermaier, 2017).

2.2 Verwendung der Begrifflichkeiten im Bezugsrahmen der vorliegenden Arbeit

2.2

27

Verwendung der Begrifflichkeiten im Bezugsrahmen der vorliegenden Arbeit

Das vorangegangene Kapitel (siehe Kapitel 2.1) verdeutlicht die unterschiedliche Verwendung und Definition der Begrifflichkeiten zu Stress, Belastung und Beanspruchung. Zur Gewährleistung eines eindeutigen und einheitlichen Verständnisses werden die Begrifflichkeiten in ihrer Bedeutung und Auslegung für den Kontext der vorliegenden Arbeit nachfolgend beschrieben. Stress meint anlehnend an die Definitionen von Greif (1991) und Lazarus und Launier (1981) einen subjektiv als äußerst unangenehm erlebten Spannungszustand, der entsteht, wenn äußere oder innere Anforderungen die Reaktionskapazitäten einer Person beanspruchen oder übersteigen (Faltermaier, 2017). Stressoren sind mögliche bedingungsbezogene als auch intraindividuelle Stimuli, die mit einer größeren Wahrscheinlichkeit Stress auslösen (Greif, 1991). Sie entsprechen dem Alltagsverständnis des Begriffs der Belastungen. Fehlbelastungen sind in dem bedingungsbezogenen Aspekt adäquat zu dem Begriff Stressoren zu verstehen und meinen bedingungsbezogene Faktoren, die mit einer größeren Wahrscheinlichkeit mit negativen Auswirkungen auf die Gesundheit einhergehen (Nachreiner, 2008). Fehlbeanspruchungen bezeichnen die unmittelbaren ausschließlich negativen Auswirkungen der Fehlbelastungen bzw. Stressoren auf die Person, wenn die Voraussetzungen und Bewältigungsstrategien des Individuums über- oder unterfordert werden (Neuhaus, 2012). Fehlbeanspruchungsfolgen bzw. Stressfolgen sind die kurzfristigen sowie mittel- bis langfristigen Auswirkungen der Fehlbeanspruchungen auf das Wohlergehen des Individuums infolge der Konfrontation mit Stressoren (Neuhaus, 2012). Ressourcen sind interne Merkmale oder externe Mittel, die einer Person zur Bewältigung von Anforderungen und zum Umgang mit Fehlbelastungen, zum Abbau von Stressoren oder zur Minderung der Stressreaktion zur Verfügung stehen (Bamberg & Keller et al., 2012).

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2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

Coping bzw. Bewältigungshandeln umfasst die expliziten Bemühungen eines Individuums, die Stresssituation mit Hilfe der ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen zu bewältigen (Faltermaier, 2017). Mit Stressreaktionen sind in Anlehnung an Kaluza (2004, S. 14) all jene Prozesse gemeint, „[...] die aufseiten der betroffenen Person als Antwort auf einen Stressor in Gang gesetzt werden.“. Sie umfassen Effekte auf der somatischen, kognitiven, emotionalen und behavioralen Ebene. Der Stressprozess setzt die Dimensionen Stressoren, kognitive Bewertung, Ressourcen und Bewältigungshandeln einschließlich der Stressreaktionen und -folgen in Bezug zueinander und stellt das Geschehen in der Gesamtheit seiner Wechselwirkungen dar. 2.3

Rahmenbedingungen und Merkmalsbereiche psychischer Fehlbelastungen im Erwerbsleben

Grundsätzlich ist der hohe Stellenwert der Erwerbsarbeit in der modernen Gesellschaft herauszustellen. Arbeit sichert die eigene Existenz, ist sinnstiftend, bietet Struktur und Orientierung im Alltag, stärkt das soziale Ansehen einer Person nach außen und wirkt dadurch psychisch stabilisierend (Kroll et al., 2011; Lohmann-Haislah, 2012). Dennoch haben sich die Rahmenbedingungen für die Erwerbsarbeit in den letzten Jahren verändert und kennzeichnen sich aktuell durch eine deutliche Expansion atypischer2 Beschäftigungs- gegenüber Normalarbeitsverhältnissen (Keller & Henneberger). Für die Unternehmen ergeben sich durch » die aktuelle Wirtschaftslage, » die Globalisierung, » den demographischen und kulturellen Wandel, » neue rechtliche Bestimmungen,

2

Atypische Beschäftigungsverhältnisse stehen definitorisch im Gegensatz zu den Normalarbeitsverhältnissen, die sich wiederum durch unbefristete Vollzeitarbeitsverhältnisse, vollständige Integration in die sozialen Sicherungssysteme, Aufweisen einer Identität von Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis und Gebundenheit des Beschäftigten an die Weisungen des Arbeitgebers kennzeichnen. Zu den atypischen Beschäftigungsverhältnissen zählen Teilzeitbeschäftigung, geringfügige Beschäftigung (Mini-Jobs), Midi-Jobs (Einkommen zwischen 450,01 und 850 Euro), Leiharbeit, befristete Beschäftigung und Selbstständige ohne Mitarbeiter (Keller und Henneberger, o.J.).

2.3 Rahmenbedingungen und Merkmalsbereiche psychischer Fehlbelastungen im Erwerbsleben

29

»

die Berücksichtigung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei sich ändernden Netzwerkstrukturen, » einen gesellschaftlich anderen Umgang mit Zeit sowie » den technischen Fortschritt verknüpft mit neuen Informationstechnologien neue Herausforderungen verbunden mit einem erhöhten Leistungs-, Kosten- und Innovationsdruck (Windemuth, 2012). Dabei kennzeichnet sich der Wandel der Arbeitswelt durch diese gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen vor allem durch » Tertiarisierung (Bedeutungsgewinn des Dienstleistungssektors mit kognitiven und interaktiven Tätigkeiten), » Informatisierung (Zunahme der ortsunabhängigen und flexiblen Kommunikations- und Informationserfordernisse durch moderne Kommunikationsmittel), » Subjektivierung (Bedeutungsgewinn neuer Steuerungsformen zur Stärkung der Eigenverantwortung für erfolgsorientierte Gestaltung der Arbeitsprozesse) » Akzeleration (Beschleunigung von arbeitsbezogenen Prozessen bei gleichzeitig zunehmender Aufgabenkomplexität und erhöhten Lernanforderungen), » neue Arbeitsformen (Zunahme von atypischen Arbeitsverhältnissen und diskontinuierlichen Berufsverläufen, räumlicher Mobilität und zeitlicher Flexibilisierung bei reduzierter Abgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben) (Lohmann-Haislah, 2012). Die sich verändernden gesellschaftlich-ökonomischen Rahmenbedingungen und die mit dem Wandel der Arbeitswelt verknüpften steigenden psychischen Arbeitsanforderungen werden nachfolgend im Detail aufgegliedert. 2.3.1 Sozioökonomische Rahmenbedingungen Trotz vieler positiver Effekte von Erwerbsarbeit geht der Wandel der Arbeitswelt mit einer beunruhigenden Veränderung der Arbeitsformen und -verhältnisse einher. Insbesondere die gesellschaftlich ökonomischen Rahmenbedingungen wie beispielsweise Globalisierung und Wirtschaftslage nehmen maßgeblich Einfluss auf die Art der Beschäftigungsverhältnisse, die wiederum prekäre Ar-

30

2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

beitsbedingungen hervorbringen und mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit psychischer Fehlbelastungen verknüpft sind (Kölbach & Zapf, 2015). Im Jahr 2015 waren annähernd vier von zehn (39.3 %) Arbeitnehmern in Deutschland in atypischen Beschäftigungsverhältnissen tätig, während dies im Jahr 2005 auf drei von zehn Arbeitnehmer zutraf (32.0 %) (Hans-BöcklerStiftung, 2016). Feiner untergliedert entfielen bei den abhängig Beschäftigten 22.4 % auf Teilzeitarbeit, 2.5 % auf Leiharbeit und 14.4 % auf geringfügige Beschäftigungen in Form von Mini-Jobs. 70.8 % der atypischen abhängig Beschäftigen sind weiblich. Während der Anteil der atypisch beschäftigten Frauen an allen weiblichen abhängig Beschäftigten 57.1 % ausmacht, sind lediglich 22.4 % der männlichen abhängig Beschäftigten atypisch beschäftigt. Dabei lag der Anteil der Teilzeitbeschäftigten an abhängigen Beschäftigungsverhältnissen im Jahr 2015 bei den Frauen bei 37.0 %, bei den Männern hingegen bei 8.5 %. Unter den abhängig Beschäftigten hatten im Jahr 2015 immerhin noch 18.6 % der Frauen und 10.4 % der Männer eine geringfügige Beschäftigung (Mini-Jobs) als Hauptverdienst. Es ist anzumerken, dass Teilzeitbeschäftigungen und Leiharbeitsverhältnisse nicht automatisch als prekär zu bezeichnen sind (Kölbach & Zapf, 2015). Beide Formen der Beschäftigungsverhältnisse sind in der Regel in die sozialen Sicherungssysteme integriert, können auf Dauer angelegt sein und müssen nicht zwangsläufig gering vergütet werden. Dennoch können sie den tatsächlichen Arbeitszeitwünschen des Arbeitnehmers widersprechen und mit Ängsten vor drohendem Arbeitsplatzverlust verknüpft sein. Das Risiko, nach einem Jahr Beschäftigung von Arbeitslosigkeit betroffen zu sein, ist bei befristeten Vollzeiterwerbstätigen und Leiharbeitnehmern in Relation zu Normalarbeitsplätzen viermal höher und fällt bei unbefristeten Teilzeitbeschäftigten sogar geringer aus (Brehmer & Seifert, 2007). Gleichzeitig wird bei Teilzeit- und befristeten Beschäftigten sowie bei Leiharbeitnehmern weniger in Weiterbildungsmaßnahmen investiert. Hingegen steigt bei diesen atypisch Beschäftigten die Wahrscheinlichkeit, für weniger als zwei Drittel des mittleren Lohns arbeiten zu müssen. 2.3.2 Merkmalsbereiche und Ausmaß psychischer Fehlbelastungen Arbeitstätigkeiten kennzeichnen sich durch körperlich, geistig und sozialemotional fordernde Anteile, die in Abhängigkeit des Berufsbildes im Grad ihrer Ausprägung variieren (Kroll et al., 2011). Aus der Gestaltung dieser Arbeitsauf-

2.3 Rahmenbedingungen und Merkmalsbereiche psychischer Fehlbelastungen im Erwerbsleben

31

gaben sowie der Arbeitsorganisation, der arbeitsbedingten sozialen Beziehungen und der Arbeitsumgebung einschließlich der Arbeitsmittel können Fehlbelastungen resultieren, die mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen einhergehen. Neben den skizzierten sozialen Bedingungen des Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisses sind in der Tabelle 2 weitere beispielhafte Anforderungen aus den Merkmalsbereichen aufgeführt. Es gibt viele verschiedene Bemühungen die Einflussfaktoren der Arbeitsbedingungen zu differenzieren (Oppolzer, 2010; Rau, Blum & Mätschke, 2016). Die vorliegende Arbeit stützt sich auf die Einteilung der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie [GDA], 2016). Entsprechend der Bemühungen der arbeitswissenschaftlichen wie auch arbeits- und organisationspsychologischen Fachdisziplinen werden die einzelnen Aspekte in ihren möglichen kritischen Ausprägungen formuliert. Tabelle 2: Beispielhafte Merkmale psychischer Belastungen in ihren kritischen Ausprägungen (mod. nach GDA, 2016, S. 17ff) Merkmalsbereiche Arbeitsinhalt/ Arbeitsaufgabe

Merkmal Vollständigkeit der Aufgabe

Handlungsspielraum

Variabilität

Information/ Informationsangebot

Verantwortung Qualifikation

mögliche kritische Ausprägung Tätigkeit enthält: » nur vorbereitende oder » nur ausführende oder » nur kontrollierende Handlungen Beschäftigte haben keinen Einfluss auf: » Arbeitsinhalt » Arbeitspensum » Arbeitsmethoden/ -verfahren » Reihenfolge der Tätigkeiten Einseitige Anforderungen: » wenige, ähnliche Arbeitsgegenstände und Arbeitsmittel » häufige Wiederholung gleichartiger Handlungen in kurzen Takten » zu umfangreich (Reizüberflutung) » zu gering (lange Zeiten ohne neue Information) » ungünstig dargeboten » lückenhaft (wichtige Informationen fehlen) unklare Kompetenzen und Verantwortlichkeiten » Tätigkeiten entsprechen nicht der Qualifikation der Beschäftigten (Über-/ Unterforderung) » unzureichende Einweisung/ Einarbeitung in die Tätigkeit

32

2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

Emotionale Inanspruchnahme

» » » »

Arbeitsorganisation

Arbeitszeit

Arbeitsablauf

Kommunikation/ Kooperation

» » » » » » » » » » » »

Soziale Beziehungen

Kollegen

Vorgesetzte

» » » » » » »

Arbeitsumgebung

physikalische und chemische Faktoren physische Faktoren Arbeitsplatz-/ Informationsgestaltung Arbeitsmittel

» » » » » » » » » »

durch das Erleben emotional stark berührender Ereignisse (z. B. Umgang mit schwerer Krankheit, Unfällen, Tod) durch das ständige Eingehen auf die Bedürfnisse anderer Menschen (z. B. auf Kunden, Patienten, Schüler) durch permanentes Zeigen von Emotionen unabhängig von eigenen Empfindungen Bedrohung durch Gewalt durch andere Personen (z.B. Kunden, Patienten) wechselnde oder lange Arbeitszeit ungünstig gestaltete Schichtarbeit, häufige Nachtarbeit umfangreiche Überstunden unzureichendes Pausenregime Arbeit auf Abruf Zeitdruck/ hohe Arbeitsintensität häufige Störungen/ Unterbrechungen hohe Taktbindung isolierter Einzelarbeitsplatz keine oder geringe Möglichkeit der Unterstützung durch Vorgesetzte oder Kollegen keine klar definierten Verantwortungsbereiche zu geringe/zu hohe Zahl sozialer Kontakte häufige Streitigkeiten und Konflikte Art der Konflikte: Soziale Drucksituationen fehlende soziale Unterstützung keine Qualifizierung der Führungskräfte fehlendes Feedback, fehlende Anerkennung für erbrachte Leistungen fehlende Führung, fehlende Unterstützung im Bedarfsfall Lärm, Hitze, Kälte unzureichende Beleuchtung Gefahrstoffe ungünstige ergonomische Gestaltung schwere körperliche Arbeit ungünstige Arbeitsräume, räumliche Enge unzureichende Gestaltung von Signalen und Hinweisen fehlendes oder ungeeignetes Werkzeug/.Arbeitsmittel ungünstige Bedienung oder Einrichtung von Maschinen unzureichende Softwaregestaltung

2.3 Rahmenbedingungen und Merkmalsbereiche psychischer Fehlbelastungen im Erwerbsleben

33

Die in den vier Merkmalsbereichen der Tabelle 2 dargestellten Fehlbelastungen treten nicht isoliert sondern in variierenden Kombinationen auf, die sich häufig gegenseitig bedingen und verstärken können (Oppolzer, 2010). Das Vorhandensein von Belastungsmerkmalen in ihren kritischen Ausprägungen kann additive und multiplikative Effekte im Stressprozess und damit weitere Fehlbelastungen auslösen. Hinsichtlich des aktuellen Ausmaßes an Arbeitsanforderungen und kritischen Belastungen von Beschäftigten lassen sich generell aber auch geschlechtsspezifische und positionsbezogene Tendenzen erkennen. Die BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 beschreibt die derzeitigen Arbeitsbedingungen, -anforderungen und -belastungen einschließlich der unmittelbaren und langfristigen Beanspruchungs- bzw. Stressfolgen der erwerbstätigen Personen in Deutschland (Lohmann-Haislah, 2012; Wittig, Nöllenheidt & Brenscheidt, 2013). Die Ergebnisse dieser Befragung zeigen, dass die psychischen Arbeitsanforderungen der deutschen Erwerbstätigen tendenziell durch eine hohe Arbeitsintensität geprägt sind. Dabei sind die Beschäftigten von folgenden Faktoren, die unter dem Begriff der Arbeitsintensität zusammengefasst werden können, häufig betroffen: » 'verschiedenes gleichzeitig bearbeiten' (58 %), » 'starker Termin und Leistungsdruck' (52 %), » 'Störungen/ Unterbrechungen bei der Arbeit' (44 %), » 'sehr schnell arbeiten' (39 %), » 'an der Grenze der Leistungsfähigkeit arbeiten' (16 %) (ebd.). Mehr als die Hälfte der Befragten berichtet demnach davon, verschiedene Aufgaben gleichzeitig bearbeiten zu müssen und dabei einem starken Termin- und Leistungsdruck ausgesetzt zu sein. Zusätzlich lastet auf nahezu jedem vierten Erwerbstätigen der Druck, die Aufgaben schnell zu erledigen. Erschwert werden diese Anforderungen im Arbeitsablauf durch häufige Störungen und Unterbrechungen, die für immerhin 44 % der Beschäftigten geläufig sind. Zwar geben nur 16 % der Teilnehmer an, häufig an der Grenze der Leistungsfähigkeit arbeiten zu müssen, allerdings fühlen sich dreiviertel (74 %) von denen, die häufig hiervon betroffen sind, dadurch auch subjektiv belastet. Annähernd zwei von drei Befragten (65 %), die häufig einem starken Termin- und Leistungsdruck ausgesetzt sind, empfinden es ebenfalls als belastend im Sinne von stressend. Die häufigen Störungen und Unterbrechungen bei der Arbeit werden von 58 % der Erwerbstätigen als subjektiver Belastungsfaktor mit negativen Empfindungen erlebt (ebd.).

34

2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

Insbesondere Unterbrechungen behindern die aufmerksame und konzentrierte Erledigung von Arbeitsaufgaben (Oppolzer, 2010). Im Zusammenspiel mit dem starken Termin- und Leistungsdruck aufgrund mangelnder Personalplanung und Arbeitsorganisation, das wiederum schnelles Arbeiten bedingt und sich im Belastungsempfinden kumuliert, wird das Risiko für Stresszustände verstärkt. Umso wichtiger ist das Einhalten gesetzlicher Arbeitszeitregelungen und das Wahrnehmen der Pausen. Allerdings gibt jeder vierte Befragte (26 %) an, Pausen ausfallen zu lassen, was häufig mit dem hohen Arbeitsvolumen begründet wird (Lohmann-Haislah, 2012). Wird neben dem Wegfall auch das Verkürzen der Pause einbezogen ist laut einer Repräsentativumfrage durch das Institut DGBIndex Gute Arbeit (2015) von 32 % der Beschäftigten die Rede. Die in der BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2011/2012 (Lohmann-Haislah, 2012) genannte psychische Arbeitsanforderung 'vieles gleichzeitig bearbeiten' wird in der Repräsentativumfrage durch das Institut DGB-Index Gute Arbeit (2015) als ursächlich (65 %) für den Termin- und Leistungsdruck angesehen. Als weitere Ursachen für den Zeit- und Termindruck werden beispielsweise eine zu knappe Personalbemessung (63 %), ungeplante Zusatzaufgaben (61 %) oder zu knapp vorgegebene Termine und Zeitvorgaben (54 %) genannt. Immerhin gerät noch jeder dritte Befragte (35 %) aufgrund von Druck, der durch den Vorgesetzten weitergegeben wird, in Termin- und Zeitdruck Neben der Belastung, die sich aus den fünf genannten Faktoren der Arbeitsintensität ergibt, ist jeder zweite Befragte (50%) häufig von sich ständig wiederholenden Arbeitsvorgängen als Merkmal der Arbeitsaufgabe betroffen, von denen sich hiervon wiederum nur 17,7 % subjektiv belastet fühlen (ebd.). Während Teilzeitbeschäftigte häufiger die sich ständig wiederkehrenden Arbeitsvorgänge verrichten, sind die abhängig Vollzeiterwerbstätigen in höherem Maß den Aspekten der Arbeitsintensität ausgesetzt. Im Geschlechtervergleich zeigt sich, dass die psychischen Anforderungen bei vollzeittätigen Frauen das höchste und bei teilzeitbeschäftigten Männern das geringste Ausmaß annehmen. Bezüglich der Arbeitszeitorganisation sind die männlichen abhängig Beschäftigten sowohl in Teilzeit- als auch in Vollzeitarbeitsverhältnisses häufiger als Frauen von überlangen tatsächlichen Arbeitszeiten betroffen und berichten insgesamt häufiger von Problemen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie (ebd.). Lediglich bei der ausschließlichen Betrachtung der Erwerbstätigen mit Vollzeitverträgen geben Frauen häufiger Vereinbarkeitsprobleme als Männer an.

2.3 Rahmenbedingungen und Merkmalsbereiche psychischer Fehlbelastungen im Erwerbsleben

35

Hinsichtlich einer positionsbezogenen Differenzierung der Ergebnisse wird deutlich, dass Führungskräfte stärker mit Anforderungen aus der Arbeitsintensität und aus der Arbeitszeitorganisation als Beschäftigte ohne Mitarbeiterverantwortung konfrontiert sind. Eine Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Jahr 2013 (Techniker Krankenkasse, 2013) zum Stresslevel sowie den Folgen und Auslösern von Stress kann die aktuellen Trends zum Belastungsniveau bestätigen und zum Teil ergänzen. Neben der Tendenz einer mengenmäßigen hohen Arbeitsdichte bei einem schnellen Arbeitstempo zeigt sich folgendes Ranking der Belastungsfaktoren: » 'zu viel Arbeit' (65 %), » 'Termindruck, Hetze' (62 %), » 'Störungen' (54 %), » 'Informationsflut' (41 %), » 'Lärm, Hitze, Kälte, etc.' (40 %), » 'ungenaue Vorgaben' (38 %), » 'ungerechte Bezahlung' (33 %), » 'mangelnde Anerkennung' (32 %), » 'Vereinbarkeit Beruf und Familie' (25 %), » 'ständige Erreichbarkeit' (23 %), » 'zu wenig Handlungsspielraum' (22 %), » 'Konflikte mit Kollegen/ Chef' (21 %). In der Studie berichten zusätzlich vier von zehn Erwerbstätigen von einer Informationsüberflutung durch z.B. interne Anweisungen mittels mündlicher oder moderner Kommunikationsmedien (ebd.). Letztere tragen auch bei nahezu jedem vierten Befragten zu dem belastenden Gefühl bei, ständig erreichbar und abrufbar sein zu müssen. Die Untersuchung greift zudem die psychischen Belastungen aus der Arbeitsumgebung auf und zeigt die hohe Relevanz der Umgebungsfaktoren wie Lärm, Hitze oder Kälte mit psychischen Nebenwirkungen auf. Ungünstige Umgebungsbedingungen können die eigentliche Aufgabenerledigung stören, behindern oder beeinträchtigen und damit für das Individuum einen erhöhten Regulationsaufwand und vermehrte psychische Anspannung verursachen (Oppolzer, 2010). Darüber hinaus werden innerhalb der TK-Studie (2013) Belastungen aus den vertikalen sozialen Beziehungen deutlich, die wesentlich mit dem Thema Führung verknüpft sind. Jeder dritte Teilnehmer erhält zu wenig Aner-

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2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

kennung, jeder fünfte beklagt den geringen Handlungsspielraum und etwa vier von zehn Befragte berichten von ungenauen Vorgaben. Handlungsspielräume variieren zwar abhängig von der Branche und den Tätigkeiten, allerdings schneidet Deutschland insgesamt gesehen im europäischen Vergleich bei der Ausprägung dieser Ressource schlechter ab (Lohmann-Haislah, 2012). Während von der großen Mehrheit der deutschen Erwerbstätigen die Zusammenarbeit mit Kollegen als gut eingeschätzt (88 %) und Hilfe und Unterstützung durch Kollegen (80 %) wahrgenommen wird, wird die Unterstützung durch Vorgesetzte im innerbetrieblichen Kontext sowie im europäischen Vergleich deutlich schlechter bewertet. Verschiedene Aspekte des Führungsverhaltens können als Stressor mit negativen Auswirkungen auf das Wohlergehen der Beschäftigten auftreten oder in positiver Ausprägung als Ressource die mitarbeiterorientierte Gestaltung der Arbeitsbedingungen und -anforderungen fördern (Gerardi, Gregersen, Merboth, Nordbrock & Pavlovsky, 2014). 2.4

Auswirkungen und gesundheitliche Folgen von psychischen Fehlbelastungen

Laut Belastungs-Beanspruchungs-Konzept (Rohmert & Rutenfranz, 1975) und der neutralen Konnotation des Belastungsbegriffes, können die externen psychischen Anforderungen auch mit einer positiven Beanspruchung einhergehen. In diesem Zusammenhang können psychische Aktivierung, höhere Arbeitsleistung und Lern- und Trainingseffekte wie beispielsweise Schulung des Gedächtnisses und Kompetenzaufbau als positive Folgen genannt werden (Nowak, Dennis, Herbig, Britta, 2013; Wenchel, 2000). Stressoren bzw. Fehlbelastungen führen zu einer Fehlbeanspruchung als negative Auswirkung der Anforderungen auf den Mitarbeiter und lösen das Erleben von Stress mit kurzfristigen und mittel-bis langfristigen Stressfolgen aus. In einer Metaanalyse von Rau et al. (2016) lassen sich folgende Fehlbelastungen und ihre Kombinationen bestätigen, die mit verschiedenen negativen Befindens- und Gesundheitsaspekten im Zusammenhang stehen: » hohe Arbeitsintensität, » geringer Handlungsspielraum, » geringe soziale Unterstützung,

2.4 Auswirkungen und gesundheitliche Folgen von psychischen Fehlbelastungen

37

»

Ungleichgewicht zwischen beruflich geforderter Leistung und dafür erhaltener Gegenleistung in Form von Belohnung und Wertschätzung, » Überstunden, » Schichtarbeit, » Rollenstress, » aggressives Verhalten am Arbeitsplatz, » Arbeitsplatzunsicherheit. Aber auch verschiedene Aspekte des Führungsverhaltens z.B. durch ungenügendes Konfliktmanagement, Ungeduld und beleidigendes Verhalten des Vorgesetzten konnten empirisch als Stressoren mit negativen Auswirkungen auf das Wohlergehen der Mitarbeiter nachgewiesen werden (Gerardi et al., 2014). Neben dem negativen Einfluss auf die psychische Gesundheit reduziert ein problematisches Vorgesetztenverhalten die Anwesenheit durch einen erhöhten Krankenstand und senkt die Arbeitszufriedenheit. Die Prozesse, die als Reaktion auf die Auseinandersetzung mit einem Stressor ausgelöst werden, finden sich auf der körperlichen Ebene, äußern sich in einem beobachtbaren Verhalten und beeinflussen die Gedanken- und Gefühlswelt der betroffenen Person (Kaluza, 2015). Sowohl auf der kurz- wie auch auf der langfristigen Ebene haben die Stressreaktionen wiederum rückwirkende Folgen für das Unternehmen (Bamberg & Busch et al., 2012; Nowak, Dennis, Herbig, Britta, 2013; Wenchel, 2000). 2.4.1 Kurzfristige Folgen psychischer Fehlbelastungen Auf der physischen Ebene kommt es in Folge der Beanspruchung einer Person durch Fehlbelastungen zunächst zu einer Aktivierung des Organismus und Energiemobilisierung als Stressreaktion (Kaluza, 2015; Richter, 2000). Selye (1956) beschreibt aufbauend auf den Arbeiten von Cannon (1932) ein körperliches Reaktionsmuster, das grundsätzlich bei der Konfrontation mit einem Stressor ausgelöst wird. Der evolutionsbiologisch bedingte, natürliche Vorgang versetzt den Körper physiologisch in einen Alarmzustand, um das Individuum in Gefahrensituationen für Kampf oder Flucht handlungsbereit zu machen und damit das eigene Überleben zu sichern (Kaluza, 2015). Unter dem Einfluss des Hypothalamus wird das autonome Nervensystem und die Hypophyse aktiviert, wobei die Hirnanhangsdrüse wiederum die Ausschüttung der Katecholamine Adrenalin und

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2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

Nordadrenalin im Nebennierenmark sowie des Stresshormons Cortisol in der Nebennierenrinde anregt (Faltermaier, 2017). In Folge dessen werden die für die motorische Bewältigung der Gefahrensituation notwendigen physiologischen Vorgänge gesteigert und die für den Stressor unbedeutenden Prozesse gedämpft (Kaluza, 2015). Die Herzfrequenz, der Blutdruck und der Blutzuckerspiegel steigen, die Energieversorgung in den Muskeln und die Muskelspannung wird erhöht, die Bronchien werden erweitert und die Atmung beschleunigt, um das Herz-Kreislauf-System bestmöglich zu aktivieren und ausreichend Energie zur Verfügung zu stellen. Hingegen werden die Körperfunktionen der Verdauung, Energiespeicherung und Fortpflanzung herabgesetzt, um Energie einzusparen. Auf der kognitiv-emotionalen Ebene lösen Fehlbelastungen unmittelbar innerpsychische Vorgänge bei der vom Stressor betroffenen Person aus (ebd.). Diese stressbegleitenden Gedanken und Gefühle können u. A. innere Unruhe, Nervosität, Anspannung, Frustration und Ärger oder auch Ängstlichkeit umfassen (Richter, 2000). Als negative Folgen psychischer Belastungen sind zudem psychische Monotonie-, psychische Ermüdungs- und Sättigungseffekte zu nennen, die im Belastungs-Beanspruchungs-Konzept neben dem Erleben von Stress einen besonderen Stellenwert einnehmen und wie folgt beschrieben werden können: Psychische Ermüdung resultiert aus einer Überforderung der Leistungskapazitäten und meint einen „[...] Zustand der Erschöpfung, der nach längerer Ausführung der Tätigkeit und/ oder erhöhter Aufgabenschwierigkeit, z.B. infolge erschwerter Informationsaufnahme, entstehen kann.“ (Neuhaus, 2012, S. 49) Monotonie resultiert aus einer Unterforderung der Leistungskapazitäten und kennzeichnet einen „[...] Zustand herabgesetzter psychophysischer Aktiviertheit [...] in reizarmen Situationen bei länger andauernder Ausführung sich häufig wiederholender gleichartiger und einförmiger Arbeiten.“ (Neuhaus, 2012, S. 55) Psychische Sättigung beschreibt einen „[...] Zustand unlustbedingter Gereiztheit, der häufig mit Ärger verbunden ist. Psychische Sättigung tritt auf, wenn die Arbeit keinem erkennbaren Ziel dient, die Sinnhaftigkeit fehlt oder unüberbrückbare Differenzen zwischen der Arbeitsaufgabe und Zielen des Beschäftigten bestehen.“ (Neuhaus, 2012, S. 61)

2.4 Auswirkungen und gesundheitliche Folgen von psychischen Fehlbelastungen

39

Auf der verhaltensbezogenen Ebene wirken sich die kurzfristigen Stressfolgen sowohl auf das individuelle arbeitsbezogene Leistungsvermögen als auch auf das Sozialverhalten aus (Richter, 2000). Bedingt durch eine erhöhte Reizbarkeit und Aggression gegenüber anderen kommt es vermehrt zu Streit- und Konfliktsituationen im beruflichen Umfeld. Aber auch Rückzugstendenzen innerhalb und außerhalb der Arbeit sind zu beobachten. Bezogen auf das Arbeitsverhalten sind Leistungsschwankungen, eine abnehmende Konzentration und zunehmende Fehlhandlungen und Fehlerhäufigkeit zu nennen. Die sensomotorische Koordination lässt nach, Tätigkeiten werden hastig und ungeduldig verrichtet. Dies wiederum hat Rückwirkungen auf die Organisation. In Folge der Fehlbelastungen und den verhaltensbedingten Folgewirkungen wie z.B. verminderte Aufmerksamkeit und Reaktionsvermögen sowie hastiges und unkoordiniertes Arbeitsverhalten steigt das Risiko von Arbeitsunfällen und Wegeunfällen (Oppolzer, 2009). Der überwiegende Teil aller Arbeitsunfälle ist aufgrund der Verdienste des modernen Arbeitsschutzes mittlerweile auf Handlungsunsicherheiten des Beschäftigten zurückzuführen. Die Gefahrenkontrolle insbesondere bei risikobehafteten Tätigkeiten rückt unter der Einwirkung von psychischen Stressoren bei den Beschäftigten in der subjektiven Bedeutsamkeit häufig hinter eine fach- und sachgerechte Ausübung der Tätigkeit. Zudem sind das nachlassende Reaktionsvermögen und die gestörte Aufmerksamkeit nicht nur beim Ausführen der Tätigkeit und auf dem Heimweg mit einem erhöhten Unfallrisiko verknüpft, sondern durch die Antizipation stressbezogener Arbeitsereignisse ebenso auf der Fahrt zur Arbeitsstätte. Als unternehmensrelevante kurzfristige Folgen psychischer Fehlbelastungen sind zudem der Zusatzaufwand durch die Reaktion auf vermeidbare Störfälle sowie die Qualitätsverluste durch minderwertige Arbeitsleistungen aufgrund von Leistungs- und Konzentrationsschwankungen und höherer Fehlerhäufigkeit zu nennen (Richter, 2000). 2.4.2 Mittel- bis langfristige Folgen psychischer Fehlbelastungen Ist die Einwirkung des Stressors zeitlich kurzfristig angelegt, können sich die physiologischen Stressreaktionen in einer Erholungsphase durch Regeneration des Organismus abbauen (Lohmann-Haislah, 2012). Bei langandauernder Konfrontation mit der Stresssituation oder einem Komplex mehrerer Fehlbelastungen befindet sich der Organismus stets im Zustand der physiologischen Aktivierung, was mittel- bis langfristig Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, des Mus-

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2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

kel-Skelett-Systems und des Magen-Darm-Systems sowie die Manifestation psychosomatischer Beschwerden begünstigt. Die Forsa Umfrage (Techniker Krankenkasse, 2013) zum Stresslevel, den Auslösern und den Stressreaktionen zeigt, das hochgradig gestresste Personen häufiger über psychosomatische Beschwerden klagen als wenig gestresste. Während zwei von vier Befragte mit niedrigem Stresslevel von Rückenschmerzen und Muskelverspannungen betroffen sind, sind es bereits drei von vier Befragte mit hohem Stresslevel. Nur jeder vierte Teilnehmer, der selten gestresst ist, leidet unter Schlafstörungen, hingegen klagt jeder zweite häufig gestresste Teilnehmer über Einschlaf- und Durchschlafschwierigkeiten. Weiterhin sind die stark gestressten häufiger als die wenig gestressten und auch häufiger als der Durchschnitt der Befragten von Magenbeschwerden, Kopfschmerzen, Nervosität und Gereiztheit, depressiven Verstimmungen, dem Gefühl von Erschöpfung sowie von Angstzuständen betroffen. Generell lässt sich anhand der Ergebnisse der repräsentativen Umfrage festhalten, dass ein subjektiv hohes Stresslevel mit einer häufigeren Angabe psychosomatischer Beschwerden einhergeht. Paridon (2016) wertet in ihrer Literaturrecherche zu den Folgen arbeitsbedingter Belastungen für die Gesundheit die Ergebnisse von 164 englisch- und deutschsprachigen Studien aus. Es lassen sich Effekte auf das kardiovaskuläre sowie das Muskel-Skelett-System finden. Ein geringer Handlungsspielraum bei gleichzeitig hohen Anforderungen geht mit einem erhöhten systolischen und diastolischen Blutdruck einher. Je größer das Ausmaß der Fehlbelastung, umso höher fällt der Blutdruckanstieg aus. Die Wahrscheinlichkeit von Beschwerden des Muskel-Skelett-Systems betroffen zu sein, erhöht sich bei geringen Handlungsspielräumen, dem Ausüben monotoner Tätigkeiten und hohen Arbeitsanforderungen. Ebenso ist bei hohen Arbeitsanforderungen bei gleichzeitig geringer Kontrolle eine Verschlechterung der Immunreaktion zu beobachten. Nach Siegrist und Dragano (2007) ist die Wahrscheinlichkeit von einer Erkrankung des kardiovaskulären Systems betroffen zu sein oder daran zu versterben, bei der Kombination aus geringen Freiheitsgraden und hohen Arbeitsanforderungen um 43 % erhöht. Werden neben dem Anforderungs-Kontroll-Modell weitere Modelle zu Wirkungszusammenhängen von psychosozialen Arbeitsbedingungen und Gesundheit herangezogen, liegt das relative Risiko für eine Erkrankung des kardiovaskulären Systems im Mittel bei ca. 80%, wenn Beschäftige im Durchschnitt 10 Jahre psychischen Fehlbelastungen ausgesetzt waren. Werden statt den relati-

2.4 Auswirkungen und gesundheitliche Folgen von psychischen Fehlbelastungen

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ven die attributablen Risiken betrachtet, so schreiben Siegrist und Dragano (2007) den psychosozialen Arbeitsbelastungen einen Anteil von 29 % am Entstehen von koronaren Herzkrankheiten als stressassoziierte Gesundheitsstörungen zu. Auch die INTERHEART-Studie (Yusuf et al., 2004), die mittels einer Fall-Kontrollstudie an 15.152 Fall- und 14.520 Kontrollprobanden aus insgesamt 52 Ländern die Auswirkungen von Risikfaktoren auf Herzinfarkte untersucht, bestätigt neben weiteren lebensstilbedingten Risikofaktoren den bedeutsamen Zusammenhang von Stress und Myokardinfarkten. Ähnlich sind die Befunde zum Zusammenhang von psychischen Fehlbelastungen und psychischen Störungsbildern wie Depressionen, affektive Störungen oder Angststörungen (Paridon, 2016; Siegrist & Dragano, 2007). Demnach begünstigen psychosoziale Arbeitsbelastungen das Entstehen depressiver Erkrankungen. Aktuellen Erkenntnissen zufolge liegt der Anteil der arbeitsbedingten psychosozialen Stressoren nach Siegrist und Dragano (2007) an der Manifestation von Depressionen bei 39 %. Weiterhin lassen sich langfristige Effekte von psychischen Fehlbelastungen auf das Gesundheitsverhalten finden. So berichtet Paridon (2016) von Zusammenhängen arbeitsbedingter psychosozialer Stressoren und Einschränkungen der körperlichen Aktivität, Zunahme eines ungesunden Essverhaltens und einem höheren Zigarettenkonsums. Letztlich haben psychische Fehlbelastungen langfristig auf kognitiv-emotionaler Ebene ebenfalls einen negativen Einfluss sowohl auf das Wohlbefinden als auch auf die Zufriedenheit und Motivation der Beschäftigten (Richter, 2000). Die Arbeitszufriedenheit und das Gefühl der Zugehörigkeit und Verpflichtung gegenüber dem Arbeitsgeber sinken, wenn die Erwartungen an die definierte Rolle im Arbeitskontext widersprüchlich und mit Rollenkonflikten behaftet sind (Paridon, 2016). Kündigungsabsichten stellen sich neben den Rollenkonflikten vermehrt bei Aggressionen am Arbeitsplatz, geringen Freiheitsgraden und Arbeitsplatzunsicherheit ein. Die langfristigen Stressfolgen können sich zudem in erhöhten Fehlzeiten aufgrund von psychosomatischen Erkrankungen, Absentismus und Rückzugstendenzen sowie im Nachlassen der Leistungsfähigkeit und -bereitschaft niederschlagen (Stadler & Strobel, 2000). Für die Unternehmen sind durch die erhöhten Fehlzeiten u.a. die folgenden wirtschaftlich relevanten Auswirkungen zu erwarten: » erhöhte Belastung anwesender Beschäftigter » steigendes Erkrankungsrisiko der anwesenden Belegschaft,

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2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

» »

organisatorischer Mehraufwand durch Um- und Neuplanungen, Produktionsausfall und Prozessverzögerungen durch unbesetzte Arbeitsplätze, » Terminverzug und Lieferschwierigkeiten, » sinkende Kundenzufriedenheit, » finanzielle Einbußen durch Gehaltsfortzahlung ohne äquivalente Arbeitsleistung, » steigende Beiträge für die Unfallversicherung, » zunehmende Fluktuation, » Wegfall von Fachkräften, » sinkende Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens (Joiko, Schmauder & Wolff, 2008). Vor dem Hintergrund der individuellen und unternehmensbezogenen Folgen von arbeitsbedingten psychischen Fehlbelastungen sind bedingungsbezogene Ansätze zur Reduktion von Fehlbelastungen und zum Aufbau von Ressourcen sowie personenbezogene Maßnahmen zur Bewertung und Bewältigung von Stressoren und Reduktion der Stressfolgen sinnvoll (Bamberg & Keller et al., 2012). 2.5

Handlungsebenen zum Umgang mit psychischen Fehlbelastungen und arbeitsbedingtem Stress

Basierend auf einem Stresskonzept, das Anforderungen, kognitive Bewertungsprozesse und Bewältigungshandeln mittels adäquater verfügbarer Ressourcen in ein transaktionales Verhältnis setzt, das für das Ausmaß der Stressreaktion maßgeblich ist, bieten sich verschiedene Ansatzpunkte zur Reduktion von arbeitsbedingtem Stress an (Kaluza, 2004). Grundsätzlich sind die Einflussmöglichkeiten zum Umgang mit arbeitsbedingten psychischen Fehlbelastungen auf struktureller wie auch auf individuumszentrierter Ebene gegeben. Ein struktureller bzw. verhältnisorientierter Ansatz bezweckt eine Veränderung und Optimierung fehlbeanspruchender Organisations- und Sozialstrukturen, Arbeitsinhalte und Arbeitsumgebungsbedingungen, die außerhalb des eigenen unmittelbaren Einflussbereiches und in der Regulationsverantwortung betrieblicher Entscheidungsträger liegen. Insbesondere bei unternehmensbedingten Fehlbelastungen ist ein struktureller Ansatz zur Beseitigung der psychischen wie physischen Gefährdungen notwendig und arbeitsschutzgesetzlich gefordert, um den Erhalt der Gesundheit von Mitarbeitern zu gewährleisten (GDA, 2016; Harlfinger et al., 2003).

2.5 Handlungsebenen zum Umgang mit psychischen Fehlbelastungen und arbeitsbedingtem Stress 43

Daneben liegen die Handlungsmöglichkeiten aber auch im Einflussbereich jedes Einzelnen zur individuellen Stressbewältigung (Kaluza, 2004). Diese individuellen Strategien zum Umgang mit den stressrelevanten Anforderungen lassen sich dem Begriff der Bewältigung („coping“) zuordnen. Hierzu gehören sämtliche Bemühungen einer Person, sei es durch verhaltensbezogene oder durch intrapsychische Vorgänge, den Anforderungen entweder aktiv zu begegnen oder diese beispielsweise auszuhalten, zu tolerieren, zu vermeiden oder gar deren Auswirkung abzuschwächen (Lazarus & Launier, 1981). Ein einheitliches Klassifikationssystem zur Einordnung der verschiedenen Bewältigungsstrategien existiert nicht (Kaluza, 2004). Während Lazarus (Lazarus & Folkman, 1984; Lazarus & Launier, 1981) hierbei zwischen dem emotions- und problemorientierten coping unterscheidet, differenziert Kaluza (2004; 2015) die drei Handlungsebenen der instrumentellen, kognitiven und palliativ-regenerativen Bewältigungsbemühungen. Diese drei Hauptwege lassen sich sowohl für individuelle Bemühungen zum Umgang mit arbeitsbedingtem Stress und Fehlbelastungen als auch für einen strukturellen Ansatz auf Unternehmensebene abbilden. Bei den unternehmensbezogenen Handlungsebenen sind zudem die Gestaltungsempfehlungen im Rahmen eines modernen Arbeitsschutzes zu berücksichtigen. Die nachfolgenden Ausführungen beschreiben Ansätze zum Umgang mit Stress und psychischen Fehlbelastungen auf Unternehmens- und Personenebene. 2.5.1 Struktureller Interventionsansatz auf Unternehmensebene Nach dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) hat ein Unternehmer die Arbeit für die Beschäftigten menschengerecht zu gestalten und zum Erhalt der Gesundheit beizutragen (GDA, 2016). Mögliche Gefährdungen für das physische und psychische Wohlbefinden sind innerhalb der Gefährdungsbeurteilung zu analysieren und Maßnahmen zu deren Reduktion umzusetzen. Dabei sind Ansätze auf technischer und organisatorischer Ebene den individuumszentrierten verhaltenspräventiven Ansätzen vorzuziehen. Zunächst gilt es, Arbeitsinhalte, Arbeitsorganisation und Arbeitsumgebungsbedingungen menschengerecht zu gestalten. Eine menschengerechte Gestaltung der Arbeit zielt dabei nicht nur auf die bloße Beseitigung von Gefährdungen, sondern unterstützt Mitarbeiter darüber hinaus in ihrer Selbstverwirklichung und -entfaltung. Arbeitstätigkeiten müssen hierbei nach Hacker (1991) und Ulich (2001) folgende Merkmale erfüllen:

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2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

»

Ausführbarkeit durch Einhalten der Norm- und Grenzwerte und Anpassung der Arbeit an die psychischen und psychischen Voraussetzungen des Menschen, » Schädigungslosigkeit durch Ausschluss von Gefährdungen zum langfristigen Erhalt der körperlichen Gesundheit, » Beeinträchtigungslosigkeit durch Ausschluss von Gefährdungen für das psychosoziale Wohlergehen, » Zumutbarkeit durch Berücksichtigung der Qualifikation und Bedürfnisse des Arbeitnehmers sowie durch den Erhalt des Selbstwertgefühls, » Persönlichkeitsförderlichkeit durch Einbringen und Weiterentwicklung der individuellen Fähigkeiten des Mitarbeiters. Bei der menschengerechten Gestaltung von Arbeit ist die Variation menschlicher Eigenschaften auf interindividueller wie auch auf intraindividueller Ebene zu berücksichtigen (Ulich, 2001). Mitarbeiter unterscheiden sich untereinander beispielsweise in Bezug auf das Geschlecht, das Alter, die körperliche und mentale Leistungsfähigkeit. Aber auch jeder Arbeitnehmer variiert im Laufe seines Lebens sowohl hinsichtlich veränderlicher Voraussetzungen wie Alter, Gesundheitszustand und Leistungsvermögen als auch bezüglich veränderbarer Gegebenheiten wie Kompetenzen, Wissen und Erfahrungen. Arbeit soll sich dem Mitarbeiter anpassen und dessen Fähigkeiten, Erfahrungen und Qualifikation berücksichtigen (Beermann & Rössler, 2004). Die zu erledigenden Aufgaben sollten eine gewisse Vielfalt an physischen und psychischen Anforderungen umfassen und zwischen dem Anspruchsniveau variieren, so dass möglichst vielseitige Kompetenzen des Arbeitnehmers zum Einsatz kommen und einseitige Beanspruchungen vermieden werden. Die mit damit verbundenen Herausforderungen durch die Aufgabenbewältigung können Fähigkeiten und Fertigkeiten erweitert oder neu angeeignet werden. Weiterhin sind den Mitarbeitern vorzugsweise ganzheitliche Tätigkeiten zu übertragen, die eine eigenständige Arbeit von der Planung über die Durchführung bis hin zur Überprüfung des Arbeitsprozesses ermöglichen. Zum einen erhält der Arbeitnehmer direkt eine Rückkopplung über die geleistete Arbeit und der Stellenwert der Tätigkeit im Gesamtkontext des Unternehmens wird erkennbar. Eine wesentliche Ressource, deren Bedeutung bereits im Kapitel 2.4.2 dargestellt wurde, sind Handlungsspielräume zur autonomen Regulierung der unterschiedlichen Arbeitsprozesse (ebd.). Mitarbeiter

2.5 Handlungsebenen zum Umgang mit psychischen Fehlbelastungen und arbeitsbedingtem Stress 45

benötigen ausreichende Freiheitsgrade zur individuellen Einflussnahme auf Reihenfolge, Vorgehensweise oder Tempo der Arbeitsschritte, um adäquat auf die Anforderungen der jeweiligen Situation reagieren zu können. Arbeitsplätze sollen den Arbeitnehmern die Möglichkeit zur Kommunikation und Kooperation bieten, um Feedback und Unterstützung aus den sozialen Interaktionen zu erhalten. Aufgaben, Verantwortungsbereiche und Befugnisse sollten klar geregelt sein und alle notwendigen Informationen, die für die Aufgabenerfüllung erforderlich sind, müssen dem Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Dies gewährleitstet die notwendige Transparenz und Überschaubarkeit der Arbeitsanforderungen. Insbesondere bei dem Thema Information greifen auch Ansätze zur Gestaltung der Arbeitsorganisation, indem die bestehenden Kommunikationswege überprüft und gegebenenfalls für einen bestmöglichen Informationsfluss optimiert werden (ebd.). Maßnahmen zur Reduktion von arbeitsbedingtem Stress auf organisatorischer Ebene setzt vorrangig an den Arbeitsstrukturen und -abläufen innerhalb des Unternehmens und seinen Organisationseinheiten an (GDA, 2016). Es sind hierbei Arbeitszeiten zu gestalten, die berufliche wie private Anforderungen und Interessen vereinbaren und in ihrer zeitlichen Lage und Erstreckung möglichst fehlbeanspruchungsarm sind. Die Ruhe- und Erholungszeiten sind entsprechend des Arbeitszeitgesetzes einzuhalten sowie arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zur Schichtarbeit und individuelle Besonderheiten bei der Arbeitszeit- und Dienstplangestaltung zu berücksichtigen. Im Arbeitsablauf ist darauf zu achten, dass Zeitdruck bzw. eine hohe Arbeitsintensität ausgeschlossen und Störungen bzw. Unterbrechungen vermieden werden. Hierfür ist die Arbeitsmenge entsprechend der individuellen Leistungs- und organisationalen Personalkapazitäten zu überprüfen und gegebenenfalls zu optimieren. Störungsfreie Arbeitszeiten mit geregelten Ansprechzeiten unterstützen die konzentrierte Erledigung der übertragenen Aufgaben. Insbesondere ausreichend verfügbare Handlungs- und Zeitspielräume stellen eine wesentliche Ressource für Mitarbeiter im Arbeitsprozess insbesondere in hektischen Stoßzeiten dar. Das Führungsverhalten und die Führungskultur eines Unternehmens haben einen maßgeblichen Einfluss auf die psychische Gesundheit von Mitarbeitern (Ulich & Wülser, 2005). Vorgesetzte können durch ihr Führungsverhalten entweder als Fehlbelastungsfaktor oder als Ressource im Umgang mit beruflichen Anforderungen auftreten, indem sie maßgeblich an der Gestaltung von

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2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

Arbeitsaufgaben und -prozessen ihrer unterstellten Mitarbeiter beteiligt sind. Eine gut gestaltete Führungskultur trägt auch entscheidend zu einem guten Sozialklima bei. Es wird u.a. im Rahmen der GDA (2016) erfordert, dass Führungskräfte » den Arbeitsablauf und die Arbeitsorganisation in ihrem Bereich überprüfen, » für klare Rollen, Verantwortlichkeiten und Befugnisse sorgen, » einen transparenten Informationsfluss gewährleisten, » eine offene Kommunikations- und Kooperationsstruktur unterstützen, » Mitarbeiter bei der Gestaltung ihrer Arbeitsaufgaben und -prozesse einbeziehen, » die persönliche Weiterentwicklung ihrer Mitarbeiter fördern, » faire und zeitnahe Rückmeldungen zur Qualität der geleisteten Arbeit geben, » Aufgaben innerhalb des Teams gerecht verteilen, » ansprechbar für die Belange der Mitarbeiter sein und » Anerkennung und Wertschätzung vermitteln (Beermann & Rössler, 2004). Das Führungsverhalten setzt damit nicht nur an den Stressoren an, sondern unterstützt durch regelmäßige Mitarbeitergespräche und transparente Rückmeldung die individuelle kognitive Stressbewältigung der einzelnen Arbeitnehmer (Kaluza, 2004). Fehlbelastungen, die aus der Arbeitsumgebung resultieren und chemische, physikalische und physische Faktoren einschließlich Aspekte der Arbeitsplatzund Informationsgestaltung sowie die Arbeitsmittel umfassen, sind hinsichtlich des Stressgeschehens ebenfalls zu berücksichtigen und gemäß arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Regeln schädigungs- und beeinträchtigungslos zu gestalten (GDA, 2016). Betriebliche Maßnahmen zu Belastungsreduktion tragen nicht nur auf institutioneller bzw. struktureller Ebene zur Reduktion von Stressoren bzw. zur Erweiterung von organisationalen und sozialen Ressourcen bei, sondern unterstützen Mitarbeiter beim individuellen Umgang mit Fehlbelastungen und Stressreaktionen sowie beim Aufbau von persönlichen Ressourcen (Beermann & Rössler, 2004). Neben regelmäßigen Mitarbeitergesprächen zur Reflexion des Ar-

2.5 Handlungsebenen zum Umgang mit psychischen Fehlbelastungen und arbeitsbedingtem Stress 47

beitsgeschehens tragen Qualifizierungs- und Weiterbildungsangebote, Fitnessund Wellnessangebote mit verschiedenen Kursprogrammen, Bewegungspausen oder auch Arbeitstechniktrainings für ein ergonomisch korrektes Verhalten am Arbeitsplatz zur individuellen Stressbewältigung auf instrumenteller, kognitiver und palliativ-regenerativer Ebene bei (Kaluza, 2004), die nachfolgend erläutert werden. 2.5.2 Individueller Interventionsansatz auf Personenebene Ein erfolgreicher Umgang mit Stressoren liegt immer auch in der Verantwortung jedes Einzelnen (Strobel, 2015). Nach Lazarus und Launier (1981) können die individuumszentrierten Bewältigungsbemühungen einer Person grundsätzlich dazu dienen, » die stresserzeugenden Anforderungen auszuschalten, » das eigene positive Selbstbild aufrecht zu erhalten, » negative Erlebnisse zu akzeptieren und sich den aktuellen Rahmenbedingungen anzupassen, » die emotionale Balance zu sichern oder » innerhalb der sozialen Beziehungen fortwährend mit Gelassenheit zu agieren. Kaluza (2004; 2015) unterscheidet hierfür drei Ebenen, auf denen Personen den Fehlbelastungen begegnen können: » Auf der instrumentellen Ebene werden die äußeren Stressoren verändert bzw. abgebaut. » Auf der kognitiven Ebene geht es um eine Veränderung der Bewertungsmuster im Hinblick auf den Stressor und die verfügbaren Bewältigungsmöglichkeiten sowie um eine Veränderung der stressverstärkenden Einstellungen. » Eine palliativ-regenerative Stressbewältigung setzt an der Linderung der psychischen wie psychischen Stressreaktionen an. Ein instrumenteller Ansatz zur individuellen Stressbewältigung zielt stets auf eine Reduktion bzw. Beseitigung der stressauslösenden Anforderungen (Kaluza, 2004). Das umfasst reaktive Bemühungen in einer akuten Belastungssituation ebenso wie präventive Anstrengungen zur Eliminierung zukünftiger Stressoren. Für eine erfolgreiche Praktizierung instrumenteller Stressbewältigungsstrategien sind sowohl fachliche Qualifikationen und sozial-kommunikative Fähigkeiten als

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2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

auch Selbst- und Metthodenkompetenzen wie beispielsweise Initiative, problemlösendes Denken, Planungsfähigkeit sowie strukturiertes und zielgerichtetes Handeln entscheidend. Bei der kognitiven Stressbewältigung steht die kritische Reflexion persönlicher stressverstärkender Einstellungen, Überzeugungen und Werte sowie die Veränderung der situationsbezogenen und habituellen Bewertungsmuster durch z.B. Einstellungsänderung, positive Selbstinstruktion, Relativierung und Sinngebung im Vordergrund (Bamberg & Keller et al., 2012). Maßnahmen, die die physiologischen und psychischen Stressreaktionen regulieren und kontrollieren, können kurzfristig auf Palliation als auch langfristig auf Regeneration ausgerichtet sein (Kaluza, 2004, 2015). Eine kurzfristige palliative Stressbewältigung dient der Linderung der akuten durch den Stressor ausgelösten Symptome und schafft Erleichterung und Entspannung in der gegebenen Belastungssituation. Eine regenerative Stressbewältigung dient dahingegen vielmehr einer langfristigen Erholung und Entspannung, um einer möglichen Krankheitsentwicklung entgegenzuwirken (Bamberg & Keller et al., 2012). Auch die Inanspruchnahme von Maßnahmen der Rehabilitation zur Behandlung bereits entstandener Stressfolgen gehört zur palliativ-regenerativen Handlungsebene. In der Tabelle 3 sind beispielhaft Maßnahmen, die die Funktion einer instrumentellen, kognitiven oder palliativ-regenerativen Stressbewältigung erfüllen, aufgelistet. Tabelle 3: Beispiele für Möglichkeiten einer individuellen Belastungsbewältigung (Bamberg & Keller et al., 2012, S. 18; Kaluza, 2004, S. 50ff) Instrumentelle Belastungsbewältigung

Kognitive Belastungsbewältigung

Palliativ-regenerative Belastungsbewältigung

»

» »

kurzfristig palliativ » Einnahme von Psychopharmaka » Ablenkung » Abreagieren durch körperliche Aktivität » führen von entlastenden Gespräche, Suche nach Trost und Ermutigung » kurze Entspannung und bewusstes Ausatmen » euthymes Verhalten (sich verwöhnen, sich

» » » » »

systematisches Problemlösen Suche nach Informationen Delegation von Arbeitsaufgaben Strukturierung von Arbeitsaufgaben Definition von Prioritäten Optimierung der persönlichen Zeitplanung

» » » » »

Einstellungsänderung positive Selbstinstruktion Relativierung Sinngebung Überprüfung perfektionistischer Leistungsansprüche Akzeptanz eigener Leistungsgrenzen Wahrung einer inneren Distanz, weniger per-

2.5 Handlungsebenen zum Umgang mit psychischen Fehlbelastungen und arbeitsbedingtem Stress 49

» » » » »

selbstbehauptendes Verhalten z.B. „Nein“ sagen Führen von Klärungsgesprächen Besuch von Fortbildungsveranstaltungen Aufbau eines sozialen Netzwerks Suche nach Unterstützung

» » » » » »

sönliche Identifikation mit alltäglichen Aufgaben Bewahrung des Blickes für das Wesentliche Loslassen unangenehmer Gefühle loslassen und Vergebung üben Akzeptanz der Realität Reduktion von festen Vorstellungen und Erwartungen an andere Ablegung falschen Stolzes, Lernen von Demut Wahrnehmung von positiven und erfreulichen Dingen

etwas Gutes tun) langfristig regenerativ » Praktizierung von Hobbies und positive Freizeitgestaltung » Pflege von Freundschaften » Durchführung von Entspannungsübungen » Ausübung von Sport

Das Bewältigungshandeln einer Person ist dabei nicht per se einer dieser drei Kategorien zuzuordnen. Es kann im Situationskontext abhängig von der Intention des Individuums jede der drei Funktionen von Problemlösung, über kognitive Umstrukturierung bis hin zur Reaktionsregulation erfüllen (Kaluza, 2004). Strategien, denen eine allgemeingültige Effektivität und ein generell erfolgsversprechender Ausgang der Belastungsbewältigung zugeschrieben wird, existieren nicht. Dennoch kann festgehalten werden, dass sich instrumentell ausgerichtete Strategien mit aktivem Eingriff in die stressbezogene Situation durch direkte problemlösungszentrierte Handlungen als effektiv erwiesen haben (Knoll et al., 2005). Allerdings setzt dies die Möglichkeit zur Kontrolle des Stressors voraus. Ist dieses wiederum nicht gegeben, können auch emotions- und reaktionsregulierende wie kognitive Strategien zur Akzeptanz der Realität und positives Umdeuten zu einem erfolgreichen und gesundheitsförderlichen Bewältigungshandeln beitragen. Ineffektiv hingegen sind sowohl Maßnahmen z.B. verknüpft mit Suchtmittelgebrauch, um der Realität zu entfliehen, als auch aggressive Verhaltensweisen zur Emotionsentladung und selbstabwertende Gedanken (Kaluza, 2004). Die Wahl der geeigneten Strategie hängt letztlich immer von verschiedenen Faktoren ab wie z.B. von Art und Ausmaß des Stressors, von der Person mit ihren verfügbaren Ressourcen und ihrer Persönlichkeitsstruktur sowie von der

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2 Belastung, Beanspruchung und Stress im Arbeitskontext

Beschaffenheit der Umstände und den Kontroll- bzw. Regulationsmöglichkeiten (Kaluza, 2004, 2015). Entscheidend dabei ist, dass eine Person über ein größtmögliches Spektrum verschiedener Strategien verfügt, die sie entsprechend der Anforderungen der jeweiligen Situation flexibel auswählen und anwenden kann.

3

Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

Den Ressourcen kommt innerhalb des Stressprozesses zur Bewältigung der internen wie externen Anforderungen eine immense Bedeutung zu. Schon die dem Konzept der Salutogenese zugrunde liegende Fragestellung, was den Menschen trotz der Vielfalt an belastenden Bedingungen und krankmachenden Lebensumständen gesund erhält, zeigt die Bedeutsamkeit von protektiven Faktoren (Bengel, Strittmatter & Willmann, 2001). Antonovsky (1979) identifizierte verschiedene Faktoren auf individueller, gesellschaftlicher, kultureller und sozialer Ebene, die zu einer erfolgreichen Spannungsbewältigung im Umgang mit Stressoren und damit zur Aufrechterhaltung der Gesundheit beitragen. Diese sogenannten generalisierten Widerstandsressourcen (generalised resistance resources; GRR) bilden neben weiteren Komponenten ein wesentliches Kernstück zur Erklärung von Gesundheit im Modell der Salutogenese, erhöhen die Widerstandsfähigkeit einer Person und können in jeder Situation wirksam werden (Faltermaier, 2017). Sie bilden sich vor dem Hintergrund vergangener individueller biographischer Erfahrungen sowie den situationsspezifischen gesellschaftspolitischen und kulturellen Gegebenheiten und prägen fortwährend die Lebenserfahrungen einer Person. Eine semantische Annäherung über das Modell der Salutogenese hinaus offenbart allerdings eine große Vielfalt an weiteren Beschreibungen und Klassifikationen ähnlich der definitorischen Bestimmung von Stress und Belastung (Schuster, Haun & Hiller, 2011). Für Nestmann (1996, S. 362) sind Ressourcen „[...] letztlich alles, was von einer bestimmten Person in einer bestimmten Situation wertgeschätzt und/oder als hilfreich erlebt wird [...]“. Dies würde im Einzelfall aber auch eine pathologische Ausrichtung beinhalten. Innerhalb der stresstheoretischen Ansätze der Psychologie werden Ressourcen über ihre Funktionalität im Umgang mit stressbezogenen Anforderungen und zur Bewältigung von Lebensaufgaben beschrieben. So definiert Becker (2006, S. 184) im Rahmen seines Anforderungs-Ressourcen-Modells Ressourcen als „[...] Mittel oder individuelle Eigenschaften [...], auf die lebende Systeme oder Systemelemente im Bedarfsfall zurückgreifen können, um mit ihrer Hilfe externe oder interne Anforderungen zu bewältigen“. Sie dienen dabei der Stabilisierung des physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens (Rudow, 2011). Auhagen (2008, S. 6) © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Niemann, Die Rolle des Partners und der Partnerin bei der Bewältigung arbeitsbedingter Belastungen, Gesundheitspsychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24906-9_3

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3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

sieht Ressourcen sogar als „[...] mögliche Hilfsquelle zum Erreichen von Zielen, Zuständen, Veränderungen, Optimierungen und Ähnlichem“. Über die Aufrechterhaltung der Gesundheit hinaus wird bei dieser Definition auch der entwicklungsfördernde und lebensverbessernde Aspekt herausgestellt. Um die wahrgenommene und tatsächliche Verfügbarkeit einerseits und die Nutzung der Potenziale andererseits stärker herauszustellen, schlägt Auhagen (2008) vor zwischen wahrgenommen, aktiv verfügbaren und aktiv eingesetzten Ressourcen zu unterscheiden. Für Herriger (2010) dienen Ressourcen neben der stressbezogenen Anforderungsbewältigung auch der Bedürfnisbefriedigung, dem erfolgreichen Umgang mit Entwicklungsaufgaben in den unterschiedliche Lebensperioden und sichern die eigene psychische Integrität. Die Wirksamkeit der Person-UmweltPotenziale ist abhängig von der konkreten Situation mit ihrer Beschaffenheit und den spezifischen Aufgaben. Auch die Funktionalität und Sinnhaftigkeit der Ressourcen bemisst sich erst im individuellen Bezugs- und Bewertungssystem einer Person. Ähnlich den definitorischen Bemühungen variieren mögliche Klassifikationen von Ressourcen. Innerhalb des Modells der Salutogenese können genetisch-konstitutionelle als auch psychosoziale Ressourcen unterschieden werden (Faltermaier, 2017). Letzte werden weiter differenziert in: » materielle Ressourcen, » Wissen, Intelligenz, » Ich-Identität, » Bewältigungsstrategien, » soziale Unterstützung und Bindungen, » soziale Verpflichtungen, » kulturelle Stabilität, » Magie, » Religion, stabile Überzeugungen sowie » präventive Gesundheitsorientierung (ebd.). Generell wird in der Forschung bevorzugt zwischen internen und externen Ressourcen unterschieden werden (Becker, 2006; Rudow, 2011; Schuster et al., 2011). Interne Ressourcen umfassen personale Merkmale auf der physischen und psychosozialen Ebene. Becker (2006) unterteilt die psychosozialen Personenressourcen in

3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

»

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kognitive Ressourcen bestehend aus Wissen, Intelligenz und spezifisches Fertigkeiten, » Persönlichkeitseigenschaften und » Rollen, Ämter sowie Positionen. Die physischen Personenpotenziale umfassen körperliche Fitness und den aktuellen Gesundheitszustand ebenso wie die physische Attraktivität. Rimann und Udris (1997) ergänzen hierbei noch kognitive Überzeugungssysteme und Einstellungen sowie habitualisierte Verhaltens- und Handlungsmuster, bei denen insbesondere die Bewältigungsstile einen hohen Stellenwert einnehmen. Personale Ressourcen ermöglichen letztlich den Zugang zu externen Ressourcen (Becker, 2006). Externe Ressourcen haben ihren Ursprung in den verschiedenen Lebensbereichen der äußeren Umwelt einer Person (ebd.). Becker (2003) unterscheidet hier zwischen sozialen, beruflichen, materiellen, gesellschaftlichen und ökologischen Ressourcen. Bei den beruflichen Potenzialen wird meist auch der Begriff der organisationalen Ressourcen verwendet (Rimann & Udris, 1997). Hierbei sind insbesondere Merkmale der Arbeitsaufgabe und -organisation wie Aufgabenvielfalt, Ganzheitlichkeit der Aufgaben, Handlungs- und Entscheidungsspielräume, Qualifikationspotenzial der Arbeit, Entwicklungsmöglichkeiten, Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten sowie Partizipationsmöglichkeiten zu nennen. Soziale Ressourcen treten sowohl im Arbeitskontext als auch im privaten Lebensbereich auf. Die positiven Auswirkungen von sozialen Interaktionen auf die körperliche und seelische Gesundheit stehen dabei im Fokus eines breiten Forschungsinteresses der vergangenen Jahrzehnte (Kienle, Knoll & Renneberg, 2006). Insbesondere im Arbeitskontext gehören die Ressourcen Handlungs- und Entscheidungsspielräume sowie soziale Unterstützung zu den arbeitsbezogenen Ressourcen mit den meisten wissenschaftlichen Befunden (Ulich & Wülser, 2005). Die Bedeutsamkeit der sozialen Unterstützung als externe Ressource ist dabei Gegenstand des aktuellen Kapitels. Hierbei ist es zunächst erforderlich, eine begriffliche und inhaltliche Abgrenzung verschiedener Konstrukte der sozialen Interaktion vorzunehmen. Nachfolgend werden die Quellen und Formen sozialer Unterstützung unterschieden und deren Relevanz bei arbeitsbedingten Belastungen herausgestellt. Weiterführend wird ein Modell der Unterstützungsaktion dargestellt, die verschiedenen Wirkmechanismen auf die Gesundheit er-

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3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

läutert und mögliche Messinstrumente vorgestellt. Neben wesentlichen Determinanten zum Gelingen eines Unterstützungsprozesses werden auch die belastenden Aspekte sozialer Unterstützung thematisiert. Der aktuelle Forschungsstand wird abschließend insbesondere im Hinblick auf geschlechtsspezifische Unterschiede und Befunde zu den Unterstützungsprozessen in Partnerschaftsbeziehungen beleuchtet. 3.1

Begriffsbestimmung und Abgrenzung

Soziale Unterstützung stellt eines der zentralen Konzepte innerhalb der Gesundheitspsychologie dar (Bodenmann, 2000), deren Bedeutsamkeit als externe Ressource in verschiedensten Forschungsbemühungen herausgestellt wird. Der Begriff der sozialen Unterstützung wird dabei allerdings in unterschiedlichen Zusammenhängen genutzt (Kienle et al., 2006; Knoll et al., 2005). Einerseits meint die Begrifflichkeit den gesamten Forschungskomplex der Psychologie und schließt ebenso das soziale Netzwerk ein. Andererseits stellt soziale Unterstützung den qualitativ-funktionalen Aspekt von Sozialbeziehungen und sozialen Interaktionen heraus und ist demnach klar von dem Begriff der sozialen Integration oder des sozialen Netzwerkes abzugrenzen. Laireiter (1993) unterscheidet semantisch wie theoretisch zwischen den drei Ebenen soziale Integration, soziales Netzwerk und soziale Unterstützung. Die soziale Integration bildet nach Laireiters (1993) Verständnis die oberste Ebene ab, die die weiteren Konstrukte subsummiert und „[...] die Beziehung eines Individuums zu seiner sozialen Umwelt“ beschreibt (ebd., S. 15). Dies umfasst folgende vier Indikatoren: » Einbindung in soziale Gruppen, Institutionen und das öffentliche Geschehen einer Kommune, » Verfügbarkeit von Kontakten und externen Ressourcen, » Zugang zu diesen externen Ressourcen und » Übernahme von gesellschaftsdefinierten Wertvorstellungen, Rollen und Normen. Aufgrund von begrifflichen Unklarheiten hinsichtlich der Zusammensetzung und Gewichtung dieser vier Indikatoren und der geringen methodischen Güte möglicher Erhebungsverfahren stellt Laireiter (1993) den wissenschaftlichen Wert des Konzepts in Frage. Schwarzer (2004b, S. 176) versteht unter der sozialen In-

3.1 Begriffsbestimmung und Abgrenzung

55

tegration „[...] die Einbettung in ein soziales Netzwerk“. Knoll et al. (2005) setzt soziale Integration semantisch dem sozialen Netzwerk gleich. Soziale Netzwerke beschreiben die quantitativ-strukturellen Aspekte von Beziehungsgeflechten (Gusy, 1995). Neben dem Familienstand als gängiger Indikator zur Beschreibung des Status innerhalb des Netzwerks können folgende Kriterien und Charakteristika herangezogen werden: » Größe: Anzahl der Personen innerhalb des Netzwerks, » Dichte: Ausmaß der Verbindung der Netzwerkmitglieder untereinander, » Verpflichtetheit: Art der Gruppenstrukturen, » Homogenität: Ausmaß der Ähnlichkeit der Netzwerkmitglieder, » Häufigkeit von Kontakten: Anzahl persönlicher, telefonischer und schriftlicher Kontakte, » Multiplexität: Ausmaß verschiedener Formen und Ziele von Interaktionen innerhalb des Netzwerks, » Dauer: zeitliche Erstreckung der Bekanntschaft mit den einzelnen Netzwerkmitgliedern, » Reziprozität: Ausgeglichenheit zwischen Geben und Nehmen von Leistungen der Netzwerkmitglieder (Knoll et al., 2005). Die Bezüge eines Individuums zu seiner sozialen Umwelt lassen sich in Form von Knotenpunkten und Verbindungslinien aller relevanten Personen im Bezugssystem grafisch abbilden und auswerten (Gusy, 1995). So findet die soziale Netzwerkforschung mittlerweile auch im Setting von Intervention und Beratung praktische Anwendung (Röhrle, 1998). Kienle et al. (2006) sehen in der Anzahl der aktiv aufrechterhaltenen Bindungen im Netzwerk das wichtigste Maß und in der Einnahme unterschiedlicher sozialer Rollen einen möglichen Indikator für die soziale Integration eines Individuums. Demnach wäre aus theoretischer Herangehensweise die soziale Integration dem sozialen Netzwerk untergeordnet, da zunächst erst einmal Personen für potentielle Sozialbeziehungen zur Verfügung stehen müssten, um entsprechend in ein soziales Bezugssystem eingebettet sein zu können. Die Existenz eines Netzwerks ist damit grundlegend für die Einbindung in dieses Sozialsystem. Die Verfügbarkeit eines sozialen Netzwerkes und die Integration in das Geflecht sozialer Beziehungen ist letztlich auch die Voraussetzung für soziale Unterstützungsleistungen (Schwarzer, 2004b).

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3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

Soziale Unterstützung betont den qualitativ-funktionalen Aspekt von Sozialbeziehungen und umfasst nach Schwarzer (2004b) hilfeleistende Interaktionen zwischen Unterstützer und Unterstütztem, die einen leiderzeugenden Problemzustand verändern oder das Ertragen der Situation erleichtern sollen. Dieser Beschreibung zufolge stünde Unterstützung im Zusammenhang mit belastenden Ereignissen bzw. Situationen, die den Bedarf nach Hilfeleistungen implizieren. Soziale Unterstützung wäre in diesem Sinne eine Umweltvariable. Dies stellt allerdings nur eine definitorische Bemühung von vielen dar. Für Cobb (1976) ist bereits die Überzeugung einer Person und das Wissen darüber, dass sie von Personen aus ihrem sozialen Bezugssystem umsorgt, geschätzt und geliebt wird, Teil der sozialen Unterstützung. Demnach ist soziale Unterstützung auch ein intrapersonales Merkmal, das die subjektive Wahrnehmung und Bewertungsprozesse des Unterstützungsempfängers einschließt (Laireiter, 1993). Fydrich und Sommer (2003, S. 5) beschreiben soziale Unterstützung „[...] als das Ergebnis kognitiv-emotionaler Verarbeitung und Bewertung gegenwärtiger und vergangener sozialer Interaktionen [...], durch die Personen Hilfestellungen erleben und erwarten, um Aufgaben und Belastungen zu bewältigen und persönliche Ziele zu erreichen“. Hierbei wird sowohl der Aspekt der subjektiven Bewertung als auch die funktionale Qualität des Interaktionsprozesses deutlich. Soziale Unterstützung schließt demzufolge jedes Verhalten von Netzwerkmitgliedern ein, das einer Person dabei hilft, eigene Ziele zu erreichen und situationsbezogene Anforderungen zu bewältigen. Schwarzer (2004b) unterscheidet klar zwischen wahrgenommener Unterstützung im Sinne der Überzeugung der Verfügbarkeit potentieller hilfeleistender Personen und erhaltener Unterstützung, die die Häufigkeit und Wirksamkeit geleisteter Unterstützung fokussiert. Es ist demnach wichtig, die Perspektive des Empfängers und des Unterstützers in der Bewertung des Interaktionsprozesses zu betrachten (Laireiter, 1993). Denn wie die soziale Unterstützung letztlich bewertet wird, hängt von den Motiven, der Quelle und Verfügbarkeit, der Art und dem Zeitpunkt, der Häufigkeit und Ausgeglichenheit, der Dauer und von dem Effekt von Unterstützungsleistungen ab. 3.2

Formen und Typologien sozialer Unterstützung

Soziale Unterstützung ist vielschichtig (Gusy, 1995; Laireiter, 1993). Eine Unterscheidung sozialer Unterstützung hinsichtlich ihrer Funktion ist daher notwendig. Theoretische und methodische Klassifikationen möglicher Formen von

3.2 Formen und Typologien sozialer Unterstützung

57

Unterstützungsleistungen offenbaren verschiedene konkrete Verhaltensweisen im Interaktionsprozess. Schwarzer (2000a) betont in dem Zusammenhang allerdings die Vielzahl an möglichen Vorschlägen zur Differenzierung sozialer Unterstützung entsprechend der Funktion. Bei Laireiter (1993) wird zunächst eine Unterscheidung zwischen alltagsbezogener und belastungsbezogener Unterstützung vorgenommen. Die Alltagsunterstützung wiederum gliedert sich in psychologische und instrumentelle Hilfeformen und umfasst die in Tabelle 4 aufgelisteten Einzelfunktionen. Tabelle 4: Typologie alltagsbezogener sozialer Unterstützung (mod. nach Laireiter, 1993, S. 27) Psychologische Formen

Instrumentelle Formen

»

» » » » »

» » » »

Bindung (Nähe, Geborgenheit, Vertrauen) Selbstwertunterstützung (Selbstwertaufbau und -verstärkung) Kontakt (Geselligkeit, Interaktion, Zugehörigkeit in Netzwerken) emotionale Unterstützung (Aussprache, Ventilation, Aufmunterung) kognitive Unterstützung (Klärung, Orientierung, Problemlösung)

Information, Ratschläge finanzielle Hilfen Sachleistungen praktische Hilfen/ Arbeit Interventionen

Diewald (1991) unterscheidet die drei Subkonstrukte konkrete Interaktionen, Vermittlung von Kognitionen und Vermittlung von Emotionen. Konkrete Interaktionen beziehen sich auf den sichtbaren Verhaltensaspekt und beinhalten vor Allem instrumentelle Unterstützungsleistungen wie Arbeitshilfen, Pflege, materielle Unterstützung, Informationen und Interventionen. Während aber bei Laireiter (1993) Geselligkeit als psychologische Form konstatiert wird, ordnet Diewald (1991) sie ebenfalls als konkrete Interaktion ein. Bei Cutrona und Russell (1990) werden sechs verschiedenen Unterformen differenziert. Hierbei handelt es sich um soziale Integration, Selbstwertunterstützung, emotionale Unterstützung (durch Liebe, Beziehung und Bindung, Aussprache und Aufmunterung, Verlässlichkeit und emotionale Ventilation), Information, instrumentelle Unterstützung und Unterstützung anderer. Auch wenn hier im Vergleich zu Diewald (1991) und Laireiter (1993) weitaus mehr Unterstützungsformen abgegrenzt werden, so umfassen diese Taxonomien dennoch ähnliche Verhaltensaspekte und Einzelfunktionen. Das Subkonstrukt der Unterstützung anderer findet sich auch in ähnlicher Form bei Diewald (1991) als

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3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

Vermittlung eines Zugehörigkeitsgefühls durch Beteiligung und gebrauchtwerden unter der Dimension der Vermittlung von Kognitionen. Die Mehrheit der Autoren greifen bezüglich der Klassifikation von Unterstützungsformen auf House (1981) zurück. Knoll et al. (2005) ergänzen noch die Bewertungs- bzw. evaluative Unterstützung von Kahn und Antonucci (1980). Folgende vier Formen von Unterstützungsleistungen lassen sich differenzieren (Kienle et al., 2006; Knoll et al., 2005; Schwarzer, 2004b): » Instrumentelle Unterstützung umfasst die ganz konkreten, beobachtbaren Hilfeleistungen, z.B. durch die Erledigung alltäglicher Arbeiten, die Beschaffung von Materialien und Gütern sowie die Bereitstellung von materiellen Ressourcen oder durch direkte Beeinflussung des leiderzeigenden Stressors. » Emotionale Unterstützung ist in Gesprächen und Situationen der emotionalen Nähe durch persönliche Anteilnahme, Empathie und Zuneigung auf die Vermittlung von Trost, Wärme und Zuspruch ausgerichtet. » Informationelle Unterstützung dient der Übermittlung relevanter Informationen und hilfreicher Ratschläge, die bei der Bewältigung der Anforderungen von Nutzen sind. » Evaluative Unterstützung ist auf den Selbstwert und die Selbstwahrnehmung der Person ausgerichtet und gibt Rückmeldung, die der Person eine Umdeutung der Situation sowie der eigenen Bewertungsvorgänge und Verhaltensweisen erlaubt. Eine weitere Differenzierung einzelner Dimensionen von Unterstützungsleistungen unterscheidet neben der emotionalen, instrumentellen und informativen weiterhin die würdigende/ schätzende sowie die beratende Unterstützung (Almeida, Subramanian, Kawachi & Molnar, 2011; Bruns, 2013). Laireiter (1993) betont, dass eine Klassifizierung unterschiedlicher Dimensionen zwar notwendig ist, deren einzelnen Inhaltsbereiche aber nicht immer trennscharf und unabhängig voneinander auftreten. So kann eine evaluative Rückmeldung mit der Bewertung der Reaktionsweise einer Person ein Umdeuten des eigenen Verhaltens erreichen, während sie gleichzeitig auch emotionale Unterstützung in Form von Anteilnahme an der Situation, Trost und Wärme vermitteln kann. In dem Zusammenhang muss immer auch die Quelle der Unterstützungsleistung berücksichtigt werden.

3.3 Quellen sozialer Unterstützung

3.3

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Quellen sozialer Unterstützung

Neben der Form bzw. Dimension der Unterstützungsleistung ist für einen erfolgreichen Transaktionsprozess entscheidend, von wem die Hilfe erwartet und auch geleistet wird (Schwarzer, 2000a). So kann sich die Akzeptanz und Bewertung von Unterstützungsleistungen auf Seiten des Empfängers nach dem hilfeleistenden Akteur unterscheiden (Bruns, 2013). Ähnlich der Divergenz hinsichtlich der definitorischen Bestimmungen und Taxonomien von Unterstützungsformen lassen sich zur Einteilung potentieller Unterstützer unterschiedliche Kategorisierungen heranziehen (Gusy, 1995). Grundsätzlich können Helfer aus dem natürlichen bzw. informellen Umfeld einer Person stammen oder zu einem professionellen Bezugssystem gehören. Eine weitere Systematisierung unterscheidet nach Nähe und Distanz der jeweiligen Interaktionspartner. Die Kategorisierung der Beziehungstypen nach Badura (1981) umfasst vier Subtypen, die sowohl die Intensität als auch die Qualität der Beziehungen berücksichtigen: » Confidant-Beziehungen, » enge Bindungen, » eher oberflächliche Bekanntschaften, » keine informellen Beziehungen. Confidant-Beziehungen sind durch ein hohes gegenseitiges Vertrauen und Intimität gekennzeichnet (ebd.). Hierzu gehören in der Regel die Ehe- bzw. Lebenspartner, enge Familienangehörige wie Eltern, Geschwister oder Kinder aber auch engste Freunde. Aufgrund der hohen Häufigkeit und Intensität des Kontakts verbunden mit einer entsprechenden Beziehungsqualität und normativen Erwartungshaltung stehen potenzielle Hilfeleistungen innerhalb der ConfidantBeziehungen jederzeit und in jeglicher Form zur Verfügung. Akteure des Beziehungstyps der engen Bindungen zeichnen sich ebenfalls durch eine hohe Interaktionshäufigkeit, eine stark ausgeprägte gegenseitige Wertschätzung füreinander, große emotionale Nähe und einer gesteigerten normativen Erwartungshaltung aus. Ein entscheidendes Merkmal von engen Bindungen ist die vergleichsweise lange Dauer der Beziehung. Enge Bindungen können zumeist zu weiteren Familienangehörigen, Freunden aber auch zu Arbeitskollegen oder Nachbarn unterhalten werden. Der Beziehungstyp der oberflächlichen Bekanntschaften weist lediglich schwache soziale Verpflichtungen der Akteure untereinander auf. Die emotionale Nähe, Interaktionshäufigkeit und -intensität ist deutlich geringer als bei den engen Bindungen. Die Interaktion der Akteure innerhalb dieses Typus

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3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

werden durch verschiedene Gemeinsamkeiten gestützt, die sich z.B. aus dem Wohnort, den Interessen oder Mitgliedschaften in diversen Organisationen und Institutionen ergeben können. Unterstützungsleistungen bei oberflächlichen Beziehungen erfolgen zwar meist nur bei angenommener Reziprozität oder bei wenig Hilfeaufwand, allerdings erfordert die Pflege dieses Beziehungstyps einen ebenfalls relativ geringen Ressourceneinsatz, wodurch wiederum die Hilfeleistungen an Mehrwert gewinnen können (Bruns, 2013). Personen, die unfreiwillig aufgrund z.B. äußerer Umstände oder selbst gewählt sozial isoliert leben weisen keine informellen Beziehungen zu anderen Netzwerkmitgliedern auf. Unterstützungsleistungen ergeben sich höchstens aus formellen Beziehungen wie beispielsweise durch Akteure des Versorgungssystems (Badura, 1981). Diewald (1991) und Cutrona (1996) betonen die immense Bedeutung des Partners bei sozialer Unterstützung im Vergleich zu engen Freunden oder anderen Verwandschaftsmitgliedern. Innerhalb dieser verlässlichen und exklusiven Beziehungsform besteht aufgrund der Intimität und Nähe einer großen Erwartungshaltung gegenüber der Vermittlung von emotionaler Geborgenheit und vieler anderer Hilfearten. Ehe- oder Lebenspartner verbringen viel Zeit miteinander und tragen gemeinsam die Verantwortung für Haushalt, Kinder oder finanzielle Angelegenheiten (Stegbauer, 2010). Die Unterstützungsleistungen können in ihrer Intensität und Dauer die Hilfebereitschaft durch enge Freunde z.B. Pflege bei Krankheit übersteigen. Im Fall einer Trennung verringert sich zwar die Interaktionshäufigkeit (ebd.), allerdings bestehen bei einer Scheidung gegenseitig gesetzlich verankerte Rechte und Pflichten (Diewald, 1991). Neben dem Ehe- oder Lebenspartner ist die ebenfalls hohe Bedeutung der familiären Beziehungen hinsichtlich sozialer Unterstützungsleistungen herauszustellen (ebd.). Familie ist juristisch verankert, exklusiv verfügbar, aber auch nicht entrinnbar. Die Beziehungen zu Familienmitgliedern sind in der Regel auf Dauer angelegt und durch hohe normative Erwartungen insbesondere zwischen Eltern und Kindern sowie unter Geschwistern geprägt. Sowohl die Bereitschaft zur Leistung von Unterstützung als auch die Akzeptanz von Hilfe unter den familiären Akteuren ist hoch. Jedoch schwankt die gemeinsam verbrachte Zeit je nach Lebenszyklus (Stegbauer, 2010). Die Reziprozität von Unterstützung folgt zum Teil einer Generationskette, Unterstützungsleistungen wandeln sich in Art und Ausmaß je nach Lebensphase. Generell sind familiäre Verbindungen weniger als Partnerschaften von einem Beziehungsbruch bedroht. Allerdings finden Interak-

3.3 Quellen sozialer Unterstützung

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tionen in bestimmten Lebenszyklen häufig ritualisiert zu bestimmten Anlässen statt. Freundschaft kommt eine zentralen Bedeutung und Funktion bei familiären und partnerschaftlichen Krisen zu (Diewald, 1991). Bei einer idealtypischen Betrachtung grenzen sich freundschaftliche Beziehungen durch einen hohen Nutzen bei einem hohen Ressourceneinsatz zu Bekanntschaften mit einem vergleichsweise geringen Nutzen bei einem geringen Pflegeaufwand ab. Freundschaftliche Beziehungen kennzeichnen sich durch gemeinsame Interessen, ähnliche Ansichten, Sympathien füreinander und gegenseitiges Verständnis (Nestmann, 1988) und sind im Gegensatz zum Partner oder der Familie nicht exklusiv (Stegbauer, 2010). Es können ähnliche freundschaftliche Beziehungen zu unterschiedlichen Akteuren gepflegt werden. Die Bereitschaft für bestimmte Unterstützungsleistungen ist allerdings geringer als in Familien und Partnerschaften. Es wird zudem mehr direkte Reziprozität erwartet. Zwar können Freundschaften Partnerschaften überdauern, dennoch sind sie stärker von Beziehungsbrüchen bedroht und werden in Krisensituationen häufiger in Frage gestellt (Diewald, 1991). Neben dem Partner, nahen Familienangehörigen und engen Freunden, deren Unterstützungsleistung insbesondere bei Situationen, die ein spezifischeres Wissen über die biographischen Umstände erfordern, eine erhöhte Relevanz und Exklusivität erfahren, können auch Nachbarn eine potenzielle Hilfequelle darstellen (Günther, 2015). Art und Ausmaß der Interaktion und damit auch der Unterstützung unterscheiden sich dabei bei Nachbarschaften in städtischen oder ländlichen Regionen zugunsten des provinziellen Wohnumfeldes (Nestmann, 1988). Insbesondere bei Menschen mit einer eingeschränkten Mobilität wie beispielsweise älteren Personen oder Familien mit kleinen Kindern kann die Nachbarschaftshilfe eine besondere Bedeutung erfahren (Günther, 2015). Letztlich reicht das Unterstützungspotenzial von Netzwerkmitgliedern aus dem Wohnumfeld von einfachen alltäglichen, kurzfristigen und haushaltsbezogenen Diensten über stadtteilbezogene und -übergreifende Unterstützungsleistungen informationeller Art bis hin zu der Vermittlung eines Zugehörigkeitsgefühls durch gemeinsame Aktivitäten und Interaktionen. Unter Berücksichtigung der Angemessenheit von Unterstützungsleistungen in Abhängigkeit von den situationsspezifischen Anforderungen sind ebenfalls Netzwerkmitglieder aus dem beruflichen Umfeld als mögliche Hilfequelle

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3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

herauszustellen (Laireiter, 1993; Schwarzer, 2000a). So weisen u.a. Badura, Baumann, Hehlmann und Walter (2010) den Kollegen und Vorgesetzten aufgrund der vorhandenen Fachkenntnisse und erforderlichen Kontextinformationen (Gusy, 1995) eine größere Bedeutung in der Bewältigung arbeitsbezogener Anforderungen als den Akteuren aus dem privaten Umfeld zu. Die Qualität der sozialen Unterstützung durch Kollegen ist allerdings maßgeblich von der Verbundenheit mit dieser Person abhängig (Argyle, 1992). Führungskräfte haben sogar ein noch größeres Repertoire an Möglichkeiten und Einflussbereichen, um ihre Mitarbeiter bei Belastungen auf der organisatorischen, emotionalen oder Inhaltsebene zu unterstützen, allerdings gestaltet sich die hierarchieübergreifende Zusammenarbeit nicht selten konfliktbehaftet, da die Vorgesetzten teils nur geringfügig über die notwendigen Kommunikations- und Interaktionskompetenzen verfügen (Rosenstiel & Nerdinger, 2011). Gusy (1995) weist im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Unterstützungsquellen darauf hin, dass sich die hier aufgeführte Kategorisierung der Akteure und ihrer Beziehungsrollen im Alltag überlagern kann. So kann ein Nachbar auch ein guter Freund oder Familienangehöriger sein. Zudem ist neben der Beziehungsrolle auch die aktuelle Beziehungssituation im Unterstützungsprozess zu berücksichtigen, da sie einen entscheidenden Einfluss auf die Erwartung und Bewertung von Unterstützungsleistungen nimmt (Knoll & Schwarzer, 2005). 3.4

Modell der Unterstützungsinteraktion

Generell wird in der bisherigen Forschungstradition das Konstrukt der sozialen Unterstützung weiter aufgebrochen und zwischen wahrgenommener und erhaltener Unterstützung differenziert (Schwarzer, 2000a, 2004b). Während die wahrgenommene Unterstützung sich dabei auf die kognitive Komponente des Rezipienten konzentriert und die subjektive Überzeugung der Verfügbarkeit sozialen Rückhalts erfasst, fokussiert die erhaltene Unterstützung den verhaltensbezogenen Aspekt von tatsächlich erbrachten Hilfeleistungen und wird retrospektiv bewertet (Laireiter, 1993). Innerhalb des Unterstützungsprozesses gestaltet sich die Interaktion allerdings weitaus komplexer. Hierbei stellen sich verschiedene Fragen, die bei der Bewertung der Unterstützungstransaktion entscheidend sind: » Aus welchen Beweggründen wird Unterstützung geleistet?, » Von wem wird Unterstützung geleistet?,

3.4 Modell der Unterstützungsinteraktion

63

» Wer erhält Unterstützung?, » Unter welchen Voraussetzungen wird Unterstützung geleistet?, » Welche Form der Unterstützung wird geleistet?, » Wann und wie lange wird Unterstützung gewährt?, » Welchen Effekt erzielen Unterstützungsleistungen (Gusy, 1995)?. Soziale Unterstützung vollzieht sich letztlich in einem komplexen Interaktionsprozess zwischen einem Unterstützungsempfänger und -geber (Knoll & Schwarzer, 2005). Die Wertung einer Interaktion als soziale Unterstützungsleistung erschließt sich über die Kognitionen beider Interaktionspartner, die Aufschluss über das Gelingen oder gar Störungen im Unterstützungsprozess aufgrund möglicher Missverständnisse oder Fehlinterpretationen geben können. Es ist daher notwendig sowohl die Perspektive des Unterstützungsgebers als auch die des rezipienten sowie idealerweise eines nichtteilnehmenden Beobachters bei der Untersuchung der sozialen Unterstützungsinteraktion einzubeziehen (DunkelSchetter, Blasband, Feinstein & Bennett Herbert, 1992). Dabei ist bei der Bewertung der Unterstützungsinteraktion als hilfreich oder unwirksam die Sicht des Rezipienten prioritär zu behandeln (Dunkel-Schetter & Bennett, 1990). Ein vom Empfänger als erfolgreich bewerteter Unterstützungsprozess kann einzig im Bewusstsein dieser Person stattfinden, ohne dass eine tatsächliche Unterstützungsleistung durch die potenzielle Hilfequelle erbracht wurde. Innerhalb des Modells der Unterstützungsinteraktion nach Knoll und Schwarzer (2005) werden sowohl die Perspektiven der beiden Interaktionspartner als auch die kognitiven und verhaltensbezogenen Aspekte im Unterstützungsprozess berücksichtigt (siehe Abbildung 9).

64

3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

Unterstützungsempfänger Wahrgenommene Unterstützung

Unterstützungsgeber

Bedürfnis nach Unterstützung

Mobilisierung von Unterstützung

Geleistete Unterstützung

Erhalt von Unterstützung

Abbildung 9: Modell der Unterstützungsinteraktion (mod. nach Knoll & Schwarzer, 2005, S. 336)

Zunächst findet sich in dem Modell auf der Seite des Empfängers die wahrgenommene Unterstützung als generalisierte Überzeugung wieder, dass Personen aus dem Umfeld potenziell für Unterstützungsleistungen zur Verfügung stehen (Knoll & Kienle, 2007). Da hierbei die Erwartung zukünftiger Unterstützungsleistungen gemeint ist, bevorzugt Schwarzer (2000a) den Ausdruck der erwarteten Unterstützung für eine stärkere begriffliche Schärfe. In einer Stresssituation kann sich beim Rezipienten das Bedürfnis nach Unterstützung einstellen (Knoll et al., 2005). Besteht gleichzeitig ein gewisses Mindestmaß an erwarteter bzw. wahrgenommener Unterstützung, kann sich der Empfänger zur Mobilisierung von Unterstützungsleistungen von den Netzwerkmitgliedern veranlasst fühlen (Kienle et al., 2006). Idealerweise wird der Mobilisierungsversuch von der Unterstützungsquelle registriert und es erfolgen eine oder mehrere Unterstützungsleistungen durch die Geberseite. Die einzelnen Bemühungen werden retrospektiv durch den Empfänger erfasst und im besten Fall als tatsächliche Unterstützung mit wirksamem Ausgang gewertet. In einer Rückkopplungsschleife leistet die Bewertung der Unterstützungsleistung wiederum einen Beitrag zur wahrgenommenen Unterstützung in zukünftigen Interaktionen. Gleichzeitig reduziert sich bei einem wirksamen Unterstützungsprozess das Bedürfnis nach Unterstützung. Ist trotz tatsächlich geleisteter Unterstützung kein Effekt durch den Empfänger

3.5 Wirkmechanismen sozialer Unterstützung

65

spürbar, handelt es sich bei der Interaktion lediglich um einen Unterstützungsversuch (Knoll et al., 2005). Grundsätzlich können unterschiedliche Personen abhängig von ihrer Verfügbarkeit und den situationsspezifischen Kenntnissen und Kompetenzen verschiedene Arten von Unterstützung anbieten (Gusy, 1995). Nicht jede Person, die Unterstützungsangebote unterbreitet, wird als mögliche Unterstützungsquelle registriert und erfährt durch den Empfänger die notwendige Akzeptanz. Unterstützungsversuche ungebetener Netzwerkmitglieder werden in der Interaktion eher als störend empfunden. Die Motive zur Leistung von Unterstützung können altruistisch oder auch egoistisch angelegt sein (Dunkel-Schetter, Blasband, Feinstein & Herbert, 1992). Die Interpretation eines positiven Effekts der Unterstützungsinteraktion erfolgt allerdings unabhängig von den motivationalen Beweggründen der Unterstützungsquelle. Entscheidend ist, dass der Unterstützer durch direkte oder indirekte Signale seine Rolle im Unterstützungsprozess als Quelle möglicher Hilfeleistungen erkennt und entsprechend des Bedarfes des Empfängers ausfüllen kann. Cutrona (1996) benennt dafür zahlreiche Faktoren, die einen reibungslosen Prozess der sozialen Unterstützung beeinflussen. Der Unterstützungsempfänger sollte über eine Vielzahl von Kommunikationsfähigkeiten für eine unmissverständliche Äußerung des Unterstützungsbedarfs sowie über eine Auswahl an Strategien zur Mobilisierung von sozialer Unterstützung verfügen. Auf der Seite des Unterstützungsgebers müssen die verbalen und nonverbalen Signale richtig decodiert werden. Die Komplexität der Kommunikation und beidseitigen Wahrnehmungen kann zu Missverständnissen in der Unterstützungsinteraktion führen (Gusy, 1995). Die Erwartungen bezüglich der Hilfebedürftigkeit, der benötigten Unterstützungsform oder auch der tatsächlich geleisteten Unterstützungsversuche können zwischen Empfänger und Geber differieren und sich dadurch mitunter negativ auf die Bewertung eines zukünftigen Unterstützungsprozesses in der gemeinsamen Unterstützungsbeziehung auswirken. Die Determinanten, die für ein Gelingen der Interaktion entscheidend sind, werden nachfolgend detailliert betrachtet. 3.5

Wirkmechanismen sozialer Unterstützung

Auslösend für eine Vielzahl von sozialepidemiologischen und gesundheitspsychologischen Studien waren die Ergebnisse der Alameda County Study (Kienle et al., 2006; Knoll et al., 2005). Innerhalb dieser Längsschnittuntersuchung ging

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3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

soziale Isolation mit einem zweifach erhöhten Sterblichkeitsrisiko im Vergleich zu guter sozialen Integration einher (Berkman & Syme, 1979; Knoll et al., 2005). Ein gut ausgeprägtes soziales Netzwerk konnte als präventiver Faktor gegenüber Erkrankungen und Tod identifiziert werden. Eine Metaanalyse von House, Landis und Umberson (1988) der daraus resultierenden und weiterführenden Studien konnte zeigen, dass eine mangelnde Integration in ein soziales Netz ein vergleichbares gesundheitliches Risiko aufweist wie Zigarettenkonsum. Zur Klärung des eigentlichen Zusammenhangs zwischen sozialem Netzwerk und Gesundheit bzw. Krankheit kristallisieren sich zwei Forschungsstränge heraus, die entweder zu den quantitativ-strukturellen Merkmalen sozialer Netzwerke oder den qualitativ-funktionalen Anteilen von sozialer Unterstützung forschen (Knoll et al., 2005). Hinsichtlich des Einflusses sozialer Unterstützung auf diverse Gesundheitsindikatoren werden vorrangig die drei Wirkmodelle eines Puffereffektes und Direkteffektes (Kienle et al., 2006; Schwarzer, 2000a) oder die Mediatorwirkung der sozialen Ressource innerhalb der Forschung diskutiert (Gusy, 1995; Kienle et al., 2006; Schwarzer, 2000a) (siehe Abbildung 10).

(1) Moderatormodell: Puffereffekt

soziale Unterstützung

Stress/ Beanspruchung

Gesundheit und Wohlbefinden

(2) Haupteffektmodell: Direkteffekt soziale Unterstützung

Gesundheit und Wohlbefinden

(3) Mediatormodell soziale Unterstützung

Vermittler/ Mediator

Gesundheit und Wohlbefinden

Abbildung 10: Wirkung sozialer Unterstützung (mod. nach Kienle et al., 2006, S. 115)

3.5 Wirkmechanismen sozialer Unterstützung

67

Die drei im Wesentlichen diskutierten Wirkmodelle, die in Abbildung 10 schematisch dargestellt sind, werden nachfolgend vorgestellt. Anschließend wird ein kurzer Abriss über weitere Kausalmodelle zur Erklärung des Kausalzusammenhangs von sozialer Unterstützung und verschiedenen Befindensparametern gegeben. 3.5.1 Das Moderatormodell Da soziale Unterstützung als Ressource fungiert, kann unterstützendes Verhalten u.a. als Moderatorvariable wirken (Trapp, 1999). Die puffernde Funktion von Hilfeleistungen innerhalb des Moderatormodells wird in der Stressforschung vielfach diskutiert (Schwarzer, 2000a). Ausgangspunkt ist in diesem Fall ein stressbezogenes Ereignis, das mit verschiedenen Beanspruchungsreaktionen einhergehen kann (Gusy, 1995). Soziale Unterstützung wirkt in dem Zusammenhang als Puffer, um Belastungen zu bewältigen und Beanspruchungsfolgen zu minimieren oder zu verändern (Dormann & Zapf, 1999). Allerdings nimmt soziale Unterstützung demnach erst bei einem Belastungsmoment einen Einfluss auf die Gesundheit (Knoll et al., 2005). Der Interaktionseffekt zwischen der externen sozialen Ressource sowie dem Belastungsereignis und den Befindensindikatoren ist dabei abhängig von dem Stressausmaß (Gusy, 1995). Innerhalb des transaktionalen Stressmodells von Lazarus (Lazarus & Folkman, 1984) kann die Pufferwirkung sozialer Unterstützung an den verschiedenen Ebenen im Stressprozess ansetzen. Schon die Überzeugung, es stünden Personen aus dem Netzwerk für Hilfeleistungen zur Verfügung, kann die Bewertung des stressbezogenen Ereignisses und der eigenen Bewältigungsmöglichkeiten positiv verändern und damit die Stressreaktion mindern oder sogar aussetzen. Zudem kann die soziale Ressource das eigentliche Bewältigungshandeln, sei es problem- oder emotionsorientiert, unterstützen und damit positiv auf das Wohlergehen des Unterstützungsempfängers Einfluss nehmen (Gusy, 1995). Netzwerkmitglieder können dazu beitragen, sowohl bei einer Veränderung der eigentlichen Situation als auch bei der Regulation physischer, emotionaler oder kognitiver Stressreaktionen behilflich zu sein. Während die theoretischen Annahmen zur Pufferwirkung sozialer Unterstützung Plausibilität aufweisen, sind die empirischen Befunde zum Moderatormodell allerdings von Heterogenität geprägt (Kienle et al., 2006). Perkonigg (1993) konstatiert einen günstigen Verlauf des Stressgeschehens und ein effizi-

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3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

enteres Bewältigungsverhalten in Abhängigkeit von der wahrgenommenen und der tatsächlich erhaltenen Unterstützung. In einer Metaanalyse von 81 Studien bestätigten Uchino, Cacioppo und Kiecolt-Glaser (1996) die positive Einflussnahme sozialer Unterstützung auf die kardiovaskulären Reaktionen in stressbezogenen Kontexten und die Pufferhypothese für einen Teil der Untersuchungen. Lin, Dean und Ensel (1986) konnten wiederum bei ihrer systematischen Sichtung und Zusammenführung von verschiedenen Befunden bei 12 von 20 berücksichtigten Studien keine moderierenden Effekte der sozialen Unterstützung nachweisen. Lediglich bei drei der Untersuchungen ließ sich die Pufferhypothese halten, bei weiteren fünf Studien wurden hingegen nur geringe Effektstärken der sozialen Ressource gefunden. Auch Cohen, Sherrod und Clark (1986) stellten z.B. für die Dimension der wahrgenommenen bzw. erwarteten Unterstützung nur schwache Hinweise auf Puffereffekte bezüglich der Ausprägung von Depressionen fest. Schwarzer (2000a) hält fest, dass eher die Dimension der erhaltenen Unterstützung in den Zusammenhang mit stressmildernden Effekten gebracht wird. Das Moderatormodell ließe sich demnach für tatsächliche Unterstützungsleistungen in konkreten stressbezogenen oder gar Krisensituationen abbilden. 3.5.2 Das Haupteffektmodell Unabhängig von den heterogenen empirischen Belegen liegt die Limitation des Moderatormodells in der Reduktion des Einflusses sozialer Unterstützung auf einen stressbezogenen Kontext. Hieraus resultiert die Relevanz des Haupteffektmodells. Danach kann sich soziale Unterstützung direkt positiv auf das Wohlbefinden einer Person auswirken (Kienle et al., 2006). Die gute Integration einer Person in ein System interpersonaler Beziehungen und dem daraus resultierenden möglichen Rückhalt in Alltagssituationen kann sich positiv auf den Gesundheitszustand auswirken (Schwarzer, 2000a; Schwarzer & Leppin, 1989a). Es wird in diesem Fall von Haupt- bzw. Direkteffekten gesprochen. In der Forschung wird die Ansicht vertreten, dass insbesondere Kriterien der sozialen Integration aber auch die wahrgenommene bzw. erwartete Unterstützung vermehrt mit Haupteffekten einhergehen. Die interaktive Gestaltung von Beziehungen geschieht weniger vor dem Hintergrund von Belastungsbewältigung als vielmehr aus dem Grundbedürfnis nach Kontakt, Nähe, Kommunikation und Zugehörigkeit (Nestmann, 1988). Zwischenmenschliche Bindungen hellen die Stimmung auf, vermitteln Geborgenheit sowie Anerkennung und können dadurch direkt

3.5 Wirkmechanismen sozialer Unterstützung

69

Einfluss auf die psychosoziale Gesundheit einer Person nehmen. In einer Studie von Esterling, Kiecolt-Glaser, Bodnar und Glaser (1994) verfügten beispielsweise Personen, die eine höhere wahrgenommene Unterstützung angaben, über einen besseren Immunstatus. Die Metaanalyse von Uchino et al. (1996) konnte neben den Puffereffekten auch das Haupteffektmodell mit der direkten Einflussnahme sozialer Unterstützung auf das Herz-Kreislauf-, Hormon- und Immunsystem bestätigen. Gusy (1995) kritisiert an den Befunden zu den Direkteffekten, dass sich die Studiendesigns in der Regel auf zwei Variablen stützen und keine Überprüfung der Effekte hinsichtlich möglicher moderierender Variablen oder anderer vermittelnder Faktoren erfolgte. 3.5.3 Das Mediatormodell Kienle et al. (2006) merken ebenfalls an, dass die berichteten Zusammenhänge zwischen der sozialen Ressource und einer Reihe von Gesundheitsparametern durch weitere Faktoren vermittelt werden. Innerhalb des sogenannten Mediatormodells kann die Einflussnahme der sozialen Unterstützung in seiner positiven Wirkung auf die physische wie psychosoziale Gesundheit durch Vermittlerprozesse wie beispielsweise dem Ausmaß negativer Emotionen zustande kommen (Knoll et al., 2005). Allerdings sind die empirischen Befunde zu affektiven Variablen als Mediatoren uneinheitlich. Darüber hinaus können aber auch gesundheitsrelevante Verhaltensweisen als Vermittler fungieren (Kienle et al., 2006). Die Einstellungen, Ansichten und Gewohnheiten der Personen, mit denen wir in Interaktion stehen, beeinflussen unser Verhalten in positiver wie auch negativer Weise (Knoll et al., 2005). Netzwerkmitglieder haben das Potenzial Gesundheitsverhaltensweisen zu fördern und zu stabilisieren oder Risikoverhaltensweisen auszuleben. Im positiven Sinne können sowohl die wahrgenommene Unterstützung als auch die tatsächlichen Unterstützungsbemühungen durch das soziale Netzwerk dazu beitragen, eine Raucherentwöhnung anzustreben und zu erleichtern oder auch einen Alkoholkonsum einzuschränken (Bond, Kaskutas & Weisner, 2003; Burkert, Knoll & Scholz, 2005). Durch soziale Regulation werden überdies innerhalb des Bezugssystems der eigenen interpersonalen Beziehungen Normen und Vorstellungen über beispielsweise gesunde Lebensweisen transportiert und durch Modellfunktion der einzelnen Netzwerkmitglieder die erwünschten Gesundheitsverhaltensweisen angeregt (Knoll et al., 2005). Diese soziale Regulation spielt in der Längsschnittstudie von Umberson (1992) eine

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3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

entscheidende Rolle. Frauen forderten von ihren Ehemännern, sich gesundheitsorientiert zu verhalten, was bei Scheidung oder Tod der Ehefrau zu Abbrüchen der routinierten Gesundheitsverhaltensweisen der Männer führte. 3.5.4 Weitere Kausalmodelle Die bisher dargestellten Kausalmodelle sind nebeneinander gültig, es gibt Überschneidungen der postulierten Zusammenhänge. Nach Schwarzer und Leppin (1989a) bildet die klassische Differenzierung von Direkt- und Puffereffekten die Wirkmechanismen sozialer Unterstützung allerdings nur ungenügend ab. Einige Forscher haben daher den Versuch unternommen, die Wirkungszusammenhänge von Stresswahrnehmung, Belastungsbewältigung und Befindensindikatoren unter Bezugnahme der sozialen Unterstützung in komplexeren Analysemodellen abzubilden (Gusy, 1995). Das Kausalmodell von S. Cohen (1992), das auf dem transaktionalen Stresskonzept von Lazarus und Folkman (1984) fußt, beschreibt die schützende Funktion der sozialen Unterstützung gegenüber potenziellen Stressfolgen ohne direkte Wirkungsweisen anzunehmen. Das Rahmenmodell von Perkonigg (1993) beschreibt die Belastungsverarbeitung in Abhängigkeit der sozialen Unterstützung. Dabei wird gleichermaßen die belastete Person wie auch die Unterstützungsperson und deren Interaktion betrachtet. Allerdings bleibt die Wirkung sozialer Unterstützungsprozesse auf gesundheitsrelevante Parameter unberücksichtigt (Gusy, 1995). Schwarzer und Leppin (1989a) stellten verschiedene pfadanalytische Modelle vor, die Direkt- und Puffereffekte nicht ausschließend sondern ergänzend und gleichwertig betrachten. In dem additiven bzw. Kompensationsmodell erfolgt die direkte Einflussnahme auf die Stressreaktion gleichermaßen durch soziale Unterstützung wie durch den Stressor. Bei einem höheren Stressausmaß, dessen Kompensation durch die soziale Ressource nicht ausreichend erfolgen kann, wird der Befindensoutcome negativ ausfallen. Innerhalb des Präventionsmodells kommt es durch die Regulation des Stresserlebens zu einem indirekten Effekt der sozialen Unterstützung auf die Belastungsreaktion. Verschiedene Mobilisierungsmodelle nehmen das Stresserleben als Ausgangspunkt der Wirkkette zur Mobilisierung von sozialer Unterstützung und Einflussnahme auf Befindensparameter.

3.6 Diagnostik sozialer Unterstützung

71

Zuletzt berücksichtigt das integrierte heuristische Modell von Schwarzer und Leppin (1991b) in seiner modifizierten Fassung (Schwarzer, 2000a) sowohl die quantitativ-strukturellen Aspekte der sozialen Integration als auch die qualitativ-funktionalen Parameter sozialer Unterstützungsprozesse in deren Zusammenwirken mit Persönlichkeitsmerkmalen und der Bewältigung von Stress inklusive dem Gesundheits- und Krankheitsverhalten. Die Einflussnahme der sozialen Integration und Unterstützung auf die physiologischen Prozesse und die daraus resultierende Krankheitsentstehung und -verläufe sowie eine mögliche Genesung kann direkt oder auch indirekt über das Bewältigungsverhalten erfolgen. 3.6

Diagnostik sozialer Unterstützung

Die Gültigkeit der empirischen Belege ist maßgeblich mit der methodischen Erfassung komplexer wissenschaftlicher Fragestellungen verknüpft (Wittkowski, 1994). Die Vielschichtigkeit zum Verständnis des Konzepts und der Definition zur sozialen Unterstützung mit unterschiedlich dargelegten Funktionen, Typologien und Dimensionen findet sich auch in der Diagnostik der sozialen Ressource wieder. Die Vielzahl an möglichen Instrumenten unterscheidet sich daher nicht nur in den zu erfassenden Inhalten, sondern auch in der Methodik zur Erhebung des Konstrukts (Kienle et al., 2006). Grundsätzlich bietet sich der Einsatz der folgenden Methoden an: » Interviewverfahren, » Fragebogenverfahren, » Tagebuchverfahren und » Beobachtungsverfahren. Das Forschungsfeld zur sozialen Unterstützung hat in den vergangenen Jahrzehnten eine Fülle an Fragebogenverfahren hervorgebracht, die sich auf quantitativer Ebene mit sozialer Integration, wahrgenommener und/oder erhaltener Unterstützung befassen (Schwarzer, 2000a). Oftmals decken die Messinstrumente nur eine Perspektive innerhalb der Interaktion - nämlich die des Unterstützungsempfängers - ab (Kienle et al., 2006). Die ausschließliche Erfassung der Rezipientenperspektive besitzt aber keine valide Aussagekraft über die tatsächliche Unterstützungsinteraktion (Dunkel-Schetter et al., 1992). Neuere Messinstrumente wie die Berliner Social Support Skalen (Schulz & Schwarzer, 2003) oder das Inventar zur sozialen Unterstützung in Dyaden (Winkeler & Klauer, 2003)

72

3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

erfassen beide Perspektiven. Tabelle 5 enthält die wesentlichen Fragebogenverfahren zur Diagnostik sozialer Unterstützung. Tabelle 5: Fragebogenverfahren zur Diagnostik sozialer Unterstützung (Gusy, 1995, S. 83ff; Knoll & Kienle, 2007, S. 63ff) Inhaltsbereiche der Items (Itemanzahl)

Verfahren

Art der Unterstützung

Anzahl der Skalen

F-SozU Fragebogen zur sozialen Unterstützung (Fydrich, Sommer & Brähler, 2007)

wahrgenommene Unterstützung soziale Integration (individuumszentrierte Perspektive)

Teil A (54) » emotionale Unterstützung (16) » praktische Unterstützung (9) » soziale Integration (13) » wahrgenommene soziale Unterstützung (38) » soziale Belastung (12) » Reziprozität sozialer Unterstützung (4) » Verfügbarkeit einer Vertrauensperson (4) » Zufriedenheit mit sozialer Unterstützung (5) Teil B (10) » Nennung der unterstützenden Personen (6) » Nennung der belastenden Personen (4)

54 Items in 4 Dimensionen 38 Items auf einer Gesamtskala wahrgenommene Unterstützung 4 Hauptskalen 3 Zusatzskalen

Kurzformen verfügbar: F-SozU-K-22 F-SozU-K-14 Normwerte liegen vor

ISSB Inventar sozial unterstützendes Verhalten (Laireiter, 1996) im Original: Inventory of

erhaltene Unterstützung im Alltag (individuumszentrierte Perspektive)

» emotionale Unterstützung (10) » kognitive Unterstützung (10) » Anleitung und Ratschläge (10)

40 Items auf einer Gesamtskala Differenzierung von 4 Subskalen möglich

bei Änderung der Instruktion kann auch der Unterstützungsprozess bei Belastungen erfasst

Hinweise

3.6 Diagnostik sozialer Unterstützung

73

» instrumentelle Unterstützung (10)

Socially Supportive Behaviors (Barrera, Sandler & Ramsay, 1981)

werden Vergleichswerte liegen vor Kurzform in englischer Fassung: ISSB-SF

SS-A Skala zur Erfassung der wahrgenommenen Unterstützung (Laireiter, 1996) im Original: The Social Support Appraisal Scale (Vaux, 1988)

wahrgenommene Unterstützung im Alltag (quellenspezifisch, individuums-zentrierte Perspektive)

Verfügbarkeit emotionaler Unterstützung durch: » Partner (5) » Familie (8) » Freunde (7) » sonstige Personen (8)

28 Items auf einer Gesamtskala (bzw. 23 Kernitems ohne Partneritems) 4 Subskalen

Vergleichswerte liegen vor

ISEL Skala der wahrgenommenen interpersonalen Unterstützung (Laireiter, 1996) im Original: Interpersonal Support Evaluation List (Cohen & Hoberman, 1983)

wahrgenommene Unterstützung (problembezogen, individuumszentrierte Perspektive)

» instrumentelle Unterstützung (10) » kognitive Unterstützung (10) » Zugehörigkeitsunterstützung (10) » Selbstwertunterstützung (10)

40 Items in der Version für die Allgemeinbevölkerung 4 Subskalen

die Studentenversion verfügt über 48 Items

SzSu Skala zur sozialen Unterstützung am Arbeitsplatz (Frese, 1989)

wahrgenommene Unterstützung (situationsspezifisch; individuumszentrierte Perspektive)

Soziale Unterstützung als affektive Unterstützung, Bestätigung und Hilfe von verschiedenen Quellen: » direkter Vorgesetzter (5) » Kollegen (5) » Partner (5) » sonstige Personen (8)

4 quellenspezifische Subskalen mit jeweils 5 Items 1 Subskala „Soziale Kohäsion“

Itementwicklung auf Basis des MichiganFragebogens von Caplan, Cobb, French, Harrison und Pinneau (1982) Vergleichswerte liegen vor

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3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

BSSS Berliner Social Support Skalen (Schulz & Schwarzer, 2003)

wahrgenommene Unterstützung erhaltene Unterstützung geleistete Unterstützung Bedürfnis nach Unterstützung Suche nach Unterstützung protektives Abfedern (dyadische Perpektive)

emotionale Unterstützung » erhaltene (6) » geleistete (6) » wahrgenommene (4) » Suche (2) instrumentelle Unterstützung » erhaltene (3) » geleistete (3) » wahrgenommene (4) » Suche (1) informationelle Unterstützung » erhaltene (2) » geleistete (2) » wahrgenommene (0)

6 Skalen Bildung von Subskalen nach Inhalten möglich

mehrdimensionaler Ansatz

3 Subskalen je geleistete und erhaltende Unterstützung 5 Subskalen je Eigen- und Fremdbericht der Mobilisierung von Unterstützung

2 itemgleiche Versionen für Unterstützungsempfänger und -quelle

» Suche (2) » Bedürfnis (4) » protetktives Abfedern (6) » Zufriedenheit mit Unterstützung (1) ISU-DYA Inventar zur sozialen Unterstützung in Dyaden (Winkeler & Klauer, 2003)

erhaltene Unterstützung geleistete Unterstützung Mobilisierung von Unterstützung (Eigen- und Fremdbericht) (dyadische Perspektive)

erhaltene/ geleistete Unterstützung » emotional (15) » informationell (12) » instrumentell (7) Mobilisierung (Eigen- und Fremdbericht) » Bitte um Rat/ Rückmeldung (12) » Einfordern (4) » Suche nach körperlicher Nähe (4) » offener Ausdruck von Emotionen (3) » ostentativer Rückzug (4)

3.6 Diagnostik sozialer Unterstützung

75

Während ein Großteil der Fragebogenverfahren auf Basis von Selbsteinschätzungen die wahrgenommene oder erhaltene Unterstützung entweder alltagsbezogen oder problemspezifisch und zum Teil auch differenziert nach Quellen erfasst, gleichen die beiden Messinstrumente BSSS (Schulz & Schwarzer, 2003) und ISU-DYA (Winkeler & Klauer, 2003) die Empfänger- und Geberperspektive miteinander ab. Das Inventar zur sozialen Unterstützung in Dyaden von Winkeler und Klauer (2003) greift zudem noch die oftmals vernachlässigten Mobilisierungsstrategien auf. Gusy (1995, S. 85) kritisiert, dass in der Mehrzahl der tabellarisch aufgelisteten Messinstrumente „[...] die generalisierte Erfahrung von Unterstützung und ihre prinzipielle Verfügbarkeit“ erhoben wird. Die Skalenmaße werden entweder über die erfassten Unterstützungsfunktionen bzw. -arten oder über die Unterstützungsquellen gebildet. Eine Kombination von Quelle und Inhaltsbereich erfolgt meist nicht. Neben den genannten Fragebogenverfahren sind daher ebenfalls zwei wesentliche Interviewverfahren zu nennen. Das Interview und Fragebogen zum Sozialen Netzwerk und zur Sozialen Unterstützung (SONET; Laireiter, Baumann, Untner, Feichtinger & Reisenzein, 1997) ist ein standardisiertes Interviewverfahren, das modulartig per Selbstbeurteilung folgende Bereiche erfasst: » soziodemographische Daten, » Kernfamilie, » Haushaltsmitglieder, » weitere Netzwerkmitglieder und Bezugspersonen aus den relevanten Lebensbereichen, » Interaktionsstruktur mit den Netzwerkmitgliedern, » soziale unterstützende Parameter, » soziale belastende Parameter und » Beziehungsqualität. Es existieren mehrere Versionen für unterschiedliche Altersgruppen sowie weitere Schwerpunktmodule. Aufgrund der hohen strukturellen Komplexität des Messinstruments ist das Verfahren unter Anwesenheit eines geschulten Interviewers durchzuführen (ebd.). Auch bei dem Mannheimer Interview zur sozialen Unterstützung (MISU; Veiel, 1987) handelt es sich um ein strukturiertes Interview. Zu Beginn werden alle relevanten Netzwerkmitglieder, die für alltags- und krisenbezogene Unterstützungsleistungen zur Verfügung stehen, erfasst. Zwei Unterstützungsquellen werden im weiteren Verlauf detaillierter in der Bezie-

76

3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

hungsqualität und Interaktion untersucht, bevor abschließend die Akzeptanz von Unterstützungsleistungen erfragt wird. Die Standardisierung der beiden Interviews sorgt für einheitliche Bedingungen aller befragten Teilnehmer, um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu sichern. Eine quantitative Auswertung kann dabei effizient realisiert werden (Wittkowski, 1994). Allerdings ist die starke Strukturierung für die Erhebung neuer Informationen, die sich dem aktuellen Kenntnisstand entziehen, eher ungeeignet. Neben standardisierten Fragebogen- und Interviewverfahren werden auch Tagebuchverfahren zur ereignis- oder zeitbasierten Erfassung der Unterstützungsprozesse eingesetzt (Kienle & Stadler, 2002). Auf Basis des Computergestütztes Erfassungs-System (COMES; Perrez & Reicherts, 1996) als ereignisbasiertes Selbstbeobachtungssystem zur Analyse von Stress und Coping erfasst das COMES-SOZU (Perkonigg, Baumann, Reicherts & Perrez, 1993) die alltagsbezogene soziale Unterstützung. Zwar weisen Kienle und Stadler (2002) darauf hin, dass die regelmäßige und zuverlässige Bearbeitung der Tagebucheinträge nur durch kurze Fragen und Antwortskalen sichergestellt werden kann, allerdings liegt hier auch die Limitation möglicher Erkenntnisgewinne begründet. Schwarzer (2000a, S. 54) hält fest: „Bis heute gibt es wohl keine überzeugende Methode, alle Aspekte von sozialer Unterstützung zuverlässig, gültig und sparsam zu erfassen.“. Die Auswahl des Instruments und die Anforderung an die Erhebung sparsamer oder komplexer Informationen hängen letztlich von der Fragestellung und auch Zielstellung der Untersuchung ab. So werden auch aufwendigere Verhaltensbeobachtungen eingesetzt, bei denen z.B. Paare in ihrer Unterstützungsinteraktion gefilmt und bewertet werden (Collins & Feeney, 2010). Verhofstadt, Ickes und Buysse (2010) untersuchten, inwieweit bei verheirateten Paaren die empathische Treffsicherheit („empathic accuracy“) - die Fähigkeit Emotionen und Kognitionen einer anderen Person zu erschließen - mit der effektiven Leistung von Unterstützung zusammenhängt. Die 40 teilnehmenden Paare mussten hierfür zunächst verschiedene Fragebögen beantworten. Anschließend wurden sie in einen Versuchsraum geleitet, in dem sie ein persönliches Problem mit dem Partner besprechen sollten. Ein Partner agierte als Unterstützungsempfänger, während der andere die Rolle des Unterstützungsgebers einnahm. Die Interaktion wurde auf Video aufgezeichnet. Im Anschluss an das Gespräch wurde den Partnern das Video getrennt voneinander gezeigt. In regelmäßigen Pausensequenzen sollten die Teilnehmer ihre eigenen unausgesproche-

3.7 Determinanten im Unterstützungsprozess

77

nen Gefühle und Gedanken zu der jeweiligen Interaktion offen legen sowie die vermuteten Gefühle und Gedanken des Partners verbalisieren. Ähnlich gingen z.B. auch Cutrona, Hessling und Suhr (1997) in einer Studie zur Untersuchung des Einflusses der Persönlichkeit beider Partner auf die Unterstützungsinteraktion innerhalb der Partnerschaft vor. Nachdem verschiedene Fragebogeninstrumente zum Einsatz kamen, wurden die Paare gebeten, ein persönlich belastendes Thema zu besprechen. Auch hier gab es eine Aufteilung der Rollen als Hilfeempfänger und -geber. Im Anschluss an die Interaktion füllte der Rezipient einen Fragebogen zur Bewertung der Unterstützungsleistungen des Partners aus und die Rollen wurden für eine erneute Interaktion getauscht. Die Gespräche wurden auf Video aufgezeichnet und im Nachgang kodiert. Zwar gehen diese Beobachtungsverfahren instruierter Gesprächssituationen über Selbstberichte hinaus, dennoch handelt es sich hierbei nicht um Beobachtungen natürlicher Unterstützungsvorgänge. Daher filmten Wang und Repetti (2016) für ihre Studie die alltägliche Unterstützungsprozessen von Paaren in ihrem häuslichen Umfeld über einen Zeitraum von vier Tagen. Es bleibt festzuhalten, dass jedes Verfahren zur Diagnostik sozialer Unterstützung Vor- und Nachteile aufweist. Ein allgemeingültiges Standardinstrument existiert nicht. In der Forschungspraxis hat sich zudem die Kombination von verschiedenen Instrumenten bewährt. 3.7

Determinanten im Unterstützungsprozess

Soziale Unterstützung gestaltet sich als ein komplexer Interaktionsprozess, in dessen Verlauf eine Reihe von Faktoren für das Gelingen oder Scheitern ausschlaggebend sind (Kienle et al., 2006; Schwarzer, 2000a, 2004b). In der Beschreibung von Diewald (1991, S. 77), der soziale Unterstützung als „sozialen Austauschprozess, in dem verschiedene Akteure und Beziehungskomponenten situationsspezifisch zusammenwirken“ versteht, werden die entscheidenden Determinanten in der Unterstützungsinteraktion deutlich. So sind neben den situationalen Besonderheiten und Anforderungen auch die intrapersonalen und interpersonalen Faktoren zu berücksichtigen (Kienle et al., 2006).

78

3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

3.7.1 Situationale Faktoren Zunächst ist neben der Verfügbarkeit potenzieller Helfer die Beschaffenheit der Situation, in der die Unterstützungsinteraktion erforderlich ist, zu betrachten (Kienle et al., 2006). Die Berücksichtigung des entsprechenden Lebenskontextes der unterstützungssuchenden Person kann entweder die Komplexität und Vielschichtigkeit oder aber auch die Überschaubarkeit der Umstände offenbaren. Ein einziges Ereignis kann abhängig von den Kontextbedingungen unterschiedlich weitreichende Auswirkungen haben. Ein plötzlicher Arbeitsplatzverlust ist beispielweise immer auch vor dem Hintergrund der aktuellen Arbeitsmarktlage, der Qualifikation und Nachfrage des erlernten Berufes, regionalen Besonderheiten, der individuellen Mobilität und Flexibilität sowie den sozialen und insbesondere familiären Verpflichtungen zu bewerten. Hieraus ergibt sich nicht nur ein anderer subjektiver Unterstützungsbedarf, sondern es bieten sich auch unterschiedliche Unterstützungsmöglichkeiten an. Die unterschiedlichen Wirkmechanismen sozialer Unterstützung (siehe Kapitel 3.5) zeigen, dass die soziale Ressource ihre Wirkung nicht erst in stressbezogenen Situationen oder gar in Lebenskrisen entfalten muss (Gusy, 1995). Sie kann immer auch alltagsbezogen im Kontext der alltäglichen Anforderungen erwünscht und erforderlich sein. Im Fall der mit Frustration und Unmut verbundenen kleineren Alltagsärgernisse („daily hassles“) kann soziale Unterstützung die kumulierten Belastungsfolgen insbesondere im Affektbereich minimieren (Leppin, 1997). Entscheidend ist, dass die angebotene Unterstützungsform gemäß der „matching hypothesis“ bzw. Spezifizitätshypothese den Anforderungen der Situation entspricht (Kienle et al., 2006; Knoll et al., 2005). Cohen und Wills (1985) schreiben dem sozial unterstützenden Verhalten von Netzwerkmitgliedern nur dann eine puffernde Wirkung zu, wenn die angebotene Unterstützungsform den situativen Herausforderungen und dadurch ausgelösten individuellen Bedürfnissen entspricht. Die Bedeutung der Passung von Situationsanforderung und dargebotener Unterstützung konnte u.a. auch in einer Längsschnittstudie von Dormann und Zapf (1999) bestätigt werden. Gusy (1995) weist neben der situativen zusätzlich auf die zeitliche Komponente als Determinante für einen gelingenden oder misslingenden Unterstützungsprozess hin. Es spielt eine maßgebliche Rolle, welchen Zeitraum Unterstützungsleistungen einnehmen werden oder bereits eingenommen haben. Lang andauernde Belastungssituationen können zu einer Verkleinerung des sozialen

3.7 Determinanten im Unterstützungsprozess

79

Netzwerks aufgrund einer Verringerung der sozialen Attraktivität führen. Hingegen steigert ein mittleres Belastungsausmaß die Hilfebemühungen des sozialen Umfeldes (Dunkel-Schetter & Skokan, 1990). Zudem ist auch die Frage nach der Schuld am Entstehen der unterstützungserfordernden Situation für die Gewährung von Hilfeleistungen maßgeblich (Schwarzer, 2004b). Unterstützung wird demnach eher und vermehrt gewährt, wenn der Hilfeempfänger unverschuldet mit bestimmten Ereignissen konfrontiert wird. 3.7.2 Intrapersonale Faktoren Ein gelingender Unterstützungsprozess hängt immer auch mit den intrapersonalen Faktoren des Hilfesuchenden und der Hilfequelle zusammen (Kienle et al., 2006; Schwarzer, 2000a, 2004b). Grundsätzlich wirken sich bereits soziodemographische Merkmale wie Alter, Geschlecht, Bildung und Schichtzugehörigkeit, Familienstand und regionale Zugehörigkeit unterschiedlich auf die sozialen Netzwerkstrukturen sowie die wahrgenommene und erhaltene Unterstützung aus (Schwarzer & Leppin, 1989a). Die Interaktion wird nach Kienle et al. (2006) und Cutrona (1996) auf der Seite des Empfängers durch folgende Faktoren beeinflusst: » die Einschätzung des Verhaltens der Unterstützungsquelle, » die Erwartungen an die Reaktion der Unterstützungsquelle, » die eigene Reaktion auf das Unterstützungsverhalten, » die Mobilisierungsstrategien und » die Kommunikationsfähigkeiten. Dabei werden die Gestaltung des sozialen Netzwerks, die wahrgenommene bzw. erwartete soziale Unterstützung sowie die Mobilisierung von Unterstützungsleistungen wesentlich durch personale Ressourcen und Persönlichkeitsmerkmale bestimmt (Dunkel-Schetter & Skokan, 1990; Gusy, 1995). Entscheidende Aspekte sind hierbei Neurotizismus, Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit, internale Kontrollüberzeugungen, Optimismus, Extraversion, Attributionsstile und soziale Kompetenzen (Gusy, 1995). Geselligen, sensiblen und selbstbewussten Menschen fällt zunächst einmal der Aufbau sozialer Beziehungen leichter. Im weiteren Verlauf von Sozialbeziehungen ist für deren Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung ein gewisses Maß an Empathie, die Fähigkeit und Bereitschaft zur Kooperation sowie emotionale Stabilität entscheidend (Hansson, Jones & Carpenter, 1984; zit. n. Gusy, 1995). Pessimismus und Zynismus mindern hingegen

80

3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

das Vertrauen in die Sozialbeziehungen negativ und verringern die wahrgenommene Unterstützung. Das Gefühl, von den Netzwerkmitgliedern Akzeptanz zu erfahren, ist für die Unterstützungswahrnehmung elementar (Sarason, Pierce & Sarason, 1990). Für die Mobilisierung von Unterstützung ist es notwendig, sich zunächst selbst einzugestehen, auf Unterstützung angewiesen zu sein und diese Bedürftigkeit auch zu offenbaren (Hansson et al., 1984; zit. n. Gusy, 1995). Persönlichkeitsmerkmale wie Ängstlichkeit, Depressivität, Introversion und Neurotizismus erschweren diese Mobilisierung allerdings. Bezogen auf das Selbstwertgefühl zeigte sich, dass Personen mit einem niedrigen Selbstwert tendenziell ein höheres Bedürfnis nach sozialer Unterstützung aufweisen (Nadler, 1983). Bei Personen mit einem ausgeprägten Selbstwertgefühl weist das Eingeständnis der Hilfebedürftigkeit ein inneres Konfliktpotenzial auf. Innerhalb des Unterstützungsprozesses werden bei allen Stadien der Interaktion vor Allem Informationen über das Hilfebedürfnis, dem erwarteten Unterstützungsausmaß und der erwünschten Unterstützungsform sowie u.a. auch die Unterstützungsleistung und deren Bewertung als Information ausgetauscht (Burleson, Albrecht & Sarason, 1994). Die Übermittlung geschieht durch das Mittel der Kommunikation. Cutrona (1996) benennt in diesem Zusammenhang zahlreiche Faktoren, die einen reibungslosen Prozess der sozialen Unterstützung beeinflussen. Der Unterstützungsempfänger sollte über eine Vielzahl von Kommunikationsfähigkeiten für eine unmissverständliche Äußerung des Unterstützungsbedarfs sowie über eine Auswahl an Strategien zur Mobilisierung von sozialer Unterstützung verfügen. Goldsmith und Parks (1990) identifizierten verschiedene Mobilisierungsstrategien, bei denen der Ansatz einer positiven Selbstdarstellung durch den Hilfesuchenden zur Erhöhung der Unterstützungsbereitschaft des Helfenden herausragte. Das Mobilisierungsverhalten wird direkt oder indirekt, verbal oder nonverbal kommuniziert (Cutrona, 1996). Es kann sowohl direkte, verbale Aufforderungen zu Unterstützungshandlungen als auch indirekte Apelle, die den Belastungsgrad nonverbal durch Mimik oder verbal durch verschlüsselte Informationen offenbaren, umfassen (Cutrona & Suhr, 1994). In eigenen Studien konnten Cutrona, Suhr und MacFarlane (1990) zeigen, dass sowohl Männer und Frauen ihr Hilfebedürfnis dem Partner gegenüber eher durch Schilderung des Belastungsereignisses statt direkter Aufforderung, dass Unterstützung benötigt wird, übermittelten. Neben der einfachen Problembeschreibung wurde bevorzugt auch der emotionale Zustand verbal oder durch

3.7 Determinanten im Unterstützungsprozess

81

Körpersprache als Unterstützungsaufforderung zum Ausdruck gebracht. Die gewählte Mobilisierungsstrategie ist u.a. abhängig vom Geschlecht, den sozialen und kommunikativen Kompetenzen und den Persönlichkeitsmerkmalen (Cutrona, 1996). Auf der Seite des Unterstützungsgebers müssen die verbalen und nonverbalen Signale richtig enkodiert werden (Cutrona, 1996). Allerdings werden die Informationen innerhalb der menschlichen Kommunikation niemals vollständig im Sinne der intendierten Informationsübermittlung des Senders entziffert, so dass für den Unterstützungsgeber ein Interpretationsspielraum der erwünschten Verhaltensweisen bleibt. Dabei sind indirekte Mobilisierungsstrategien schwerer zu interpretieren als direkte Äußerungen der Erwartungen. Daher hat sich die aktive Suche und direkte Mobilisierung sozialer Unterstützung auch eher als Garant für tatsächliche Unterstützungsleistungen erwiesen (Knoll & Schwarzer, 2005). In einer Studie von Yankeelov, Barbee, Cunningham und Druen (1995) konnte gezeigt werden, dass verbal mobilisierte soziale Unterstützung durch den potenziellen Unterstützungsgeber mit annäherndem und zugewandtem Verhalten einherging, während nonverbale emotionsausdrückende Mobilisierungsstrategien eher Vermeidungsverhalten in Form von Kritisieren oder Bagatellisieren erzeugten. Den Autoren zufolge scheint verbales Mobilisierungsverhalten der Hilfequelle demnach mehr Auskunft über das vorhandene Unterstützungsbedürfnis als ein nonverbaler Emotionsausdruck zu geben. Nach Cutrona und Suhr et al. (1990) werden Unterstützungsleistungen am ehesten gewährt bei » direkter Bitte um Handlungen oder materiellen Gütern, » Problembeschreibung, » Bitte um Zuwendung und » Bitte um Ratschläge. Die nonverbale Offenbarung der gegenwärtigen Emotionen wird hingegen selten in Unterstützungsinteraktionen münden. Allerdings wird spontan geleistete Unterstützung besser bewertet als Unterstützung, die auf direkte Aufforderungen hin erfolgt und eher das Gefühl transportiert, aus Verpflichtung heraus zu agieren (Cutrona, Cohen & Igram, 1990). Interessanterweise kann der nonverbale Ausdruck von Emotionen aber auch geberseitig zur Mobilisierung von Unterstützungsleistungen führen, die der Empfänger letztlich nicht als erhaltene Unterstützung registriert (Winkeler & Klauer, 2003). Anscheinend sind sich Unterstützungssuchende nicht immer bewusst, welche Wirkung und Handlungstendenzen

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3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

ihre nonverbalen Signale bei der Hilfequelle auslösen können (DePaulo & Friedman, 1998). Um zu erschließen, was der andere innerhalb des Unterstützungsprozesses tatsächlich braucht, ist die Fähigkeit notwendig, die Gefühle und Gedanken des Anderen exakt erspüren zu können. Ickes (1999) bezeichnet dies als „empathic accuracy“. Neben dieser und weiteren kommunikativen Fähigkeiten sind auch die Kognitionen und Emotionen der Unterstützungsquelle für die Leistung von Unterstützung ausschlaggebend (Schwarzer, 2004b). In der Beurteilung der Unterstützung erfordernden Situation wird der Helfende eine Ursachenzuschreibung vornehmen. Ereignisse, die außerhalb des eigenen Einflussbereiches des Hilfebedürftigen liegen, erzeugen mit größerer Wahrscheinlichkeit Mitleid und geben Anstoß zum Helfen als selbstverschuldete Situationen. Letztlich sind auch die momentane emotionale Verfassung der Unterstützungsquelle und die mit der Hilfeleistung verbundenen Kosten für die tatsächliche Umsetzung der Unterstützungshandlung relevant. 3.7.3 Interpersonale Faktoren Generell ist die Struktur des Unterstützungsnetzwerkes und das Zusammenspiel der verschiedenen sozialen Mitglieder für Unterstützungsprozesse maßgeblich. Der eigentliche Unterstützungsprozess wird dann in der Interaktion zwischen dem Hilfesuchenden und der Unterstützungsquelle gestaltet, so dass sich die intrapersonalen Faktoren von Empfänger und Geber für die Mobilisierung und Leistung von Unterstützung gegenseitig beeinflussen. Hierbei sind nach DunkelSchetter und Skokan (1990) verschiedene Beziehungsfaktoren wie das Ausmaß an Intimität, Nähe und die Beziehungszufriedenheit zu betrachten. Dabei stechen intime Vertrauensbeziehungen in besonderem Maße heraus (Gusy, 1995). Allerdings liegt bei diesen Sozialbeziehungen auch das größte Konfliktpotenzial, das mit einem hohen Grad an negativen Emotionen wie Wut und Ärger einhergeht (Sarason, Sarason & Pierce, 1992). Auch die bisherige Beziehungs- bzw. Unterstützungsbiographie entscheidet über zukünftige Unterstützungsinteraktionen. Vergangene Erfahrungen aktualisieren die damit verbundenen Emotionen und Kognitionen stetig, bewerten die tatsächlich erfolgten Handlungen und modifizieren dadurch die Erwartungen an die gegenwärtigen Hilfsinteraktionen (Cutrona & Russell, 1990). Cutrona und Russell (1990) halten aber auch gegenseitige Zuneigung, Fürsorge und Empathie

3.8 Belastende Aspekte sozialer Unterstützung

83

für einen gelingenden Unterstützungsprozess als unabdingbar. Innerhalb intimer Beziehungen haben sich zudem eigene Kommunikationssignale und verbale Muster entwickelt, die für unbeteiligte Dritte oder entferntere Sozialpartner, die nicht über die notwendigen Kontextinformationen verfügen, schwer zu entschlüsseln sind. Letztlich ist der Unterstützungsprozess bei der Bewertung der Wirksamkeit und Auswirkung auf das Wohlbefinden des Empfängers immer vor dem Hintergrund der Beziehungsbiographie und gegenwärtigen Beziehungsgestaltung zwischen Hilfesuchendem und Hilfequelle zu bewerten, da mitunter aus der Interaktion auch belastende Effekte für beide Interaktionspartner resultieren können (Gusy, 1995; Lettner, 1994; Schwarzer, 2000a). 3.8

Belastende Aspekte sozialer Unterstützung

Beziehungen zu Netzwerkmitgliedern sind natürlich nicht ausschließlich positiv besetzt (Bullinger & Nowak, 1998). Negative Aspekte sozialer Beziehungen ergeben sich aus den Rollen und dem Verhalten der einzelnen Netzwerkmitglieder sowie aus der Interaktion oder der eigenen Bewertung des Geschehens (Lettner, 1994). Das Verhalten anderer Personen kann dabei falsch, feindselig, einschränkend bzw. kontrollierend oder kränkend ausgerichtet sein oder als solches wahrgenommen werden. Wenn soziale Beziehungen negative Dimensionen umfassen, können natürlich auch Unterstützungsprozesse scheitern oder gar negative Effekte auslösen (Schwarzer, 2000a). Innerhalb der sozialen Unterstützungsforschung, die lange Zeit die positiven Effekte auf das Wohlbefinden fokussierte, werden mittlerweile auch die negativen Seiten des Konstrukts berücksichtigt (Baumann, Humer, Lettner & Thiele, 1998). Laireiter und Lettner (1993, S. 108) benennen dabei sechs Aspekte, die für den Empfänger sowie für die Unterstützungsquelle mit belastenden Momenten verknüpft sein können: » belastende Aspekte normaler Unterstützung, » inadäquate Unterstützung, » enttäuschte Unterstützungserwartungen, » exzessive Hilfe, » problematische Beziehungen zwischen Unterstützer und Unterstütztem und » belastungsbedingte Ineffektivität.

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3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

Bei den belastenden Aspekten der normalen Unterstützung handelt es sich zumeist um unbeabsichtigte Begleiterscheinungen (Baumann et al., 1998). So kann die Hilfebedürftigkeit für den Rezipienten von Unterstützungsleistungen Empfindungen von Schwäche oder eigenes Unvermögen implizieren und damit das Selbstwertgefühl untergraben (Nadler & Fisher, 1986). Weiterhin können sich bei dem Empfänger Gefühle von Scham und Schuld einstellen und der Eindruck entstehen, dem Hilfegeber gegenüber zukünftig verpflichtet zu sein (Laireiter & Lettner, 1993). Dabei ist zu erwähnen, dass diese Emotionen überwiegend bei Sozialbeziehungen mit entfernteren Netzwerkmitgliedern auftreten (Thoits, 1986). Gescheiterte Unterstützungsversuche oder inadäquate Unterstützungsleistungen treten dagegen relativ häufig auf (Laireiter & Lettner, 1993). Selbst wenn die Leistung von Unterstützung aus altruistischen statt egoistischen Gründen heraus geschieht, muss die angebotene Hilfeform nicht den Bedürfnissen des Empfängers entsprechen (Cohen & McKay, 1984). Entsprechend der „matching hypothesis“ oder auch Spezifitätshypothese kann der Unterstützungsprozess seinen förderlichen Aspekt für die Gesundheit in Belastungssituationen nur entfalten, wenn die Unterstützungsart auch den situationsspezifischen Anforderungen entspricht (Cohen & Wills, 1985). Inadäquate Unterstützungsleistungen lassen sich nicht zuletzt auch über die Reaktionen der Rezipienten erschließen, die sich missverstanden oder gar im Stich gelassen fühlen (Dunkel-Schetter & Wortman, 1982). Generell unangemessen kristallisierten sich Reaktionen wie Beschwichtigungsversuche, Vorwürfe oder Bagatellisieren des Problems des potenziellen Unterstützers heraus, die oftmals z.B. aus Überforderung oder Verunsicherung resultieren (Lehman, Ellard & Wortman, 1986). Dieses Fehlverhalten der Unterstützungsquelle tritt vermehrt bei langandauernden oder wiederholten Problematiken sowie bei Verbalisierung der belastenden Umstände durch den Hilfesuchenden auf (Wortman & Lehman, 1985). Ein selteneres Phänomen, das eine Sonderform unangemessener Unterstützung darstellt, ist die Problematik des Nonsupports als Ausbleiben von Unterstützungsleistungen, das wiederum zu enttäuschten Unterstützungserwartungen und Kränkungen führt (Laireiter & Lettner, 1993). Beim Nonsupport bleiben die psychosozialen Bedürfnisse des Unterstützungssuchenden unerfüllt (Reichle, 2000). Dies wiederum kann zu einer Unterminierung des eigenen Selbstvertrauens oder des Vertrauens in Netzwerkmitglieder und damit u.a. zu Depressivität,

3.8 Belastende Aspekte sozialer Unterstützung

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Missbefinden und Beziehungsunzufriedenheit führen. Allerdings sind diese Effekte abhängig von der Intentionalität des Nonsupports, d.h. ob Unterstützungsleistungen absichtlich unterlassen werden bzw. deren Ausbleiben entschuldigt oder gerechtfertigt werden kann. Ein gegensätzliches Extrem zum Nonsupport ist das Übermaß an Unterstützung (Laireiter & Lettner, 1993). Exzessive Hilfe aufgrund von emotionalem Übereifer untergräbt eigene Bemühungen die Belastungen zu bewältigen und kann den Rezipienten mitunter in Abhängigkeit drängen. In der Forschungstradition der Familientherapie werden diese Verhaltenstendenzen, die auch mit exzessiver Hilfe verknüpft sein können, als „overprotection“ oder „overinvolvement“ subsummiert, deren Verhaltensweisen beispielsweise Eingriffe in die Sachverhalte von Netzwerkmitgliedern, den Entzug von Kompetenzen oder auch Herabsetzungen umfasst (Minuchin, Rosman & Baker, 1995). Hinsichtlich einer als problematisch geltenden Beziehung zwischen Unterstütztem und Unterstützer diskutieren Laireiter und Lettner (1993, S. 109) folgende sechs Aspekte: » Mangel an Reziprozität, » Abhängigkeit, » Kontrolle, » Ablehnung, » Abwertung und » Angst. Der Mensch begehrt grundsätzlich ein Gleichgewicht von Geben und Nehmen innerhalb von Sozialbeziehungen und möchte sich für Unterstützungsleistungen revanchieren, um die Negativbilanz abzubauen (Argyle & Henderson, 1990; Fisher, Nadler & Whitcher-Alagna, 1982). Wird diese Möglichkeit vom Unterstützer verwehrt, kann bei dem Unterstützungsempfänger die eigene Selbstachtung leiden und feindselige Emotionen gegenüber dem Unterstützer gefördert werden. Bei engen Vertrauensbeziehungen, wie sie zum Partner oder sehr guten Freunden bestehen, wird die mangelnde Reziprozität allerdings längere Zeit toleriert (Mikula, 1992). Hilfeversuche in abhängigen Beziehungsstrukturen sind mit negativen Effekten für das eigene Selbstwertgefühl des Rezipienten verknüpft und können bei diesem als Kontrolle oder übermäßiges Einmischen in persönliche Angelegenheiten interpretiert werden, wodurch es mitunter zu Widerstandshandlungen kommt (Argyle & Henderson, 1990). Nimmt der Hilfesu-

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3 Soziale Unterstützung: Standortbestimmung einer externen Ressource

chende eine ablehnende oder abwertende Haltung des potenziellen Unterstützers ihm gegenüber wahr oder ist die Beziehung durch Angst geprägt, so werden bestimmte Aktionen oder Interaktionen vermutlich nicht als Unterstützungsakt interpretiert werden (Coyne, Wortman & Lehman, 1988). In Situationen, in denen Hilfe am nötigsten scheint, können Unterstützungsversuche allerdings auch belastungsbedingt ineffektiv ausfallen (Laireiter & Lettner, 1993). Hohe Belastungen und Lebenskrisen tangieren meist auch nahestehende Bezugspersonen und führen dort zu ambivalenten bis hin zu ablehnenden Gefühlen (Dunkel-Schetter & Bennett, 1990). Gusy erwähnt in diesem Zusammenhang (1995, S. 64), „[...] dass chronische Belastungen die soziale Attraktivität verringern und zu Veränderungen/ Verkleinerung des Netzwerks führen können [...]“. Letztlich können umfangreiche und langfristige Hilfeleistungen auch zur Belastung für den Helfenden werden (Laireiter & Lettner, 1993). Nicht selten bestehen gerade bei Lebenskrisen Unsicherheiten über ein angemessenes Verhalten dem Hilfesuchenden gegenüber verknüpft mit Gefühlen von Hilflosigkeit aufgrund der fehlenden Erfahrung im Umgang mit schwerwiegenden Problemen (Wortman & Lehman, 1985). Statt adäquater Unterstützungsleistungen werden Bagatellisierungen und ritualisierte Handlungen angeboten. Werden Situationen bei dem Helfenden darüber hinaus als aussichtslos bewertet, wird die wahrgenommene eigene Hilflosigkeit des möglichen Unterstützungsgebers z.B auch durch Schuldzuweisung des Betroffenen an der Belastungssituation kompensiert. Verbalisierte Klagen und Leiden der Betroffenen über eine längere Zeit stoßen zur eigenen Gefühlskontrolle und Regulierung des Belastungsgrades eher auf Ablehnung bei dem Helfenden.

4

Stand der Forschung zu sozialer Unterstützung bezüglich Arbeit, Geschlecht und Partnerschaft

Die Forschung zu sozialer Unterstützung hat eine Reihe von Studien hervorgebracht, die abhängig beispielsweise von der Unterstützungsquelle oder dem Geschlecht über differenzierte Ergebnisse bezüglich der Wahrnehmung, der Mobilisierung und dem Erhalt von Unterstützung und den verschiedenen Formen berichten. Im Bezugsrahmen der vorliegenden Arbeit sind dabei insbesondere Studien relevant, die den Fokus auf soziale Unterstützung im Arbeitskontext und in Partnerschaften legen sowie Unterstützungsinteraktionen auf Geschlechtsunterschiede untersuchen. 4.1

Soziale Unterstützung im Arbeitskontext

Arbeit als bedeutsamer Lebensbereich für Erwerbstätige ist nicht nur die Quelle mitunter chronischer Belastungen, sondern stellt darüber hinaus auch die Voraussetzung für die Mobilisierung von Ressourcen dar, die sich aus den sozialen Beziehungen ergeben. Während Konflikte aus den arbeitsbezogenen Sozialkontakten das Risiko koronarer Herzerkrankungen erhöhen, puffern die sozialen Unterstützungsinteraktionen und die Vermittlung von Anerkennung und Wertschätzung die Auswirkungen von Fehlbelastungen ab (Faltermaier, 2017). Für soziale Unterstützungsleistungen am Arbeitsplatz stehen grundsätzlich Kollegen und Vorgesetzte als Quellen zur Verfügung (Karasek & Theorell, 1990). Im Rahmen des Job Demands-Control-Support-Model von Karasek und Theorell (1990) kann soziale Unterstützung durch die Sozialkontakte im Arbeitskontext als sozio-emotionale Unterstützung durch die Vermittlung von Mitgefühl und Aufmerksamkeit oder als instrumentelle soziale Unterstützung durch aufgabenbezogene Hilfe geleistet werden. Prinzipiell können aber auch hier die vier Unterstützungsarten emotionale, instrumentelle, informationelle und evaluative Unterstützung nach House (1981) zum Tragen kommen. Frese (1989) hebt noch eine weitere Form der beruflichen Unterstützung hervor, die die kollektive statt individuelle Ebene von Unterstützung betont. Hierbei handelt es sich um den Aspekt der Solidarität als Bereich der sozialen Unterstützung, die durch den Auftritt im Kollektiv und durch den Einfluss der Gruppe den Austauschprozess

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Niemann, Die Rolle des Partners und der Partnerin bei der Bewältigung arbeitsbedingter Belastungen, Gesundheitspsychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24906-9_4

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4 Stand der Forschung zu sozialer Unterstützung bezüglich Arbeit, Geschlecht und Partnerschaft

mit anderen beruflichen Sozialkontakten gestalten und eigene Einflussmöglichkeiten verstärken kann. Mittlerweile existiert eine Vielzahl an Studien, die sich mit der Wirkung arbeitsplatzbezogener sozialer Unterstützung auf verschiedene Befindensparameter und betrieblich relevanter Aspekte beschäftigen. Die Metaanalyse von Viswesvaran, Sanchez und Fisher (2002) zur Rolle sozialer Unterstützung bei Arbeitsbelastungen zeigte, dass arbeitsbezogene soziale Unterstützung das Stresserleben reduziert, die Auswirkungen von Fehlbelastungen auf Gesundheit und Wohlbefinden abpuffert sowie die stressbezogene Bewertung von Anforderungen abschwächt. In einer Studie von McCauley, Ruderman, Ohlott und Morrow (1994) wurden die entwicklungsförderlichen Effekte bei der Übernahme neuartiger Tätigkeiten durch soziale Unterstützungsleistungen aus dem beruflichen Umfeld verstärkt. Undén (2007) identifizierte fünf verschiedene arbeitsbezogene Unterstützungsformen, die mit Arbeitsausfall und Krankheit in Verbindung standen: evaluative Unterstützung, Zugehörigkeit, instrumentelle Unterstützung, emotionale Unterstützung sowie unterstützendes Arbeitsklima. Das Fernbleiben von der Arbeit hing mit einem geringeren Gefühl von Zugehörigkeit und einem gering bewerteten unterstützendem Arbeitsklima zusammen. Fehlende soziale Unterstützung bei den Dimensionen Zugehörigkeit, unterstützendes Arbeitsklima und instrumentelle Unterstützung gingen zudem mit einem höheren Ausmaß an psychosomatischen Beschwerden einher, geringe instrumentelle Unterstützung stand zusätzlich im Zusammenhang mit einem schlechteren gesundheitlichen Allgemeinzustand. Park, Wilson und Lee (2004) untersuchten die Effekte von sozialer Unterstützung auf Depression und arbeitsbezogener Produktivität bei Krankenhausmitarbeitern. Sie fanden Direkteffekte hinsichtlich einer positiven Wirkung der externen Ressource auf das psychische Wohlbefinden und die Produktivität allerdings keine Moderatoreffekte, bei denen soziale Unterstützung die Folgen von Fehlbelastungen abpuffert. Chou (2015) konnte in seiner Untersuchung der Effekte von sozialer Unterstützung im Arbeitskontext auf das Wohlbefinden ebenfalls das Haupteffektmodell bestätigen. Darüber hinaus trat Selbstwirksamkeitserwartung als Mediatorvariable zwischen der sozialen Ressource und dem individuellen Wohlbefinden auf. Neben der Reduktion von Stressoren und Beanspruchungen begünstigt soziale Unterstützung und hierbei insbesondere aufgabenbezogene Unterstützung aus dem beruflichen Umfeld die Arbeitszufriedenheit (Harris, Winskowski & Engdahl, 2007). Brough und Pears (2004) bestätigen

4.1 Soziale Unterstützung im Arbeitskontext

89

diesen Befund allerdings mit Einschränkungen. In ihrer Studie fand sich lediglich ein direkter Effekt von praktischer Unterstützung vom Vorgesetzten auf die Arbeitszufriedenheit und auf den subjektiv wahrgenommenen Erfolg. Emotionale Unterstützung oder Hilfeleistungen von Kollegen hatten weder einen signifikanten Einfluss auf die Zufriedenheit noch auf arbeitsbezogenes Wohlbefinden. Hinsichtlich des Effekts von sozialer Unterstützung auf das Erleben von Stress und auf Zufriedenheit vor dem Hintergrund von Auslandsentsendungen hatte in einer Studie von Spieß und Stroppa (2010) ebenfalls die soziale Unterstützung vom Vorgesetzten sowie instrumentelle Unterstützung positive Auswirkungen auf die Arbeitszufriedenheit. Die Metaanalyse von Ng und Sorensen (2008) untersuchte den Einfluss von wahrgenommener Unterstützung durch Führungskräfte und durch Kollegen auf verschiedenen Aspekte der Arbeitseinstellung. Dabei war der Zusammenhang zwischen wahrgenommener Vorgesetztenunterstützung und Arbeitszufriedenheit, Hingabe sowie Kündigungsabsichten höher als bei der wahrgenommener Unterstützung durch Kollegen. Der Einfluss der Ressource in dem Zusammenhang scheint demnach von der Unterstützungsquelle und -form abhängig zu sein. Differenziert nach den hierarchiebezogenen Quellen sozialer Unterstützung kommt dem Vorgesetzten eine besondere Bedeutung zu, da Führungskräfte Einfluss auf die Gestaltung von Arbeitstätigkeit, -organisation und -bedingungen nehmen, ihren Mitarbeitern arbeitsrelevante Informationen zur Verfügung stellen und Rückmeldung über die Arbeitsqualität geben (Griffin, Patterson & West, 2001). Letztlich vermitteln sie in erheblichem Maße Anerkennung und Wertschätzung, was sich wiederum positiv auf das eigene Selbstwertgefühl auswirkt (Doby & Caplan, 1995). Ist das Ansehen beim Vorgesetzten gefährdet, kann dies Ängstlichkeit begünstigen, die sich auf den privaten Lebensbereich überträgt. In einer Studie von Landeweerd und Boumans (1994) hatte u.a. Feedback als evaluative Unterstützung und sozial-emotionales Führungsverhalten einen Einfluss auf das Wohlbefinden bei Krankenschwestern niederländischer Krankenhäuser. Hierfür bedarf es nach Nerdinger (2014, S. 88) aber sozialer Fertigkeiten wie z.B. der empathischen Treffsicherheit als „[...] Kompetenz, Bedürfnisse anderer zu erkennen, auch wenn diese sie nicht explizit artikulieren“. Allerdings lassen die sozial-kommunikativen Kompetenzen von Vorgesetzten in ihrer bisherigen Ausprägung Handlungsbedarf erkennen, so dass die Offenbarung von Fehlbelastungen durch die Mitarbeiter in Gesprächssituationen mit den Führungskräften

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4 Stand der Forschung zu sozialer Unterstützung bezüglich Arbeit, Geschlecht und Partnerschaft

nur selten in fruchtbare Unterstützungsinteraktionen münden (Rosenstiel & Nerdinger, 2011). Sozial unterstützendes Verhalten durch Kollegen hat ebenfalls positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden und motivationale Aspekte der Beschäftigten (Chou, 2015). Die Effekte sozialer Unterstützung durch Kollegen auf betrieblich relevante Parameter fallen im Vergleich zur Unterstützung durch Vorgesetzte aber geringer aus (Brough & Pears, 2004; Ng & Sorensen, 2008). Argyle (1992) vermutet, dass hierbei die Verbundenheit mit den Kollegen einen Einfluss auf die Effekte sozial unterstützenden Verhaltens nimmt. Kooperation und gegenseitige Unterstützung fallen höher aus, wenn Kollegen auch privat befreundet sind oder zumindest einen zugewandten, wenn auch oberflächlicheren, Kontakt pflegen. Demgegenüber weisen sie bei Arbeitsbeziehungen, die sich ausschließlich auf den Arbeitskontext und die notwendige arbeitsbezogene Zusammenarbeit beziehen und eher von einer neutralen oder gar ablehnenden Haltung geprägt sind, ein geringeres Ausmaß auf. Nach Cohen und Wills (1985) werden soziale Unterstützungsinteraktionen allerdings nur dann die dargestellten Effekte zeigen, wenn die angebotene Unterstützung auch dem Unterstützungsbedarf des Empfängers entspricht. Spieß und Rosenstiel (2010) merken dabei an, dass Mitarbeiter in Abhängigkeit ihrer Betriebszugehörigkeit und beruflichen Erfahrung mitunter in verschiedenen Arbeitssituationen auch unterschiedliche Unterstützungsformen benötigen. Der Unterstützungsbedarf steigt demnach bei der Übernahme neuartiger Tätigkeiten, dem Berufseinstieg oder auch bei organisationalen Veränderungsprozessen oder bei einem generell hohen Ausmaß von Arbeitsanforderungen. Zudem scheinen sich die Interaktionseffekte zwischen Stressoren und gesundheitlichen wie betrieblichen Auswirkungen bei Männern und Frauen zu unterscheiden (Bellman, Forster, Still & Cooper, 2003). Ein detaillierter Blick auf geschlechtsbezogene Aspekte sozialer Unterstützung scheint daher sinnvoll. 4.2

Soziale Unterstützung und Geschlecht

Die Geschlechter differieren u.a. in Bezug auf ihre Lebenserwartung, dem Krankheitsspektrum, den Konzepten von Gesundheit und Krankheit, den Gesundheits- und Risikoverhaltensweisen sowie den Belastungskonstellationen (Maschewsky-Schneider, Babitsch & Ducki, 1998). Da erscheint es nicht verwunderlich, dass sich Geschlechtsunterschiede auch bei sozialer Unterstützung

4.2 Soziale Unterstützung und Geschlecht

91

wiederfinden. Hinsichtlich des Ausmaßes an wahrgenommener und erhaltener Unterstützung sowie der Gestaltung des Interaktionsprozesses gibt es deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen (Kienle et al., 2006; Knoll & Schwarzer, 2005; Nestmann & Schmerl, 1990). Nestmann und Schmerl (1990, S. 11) fassen die bisherigen Befunde prägnant zusammen: „Frauen und Männer unterscheiden sich in allen Phasen ihres Lebens grundlegend voneinander hinsichtlich des Ausmaßes und der Qualität an sozialer Unterstützung, und zwar sowohl hinsichtlich des Empfangens, Erhaltens und Nachsuchens von Social Support, als besonders auch hinsichtlich des Versorgens mit und Bereitstellens von Unterstützung.“. Geschlechtsspezifische Differenzen beziehen sich dabei sowohl auf quantitativ-strukturelle als auch auf qualitativ-funktionale Gesichtspunkte von Sozialbeziehungen. Aufklärungspotenz hinsichtlich der Geschlechtsunterschiede besitzt nach Helgeson (2002) die kulturelle Männlichkeitsnorm und die damit verknüpften Attribute der Unabhängigkeit und Unverwundbarkeit, die einer Mobilisierung und dem Erhalt von sozialer Unterstützung widersprechen. Zudem schreibt sie Männern weniger Kommunikationskompetenzen für eine wirksame Mobilisierung von Unterstützung zu. Demnach besteht ein enger Zusammenhang zwischen Gender als sozial konstruiertem Geschlecht und sozialer Unterstützung. 4.2.1 Das Geschlechtsrollenselbstkonzept Die Gesundheit wird neben Faktoren wie der sozialen Schicht oder dem Alter maßgeblich durch das Geschlecht beeinflusst und bedarf aufgrund dieser Erkenntnis einer geschlechterdifferenzierten Betrachtungsweise innerhalb der Gesundheitsforschung (Maschewsky-Schneider et al., 1998; Sieverding, 2005). Aufschluss über die Ursachen der Geschlechterdifferenzen, die sich beispielsweise im Gesundheitszustand, in Gesundheitskonzepten sowie im Gesundheitsverhalten zeigen, scheinen nach Merbach und Brähler (2010) biologische und soziale Faktoren geben zu können, wobei einem ausschließlich biologischen Erklärungsmodell insbesondere über Geschlechtschromosomen und -hormonen widersprochen werden kann (Sieverding, 2005). Verglichen mit dem biologischen Geschlecht („sex“) und seiner Bedeutung für die Differenzen in Morbidität und Mortalität bei Männern und Frauen kommt dem sozial konstruiertem Geschlecht („gender“) eine größere Aufklärungspotenz hinsichtlich von Ge-

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4 Stand der Forschung zu sozialer Unterstützung bezüglich Arbeit, Geschlecht und Partnerschaft

schlechtsunterschieden insbesondere bei gesundheitsrelevantem Verhalten zu (Sieverding, 2000). Im deutschen Sprachgebrauch wird der Unterschied zwischen „sex“ und „gender“ aufgrund der wortgleichen Übersetzung mit „Geschlecht“ nicht deutlich. Der Begriff der Geschlechterrolle als kulturelle Vorstellungen und Erwartungen an Aufgaben und Verhaltensweisen innerhalb der Familie und Gesellschaft in Abhängigkeit vom biologischen Geschlecht sowie an psychologische Charakteristika, die für Männer und Frauen als angebracht gelten, erfasst nach Sieverding (2005) das Konstrukt „gender“ inhaltlich am ehesten. Im Gegensatz zum biologischen handelt es sich hierbei um das psychologische Geschlecht (Goldschmidt, Linde, Alfermann & Brähler, 2014). Mit dem biologischen Geschlecht werden bestimmte Verhaltensweisen, Eigenschaften oder Rollen assoziiert, die die Geschlechtsrollenidentität einer Person auf der Grundlage psychologischer und gesellschaftlicher Determinanten herausbildet. Neben der biologisch verknüpften Geschlechtsidentität hat eine Person demnach ein Bild von sich selbst, inwieweit sie sich bestimmte Verhaltensweisen und Rollen, die von dem jeweiligen Geschlecht normativ erwartet werden und als angemessen gelten, zuschreibt. Die Verträglichkeit oder Unverträglichkeit eines spezifischen Verhaltens mit der innerhalb der geschlechtstypischen Sozialisation vermittelten männlichen oder weiblichen Geschlechtsrolle liefert damit eine Erklärung für etwaige Geschlechtsunterschiede (Sieverding, 2005). Die Identifikation mit den kulturellen Geschlechtsrollenerwartungen im Selbstkonzept stellt dabei die vermittelnde Variable bei der Einflussnahme der Geschlechtsrollen auf das individuelle Verhalten und Kognitionen dar (Sieverding, 2000). Das GeschlechtsrollenSelbstkonzept kann nach dem dualistischen Modell, welches Maskulinität und Femininität auf zwei voneinander unabhängigen Dimensionen abbildet, abweichend vom biologischen Geschlecht, statt einer zweigeteilten Klassifizierung in entweder weiblich oder männlich, mehrere mögliche Einteilungen umfassen (Alfermann, 1996). Nach Spence und Helmreich (1978) geht Maskulinität dabei mit einer eher instrumentellen Ausrichtung und Femininität mit einer expressiven Orientierung einher. Je nach Zuschreibung der Ausprägung von instrumentellen und expressiven Eigenschaften im Selbstbild, kann ein Individuum nach dem additiven Modell von Spence und Helmreich (1978) die vier möglichen

4.2 Soziale Unterstützung und Geschlecht

93

Geschlechtsrollentypen maskulin, feminin, androgyn oder undifferenziert einnehmen (siehe Abbildung 11).

Feminine

Instrumentalität

Undifferenzierte

Androgyne

Instrumentalität

Expressivität

niedrig

Expressivität

hoch

hoch

Maskuline

niedrig Abbildung 11: Dimensionen und Typen der Geschlechtsrollenorientierung (mod. nach Strauß & Möller, 1999, S. 203)

Die Messung des Geschlechtsrollenselbstkonzepts erfolgt anhand von Selbstbeschreibungsskalen (Strauß, Köller & Möller, 1996). Die beiden gängigsten Verfahren sind das Bem Sex-Role Inventory (BSRI) (Bem, 1974) und der Personal Attributes Questionnaire (PAQ) (Spence, Helmreich & Stapp, 1974), die anhand von Adjektiven die Zuschreibung maskuliner und femininer Eigenschaften erfassen. Beide Instrumente liegen in deutscher Fassung vor (Runge, Frey, Gollwitzer, Helmreich & Spence, 1981; Schneider-Düker & Kohler, 1988). Wie die Studie von Goldschmidt et al. (2014) zeigt, besitzen die Femininitäts- und Maskulinitätsskalen des PAQ weiterhin Gültigkeit und können zur Erfassung des Geschlechtsrollenselbstkonzepts zum Einsatz kommen. Holt und Ellis (1998) bestätigen selbiges für den BRSI, wobei Donnelly und Twenge (2016) aufgrund der Ergebnisse ihrer Metaanalyse, die im Zeitvergleich mittlerweile niedrigere Werte bei Frauen auf der Feminitätsskala identifizierte, eine Aktualisierung des BSRI empfahlen, um den aktuellen Gendervorstellungen gerecht zu werden.

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4 Stand der Forschung zu sozialer Unterstützung bezüglich Arbeit, Geschlecht und Partnerschaft

4.2.2 Geschlechtsspezifische Aspekte sozialer Unterstützung Bereits im Kindesalter zeigt sich, dass Freundschaften zwischen Mädchen von größerer emotionalen Verbundenheit und Nähe geprägt sind, was sich bis ins Erwachsenenalter durchzieht (Knoll & Schwarzer, 2005). Jungs und später auch Männer bevorzugen die Einbindung in größere Gruppen, zu denen im Gegensatz zum anderen Geschlecht eher oberflächlichere Beziehungen unterhalten werden, die primär auf gemeinschaftliche Aktivitäten ausgerichtet sind (Nestmann & Schmerl, 1990). In einer Untersuchung von Colarossi (2001) war sowohl die Anzahl an unterstützenden gleichaltrigen Personen als auch die Häufigkeit an Unterstützungsleistungen durch Freunde im Jugend- und jungen Erwachsenenalter bei Mädchen größer. Dennoch waren Jungen gleichermaßen wie Mädchen mit den Unterstützungsinteraktionen zufrieden. Dagegen erhielten junge Männer mehr Unterstützung von ihren Vätern, obwohl die Anzahl an erwachsenen Unterstützungsquellen bei beiden Geschlechtern vergleichbar war. Während Frauen auch in Krisensituationen auf ein größeres Netzwerk vertrauenswürdiger Sozialpartner wie Freundinnen oder auch anderen Familienmitgliedern zurückgreifen können, stehen Männern häufig nur die Partnerin für Unterstützungsleistungen zur Verfügung (Antonucci & Akiyama, 1987; Berkman, Vaccarino & Seeman, 1993; Knoll & Schwarzer, 2005). Das Ausmaß an wahrgenommener Unterstützung fällt bei Frauen höher aus (Antonucci & Akiyama, 1987), wodurch sie letztlich auch in der Mobilisierung und dem Erhalt von Unterstützung im Vergleich zu Männern besser aufgestellt sind (Matthews, Stansfeld & Power, 1999). In stressbezogenen Kontexten scheinen Männer von sozialer Unterstützung, die von Frauen geleistet wird, stärker zu profitieren (Kirschbaum, Klauer, Filipp & Hellhammer, 1995). Während bei Unterstützungsinteraktionen mit der Partnerin eine Verminderung der Kortisolwerte in Stresssituationen bei Männern auftrat, blieben die Kortisolwerte bei Frauen unabhängig von der Unterstützungsquelle auf einem konstant hohen Level. Olson und Shultz (1994) untersuchten Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der Wahrnehmung der Dimensionen emotionaler, instrumenteller, informationeller und evaluativer Unterstützung von den Unterstützungsquellen des Vorgesetzten, Kollegen, Freundes oder Ehepartners. In der Beschäftigtenstichprobe nahmen Frauen mehr emotionale Unterstützung von Freunden und Kollegen sowie informationelle Unterstützung durch Freunde war. Bei Männern war das Ausmaß

4.2 Soziale Unterstützung und Geschlecht

95

der wahrgenommenen evaluativen Unterstützung durch den Vorgesetzten höher als bei dem weiblichen Geschlecht. Aufgrund der Erklärung von Geschlechtsunterschieden bei sozialer Unterstützung mit den Geschlechtsrollen, inkludieren einige Studien die Messung des Geschlechtsrollenselbstkonzepts. So untersuchten Ashton und Fuehrer (1993) in einer Studie die Suche nach sozialer Unterstützung in Abhängigkeit vom Geschlecht und dem Geschlechtsrollenselbstkonzept. Frauen berichteten eine größere Wahrscheinlichkeit Unterstützung zu suchen als Männer insbesondere in Bezug auf emotionale Unterstützung. Im Gegensatz zu Frauen waren Männer weniger geneigt emotionale als instrumentelle Unterstützung zu suchen. Bei geschlechtsrollentypisch orientierten Männern war die Wahrscheinlichkeit geringer, emotionale Unterstützung zu suchen als bei androgynen Männern und Frauen sowie geschlechtsrollentypisch orientierten Frauen. Geschlechtstypisch sozialisierte Männer suchten nur nach Unterstützungsformen, die der männlichen Rolle angemessen erschienen. Dies entspricht einer Untersuchung von Rosenthal, Gesten und Shiffman (1986), in der traditionell geschlechtstypisierte Männer einen geringeren Bedarf an emotionaler Unterstützung als geschlechtstypisch sozialisierte Frauen angaben. Ähnliche und differenziertere Ergebnisse konnten Reevy und Maslach (2001) nachweisen. Femininität war bei beiden Geschlechtern mit der Suche nach und dem Erhalt von emotionaler Unterstützung verknüpft. Zudem suchten und erhielten feminine Männer und Frauen soziale Unterstützung von Personen weiblichen Geschlechts. Maskulinität bei Männern und Frauen hing lediglich mit dem Erhalt instrumenteller Unterstützung zusammen. Die Geschlechtsunterschiede im Bedarf und Erhalt von emotionaler Unterstützung scheinen in dem Stereotyp begründet zu sein, Frauen seien im Vergleich zu Männern das emotionalere Geschlecht. Dieser Annahme gingen Sprecher und Sedikides (1993) in einer Studie im Kontext enger Beziehungen nach. Frauen berichteten demnach von einer häufigeren Empfindung und Äußerung verschiedener positiver und negativer Emotionen im Vergleich zu Männern. Die Testung auf eine Äußerung der empfundenen Emotionen zeigte bei den negativen Emotionen Ärger, Depression, Verletzung, Unsicherheit und Angst einen Geschlechtsunterschied hinsichtlich einer häufigeren Äußerung seitens der Frauen. Männer scheinen sich nach Sprecher und Sedikides (1993) in der Äußerung ihrer verletzbaren Emotionen unwohl zu fühlen. Frauen schätzten sich zudem insgesamt betrachtet als emotionaler ein als Männer, wohingegen Männer Frauen lediglich

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4 Stand der Forschung zu sozialer Unterstützung bezüglich Arbeit, Geschlecht und Partnerschaft

in Bezug auf die Äußerung negativer nicht aber positiver Emotionen als emotionaler bewerteten. Lombardo, Cretser, Lombardo und Mathis (1983) untersuchten die Annahme einer größeren Emotionalität von Frauen anhand der Häufigkeit des Weinens. In ihrer Studie berichteten Frauen über verschiedene Situationen hinweg häufiger als Männer zu weinen und dies mit einer größeren Intensivität. Aufgrund der Zuschreibung von Geschlechtsunterschieden in der Äußerung von Emotionen zu Geschlechtsrollen haben Ganong und Coleman (1984) in ihrer Untersuchung die Messung des Geschlechtsrollenselbstkonzepts inkludiert. Feminine und androgyne Personen äußern Emotionen von Liebe und Traurigkeit in einem größeren Ausmaß als maskuline, wobei androgyne in einem ähnlich großen Ausmaß wie maskuline Personen Emotionen von Hass äußern. Das geringste Ausmaß bezüglich des Ausdrucks der Emotion Traurigkeit ist bei Maskulinen feststellbar. Maskulin zu sein heißt nach den Autoren eher Wut und Feindseligkeit anstelle verletzbarer Gefühle wie Traurigkeit zu zeigen. Nach Cutrona (1996) sind Kommunikationsfähigkeiten zum Senden und Decodieren von Signalen und Informationen für einen wirksamen Unterstützungsprozess von großer Bedeutung. Auch hier finden sich Geschlechtsunterschiede. Briton und Hall (1995) untersuchten die stereotypen Zuschreibungen nonverbalen Verhaltens zum Geschlecht. Frauen wurde in der Studie ein ausdrucksvolleres Verhalten und eine größere Kompetenz im Senden und Empfangen nonverbaler Signale zugeschrieben. Der Vergleich der Zuschreibungen zum Geschlecht mit den Daten zu tatsächlich nachweisbaren Geschlechtsunterschieden aus ihrer Metaanalyse deutet auf die Genauigkeit der stereotypen Attributionen hin. Die verbale Sprache von Frauen hat eine die Beziehung aufrechterhaltende Funktion, indem durch Nachfragen, Antworten und Bestätigungen der Gesprächspartner zur Kommunikation ermuntert wird (Maltz & Borker, 1982; zit. n. Helgeson, 2002). Die verbale Sprache von Männern ist eher von Ignorierung des Gesagten, Herausforderungen, Widerspruch oder Unterbrechungen des Gesprächspartners gekennzeichnet. In Bezug auf das Senden und Empfangen nonverbaler Signale können Frauen Gestik, Mimik und Tonfall unabhängig vom Geschlecht des Gesprächspartners exakter interpretieren und aufgrund der emotionalen Ausdrucksfähigkeit entsprechend der weiblichen Geschlechterrolle Signale besser senden (Hall, 1984; zit. n. Helgeson, 2002). Mickelson, Helgeson und Weiner (1995) überprüften nicht nur die Effekte des Geschlechts vom Geber oder Empfänger auf die Leistung und den Erhalt

4.3 Soziale Unterstützung in Partnerschaften

97

von sozialer Unterstützung, sondern die Auswirkung der geschlechtlichen Zusammensetzung der Interaktionspartner auf den Unterstützungsprozess durch Selbstberichte und Beobachtungsverfahren. Gegengeschlechtliche Unterstützungsgeber boten mehr emotionale Unterstützung an, während das Zuhören bei gleichgeschlechtlichen Hilfequellen stärker ausgeprägt war. Mickelson et al. (1995) schlussfolgerten, dass die geschlechtliche Konstellation innerhalb der Dyade einen maßgeblicheren Einfluss auf die Leistung und den Erhalt von sozialer Unterstützung hat, als die isolierte Betrachtung des Geschlechts und Geschlechterrollen des Gebers oder Empfängers. Diese Betrachtung erfährt insbesondere bei Unterstützungsprozessen innerhalb von Partnerschaften besondere Relevanz. 4.3

Soziale Unterstützung in Partnerschaften

Bodenmann (2000) hebt die immense Bedeutung des Partners als Quelle sozialer Unterstützung heraus. In Situationen, die das Bedürfnis nach Unterstützung wecken, kristallisierte sich der Partner als bevorzugt mobilisierte Quelle unterstützender Interaktionen in unterschiedlichen Kontexten heraus (Beach, Martin, Blum & Roman, 1993; Burke & Weir, 1977; Marquardsen, 2012). Marquardsen (2012) bescheinigt dem Partner eine hohe Exklusivität in der Offenbarung intimer Details aufgrund der Vertrautheit, die sich in langjährigen Beziehungen einstellt. Eine Kompensation durch andere Netzwerkmitglieder bei mangelhaften Unterstützungsinteraktionen durch den Partner ist daher nicht möglich (Coyne & DeLongis, 1986; Xu & Burleson, 2001). Partner, die die soziale Unterstützung in ihrer Beziehung als angemessen bewerten, nehmen weniger Symptome einer Depression wahr und schätzen Belastungen eher als vorhersehbar und kontrollierbar ein (Dehle, Larsen & Landers, 2001). Letztlich hat ein hohes Ausmaß an partnerschaftlicher sozialer Unterstützung wiederum positive Auswirkungen auf die Zufriedenheit mit der Beziehung (Dehle et al., 2001; Julien & Markman, 1991). Die Zufriedenheit mit der Unterstützung durch den Partner hat zudem positive Effekte auf das Wohlbefinden (Burke & Weir, 1977). Dennoch gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die im Kontext von Paarbeziehungen bedeutsam sind. Während Männer sich bei dem Bedürfnis nach Unterstützung primär an die Partnerin wenden, variieren die mobilisierten Unterstützungsquellen bei Frauen stärker (Antonucci & Akiyama, 1987; Berkman et al., 1993). Die Offenbarung von Emotionen wie Angst, Traurigkeit

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4 Stand der Forschung zu sozialer Unterstützung bezüglich Arbeit, Geschlecht und Partnerschaft

oder Selbstzweifel, die Verletzlichkeit symbolisieren und das eigene Unterstützungsbedürfnis erschließen lassen, scheinen für Männer eher unangemessen oder gar beschämend zu sein (O'Neil, 1981; zit. n. Cutrona, 1996) und können im Kontext von Arbeitsbeziehungen sogar zur Ablehnung durch Kollegen führen (Weiss, 1985; zit. n. Cutrona, 1996). Cutrona (1996) schließt daraus, dass Männer hilfesuchende Signale auf den Kontext privater Beziehungen beschränken und daher für Unterstützungsprozesse stärker von der Partnerin abhängig sind. Eine Reihe von Studien lassen auf eine Diskrepanz in dem Ausmaß und der Ausgeglichenheit an sozialer Unterstützung innerhalb der Beziehung schließen. Dieses „support gap“ (Cutrona, 1996, S. 24) indiziert, dass Männer mehr Unterstützung von ihrer Partnerin erhalten als Frauen von ihren männlichen Partnern. In einer Längsschnittstudie von Schulz und Schwarzer (2004) im Kontext von tumorchirurgischen Eingriffen erhielten Frauen weniger Unterstützung von ihren Partnern, wohingegen Männer ein höheres Ausmaß an erhaltener emotionaler Unterstützung durch ihre Frau angaben. Nachfolgende Untersuchungen von Schwarzer und Gutiérrez-Dona (2005) identifizierten allerdings eine größere Varianz dieser Befunde. Demnach sank das Ausmaß an Unterstützung in der Partnerschaft seitens der männlichen Hilfequelle, je älter die Frauen waren. Auch Xu und Burleson (2001) überprüften die Annahme, dass Frauen weniger partnerschaftliche Unterstützung von ihren Ehemännern erhalten. In ihrer Studie wünschten sich Frauen mehr emotionale, instrumentelle und informationelle Unterstützung von ihren Ehepartnern als Männer. Die Diskrepanz zwischen erwarteter und erhaltener sozialer Unterstützung durch den Ehepartner war bei den Männern geringer, wobei der Grad der erhaltenen Unterstützung den der erwarteten Unterstützung bei der emotionalen und instrumentellen Unterstützung überstieg. Frauen hingegen wünschten sich mehr emotionale Unterstützung als sie bekamen. Bezüglich der instrumentellen Unterstützung zeigte sich nur ein geringer Unterschied zwischen erwarteter und erhaltener Unterstützung bei Frauen. Aufgrund der geringeren Diskrepanz zwischen erwünschter und erhaltener Unterstützung zeigten sich Männer zufriedener mit dem Grad an sozialer Unterstützung durch den Partner als Frauen. Laut einer Untersuchung von Verhofstadt und Devoldre (2012) an 50 verheirateten Paaren, die bei einer instruierten Unterstützungsinteraktion unter Laborbedingungen beobachtet wurden, geben Frauen ihren Männern mehr instrumentelle Unterstützung, wobei sich der Befund einzig bei traditionell geschlechtsrollenorientierte Personen zeigte. Wang und Repetti

4.3 Soziale Unterstützung in Partnerschaften

99

(2016) hingegen zeigten, dass Frauen direkte Mobilisierungsstrategien einsetzten und auch deutlich mehr instrumentelle Unterstützung in alltäglichen Situationen von ihren Ehemännern bekamen als umgekehrt. Natürliche Beobachtungszenarien ermöglichen den Autoren zufolge eine realitätsgetreuere Abbildung von Unterstützungsprozessen als Selbstberichte oder Beobachtungen von instruierten Gesprächssituationen und können daher zu differenzierten Ergebnissen kommen. Männliche und weibliche Lebenspartner unterscheiden sich in ihrer Beziehung nicht nur bezogen auf die erwarteten und erhaltenen Unterstützungsformen und deren Ausmaß, sondern auch in der Art und Weise der Initiierung von Unterstützungsprozessen. Innerhalb von Partnerschaftsbeziehungen konnten Cutrona und Suhr et al. (1990) zwei vorzugsweise eingesetzte Strategien zur Mobilisierung partnerschaftlicher Unterstützung identifizieren. Entweder beschrieben sowohl Männer als auch Frauen die stressreiche Situation in der Annahme, der Partner erschließt aus der sachlichen Schilderung den Wunsch nach Unterstützung ohne den Bedarf direktiv anzusprechen. Oder sie offenbarten ihre Gefühlslage verbal bzw. nonverbal, welches gleichzeitig als Aufforderung zur Nachfrage der Ursache für den Emotionszustand seitens des Partners gedeutet wurde. Frauen neigten häufiger zu der indirekten Strategie, ihre Emotionen durch den Stressor zu zeigen oder verbal zu äußern. Aufgrund der größeren Schwierigkeit der Decodierung indirekter Mobilisierungsstrategien im Vergleich zu direkten Aufforderungen oder klarer Äußerung des Stressempfindens können Fehlinterpretationen die Folge sein. Im Gegensatz dazu wird spontan geleistete partnerschaftliche Unterstützung wegen der Attribution, aus eigenem Anliegen zu helfen und sich aufrichtig zu sorgen, höher bewertet als Unterstützung durch Aufforderung, die als Erfüllung von Pflicht angesehen wird (Cutrona & Cohen et al., 1990). Marquardsen (2012) konnte in seiner Studie zur Untersuchung der Aktivierung sozialer Netzwerke vor dem Hintergrund der Erwerbslosigkeit zeigen, dass sich Paare als Schicksalsgemeinschaft mit einem symbiotischen Verhältnis zueinander verstehen. Partnerschaften sind soziale Systeme, bei denen interne wie externe Faktoren einen gegenseitigen Einfluss auf die Partner und die Beziehung nehmen (Kienle et al., 2006). So ist es möglich, dass Stressoren, von denen zunächst nur ein Partner betroffen ist, durch Übertragungseffekte zum gleichen oder späteren Zeitpunkt auf den anderen Partner einwirken können. Bodenmann (1995) favorisiert daher, soziale Unterstützung in Partnerschaftsbeziehungen

100 4 Stand der Forschung zu sozialer Unterstützung bezüglich Arbeit, Geschlecht und Partnerschaft

grundsätzlich im Rahmen des Modells zum dyadischen Coping neben dem gemeinsamen und delegiertem dyadischen Copings unter dem Konstrukt des supportiven Copings zu diskutieren. Bodenmann (2000) geht davon aus, dass individuelle paarexterne Belastungen des einen Partners, wenn sie durch diesen nicht adäquat bewältigt werden, zum Belastungsfaktor für den anderen Partner und damit zum dyadischen Stress werden. Vor dem Hintergrund bestimmter Ereignisse wie beispielsweise Arbeitsplatzverlust, chronischer Arbeitsbelastungen mit weitreichenderen Fehlbeanspruchungsfolgen oder Erkrankung eines der beiden Partner mag eine Betrachtung sozialer Unterstützungsprozesse in Partnerschaften im Rahmen des Modells des dyadischen Copings durchaus empfehlenswert zu sein, allerdings wird nicht jeder Stressor des einen Partners automatisch Übertragungseffekte auf den anderen aufweisen, so dass die Anwendung des Konstrukts der sozialen Unterstützung auch im Rahmen von Partnerschaftsbeziehungen durchaus angemessen erscheint.

5

Zusammenführung und Ableitung der zentralen Fragestellung und des Forschungsziels

Vermehrt wird darauf hingewiesen, dass bei arbeitsbezogenen Belastungen soziale Unterstützungsleistungen aus dem beruflichen Umfeld aufgrund des kontextbezogenen Hintergrundwissens und Fachwissens eher als private und familiäre Sozialkontakte den situativen Anforderungen angemessen sind (Badura et al., 2010; Gusy, 1995; Perkonigg, 1993). Vor dem Hintergrund, dass der belastungsreduzierende Effekt sozialer Unterstützung nur bei der Passung der angebotenen Unterstützungsform zu den situativen Anforderungen und den daraus resultierenden Bedürfnissen des Unterstützungssuchenden gegeben ist (Cohen & Wills, 1985; Dormann & Zapf, 1999), würden arbeitsbezogene Netzwerkmitglieder bei Arbeitsbelastungen adäquatere und wirksamere Unterstützungsleistungen anbieten können. Frese (1989) hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass Unterstützung von Freunden und Lebenspartner bei arbeitsbezogenen Stressoren eher emotionaler als instrumenteller Art sein würden. Direkte Vorgesetzte und Kollegen könnten wiederum auch direkte, instrumentelle Unterstützungsleistungen anbieten. Dabei übersteigen die Einflussmöglichkeiten zur Leistung sozialer Unterstützung durch Vorgesetzte die der Kollegen (Rosenstiel & Nerdinger, 2011). Allerdings sind nach Rosenstiel und Nerdinger (2011) die sozialkommunikativen Kompetenzen von Führungskräften für eine optimale Initiierung von Unterstützungsprozessen in Gesprächssituationen mit den Mitarbeiter mangelhaft ausgeprägt. Hinsichtlich der sozialen Unterstützung auf gleicher Hirarchieebene spielt vor Allem auch die Verbundenheit mit den Kollegen eine wichtige Rolle zur Gestaltung der Unterstützungsinteraktion (Argyle, 1992). Demgegenüber steht die immense Bedeutung des Partners für soziale Unterstützungsleistungen, da diese Beziehungsform durch eine hohe Exklusivität und Verlässlichkeit geprägt ist (Cutrona, 1996; Diewald, 1991). Gerade bei langandauernden Belastungssituationen scheinen die Hilfebemühungen des Partners bei einer großen zeitlichen Dimension mehr Stabilität aufzuweisen (Gusy, 1995). Darüber hinaus sind nach Cutrona und Russell (1990) auch gegenseitige Zuneigung, Fürsorge und Empathie für erfolgreiche Unterstützungsprozesse wesentlich. Diese Voraussetzungen sind in engen und frei gewählten Confidantbeziehungen eher als in vorgegebenen arbeitsbezogenen Netzwerkbeziehungen zu finden. Weiterhin sind partnerschaftliche Beziehungen von einem größeren Ver© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Niemann, Die Rolle des Partners und der Partnerin bei der Bewältigung arbeitsbedingter Belastungen, Gesundheitspsychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24906-9_5

102

5 Zusammenführung und Ableitung der zentralen Fragestellung und des Forschungsziels

trauen geprägt, die auch mit einer höheren Bereitschaft zur Selbstoffenbarung einhergeht (Marquardsen, 2012). Grundsätzlich bringt die Berücksichtigung des Geschlechts innerhalb von Unterstützungsinteraktionen unterschiedliche Befunde zwischen Männern und Frauen hervor. So scheint die partnerschaftliche Beziehung als Quelle von Unterstützungsleistungen für Männer einen zentraleren Stellenwert als für Frauen einzunehmen, die in Krisensituationen auf ein größeres Netzwerk von vertrauenswürdigen Interaktionspartnern zurück greifen können (Antonucci & Akiyama, 1987; Berkman et al., 1993; Knoll & Schwarzer, 2005). Angesichts der bisherigen Befunde stellt sich im Rahmen der vorliegenden Arbeit die zentrale Frage, welchen Stellenwert der Partner bei arbeitsbedingten Belastungen im Vergleich zu arbeitsbezogenen Netzwerkmitgliedern einnimmt. Wenn der Partner, wie vielfach berichtet, eine herausragende Rolle im Prozess sozialer Unterstützung einnimmt, und ein Fehlen partnerschaftlicher Unterstützung nicht kompensiert werden kann, müsste diese Unterstützungsquelle auch bei Arbeitsbelastungen wirksam werden. Neben der Frage nach der Rolle des Partners soll im weiteren Verlauf der Arbeit auch geklärt werden, wie sich der Interaktionsprozess sozialer Unterstützungsleistungen durch den Partner gestaltet. Der vorliegenden Arbeit liegt die Zielstellung zu Grunde, die Interaktionsprozesse zur Unterstützung in Partnerschaften detailliert zu betrachten und umfassend zu beschreiben, um Unterstützungsprozesse und deren Auswirkungen optimal verstehen zu können. Hierin liegt die Limitation der bisher bevorzugt angewandten quantitativen Studien. Letztlich sollen wirksame und unwirksame Unterstützungsprozesse innerhalb von Partnerschaftsbeziehungen beschrieben werden. Zudem erscheint eine begrenzende Betrachtung auf den ausschließlich beruflichen Unterstützungskontext zur Bewältigung von Arbeitsbelastungen zu eng gefasst. Daher mündet die Klärung der zentralen Fragestellung letztlich in dem Ziel, ein höheres Verständnis für private Ressourcen bei beruflich relevanten Anforderungen herzustellen und darauf aufbauend Möglichkeiten aufzuzeigen und umzusetzen, um private Ressourcen optimal zur Belastungsbewältigung zu nutzen.

6

Methodik

Auf der Basis der zentralen Frage nach der Bedeutsamkeit des Lebenspartners im Kontext von Unterstützungsprozessen zur Bewältigung arbeitsbezogener Belastungen und dem Ziel einer möglichst umfassenden Beschreibung der Unterstützungsinteraktionen im Rahmen von Partnerschaften eignet sich eine stufenweise durchgeführte Untersuchung, bestehend aus einer vorgelagerten quantitativen Studie und einer aufbauenden qualitativen Hauptstudie. Das gewählte Studiendesign wird nachfolgend im Aufbau, dem Vorgehen sowie der Rekrutierung und Zusammensetzung der Stichprobe detailliert vorgestellt (Abschnitt 6.1). Im weiteren Verlauf werden dann die quantitative Vorstudie (Abschnitt 6.2) und die qualitative Hauptstudie (Abschnitt 6.3) in allen Einzelheiten beschrieben. 6.1

Studiendesign

Während nach Flick (2011) in der Forschungspraxis nach wie vor quantitative Forschungsmethoden den qualitativen übergeordnet werden, eignet sich im Kontext des vorliegenden Dissertationsvorhabens eine komplementäre Sichtweise beider Forschungsansätze. Die Klärung der Rolle des Partners für Unterstützungsprozesse bei Arbeitsbelastungen und die Darstellung der Ausgestaltung dieser komplexen Interaktion als Forschungsgegenstand können für einen größtmöglichen Erkenntnisgewinn bestmöglich durch eine Kombination quantitativer und qualitativer Zugänge erreicht werden. Diese sogenannte BetweenMethod-Triangulation (Flick, 2010), bei der verschiedene methodologische Ansätze miteinander kombiniert werden, limitiert die Grenzen der jeweiligen einzeln eingesetzten Methoden. Die Kombination der beiden methodologischen Zugänge kann parallel oder auch sequenziell erfolgen, d.h. zu verschiedenen Phasen innerhalb des Forschungsprozesses (Flick, 2011). Nicht selten werden bei der sequenziellen Kombination zunächst qualitative Studien zur Generierung von Hypothesen genutzt, die dann in einer nachgeordneten quantitativ ausgerichteten Untersuchung überprüft werden. Qualitative Forschungsansätze können allerdings auch über die mit quantitativen Verfahren erreichte Darstellung von statistischen Zusammenhängen basierend auf soziodemographischen Variablen hinausgehend umfassendere Erklärungen für verschiedenen Zusammenhänge und Merkmalsausprägungen liefern, in dem sie komplexe Hintergründe eruieren und erklären (Kelle & Erzberger, 2010). Dieser letztere Ansatz wurde vor diesem © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Niemann, Die Rolle des Partners und der Partnerin bei der Bewältigung arbeitsbedingter Belastungen, Gesundheitspsychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24906-9_6

104

6 Methodik

Hintergrund für das Dissertationsvorhaben gewählt und ist in der Abbildung 12 dargestellt.

Quantitative Studie

Qualitative Studie

t

t

1

2

Vorstudie

Hauptstudie

Abbildung 12: Triangulatives Studiendesign bestehend aus Vorstudie und Hauptstudie mit einer Kombination aus quantitativen und qualitativen Verfahren

Dem Forschungsgegenstand der sozialen Unterstützung in Partnerschaftsbeziehungen bei arbeitsbedingten Belastungen wurde sich zunächst mittels einer quantitativen Vorstudie durch eine standardisierte schriftliche Befragung genähert. Die Befragung wurde bei Mitarbeitern eines Verwaltungsunternehmens in Deutschland und deren Lebenspartnern durchgeführt und diente der Ermittlung von psychischen Belastungen, Beanspruchungen und des Geschlechtsrollenselbstkonzepts. Die detaillierten Angaben zum Vorgehen und dem Messinstrument werden im Abschnitt 6.2 vorgestellt. Die Vorstudie ergab erste Hinweise über die Rolle des Partners im Unterstützungsprozess zur Bewältigung von wahrgenommen Arbeitsbelastungen. Darüber hinaus wurden über die vorgelagerte Untersuchung die Interviewteilnehmer für die Hauptstudie rekrutiert. Die Hauptstudie, die sich auf die Untersuchung der Unterstützungsinteraktionen konzentrierte, wurde als qualitatives Forschungsdesign auf Basis eines leitfadengestützten Interviews von Paaren gestaltet. Hierbei wurden beide Partner zeit-

6.1 Studiendesign

105

gleich zu dem Unterstützungsprozess in der Rolle als Rezipient und Quelle von Unterstützungsleistungen befragt (Abschnitt 6.3). Die quantitative und qualitative Studie wurden innerhalb des Forschungsprozesses komplementär mit gegenseitig ergänzendem Charakter eingesetzt und verfolgten dabei jeweils unterschiedliche Zwecke, die nachfolgend näher ausgeführt werden. 6.1.1 Studienzweck Die gewählte methodologische Triangulation mit einer komplementären Kombination einer quantitativen Vorstudie und einer qualitativen Hauptstudie basiert auf unterschiedlichen Beweggründen und Zielstellungen für den jeweils gewählten Forschungsansatz in den beiden Phasen und wird in Tabelle 6 gegenübergestellt. Tabelle 6: Forschungszweck der quantitativen Vorstudie und der qualitativen Hauptstudie Quantitative Studie

Qualitative Studie

Methode

» standardisierte schriftliche Befragung

»

leitfadengestütztes Interview

Vorgehen

» Messen

»

Sinnverstehen

Erkenntnisinteresse

» deskriptive Charakterisierung » Gruppenvergleiche » Erklären von Kausalzusammenhängen

»

Verstehen und Beschreiben von komplexen Interaktionen

Ziele

» Analyse der psychischen Arbeitsbelastungen und Beanspruchungen » Analyse des Unterstützungsausmaßes durch den Partner im Vergleich mit beruflichen Netzwerkmitgliedern » Analyse des Einflusses sozialer Unterstützung durch den Partner auf Befindensparameter » Rekrutierung der Interviewteilnehmer

»

Analyse des Unterstützungsprozesses in der Partnerschaft bei arbeitsbedingten Belastungen Beschreibung wirksamer und unwirksamer Unterstützungsprozesse in der Partnerschaft bei arbeitsbedingten Belastungen

»

Bei der zunächst durchgeführten standardisierten schriftlichen Befragung steht die Messung des Belastungs- und Beanspruchungsausmaßes sowie des Grades an Unterstützung durch arbeitsbezogene und private Unterstützungsquellen ein-

106

6 Methodik

schließlich des Partners im Fokus. Mittels systematischer statistischer Auswertungsverfahren liegt das Erkenntnisinteresse der Vorstudie in einer numerischen Beschreibung der untersuchten Variablen zu Belastung, Beanspruchung und sozialer Unterstützung, in dem Vergleich von Gruppen entsprechend ausgewählter soziodemographischer Merkmale, für die ein Unterschied in der Ausprägung des Unterstützungsausmaßes erwartet wird, sowie in der Erklärung möglicher kausaler Zusammenhängen von Belastung, sozialer Unterstützung und Beanspruchung. Dabei zielt die quantitative Untersuchung insbesondere auf die Analyse des Unterstützungsausmaßes des Partners bei Arbeitsbelastungen im Vergleich zu beruflich relevanten Netzwerkpartnern sowie auf die Analyse der Auswirkung vorhandener Arbeitsbelastungen auf Befindensparameter unter Berücksichtigung der Einflussnahme der partnerschaftlichen Unterstützung. Darüber hinaus liegt ein weiteres Ziel der quantitativ ausgerichteten Vorstudie in der Rekrutierung relevanter Teilnehmer für die nachgelagerte Hauptstudie. Die darauf aufbauende qualitative Hauptstudie, die auf Basis eines leitfadengestützten Interviews durchgeführt wurde, fokussiert, statt einer deskriptiven Charakterisierung von Ausprägungen und Zusammenhängen, stärker das Sinnverstehen der komplexen Interaktionen im partnerschaftlichen Unterstützungsprozess bei Arbeitsbelastungen. Letztlich sollen wirksame und unwirksame Unterstützungsinteraktionen in Partnerschaften identifiziert und detailliert beschrieben werden. 6.1.2 Studienverlauf und Stichprobengewinnung Der Studienverlauf mit Kombination einer quantitativen und qualitativen Untersuchung, der in der Abbildung 13 mit Zeitbezug dargestellt ist, folgte einem sequenziellen Vorgehen.

6.1 Studiendesign

Juli 2009 bis Januar 2010

Februar 2010 bis März 2010

April 2010 bis Juli 2010

August 2010 bis März 2010

November 2010 bis April 2011

Juni 2011 bis Juli 2017

107

» »

Entwicklung eines Messinstruments Kontaktaufnahme zu einem Verwaltungsunternehmen Abstimmung des Vorgehens Anpassung des Messinstruments

Vorbereitung

» »

t1

»

Erhebungszeitraum der quantitativen Studie

» »

Dateneingabe der schriftlichen Befragung Selektion der Befragungsteilnehmer mit Zustimmung zu einem Interview Auswahl der möglichen Interviewteilnehmer mit Relevanz für das Forschungsthema

Nachbereitung

Vorbereitung

t2

Auswertung

» » » » » »

Abstimmung des Interviewprozesses Entwicklung des Interviewleitfadens Pretest des Interviewleitfadens Einladung der Interviewteilnehmer Rekrutierung weiterer Interviewteilnehmer

»

Erhebungszeitraum der qualitativen Studie

»

deskriptiv- und induktiv-statistische Auswertung der quantitativen Daten Transkription der Interviews qualitativ-inhaltsanalytische Auswertung der qualitativen Daten

» »

Abbildung 13: Schematische zeitbezogene Darstellung des Untersuchungsablaufs

Nachdem das Forschungsvorhaben, aufbauend auf einer ersten intensiven Recherche zum aktuellen Forschungsstand und etwaigen Forschungslücken, in seinem Rahmen abgesteckt wurde, erfolgte anschließend die Festlegung auf ein sequenzielles triangulatives Vorgehen. Zunächst galt es, die Branche für die quantitative Vorstudie festzulegen und ein geeignetes Unternehmen für die Durchführung der ersten Erhebung zu akquirieren. Um eine möglichst homogene Stichprobe hinsichtlich der Arbeits-

108

6 Methodik

platzcharakteristika zu gewährleisten, sollte sich die Befragung an Mitarbeiter an Bildschirmarbeitsplätzen von verwaltungsorientierten Unternehmen wenden. Es wurden verschiedene Instrumente gesichtet, die für die Analyse von psychischen Gefährdungen und Beanspruchungen in dieser Branche geeignet sind. Das Messinstrument sollte gleichermaßen den Bereich der arbeitsbedingten Ressourcen und insbesondere der sozialen Unterstützung berücksichtigen. Nach Festlegung und Konstruktion eines Messinstruments wurde über persönliche Verbindungspersonen im Juli 2009 Kontakt zu innerbetrieblichen Entscheidungsträgern eines Verwaltungsunternehmens hergestellt, das Vorgehen für eine Mitarbeiterbefragung abgestimmt sowie die notwendigen Vorbereitungen zur Umsetzung getroffen. Die grundlegende Motivation des Verwaltungsunternehmens zur Unterstützung der Studie lag in der Möglichkeit, die Daten für eine psychische Gefährdungsbeurteilung zu nutzen. Die eigentliche Durchführung der Befragung wurde in Schriftform von Februar 2010 bis März 2010 realisiert und richtete sich an Mitarbeiter mit Bildschirmtätigkeiten sowie an deren Lebenspartner. Die Befragungsunterlagen enthielten einen Fragebogen für die Mitarbeiter und einen adäquat aufgebauten Fragebogen für den Lebenspartner. Mit den Befragungsunterlagen erhielten die Teilnehmer ebenfalls ein Informationsschreiben, das über die nachfolgende qualitative Studie informierte. Mittels eines Formulars konnten sie ihre Teilnahmebereitschaft für die Hauptstudie bekunden und zusammen mit den ausgefüllten Fragebögen abgeben. Die detaillierten Informationen zum Analysevorgehen sind im Abschnitt 6.2.3 dargestellt. Im Nachgang der Befragung erfolgte zunächst von April bis Juli 2010 die Nachbereitung der Analyse im Hinblick auf die weiterführende qualitative Hauptstudie. In einer ersten Kurzauswertung wurden die Paare identifiziert, die ihr Interesse an den Interviews bekundeten und die nachfolgenden Kriterien erfüllten. Gemäß dem Studiendesign wurden Paare für eine qualitative Studie mittels leitfadengestützten Interviews gesucht. Die erste Voraussetzung bezog sich demnach auf den Beziehungsstatus. Ledige Teilnehmer wurden für die Hauptstudie ausgeschlossen. Die selektierten Paare mussten im zweiten Schritt über ein gewisses Maß an arbeitsbedingten psychischen Belastungen verfügen, um im Rahmen der qualitativen Studie den Prozess der sozialen Unterstützung zur Belastungsbewältigung abbilden zu können. Damit wurden Lebenspartner ausgeschlossen, die zum Zeitpunkt der Befragung nicht berufstätig waren. Aufgrund der geringen Teilnahmebereitschaft musste von weiteren Selektionskrite-

6.1 Studiendesign

109

rien (z.B. Alter der Paare, Beziehungsdauer, Beruf des Lebenspartners) abgesehen werden. Nach der Auswahl der Teilnehmer für die Interviews und einer ersten deskriptiv statistischen Auswertung der Daten war die Nachbereitung der quantitativen Vorstudie abgeschlossen und die Vorbereitung für die Hauptstudie begann im August 2010. Die einzelnen Schritte des Interviewprozesses wurden bestimmt und ein Interviewleitfaden entwickelt. Teilnehmer, die ihre Zustimmung zu dem Interview erteilt hatten, allerdings den Beziehungsstatus 'ledig' aufwiesen, wurden zu einem Pretest des Interviewleitfadens gebeten. Dieser Pretest ermöglichte eine erste Testung des Leitfadens und diente der Optimierung der Fragetechniken. Im Anschluss wurden die Interviewteilnehmer telefonisch kontaktiert, über das Vorgehen der Hauptstudie informiert und die Termine für die Durchführung der Interviews abgestimmt. Die Interviews wurden von November 2010 bis April 2011 geführt. Die Interviewsituation wird im Abschnitt 6.3.3 genauer vorgestellt. Die telefonische Kontaktaufnahme erfolgte dabei teils parallel zu der Durchführung der Erhebung. Aufgrund von Teilnehmerschwund zwischen der quantitativen Befragung und der Ansprache im Rahmen der Interviews mussten weitere Teilnehmer rekrutiert werden. Erneut gelang es über berufliche Kontaktpersonen Zugang zu einem verwaltungsorientierten Unternehmen der Energiebranche zu erlangen und weitere Paare für die Erhebung zu gewinnen. Die Paare nahmen gleichermaßen an der schriftlichen Befragung wie auch an den Interviews teil. Im Anschluss an die Durchführung der qualitativen Interviews wurden diese ab Juni 2011 transkribiert und anonymisiert. Bis Juli 2017 erfolgte im Hinblick auf die Fragestellung der vorliegenden Arbeit die deskriptiv- und induktivstatistische Auswertung der quantitativen Daten sowie die qualitativinhaltsanalytische Auswertung der qualitativen Daten. 6.1.3 Stichprobe Für die quantitative Vorstudie wurde eine Vollerhebung aller Mitarbeiter an Bildschirmarbeitsplätzen angestrebt. Tabelle 7 zeigt das Rücklaufverhalten und die Anzahl der inkludierten Teilnehmer für die Vorstudie.

110

6 Methodik

Tabelle 7: Anzahl der Teilnehmer an der quantitativen und qualitativen Studie Quantitative Studie

Partner 1

Partner 2

gesamt

ausgeteilte Fragebögen

600

600

1.200

Teilnahme an der Befragung

164

77

241

Selektion nach Ausschlusskriterien

164

65

229

4

4

8

168

69

237

Nacherhebung inkludierte Teilnehmer Qualitative Studie

Partner 1

Partner 2

gesamt

Teilnahmebereitschaft in Befragung bekundet

22

18

40

Selektion nach Ausschlusskriterien

15

15

30

Teilnahmebereitschaft nach Kontaktaufnahme

9

9

18

Nacherhebung

4

4

8

Teilnehmer

13

13

26

Anmerkungen. Partner 1 bezieht sich jeweils auf den Mitarbeiter der beiden rekrutierten Verwaltungsunternehmen. Der an der Befragung teilnehmende Lebenspartner wird mit Partner 2 bezeichnet. In die quantitative und qualitative Studie gingen ausschließlich die Mitarbeiter und deren Lebenspartner ein. die zum Zeitpunkt der Befragung berufstätig waren.

Im Rahmen der quantitativen Vorstudie wurden 600 Bildschirmarbeitsplätze identifiziert, die im Rahmen der Befragung hinsichtlich der arbeitsbedingten Belastungen, Ressourcen und Beanspruchungen untersucht werden sollten. Lediglich 164 Mitarbeiter nahmen an der Analyse teil. Dies entspricht einem Rücklauf von 27.3 %. Trotz Einräumen einer Nachfrist und erneuter internen Sensibilisierung für die Teilnahme und Kommunikation der Bedeutsamkeit der Analyse zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen ließ sich er Rücklauf nicht weiter steigern. Über die Mitarbeiter kamen 77 Fragebögen der Lebenspartner zurück. Allerdings waren nur 65 Lebenspartner zum Erhebungszeitpunkt berufstätig, die somit für die Studie berücksichtigt werden konnten. Insgesamt wurden über das Verwaltungsunternehmen 229 Teilnehmer in die Vorstudie inkludiert. In der Nacherhebung haben 4 weitere Mitarbeiter eines Verwaltungsunternehmens der Energiebranche und ihre Lebenspartner den Fragebogen ausgefüllt. Insgesamt ergibt sich für die quantitative Vorstudie eine Grundgesamtheit von 237 inkludierten Teilnehmern bestehend aus Mitarbeitern und deren Lebenspartner.

6.2 Quantitative Vorstudie

111

Für die qualitative Hauptstudie war eine Anzahl von 15 zu untersuchenden Paaren vorgesehen. Von den 164 teilnehmenden Arbeitnehmern der Verwaltung bekundeten 22 Mitarbeiter ihre Teilnahmebereitschaft für die Hauptstudie. Allerdings waren 4 der teilnahmewilligen Mitarbeiter entweder ledig oder der Partner hat die Interviewteilnahme verweigert. Damit ließen sich zunächst 18 Paare mit Teilnahmebereitschaft identifizieren. Von diesen Paaren mussten 3 Paare aufgrund des fehlenden Kriteriums der Berufstätigkeit beider Partner ausgeschlossen werden. Die verbliebenen 15 Paare, die das Kriterium der Berufstätigkeit erfüllten, wurden für die Interviews ausgewählt und kontaktiert. In der Zwischenzeit haben 6 weitere Paare ihre Teilnahmebereitschaft bei der telefonischen Kontaktaufnahme wiederrufen, so dass lediglich 9 Paare über die Befragung des Verwaltungsunternehmens gewonnen werden konnten. Über eine Nacherhebung wurden 4 weitere Paare rekrutiert. Insgesamt wurden für die qualitative Hauptstudie 13 Paare interviewt, die sowohl in eine Gesamtanalyse von 13 Paaren als auch in eine Einzelauswertung von 26 befragten Personen eingehen. 6.2

Quantitative Vorstudie

Die quantitative Vorstudie diente einer ersten Analyse der Bedeutung des Partners als Unterstützungsquelle zur Bewältigung arbeitsbezogener Belastungen sowie der Rekrutierung und Selektion der Interviewteilnehmer. Sie wird nachfolgend im Detail beschrieben. 6.2.1 Hypothesen Zunächst gilt es zu untersuchen, welchen Stellenwert der Partner als Unterstützungsquelle bei arbeitsbezogenen Belastungen einnimmt. Im Weiteren werden unterschiedliche Ausprägungen des Unterstützungsausmaßes von den Netzwerkmitgliedern bei Gruppierungen nach sozidemographischen Gesichtspunkten erwartet. Die soziale Unterstützung durch die verschiedenen beruflichen und privaten Netzwerkmitglieder wird nach Geschlecht, Geschlechtsrollenselbstkonzept, Beziehungsstatus und den im Haushalt lebenden Kindern variieren. Hypothese 1-1: Der Partner stellt im Vergleich mit arbeitsbezogenen Netzwerkmitgliedern und anderen Personen aus dem privaten Umfeld die

112

6 Methodik

größte Unterstützungsquelle dar, wenn Probleme in der Arbeit auftauchen. Entsprechend der bisherigen Befunde in der Literatur mit dem hohen Stellenwert und der Exklusivität des Partners bei Unterstützungsleistungen wird der Partner im Mittel das höchste Unterstützungsausmaß bei arbeitsbedingten Belastungen aufweisen. Dies wird sich auch für die soziodemographisch differenzierte Gruppe des Geschlechts zeigen. Das Unterstützungsausmaß durch Kollegen und Vorgesetzte wird dementsprechend geringer ausfallen. Hypothese 1-2: Männer erhalten mehr Unterstützung von ihrer Lebenspartnerin als Frauen von ihrem Lebenspartner. Eine Vielzahl von Studien zeigt, dass sich Männer vorzugsweise an ihre Partnerin für soziale Unterstützungsleistungen wenden. Dementsprechend wird das Unterstützungsausmaß durch den Partner bei Männern im Vergleich zu Frauen höher ausfallen. Hypothese 1-3: Frauen erhalten mehr Unterstützung von anderen Personen außerhalb der Arbeit als Männer. Frauen unterhalten vertrautere und engere Beziehungen zu ihren Netzwerkmitgliedern außerhalb der Partnerschaft als Männer. Im Falle arbeitsbedingter Belastungen können sie auch von anderen Personen außerhalb der Arbeit Unterstützungsleistungen beziehen. Demnach wird das Ausmaß sozialer Unterstützung durch andere private Netzwerkmitglieder bei der Gruppe der Frauen das der Gruppe der Männer übersteigen. Hypothese 1-4: Feminine und maskuline Personen unterscheiden sich im Ausmaß der sozialen Unterstützung. Vermehrt wird bei Geschlechtsunterschieden bezüglich der sozialen Unterstützung auf den Einfluss des Geschlechtsrollenselbstkonzepts hingewiesen. Die geschlechtsrollenorientierten Unterschiede finden sich zwar meist bezüglich der Form der Unterstützung, die gesucht oder angeboten wird, vermutlich werden Unterschiede im Unterstützungsausmaß auch bei den verschiedenen Quellen für feminine und maskuline Personen deutlich. Hypothese 1-5: Ledige Personen unterscheiden sich von liierten Personen im Ausmaß der sozialen Unterstützung.

6.2 Quantitative Vorstudie

113

Ledige Personen können nicht auf die Exklusivität des Partners bei Unterstützungsleistungen zurückgreifen. Insofern werden andere beruflich relevante und private Unterstützungsquellen die fehlende Unterstützung des Partners kompensieren. Daher wird sich das Ausmaß der sozialen Unterstützung zwischen ledigen und liierten Personen unterscheiden. Hypothese 1-6: Personen ohne Kinder unterscheiden sich von Personen mit Kindern im Ausmaß der sozialen Unterstützung durch den Partner und andere Personen außerhalb der Arbeit. Die Möglichkeiten zum interpersonellen Kontakt werden sich innerhalb und außerhalb der Beziehung in Abhängigkeit von im Haushalt lebenden Kindern verändern. Insofern wird sich auch die soziale Unterstützung zwischen Personen mit und ohne im Haushalt lebende Kinder verändern. Wenn soziale Unterstützung einen förderlichen Effekt auf befindensrelevante Parameter nimmt, müsste sich dies in einem Zusammenhang zwischen der Ressource und den Beanspruchungen wiederfinden. Hypothese 2-1: Es besteht ein positiver Zusammenhang zwischen Belastungen und negativen Beanspruchungen. Fehlbelastungen gehen mit einer größeren Wahrscheinlichkeit negativer Beanspruchungsfolgen einher. Demzufolge wird ein höheres Belastungsausmaß auch mit einem höheren Ausmaß negativer Beanspruchungsfolgen einhergehen. Hypothese 2-2: Es besteht ein negativer Zusammenhang zwischen sozialer Unterstützung und negativen Beanspruchungen. Soziale Unterstützung fungiert als Ressource im Umgang mit Belastungen, die sich positiv auf das Beanspruchungserleben auswirken kann. Daher müsste sich zunächst ein negativer Zusammenhang zwischen sozialer Unterstützung und negativen Beanspruchungsfolgen finden lassen. Ein hohes Unterstützungsausmaß wird demnach mit einem geringeren negativen Beanspruchungserleben einhergehen. Im Weiteren soll die positive Wirkung der sozialen Unterstützung herausgestellt werden. Der entlastende Effekt sozialer Unterstützungsleistungen wird für das Belastungserleben und dem Erleben psychosomatischer Beschwerden sowie kognitiver und emotionaler Irritation überprüft.

114

6 Methodik

Hypothese 3-1: Personen mit einem hohen Ausmaß sozialer Unterstützung durch den Lebenspartner werden ein geringeres Belastungsausmaß aufweisen. Der entlastende Effekt sozialer Unterstützung wird sich im Vergleich der Belastungswahrnehmung zwischen Personen mit einem hohen Ausmaß an Unterstützung und Personen, die sich durch den Partner wenig unterstützt fühlen, zeigen. Personen, die Partnerunterstützung in hohem Maße wahrnehmen, werden geringere Werte im Belastungsausmaß wahrnehmen. Hypothese 3-2: Personen mit einem hohen Ausmaß sozialer Unterstützung durch den Lebenspartner werden weniger psychosomatische Beschwerden erleben. Der gesundheitszuträgliche Effekt sozialer Unterstützung wird sich zudem im Ausmaß der negativen Beanspruchungen abbilden. Die psychosomatischen Beschwerden werden bei Personen, die ein hohes Unterstützungsausmaß durch den Partner berichten, geringer sein als bei denen, die sich wenig unterstützt fühlen. Letztlich bleibt die Frage nach dem kausalen Zusammenhang zwischen Belastungen, sozialer Unterstützung und den Beanspruchungen bestehen. In der Forschung werden verschiedene Wirkungsmodelle diskutiert. Die theoretische Konzeption der Arbeit fokussiert den Stellenwert der sozialen Unterstützung des Partners bei der Bewältigung arbeitsbedingter Belastungen mit einem positiven Effekt auf die Gesundheit. Hypothese 3-3: Die soziale Unterstützung durch den Lebenspartner übt einen positiven Einfluss auf Gesundheit aus. Es wird sich ein Direkteffekt der sozialen Ressource auf die Gesundheit finden. Ein höheres soziales Unterstützungsausmaß wird die Wahrscheinlichkeit des Auftretens psychosomatischer Beschwerden reduzieren und damit die Gesundheit verbessern. Hypothese 3-4: Die soziale Unterstützung durch den Lebenspartner puffert die Auswirkung der Belastung auf die Gesundheit ab. Entsprechend der Pufferhypothese fungiert die soziale Unterstützung durch den Partner als Moderator, indem es das Belastungsausmaß mindert, die negativen Beanspruchungsfolgen minimiert und damit einen positiven Einfluss auf Gesundheit nimmt.

6.2 Quantitative Vorstudie

115

6.2.2 Messinstrument Für die Entwicklung des Fragebogens zur Erfassung der arbeitsbedingten Belastungen, Ressourcen und Beanspruchungen wurde auf bewährte Skalen zurückgegriffen. Das Messinstrument gliederte sich in folgende fünf Bereiche: A) Angaben zur Person B) Arbeitsbedingungen C) Eigenschaften D) Befinden und Familie E) Offene Abschlussfrage Die Angaben zur Person erfassten soziodemographische Merkmale, die für das Forschungsthema und zur Selektion möglicher Interviewteilnehmer von Relevanz waren. Die Bereiche B, C und D bildeten den Kernbereich des Messinstruments und enthielten geeignete und erprobte Skalen im Hinblick auf das Forschungsthema. Tabelle 8 stellt die eingesetzten Skalen im Überblick dar. Tabelle 8: Die eingesetzten Skalen im Fragebogen Skalen

Itemanzahl

Quelle

Aufgabencharakteristika Ganzheitlichkeit der Aufgaben

3 Items (Rimann & Udris, 1997)

Qualifikationsanforderungen und Verantwortung Arbeitsbelastungen

4 Items (Rimann & Udris, 1997)

Überforderung durch die Arbeitsaufgaben (quantitativ)

3 Items (Rimann & Udris, 1997)

Überforderung durch die Arbeitsaufgaben (qualitativ)

3 Items (Rimann & Udris, 1997)

Unterforderung durch die Arbeitsaufgaben (qualitativ)

3 Items (Rimann & Udris, 1997)

Belastendes Sozialklima

3 Items (Rimann & Udris, 1997)

Belastendes Vorgesetztenverhalten

3 Items (Rimann & Udris, 1997)

Belastungen durch äußere Tätigkeitsbedingungen

je 1 Item

(Rimann & Udris, 1997)

Organisationale Ressourcen Aufgabenvielfalt

3 Items (Rimann & Udris, 1997)

Qualifikationspotenzial der Arbeitstätigkeit

3 Items (Rimann & Udris, 1997)

Tätigkeitsspielraum

3 Items (Rimann & Udris, 1997)

Partizipationsmöglichkeiten

3 Items (Rimann & Udris, 1997)

116

6 Methodik

Persönliche Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitsplatzes

1 Item

(Rimann & Udris, 1997)

Spielraum für persönliche Dinge während der Arbeit Soziale Ressourcen

1 Item

(Rimann & Udris, 1997)

Positives Sozialklima

4 Items (Rimann & Udris, 1997)

Mitarbeiterorientiertes Vorgesetztenverhalten

4 Items (Rimann & Udris, 1997)

Soziale Unterstützung durch Vorgesetzte

3 Items (Rimann & Udris, 1997)

Soziale Unterstützung durch Kollegen

3 Items (Rimann & Udris, 1997)

Soziale Unterstützung durch den Partner

3 Items (Rimann & Udris, 1997)

Soziale Unterstützung durch andere Personen außerhalb der Arbeit Geschlechtsrollenselbstkonzept

3 Items (Rimann & Udris, 1997)

Maskulinität

20 Items

(Schneider-Düker & Kohler, 1988; deutsche Neukonstruktion des BSRI)

Femininität

20 Items

(Schneider-Düker & Kohler, 1988; deutsche Neukonstruktion des BSRI)

Soziale Erwünschtheit

20 Items

(Schneider-Düker & Kohler, 1988; deutsche Neukonstruktion des BSRI)

Psychosomatische Beschwerden

20 Items

(Mohr, 1986; Adaptation des FBL-K nach Fahrenberg, 1975)

Deprimiertheit

8 Items (Mohr, 1986)

Kognitive Irritation

3 Items (Mohr, Müller & Rigotti, 2005)

Negative Befindensindikatoren

Emotionale Irritation Positive Befindensindikatoren Lebenszufriedenheit

5 Items (Mohr et al., 2005) 5 Items (Leitner, 1999; deutsche Fassung von 'Positiver Affekt' nach Bradburn, 1969)

Konflikte zwischen Beruf und Familie Work-Family Conflict

4 Items (Gutek, Searle & Klepa, 1991)

Family-Work Conflict

4 Items (Gutek et al., 1991)

Anmerkungen. Die Skalen der negativen Befindensindikatoren 'Psychosomatische Beschwerden' und 'Deprimiertheit' sowie des positiven Befindensindikators 'Lebenszufriedenheit' finden gemäß der Formulierung innerhalb der AIDA-Studie von Leitner (1999) Verwendung.

6.2 Quantitative Vorstudie

117

Zur Erfassung der Arbeitsbedingungen wurde auf den Fragebogen SALSA (Salutogenetische Subjektive Arbeitsanalyse) zurückgegriffen (Rimann & Udris, 1997). Der Fragebogen wurde im Rahmen des Forschungsprojektes SALUTE (Personale und organisationale Ressourcen der Salutogenese) entwickelt und basiert auf einer positiven Konzeption von Gesundheit. Ausgehend von diesem Verständnis enthält der Fragebogen Skalen zu solchen Arbeitsbedingungen, die als Aufgabencharakteristika aufgefasst werden, als Belastungsfaktoren fungieren oder den organisationalen und sozialen Ressourcen zuzuordnen sind. Die Skalen umfassen jeweils 3 bis 4 Items und erheben die aus Sicht der Befragten subjektiv wahrgenommenen Arbeitsmerkmale auf einer 5-stufigen Likertskala. Der Merkmalsbereich Aufgabencharakteristika umfasst die Skalen Ganzheitlichkeit der Aufgaben sowie Qualifikationsanforderungen und Verantwortung. Die den Arbeitsbelastungen zuzuordnenden Arbeitsmerkmale werden durch 5 Skalen abgedeckt. Dabei wird die Überforderung durch die Arbeitsaufgaben auf mengenmäßiger und qualifikationsrelevanter Ebene ebenso wie die qualitative Unterforderung durch die Arbeitsaufgaben berücksichtigt. Zudem werden belastende Aspekte sowohl des Sozialklimas als auch des Vorgesetztenverhaltens erfasst. Ergänzend werden den Befragten einzelne Belastungsfaktoren zur Bewertung vorgelegt. Die organisationalen Ressourcen werden maßgeblich durch die 4 Skalen Aufgabenvielfalt, Qualifikationspotenzial der Arbeitstätigkeit, Tätigkeitsspielraum und Partizipationsmöglichkeiten abgebildet. Insbesondere der Tätigkeitsspielraum mit autonomer Wahlmöglichkeit zur Ausübung der Tätigkeit kommt nach Rimann und Udris (1997) eine besondere Bedeutung zu. Zwei weitere einzelne Aspekte erheben zudem die Möglichkeit für persönliche Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitsplatzes sowie den Spielraum für persönliche bzw. private Dinge während der Arbeit. Die sozialen Ressourcen im Arbeitsbereich umfassen neben dem Sozialklima auf positiver Ebene auch das mitarbeiterorientierte Vorgesetztenverhalten. Abgerundet wird dieser Merkmalsbereich durch Skalen zur sozialen Unterstützung durch verschiedene berufsbezogene Quellen, die für die vorliegende Arbeit besondere Relevanz erfahren. Hierbei erfolgt eine Differenzierung nach dem Grad der sozialen Unterstützung durch Kollegen und Vorgesetzte. In Hinblick auf das Forschungsthema werden der Partner und andere Personen außerhalb der Arbeit als Unterstützungsquellen ergänzt. Das Ausmaß der sozialen Unterstützung wird in Bezug auf Probleme in der Arbeit erfragt und umfasst dabei im Einzelnen

118

6 Methodik

» » »

den Grad der Verlässlichkeit auf die Netzwerkmitglieder, die Bereitschaft zum Zuhören der Netzwerkmitglieder als auch die aktive Hilfe, so dass es die Rezipienten in der Arbeit leichter haben (ebd.). Der Bereich der sozialen Unterstützung bei arbeitsbedingten Belastungen innerhalb des eingesetzten Messinstruments nahm dementsprechend eine Differenzierung des Unterstützungsausmaßes nach den betrieblichen und privaten Hilfequellen vor. Auf eine weitere Differenzierung der Form der Unterstützung wurde mit Blick auf die Länge des Fragebogens verzichtet. Die wahrgenommenen und geleisteten Unterstützungsformen werden im Rahmen der Hauptstudie stärker in den Fokus gerückt. Für die Erfassung des Geschlechtsrollenselbstkonzepts wurde auf die deutsche Neukonstruktion des BSRI zurück gegriffen, die von Schneider-Düker und Kohler (1988) vorgelegt wurde. Das Instrument misst dabei die Zuschreibung maskuliner und femininer Persönlichkeitseigenschaften im Selbstkonzept. Den Befragten werden hierfür verschiedene geschlechtstypische Eigenschaften zur Selbstbeschreibung vorgegeben, deren Ausprägung die Person auf einer 7stufigen Skala von '1 = die Eigenschaft trifft nie zu' bis '7 = die Eigenschaft trifft immer zu' einschätzen kann. Jeweils 20 Eigenschaften gehören dabei einer der drei Skalen Femininität, Maskulinität und Soziale Erwünschtheit an. Anhand der mittleren Ausprägung auf der Femininitäts- und Maskulinitätsskala lässt sich das Geschlechtsrollenselbstkonzept ableiten (siehe Abschnitt 6.2.). Das Befinden wurde im Bereich D über vier Negativindikatoren und einen Positivindikator erfasst. Die Auswahl der Skalen erfolgte in einem erwarteten Zusammenhang zwischen den Arbeitsbelastungen und möglichen relevanten Befindensbeeinträchtigungen. Die Skala psychosomatische Beschwerden findet gemäß der Anwendung innerhalb der AIDA-Studie nach Leitner (1999) in einer Anpassung nach Mohr (1986) als Adaptation des FBL-K nach Fahrenberg (1975) Verwendung und umfasst 20 Items. Irritation misst die Fehlbeanspruchung auf kognitiver und emotionaler Ebene aufgrund eines Ungleichgewichts zwischen Ressourcen und Belastungen (Mohr et al., 2005). Während die Skala kognitive Irritation mit 3 Items erfasst, inwieweit eine Person nicht in der Lage ist nach der Arbeit abzuschalten, operationalisiert die emotionale Irritation mit 5 Items Gereiztheitsreaktionen. Weiterhin wird die Skala Deprimiertheit als negative psychische Befindensbeeinträchtigung als Fehlbeanspruchung nach Mohr

6.2 Quantitative Vorstudie

119

(1986) in der Version der AIDA-Studie von Leitner (1999) verwendet. Die Skala Lebenszufriedenheit trägt einem positiven Verständnis von Gesundheit Rechnung und wird als positiver Befindensindikator verwendet. Zur Analyse des Zusammenhangs zwischen arbeitsbedingten Belastungen und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie werden zwei weitere Skalen zum Work-Family Conflict und dem Family-Work Conflict eingesetzt. Abschließend wurde den Teilnehmern im Fragenkomplex E die Möglichkeit für die Nutzung von Freitexten zur Kommunikation weiterer Belastungen oder möglicher Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitssituation eingeräumt. 6.2.3 Analysevorgehen Nach der Zustimmung des Unternehmens zur Durchführung der Befragung und der Abstimmung zum Vorgehen wurden Anpassungen des Messinstruments hinsichtlich der soziodemographischen Merkmale und spezifischen unternehmensrelevanten Belastungen vorgenommen. Die Zustimmungen seitens verschiedener betrieblicher Interessensvertreter wurden eingeholt. Die Befragung fand in Schriftform statt. Der Druck der Fragebögen und die innerbetriebliche Kommunikation zur Durchführung der Befragung oblagen den internen Prozessverantwortlichen der Personalabteilung und des Personalrats. Der Erhebungszeitraum für die Vorstudie erstreckte sich von Februar 2010 bis März 2010, wobei den Mitarbeitern aufgrund des geringen Rücklaufs eine Nachfrist von 2 Wochen eingeräumt wurde und intern erneut für die Teilnahme an der Befragung sensibilisiert wurde. Die Fragebögen wurden über die jeweiligen Abteilungsleiter an die Mitarbeiter verteilt. Diese konnten entweder am Arbeitsplatz während der Arbeitszeit an der Befragung teilnehmen oder die Bögen im häuslichen Umfeld ausfüllen. Zusätzlich zu dem Fragebogen wurde jeweils ein Informationsschreiben zum Hintergrund der Befragung, den Studienleitern und einer detaillierte Instruktion der Befragungsteilnahme samt Rückumschlägen ausgehändigt. Die ausgefüllten Fragebögen konnten in dem nunmehr verschlossenen Rückumschlag in einer versiegelten Urne in den Räumlichkeiten des Personalrats abgegeben werden. Zusätzlich erhielten die Mitarbeiter gemäß der Instruktion einen weiteren Fragebogen für ihren Lebenspartner, der selbige Merkmale und damit ebenfalls die Belastungs- und Beanspruchungssituation inklusive der organisationalen und sozialen Ressourcen erfasste. Die Zuordnung der Bögen eines Paares erfolgte

120

6 Methodik

über die Generierung eines gemeinsamen Codes, der auf dem Deckblatt beider Fragebögen angegeben wurde. Der ausgefüllte Fragebogen des Lebenspartners konnte gleichermaßen in dem verschlossenen Briefumschlag beim Personalrat abgegeben werden. Mit den Fragebögen erhielten die Paare gleichzeitig ein Informationsschreiben zu den nachfolgenden leitfadengestützten Interviews mit einer Einverständniserklärung. Bei Interesse an einer Teilnahme für die weiterführende qualitative Hauptstudie wurde die Teilnahmebereitschaft mit Unterschrift und Kontaktdaten bekundet und diese in einem gesonderten Briefumschlag dem verschlossenen Rückumschlag der Befragung beigefügt. Nach Ablauf der Frist für die Teilnahme an der schriftlichen Befragung wurden die verschlossenen Rückumschläge mit den inkludierten Fragebögen persönlich von der Autorin abgeholt. 6.2.4 Auswertungsmethodik Das Datenmaterial lag in Form schriftlich ausgefüllter Fragebögen vor. Die Auswertung erfolgte mit Hilfe der Statistiksoftware IBM® SPSS® Statistics Version 213. Zunächst wurden die Daten für die eigentliche Auswertung aufbereitet. Hierfür wurde die Datenmaske mit den erhobenen Variablen und den zugehörigen Kodierungen gemäß der Items innerhalb des Fragebogens erstellt. Nach der vollständigen Eingabe der Befragungsdaten wurden die einzelnen Daten auf Eingabefehler überprüft und mit Rückgriff auf die originalen Fragebögen entsprechend korrigiert. Items, deren Polung innerhalb einer Skala entgegengesetzt formuliert waren, wurden für die Skalenerstellung rekodiert. Im Vorfeld der eigentlichen Skalenerstellung wurde die interne Homogenität der Skalen mittels Cronbachs Alpha überprüft. Die Bewertung des Alpha-Wertes und Anwendung der Skalen erfolgte unter Berücksichtigung von Vergleichswerten aus Studien der Originalliteratur. Den ersten Schritt der Datenanalyse bildeten deskriptive Statistiken entsprechend des Skalenniveaus. Für die nominalskalierten Daten aus den demographischen Angaben wurden Häufigkeitsverteilungen und für die Skalen zu den Belastungen, Ressourcen und Beanspruchungen das arithmetische Mittel, der

3

https://www.ibm.com/analytics/de/de/technology/spss/

6.2 Quantitative Vorstudie

121

Median, die Standardabweichung sowie der jeweils minimale und maximale Wert zur Beschreibung der Daten herangezogen. Die Vorab formulierten Hypothesen postulierten Mittelwertunterschiede zwischen verschiedenen Gruppen. Bevor mögliche Verfahren zur Überprüfung der Unterschiedshypothesen angewandt werden konnten, musste die Art der Verteilung geprüft werden. Mit Hilfe des Kolmogorov-Smirnov-Tests wurde die Voraussetzung der Normalverteilung für die Anwendung parametrischer Verfahren getestet. Als Ergebnis konnten lediglich die Skalen zur Messung des Geschlechtsrollenselbstkonzepts als auch die Skala Mitarbeiterorientiertes Vorgesetztenverhalten als normalverteilt identifiziert werden, die allerdings für die formulierten Unterschiedshypothesen nicht relevant sind. Es wurde daher auf nonparametrische Verfahren zurückgegriffen. Zur Prüfung von Mittelwertunterschieden zum Vergleich zweier unverbundener Gruppen kam der MannWhitney-U-Test als verteilungsfreies Verfahren für unabhängige Stichproben zum Einsatz. Zwar wird darauf hingewiesen, dass der t-Test als parametrisches Verfahren zur Prüfung von Unterschiedshypothesen relativ robust gegenüber der Verletzung der Normalverteilung reagiert, dennoch gilt der U-Test als verteilungsfreies Äquivalent zum t-Test und fand daher unter Berücksichtigung der Voraussetzungsprüfung Anwendung (Rasch & Kubinger, 2006). Bei einem Vergleich von mehr als zwei unabhängigen Stichproben wurde als verteilungsungebundenes Verfahren der Kruskal-Wallis-Test gewählt und als Post-hoc-Test zur Identifizierung der Dunn-Bonferroni-Tests angewandt, um die exakten signifikant unterschiedlichen Gruppen bestimmen zu können. In Abhängigkeit der Kenntnis einer möglichen postulierten Richtung der Hypothesen erfolgte die Testung entweder einseitig bei einer gerichteten Hypothese oder zweiseitig bei einer ungerichteten Hypothese. Zusätzlich waren Mittelwertunterschiede zwischen verschiedenen Variablen bei einer Stichprobe von Interesse. Bei verbundenen Stichproben wurde zur Prüfung eines Mittelwertunterschiedes von zwei unterschiedlichen Variablen der Wilcoxon Paarvergleichstest angewandt. Bei einer Prüfung der Unterschiede von mehr als zwei Variablen derselben Stichprobe kam der Friedman-Test mit anschließendem Dunn-Bonferroni-Test zum Einsatz. Zur Überprüfung der Zusammenhangshypothesen wurden Korrelationsanalysen durchgeführt. Unter erneuter Berücksichtigung der Voraussetzungen wurde für die Analyse des Zusammenhanges zwischen zwei Variablen der

122

6 Methodik

Rangkorrelationskoeffizient nach Spearman (rS) berechnet. Nach J. Cohen (1988) kann der Koeffizient wie folgt interpretiert werden: » .1 bis .3: kleiner Zusammenhang, » .3 bis .5: mittlerer Zusammenhang, » .5 und höher: starker Zusammenhang. Erneut wurde in Abhängigkeit einer im Vorfeld vermuteten Richtung des Zusammenhangs entweder einseitig oder zweiseitig getestet. Um den Einfluss der sozialen Unterstützung durch den Partner sowohl auf die Arbeitsbelastungen als auch auf das Erleben psychosomatischer Beschwerden zu analysieren, wurden zudem mittels Median Split jeweils Gruppen mit hoher partnerschaftlicher und niedriger partnerschaftlicher Unterstützung in ihrer zentralen Tendenz gegenüber gestellt. Für das Ausmaß der Arbeitsbelastungen wurde ein Gesamtwert der Arbeitsbelastungen über den Mittelwert der fünf Belastungsskalen als Belastungsindex gebildet. Weitere Gruppen, die über die Median Split Methode für Gruppenvergleiche gebildet wurden, beziehen sich auf den Grad der Belastungen (hoch versus niedrig) sowie den Grad an Vorgesetztenunterstützung (hoch versus niedrig). Diese bildeten die Grundlage für die Analyse der Auswirkungen von verschiedenen Kombinationen auf das Beschwerdeempfinden. Bei dem Vergleich der zentralen Tendenz der mehr als zwei unverbundenen Gruppen kam der Kruskal-Wallis Test zum Einsatz. Die Untersuchung des Einflusses der sozialen Unterstützung durch den Partner auf befindensrelevante Parameter wurde durch eine Regressionsanalyse realisiert. Hierfür wurde zunächst das Ausmaß der psychosomatischen Beschwerden als Indikator für Gesundheit und damit als abhängige Variable festgelegt und anschließend mittels der Median Split Methode dichotomisiert, so dass eine binär logistische Regressionsanalyse angewandt werden konnte. Die unabhängigen Variablen wurden theoriegeleitet ausgewählt. Um deren Relevanz für die dichotome Ausprägung einer guten oder schlechten Gesundheit zu überprüfen, wurden in einem ersten Schritt die Unterschiede der jeweiligen unabhängigen Variablen zwischen der Gruppe guter und schlechter Gesundheit durch Signifikanztests überprüft. Im Anschluss kam die binär logistische Regressionsanalyse zur Anwendung. Zunächst wurden alle theoriegeleiteten unabhängigen Variablen in das Anfangsmodell aufgenommen. Durch eine Rückwärtselimination wurden die Faktoren aus den weiteren Modellrechnungen ausgeschlossen, bei

6.3 Qualitative Hauptstudie

123

denen basierend auf der Wald-Statistik4 der α-Wert über α =.05 lag und die postulierten Regressoren keine statistische Signifikanz aufwiesen. Nachdem alle irrelevanten Prädikatoren aus dem Regressionsmodell entfernt worden sind und die bedeutsamen Einflussfaktoren auf die Gesundheit identifiziert worden sind, wurde in einem nachfolgenden Schritt die Art der Einflussnahme überprüft werden. Aufgrund der theoriegeleiteten Annahme einer puffernden Wirkung sozial unterstützendes Verhalten auf das Belastungsausmaß, die darüber eine positiv Einflussnahme auf Gesundheit nimmt, wurde weiterführend eine Moderatoranalyse mit dem PROCESS Makro für SPSS durchgeführt (Hayes, 2013). 6.3

Qualitative Hauptstudie

Die qualitative Studie bildet den Kernbereich der vorliegenden Arbeit. Ausgehend von den Ergebnissen der quantitativen Vorstudie, die mit Hilfe von statistischen Kennzahlen die Bedeutung des Partners zur Bewältigung von arbeitsbedingten Belastungen eruiert, geht die anschließende qualitative Studie detailliert auf die eigentlichen Unterstützungsinteraktionen ein. Nachfolgend werden die Forschungsfragen, die eingesetzte Interviewtechnik sowie die Situation, in denen die Interviews geführt wurden, näher beschrieben. Abschließend wird die Auswertungsmethodik im Detail beschrieben. 6.3.1 Forschungsfragen Ziel der Untersuchung ist es, Störungen innerhalb des Prozesses der sozialen Unterstützung aufgrund von Partnerattributionen, Fehlinterpretationen und Missverständnissen innerhalb des Modells der sozialen Unterstützungsinteraktion zu identifizieren und dementsprechend wirksame und unwirksame Unterstützungsprozesse zu beschreiben. Auf der Basis bisheriger Erkenntnisse der Forschung sowie der Zielstellung leiten sich die nachfolgend dargestellten Fragen für den Prozess der sozialen Unterstützung in Partnerschaften bei arbeitsbedingten Belastungen ab. Welchen Stellenwert nimmt der Partner bei der Bewältigung arbeitsbedingter Belastungen ein?

4

Die Wald-Statistik überprüft die Nullhypothese, dass die jeweiligen Indikatorvariablen keinen Einfluss auf die abhängige Variable ausüben (Backhaus, 2006).

124

6 Methodik

Unter Berücksichtigung des subjektiven Beanspruchungserlebens, der Bewältigungsstrategien und dem sozialen Netzwerk, stellt sich die Frage, welche Bedeutung der Partner zur Bewältigung der Arbeitsbelastungen einnimmt. Überdies ist von Relevanz, wovon diese Bedeutung letztlich abhängig ist. Welches Unterstützungsbedürfnis stellt sich bei den Rezipienten ein? Da innerhalb der quantitativen Vorstudie nur die Unterstützungsquellen miteinander verglichen, nicht aber die Form der Unterstützung unterschieden wurde, ist dies wiederum innerhalb der qualitativen Studie von großem Interesse. Es soll konkret herausgestellt werden, welche Unterstützungsform in Abhängigkeit von der Arbeitsbelastung begehrt wird und ob dies letztlich auch aufgrund von Partnerattributionen und Situationsinterpretationen zur tatsächlichen Mobilisierung führt. Wie wird der Unterstützungsbedarf von dem belasteten Partner kommuniziert und vom Unterstützungsgeber entsprechend interpretiert? Zur Mobilisierung von sozialer Unterstützung können unterschiedliche Strategien zum Einsatz kommen. Letztlich entscheiden die gewählten Strategien auch über Erfolg und Misserfolg zur Leistung der erwarteten sozialen Unterstützung, da diese adäquat vom Partner decodiert werden müssen. Es sollen die Voraussetzungen identifiziert werden, unter denen die Interpretation der erwünschten Unterstützung auch den gesendeten Signalen entspricht. Welche Form der sozialen Unterstützung wird von der Unterstützungsquelle geleistet und in welchem Ausmaß wird diese tatsächlich vom Rezipienten als erhaltene Unterstützung registriert? Die Leistung bestimmter Unterstützungsformen durch den Unterstützungsgeber wird aller Wahrscheinlichkeit nach auf Basis der Interpretation des Unterstützungsbedarfs sowie Situationseinschätzungen und Eigenattributionen erfolgen. Die Leistung und der Erhalt der sozialen Unterstützung werden allerdings aus zwei verschiedenen Perspektiven wahrgenommen, so dass beide Aspekte im Interaktionsprozess nicht zwangsläufig deckungsgleich sein müssen. Daher liegt ein weiteres Augenmerk darauf, ob geleistete und erhaltene Unterstützung übereinstimmen.

6.3 Qualitative Hauptstudie

125

Welche Aspekte gestalten einen erfolgreichen Unterstützungsprozess und unter welchen Voraussetzungen können Unterstützungsinteraktionen misslingen? Letztlich ist es - neben der Untersuchung des Stellenwerts des Partners bei der Bewältigung arbeitsbedingter Belastungen - das zentrale Interesse der vorliegenden Arbeit, anhand der Ergebnisse wirksame und unwirksame Unterstützungsprozesse zu beschreiben sowie deren Determinanten zu bestimmen. Diese Ergebnisse können wiederum in die weitere Forschung als auch in verschiedene Praxisfelder einfließen. 6.3.2 Interviewtechnik Zur Klärung der Forschungsfragen wurden im Rahmen der qualitativen Hauptstudie teilstandardisierte Interviews auf der Basis eines Leitfadens durchgeführt. Diese Form der Interviews nähert sich dem Forschungsfeld für einen größeren Erkenntnisgewinn mit der notwendigen Offenheit. So kann der Prozess der sozialen Unterstützung innerhalb der Partnerschaft in all seiner Komplexität und im jeweiligen Situationskontext abgebildet werden. Zudem werden Informationsverluste von Attributionen und Bewertungen der Partner, die im Vorab nicht in möglichen Antwortkategorien antizipiert wurden, vermieden. Dennoch liegt diesem Forschungsvorhaben eine eingegrenzte und theoriegeleitete Fragstellung zu Grunde, wobei sich die Nutzung eines Leitfadens eignet (Przyborski & Wohlrab-Sahr, 2010). Der Leitfaden ermöglicht neben der spezifischen Fokussierung auf das Forschungsthemas zudem die Vergleichbarkeit der verschiedenen Interviews (Mayring, 2002). Nach einer eingehenden Analyse des Forschungsgegenstandes erfolgte auf Basis der theoretischen Annahmen und dem Erkenntnisinteresse die Konstruktion des Leitfadens. Dabei baut sich der Leitfaden von den eher allgemeinen hin zu den spezifischen Inhalten auf. Wie in der Tabelle 9 dargestellt, werden in dem Leitfaden drei inhaltlich zusammengehörende Themenbereiche behandelt.

126

6 Methodik

Tabelle 9: Inhaltsbereiche des Interviewleitfadens Arbeitsbedingte Belastungen

Soziale Unterstützung

Unterstützungsbiographie

Arbeitstätigkeit

Unterstützungsbegriff

Entwicklungsprozess der Beziehung

Art und Ausmaß der Belastung

Unterstützungsnetzwerk

Persönlichkeit und Geschlechterrollen

Beanspruchung

Unterstützungsprozess in der Partnerschaft als Rezipient

Veränderungswünsche

Coping

Unterstützungsprozess in der Partnerschaft als Geber

Der erste Teilbereich umreißt die aktuelle Belastungs- und Beanspruchungssituation. Da im Vorfeld bereits die schriftliche Befragung zur Arbeitssituation stattfand, bot sich dieser Einstieg als erster Erzählimpuls und zur Sondierung des Situationskontextes an. Mit Hilfe erzählgenerierender Fragen wird die Arbeitstätigkeit, Art und Grad der Belastung sowie die Auswirkungen der Belastung einschließlich verschiedener Bewältigungsstrategien erfragt. Den Kern des Leitfadens bildet der zweite Teilbereich zur sozialen Unterstützung, der durch eine Einstiegsfrage zum Unterstützungsbegriff eröffnet wird. Im Weiteren wird das aktuelle Unterstützungsnetzwerk, das für die Bewältigung der Arbeitsbelastungen von Relevanz ist, erfragt und auf diese Weise zum Unterstützungsprozess innerhalb der Partnerschaft übergeleitet. Basierend auf den genannten Belastungen wird zunächst die Unterstützungsinteraktion aus Sicht des Befragten als Rezipient erfasst. Im Anschluss findet ein Rollenwechsel statt, so dass der Proband die Unterstützungsinteraktion aus Sicht eines Unterstützungsgebers für die wahrgenommene Belastungssituation des Partners widerspiegelt. Der Gesprächsleitfadens realisiert auf diese Weise sowohl die Analyse in der Rolle des Unterstützungsempfängers als auch des -gebers. Abschließend wird im letzten Teilbereich die Unterstützungsbiographie thematisiert. Von besonderem Interesse ist hierbei, wie sich die Beziehung entwickelt hat. Zudem werden auch die Fremd- und Selbstwahrnehmung der eigenen Persönlichkeitseigenschaften als auch die des Partners erfragt. Entsprechend eines Spannungsbogens im Gesprächsverlauf wird der Frage nach den Veränderungswünschen der Ausstieg aus dem Interview gestaltet. Eine letzte Frage bietet

6.3 Qualitative Hauptstudie

127

dem Interviewten die Möglichkeit, noch eigene Aspekte, die im Zusammenhang mit dem zentralen Thema des Interviews stehen, hinzuzufügen. Die Fragen im Leitfaden sind als offene Fragen erzählgenerierend gestellt. Der Ablauf der Fragenstellung ist variabel gestaltet, so dass der Interviewer auf die Erzählrelevanz des Interviewten eingehen und dementsprechend Fragenbereiche zeitlich verlagern kann. Zu jedem Hauptaspekt der drei Fragenbereiche wird eine Hauptfrage gestellt. Darüber hinaus sind Kontrollaspekte für den Interviewer benannt, wodurch gezielte Nachfragen zur Fokussierung eines Sachverhalts entsprechend der theoriegeleiteten Inhalte gestellt werden können. Es wurde ein möglichst natürlicher Gesprächsverlauf intendiert. 6.3.3 Interviewsituation Um Absprachen und Manipulationen der Partner untereinander vorzubeugen und eine Beeinflussung des zweiten Befragten durch den Interviewer zu vermeiden, wurden die Interviews beider Personen zeitgleich durch insgesamt zwei Interviewer durchgeführt. Diese waren sowohl die Autorin als auch ihr Betreuer. Aufgrund dessen, dass beide Geschlechter im Team der Interviewer abgedeckt waren, wurden die Probanden durch den jeweils gleichgeschlechtlichen Interviewer befragt. Einzig ein männlicher Teilnehmer bestand bewusst auf die Autorin als Interviewerin. Die Interviews fanden wahlweise in den Räumlichkeiten der Universität Flensburg, in der beruflichen Umgebung oder im häuslichen Umfeld der Probanden statt. Vor Beginn des eigentlichen Interviews wurden die Teilnehmer über Ziel und Zweck sowie den Datenschutz umfangreich aufgeklärt. Zudem wurde ihnen ein Merkblatt zum Forschungsprojekt ausgehändigt. Zu jedem Interview wurde ein Interviewprotokollbogen ausgefüllt, der die demographischen Angaben zu der Person erfasste als auch die räumlichen und zeitlichen Rahmenbedingungen, die Teilnahmemotivation sowie den Interviewverlauf dokumentierte. Die Interviews wurden mit einem digitalen Diktiergerät aufgenommen. Das Einverständnis zur Tonaufnahme wurde vor Gesprächsbeginn eingeholt. Bei den Teilnehmern bestand bereits im Vorfeld eine große Offenheit gegenüber dem Forschungsvorhaben, so dass diese dem Interview und den Interviewern ohne Bedenken gegenüber standen. Eine Vielzahl der Probanden bekundete ein großes Interesse, bei dem Promotionsvorhaben zu unterstützen. Dies wurde zum Teil durch eigene Kinder ausgelöst, die sich ebenfalls im Studium

128

6 Methodik

befanden und deren Unterstützung sich die Teilnehmer in dieser Situation gleichermaßen wünschen würden. Weiterhin bestand bei einem Großteil der Interviewpartner ein generelles Interesse an sozial- und gesundheitswissenschaftlicher Forschung gepaart mit einem großen Interesse und persönlichem Bezug zu dem Forschungsthema. Nicht zuletzt wurden einige Probanden wesentlich durch den Partner zur Teilnahme an den Interviews motiviert und aufgefordert. Die Interviews dauerten im Schnitt 55 bis 70 Minuten, wobei das kürzeste Gespräch nach 45 Minuten und das längste nach 95 Minuten beendet wurde. Sie fanden sowohl in den Abendstunden als auch am Nachmittag nach der Arbeit und bevorzugt im häuslichen Umfeld oder zum Teil auch in den Räumlichkeiten der Universität statt. Vereinzelt wurden auch Gespräche am Vormittag in den Räumlichkeiten des Arbeitsgebers durchgeführt. 6.3.4 Auswertungsmethodik Die 26 Interviews lagen zunächst als Audiomaterial mit einer Länge von 27 Stunden 13 Minuten und 53 Sekunden vor. Das Material wurde für die weitere Auswertung mittels der Software f45 verschriftlicht. Die Transkription erfolgte wortwörtlich in hochdeutscher Sprache. Pausen, Betonungen, paralinguistische Sprachmodalitäten und nonverbale Äußerungen sowie Wort- und Satzabbrüche wurden in dem Transkript gekennzeichnet. Die Auswertung der Interviews erfolgte letztlich an dem transkribierten Textmaterial, das 624 Seiten umfasste. Sie orientierte sich im Wesentlichen an der Grundstruktur der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2010b) und berücksichtigte adaptierte Auswertungsstrategien von Gläser und Laudel (2010) und Schmidt (2010). Unter Anwendung der Grundprinzipien der qualitativen Inhaltsanalyse erfolgte die Auswertung systematisch, d.h. » regelgeleitet nach einem im Vorfeld definierten Ablaufmodell, » theoriegeleitet anhand eines theoretisch fundierten Forschungshintergrundes und » schrittweise vorgehend (Mayring, 2010a). Die Daten wurden stets vor dem Hintergrund des Kommunikationskontextes extrahiert und mit Hilfe eines Kategoriensystems als zentrales Instrument aufbereitet und ausgewertet (Mayring, 2010b). Die angewandte Analysestrategie er5

https://www.audiotranskription.de/f4

6.3 Qualitative Hauptstudie

129

wies sich für die Auswertung der Datenmenge unter Berücksichtigung von zeitlichen wie personellen Kapazitäten auf Basis der grundlegenden Fragestellung als zielführend. In der nachfolgenden Abbildung 14 ist das angewandte und für den Forschungszweck angepasste inhaltsanalytische Ablaufmodell der Auswertung dargestellt.

130

6 Methodik

1. Theoretischer Rahmen

Formulierung der Untersuchungsfrage Eingrenzung des relevanten theoretischen Gegenstandes Festlegung des Materials

2. Bestimmung des Materials

Analyse der Entstehungssituation Formale Charakteristika des Materials Richtung der Analyse Theoretische Differenzierung der Fragestellung Bestimmung der Analysetechnik

3. Methodische Festlegungen

Festlegung des Ablaufmodells Festlegung eines Suchrasters 1. strukturierende Zusammenfassung aller Fälle

4. Exploration

2. fokussierende Zusammenfassung aller Fälle

Bestimmung der Analyseeinheiten Deduktive und induktive Kategorienbildung 5. Extraktion

Materialdurchlauf

Anpassung Kategoriensystem

Fixierung des Kategoriensystems (Codierleitfaden)

Codierung aller Interviews 6. Codierung Abgleich von Eigen- und Fremdwahrnehmung 7. Auswertung

Zusammenstellung der Ergebnisse

Abbildung 14: Ablaufmodell der angewandten inhaltsanalytischen Auswertung (mod. nach Gläser & Laudel, 2010, S. 203; mod. nach Mayring, 2010b, S. 60)

6.3 Qualitative Hauptstudie

131

Die Punkte eins bis drei können aus den bisherigen Ausführungen innerhalb der vorliegenden Arbeit entnommen werden. Zur Sicherstellung der Nachvollziehbarkeit der angewandten Auswertungsstrategie sind insbesondere die Schritte vier bis sieben relevant, die nachfolgend näher erläutert werden. Zunächst galt es im Zuge einer Exploration der Daten im vierten Schritt, den Datengehalt der einzelnen Interviews zu ergründen und die Inhalte zusammenfassend zu strukturieren. Hierfür wurde jedes Transkript mit der gleichen Intensität gelesen. Anhand des vorher festgelegten Suchrasters auf Basis der theoretischen Vorkenntnisse, das eine grundsätzliche Einteilung der Textbestandteile in Hauptkategorien bzw. Oberbereiche gliederte, wurden die wesentlichen Inhalte zusammengefasst und den einzelnen Abschnitten zugeordnet. Soziodemographische Merkmale, die der begleitende Interviewprotokollbogen dokumentierte, ergänzten die inhaltlichen Daten. Auffälligkeiten, die im Rahmen der ersten Durchsicht bedeutsam erschienen, wurden einzelfallbezogen aber auch in der Paarkonstellation aufgenommen. Bei der Durchsicht offenbarten sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Hauptbereichen. Erste Ideen und Gedanken für mögliche Kategorien wurden daraufhin gesammelt und notiert. Nach der strukturierenden Zusammenfassung galt es in einem weiteren Unterschritt das Abstraktionsniveau weiter zu erhöhen, um einen Abgleich der Eigen- und Fremdsicht innerhalb des Paares zu erleichtern, aber auch eine bessere Vergleichbarkeit der Paare untereinander zu erzielen. Hierfür wurden die Zusammenfassung weiter reduziert und auf den entscheidenden Inhalt fokussiert. Die Eigen- und Fremdwahrnehmung der Partner wurden tabellarisch gegenüber gestellt. Basierend auf den beiden Schritten der Zusammenfassung, die ein reduziertes und abstrahiertes Abbild des Gesamtmaterials unter Beibehaltung der Kontextinformationen darstellten, wurde das Kategoriensystem zur Extraktion der relevanten Informationen aus den einzelnen Interviews entwickelt. Die Festlegung erfolgte zumeist deduktiv für die Oberkategorien auf Basis theoretischer Ableitungen und des Interviewleitfadens, die Unterkategorien wurden überwiegend induktiv aus dem Material heraus gebildet. Als Analyseeinheit wurden Sinneinheiten bestimmt. Im kürzesten Fall konnten diese Sinneinheiten einzelne Wörter oder auch Textstellen innerhalb eines Satzes darstellen. In der Regel umfassten sie ganze Sätze, manchmal sogar Textabschnitte mit der dazugehörigen Fragestellung oder Hinleitung, um den Zusammenhang zu verdeutlichen.

132

6 Methodik

Unter Berücksichtigung der Fragestellung und des Suchrasters wurden die Texte auf die relevanten Informationen hin untersucht, die entsprechenden Aussagen der Interviewpartner extrahiert und den deduktiven Oberkategorien zugeordnet. Das Textmaterial zu den Oberkategorien wurde auf die zentralen Aussagen hin reduziert und so die Subkategorien gebildet. Für bedeutungsvolle Aussagen, die keiner zuvor deduktiv definierten Oberkategorie zugeordnet werden konnten, wurden neue Kategorien angelegt und die zugehörigen Textstellen im weiteren Verlauf zusammengefasst und durch die Bildung weiterer Subkategorien differenziert. Das gesamte Material wurde zur Entwicklung des Kategoriensystems herangezogen, bis keine neuen Aussagen mehr auftauchten. Das Kategoriensystem konnte dann in einem weiteren Schritt angepasst und in einem Codierleitfaden fixiert werden. Mit diesem Codierleitfaden (siehe Tabelle 10) wurden alle Interviews erneut gesichtet und sämtliche relevanten Textstellen unter Anwendung der Software MAXQDA Analytics Pro6 codiert. Tabelle 10: Auszug aus dem Kategoriensystem Kategorie

Definition

Die Kommunikation OK: Unterstützungs- beinhaltet arbeitsbezogene Themen und mobilisierung erfolgt als regelhafter UK: täglicher Austausch. Ritualisierte Sie geht mit gemeinKommunikation samen Kommunikationsräumen sowie festen Ritualen wie standardisierten Erzählimpulsen einher.

6

http://www.maxqda.de/

Ankerbeispiel

Codierregel

„[...] bei uns ist ja so, wenn meine Frau, also wir wir oft genug, dass wir jetzt eben wie so heut, wie nachmittags dann eben Kaffee zusammen trinken, und da werden dann schon natürlich oder abends beim Abendbrot oder wie auch immer, wenn sie nach Hause kommt oder wenn ich nach Hause komme, dann reden wir schon über, auch über die Arbeit und über Belastungen, die da aufgetreten sind, oder Sachen, die einem da begegnet sind, nette und genauso wie natürlich auch problematische [...]“ (I-m-673, 247:251)

erfasst werden ausschließlich regel- und standardmäßige Kommunikationsräume und -muster, die generell Arbeitsthemen enthalten

6.3 Qualitative Hauptstudie

133

Arbeitsbezogene OK: Unterstützungs- Belastungen werden dem Partner gegenmobilisierung über gezielt und UK: direkt kommuniziert. direkte Verbalisierung der Belastung

„[...] es war eigentlich immer so, dass die Konflikte, die ich dann hatte, die habe ich von mir aus auch schon eben erzählt und es war nie so, dass dass ich von ihr angesprochen werden musste, so hast du wieder Ärger auf der Arbeit, weil du bist irgendwie so dünnhäutig? Das das war nie so.“ (I-m-411, 320:323)

...

...

...

über einfache Arbeitsthemen hinausgehend müssen die Arbeitsbelastungen direkt verbalisiert werden

...

In den meisten Fällen haben die Interviewpersonen verschiedene Aussagen getroffen, die sich mehreren Subkategorien zuordnen ließen. Ähnlich der Mehrfachnennungen in quantitativen Befragungen sind die Kategorien nicht ausschließlich als ein 'entweder/ oder' zu sehen, sondern können ein 'sowohl/ als auch' in Abhängigkeit des Kontextes erfassen. Eine Interviewperson konnte in der einen Situation ein bestimmtes Verhalten zeigen, in einer anderen Situation wiederum ganz anders reagieren. Dies erwies sich für die Auswertung der einzelnen Kategorien als bedeutend, so dass der Kontextbezug bei jeder Zuordnung eines Codes und der späteren Auswertung erneut hergestellt wurde. Die Auswertung erfolgte mit Hilfe des Code-Matrix-Browsers von MAXQDA. So wurden die einzelnen Codes und das gemeinsame Auftreten von Codekombinationen zunächst grafisch für jedes einzelne Dokument gesichtet und in Bezug gesetzt. Mit Hilfe einer grafisch dargestellten Matrix werden die Verbindungen zwischen den einzelnen Fällen und den ausgewählten Codes sichtbar. Aber auch bei Auswahl mehrerer Kategorien können mit diesem Tool Verbindungen und Überschneidungen von Codes in einem Dokument sichtbar werden. Die Auswertung wurde zunächst für die Fälle und anschließend für einen Vergleich von Codes nach soziodemographischen Gesichtspunkten vorgenommen. Hierfür diente die Erstellung von Dokumentensets, die jeweils die Fälle mit dem erwünschten Mermal enthielt. Innerhalb des Code-Matrix-Browser konnten die einzelnen Dokumentensets dann miteinander verglichen werden. Für einige Kategorien war es zudem erforderlich die Eigen- und Fremdsicht der Partner gegenüberzustellen. Hierfür wurden die zutreffenden Codes aus

134

6 Methodik

Rezipientensicht in eine Tabelle übertragen und die Nennungen der Unterstützungsgeber hinzugefügt (siehe Tabelle 11). Tabelle 11: Auszug aus der Gegenüberstellung von Eigen- und Fremdwahrnehmung 228 ritualisierte Kommunikation Kommunikation der Erwartungshaltung direkte Verbalisierung der Belastung indirekte Signalisierung der Beanspruchung verzögerte Verbalisierung der Belastung Eigenwahrnehmung

411

m

w

x

x

m

516 w

m

544 w

m

673 w

m

w

x x

x

x

x x

x x

X

x

x

x

x

x

x

x

x

x

x

Fremdwahrnehmung

Die Zuordnung der Nennungen aus Sicht der Unterstützungsquelle erfolgte über Kreuz. Die tabellarische Übersicht ermöglichte auf diese Weise einen Abgleich der Sichtweisen innerhalb eines Paares.

7

Ergebnisse der quantitativen Vorstudie

Nachfolgend werden die wesentlichen Ergebnisse der quantitativen Vorstudie aufgezeigt. Beginnend mit einer Übersicht zu den soziodemographischen Merkmalen der Stichprobe wird nachfolgend die Güte der Befragung hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Messung unter Angabe von Cronbachs Alpha als Maß der internen Konsistenz der verwendeten Skalen aufgezeigt. Im weiteren Verlauf werden dann zunächst die deskriptiven Statistiken zur Belastungs- und Beanspruchungssituation sowie dem Ausmaß der Ressourcen vorgestellt. Im Hinblick auf die formulierten Hypothesen erfolgt die Darstellung verschiedenen Gruppenvergleiche sowie das Aufzeigen der belegten Zusammenhänge. 7.1

Soziodemographie

In die Analyse gehen die Daten von insgesamt 237 befragten Personen ein. Das durchschnittliche Alter der Teilnehmer liegt bei 47 Jahren, wobei die Altersspanne von 22 bis 63 reicht (siehe Tabelle 12). Tabelle 12: Metrische Merkmale der Analysestichprobe Variablen

n

M

SD

Min

Max

Alter

233

46.54

8.71

22

63

Dauer der Betriebszugehörigkeit (in Jahren)

230

15.67

11.04

0

45

Beziehungsdauer (in Jahren)

191

18.82

11.37

0

43

Partner1: Beziehungsdauer

126

18.77

11.31

0

43

Anmerkungen. n = gültige Fälle; M = Arithmetisches Mittel; SD = Standardabweichung; Min = Minimum; Max = Maximum Aufgrund der Paarverbundenheit in 69 Fällen wurde die beziehungsbezogene Variable 'Beziehungsdauer' zusätzlich unter Ausschluss von Partner 2 angegeben.

Die Analysestichprobe verteilt sich auf 44 % männliche und 56 % weibliche Befragte (siehe Tabelle 13). Dies schließt die Partner der Mitarbeiter des Verwaltungsunternehmens mit ein. Werden ausschließlich die Mitarbeiter des rekrutierten Unternehmens betrachtet, verteilt sich der Anteil von Männern und Frauen auf 34 % zu 66 %.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Niemann, Die Rolle des Partners und der Partnerin bei der Bewältigung arbeitsbedingter Belastungen, Gesundheitspsychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24906-9_7

136

7 Ergebnisse der quantitativen Vorstudie

Tabelle 13: Nominale Merkmale der Analysestichprobe

Variablen Gesamt (N = 237) Partner 1 (N = 168) Berufsbereich (n = 230) Rohstoffgewinnung, Produktion und Fertigung Bau, Architektur, Vermessung und Gebäudetechnik Naturwissenschaft, Geographie und Informatik Verkehr, Logistik. Schutz und Sicherheit Kaufmännische Dienstleistungen, Warenhandel. Vertrieb, Hotel und Tourismus Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht und Verwaltung Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung Sprach-, Literatur-, Geistes-, Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften, Medien, Kunst, Kultur und Gestaltung Sonstiges Stundenumfang (n = 235) Vollzeit Teilzeit Sonstiges Geschlechtsrollenselbstkonzept (n = 228) androgyn maskulin feminin undifferenziert Beziehungsstatus (n = 235) verheiratet/ feste Partnerschaft ledig/ geschieden im Haushalt lebende Kinder (n = 224) ja nein Partner 1: Beziehungsstatus (n = 166) verheiratet/ feste Partnerschaft ledig/ geschieden Partner 1: im Haushalt lebende Kinder (n = 155) ja

Geschlechterverteilung m w

n

%

235 166

99.2 % 98.8 %

43.8 % 34.3 %

56.2 % 65.7 %

6 11

2.6 % 4.8 %

100.0 % 45.5 %

0.0 % 54.5 %

8 7 6

3.8 % 3.04 % 2.6 %

87.5 % 100.0 % 66.7 %

12.5 % 0.0 % 32.3 %

130

56.5 %

34.6 %

65.4 %

46 3

20.0 % 1.3 %

37.0 % 33.3 %

63.0 % 66.7 %

13

5.7 %

69.2 %

30.8 %

148 79 8

63.0 % 33.6 % 3.4 %

61.5 % 10.1 % 50.0 %

38.5 % 89.9 % 50.0 %

71 52 53 52

31.1 % 22.8 % 23.2 % 22.8 %

46.5 % 59.6 % 28.3 % 42.3 %

53.5 % 40.4 % 71.7 % 57.7 %

196 39

83.4 % 16.6 %

47.4 % 25.6 %

52.6 % 74.4 %

120 104

53.6 % 46.4 %

48.3 % 41.3 %

51.7 % 58.7 %

127 39

76.5 % 23.5 %

37.0 % 25.6 %

63.0 % 74.4 %

79

51.0 %

40.5 %

59.5 %

7.1 Soziodemographie

nein

137

76

49.0 %

30.3 %

69.7 %

Anmerkungen. n = gültige Fälle; % = prozentualer Anteil; m = männlich; w = weiblich Aufgrund der Paarverbundenheit in 69 Fällen wurden die beziehungsbezogenen Variablen 'Beziehungsstatus' und 'im Haushalt lebende Kinder' zusätzlich unter Ausschluss von Partner 2 angegeben.

Unter Ausschluss des befragten Partners ist die große Mehrheit der teilnehmenden Verwaltungsmitarbeiter in einer festen Beziehung (77 %). Bei der Hälfte der Angestellten (51 %) leben zum Zeitpunkt der Erhebung auch Kinder mit im Haushalt. Unter Betrachtung aller befragten Personen, einschließlich der rekrutierten Partner, erhöht sich aufgrund der Paarverbundenheit der Stichprobe die Anzahl der liierten Personen auf 83 %. Die Dauer der Beziehung beläuft sich mit und ohne Berücksichtigung des befragten Partners auf 19 Jahre. Die längste Partnerschaft dauert dabei seit 43 Jahren an, die kürzeste hingegen besteht seit weniger als einem Jahr. Die Zuordnung zu den Berufsbereichen erfolgte nach der Klassifikation der Berufe 2010 (Bundesagentur für Arbeit, 2011). Entsprechend der institutionellen Ausrichtung des Verwaltungsunternehmens ist auch unter Berücksichtigung des Berufszweiges des Partners die Mehrheit der Befragten (57 %) dem Bereich der Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht und Verwaltung zugehörig. Jeder fünfte Teilnehmer entstammt dem Bereich Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung, wodurch dieser Berufszeig mit 20 % die zweitgrößte Kategorie bildet. Beide Berufsbereiche sind mit einem Anteil von knapp zwei Drittel frauendominiert. Die Betriebszugehörigkeit liegt im Durchschnitt bei 16 Jahren. Längstens gehört ein Teilnehmer dem Unternehmen seit 45 Jahren an. Die kürzeste Beschäftigungsdauer in der aktuellen Firma liegt unter einem Jahr. Lediglich ein Drittel (34 %) der Befragten arbeiten in Teilzeit. Unter Berücksichtigung des Geschlechts ergibt die Darstellung des Stundenumfanges ein differenziertes Bild. So arbeiten nur 8 % der Männer in Teilzeit, während der Anteil einer Teilzeitbeschäftigung unter den Frauen bei 54 % liegt. Die Einteilung der Stichprobe gemäß ihrem Geschlechtsrollenselbstkonzept offenbart annähernd ein Drittel (31 %) an Personen, die als androgyn eingestuft werden können. Die geschlechtstypisch sozialisierten Teilnehmer sowie die als undifferenziert deklarierten Befragten nehmen einen vergleichbaren Anteil von 23 % ein. Unter den Männern gibt es erwartungsgemäß einen höheren Anteil an Maskulinen (31 %) als bei den Frauen (17 %), wohingegen der Anteil der

138

7 Ergebnisse der quantitativen Vorstudie

femininen Personen bei den Frauen (30 %) den bei den Männern (15 %) übersteigt. 7.2

Reliabilitätsanalyse

Vor der Skalenerstellung wurden die Skalen auf ihre interne Konsistenz überprüft. Die Werte von Cronbachs Alpha für die einzelnen Skalen werden in der Tabelle 14 im Vergleich zu den Angaben aus den Originalquellen dargestellt. Tabelle 14: Reliabilitätsanalyse Cronbach's α Skalen

Items

Ganzheitlichkeit der Aufgaben Qualifikationsanforderungen und Verantwortung Überforderung durch die Arbeitsaufgaben (quantitativ) Überforderung durch die Arbeitsaufgaben (qualitativ) Unterforderung durch die Arbeitsaufgaben (qualitativ) Belastendes Sozialklima Belastendes Vorgesetztenverhalten Aufgabenvielfalt Qualifikationspotenzial der Arbeitstätigkeit Tätigkeitsspielraum Partizipationsmöglichkeiten Positives Sozialklima

B1 B27R B33

Mitarbeiterorientiertes Vorgesetztenverhalten Soziale Unterstützung durch Vorgesetzte Soziale Unterstützung durch Kollegen Soziale Unterstützung durch den Partner Soziale Unterstützung durch andere Personen außerhalb

Quellen Studie .72 (Rimann & Udris. 1997) .75

B2 B9 B20 B31R (Rimann & Udris. 1997)

.71

.74

B4R B12 B23

(Rimann & Udris. 1997)

.78

.87

B11 B18 B34

(Rimann & Udris. 1997)

.67

.62

B7 B16 B25

(Rimann & Udris. 1997)

.62

.64

B14 B30 B40 B22 B28 B35

(Rimann & Udris. 1997) (Rimann & Udris. 1997)

.60 .78

.64 .79

B26 B29 B41R B6R B8 B21

(Rimann & Udris. 1997) (Rimann & Udris. 1997)

.76 .85

.83 .59

B5R B15 B36 B13 B39R B42 B19 B37 B43 B45 B3 B17 B32 B38 B44 B57 B61 B65

(Rimann & Udris. 1997) (Rimann & Udris. 1997) (Rimann & Udris. 1997)

.50 .62 .72

.64 .73 .65

(Rimann & Udris. 1997)

.80

.85

(Rimann & Udris. 1997)

.90

.93

B58 B62 B66

(Rimann & Udris. 1997)

.87

.88

B59 B63 B67

---

---

.84

B60 B64 B68

---

---

.89

7.2 Reliabilitätsanalyse

der Arbeit Maskulinität

Femininität

Soziale Erwünschtheit

Psychosomatische Beschwerden

Deprimiertheit

Kognitive Irritation Emotionale Irritation Lebenszufriedenheit Work-Family Conflict Family-Work Conflict

139

C1 C4 C7 C10 C13 C16 C19 C22 C25 C28 C31 C34 C37 C40 C43 C46 C49 C52 C55 C58 C2 C5 C8 C11 C14 C17 C20 C23 C26 C29 C32 C35 C38 C41 C44 C47 C50 C53 C56 C59 C3 C9 C15 C21 C27 C33 C39 C45 C51 C57 C6R C12R C18R C24R C30R C36R C42R C48R C54R C60R D1 D2 D3 D4 D5 D6 D7 D8 D9 D10 D11 D12 D13 D14 D15 D16 D17 D18 D19 D20 D21 D22 D23 D24 D25 D26 D27 D28 D29 D30 D32 D31 D33 D34 D35 D36 D37 D38 D39 D40 D41 D42 D43 D44 D45 D46 D47 D48 D49

(Schneider-Düker & Kohler. 1988)

.85

.87

(Schneider-Düker & Kohler. 1988)

.74

.81

(Schneider-Düker & Kohler. 1988)

.74

.77

(Leitner. 1993)

.90 bis .93

.90

(Leitner. 1993)

.84 bis .87

.84

.87 .88

.89 .86

.85 bis .88 .81 bis .83 .79 bis .83

.84

(Mohr et al.. 2005) (Mohr et al.. 2005) (Leitner. 1993) (Gutek et al.. 1991) (Gutek et al.. 1991)

.80 .76

Anmerkungen. R bezeichnet ein rekodiertes Item. Die einzelnen Ausprägungen der Antwortskalen werden zur Skalenbildung umgepolt. Die letzte Spalte (Studie) gibt die Werte für Cronbachs Alpha der vorliegenden Erhebung an.

Wie der Tabelle 13 zu entnehmen ist, können die Werte für Cronbachs Alpha in den meisten Fällen die der Herkunftsstudien replizieren. Überwiegend werden

140

7 Ergebnisse der quantitativen Vorstudie

akzeptable Werte über .70 oder sogar gute Werte über .80 erreicht (siehe hierzu Blanz, 2015). Die Belastungs- und Ressourcenskalen erreichen vereinzelt lediglich Alphakoeffizienten oberhalb .60, die in der Literatur als fragwürdig angesehen werden (ebd.). Es konnte keine Verbesserung der Alpha-Werte durch Selektion von Items erzielt werden. Unter Verweis auf Rimann und Udris (1997), die einen Koeffizienten ab .60 als ausreichend betrachten und in ihrer Studie vergleichbare Alpha-Werte hervorbrachten, erfüllen die Skalen dennoch das Kriterium der Zuverlässigkeit. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass Cronbachs Alpha ohnehin einen höheren Wert annimmt, umso mehr Items eine Skala umfasst (Bortz, Bortz-Döring & Döring, 2010). Ein Koeffizient um .60 bei einer Skala, die lediglich 3 Items umfasst, kann daher in die Analyse aufgenommen werden. 7.3

Deskriptive Statistik

Zunächst werden die deskriptiven Statistiken zu den Belastungen, Beanspruchungen und Ressourcen vorgestellt. Die Darstellung umfasst jeweils das arithmetische Mittel (M), den Median (MD), die Standardabweichung (SD) sowie den minimalen (Min) und maximalen Wert (Max). Zur Bewertung der Angaben wird ebenfalls die Antwortskalierung angegeben. 7.3.1 Anforderungen und Belastungen Über alle Teilnehmer hinweg betrachtet, sind die Aufgabencharakteristika der Stichprobe durch eine umfassende Ganzheitlichkeit der Aufgaben (M = 3.71, SD = 0.81) und hohen Qualifikationsanforderungen mit einer ausgeprägten Übernahme von Verantwortung (M = 4.16, SD = 0.71) gekennzeichnet (siehe Tabelle 15).

7.3 Deskriptive Statistik

141

Tabelle 15: Deskriptive Statistik der Anforderungen und Belastungen Anforderungen & Belastungen Ganzheitlichkeit der Aufgaben Qualifikationsanforderungen und Verantwortung Überforderung durch die Arbeitsaufgaben (quantitativ) Überforderung durch die Arbeitsaufgaben (qualitativ) Unterforderung durch die Arbeitsaufgaben (qualitativ) Belastendes Sozialklima Belastendes Vorgesetztenverhalten

n

M

MD

SD

Min

Max

Skala

237

3.71

3.67

0.81

1.33

5.00

1-5

237

4.16

4.25

0.71

1.50

5.00

1-5

237

2.81

2.67

0.91

1.00

5.00

1-5

237

2.11

2.00

0.64

1.00

4.00

1-5

237

2.40

2.33

0.72

1.00

4.00

1-5

237 235

2.28 2.01

2.00 2.00

0.74 0.83

1.00 1.00

4.33 4.67

1-5 1-5

Anmerkungen. n = gültige Fälle; M = arithmetisches Mittel; MD = Median; SD = Standardabweichung; Min = Minimum; Max = Maximum; Skala bezeichnet die Abstufung der Antwortmöglichkeiten

Die Belastungssituation zeigt sich in ihrer zentralen Tendenz eher unauffällig. Mit Ausnahme der quantitativen Überforderung durch die Arbeitsaufgaben (M = 2.81, SD = 0.91) befinden sich die Belastungsskalen im unteren Wertebereich, der als unkritisch eingestuft werden kann. Eine genauere Betrachtung der Werteverteilung kann ein differenzierteres Bild als Ergänzung liefern. Hierfür werden die Mittelwerte entsprechend der Formulierung in der Antwortskalierung in drei Gruppen eingeteilt: » 1.00 bis 2.49:  unkritischer Wertebereich, » 2.50 bis 3.50:  bedenklicher Wertebereich, » 3.51 bis 5.00:  kritischer Wertebereich. In der Abbildung 15 zeigt sich, dass mehr als jeder fünfte Teilnehmer (23 %) hinsichtlich der Belastung Arbeitsmenge/ Arbeitsvolumen den kritischen Wertebereich erreicht.

142

7 Ergebnisse der quantitativen Vorstudie

Verteilung Belastungen Vorgesetztenverhalten

74,5%

Sozialklima

19,6%

65,0%

qualitative Unterforderung

28,3%

58,2%

qualitative Überforderung

32,9%

74,7%

Arbeitsmenge

38,8% 0%

6,0%

6,8%

8,9%

22,4%

38,4%

3,0%

22,8%

10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Prozentualer Anteil unkritisch

bedenklich

kritisch

Abbildung 15: Verteilung der Belastungen

Die weiteren erfassten Belastungen lassen zwar eine größere Spannweite erkennen, dennoch befindet sich jeweils die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer im unkritischen Bereich. 7.3.2 Ressourcen Ähnlich dem Ausmaß der Belastungen lassen sich auch bei den Ressourcen in der zentralen Tendenz kaum auffallend negative Ausprägungen erkennen (siehe Tabelle 16). Die Ressource Partizipationsmöglichkeiten ist am geringsten ausgeprägt (M = 3.12, SD = 0.76).

7.3 Deskriptive Statistik

143

Tabelle 16: Deskriptive Statistik der Ressourcen Ressourcen Aufgabenvielfalt Qualifikationspotenzial der Arbeitstätigkeit Tätigkeitsspielraum Partizipationsmöglichkeiten Positives Sozialklima Mitarbeiterorientiertes Vorgesetztenverhalten

n

M

MD

SD

Min

Max

Skala

236 237

3.70 3.46

3.67 3.33

0.84 0.79

1.00 1.00

5.00 5.00

1-5 1-5

237 237 236 236

3.63 3.12 3.60 3.42

3.67 3.33 3.50 3.40

0.80 0.76 0.66 0.83

1.00 1.00 2.00 1.00

5.00 5.00 5.00 4.80

1-5 1-5 1-5 1-5

Anmerkungen. n = gültige Fälle; M = arithmetisches Mittel; MD = Median; SD = Standardabweichung; Min = Minimum; Max = Maximum; Skala bezeichnet die Abstufung der Antwortmöglichkeiten

Auch hier wird erneut auf eine gruppierte Verteilungsdarstellung zurückgegriffen. Die Bewertung der Ressourcen erfolgt entsprechend der folgenden Wertebereiche: » 3.51 bis 5.00:  unkritischer Wertebereich, » 2.50 bis 3.50:  bedenklicher Wertebereich, » 1.00 bis 2.49:  kritischer Wertebereich. Nur jeder dritte Befragte (33 %) ist hinsichtlich der Ressource Partizipationsmöglichkeiten im unkritischen Wertbereich angesiedelt (siehe Abbildung 16). Hingegen nehmen 21 % der Teilnehmer diesbezüglich eine kritische Ausprägung wahr.

144

7 Ergebnisse der quantitativen Vorstudie

Verteilung Ressourcen

Vorgesetztenverhalten

14,0%

38,1%

Positives Sozialklima 3,0% Partizipationsmöglichkeiten

48,7%

48,3%

21,1%

Tätigkeitsspielraum 7,6% Qualifikationspotenzial

46,0%

Aufgabenvielfalt 7,6%

32,9%

34,6%

11,0%

0%

47,9%

57,8%

42,6%

46,4%

31,4%

61,0%

10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Prozentualer Anteil kritisch

bedenklich

unkritisch

Abbildung 16: Verteilung der Ressourcen

Im Gegensatz zu dem Ausmaß der Belastungen sind deutlich mehr Befragte im mittleren Bewertungsbereich der Ressourcen zu finden. So wird das Sozialklima hinsichtlich des gegenseitigen Interesses, dem entgegengebrachten Vertrauen und der Offenheit im Umgang mit Kollegen sowie das Qualifikationspotenzial als Lernmöglichkeiten mit Kompetenzzuwachs nicht eindeutig bewertet. Die Mitarbeiterorientierung der Vorgesetzten lässt in Bezug auf Feedback, Respekt und Fairness bei 14 % der Befragten einen hohen Handlungsbedarf erkennen. Beim Tätigkeitsspielraum mit den vorhandenen Freiheitsgraden zur autonomen Regulierung der Arbeiten und der Vielfalt der anfallenden Aufgaben lässt sich hingegen eine positive Tendenz erkennen. Das Ausmaß der sozialen Unterstützung wird im Kapitel 7.3.4 aufgrund der herausragenden Relevanz für die Arbeit gesondert betrachtet.

7.3 Deskriptive Statistik

145

7.3.3 Beanspruchungen Wie in der Tabelle 17 zu entnehmen ist, lassen die zentralen Tendenzen der einzelnen Skalen zu den Beanspruchungen weder bezüglich der negativen noch der positiven Befindensindikatoren oder den Konflikten zwischen Beruf und Familie außerordentlich kritische Werte erkennen. Auffälligkeiten ergeben sich erst im gezielten Gruppenvergleich. Tabelle 17: Deskriptive Statistik der Beanspruchungen Beanspruchungen

n

M

MD

SD

Min

Max

Skala

Negative Befindensindikatoren Psychosomatische Beschwerden

237

2.01

1.90

0.60

1.00

4.05

1-5

Deprimiertheit

237

2.48

2.38

0.87

1.00

5.25

1-7

Kognitive Irritation

237

3.10

3.00

1.40

1.00

7.00

1-7

Emotionale Irritation

237

2.54

2.40

1.01

1.00

5.60

1-7

Lebenszufriedenheit

237

3.09

3.00

0.52

1.80

4.00

1-4

Konflikte zwischen Beruf und Familie Work-Family Conflict

236

2.39

2.25

0.87

1.00

5.00

1-5

Family-Work Conflict

236

1.35

1.25

0.44

1.00

3.75

1-5

Positive Befindensindikatoren

Anmerkungen. n = gültige Fälle; M = arithmetisches Mittel; MD = Median; SD = Standardabweichung; Min = Minimum; Max = Maximum; Skala bezeichnet die Abstufung der Antwortmöglichkeiten

Hinsichtlich der psychosomatischen Beschwerden finden sich Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Männer (M = 1.84, SD = 0.50) weisen demnach niedrigere Werte als Frauen (M = 2.16, SD = 0.63) auf. Der Mann-Whitney-UTest belegt die Signifikanz des Unterschieds (U(103,132) = 8836.000, Z = 3.943, p = .000). Weiterhin lassen sich Unterschiede hinsichtlich des Beziehungsstatus bei dem negativen Befindensindikator Deprimiertheit finden. So geben liierte Personen signifikant niedrigere Werte (M = 2.42, SD = 0.85) als ledige Personen (M = 2.80, SD = 0.92) an (U(39,196) = 4763.500, Z = 2.431, p = .015).

146

7 Ergebnisse der quantitativen Vorstudie

Vollzeitbeschäftigte unterscheiden sich in der kognitiven Irritation und dem Work-Family Conflict von Teilzeitbeschäftigten. So sind bei in Vollzeit Berufstätigen die kognitive Beanspruchung (M = 3.27, SD = 1.45) sowie die Auswirkung der Arbeit auf die Familie (M = 2.58, SD = .86) höher als bei in Teilzeit arbeitenden Personen (Kognitive Irritation: M = 2.84, SD = 1.31; WorkFamily Conflict: M = 2.04, SD = 0.77). Der Mann-Whitney-U-Test weist die Signifikanz sowohl für die kognitive Irritation (U(79,148) = 4830.000, Z = -2.162, p = .031) als auch für den Work-Family Conflict (U(79,147) = 3647.000, Z = -4.625, p = .000) aus. 7.3.4 Soziale Unterstützung Im Hinblick auf die Relevanz der sozialen Unterstützung wird die deskriptive Statistik dieser sozialen Ressource an dieser Stelle in Tabelle 18 gesondert betrachtet. Das Konstrukt erfasst die einzelnen Dimensionen der Verlässlichkeit, der Bereitschaft zuzuhören sowie die aktive Unterstützung und wird getrennt nach der privaten und beruflichen Unterstützungsquellen erfasst. Tabelle 18: Deskriptive Statistik der sozialen Unterstützung Soziale Unterstützung durch Vorgesetzte durch Kollegen durch den Partner durch andere Personen außerhalb der Arbeit

n

M

MD

SD

Min

Max

Skala

234 234 198 232

3.53 3.76 4.27 3.22

3.67 4.00 4.67 3.33

1.03 0.81 0.82 1.13

1.00 1.00 1.33 1.00

5.00 5.00 5.00 5.00

1-5 1-5 1-5 1-5

Anmerkungen. n = gültige Fälle; M = arithmetisches Mittel; MD = Median; SD = Standardabweichung; Min = Minimum; Max = Maximum; Skala bezeichnet die Abstufung der Antwortmöglichkeiten

Es zeigt sich deutlich, dass die soziale Unterstützung bei Problemen in der Arbeit durch den Partner das höchste Ausmaß annimmt (M = 4.27, SD = 0.82), während die soziale Unterstützung durch andere Personen außerhalb der Arbeit die geringste Bedeutung erfahren (M = 3.22, SD = 1.33). Die Friedmans ZweifachRangvarianzanalyse verbundener Stichproben zeigt, dass sich das Ausmaß der sozialen Unterstützung durch die unterschiedlichen Netzwerkmitglieder signifikant voneinander unterscheidet (χ2(3) = 150.919, p = .000, n = 190). Die Anwendung des Dunn-Bonferroni-Tests identifiziert, welche Quellen sich hinsicht-

7.3 Deskriptive Statistik

147

lich der Unterstützung bei arbeitsbezogenen Problemen signifikant voneinander unterscheiden (siehe Tabelle 19). Tabelle 19: Post-hoc Test zum Ausmaß der sozialen Unterstützung durch unterschiedliche Unterstützungsquellen Stichprobe 1 Stichprobe 2 Andere - Vorgesetzte Andere - Kollegen Andere - Partner Vorgesetzte - Kollegen Vorgesetzte - Partner Kollegen - Partner

Teststatistik

Std.Fehler

0.434 0.592 1.479 -0.158 -1.045 -0.887

.132 .132 .132 .132 .132 .132

Std. Angep. Teststatistik Signifikanz Signifkanz 3.278 4.470 11.166 -1.192 -7.888 -6.696

.001 .000 .000 .233 .000 .000

.006 .000 .000 1.000 .000 .000

Anmerkungen. Jede Zeile testet die Nullhypothese, dass die Verteilungen von Stichprobe 1 und Stichprobe 2 gleich sind. Asymptotische Signifikanzen (2-seitige Tests) werden angezeigt. Das Signifikanzniveau ist .05.

Lediglich das Ausmaß der Unterstützung durch die Kollegen und den Vorgesetzten unterscheidet sich nicht signifikant voneinander (Z = -1.192, p > .05). Der Partner allerdings unterscheidet sich gegenüber aller weiteren beruflichen und privaten Unterstützungsquellen hinsichtlich des Unterstützungsausmaßes. Damit kann Hypothese 1-1 bestätigt werden. Der Partner stellt auch im Vergleich mit berufsbezogenen Netzwerkmitgliedern bei arbeitsbezogenen Problemen die größte Unterstützungsquelle dar. Personen außerhalb der Arbeit nehmen dahingegen den geringsten Stellenwert zur Bewältigung arbeitsbezogener Probleme ein. Ein Blick auf einen Vergleich der Unterstützungsquellen innerhalb der Geschlechter zeigt ein etwas differenziertes Bild (siehe Abbildung 17).

148

7 Ergebnisse der quantitativen Vorstudie

Mittelwertausprägung Soziale Unterstützung durch Netzwerkmitglieder 3,56 3,77

Frauen

4,20 3,45 3,51 3,74

Männer

4,37 2,97 1,0

1,5

2,0

2,5

3,0

3,5

4,0

4,5

5,0

Mittelwertausprägung Vorgesetzten

Kollegen

Partner

Andere

Abbildung 17: Mittelwertausprägung der sozialen Unterstützung durch verschiedene Netzwerkmitglieder innerhalb der Geschlechter

Bei beiden Geschlechtern wird das höchste Unterstützungsausmaß durch den Partner erreicht (Frauen: M = 4.20, SD = 0.81; Männer: M = 4.37, SD = 0.78). Nach Anwendung der Friedmans Zweifach-Rangvarianzanalyse verbundener Stichproben ist der Unterschied in der Ausprägung des Unterstützungsausmaßes durch die unterschiedlichen Netzwerkmitglieder sowohl bei den Frauen (χ2(3) = 55.563, p = .000, n = 100) als auch bei den Männern (χ2(3) = 100.437, p = .000, n = 88) signifikant. Ein Blick auf den Post-hoc Test in Tabelle 20 gibt Aufschluss über die einzelnen Unterschiede im Detail.

7.3 Deskriptive Statistik

149

Tabelle 20: Post-hoc Test zum Ausmaß der sozialen Unterstützung durch unterschiedliche Unterstützungsquellen innerhalb der Geschlechter Männer Stichprobe 1 Stichprobe 2

Teststatistik

Std.Fehler

Andere - Vorgesetzte Andere - Kollegen Andere - Partner Vorgesetzte - Kollegen Vorgesetzte - Partner Kollegen - Partner

0.665 0.875 1.824 -0.210 -1.159 -0.949

.195 .195 .195 .195 .195 .195

Frauen Stichprobe 1 Stichprobe 2 Andere - Vorgesetzte Andere - Kollegen Andere - Partner Vorgesetzte - Kollegen Vorgesetzte - Partner Kollegen - Partner

Teststatistik 0.200 0.315 1.165 -0.115 -0.965 -0.850

Std.Fehler .183 .183 .183 .183 .183 .183

Std. Angep. Teststatistik Signifikanz Signifkanz 3.416 4.496 9.371 -1.080 -5.956 -4.875

.001 .000 .000 .280 .000 .000

.004 .000 .000 1.000 .000 .000

Std. Angep. Teststatistik Signifikanz Signifkanz 1.095 .273 1.000 1.725 .084 .507 6.381 .000 .000 -0.630 .529 1.000 -5.286 .000 .000 -4.656 .000 .000

Anmerkungen. Jede Zeile testet die Nullhypothese, dass die Verteilungen von Stichprobe 1 und Stichprobe 2 gleich sind. Asymptotische Signifikanzen (2-seitige Tests) werden angezeigt. Das Signifikanzniveau ist .05.

Bei den Männern stellt der Partner erneut das größte Unterstützungsausmaß im Vergleich zu allen weiteren erfassten Netzwerkmitgliedern zur Verfügung. Auch hier unterscheidet sich nur die Ausprägung der Unterstützung durch Kollegen und den Vorgesetzten nicht signifikant voneinander (Z = -1.080, p > .05). Interessanterweise weist bei den Frauen auch die Ausprägung der Unterstützung durch andere Personen außerhalb der Arbeit im Vergleich mit den beruflich relevanten Personen keine Signifikanz auf. Hier wird ausschließlich der Unterstützungswert des Partners im Vergleich mit den drei weiteren Quellen signifikant. Vorgesetzte und Kollegen nehmen demnach bei Frauen einen vergleichbaren Stellenwert für die Unterstützung bei arbeitsbezogenen Problemen ein. Dennoch lässt sich innerhalb der Geschlechter erneut die Hypothese 1-1 mit dem Partner als größte Unterstützungsquelle bei arbeitsbedingten Problemen im Vergleich mit weiteren Netzwerkpartnern bestätigen.

7.3 Deskriptive Statistik

7.4

150

Überprüfung von Unterschiedshypothesen

Nachfolgend wird das Ausmaß der sozialen Unterstützung durch die berufsbezogenen und privaten Unterstützungsquellen innerhalb verschiedener soziodemographisch relevanter Gruppen verglichen. 7.4.1 Unterschiede im Unterstützungsausmaß hinsichtlich des Geschlechts Es ließen sich bereits Unterschiede innerhalb der Geschlechter in Bezug auf das Unterstützungsausmaß im Vergleich der verschiedenen Netzwerkmitglieder untereinander identifizieren (siehe Kapitel 7.3.4). Unterschiede werden aber auch zwischen Männern und Frauen hinsichtlich der gleichen Unterstützungsquelle vermutet. Tabelle 21 zeigt die Ergebnisse des Mann-Whitney-U-Tests zur Überprüfung der Hypothese 1-2 und Hypothese 1-3 auf Unterschiede im Unterstützungsausmaß durch den Partner sowie andere Personen außerhalb der Arbeit zwischen den beiden biologischen Geschlechtern. Tabelle 21: Ergebnisse zur Überprüfung der Unterschiedshypothesen bezüglich des Geschlechts Soziale Unterstützung

n

M

MD

Mittlerer Rang

Testergebnis

… durch Lebenspartner Männer

93

4.37

4.67

105.69

Frauen

103

4.20

4.33

92.00

U = 4120.500 Z = -1.736 p = .042b

… durch andere Personen außerhalb der Arbeit Männer

100

2.97

3.00

99.16

Frauen

130

3.45

3.67

128.07

U = 8133.500 Z = 3.289 p = .001b

Anmerkungen. a zweiseitig; b einseitig

Gemäß der Hypothese 1-2 wird bei Männern ein höheres Unterstützungsausmaß durch den Partner als bei Frauen vermutet. In der untersuchten Stichprobe findet sich in der Tat bei den Männern (M = 4.37, SD = 0.78) die höhere Ausprägung sozialer Unterstützung durch den Partner als bei Frauen (M = 4.20, SD = 0.81). Der Mann-Whitney-U-Test bestätigt die Signifikanz des Unterschiedes

7.4 Überprüfung von Unterschiedshypothesen

151

(U(93,103) = 4120.500, Z = -1.736, p = .042). Damit kann die Hypothese 1-2 bestätigt werden. Männer erhalten mehr Unterstützung von ihrer Lebenspartnerin als Frauen von ihrem Lebenspartner. Gleichzeitig wird aufgrund der vertrauteren und engeren Beziehungen von Frauen zu ihren Netzwerkmitgliedern entsprechend der Hypothese 1-3 ein höheres Unterstützungsausmaß durch andere private Personen bei Frauen angenommen. In der Tat lässt sich in der durchgeführten Untersuchung bei Frauen eine deutlich höhere Ausprägung bezüglich der Unterstützung durch andere Personen außerhalb der Arbeit finden (Frauen: M = 3.45, SD = 1.13; Männer: M = 2.97, SD = 1.05). Der Unterschied ist signifikant (U(100,130) = 8133.500, Z = 3.289, p = .001). Demnach kann ebenfalls die Hypothese 1-3 bestätigt werden, wodurch Frauen mehr Unterstützung durch andere private Netzwerkmitglieder erhalten als Männer. 7.4.2 Unterschiede im Unterstützungsausmaß hinsichtlich des Geschlechtsrollenselbstkonzeptes Neben dem biologischen Geschlecht werden Unterschiede bezüglich des psychologischen Geschlechts angenommen. Hier interessieren insbesondere signifikante Unterschiede im Unterstützungsausmaß durch die Netzwerkmitglieder zwischen geschlechtsrollentypisch sozialisieren Personen (siehe Tabelle 22).

152

7 Ergebnisse der quantitativen Vorstudie

Tabelle 22: Ergebnisse zur Überprüfung der Unterschiedshypothesen bezüglich des Geschlechtsrollenselbstkonzepts Soziale Unterstützung

n

M

MD

... durch Vorgesetzten maskulin

Mittlerer Rang

51

3.24

3.33

46.34

feminin

53

3.65

3.67

58.42

... durch Kollegen maskulin

53

3.83

4.00

52.97

feminin

52

3.79

4.00

53.03

... durch Lebenspartner maskulin

48

4.31

4.67

46.25

feminin

45

4.30

4.67

47.80

... durch andere Personen außerhalb der Arbeit maskulin

50

3.01

3.17

49.20

feminin

52

3.25

3.33

53.71

Testergebnis U = 1665.500 Z = 2.053 p = .040a U = 1379.500 Z = 0.010 p = .992a U = 1116.000 Z = 0.285 p = .775a

U = 1415.000 Z = 0.774 p = .439a

Anmerkungen. a zweiseitig; b einseitig

Die Hypothese 1-4, wonach sich feminine und maskuline Personen hinsichtlich des Unterstützungsausmaßes relevanter Quellen unterschieden, findet nur zum Teil Bestätigung. Der Mann-Whitney-U-Test zeigt ausschließlich einen signifikanten Unterschied bei der Ausprägung der sozialen Unterstützung durch den Vorgesetzten (U(51,53) = 1665.500, Z = 2.053, p = .040). Demnach erhalten feminine Personen (M = 3.65, SD = 0.90) mehr Unterstützung von ihrem Vorgesetzten als maskuline Personen (M = 3.23, SD = 1.10). Bezogen auf den Partner als Hilfequelle bei arbeitsbedingten Problemen weisen feminine und maskuline Personen ein gleiches Unterstützungsausmaß auf. Selbiges lässt sich für die Netzwerkmitglieder der Kollegen und weiteren privaten Beziehungspartner festhalten. 7.4.3 Unterschiede im Unterstützungsausmaß hinsichtlich des Beziehungsstatus Da der Partner, wie bereits gezeigt, eine Rolle zur Bewältigung arbeitsbedingter Belastungen spielt, sollte sich dessen Fehlen bei ledigen Personen in einer gesteigerten Unterstützungsausprägung durch andere Quellen wiederfinden. Die

7.4 Überprüfung von Unterschiedshypothesen

153

Hypothese 1-5 wird durch den Man-Whitney-U-Test überprüft, dessen Ergebnisse in der Tabelle 23 aufgezeigt werden. Tabelle 23: Ergebnisse zur Überprüfung der Unterschiedshypothesen bezüglich des Beziehungsstatus Soziale Unterstützung

n

M

MD

Mittlerer Rang

Testergebnis

... durch Vorgesetzten liiert

193

3.53

3.67

116.61

ledig

39

3.55

3.67

115.97

U = 3743.000 Z = -0.054 p = .957a

... durch Kollegen liiert

193

3.72

4.00

113.65

ledig

39

3.94

4.00

130.63

... durch andere Personen außerhalb der Arbeit liiert

192

3.17

3.33

110.69

38

3.61

4.00

139.79

ledig a

U = 4314.500 Z = 1.455 p = .146a

U = 4571.000 Z = 2.481 p = .013a

b

Anmerkungen. zweiseitig; einseitig

Ledige und liierte Personen weisen keine Unterschiede im Ausmaß der sozialen Unterstützung durch berufsbezogene Unterstützungsquellen auf. Im privaten Kontext unterscheiden sich beide Gruppen allerdings signifikant voneinander (U(192,38) = 4571.000, Z = 2.481, p = .013). Demnach erhalten ledige Personen (M = 3.61, SD = 1.05) mehr Unterstützung durch weitere Netzwerkmitglieder aus dem privaten Umfeld als liierte Personen (M = 3.17, SD = 1.11). Die Hypothese 1-5 mit einem vermuteten signifikanten Unterschied zwischen liierten und ledigen Personen hinsichtlich des Unterstützungsausmaßes lässt sich demnach zum Teil für andere Personen außerhalb der Arbeit halten. Unter Bezugnahme auf beruflich relevante Unterstützungsquellen muss die Hypothese 1-5 abgelehnt werden.

154

7 Ergebnisse der quantitativen Vorstudie

7.4.4 Unterschiede im Unterstützungsausmaß hinsichtlich im Haushalt lebender Kinder Da sich der interpersonelle Kontakt innerhalb und außerhalb der Beziehung durch Kinder, die im Haushalt leben, verändern könnte, wird mit Hypothese 1-6 ein Unterschied im Unterstützungsausmaß durch privat relevante Quellen bei Personen mit Kindern und ohne Kinder vermutet. (siehe Tabelle 24). Tabelle 24: Ergebnisse zur Überprüfung der Unterschiedshypothesen bezüglich im Haushalt lebender Kinder Soziale Unterstützung

n

M

MD

Mittlerer Rang

Testergebnis

ohne Kinder

88

4.39

4.67

107.16

mit Kindern

107

4.18

4.33

90.47

U = 3902.000 Z = -2.113 p = .035a

ohne Kinder

102

3.38

3.67

120.24

mit Kindern

117

3.09

3.00

101.08

... durch Lebenspartner

... durch andere Personen außerhalb der Arbeit U = 4923.000 Z = -2.248 p = .025a

Anmerkungen. a zweiseitig; b einseitig

Es zeigt sich, dass Personen, die einen Haushalt ohne Kinder führen, sowohl mehr Unterstützung durch ihren Lebenspartner (ohne Kinder im Haushalt: M = 4.39, SD = 0.78; mit Kindern im Haushalt: M = 4.18, SD = 0.81) als auch durch andere private Netzwerkmitglieder erhalten als Personen mit Kinder (ohne Kinder im Haushalt: M = 3.38, SD = 1.17; mit Kindern im Haushalt: M = 3.09, SD = 1.04). In beiden Fällen kann die Signifikanz statistisch abgesichert werden (Lebenspartner: U(88,107) = 3902.000, Z = -2.113, p = .035; andere Personen außerhalb der Arbeit: U(102,117) = 4923.000, Z = -2.248, p = .025). Damit wird die Hypothese 1-6 bestätigt. Personen ohne im Haushalt lebende Kinder unterscheiden sich von Personen, bei denen Kinder im Haushalt leben, hinsichtlich des Ausmaßes sozialer Unterstützung.

7.5 Testung von Zusammenhangshypothesen

7.5

155

Testung von Zusammenhangshypothesen

Wenn soziale Unterstützung einen positiven Einfluss auf die Gesundheit nehmen soll, muss sich dies zunächst in einem Zusammenhang zwischen der sozialen Ressource und den Beanspruchungen wiederfinden. 7.5.1 Arbeitsbelastungen und Beanspruchungen Kapitel 2.4 hat sich ausführlich mit den Auswirkungen psychischer Fehlbelastungen auf die befindensrelevante Parameter beschäftigt. Dementsprechend müsste gemäß der Hypothese 2-1 ein positiver Zusammenhang zwischen Fehlbelastungen und negativen Beanspruchungen bestehen (siehe Tabelle 25). Tabelle 25: Zusammenhang zwischen Belastungen und negativen Beanspruchungen

quantitative Überforderung

qualitative Überforderung

qualitative Unterforderung

belastendes Sozialklima

belastendes Vorgesetztenverhalten

Psychosom. Beschwerden

Deprimiertheit

Kognitive Irritation

Emotionale Irritation

r

.386***

.227***

.514***

.292***

p

.000

.000

.000

.000

n

237

237

237

237

r

.237

***

.320

***

.257

***

.286***

p

.000

.000

.000

.000

n

237

237

237

237

.034

.146*

.302

.012

*

r

.108

p

.048

.238

***

.000

n

237

237

237

237

r

.250***

.285***

.281***

.300***

p

.000

.000

.000

.000

n

237

237

237

237

r

.242***

.339***

.267***

.329***

p

.000

.000

.000

.000

n

235

235

235

235

Anmerkung. *signifikant auf einem Niveau von p < 0.05 (einseitig); **signifikant auf einem Niveau von p < 0.01 (einseitig); ***signifikant auf einem Niveau von p < 0.001 (einseitig) Zur Anwendung kommt der Rangkorrelationskoeffizient r nach Spearman. Aufgrund der Formulierung einer gerichteten Hypothese erfolgt eine einseitige Testung.

156

7 Ergebnisse der quantitativen Vorstudie

Einzig für die Fehlbelastung der qualitativen Unterforderung lässt sich kein Zusammenhang mit den kognitiven Irritation als Fehlbeanspruchungsfolge nachweisen (r = .034, p = .302, n = 237). Für alle weiteren erfassten Belastungen lässt sich entsprechend der Hypothese 2-1 ein positiver Zusammenhang zwischen den Fehlbelastungen und den negativen Beanspruchungen finden. Die negativen Beanspruchungen sind in der Stichprobe demnach höher, je höher das Belastungsausmaß ausfällt. Ein nach J. Cohen (1988) starker Zusammenhang besteht zwischen der Überforderung durch die Arbeitsmenge und der kognitiven Irritation (r = .514, p = .000, n = 237). Positive Zusammenhänge mit mittleren Effekten lassen sich zwischen der Arbeitsmenge und den psychosomatischen Beschwerden (r = .386, p = .000, n = 237), der qualitativen Überforderung und dem Ausmaß der Deprimiertheit (r = .320, p = .000, n = 237), dem belastenden Sozialklima und der emotionalen Irritation (r = .300, p = .000, n = 237) sowie dem belastenden Vorgesetztenverhalten und der Deprimiertheit (r = .339, p = .000, n = 235) als auch der emotionalen Irritation (r = .329, p = .000, n = 235) finden. 7.5.2 Soziale Unterstützung und Beanspruchungen Ein hohes Ausmaß an sozialer Unterstützung müsste im Gegensatz zu den Fehlbelastungen im Sinne einer Ressource mit einem geringeren Ausmaß an negativen Beanspruchungen einhergehen (siehe Tabelle 26). Tabelle 26: Zusammenhang zwischen sozialer Unterstützung und negativen Beanspruchungen

Soziale Unterstützung durch Vorgesetzten Soziale Unterstützung durch Kollegen Soziale Unterstützung durch Lebenspartner

Psychosom. Beschwerden

Deprimiertheit

Kognitive Irritation

Emotionale Irritation

r

-.276***

-.269***

-.315***

-.325***

p

.000

.000

.000

.000

n

234

234

234

234

r p

-.220

***

.000

-.286

***

.000

-.193

**

.002

-.172** .004

n

234

234

234

234

r

-.303***

-.359***

-.213**

-.225**

p

.000

.000

.001

.001

n

198

198

198

198

7.6 Testung von Einflusshypothesen

Soziale Unterstützung durch andere Personen außerhalb der Arbeit

157

r

-.065

-.102

-.095

-.052

p

.160

.061

.074

.214

n

232

232

232

232

Anmerkung. *signifikant auf einem Niveau von p < 0.05 (einseitig); **signifikant auf einem Niveau von p < 0.01 (einseitig); ***signifikant auf einem Niveau von p < 0.001 (einseitig) Zur Anwendung kommt der Rangkorrelationskoeffizient r nach Spearman. Aufgrund der Formulierung einer gerichteten Hypothese erfolgt eine einseitige Testung.

Die Hypothese 2-2 mit der Formulierung eines negativen Zusammenhangs zwischen sozialer Unterstützung und negativen Beanspruchungsfolgen lässt sich statistisch signifikant für die Unterstützungsquellen des Vorgesetzten, der Kollegen sowie des Lebenspartners absichern. Einzig die soziale Unterstützung durch andere Personen außerhalb der Arbeit hängt mit keiner der erfassten negativen Beanspruchungen zusammen. Mittlere Effekte eines negativen Zusammenhangs finden sich bei der sozialen Unterstützung durch den Vorgesetzten und der kognitiven Irritation (r = .315, p = .000, n = 234) sowie der emotionalen Irritation (r = .325, p = .000, n = 234). Dahingegen lassen sich Zusammenhänge mittlerer Effektgröße hinsichtlich des Partners als Unterstützungsquelle zwischen der Ressource und den psychosomatischen Beschwerden (r = .303, p = .000, n = 198) als auch der Deprimiertheit (r = .359, p = .000, n = 198) nachweisen. Generell kann entsprechend der Ergebnisse die Aussage getroffen werden, dass das Ausmaß der negativen Beanspruchungen geringer ausfällt, wenn die Ausprägung der sozialen Unterstützung durch jeweils den Partner, den Kollegen und den Vorgesetzten steigt. 7.6

Testung von Einflusshypothesen

Vielfach wird die positive Wirkung sozialer Unterstützung herausgestellt (siehe Kapitel 3.5). Demnach müsste sich ein entlastender Effekt der sozialen Unterstützung in einem geringeren Belastungsausmaß bei Personen mit einer hohen sozialen Unterstützung wiederfinden. Dies wird aufgrund der bereits herausgestellten Bedeutung des Partners für die partnerschaftliche Unterstützung in Bezug auf das Belastungsempfinden überprüft. (siehe Abbildung 18).

158

7 Ergebnisse der quantitativen Vorstudie

Mittelwertausprägung Belastungsindex bei Partnerschaftsunterstützung

SUP+

2,13

SUP-

2,40

1,0

1,5

2,0

2,5

3,0

3,5

4,0

4,5

5,0

Mittelwertausprägung Belastungsindex SUP+ SUP-

hohe partnerschaftliche soziale Unterstützung niedrige partnerschaftliche soziale Unterstützung

Abbildung 18: Mittlerer Belastungsindex in Abhängigkeit des partnerschaftlichen Unterstützungsausmaßes

Entsprechend der Hypothese 3-1 weisen Personen mit einer hohen partnerschaftlichen Unterstützung (SUP+) ein geringeres Belastungsausmaß auf (M = 2.13, SD = 0.45) als Personen mit einer geringen partnerschaftlichen Unterstützung (SUP-: M = 2.40, SD = 0.46). Der Unterschied ist nach dem Mann-Whitney-UTest statistisch signifikant (U(92,71) = 2257.000, Z = -3.382, p = .001). Die Hypothese 3-1 findet demnach Bestätigung. Aufgrund des mittleren Effekts hinsichtlich eines negativen Zusammenhangs zwischen partnerschaftlicher Unterstützung und den psychosomatischen Beschwerden, soll im Weiteren geprüft werden, ob sich Personen nach dem Grad der Unterstützung durch den Lebenspartner auch im Empfinden psychosomatischer Beschwerden (Beschwerdeindex) unterscheiden (siehe Abbildung 19).

7.6 Testung von Einflusshypothesen

159

Mittelwertausprägung Beschwerdeindex bei Partnerschaftsunterstützung

SUP+

1,78

SUP-

2,13

1,0

1,5

2,0

2,5

3,0

3,5

4,0

4,5

5,0

Mittelwertausprägung Beschwerdeindex

SUP+ SUP-

hohe partnerschaftliche soziale Unterstützung niedrige partnerschaftliche soziale Unterstützung

Abbildung 19: Mittlerer Beschwerdeindex in Abhängigkeit des partnerschaftlichen Unterstützungsausmaßes

Wie mit Hypothese 3-2 erwartet, geben Personen mit einer hohen partnerschaftlichen Unterstützung (SUP+) weniger psychosomatische Beschwerden an (M = 1.78, SD = 0.49) als Personen, die wenig Unterstützung durch den Partner erleben (SUP-: M = 2.13, SD = 0.53). Der Unterschied weist nach dem MannWhitney-U-Test statistische Signifikanz auf (U(92,71) = 1987.000, Z = -4.284, p = .000). Von besonderem Interesse ist der Einfluss der sozialen Unterstützung durch den Partner bei hohen als auch bei geringen Arbeitsbelastungen, der in Abbildung 20 dargestellt ist.

160

7 Ergebnisse der quantitativen Vorstudie

Mittelwertausprägung Beschwerdeindex nach Belastungs- und Unterstützungausmaß

1,97

Belastung gering 1,66

2,28

Belastung hoch 2,00

1,0

1,5

2,0

2,5

3,0

3,5

4,0

4,5

5,0

Mittelwertausprägung Beschwerdeindex SUPSUP+ SUP-

SUP+

hohe partnerschaftliche soziale Unterstützung niedrige partnerschaftliche soziale Unterstützung

Abbildung 20: Mittlerer Beschwerdeindex in Abhängigkeit des Belastungsausmaßes sowie des partnerschaftlichen Unterstützungsausmaßes

Bei geringer partnerschaftlicher Unterstützung (SUP-) steigt das Ausmaß psychosomatischer Beschwerden bei geringen Belastungen in der mittleren Ausprägung von 1.97 (SD = 0.53) statistisch signifikant (U(49,43) = 1419.000, Z = 2.863, p = .004) auf 2.28 (SD = 0.49), wenn das Belastungserleben hoch ist. Auch bei Personen, die eine hohe Unterstützung durch den Lebenspartner erfahren, erhöht sich das Ausmaß psychosomatischer Beschwerden bei hohen Belastungen auf einen Mittelwert von 2.00 (SD = 0.59) verglichen mit Personen mit einem geringen Belastungsindex (M = 1.66, SD = 0.37). Auch hierbei lässt sich die statistische Signifikanz des Unterschieds nachweisen (U(26,45) = 778.000, Z = 2.307, p = .021). Sowohl in der Gruppe der gering Belasteten als auch in der Gruppe der hoch Belasteten weisen die durch den Lebenspartner gut unterstützten Personen jeweils ein geringeres Ausmaß der psychosomatischen Beschwerden auf. Der

7.6 Testung von Einflusshypothesen

161

Unterschied ist sowohl für die Gruppe mit dem geringen Belastungsempfinden (U(43,45) = 608.500, Z = -3.001, p = .003) als auch für die Gruppe mit dem hohen Belastungserleben (U(49,26) = 461.000, Z = -1.961 p = .05) signifikant. Auch unter Berücksichtigung des Belastungsausmaßes weisen Personen, mit einer hohen sozialen Unterstützung durch den Lebenspartner einen geringeres Ausmaß an psychosomatischen Beschwerden auf. Da auch die Vorgesetztenunterstützung einen negativen Zusammenhang mit den psychosomatischen Beschwerden aufweist, stellt sich die Frage, inwieweit eine Kombination des Unterstützungsgrades durch den Partner und durch den Vorgesetzten das Ausmaß des Beschwerdeindex verändert. Hierfür ergeben sich vier Gruppen, die in Abbilung 21 miteinander verglichen werden: » hohe Unterstützung vom Partner bei hoher Unterstützung vom Vorgesetzten (SUP+ SUV+), » hohe Unterstützung vom Partner bei niedrige Unterstützung vom Vorgesetzten (SUP+ SUV-), » niedrige Unterstützung vom Partner bei hoher Unterstützung vom Vorgesetzten (SUP- SUV+), » niedrige Unterstützung vom Partner bei niedriger Unterstützung vom Vorgesetzten (SUP- SUV-).

162

7 Ergebnisse der quantitativen Vorstudie

Mittelwertausprägung Beschwerdeindex bei Unterstützungskombination SUP+

SUV+

1,71

SUP+ SUV-

1,94

SUP- SUV+

2,08

SUP- SUV-

2,11 1,0

1,5

2,0

2,5

3,0

3,5

4,0

4,5

5,0

Mittelwertausprägung Beschwerdeindex SUP+ SUPSUV+ SUV-

hohe partnerschaftliche soziale Unterstützung niedrige partnerschaftliche soziale Unterstützung hohe Vorgesetztenunterstützung niedrige Vorgesetztenunterstützung

Abbildung 21: Mittlerer Beschwerdeindex in Abhängigkeit der Kombination von Unterstützung durch den Partner und den Vorgesetzten

Das geringste Beanspruchungssaumaß bezogen auf psychosomatische Beschwerden wird bei Personen mit einer hohen Unterstützung durch den Partner bei gleichzeitig hoher Unterstützung durch den Vorgesetzten erreicht (M = 1.71, SD = 0.41), das höchste bei Personen mit geringer partnerschaftlicher und geringer Vorgesetztenunterstützung (M = 2.11, SD = 0.52). Leistet nur der Partner Unterstützung (M = 1.94, SD = 0.58) ist der Beschwerdeindex zwar höher als bei der zweiseitigen Unterstützung, allerdings noch immer geringer als durch die alleinige Vorgesetztenunterstützung bei ausbleibender partnerschaftlicher Unterstützung. (M = 2.08, SD = 0.46) Der Kruskal-Wallis-Test weist Signifikanz hinsichtlich der Unterschiede in der zentralen Tendenz des Beschwerdeindexes zwischen den verschiedenen Kombinationen des Unterstützungsgrades der beiden Unterstützungsquellen des Partners und des Vorgesetzten auf (χ2(3) = 17.493, p = .001, n = 149). Durch die Anwendung des DunnBonferroni-Tests lässt sich zudem identifizieren, welche Gruppen sich signifikant voneinander unterscheiden. Der Wegfall der Vorgesetztenunterstützung

7.6 Testung von Einflusshypothesen

163

(SUV-) bei bestehender Partnerunterstützung (SUP+) ergibt keine signifikante Erhöhung des Beschwerdeindexes (z = -1.554, p > .05). Dagegen steigt das psychosomatische Beschwerdeausmaß signifikant bei Wegfall des Partners als Unterstützungsquelle (SUP-) trotz Unterstützung durch den Vorgesetzten (SUV+) im Vergleich zur zweiseitigen Unterstützung (SUP+ SUV+) (z = -3.005, p = .016). Der Wegfall beider Unterstützungsquellen (SUP- SUV-) äußert sich ebenfalls in einer signifikanten Steigerung im Beschwerdeindex im Vergleich zu einem hohen Unterstützungsgrad sowohl durch den Partner als auch durch den Vorgesetzten (SUP+ SUV+) (z = -3.937, p = .000). Das Fehlen partnerschaftlicher Unterstützung erweist sich demnach als wesentliche Determinante für ein erhöhtes Erleben psychosomatischer Beschwerden. Im weiteren Verlauf stellt sich nun die Frage nach dem Einfluss der sozialen Unterstützung auf den Befindensparameter der psychosomatischen Beschwerden als Gesundheitsindikator unter Kontrolle weiterer möglicher einflussnehmender Faktoren. Basierend auf theoriegeleiteten Vorannahmen lassen sich die in Tabelle 27 dargestellten Variablen zur weiteren Erklärung heranziehen.

164

7 Ergebnisse der quantitativen Vorstudie

Tabelle 27: Baseline-Charakteristika für die logistische Regressionsanalyse

Alter (metrisch)

schlechte Gesundheit (M > 1.90)

gute Gesundheit (M ≤ 1.90)

M

46.11

46.97

MD

46.50

48.00

SD

8.98

8.44

n

116

117

Geschlecht (binär)

männlich

39 (37.9 %)

64 (62.1 %)

weiblich

79 (59.8 %)

53 (40.2 %)

GSK (nominal)

androgyn

32 (45.1 %)

39 (54.9 %)

maskulin

23 (43.4 %)

30 (56.6 %)

feminin

31 (58.5 %)

22 (51.5 %)

undiff.

27 (50.9 %)

26 (49.1 %)

M

2.51

2.14

MD

2.41

2.13

SD

0.48

0.44

n

118

119

M

3.32

3.74

MD

3.33

4.00

SD

0.97

1.05

n

117

117

M

3.58

3.93

MD

3.67

4.00

SD

0.84

0.74

n

118

116

M

4.01

4.49

MD

4.00

4.67

SD

0.83

0.75

Belastungsindex (metrisch)

SU Vorgesetzte (metrisch)

SU Kollegen (metrisch)

SU Partner (metrisch)

SU Andere (metrisch)

n

95

103

M

3.13

3.31

MD

3.00

3.67

SD

1.02

1.22

n

115

117

Test

Testergebnis

Signifikanz

Mann- U = 7115.500 Whitney- z = 0.641 U-Test p = .521

n.s.

Chiχ2 = 11.185 Quadrat- df = 1 Test p = .001

sign.

Chiχ2 = 3.093 Quadrat- df = 3 Test p = .377

n.s.

Mann- U = 3870.500 Whitney- z = -5.977 U-Test p = .000

sign.

Mann- U = 8535.500 Whitney- z = 3.284 U-Test p = .001

sign.

Mann- U = 8594.000 Whitney- z = 3.413 U-Test p = .001

sign.

Mann- U = 6655.500 Whitney- z = 4.504 U-Test p = .000

sign.

Mann- U = 7563.500 Whitney- z = 1.647 U-Test p = .100

n.s.

Anmerkungen. n = gültige Fälle; M = arithmetisches Mittel; MD = Median; SD = Standardabweichung; SU = Soziale Unterstützung; n.s. = nicht signifikant; sign. = signifikant

7.6 Testung von Einflusshypothesen

165

Anhand der Baseline-Charakteristika lassen sich bereits relevante unabhängige Variablen mit signifikanten Unterschieden in den beiden Gruppen guter und schlechter Gesundheit identifizieren. Während das Geschlecht, das Belastungsausmaß sowie die soziale Unterstützung bei Problemen in der Arbeit durch Vorgesetzte, Kollegen und den Partner für den Grad der Gesundheit statistische Relevanz aufweisen, scheinen das Alter, das Geschlechtsrollenselbstkonzept sowie die soziale Unterstützung durch andere Personen außerhalb der Arbeit für die Entwicklung einer guten oder schlechten Gesundheit unbedeutend zu sein. Dennoch werden alle Kriterien zur Absicherung in das anfängliche Regressionsmodell aufgenommen. Die Tabelle 28 zeigt die Ergebnisse des anfänglichen Regressionsmodells, in dem alle vermuteten unabhängigen Variablen Einzug finden. Tabelle 28: Startmodell der binär logistischen Regressionsanalyse Regressionskoeffizient β

Standardfehler

Wald

Signifikanz

Exp(β) Odds Ratio

Alter

-0.010

0.022

0.216

.642

0.990

Geschlecht

-1.174

0.385

9.305

.002

0.309

GSK

-0.043

0.155

0.078

.781

0.958

Belastungsindex

-1.994

0.500

15.871

.000

0.136

SU Vorgesetzte

-0.228

0.204

1.255

.263

0.796

SU Kollegen

0.145

0.244

0.355

.551

1.156

SU Partner

0.613

0.260

5.533

.019

1.845

SU Andere

0.159

0.186

0.738

.390

1.173

Konstante

4.250

2.475

2.949

.086

70.097

Anmerkungen. Kodierung der abhängigen Kriteriumsvariable: 0 = schlechte Gesundheit, 1 = gute Gesundheit. Der Regressionskoeffizient β kennzeichnet den Logit-Wert, dessen Vorzeicheninterpretation die Richtung des Einflusses anzeigt. Exp(β) kennzeichnet den Odd-Wert und drückt das Chancenverhältnis des Eintretens der Kriteriumsvariablen auf Basis der Steigerung der Prädiktorvariablen um jeweils eine Einheit aus (Backhaus, 2006).

Wie bereits in der Baseline Charakteristika ersichtlich wurde, lassen sich das Alter, das Geschlechtsrollenselbstkonzept und die soziale Unterstützung durch andere Personen außerhalb der Arbeit als relevante Einflussfaktoren auf die Ausprägung einer guten oder schlechten Gesundheit in dem Anfangsmodell statis-

166

7 Ergebnisse der quantitativen Vorstudie

tisch nicht absichern. Zudem wird deutlich, dass sowohl die soziale Unterstützung durch Vorgesetzte als auch durch Kollegen eine Irrtumswahrscheinlichkeit von fünf Prozent deutlich überschreiten. Das nach der Rückwärtselimination finale binär logistische Regressionsmodell beruht auf 182 von 237 Fällen, die in die Analyse eingegangen sind. Der Omnibus-Test der Modellkoeffizienten weist die statistische Signifikanz des finalen Regressionsmodells aus (χ2(3) = 46.665, p = .000, n = 182). Zur weiteren Einschätzung der Güte des Regressionsmodells werden im Folgenden die Pseudo-R2-Statistiken sowie die Klassifikationstabelle mit der Angabe des Prozentsatzes der richtigen Zuordnungen berichtet. Die Pseudo-R2-Statistiken nehmen eine Schätzung der erklärten Kriteriumsvarianz vergleichbar zum Bestimmtheitsmaß R2 der linearen Regression vor, wobei dies bei dem Pseudo-Bestimmtheitsmaß allerdings auf Basis einer Verhältnisberechnung vom Likelihood des Nullmodells und des vollständigen Modells geschieht (Backhaus, 2006). Nach Backhaus (2006, S. 449) ist bei der Bewertung der Modellanpassung Nagelkerke-R2 neben Cox und Snell-R2 und McFaddens-R2 zu bevorzugen, da der Wert eine „[...] eindeutige inhaltliche Interpretation erlaubt“. Im vorliegenden finalen Regressionsmodell kann bei einem Wert von Nagelkerke-R2 = .302 von einem akzeptablen Modellfit gesprochen werden. Demnach erklären die einbezogenen unabhängigen Variablen 30,2 % der Varianz der Kriteriumsvariable (in diesem Fall eine gute Gesundheit). Die Klassifikationsergebnisse liefern zusätzliche Hinweise zur Anpassungsgüte (Rohrlack, 2009). Die Trefferquote einer rein zufälligen Gruppentrennung liegt bei 52,2 %. Auf Basis des Regressionsmodells werden 70,3 % der Elemente richtig zugeordnet, was einer Verbesserung der Gruppenzuteilung um 18,1 % entspricht und damit ebenfalls akzeptabel ist. In der Tabelle 29 sind die im finalen Regressionsmodell inkludierten unabhängigen Variablen aufgelistet. Als Prädikatoren für eine gute Gesundheit können das Geschlecht, der Belastungsindex bezogen auf einen Gesamtscore der Arbeitsbelastungen sowie die Unterstützung durch den Partner bei Problemen in der Arbeit identifiziert werden.

7.6 Testung von Einflusshypothesen

167

Tabelle 29: Finales Modell der binär logistischen Regressionsanalyse

Regressions- Standardkoeffizient β fehler

Exp(β) 95 % Odds KonfidenzRatio intervall Exp(β)

Wald

Signifikanz

Geschlecht

-1.035

0.346

8.970

.003

0.355

0.180

0.699

Belastungsindex

-1.745

0.425

16.882

.000

0.175

0.076

0.402

SU Partner

0.698

0.232

9.078

.003

2.010

1.276

3.165

Konstante

2.763

1.606

2.961

.085

15.851

Anmerkungen. Kodierung der abhängigen Kriteriumsvariable: 0 = schlechte Gesundheit, 1 = gute Gesundheit. Der Regressionskoeffizient β kennzeichnet den Logit-Wert, dessen Vorzeicheninterpretation die Richtung des Einflusses anzeigt. Exp(β) kennzeichnet den Odd-Wert und drückt das Chancenverhältnis des Eintretens der Kriteriumsvariablen auf Basis der Steigerung der Prädiktorvariablen um jeweils eine Einheit aus (Backhaus, 2006). Die Variable 'Geschlecht' ist mit 0=männlich und 1=weiblich kodiert. Der Belastungsindex und die soziale Unterstützung (SU) durch den Partner sind metrisch und umfassen einen möglichen Wertebereich von 1 (sehr niedrig) bis 5 (sehr hoch).

Während das weibliche Geschlecht sowie ein steigendes Ausmaß des Arbeitsbelastungsindex anhand des Regressionskoeffizienten β einen negativen Einfluss auf einen guten Gesundheitszustand ausüben, wirkt sich eine Steigerung der sozialen Unterstützung durch den Partner positiv auf das Erreichen einer guten Gesundheit aus. Frauen haben im Regressionsmodell eine 0.36-fach geringere Chance auf eine gute Gesundheit als Männer. Wird das Belastungsausmaß bezogen auf arbeitsbedingte Belastungen um einen Indexwert erhöht, so sinkt die Chance auf eine gute Gesundheit um das 0.18-fache. Hingegen verdoppelt sich die Chance auf eine gute Gesundheit bei Erhöhung des Skalenwertes der sozialen Unterstützung durch den Partner bei arbeitsbezogenen Problemen um den Wert eins. Die abzuleitende Regressionsgleichung für eine gute Gesundheit basierend auf den Prädiktoren lautet wie folgt: 𝑧 = 2.763 − 1.035 ∙ 𝐺𝑒𝑠𝑐ℎ𝑙𝑒𝑐ℎ𝑡 − 1.745 ∙ 𝐵𝑒𝑙𝑎𝑠𝑡𝑢𝑛𝑔𝑠𝑖𝑛𝑑𝑒𝑥 + 0.689 ∙ 𝑆𝑈 𝑃𝑎𝑟𝑡𝑛𝑒𝑟 Unter Verwendung der nachfolgenden Gleichung lässt sich die Wahrscheinlichkeit einer guten Gesundheit für einzelne Merkmalsausprägungen berechnen:

168

𝑝(𝑦 = 1) =

7 Ergebnisse der quantitativen Vorstudie

𝑒𝑧 1 + 𝑒𝑧

𝑝(𝑔𝑢𝑡𝑒 𝐺𝑒𝑠𝑢𝑛𝑑ℎ𝑒𝑖𝑡) 2.7182818284592.763−1.035∙Geschlecht−1.745∙Belastungsindex+0.689∙SU Partner = 1 + 2.7182818284592.763−1.035∙Geschlecht−1.745∙Belastungsindex+0.689∙SU Partner Tabelle 30 enthält beispielhafte Kombinationen relevanter Merkmalsausprägungen der Regressoren, aus denen sich die Wahrscheinlichkeit für das Erreichen einer guten Gesundheit ableiten lässt. Tabelle 30: Wahrscheinlichkeiten zum Erreichen einer guten Gesundheit bei der Kombination von Merkmalsausprägungen SU Partner niedrig (Wert = 1,67)

SU Partner hoch (Wert = 4,67)

Belastung niedrig (Wert = 1,67)

73.1 %

95.5 %

Belastung hoch (Wert = 3,67)

7.7 %

39.6 %

Belastung niedrig (Wert = 1,67)

49.1 %

88.4 %

Belastung hoch (Wert = 3,67)

2.9 %

18.9 %

Männer (Wert = 0)

Frauen (Wert = 1)

Bei einer hohen Ausprägung des Arbeitsbelastungsausmaßes haben Männer eine Wahrscheinlichkeit von 7.7 % und Frauen lediglich von 2.9 % eine gute Gesundheit zu erreichen, wenn sie gleichzeitig nur eine geringes Ausmaß an partnerschaftlicher sozialer Unterstützung bei den arbeitsbezogenen Problemen aufweisen. Hingegen kann die Wahrscheinlichkeit für das Erreichen einer guten Gesundheit bei Männern auf 39.6 % und bei Frauen auf 18.9 % erhöht werden, wenn sie bei einer hohen Ausprägung der Arbeitsbelastungen auch ein hohes Ausmaß an sozialer Unterstützung durch den Lebenspartner erfahren. Die Wahrscheinlichkeit für einen guten Gesundheitszustand konnte bei den Männern durch eine gut ausgeprägte soziale Unterstützung durch den Partner deutlich mehr gesteigert werden als bei den Frauen. Am wahrscheinlichsten tritt ein guter Gesundheitszustand bei beiden Geschlechtern bei einem niedrigen Belastungsausmaß und gleichzeitig hoher partnerschaftlicher Unterstützung ein. Demnach

7.6 Testung von Einflusshypothesen

169

kann die Hypothese 3-3 bestätigt werden, dass die partnerschaftliche soziale Unterstützung bei Problemen in der Arbeit die Gesundheit positiv beeinflusst. Dennoch stellt sich weiterhin die Frage, ob soziale Unterstützung zusätzlich die negativen Auswirkungen der Belastung abpuffert und auf diesem Wege ebenfalls Einfluss auf die Gesundheit nimmt. Hierfür wurde mittels des PROCESS Makros für SPSS eine Moderationsanalyse gerechnet. Dabei ging die abhängige Variable der psychosomatischen Beschwerden als negativer Gesundheitsindikator in der metrischen Ursprungsform in die Analyse ein. Als Prädiktoren wurden der Belastungsindex und die soziale Unterstützung durch den Partner sowie der Interaktionsterm zwischen Belastung und Unterstützung aufgenommen. Sowohl der Belastungsindex als auch die soziale Unterstützung wurden im Vorfeld mittelwertzentriert, um neben möglichen Moderationseffekten auch zusätzlich Aussagen über mögliche Direkteffekte treffen zu können. Model 1 des PROCESS Makros rechnet eine einfache Moderationsanalyse und fügt den Interaktionsterm automatisch hinzu. Die Ergebnisse sind der Tabelle 31 zu entnehmen. Tabelle 31: Moderationsanalyse mit PROCESS für SPSS Regressions- Standardkoeffizient β fehler

95 % Konfidenzintervall

t

Signifikanz

Konstante

2.001

0.038

52.070

.000

1.925

SU Partner (MW-Z)

-0.113

0.047

-2.387

.018

-0.206 -0.020

Belastungsindex (MW-Z)

0.442

0.082

5.410

.000

0.281

0.603

Interaktion

0.059

0.085

0.689

.492

-0.109

0.226

2.076

Anmerkungen. Das Ausmaß der 'psychosomatischen Beschwerden' als negativer Gesundheitsindikator geht als abhängige metrische Variable in die Analyse ein. Die unabhängigen metrischen Variablen 'Belastungsindex' und 'SU Partner' werden im Vorfeld der Analyse mittelwertzentriert (MW-Z). Interaktion beschreibt den Interaktionsterm 'Belastungsindex (MW-Z) x SU Partner'. F(3,194)=14.000, p=.000, R²=0.178, n=198

Das Modell erklärt signifikant 17.8 % (F(3,194)=14.000, p=.000, R²=0.178, n=198) der Varianz des Ausmaßes der psychosomatischen Beschwerden. Allerdings lässt sich der postulierte Moderationseffekt der partnerschaftlichen Unterstützung auf das Belastungsausmaß statistisch nicht absichern (β = 0.059, p = .492). Dafür können die Direkteffekte des Belastungsausmaßes (β = 0.442,

170

7 Ergebnisse der quantitativen Vorstudie

p = .000) und der sozialen Unterstützung durch den Partner bei arbeitsbezogenen Problemen (β = -0.113, p = .018) auf den Grad der psychosomatischen Beschwerden nachgewiesen werden. Anhand der Abbildung 22 lässt sich der fehlende Interaktionseffekt grafisch verdeutlichen. Grafische Analyse der Interaktion Ausmaß der psychosomatischen Beschwerden

3 SU Partner < Ø

2,5

SU Partner = Ø SU Partner > Ø

2 1,5 1

Belastung < Ø

Belastung =Ø

Belastung > Ø

Ausmaß des Belastungsgrades Abbildung 22: Grafische Darstellung von Interaktionseffekten

Zwar weisen überdurchschnittlich unterstützte Personen generell ein geringeres Ausmaß an psychosomatischen Beschwerden als durchschnittliche und die wiederum als unterdurchschnittlich durch den Partner Unterstützte auf, allerdings findet sich dieser Zusammenhang über alle Belastungsgrade hinweg. Mit steigendem Belastungsgrad steigt auch das Ausmaß der psychosomatischen Beschwerden in allen drei Unterstützungsgruppen. Damit muss Hypothese 3-4, nach der die soziale Unterstützung durch den Lebenspartner die Auswirkung der Belastung auf die Gesundheit abpuffert, abgelehnt werden.

8

Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

Nachdem die quantitative Vorstudie bereits einen wichtigen Stellenwert des Partners im Kontext der Bewältigung von Arbeitsbelastungen zeigen konnte, stellt die qualitative Hauptstudie die konkrete Rolle des Partners bei der Bewältigung der Arbeitsbelastungen stärker in den Vordergrund. Dabei wird der Fokus auf eine beschreibende Analyse der einzelnen Bestandteile der Unterstützungsinteraktion gelegt. Es erfolgt sowohl eine einzelfallbezogene Auswertung differenziert aus der Sicht als Unterstützungsempfänger und Unterstützungsgeber, als auch eine Integration der einzelnen Bestandteile in einem paarbezogenen Abgleich des Unterstützungsprozesses. 8.1

Soziodemographie

Die qualitative Studie fußt auf insgesamt 13 Paaren bzw. 26 einzelnen Interviewteilnehmern. Das durchschnittliche Alter der Stichprobe liegt bei 45 Jahren (M = 44.50, SD = 9.32, MD = 46.50). Dabei zeigt sich eine große Spannweite des Alters. Das Alter der jüngsten Teilnehmerin beträgt 28 Jahre, das den ältesten bereits 62 Jahre. Eine große Variation zeigt sich ebenfalls in dem Geschlechtsrollenselbstkonzept. Es gibt einen großen Anteil von jeweils zehn Personen an androgynen (39 %) und maskulinen (39 %) Befragten. Lediglich vier Teilnehmer sind dem Geschlechtsrollenselbstkonzept feminin (15 %) und zwei undifferenziert (8 %) zuzuordnen. Dabei ist insbesondere bei den Frauen eine relativ hohe Anzahl an maskulinen Personen (31 %, n = 4) und eine vergleichsweise geringe Anzahl an femininen Personen zu verzeichnen (15 %, n = 2). Hinsichtlich der Variation des Geschlechtsrollenselbstkonzepts ergeben sich sieben verschiedene Kombinationsmöglichkeiten, wobei die Kombination eines maskulinen mit einem androgynen Partner mit drei zugehörigen Paaren die häufigste ist. Wird zudem das Geschlecht berücksichtigt, sind bei 13 Paaren bereits zehn verschiedene Paarkombinationen möglich. Anhand der genauen Schilderung der aktuellen beruflichen Tätigkeit lassen sich die Berufsgruppen zuordnen, die sich mitunter aufgrund der detaillierten Angabe der Aufgaben von der Zuordnung innerhalb der quantitativen Studie, die sich einzig auf die Berufsbezeichnung stützte, unterschieden kann. Die beiden größten Berufsgruppen sind mit jeweils 11 Personen und einem Anteil von 42 % die Bereiche 'Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung' sowie 'Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Niemann, Die Rolle des Partners und der Partnerin bei der Bewältigung arbeitsbedingter Belastungen, Gesundheitspsychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24906-9_8

172

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

und Verwaltung'. Innerhalb ihrer Tätigkeit nehmen 42 % (n = 11) der Teilnehmer aktuell eine Leitungsfunktion wahr. In der Tabelle 32 werden die Teilnehmer noch einmal im Detail unter soziodemographischen Gesichtspunkten dargestellt. Tabelle 32: Übersicht über die Interviewteilnehmer Führung

Geschlecht Alter GSK

Berufsgruppe

I-m-228

männlich

53

feminin

Vetrieb & Öffentlichkeitsarbeit

nein

I-w-228

weiblich

51

androgyn

Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht & Verwaltung

nein

I-m-411

männlich

47

androgyn

Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht & Verwaltung

ja

I-w-411

weiblich

47

androgyn

Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht & Verwaltung

nein

I-m-516

männlich

46

androgyn

Naturwissenschaft, Geographie & Informatik

nein

I-w-516

weiblich

43

maskulin

Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht & Verwaltung

ja

I-m-544

männlich

48

androgyn

Gesundheit, Soziales, Lehre & Erziehung

nein

I-w-544

weiblich

46

undifferenziert

Gesundheit, Soziales, Lehre & Erziehung

ja

I-m-549

männlich

40

feminin

Gesundheit, Soziales, Lehre & Erziehung

nein

I-w-549

weiblich

41

maskulin

Gesundheit, Soziales, Lehre & Erziehung

nein

I-m-568

männlich

56

androgyn

Rohstoffgewinnung, Produktion & Fertigung

nein

I-w-568

weiblich

47

androgyn

Gesundheit, Soziales, Lehre & Erziehung

ja

I-m-673

männlich

62

maskulin

Gesundheit, Soziales, Lehre & Erziehung

nein

I-w-673

weiblich

59

undifferenziert

Gesundheit, Soziales, Lehre & Erziehung

nein

Beziehung 20 Jahre, mit Kindern

28 Jahre, mit Kindern

12 Jahre, ohne Kinder

11 Jahre, mit Kindern 15 Jahre, mit Kindern

27 Jahre, mit Kindern

41 Jahre, ohne Kinder

8.1 Soziodemographie

173

I-m-674

männlich

32

androgyn

Gesundheit, Soziales, Lehre & Erziehung

nein

I-w-674

weiblich

28

feminin

Gesundheit, Soziales, Lehre & Erziehung

nein

I-m-695

männlich

53

maskulin

Verkehr, Logistik, Schutz & Sicherheit

ja

I-w-695

weiblich

52

androgyn

Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht & Verwaltung

nein

I-m-NE01

männlich

33

maskulin

Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht & Verwaltung

ja

I-w-NE01

weiblich

39

androgyn

Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht & Verwaltung

ja

I-m-NE02

männlich

35

maskulin

Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht & Verwaltung

ja

I-w-NE02

weiblich

26

feminin

Gesundheit, Soziales, Lehre & Erziehung

nein

I-m-NE03

männlich

43

maskulin

Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht & Verwaltung

ja

I-w-NE03

weiblich

30

maskulin

Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht & Verwaltung

ja

I-m-NE04

männlich

51

maskulin

Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht & Verwaltung

ja

Gesundheit, Soziales, Lehre & Erziehung

nein

I-w-NE04

weiblich

49

maskulin

9 Jahre, mit Kindern

36 Jahre, ohne Kinder

10 Jahre, mit Kindern

4 Jahre, ohne Kinder

2 Jahre, mit Kindern

19 Jahre, ohne Kinder

Anmerkungen. Die Angabe mit oder ohne Kinder bezieht sich auf den Status, ob Kinder aktuell im Haushalt des Paares leben.

Neben der Variation der individuellen soziodemographischen Merkmale, werden auch in der Paarzusammenstellung über die unterschiedlichen Kombinationen im Geschlechtsrollenselbstkonzept weitere heterogene Kennzeichen deutlich. Die teilnehmenden Paare sind im Durchschnitt 18 Jahre liiert (M = 18.00, SD = 11.54, MD = 15.00), wobei die Beziehungsdauer dabei von 2 bis längstens 41 Jahren variiert. Bei acht Paaren (61.5 %) leben zum Befragungszeitpunkt

174

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

Kinder mit im gemeinsamen Haushalt. Die weiteren fünf Paare (35.5 %) haben entweder keine Kinder oder diese haben den Haushalt bereits verlassen. 8.2

Belastung, Beanspruchung und Bewältigungsverhalten

Die Analyse der einzelnen Elemente im Unterstützungsprozess erfordert im Vorfeld eine Auseinandersetzung mit der Belastungssituation der Teilnehmer. Von besonderem Interesse ist neben der Art der Arbeitsbelastung auch deren Auswirkungen, die die Interviewten in dem Zusammenhang wahrnehmen. Sowohl die Art der Belastung, das Belastungsausmaß sowie die Fehlbeanspruchungsfolgen können den Probanden zu einem Bewältigungshandeln veranlassen, bei dem die Suche nach sozialer Unterstützung durch arbeitsbezogene aber auch private Netzwerkmitglieder eine mögliche Strategie darstellen kann. 8.2.1 Arbeitsbelastungen Anhand der einzelnen Beschreibungen belastender Aspekte in der Arbeit ergeben sich sechs Merkmalsbereiche, denen wiederum verschiedene Arbeitsmerkmale in ihrer kritischen Ausprägung zugeordnet werden können (siehe Tabelle 33). Tabelle 33: Angabe der Arbeitsbelastungen und Anzahl der Probanden

Arbeitsaufgabe

Arbeitsorganisation Unternehmenskultur/politik

Soziale Beziehungen

Subcodes

Anzahl

»

Emotionale Inanspruchnahme durch Humanarbeit

13

»

Verantwortung

2

»

Komplexität

4

»

Rollenkonflikte

6

»

Arbeitsintensität

16

»

Störungen

3

»

Unsicherheit

3

»

Unternehmensdruck

2

»

Personalpolitik

2

»

fehlende Anerkennung

1

»

Unternehmensstrukturen

1

»

Kollegen

8

»

Vorgesetzte

6

8.2 Belastung, Beanspruchung und Bewältigungsverhalten

Arbeitsumgebung

Persönliche Faktoren

175

»

physikalische Faktoren

1

»

physische Faktoren

3

»

Arbeitsplatzgestaltung

1

»

Arbeitsmittel

1

»

Innere Stressverstärker

5

»

Äußere Stressverstärker

1

»

Vereinbarkeit Beruf und Familie

1

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

Es lassen sich drei große Merkmalsbereiche identifizieren, die für einen Großteil der Interviewten mit kritischen Arbeitsbelastungen einhergehen. Hierbei handelt es sich um Belastungen aus der Arbeitsaufgabe, der Arbeitsorganisation sowie den sozialen Beziehungen. Für die Hälfte der Personen (n = 13) ist mit ihrer Tätigkeit eine emotionale Inanspruchnahme durch die Arbeit mit Menschen ein nennenswerter Belastungsfaktor. Dabei können unterschiedliche Dimensionen die belastende Inanspruchnahme hervorrufen. Ein Mitarbeiter mit Klientenkontakt empfindet das ständige Eingehen auf die Bedürfnisse seiner Klienten als belastend. „Stress verursacht auch natürlich diese Beratungsgespräche, so an sich ständig mit Menschen zu tun zu haben, sich deren Probleme anzuhören, nicht mal, nicht mal dass ich deren Probleme zu meinen mache, also so professionell muss man dann ja schon sein, aber eher, wenn es einem, wenn es einfach zu viel wird, wenn man zu viel hört, wenn man zu viel spricht [...].“ (I-m-674; 203:206) Daneben können aber auch Bedrohungssituationen und Gewalt im Umgang mit anderen Menschen zu dem Merkmalsbereich gehören, wie ein Mitarbeiter aus dem Bereich Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit schildert. „[...] wir haben dann auch mit mit körperlichen Einsatz teilweise zu machen, wenn wir da so auch mal betrunkene Leute an Bord haben, die dann also handgreiflich werden und so weiter, dann müssen wir das auch mal dann körperliche Gewalt anwenden [...]“ (I-m-695, 292:295) Eine weitere Teilnehmerin mit Klientenkontakt schildert aber auch emotional berührende Erlebnisse, die Fehlbeanspruchungsfolgen auslösen.

176

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

„Teilweise war ich sehr bestürzt. Und wenn ich nach Hause kam, habe ich auch teilweise geweint. Es war schon so, dass das denn auch irgendwo, das musste dann auch irgendwo so ein bisschen raus dann, wenn das sind viele Sachen, die dokumentiert wurden durch Fotos, wenn Kinder misshandelt wurden. Da hatte man natürlich immer diese Bilder da. Und wenn sie, wenn man diese Akten verwaltet ist es natürlich auch immer dann präsent. Und das ist das ist finde ich sehr sehr schlimm so etwas dann. Und das berührt mich dann doch schon.“ (I-w-695, 123:125) Innerhalb des Merkmalsbereiches der Arbeitsaufgabe ergeben sich für nahezu ein Viertel der Interviewpartner (n = 6) Rollenkonflikte bei der Ausübung ihrer Tätigkeit. Eine Angestellte aus dem Gesundheitssektor nennt in diesem Zusammenhang beispielsweise den Zwang zur Anwendung medizinischer Hilfeleistungen bei der Gewissheit der Aussichtlosigkeit der Therapieleistungen. „Das schwierigste ist, sind Momente, wenn ich sehe, dass . wie soll ich das jetzt ausdrücken, ist jetzt ein bisschen heikel. Wenn ich weiß der Patient hat vielleicht wirklich nur noch eine Woche, gehen wir jetzt mal von diesem Extremfall aus. Und wir eigentlich an diesem Menschen noch rumtüdeln. Dann heißt es, häufig sind es oft Angehörige, die sagen „Bitte tun Sie alles, dass, wir möchten noch irgendwie, dass er noch bestrahlt wird.“ Obwohl wir wissen, wir haben eigentlich keine Chance. (I-w-674, 94:98) Für einzelne Befragte ergeben sich zudem auch aus der zunehmenden Komplexität der Arbeitsaufgaben und den damit verbundenen Anforderungen und Reizen sowie durch die hohe Verantwortung, die mit dem Beruf verknüpft ist, Fehlbelastungen. Für die überwiegende Mehrheit der Befragten (n = 16) stellt die Arbeitsintensität einen wesentlichen Belastungsfaktor in dem Merkmalsbereich der Arbeitsorganisation dar. Hierzu gehört die zunehmende Arbeitsmenge, die exemplarisch ein männlicher Teilnehmer schildert. „[...] deswegen ist es im Moment so, dass ich auch von der vom Arbeitsvolumen her völlig überlastet bin, weil die Stellen im gehobenen Dienst sind alle zusammen gestrichen worden, ich bin im Grunde der einzige, der noch da ist [...]“ (I-m-411, 80:82) Eine Führungskraft benennt in dem Kontext seiner Arbeit, die stark projektbezogen abläuft, den Belastungsfaktor Zeitdruck.

8.2 Belastung, Beanspruchung und Bewältigungsverhalten

177

„[...] klar gibt es Belastungen, aber das sind projektgetr -- also ich habe das in dem Fragebogen auch als projektgeriebene Belastungen dargestellt. Da sind natürlich immer sowas wie wie Zeitdruck, weil wir haben Fertigstellungstermine, die einfach gehalten werden sollen [...]“ (I-mNE03, 54:56) Zur Kategorie der Arbeitsintensität zählen in der Stichprobe aber auch Nennungen hinsichtlich der Notwendigkeit von Überstunden, um dem Arbeitspensum gerecht zu werden, sowie eine wahrgenommene Arbeitsverdichtung innerhalb der eigentlichen vereinbarten Arbeitszeit. Vereinzelt erleben Teilnehmer auch Störungen und Unterbrechungen bei ihrer Tätigkeitsausübung als Belastung. Eine Vorgesetzte fasst die einzelnen Aspekte, die sich durch die ständigen Unterbrechungen ergeben, treffend zusammen. „Es ist ein Zeitfresser, weil ich jedes Mal, wenn ich jetzt z.B. ich schreibe gerade den Jahresbericht, und da muss ich mich schon konzentrieren. Und wenn ich denn, ich bin gerade in an einer Satzformulierung und hab es gerade, schreibe schon und es kommt jemand rein, will was wissen, dann bin ich unterbrochen und dann muss ich erstmal wieder: „Wie war der Gedanke und ich hatte doch grad so eine gute Formulierung, wie war das nochmal?“ (schmunzelt) Haha, weg. Und nochmal rein. Oder ich werd gerufen und ich geh dann da hin oder irgendwie sowas. Das sind die Unterbrechungen.“ (I-w-544, 108:113) Fehlbelastungen können in der untersuchten Stichprobe allerdings auch aus den sozialen Beziehungen resultieren. Hierbei scheint für nahezu ein Drittel der Personen (n = 8) ein hohes Konfliktpotenzial im Umgang mit Kollegen zu bestehen. Ein Mitarbeiter beschreibt Teamkonflikte, die bis hin zum Mobbing reichen können. „Ja, das kann also innerhalb des Teams zu zu zu kräftigen Meinungsverschiedenheiten kommen, dann zur Werft hin, dass es dann also ums Geld geht, das ist dann natürlich immer eine Frage. Dann findet das ganz normale Werftmobbing dort statt, dass man also, dass man versucht wird, ausgekickt zu werden [...]“ (I-m-695, 171-174) Neben Unstimmigkeiten unter den Kollegen kann aber auch das Vorgesetztenverhalten bzw. der Umgang mit der Führungskraft problembehaftet sein. Hiervon fühlt sich fast jeder vierte Interviewte belastet (n = 6). Die Dimensionen reichen

178

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

hierbei von kleinerer Reibereien und unterschiedlichen Ansichten, die in Auseinandersetzungen führen können, bis hin zu Aktivitäten, die ein Befragter ebenfalls dem Akt des Mobbings zuordnet. „[...] ich hatte dann auch direkt mit meinem Vorgesetzen ein Problem in in fachlicher Hinsicht [...]“ (I-m-411, 147:148) „[...] ich hatte wohlweislich über lange Zeit dann auch Unterlagen gesammelt, weil alles, was so in den Bereich auch Mobbing geht so, weiß man ja, du hast nur eine Chance, wenn du das irgendwo auch beweisen kannst [...]“ (I-m-411, 160:162) „ Und denn hat er mich da versucht niederzumachen und da war ich aber auch schon, ich sage mal, jenseits von Gut und Böse [...]“ (I-m-411, 166:167) Die Unternehmenspolitik kann für einen kleinen Teil der Teilnehmer ebenfalls mit Fehlbelastungen verknüpft sein. Eine Interviewte beklagt die Arbeitsplatzunsicherheit nach ihrer Ausbildungszeit. „Das ist einfach die Einstellungssituation, ob man denn, man hat so lange studiert und hat nun (die Ausbildung) fertig und ob man dann wirklich auch eingestellt wird.“ (I-w-NE02, 145:147) Vereinzelt empfinden Befragte Leistungsdruck, beklagen die Personalpolitik oder bemängeln die geleistete Anerkennung seitens des Unternehmens. Auch der Bereich der Arbeitsumgebung offenbart nur für einige Wenige belastende Aspekte. Lediglich die physischen Faktoren sind für drei Teilnehmer beanspruchend. Hierzu gehören die Arbeitshaltung auf kleinen Stühlen bei einer Mitarbeiterin im Erziehungsdienst (I-w-568) sowie das Heben und Tragen schwerer Geräte eines Selbstständigen (I-m-516) und die Gelenkbeanspruchung, die der Mitarbeiter aus dem Bereich Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit wahrnimmt (I-m-695). Neben den genannten Merkmalen gibt es auch persönliche Faktoren, die für die Teilnehmer belastend sein können. So weisen fünf Befragte interne Stressverstärker durch einen perfektionistischen Anspruch an die eigene Arbeit auf. Eine Führungskraft bringt es auf den Punkt. „[...] was mich auch stresst und belastet ist natürlich mein Perfektionsanspruch. Das ist ganz klar. Ganz wichtiger Punkt.“ (I-w-544, 279:280)

8.2 Belastung, Beanspruchung und Bewältigungsverhalten

179

Für einen Befragten wirkten die Geburt der Tochter und das Babygeschrei als externer Stressverstärker zu der emotionalen Inanspruchnahme durch die Arbeit mit seinen Klienten (I-m-674). Das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird von einer Teilnehmerin als zusätzliche Belastung zu den in der Arbeit liegenden Anforderungen empfunden. „B: [...] wenn jetzt irgendwo Dienstbesprechungen sind, an denen ich teilnehmen muss als QMB oder Veranstaltungen sind, das wird dann erwartet, dass ich da bin. Das heißt aber für mich auch, dass ich dann jedes Mal alles organisieren muss, was im privaten Umfeld ist. Und das ist etwas, was mich oft sehr stresst. Denn unser Sohn (Sohn) hat eben auch einen Terminkalender und dann (I. Wie alt ist er?) verabredet er. Er ist neun. Der ist dann auch verabredet und muss Hausaufgaben machen und er hat Gitarrenunterricht oder so viele Termin hat er gar nicht. Aber er hat doch schon welche. Oder will irgendwo zum spielen oder so. Und dann muss ich ihn abholen oder ich muss gucken, wo wo bleibt er dann, wenn ich nachmittags noch irgendwo bin, dass ich, muss ich dann immer organisieren. I: Sozusagen auch das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie. B: Ja genau, das ist auf jeden Fall ein Thema (schmunzelt). Es war bedeutend leichter, diese Dinge ohne Kind.“ (I-w-544, 247:258) Hinsichtlich der Ausprägung der einzelnen Belastungsmerkmale gibt es keine nennenswerten Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Allerdings gibt es Auffälligkeiten bei der Differenzierung nach der Führungsfunktion. So sind Interviewte ohne Leitungsfunktion deutlich häufiger von der emotionalen Inanspruchnahme durch die Humanarbeit betroffen als Führungskräfte. Zudem sind alle Nennungen zu den Merkmalen der Rollenkonflikte und Unsicherheiten den operativen Mitarbeitern zuzuordnen. Fast alle Mitarbeiter der Berufsgruppe 'Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung' (n = 10) erleben eine emotionale Inanspruchnahme durch die Humanarbeit, während es bei Arbeitnehmern der 'Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht und Verwaltung' lediglich zwei Personen als Belastung betrifft. 8.2.2 Belastungsausmaß Entscheidend ist neben der Art der Belastung auch das wahrgenommene Belastungsausmaß. Nicht jeder Teilnehmer empfindet die genannten Arbeitsmerkmale gleichermaßen intensiv und fehlbeanspruchend. So gibt es einzelne Befragte, die

180

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

generell über ein eher geringes Belastungsausmaß verfügen. Ein Angestellter hält fest: „Also ich, also jetzt momentan stelle ich nichts Belastendes fest.“ (I-m228, 33) Ein weiterer Teilnehmer gibt in dem Zusammenhang an, dass es letztlich auch entscheidend ist, ob die Anforderungen persönlich auch als stressbezogen wahrgenommen werden oder nicht. „[...] da muss man ja auch unterscheiden, ob man das immer für sich als Stress wahrnimmt oder als normales Tagesgeschäft, will ich mal so ausdrücken und das gibt selten etwas, was mich so aus der Ruhe bringt an der Stelle.“ (I-m-NE03, 65:67) Seine Partnerin empfindet die aktuellen Anforderungen ebenfalls derzeit nicht als subjektiv belastend, verweist aber darauf, dass sich diese Sichtweise durch eine anhaltende zeitliche Erstreckung negativ verändern kann. „Aktuell empfinde ich sie nicht als Belastung, aber ich weiß dass sie definitiv da ist. .. Ich glaube man kann das ein paar Jahre machen, würde aber behaupten, dass in 10 Jahren ich einfach auch mal Luft holen müsste.“ (I-w-NE03, 86:88) Eine Mitarbeiterin schließt sich diesem Verständnis an, dass das subjektive Belastungsausmaß mit steigender Dauer und Intensität zunimmt. „Ich glaube, man spürt die Belastung erst mit mit der Dauer. So, man kann .. eine kurzzeitige Hochleistung sehr wohl erbringen, aber wenn man -- also ein Sprint kann man ja sehr wohl erbringen, aber wenn man Marathon läuft, dann ist das doch noch eine wieder eine andere Belastung.“ (I-w-411, 75:77) Vereinzelt werden aber auch die positiven Effekte von Belastungen hervorgehoben und der Spaß, den die Arbeit und die Anforderungen bringen, betont. „[...] also ich ich lebe auch gerne mit dem Stress und . ja bin auch gerne bereit 55, 60 Stunden die Woche zu arbeiten, weil das was ich tue, mir auch Spaß bringt und auch der Stress daran mir Spaß bringt.“ (I-mNE02, 128:130) Grundsätzlich ist das Belastungsausmaß der Interviewteilnehmer allerdings nicht per se einem eher hohen oder eher geringen Ausmaß zuzuordnen. Vielmehr vari-

8.2 Belastung, Beanspruchung und Bewältigungsverhalten

181

iert der Belastungsgrad bei den einzelnen Personen abhängig von der Art der Belastung. In der Regel geben die Teilnehmer mehrere unterschiedliche Belastungsfaktoren an, deren Gewicht je nach Art der Anforderung für die Interviewten variieren kann. So kann die eine Belastung gut zu bewältigen sein, eine andere Anforderung allerdings subjektiv als stark belastend wahrgenommen werden. „[...] mit Problemen, mit mit viel Arbeit und so weiter kann ich wunderbar umgehen, bloß mit so so massiven Ungerechtigkeiten so, da habe ich ein riesen Problem [...]“ (I-m-411, 143:145) Ein Arbeitsmerkmal kann aber auch bei einer Person in der Wahrnehmung variieren. So hebt selbiger Teilnehmer beim Thema Arbeitsvolumen hervor, dass eine zu hohe Arbeitsmenge durchaus einen Belastungsfaktor darstellt, aber ein großes Arbeitsvolumen in Relation zu einer unterfordernden Arbeitsmenge zu bevorzugen ist. „Also eine Belastung ist natürlich einmal, wenn man zu viel Arbeit hat. Das ist aber nicht unbedingt oder auch nicht nur eine negative Belastung, sondern kann ja auch eine positive durchaus sein, weil ich das immer lieber habe, ja, ich habe viel zu tun als als irgendwie gar nichts, das ist klar.“ (I-m-411, 69:71) Grundsätzlich ist allerdings bei einem Drittel (n = 9) der Interviewten die Arbeitsintensität mit einem höheren Belastungsausmaß verknüpft, auch wenn der Belastungsgrad unter Berücksichtigung der Zeit und Intensität variiert. Zudem rufen die emotionale Inanspruchnahme durch die Humanarbeit, konfliktbehaftete soziale Beziehungen und auch die Arbeitsplatzunsicherheit einen höheren Belastungsgrad hervor. Unter Berücksichtigung des Geschlechts finden sich differenzierte Ergebnisse. So geben doppelt so viele Frauen (n = 6) im Vergleich zu den Männern (n = 3) an, eher stark belastet zu sein. Die Hinweise, Belastungen und Stress können durchaus auch positive Effekte hervorrufen, stammen ausschließlich von männlichen Probanden (n = 3). 8.2.3 Auswirkungen der Arbeitsbelastungen auf die Gesundheit Entsprechend der Ausführungen im Kapitel 2.4 können sich die Fehlbelastungen auf verschiedenen Ebenen im Individuum auswirken. Tabelle 34 zeigt die Aus-

182

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

wirkungen mit der Anzahl der Interviewten mit diesen Fehlbeanspruchungsfolgen. Tabelle 34: Angabe der Beanspruchungen und Anzahl der Probanden

Beanspruchungen

Subcodes

Anzahl

»

körperliche Auswirkungen

9

»

kognitive Auswirkungen

11

»

emotionale Auswirkungen

19

»

verhaltensbezogene Auswirkungen

8

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

Über dreiviertel der Probanden (n = 19) nehmen emotionsbezogene Auswirkungen der Arbeitsbelastungen wahr. Bei emotional beanspruchenden Tätigkeiten durch die Arbeit mit Menschen stellt sich bei einer Probandin eine starkes Gefühl von Bestürzung und Traurigkeit ein. „Teilweise war ich sehr bestürzt. Und wenn ich nach Hause kam, habe ich auch teilweise geweint. Es war schon so, dass das denn auch irgendwo, das musste dann auch irgendwo so ein bisschen raus dann, wenn, das sind viele Sachen, die dokumentiert wurden durch Fotos, wenn Kinder misshandelt wurden. Da hatte man natürlich immer diese Bilder da. Und wenn sie, wenn man diese Akten verwaltet, ist es natürlich auch immer dann präsent. Und das ist das ist finde ich sehr sehr schlimm so etwas dann. Und das berührt mich dann doch schon.“ (I-w-695, 123:128) Eine Vielzahl von Befragten reagiert bei den unterschiedlichsten Arten von Belastungen mit Ärger, Frustration, fühlt sich genervt oder erlebt eine innere Unzufriedenheit. Diese emotionsbezogenen Reaktionen sind für die Befragten letztlich auch das Anzeichen, dass sich die Belastungssituation bereits negativ auswirkt. „I: [...]aber woran Sie dann merken, dass es Sie wirklich belastet. B: Ja, so dieser Frust, also so Gereiztheit . muss ich sagen .. eben dieses frustriert sein, gereizt sein, ist es eben, und ja dadurch so ein bisschen, ich sage mal unglücklich sein.“ (I-m-NE-01, 222:225) Ärger, Frustration oder Gereiztheit beschreiben eher kurzfristige Auswirkungen, während die innere Unzufriedenheit oder auch das Gefühl unglücklich zu sein eher mittel- bis langfristige Reaktionen darstellen. Weitere Interviewpersonen

8.2 Belastung, Beanspruchung und Bewältigungsverhalten

183

benennen hierbei auch Gefühle der inneren Leere, berichten von Erschöpfungszuständen oder zeigen Anzeichen von Depressivität. „[...] der Akku ist so ein bisschen leer.“ (I-m-NE01, 232) „[...] ich hatte damals auch den Eindruck, dass ich so ein bisschen, schon depressiv, dass ich so .. ja manchmal so eine Leere und irgendwie habe mich nach der Arbeit die Treppe hochgeschleppt [..]“ (I-m-674, 200:202) „[...] insofern war der Freizeitbereich sehr eingeschränkt und da ist halt so, dass man jetzt zum Jahreswechsel, dass da also bei mir auch wirklich schon in Richtung ausgebrannt sein hinging. [...]“ (I-m-695, 106:108) Auf der kognitiven Ebene wirken sich die Belastungen bei den Interviewpartnern verstärkt in Grübeleien und Gedankenkreiseln aus, die sich nicht nur über den Tag bemerkbar machen, sondern insbesondere nachts in Ruhephasen präsent werden, wie eine Mitarbeiterin mit Klientenkontakt erzählt. „I: [...] Merken Sie da, dass das auch Auswirkungen auf Sie hat? B: Ja, auch gerade in diesen extrem anspannenden Situationen. Auch Schlaf- abends, dass ich nachts wach werde und dann irgendwie an an irgendwas rum grübele. Mir kommen auch nachts einfach ganz viele tolle Ideen, muss ich leider immer sagen. Und dann denk ich immer, jetzt hör aber mal auf, daran zu denken und dann denke ich kurz an was anderes und auf einmal ist es dann doch wieder da. Und dann denke ich, nee, das geht so irgendwie gar nicht. Und nach einer Stunde irgendwie sind immer noch die Gedanken da und man arbeitet immer noch dran.“ (I-w-549, 187:193) Die Gedanken verhindern ein mentales Abschalten von der Arbeit in der Freizeit und die Themen werden auf diesem Weg auch in das häusliche Umfeld getragen. Über die emotionalen und kognitiven Beanspruchungen hinaus sind für jeden Dritten (n = 9) bereits körperliche Auswirkungen in Form von teils manifesten Krankheitsbildern spürbar. Die Erkrankungen reichen von Migräne (I-m-411, Iw-673), über Bandscheiben- und Gelenkprobleme (I-m-516; I-m-695, I-w-568), muskulären Verspannungen und Rückenschmerzen (I-w-411, I-w-568) bis hin zu Reizdarm (I-m-544), Tinnitus (I-m-674), Hörsturz (I-m-NE02; I-w-411), Neurodermitis (I-m-NE02) und Bluthochdruck (I-w-411). Nach Angaben der Befragten hängen die Erkrankungen mit den psychischen und physischen Belastungen zusammen und variieren mit dem arbeitsbezogenen Stress.

184

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

„[...] in den letzten drei Jahren oder vier Jahren ist dieser Zeitdruck ein bisschen viel geworden, und ich habe da gesundheitlich drauf reagiert, in dem ich ein, ja medizinische Diagnose ist ein sogenannter Reizdarm, psychosomatisch, stressbedingt [...]“ (I-m-544, 244:246) Die Beanspruchungen können sich aber auch in einem sichtbaren Verhalten zeigen, wie es bei immerhin acht Probanden der Fall ist. Relativ häufig stellt sich hierbei ein verändertes Essverhalten ein. Während ein Teilnehmer (I-m-695) von unkontrolliertem Essen und damit verbundenen Gewichtszunahmen erzählt, fällt einem weiteren Probanden (I-m-549) das Essen in Stresssituationen schwer, was zu einer reduzierten Nahrungsaufnahme führt. Ein Geschäftsführer (I-m-NE03) vergisst unter Zeitdruck Essen zu sich zu nehmen. Eine weitere Führungskraft (Im-NE02) vernachlässigt bei Arbeitsbelastungen seine Freizeit- und gesundheitsförderlichen Aktivitäten wie beispielsweise Sport, so dass seine Beanspruchung anhand der Abnahme von regenerativen Aktivitäten zu beobachten ist. Bei den weiblichen Interviewpartnern ist es in besonderem Maße anhand einer veränderten Kommunikation und einem unruhigen Verhalten sichtbar. Eine weibliche Führungskraft (I-w-544) wird zappelig und redet schneller. Eine weitere Vorgesetzte (I-w-NE01) wird hektisch und wortkarg. „I: Woran merken die das denn (lächelt)? B: Ja, das ich dann hektisch und auch nicht reden, sonst kann jeder hier kommen und dann bin ich auch nett und freundlich und offen, aber dann bin ich kurz, knapp und will auch nicht. Und das merken die.“ (I-w-NE01, 81:83) Die Geschlechter unterscheiden sich nicht nur in der Art der Verhaltensänderung unter Stress, sondern auch in dem Ausmaß körperlicher, kognitiver und emotionaler Beanspruchungen. Während doppelt so viele Männer (n = 6) im Vergleich zu den Frauen (n = 3) über körperliche Auswirkungen berichten, nehmen mehr als die Hälfte der Frauen (n = 7), aber weniger als ein Drittel der Männer (n = 4) kognitive Auswirkungen wahr. Auch bei den emotionalen Beanspruchungen ist das weibliche (n = 11) häufiger als das männliche Geschlecht (n = 8) vertreten. Unter Berücksichtigung des Geschlechtsrollenselbstkonzepts sind es allerdings nur zwei maskuline Teilnehmer, die körperliche Folgen wahrnehmen. Demgegenüber sind es dreimal so viele androgyne Probanden (n = 6), die physische Auswirkungen kommunizieren. Bezüglich der Angabe von stressbezogenen

8.2 Belastung, Beanspruchung und Bewältigungsverhalten

185

Erkrankungen offenbart das Geschlechtsrollenselbstkonzept demnach ein anderes Bild als das Geschlecht. 8.2.4 Strategien zum Umgang mit den Arbeitsbelastungen Die spürbaren Auswirkungen der Belastungen im Individuum können die Person zu einem Bewältigungshandeln veranlassen. „Wenn ich dann also nachts aufwache und von den Dingen träume und da nicht mehr von komme, das ist etwas, wo ich dann sage, so, jetzt wird es Zeit.“ (I-m-695, 389:390) Entsprechend der Einteilung nach Kaluza (2004) lassen sich die Strategien, dargestellt in der nachfolgenden Tabelle 35, in instrumentelle, kognitive und palliativ-regenerative Strategien zur Belastungsbewältigung einteilen. Tabelle 35: Angabe der Bewältigungsstrategien und Anzahl der Probanden

Bewältigungsstrategien

Subcodes

Anzahl

»

Instrumentelle Bewältigungsstrategien

15

»

Kognitive Bewältigungsstrategien

6

»

Palliativ-regenerative Bewältigungsstrategien

24

»

Aktivierung und Nutzung des sozialen Netzwerks

20

Vorgesetzte

9

Aktvierung und Nutzung » des sozialen Netzwerks »

Kollegen

14

»

Partner

8

»

Andere

2

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

Nahezu jeder Teilnehmer (n = 24) praktiziert palliativ-regenerative Strategien im Umgang mit Belastungen. Dabei sind sportliche Aktivitäten wie Joggen, Fahrradfahren oder auch Kraftsport bei einer Vielzahl von Teilnehmern sehr beliebt, um einen Ausgleich zur Arbeit zu haben und Abstand von den belastenden Arbeitsthemen zu gewinnen. Ein Selbstständiger segelt aktiv mit selbigem Effekt. „Und das ist auch ein ganz guter Ausgleich, auch für meine Frau, die ist ja nun . nur im Büro, in Anführungsstrichen, und wenn man dann auf das

186

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

Schiff kommt und und mit dem Schiff unterwegs ist, dann kann man das ganz gut hinter sich lassen und ist dann draußen, weg.“ (I-m-516, 387:389) Die ausgleichenden sportlichen Aktivitäten werden ebenfalls bei den weiblichen Teilnehmern in Form von Laufen, Fahrradfahren, Spaziergängen oder auch Tanzen, wie es bei einer Mitarbeiterin (I-w-NE02) der Fall ist, praktiziert. Auch die Arbeit im Chor (I-w-549) oder generell Musik (I-m-228) können beim Abschalten ebenso helfen wie die Gartenarbeit (I-w-673) oder Nähen (I-w-568). Daneben gibt es aber auch Befragte, die statt der aktiven Hobbys zur Palliation und Regeneration eher bewusste Ruhe und Rückzug zur Entspannung bevorzugen. Das kann dabei in Form von Pausen, Mittagsschlaf oder auch durch Kirchenbesuche erfolgen. „Wahrscheinlich lag es auch dadran, dass man auch mal aus seinem Alltagstrott rauskam, wirklich in in sich in die Kirchbank setzt, und da ist einfach Ruhe, da hat man keine anderen Einflüsse, die einen da irgendwo stören können, da kommt man selber vielleicht noch ein bisschen mehr zur Ruhe und gut denn, denn hört man auch mal einige Sachen so Mensch, überdenk doch mal diese oder jene Verhaltensweise oder so, wo man denn auch selber das auch vielleicht eher mal zu sich durchdringen lässt, so so mal so eine Infragestellung der eigenen Denkweise oder Verhaltensweise. Also das war eigentlich mit die größte Hilfe so.“ (I-m-411, 446:452) Der Kirchenbesuch befriedigt dabei allerdings nicht nur das Bedürfnis nach Ruhe, sondern kann durch die Auseinandersetzung mit den religiösen Ansichten in diesem Fall zusätzlich eine kognitive Belastungsbewältigung unterstützen. Für fast jeden vierten Interviewten (n = 6) ist diese Form eine Möglichkeit, mit den Belastungen der Arbeit umzugehen, indem sie erworbene Einstellungen und Denkmuster überprüfen und relativieren oder auch eigene Leistungsgrenzen akzeptieren. Immerhin wenden mehr als die Hälfte der Probanden (n = 15) instrumentelle Bewältigungsstrategien an, um den Stressor oder das Problem direkt zu beeinflussen. Das können bei den Befragten z.B. Strategien sein, um die Arbeitsaufgaben effektiv abzuarbeiten, zu strukturieren oder auch zu delegieren. „[...] ich versuche dann eben, dass . effektiver, besser, schneller zu machen .. ja Wege zu suchen, wie ich da . wie ich da, ja mit den Sachen ein-

8.2 Belastung, Beanspruchung und Bewältigungsverhalten

187

fach, ja schneller fertig oder was delegieren kann [...]“ (I-m-544, 281:283) Manche Teilnehmer nutzen hierfür auch die ihnen zur Verfügung gestellten organisationalen Ressourcen in Form von Freiheitsgraden zur Arbeits- und Arbeitszeitgestaltung. Aber auch Selbstbehauptung und aktives Ablehnen von zusätzlichen Anfragen und Aufgaben in belastenden Zeiten gehört zu den praktizierten instrumentellen Strategien. „[...] da muss man lernen sich abzugrenzen, sagen okay, dafür bin ich zuständig [...]“ (I-m-544, 322) Mitunter haben Probanden auch nach alternativen Anstellungsmöglichkeiten gesucht und Aktivitäten für einen Stellen- oder gar Arbeitgeberwechsel vorgenommen. Eine Befragte hat sich beispielsweise aufgrund der bewussten Schikanen der Vorgesetzten intern mit Erfolg auf eine andere Stelle beworben. „I: Und das war letztendlich auch Ihre Strategie dann zu gucken zu gucken, dass Sie da weg können und dann in eine Abt in eine andere Abteilung versetzt werden? B: Richtig. Weil die dieses die die diese Spitzen vom vom Bossing, die sind ganz schwer greifbar. Und letztendlich steht Aussage gegen Aussage. Man kann da einfach nichts machen. Man könnte sich in Krankheit flüchten und ja dann gucken, dass man mit Versetzungsgesuch versetzt wird. Aber ich hatte dann das Glück, dass diese Stelle im Bürgerbüro ausgeschrieben war und dann hab ich mich intern darauf besetzt, beworben.“ (I-w-516, 180:186) Neben den genannten Strategien ist aber auch die gezielte Aktivierung und Nutzung des sozialen Netzwerks bei immerhin dreiviertel der Befragten (n = 20) eine adäquate Möglichkeit zur Bewältigung der Arbeitsbelastungen. In dem Zusammenhang muss allerdings erwähnt werden, dass die Initiierung von sozialen Unterstützungsleistungen hierbei von den Teilnehmern als bewusste und zielgerichtete Strategie zur Belastungsbewältigung genannt wurde. Die Interviewer hatten dabei im Vorfeld explizit erfragt, wie die Teilnehmer mit den Arbeitsbelastungen umgehen. Bei dieser Frage wird der Ausgang bzw. Erfolg der initiierten Unterstützungsleistungen zunächst ausgeklammert. Vielmehr steht hierbei das Verhalten der Befragten, ihr soziales Netzwerk bewusst zur Belastungsbewältigung zu aktivieren und zu nutzen, im Fokus.

188

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

Mehr als die Hälfte der Probanden (n = 14) greifen gezielt auf Arbeitskollegen bzw. das gleichgestellte Team zurück. Im Vordergrund stehen hierbei der emotionsorientierte und auch kognitive Austausch, eine gemeinsame Lösungsfindung und auch das Übernehmen von Aufgaben durch die Kollegen. „I: Und wie schaffen Sie das dann auch damit umzugehen, dass das sie die Emotionen dann doch nicht mitnehmen? Gibt es da irgendeine Strategie, dass Sie sagen, Sie können das wegschieben und -B: Ganz wichtig ist es wirklich, dass ich mit meiner Kollegin in einem Büro sitze. So dass wir uns wirklich immer gleich austauschen können. .. Es ist wirklich so, dadurch dass wir beide immer, wir arbeiten ja praktisch an den gleichen Akten in den gleichen, in gleichen Einrichtungen. Und wir tauschen uns sehr aus.“ (I-w-228, 220:224) Die Aussage dieser Angestellten verdeutlicht auch den großen Vorteil der Kollegen gegenüber anderen Netzwerkpartnern. Sie sind häufig aufgrund der zeitlichen und räumlichen Nähe gut verfügbar. Immerhin noch jeder dritte Teilnehmer (n = 9) nutzt auch den Vorgesetzten aktiv zur Bewältigung der Probleme in der Arbeit. Gegenüber der Führungskraft werden Belastungssituationen kommuniziert, so dass diese im Rahmen ihrer Handlungsmöglichkeiten als Führungskraft reagieren und die Arbeitsorganisation und -aufgaben im Sinne des Beschäftigten positiv beeinflussen kann. „B: [...] Jetzt hab ich eine Art gefunden, dass ich sag, bis hierhin und wenn es nicht geht, dann sag ich eben: das und das liegt bei mir an, entweder ich mach das oder das, entscheide, Du bist der Chef. I: Und das akzeptiert der Chef dann auch? B: Und das akzeptiert der Chef. Das geht. I. Und sie kriegen dann letztendlich auch das so, wie Sie sich das vorgestellt haben. B: Ich krieg es dann eigentlich so, wie ich mir das vorgestellt habe. Ja. I: Dadurch, dass Sie das auch offen dann auch kommunizieren. B. Ja.“ (I-w-228, 134:141) Annähernd jeder dritte Befragte (n = 8) aktiviert neben möglichen berufsbezogenen Netzwerkmitgliedern gezielt den Lebenspartner im Rahmen des Bewältigungshandelns und benennt damit den Austausch mit dem Partner als bewusste Copingstrategie.

8.3 Unterstützungsnetzwerk zur Bewältigung der Arbeitsbelastungen

189

„I: Wie tendieren Sie dann, mit solchen, sage ich mal, in Anführungszeichen, Misserfolgen umzugehen? Die ja jeder mal im Beruf auch mal hat. B: Jetzt ich jetzt so rein persönlich jetzt? I: Ja, so rein persönlich ja. B: Ja, bespreche ich mit meiner Frau, doch schon ja.“ (I-m-228, 170:175) In zwei weiteren Fällen werden überdies weitere soziale Kontakte wie kundenseitige Ansprechpartner (I-m-NE03) oder Freunde (I-w-NE01) benannt. Bei einer geschlechterdifferenzierten Betrachtung der gezielten Aktivierung und Nutzung der Netzwerkmitglieder für die Belastungsbewältigung wird deutlich, dass die Frauen diese Strategie häufiger als die Männer anwenden. Der auffälligste Unterschied betrifft dabei den Partner. Während sieben weibliche Befragte bewusst auf den Lebenspartner für die Bewältigung zurückgreifen, gibt dies nur ein männlicher Teilnehmer an. Weiterhin nutzen doppelt so viele Frauen (n = 6) aktiv die Unterstützungsquelle des Vorgesetzten im Vergleich zu den Männern (n = 3). Da Unterstützungsprozesse nicht zwangsläufig mit einem den Probanden bewussten Hintergrund der Belastungsbewältigung initiiert werden müssen, kann die eigentliche Anzahl von unterstützenden Interaktionen durch den Partner deutlich höher ausfallen, wie in dem nachfolgenden Kapitel deutlich wird. 8.3

Unterstützungsnetzwerk zur Bewältigung der Arbeitsbelastungen

Im weiteren Verlauf wurde über die bewussten Bewältigungsstrategien direkt nach dem Unterstützungsnetzwerk bei Arbeitsbelastungen gefragt. Die Teilnehmer sollten die Personen benennen, die sich bei der Bewältigung von Problemen in der Arbeit als hilfreich erwiesen haben. Wie in der Tabelle 36 ersichtlich wird, vergrößert sich hierbei die Anzahl möglicher Netzwerkmitglieder, die in dem Kontext Unterstützungsleistungen anbieten.

190

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

Tabelle 36: Angabe des Unterstützungsnetzwerkes und Anzahl der Probanden

Unterstützungsnetzwerk

Subcodes

Anzahl

»

Vorgesetzte

9

»

Kollegen

20

»

Partner

23

»

Freunde

10

»

Institutionen

8

»

Andere

4

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

Während auch weiterhin neun Teilnehmer über einen unterstützenden Vorgesetzten verfügen, erhöht sich die Anzahl der Probanden, die durch die Kollegen auf gleicher Hierarchieebene Unterstützung erfahren deutlich. Nunmehr beziehen drei von vier Interviewte (n = 20) Unterstützungsleistungen aus dem Kollegenkreis. Insbesondere der kollegiale Austausch und die Ventilation stehen dabei im Fokus. Das kann ein Austausch im gesamten Team bei Mitarbeiterrunden oder auch nur mit einzelnen Personen sein. Dies setzt allerdings nicht nur ein gutes Sozialklima, sondern auch eine ähnliche Wellenlänge voraus. „I: Gibt es auch andere Personen jetzt in Ihrer Arbeit mit denen Sie dann darüber reden konnten? In dieser Phase? B: Ja! Es gibt immer so und ja so Einzelne, das sind dann Wenige, aber Einzelne, die dann ähnlich gestrickt sind so und man findet sich dann ja irgendwie denn doch so und gut, da tauscht man sich dann schon aus, ja.“ (I-m-411, 332:335) Teilweise erfolgt der Austausch auch vor dem Hintergrund ähnlicher Erfahrungen oder gleicher Betroffenheit durch die beruflichen Belastungen. „[...] im Austausch stehen wir ja ständig miteinander, gerade jetzt die, die mit mir im Referendariat sind und fertig werden, weil einfach für alle die gleiche Situation auf uns zu kommt.“ (I-w-NE02, 178:179) Neben dem Austausch unterstützen die Kollegen zum Teil auch instrumentell, indem sie Aufgaben übernehmen. „[...] denn ist auch schon mal das Angebot so mit hier was abzunehmen [...]“ (I-m-544, 335)

8.3 Unterstützungsnetzwerk zur Bewältigung der Arbeitsbelastungen

191

Ein männlicher Angestellter (I-m-674) und eine weibliche Mitarbeiterin (I-w516) geben aber auch zu bedenken, dass die Vertraulichkeit unter den Kollegen mitunter eingeschränkt sein kann. „[...] ich habe einen Kollegen, was ich schon ansprach, mit dem ich mich halt gut . unterhalten kann, über über solche Sachen, der, also gerade Arbeitsbelastungen, alles kann man nun auch nicht erzählen, weil mitunter . kommen dann so so so Sachen wieder raus [...]“ (I-m-674, 493:495) Das kann dazu führen, dass bestimmte Themen im Kollegenkreis ausgeklammert oder nur oberflächlich angesprochen werden. „ I: Und reden Sie manchmal dann oder reden Sie unter sich als Kollegen dann manchmal über solche Sachen? B: Doch, wir reden schon, schon sehr viel dadrüber, aber .. das geht, bleibt doch immer so mehr so an der Oberfläche [...]“ (I-m-544, 325:328) Kollegiale Unterstützung kann aber auch von anderen Führungskräften kommen, die auf gleicher Hierarchieebene angesiedelt sind (I-m-NE04). Ein hierarchieübergreifender Austausch über belastungsbezogene Themen, sobald die Kollegen die unterstellten Mitarbeiter darstellen, gestaltet sich allerdings schwieriger und wird eher ausgeklammert, auch wenn ein gutes Sozialklima vorherrscht. „[...] Kollegen weniger, ich habe ein kollegiales Verhältnis zu den Kollegen hier. Dadurch, dass ich aber eine leitende Funktion habe, ist es schon sehr eingeschränkt.“ (I-w-NE03,146:148) Wenn die Belastungen aus den sozialen Beziehungen im Arbeitskontext heraus resultieren, stellen die Kollegen die falschen Ansprechpartner dar. „[...] es ist so, dass ich das mit nach Hause nehme und dass ich mit meinem Mann darüber spreche. So. Wo ich eigentlich so sag, Mensch, heute war der und der wieder da und die haben schon wieder so geschimpft. Oder sind auch irgendwo unzufrieden, weil es nicht weiter geht und das kann ich dann auch mal zu Hause loswerden, weil meine Kollegen dann ja die Betroffenen dann auch sind dann. I: Und damit die falschen Ansprechpartner dafür. B: So ist es.“ (I-w-695, 89:94) Insbesondere in diesen Fällen rückt das private soziale Netzwerk stärker in den Vordergrund. Aber auch überdies beziehen fast alle Teilnehmer (n = 23) bei Problemen in der Arbeit Unterstützungsleistungen durch den Partner. Für eine

192

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

Angestellte (I-w-228) stellt der Partner eine neutrale Person für einen Austausch dar, für eine weitere Befragte (I-w-516) und einen männlichen Mitarbeiter (I-w695) ist der Partner gar der einzige Ansprechpartner für ihre sozial bedingten Arbeitsbelastungen, da die Kollegen die Problemursache darstellen und als Ansprechpartner ausscheiden. Ein Interviewter (I-m-695) hebt bei seiner Frau die Vertraulichkeit und Verlässlichkeit in besonderem Maße hervor. „[...] sie ist eine Vertrauensperson, eine absolute Vertrauensperson, ich kann mich 100 prozentig drauf verlassen [...]“ (I-m-695, 399:400) Darüber hinaus weisen aber auch viele Partner Unterstützungsqualitäten auf, indem sie empathisch sind und zuhören. Eine detaillierte Auswertung der einzelnen Elemente der Unterstützungsinteraktion innerhalb der Partnerschaft wird in den nachfolgenden Kapiteln vorgenommen. Für zehn Befragte können auch Personen aus dem Freundeskreis zur Bewältigung von Arbeitsbelastungen hilfreich sein. Dabei stehen Ventilation und der gegenseitige Austausch verstärkt im Vordergrund. Scheinbar sind aber auch geschlechtsspezifische Aspekte beim Austausch innerhalb des Freundeskreis bezüglich beruflicher Themen von Belang. „I: [...] wo würden Sie sagen, ist die Funktion dieser Freunde, jetzt für Sie jetzt, wenn Sie an Ihre Belastungen denken? Ist das einfach nochmal so eine andere Ebene, wo Sie abschalten können? Ist das, gibt das Leute, die so für Sie als Gesprächspartner über solche Themen irgendwie wichtig sind? B: Das eine ist, denke ich schon, dass, dass es wirklich Männer auch so sind, da kann man mal ungefiltert (I: unzensiert ja) unzensiert so (lachend), einfach außerhalb, (hier einfach so), ob es jetzt die Arbeit ist oder ob es gerade die Partnerschaft ist, oder ob es die Arbeitskollegen sind oder so, da kann man das mal, einfach so auch mal raus lassen so.“ (I-m544, 496:503) Während der männliche Mitarbeiter bei Freunden gleichen Geschlechts ungefiltert reden kann, schätzt eine weitere Teilnehmerin im Austausch mit Frauen, dass es ihr bei weiblichen Netzwerkpartnern erlaubt ist Probleme zuzulassen und zu äußern. „I: Okay, gibt es auch sowas wie persönliche Freundinnen oder Freunde, die da eine Rolle spielen? Die jetzt nichts mit dem beruflichen Teil Ihrer Arbeit zu tun haben? (B: mhm) Erfüllen die andere Funktionen dann?

8.3 Unterstützungsnetzwerk zur Bewältigung der Arbeitsbelastungen

193

B: Mhm (Pause, 4 Sekunden) Die weibliche Funktion (lacht kurz), dass man sich unter Frauen austauscht. I: Was ist da anders? B: Gute Frage, das ist das erste Mal jetzt wo ich noch nicht drüber nachgedacht habe. (lacht) I: Das ist ja gut so. (lacht) B: Die anderen Dinge, was (lacht) ja, was ist in Frauengesprächen anders? (lacht) (Pause, 6 Sekunden) Ich glaube wir haben eine andere Art zu empfinden, da sind ja auch viele Bücher drüber geschrieben worden und damit hat man an der Stelle glaube ich noch ein stärkeres Verständnis, also es ist in der Rolle Frau dieselbe Perspektive und das ist anders. (I: Okay) Und (Pause, 7 Sekunden). Wir gehen offener mit Problemen um. I: Also es nicht so eine . Vorsicht, Probleme auf öffentlich zu machen? (B: Ja) Spontaner? B: Also man darf Probleme haben.“ (I-m-NE04, 352:364) Eine andere Mitarbeiterin (I-w-NE01) verdeutlicht die geschlechtliche Relevanz des Netzwerkpartners noch einmal deutlich. Sie verfügt über eine weibliche und eine männliche Bezugsperson im Freundeskreis. Während sie zwar bei beiden den Austausch sucht und auch bekommt, sind allerdings die Sichtweisen und daher auch die Rückmeldungen unterschiedlich. „I: Und macht das für Sie einen Unterschied, wenn Sie mit Ihrem Lauffreund oder mit der Freundin reden? B: (überlegt) Ja, ich glaube schon. Beide haben nochmal wieder unterschiedliche Ansichten. Meine Freundin ist dann eher so, sie tickt dann wie ich. Und (Name des Lauffreundes) ist eigentlich so, .. er hat da nochmal wieder eine ganz andere Sicht, der dann eher auch so wie (Name des Lebensgefährten) so dass alles ein bisschen: „Ja, das ist bestimmt gar nicht so. Mach Dir da nicht so ein Kopf.“ , so eher, glaub ich.“ (I-w-NE01, 150:154) Während der gute Freund teilweise bagatellisiert oder indirekt durch motivationale Äußerungen Druck aufbaut, indem er sagt „Ja, dann musst Du besser sein.“ (I-w-NE01, 170), erhält sie von der Freundin eher den Zuspruch, den sie benötigt. Ein männlicher Befragter (I-m-695) kann auf einen Freund zurückgreifen, mit dem er sein Hobby Motorradfahren teilt. Er merkt in dem Zusammenhang aber auch an, dass die Gespräche bei Weitem nicht die Intensität des Austausches mit seiner Frau erreichen.

194

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

„[...] man schnackt aber mal,. wenn man dann mal sagt, man hat mal eine Übernachtung irgendwo gemeinsam oder so, denn kommt man schon mal bisschen ins nähere Gespräch, aber nicht so, wie das mit seinem Partner ist.“ (I-m-695, 440:442) Für einzelne Teilnehmer zeigen sich auch Familienmitglieder wie Vater (I-m674) oder Mutter und Geschwister (I-w-NE02) als Unterstützungsquellen bei beruflichen Belastungen. Daneben können es aber auch kundenseitige Ansprechpartner (I-m-NE03) oder auch weitere beruflich relevante Personen (I-w-NE04) sein. Fast jeder dritte Befragte (n = 8) bezieht Unterstützungsleistungen durch institutionelle und professionell tätige Netzwerkpartner. Die Unterstützungsinteraktion findet dabei entweder innerhalb der Reflexion des Glaubens im Rahmen von Kirchenbesuchen oder innerhalb von Supervisionsgruppen und im Kontext von Psychotherapien statt. Diese institutionelle Unterstützung findet sich häufiger in der Berufsgruppe 'Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung' (n = 6) als bei 'Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht und Verwaltung' (n = 2). 8.4

Sicht als Unterstützungsempfänger

Da bereits herausgearbeitet wurde, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten im Falle von Problemen in der Arbeit Unterstützung durch den Partner erfahren, wird im weiteren Verlauf die detaillierte Auswertung der Unterstützungsinteraktion erfolgen. Zunächst ist dabei von Interesse, wie sich der Unterstützungsprozess aus Sicht des Bedürftigen darstellt. 8.4.1 Stellenwert der Kommunikation von Arbeitsbelastungen im Rahmen der Partnerschaft Zuerst stellt sich die Frage, welchen Stellenwert die Kommunikation von Arbeitsbelastungen im Rahmen der Partnerschaft einnimmt (siehe Tabelle 37).

8.4 Sicht als Unterstützungsempfänger

195

Tabelle 37: Stellenwert der Kommunikation von Arbeitsbelastungen aus Empfängersicht

Stellenwert der Kommunikation von Arbeitsbelastungen im Rahmen der Partnerschaft

Subcodes

Anzahl

»

allgemeine Kommunikation von Alltagsthemen

6

»

gezielte Kommunikation von Arbeitsbelastungen

19

»

generelles Ausklammern von Arbeitsbelastungen

3

»

spezifisches Ausklammern von Arbeitsbelastungen

7

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

Die große Mehrheit der Probanden (n = 19) kommuniziert die erlebten Arbeitsbelastungen ganz gezielt im Rahmen der Partnerschaft. Es gibt demnach bei den belasteten Personen ein Bedürfnis, die Probleme mit dem Partner zu teilen und damit letztlich auch einen Unterstützungsprozess zu initiieren. „[...] ich habe in meiner Frau einmal einen sehr sehr guten Zuhörer, weil ich bin in der Beziehung relativ mitteilungs, mitteilsam, weil ich muss, muss meine Probleme irgendwie loswerden [...]“ (I-m-695, 396:397) Allerdings können Arbeitsbelastungen auch Bestandteil der alltäglichen Konversationen sein. So berichten sechs Teilnehmer, dass sie innerhalb ihrer allgemeinen Gesprächssituationen den Partner über aktuelle positive wie negative Ereignisse informieren. Die Konversation erfolgt dabei nicht bewusst belastungsbezogen, dennoch können in diesem Kontext belastende Momente deutlich werden und dadurch mögliche Unterstützungsinteraktionen in Gang setzen. „[...] wir sprechen natürlich über das, was wir am Tag gemacht haben „Wie war dein Tag heute?“ so, also das ist ganz klar. Wenn man das nicht tun würde, sondern nach Hause kommt, sich hinsetzt und und nichts sagt, das ist ja . Unsinn.“ (I-m-516, 199:201) Zum Teil geben die Befragten aber auch an, dass sie die Kommunikation von erlebten Arbeitsbelastungen generell oder zumindest zum Teil aus der Beziehung ausklammern. „I: Fragt Sie ihre Frau eigentlich in Bezug auf Ihre berufliche Situation? Oder -B: Sie fragt schon, ja klar .. und ich antworte dann auch, aber meistens eben nicht so, so dass sich da wirklich ein Gespräch draus entwickelt, das ist dann mehr so, ich antworte und ersuche aber nicht, ich nutze diesen

196

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

Punkt nicht, um dann wirklich . mich mich mich auszutauschen. Also ich möchte nicht so über Arbeit reden, wenn ich nach Hause komme.“ (I-mNE01, 496:500) Während drei Personen versuchen, das Thema Arbeitsbelastungen gänzlich aus der Beziehung raus zu halten, klammern weitere sieben Teilnehmer belastende Themen nur phasenweise, situations- oder themenspezifisch aus. Eine Mitarbeiterin mit Klientenkontakt (I-w-549) hat anfänglich gezielt mit ihrem Partner über Arbeitsbelastungen gesprochen, schränkte aber in Zeiten hoher Belastungssituationen des Mannes die Konversationen über Arbeitsthemen ein. Eine Angestellte (I-w-695) findet in ihrem Mann einen Ansprechpartner bei der emotionalen Inanspruchnahme durch die Einzelschicksale ihrer Klientel, allerdings vermeidet sie die Kommunikation von Belastungen aufgrund ihrer Pufferfunktion zwischen Leitung und Mitarbeitern innerhalb der Partnerschaft. Eine Führungskraft (I-mNE02) bringt seine Partnerin als primären Ansprechpartner bei belastenden Arbeitsthemen an. Dennoch weist er auch darauf hin, dass es aufgrund der Haushaltstrennung auch von ihrer Verfügbarkeit und der Verständlichkeit seiner Themen abhängt. Komplexe und tiefgreifende Themen, die gegenüber seiner Partnerin einen hohen zusätzlichen Erklärungsaufwand bedürfen, bespricht er eher mit anderen Netzwerkpartnern wie Kollegen. „[...] sie ist da schon erste Ansprechpartnerin wobei die Verfügbarkeit einfach eine Frage stellt, und die zweite Frage einfach die einige Themen sind einfach mal auch für sie nicht greifbar, also da da spricht man mit jemandem aus der Firma vielleicht drüber, der vielmehr Einblick hat, wo man nicht stundenlang erklären muss, wie sich die Situation ergeben hat und damit man dann eben halt eigentlich erst die Situation schildern kann, weil nur die reine Situation sich nicht selbst erklärt. Aber ansonsten ist eine Partnerin, meine Partnerin, mein erster Ansprechpartner für diese Themen, wie gesagt mit mehr oder weniger Verständnis auch für diese Themen.“ (I-m-NE02, 219:225) Eine Angestellte (I-w-228) nimmt „[...] Arbeit eigentlich nie mit nach Hause.“ (I-w-228, 245) und klammert die belastenden Arbeitsthemen bewusst aus. Dennoch berichtet sie ihrem Mann im Kontext von Alltagskonversationen von den Dingen, die sie in der Arbeit erlebt hat. Zusätzlich erlebte sie in der Vergangenheit solch ein hohes Belastungsausmaß, dass sie hier ganz bewusst die Kommunikation der belastenden Themen verfolgt hat.

8.4 Sicht als Unterstützungsempfänger

197

Die Gründe für das Ausklammern der Arbeitsbelastungen aus den Konversationen, sei es generell oder spezifisch, liegen in drei hauptsächlichen Argumentationen begründet: » Der Partner ist der falsche Ansprechpartner (n = 3). » Es wird bewusst Rücksicht genommen, um den Partner nicht zusätzlich zu belasten (n = 4). » Die Verarbeitung der belastenden Themen erfolgt autonom in der Auseinandersetzung mit der eigenen Person (n = 3). Die Themen, die innerhalb des Unterstützungsprozesses kommuniziert werden, können allgemeiner oder spezifischer Natur sein. Grundsätzlich sprechen über 80 % der Befragten (n = 21) problembezogen über die Arbeit. Entweder wenden sich diese Teilnehmer mit spezifischen Belastungssituationen an den Partner (n = 10) oder sprechen ganz allgemein über die Probleme (n = 11), die im Arbeitskontext aufgetreten sind. Lediglich drei Interviewte geben an, dass sie den Partner nur darüber informieren, was sie an dem Tag erlebt haben. Dieser Austausch erfolgt dabei weniger vor dem Hintergrund einer Belastungsbewältigung, sondern eher als verbindendes Element in einer guten Beziehung durch gemeinsame Konversationen. „B: Ja, wir sprechen natürlich über das, was wir am Tag gemacht haben „Wie war dein Tag heute?“ so, also das ist ganz klar. Wenn man das nicht tun würde, sondern nach Hause kommt, sich hinsetzt und und nichts sagt, das ist ja . Unsinn. Also dann hätte man -I: Das wäre keine so ganz gute Beziehung? B: Nein, denn denn hätte man keine gute Beziehung, genau. Also wir sprechen schon über das, was wir am Tag gemacht haben, mal ausführlicher, mal weniger ausführlicher, manchmal sagen wir einfach „Nein, war nichts Besonderes heute“ und dann ist es auch gut. Aber dass wir jetzt hier zuhause irgendwie so Stressbewältigung machen müssten oder so, oder uns gegenseitig ausweinen, das haben wir nicht, das brauchen wir nicht.“ (I-m-516, 199:207) Eine Mitarbeiterin (I-w-228) informiert in der Regel den Partner ebenfalls lediglich über die Geschehnisse des Tages, gibt überdies aber auch zu, dass es in der Vergangenheit spezifische Belastungssituationen im Umgang mit ihrer Führungskraft gab, die sie dann auch gezielt im Rahmen der Partnerschaft besprochen hat. Zwei Personen (I-w-544, I-m-NE01) klammern Arbeitsthemen soweit

198

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

aus, dass im Allgemeinen auch ein Update des Partners über die Erlebnisse in der Arbeit vermieden wird. Während Frauen (n = 7, Männer: n = 3) verstärkt ihre ganz spezifischen Belastungssituationen bei dem Partner anbringen, thematisieren die Männer (n = 8, Frauen: n = 3) eher die allgemeinen Probleme in der Arbeit. In diesem Zusammenhang erfolgt die Kommunikation der Belastungen bei Frauen (n = 11) zielgerichteter mit dem Hintergrund der Bewältigung als bei Männern (n = 8). Auch bezüglich der Berufsgruppen gibt es einen Unterschied. So sucht die Gruppe 'Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung' (n = 10) die Kommunikation ihrer Belastungen häufiger bewusst mit dem Ziel der Bewältigung als die Gruppe 'Unternehmensorganisation, Buchhaltung, Recht und Verwaltung' (n = 6). Hier werden die Themen auch im Rahmen von Alltagskonversationen verbalisiert (n = 5, Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung: n = 0). Bei der Verbalisierung von Arbeitsbelastungen im Kontext von generellen Alltagskonversationen werden eher die allgemeinen Probleme besprochen oder es findet nur ein Update über den Tag statt. Der bewältigungsorientierte Austausch über die ganz konkreten Belastungssituationen findet dafür eher in den gezielt konstruierten Kommunikationssituationen statt, wobei auch hier die allgemeinen Probleme mit dem Ziel der Verarbeitung angesprochen werden. 8.4.2 Unterstützungsbedürfnis Angesichts der wahrgenommenen Fehlbelastungen und Fehlbeanspruchungen kann sich bei den Interviewten das Bedürfnis nach Unterstützungsleistungen durch den Partner einstellen. Da lediglich drei Personen von sich behaupten, Arbeitsbelastungen generell auszuklammern, von denen wiederum tatsächlich nur zwei Probanden keinerlei arbeitsbezogene Informationen in die Beziehung tragen, scheint bei einem Großteil der Probanden zumindest ein Bedürfnis nach Kommunikation zu bestehen (siehe Tabelle 38).

8.4 Sicht als Unterstützungsempfänger

199

Tabelle 38: Unterstützungsbedürfnis aus Empfängersicht Subcodes Unterstützungsbedürfnis »

Anzahl

Reden

23

»

Druck ablassen

9

»

Empathie

4

»

Austausch

6

»

Feedback

0

»

Ratschläge

1

»

aktive Problemlösung

0

»

Aufgabenübernahme

5

»

Freiraum

5

»

Bestätigung

4

»

Zuspruch

2

»

Sicherheit

1

»

Ablenkung

0

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

Für 23 Teilnehmer stellt sich angesichts der beruflichen Anforderungen das Bedürfnis ein, mit dem Partner über die Themen zu reden und sich erst einmal mitzuteilen. Für einen geringen Teil der Probanden ist dies auch tatsächlich das primär und einzig geäußerte Bedürfnis, wie bei einer Mitarbeiterin (I-w-411, 260), die „[...] einfach nur erzählen möchte“. Bei neun Interviewten ist mit dem Reden aber auch gleichzeitig das Bedürfnis nach Ventilation verbunden, so „[...] dass man sich einfach mal auskotzt“ (I-w-568, 290). Für sechs Befragte steht neben der verbalen Äußerung der Belastungsthemen auch der gemeinsame Austausch mit dem Partner im Vordergrund. Eine Angestellte mit Klientenkontakt (I-w-573, 191:192) beschreibt diesen Austausch als intensives Gespräch, bei dem der Mann „als Kommunikationspartner auf gleicher Ebene“ fungiert. Hierbei wird deutlich, dass der Aspekt des Austauschens über das einfache Mitteilungsbedürfnis hinausgeht. Dies wird auch bei der Bedürfnisbeschreibung einer weiteren Befragten deutlich: „Ich bin derjenige, der auf Andere, der die Anderen braucht, um das auch zu diskutieren.“ (I-w-NE04, 282)

200

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

Es geht demnach um den gemeinsamen Austausch von Sichtweisen und Einstellungen auf einer gleichwertigen Kommunikationsebene. Während der Austausch damit zweiseitig ist, stellt Feedback eine eher einseitige Rückmeldung von Meinungen und Ansichten des Gesprächspartners dar und wird von den Rezipienten in dieser Form nicht begehrt. Auch das Thema Ratschläge ist von Einseitigkeit in der Kommunikationsinteraktion durch reine Weitergabe von Informationen und Handlungsempfehlungen geprägt. Lediglich von einem Teilnehmer werden Ratschläge von seiner Partnerin erbeten: „[...] meine Frau ist ja (Mitarbeiterin im Bereich Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung), also wenn es irgendwelche Fälle gibt, die im, wo es im sozialen oder im psychischen Bereich Schwierigkeiten gibt, was sie auch denkt, was das bei (Klientel) zugenommen hat, also ich erlebe immer mehr Fälle von, wo es auch wirklich darum geht, dass wir uns Hilfe, als (Mitarbeiter) Hilfe holen, von außerhalb oder so, und da hat meine Frau dann aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit dann auch eine Menge Erfahrung, wo sie dann mir helfen kann und wo mir der Rat, wo sie mir dann raten kann, was ich, oder an wen ich mich mal wenden kann [...]“ (I-m-673, 253:258) Hier spielt insbesondere die fachliche Ausrichtung der Frau für die Unterstützungserwartung eine Rolle. Statt Ratschlägen oder Feedback werden dann schon eher vom Partner empathische Anteilnahme und Verständnis erwartet (n = 4). Vier weitere brauchen Bestätigung vom Partner. Im Fall einer weiblichen Führungskraft (I-w-544) benötigt sie die Bestätigung durch den Partner in Form von Anerkennung und Wertschätzung ihrer Person in dem, was sie beruflich wie privat leistet. Fünf Personen erwarten von ihrem Partner in Belastungssituationen Unterstützung in der Organisation der privaten Verpflichtungen und Abnahme von Alltagsaufgaben wie beispielsweise die Versorgung von Kindern oder Erledigung des Haushalts. Eine Angestellte (I-w-NE01), ein männlicher Vorgesetzter (I-w-NE02) und die eine weibliche Führungskraft (I-w-NE03) erwarten vom Partner, dass ihre eigenen Meinungen und Entscheidungen bestätigt werden. Zuspruch begehren zwei Teilnehmer vom Partner als Unterstützungsleistungen. Eine Interviewte (I-w-544) braucht in dem Zusammenhang einen motivationalen Zuspruch als Ansporn, um sich beruflich weiterzuentwickeln (I-w544). Eine Mitarbeiterin im Bereich Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung

8.4 Sicht als Unterstützungsempfänger

201

(I-w-NE02, 251) erwartet hierbei eher ein gutes Zureden von ihrem Mann „Wird alles wieder gut, Kopf hoch.“. Interessant ist auch der Aspekt, den eine leitende Angestellte bei ihrem Unterstützungsbedürfnis formuliert: „I: Und war es auch genau das, was Sie in der Situation von Ihrem Partner auch gebraucht haben? B: Ja. Das ist jedenfalls, dass das zu Hause alles in Ordnung ist.“ (I-w516, 316:317) Die Sicherheit, die der Partner in Zeiten hoher Arbeitsbelastungen vermitteln kann, kann eine Unterstützungsleistung darstellen, die die Rezipienten brauchen. Fünf Teilnehmer verspüren in Bezug auf ihre berufliche Belastungssituation das Bedürfnis nach Freiraum und empfinden es als unterstützend, wenn ihnen dieser vom Partner gewährt wird. Freiraum kann hier auch wieder unterschiedliche Aspekte beinhalten. Ein männlicher Befragter (I-m-674) meint mit Freiraum den zeitlichen und räumlichen Rückzug nach der Arbeit mit dem Ziel der Regeneration: „Dann ist natürlich die Frau, sie gibt mir dann, wir haben so vereinbart, sie gibt mir dann so ein bisschen Zeit natürlich nach der Arbeit, um mich zu regenerieren, aber da war es halt dann so, dass ich wirklich das Schreien einfach nicht mehr hören konnte, ich habe so viel auf Arbeit gehört,“ (I-m-674, 297:300) Wieder andere Probanden verstehen unter Freiraum, wenn ihnen der Partner Zeit und Raum zur beruflichen und persönlichen Entfaltung oder auch für die autonome Belastungsbewältigung gewährt. „Also meine Frau hilft mir, also ich, ich brauche nicht den Austausch . über die Arbeit mit meiner Frau sondern meine Frau hilft mir dadurch, dass Sie mir kein schlechtes Gewissen macht, wenn ich um halb acht komme und mir da keinen Druck macht, dass ich doch früher da sein müsste [...]“ (I-m-NE01, 314:316) Die beiden Teilnehmer (I-w-544, I-m-NE01), die generell eine Kommunikation ihrer Arbeitsthemen innerhalb der Partnerschaft vermeiden, zeigen dennoch auch ein Bedürfnis nach Unterstützungsleistungen. Dieses äußert sich bei beiden jedoch nicht in der Verbalisierung der Belastungen, sondern bei der weiblichen Führungskraft (I-w-544) in einem Bedürfnis nach Aufgabenübernahme, Frei-

202

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

raum, Bestätigung durch Anerkennung und motivationalem Zuspruch. Der männliche Vorgesetzte (I-m-NE01) erwartet Freiraum für die Erledigung seiner beruflichen Aufgaben aber auch kognitive Empathie in Form von Verständnis für seine hohen beruflichen Anforderungen. Einzig der Selbstständige (I-m-516), der zwar seine Frau über die Tagesereignisse informiert, bedarf nach eigener Aussage keiner Unterstützungsleistungen vom Partner. Frauen (n = 12) und Männer (n = 11) zeigen in der Studie gleichermaßen das Bedürfnis über die Belastungen zu reden, wobei die weiblichen (n = 6) etwas häufiger als die männlichen Teilnehmer (n = 3) durch die Verbalisierung auch eine Ventilation bezwecken. Das Unterstützungsbedürfnis nach Aufgabenübernahme im Haushalt zur Entlastung bei beruflichen Anforderungen stellt sich ausschließlich bei den Frauen ein, hingegen ist der Wunsch nach Freiraum bei den Männern (n = 4, Frauen: n = 1) häufiger vertreten. Zuspruch und Sicherheit wird nur von den Frauen begehrt. Bezogen auf das Geschlechtsrollenselbstkonzept äußern bevorzugt die maskulinen Teilnehmer (n = 4) das Bedürfnis nach einem gemeinsamen Austausch. Auffällig ist ebenfalls der Vergleich der Mitarbeiter mit und ohne Führungsfunktion bei dem Aspekt der erwarteten Bestätigung von Meinungen und der entgegengebrachten Anerkennung. So sind es einzig die Führungskräfte, die eine Bestätigung ihrer Person oder ihrer Einstellungen benötigen. 8.4.3 Unterstützungsmobilisierung Stellt sich bei den belasteten Personen das Bedürfnis nach sozialer Unterstützung in der Beziehung ein, so können die erwarteten Unterstützungsleistungen auf unterschiedliche Art und Weise mobilisiert werden (siehe Tabelle 39).

8.4 Sicht als Unterstützungsempfänger

203

Tabelle 39: Unterstützungsmobilisierung aus Empfängersicht

Unterstützungsmobilisierung

Subcodes

Anzahl

»

Ritualisierte Kommunikation zu Arbeitsthemen

9

»

Kommunikation der Erwartungshaltung

2

»

Direkte Verbalisierung der Belastung

22

»

Indirekte Signalisierung der Beanspruchung

11

»

Verzögerte Verbalisierung der Belastung

5

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

Überwiegend geben die Teilnehmer an (n = 22), dass sie ihre Belastungen dem Partner gegenüber direkt verbalisieren. „[...] es war eigentlich immer so, dass die Konflikte, die ich dann hatte, die habe ich von mir aus auch schon eben erzählt und es war nie so, dass dass ich von ihr angesprochen werden musste, so hast du wieder Ärger auf der Arbeit, weil du bist irgendwie so dünnhäutig? Das das war nie so.“ (I-m-411, 320:323) Diese Verbalisierung kann spontan erfolgen oder im Rahmen ritualisierter Kommunikations- und Gesprächssituationen (n = 9), wie etwa bei einem regelmäßigen Kaffee trinken oder beim täglichen Abendessen als gemeinsamen Kommunikationsraum. In diesem ritualisierten Gesprächskontext findet generell ein Austausch über die Arbeit statt, so dass dem Partner hierbei die relevanten Themen meist auch direkt mitgeteilt werden. Allerdings werden auch bei den generellen Kommunikationsritualen nicht zwangsweise die Belastungen direkt kommuniziert. Eine Angestellte (I-w-695) berichtet über einen täglich eingerichteten Gesprächskontext mit einem verbindenden Ritual wie beispielsweise dem Kaffee trinken, wo sie sich gemeinsam mit ihrem Partner über die Arbeitsthemen unterhält. Da sie für ihren Partner als erstes den Gesprächsimpuls mit einer ritualisierten Erzählaufforderung ('Wie war Dein Tag') gibt, erwartet sie im Anschluss selbiges, um ihren Partner von ihren Themen zu berichten. Damit verbalisiert sie die Belastungen auch in der ritualisierten Gesprächssituation nicht direkt, sondern ausschließlich auf Nachfrage als Gesprächsimpuls, wodurch ihr der Partner auch sein Interesse bekundet.

204

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

„B: (lächelt) Es ist schon so, wenn wir denn zusammen sitzen und einen Kaffee trinken oder wie auch immer, dann frag ich meistens erst, wie es ihm geht. (lacht) Und erwarte dann vielleicht auch unbewusst die Frage, was war denn los? Und dann erzähle ich schon. So ist das eigentlich so vom Ablauf her jetzt so. Ich habe mir da nie so die Gedanken zu gemacht, jetzt aufgrund Ihrer Fragestellung. Ja, aber es ist aber so, dass ich eigentlich erst immer frage, was was er denn so erlebt hat, bevor ich dann erzählen kann (schmunzelt). I: Aber im Gegenzug tatsächlich auch im Kopf die Erwartung haben, dass er auch nachfragt. B: Wahrscheinlich. I: Dass Sie zumindest den Anlass dann bekommen (B: Richtig) und Sie auch merken, das Gegenüber hat auch das Interesse (B: Ja.) zu wissen, was los war. B: Ganz genau so ist das. Ja.“ (I-w-695, 226:235) Im Wesentlichen führt aber die indirekte Signalisierung der Beanspruchung zu einem Erzählimpuls durch Nachfrage des Partners. Dabei ist bei über 40 % (n = 11) die Fehlbeanspruchung anhand von indirekten verbalen Äußerungen, einem veränderten Verhalten in Stresssituationen oder nonverbalen Merkmalen für den Partner wahrnehmbar und kann diesen dazu veranlassen, den Unterstützungsempfänger zur Verbalisierung der Probleme zu bewegen. „Mein Mann merkt abends, wenn er nach Hause kommt schon, ob der Tag stressig war oder nicht (lacht). Das, gerade in letzter Zeit als es sehr hektisch war, da sagt er ja schon mal so: „Du wirkst müde.“ oder „Man merkt, dass du angespannt warst.“.“ (I-w-411, 109:111) Die Beanspruchung ist an Zeichen von Ärger (I-w-228), Müdigkeit und Anspannung (I-w-411), Traurigkeit (I-w-516), Gereiztheit (I-w-568), Seufzen und Stöhnen (I-w-673), Rückzug und Schweigsamkeit (I-m-674, I-w-695), schlechter Laune und Stimmung (I-m-695, I-m-NE01, I-w-NE01) und innerer Unruhe (I-w544) wahrnehmbar und wird über die Körpersprache wie Mimik und Gestik, paraverbalen Elementen wie stimmliche Modalitäten oder indirekten Äußerungen als Botschaft transportiert. In vier von elf Fällen erzählen die Probanden dann auf Nachfrage des Partners: „[...] er ruft dann ja auch an zwischendurch mal und er merkt dann schon an meiner Stimme, wenn irgendwas ist. Das, und dann fragt er auch und

8.4 Sicht als Unterstützungsempfänger

205

ja dann, fang ich dann an, stückchenweise vielleicht zu erzählen und dann irgendwann immer mehr [...]“ (I-w-NE01, 225:227) Eine Mitarbeiterin (I-w-568) fordert bei ihrem Mann ganz gezielt die Übernahme von Haushaltsaufgaben zu ihrer Entlastung ein: „I: Bei diesen anderen kleineren Dingen, die er dann mal so übernehmen soll, das sagen Sie ihm dann direkt? B: Das sage ich ihm. Ja ja. I: Von alleine würde er da nicht kommen? Dass er jetzt sieht, ach (B: Nö.) Sie haben wieder Rückenschmerzen oder so (B: Nö.), dass er dann sagt, ok ich mach das jetzt mal. Sie müssen dann schon ihn darum bitten. B: Dann muss ich ihn drum bitten, ansonsten macht er Pause, genauso wie ich. Also das, wenn ich dann sag: „Mir geht das so schlecht, ich will heute nicht, ich kann nicht.“ dann sagt er: „Das ist aber schade und dann setzt er sich dazu.“. Noch einen Kaffee, und dann ja, wird geschnackt auf dem Sofa (lächelnd), aber der Haushalt macht sich dann halt nicht alleine.“ (I-w-568, 485:493) Eine weitere Angestellte (I-w-NE01) erwartet die Bestätigung ihrer Meinung vom Partner und kommuniziert ihm gegenüber auch diese Erwartungshaltung: „Ich will eigentlich, dass dass er mir nach dem Mund redet. Das hatte ich dann auch schon ab und zu mal gesagt (lächelt): „Ich will, dass Du nach meinem Mund redest und nicht irgend --“. Aber klar, das ist natürlich auch nicht richtig, aber in dem Moment bin ich dann auch bockig und will dann auch nur meine Meinung.“ (I-w-NE01, 107:109) Die beiden Probanden (I-w-544, I-m-NE01), die eine Verbalisierung von Arbeitsthemen im Rahmen der Beziehung vermeiden, geben aber dennoch an, dass ihre Beanspruchung anhand nonverbaler Signale für den Partner ersichtlich ist. Deutlich mehr Frauen (n = 8) als Männer (n = 3) kommunizieren ihren Unterstützungsbedarf über indirekte Signale und verbalisieren ihre problembehafteten Themen bei der Erzählaufforderung durch den Partner (Frauen: n = 4, Männer: n = 1). Dafür ist die ritualisierte Kommunikation bei den Paaren, die einen Haushalt ohne Kinder führen, prozentual häufiger vertreten als bei Personen, deren Kinder noch im gemeinsamen Haushalt leben (ohne Kinder: 60.0 %, mit Kindern: 18.8 %).

206

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

8.4.4 Erhaltene Unterstützung Die Mobilisierungsstrategien können den Partner zur Leistung verschiedener Unterstützungsformen veranlassen. Auf der Seite des Hilfebedürftigen werden die Bemühungen des Partners zum Teil als erhaltene Unterstützung registriert, die idealerweise auch dem Unterstützungsbedürfnis des Rezipienten entsprechen. Die Tabelle 40 zeigt die Unterstützungsleistungen, die die Probanden aus ihrer Sicht registriert haben. Tabelle 40: Erhaltene Unterstützung aus Empfängersicht Subcodes Erhaltene Unterstützung »

Anzahl

Zuhören

13

»

Empathie

6

»

Austausch

6

»

Feedback

9

»

Ratschläge

5

»

aktive Problemlösung

1

»

Aufgabenübernahme

4

»

Freiraum

4

»

Bestätigung

2

»

Zuspruch

2

»

Sicherheit

3

»

Ablenkung

1

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

Der überwiegende Teil der Interviewten (n = 23) möchte sich in der Belastungssituation dem Partner gegenüber mitteilen können. Allerdings gibt nur die Hälfte der Befragten (n = 13) an, dass ihr Gegenüber ihnen bei der Verbalisierung der Belastung tatsächlich zuhört. Die entscheidende Qualität liegt dabei auf einem bewussten und aufmerksamen Zuhören, so dass der Partner tatsächlich die Möglichkeit erhält, die belastenden Themen und den Druck abladen zu können. Dabei erwarten die Teilnehmer nicht zwangsweise, dass der Partner mit Tipps und Ratschlägen interveniert.

8.4 Sicht als Unterstützungsempfänger

207

„Wie reagiert er drauf? . Er hört es sich an. Und meistens reicht mir das schon. Ich erwarte gar kein Kommentar oder irgendwelche Strategien oder sowas. Sondern mir langt es eigentlich schon, wenn ich es einfach mal erzählen kann und loswerden kann und dann geht es mir auch wieder besser.“ (I-w-228, 422:424) Dennoch geben fünf Partner an, Ratschläge erhalten zu haben, obwohl nur ein Proband diese Unterstützungsleistung tatsächlich erwartet. „[...] bei Männern ist das ja häufig so, dass sie immer sofort meinen, sie müssen ein Problem für die, eine Lösung für das Problem finden. Das ist schon so (lacht), dass er dann oft Vorschläge macht [...]“ (I-w-411, 240:242) Zudem neigen über ein Drittel der Teilnehmer (n = 9) dazu, dem Partner Feedback zu den Denk- oder Verhaltensweisen zu geben, obwohl keiner der Befragten einseitige Rückmeldungen als Unterstützungsleistung begehrt. Das Feedback erfolgt dabei durch Kommentare mit unterschwelligen Botschaften oder auch durch bewusste kritische Äußerungen. Der Mann einer leitenden Mitarbeiterin (Iw-544) signalisiert ihr verbal durch kurze Rückmeldungen, wenn sie durch Nervosität und Unruhe Fehlbeanspruchungsanzeichen zeigt. Das verbale Signal ermöglicht ihr das eigene Verhalten wahrzunehmen und gegenzusteuern. Eine Angestellte (I-w-NE01) erhielt von ihrem Partner instrumentelle Unterstützung durch eine aktive Lösung des Problems, indem er ihr aufgrund der Unzufriedenheit und Belastungssituation bei ihrem vorherigen Arbeitgeber ein Vorstellungsgespräch bei seiner Firma aus eigenem Antrieb organisiert hat. Der Selbstständige (I-m-516), der keine Unterstützung benötigt und daher auch nicht mobilisiert, erhält nach eigenen Angaben keine Unterstützungsleistungen, so dass der Unterstützungsprozess an diesem Punkt beendet ist. Die leitende Mitarbeiterin (I-w-544) und der männliche Vorgesetzte (I-m-NE01), die beide Arbeitsthemen in der Beziehung ausklammern und die Belastungen daher nicht verbalisieren, dafür aber die Beanspruchung nonverbal signalisieren, erhalten dennoch die erwarteten Unterstützungsleistungen vom Partner. So bekommen sie den notwendigen Freiraum, den sie für die berufliche Entfaltung in Belastungssituationen benötigen, und werden durch die Übernahme von Aufgaben durch den Partner entlastet. Der Partner der leitenden Mitarbeiterin gibt ihr aber aufgrund ihrer nonverbalen Beanspruchungssignale eine Rückmeldung, die ihr

208

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

eine bewusste Wahrnehmung ihrer aktuellen Verfassung und damit ein entsprechendes Gegensteuern ermöglicht. „B: Er spürt auch das Vibrieren. (I: Er spürt das, er spürt das Vibrieren.) (lacht). I: Und was macht er dann, wie reagiert er? B: Er reagiert, . inzwischen weiß ich, dass es ja wohlwollend ist, aber er reagiert schon grimmig. Genervt, dass es so ist, wie es ist. Aber ich hab immer gedacht, er findet es nicht gut, dass ich so bin, aber es letztlich heißt es, übersetzt heißt es so viel wie „Pass auf dich auf. Du bist schon wieder hoch gefahren und nimm dir mal die Zeit, die du brauchst.“ (I-w544, 484:489) Auch der vom Partner eingeräumte Freiraum scheint begrenzt zu sein. So wird er dem belasteten Partner durchaus für eine gewisse Zeit gewährt, bei hoher Ausnutzung dieses Zugeständnisses würden allerdings kritische Kommentare folgen. „Aber wenn ich das jetzt mal an drei Abenden nacheinander machen würde, dann würde er schon nachfragen „Ist das jetzt, wird das jetzt eine Dauereinrichtung oder was hast du gerade Größeres vor?“ Dann würd er schon sagen „Ey, was ist jetzt hier los?“.“ (I-w-544, 510:513) Differenziert nach soziodemographischen Merkmalen werden hinsichtlich der erhaltenen Unterstützungsleistungen Unterschiede deutlich. So geben Männer doppelt so häufig als Frauen an, Feedback als Unterstützungsleistung zu erhalten (Männer: n = 6, Frauen: n = 3). Im Gegenzug wird den Frauen aufmerksamer zugehört (Männer: n = 4, Frauen: n = 9). Die überwiegende Mehrheit der Führungskräfte (n = 7) erhält ebenfalls Feedback von ihrer Beziehungspartnern, während nur zwei Mitarbeiter ohne Leitungsfunktion diese Unterstützungsleistungen registrieren. Unter Umständen können Situationen auftreten, in denen die belastete Person Unterstützung wünscht, diese allerdings vom Partner nicht geleistet wird. Insgesamt berichten sechs Befragte, dass benötigte Unterstützungsleistungen ausbleiben aufgrund » eines hohen Belastungsgrades des Partners (n = 3), » eigener Rücksichtnahme (n = 4) und » ständig wiederkehrender Thematiken (n = 1). So kann ein hoher Belastungsgrad des Partners beispielsweise dazu führen, dass die Unterstützungsquelle keine Bereitschaft zum Zuhören zeigt.

8.4 Sicht als Unterstützungsempfänger

209

„I: [...]Und wenn er Ihnen das sozusagen schon ansieht oder auch schon hört an dem kleinen Seufzer, dann spricht er Sie auch daraufhin an? B: Ja, meistens schon, ja. Vielleicht auch mal nicht, (lacht laut) wenn er keine Lust hat sich irgendwas anzuhören. Gibt es ja auch mal, dass man so einfach selber dicht ist.“ (I-w-673, 170:173) Allerdings kann der Belastungsgrad des Partners auch bewirken, dass sich der Rezipient im Unterstützungsprozess bewusst zurücknimmt und Rücksicht auf den Partner nimmt. „I: [...] Gibt es jetzt bei den Arbeitsbelastungen auch nochmal Situationen, in denen Sie nach Hause kommen, fühlen sich gestresst und er reagiert mal nicht darauf und gibt Ihnen die Unterstützung? Gibt es solche Situationen auch? B: Fast gar nicht. Es sei denn, er ist selbst sehr belastet. Dann nehm‘ ich mich aber auch zurück mit meinen Problemen.“ (I-w-411, 271:275) Wird ein Thema immer wieder besprochen, kann der Partner ebenfalls mit Rückzug in der Interaktion und fehlender Unterstützungsbereitschaft reagieren. „B: [...] Und dann sagt er so „Das wird bestimmt wieder dasselbe sein, letztes Mal habe ich dann nicht mehr zugehört.“ so ungefähr. I: Also da blockt er ganz offensichtlich dann ab. B: Ja, da blockt er ab und dann merkst du auch, dass er dann, da brauch man nicht in dem Moment.“ (I-w-674, 491:494) Unter Betrachtung des Geschlechts geben ausschließlich die weiblichen Teilnehmer an, dass der hohe Belastungsgrad des Mannes seine Unterstützungsleistungen einschränken kann. 8.4.5 Outcome des Unterstützungsprozesses Im besten Fall erzielt der Unterstützungsprozess für den Rezipienten einen positiven Effekt. Mitunter sind aber auch negative Effekte möglich (siehe Tabelle 41).

210

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

Tabelle 41: Auswirkung des Unterstützungsprozesses aus Empfängersicht Subcodes » Outcome des Unterstützungsprozesses »

Anzahl

emotionale und kognitive Reinigung

5

Lösungsfindung

1

»

Meinungsprägung

4

»

negative Auswirkungen

8

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

Mehr als jeder dritte Teilnehmer (n = 10) erkennt und benennt die positiven Auswirkungen der Unterstützungsinteraktion. Dabei wird vor Allem eine emotionale und kognitive Reinigung erzielt. Der Proband erhält die Möglichkeit, durch die Verbalisierung der Belastung den empfundenen Ballast emotional abzuladen und den Kopf mental zu bereinigen: „[...] sie holt mich dann wieder runter, man man spricht davon, und wenn man spricht, dann ist der Kram auch raus und dann, dann kommt das eigentlich auch klarer, auch einem selber klarer (rüber), sonst sonst frisst man das so in sich hinein.“ (I-m-695, 416:418) Mitunter kann sich durch den Austausch auch die Sichtweise auf die Problemsituation verändern oder es können Meinungen geprägt werden. „[...] es unterstützt mich einfach, auch in meiner Meinungsfindung und meiner Meinungsprägung.“ (I-w-NE02, 281:282) Ein Proband gelangt durch die Unterstützungsinteraktion zu einer Lösung der Belastungssituation. „[...] dadurch kommt dann eben etwas in Richtung Lösung zustande. Was auch immer die Lösung ist.“ (I-m-NE04, 325:326) Dennoch sind es nicht nur positive Effekte, die durch die Interaktion ausgelöst werden. Acht Teilnehmer berichten auch von negativen Auswirkungen durch die vom Partner entgegengebrachten Unterstützungsleistungen. Insbesondere die Unterstützungsform Feedback ist in fünf Fällen mit negativen Auswirkungen verknüpft. Die Rückmeldungen des Partners, die sicher auch aus guter Absicht heraus an den Rezipienten herangetragen werden, können im ersten Moment verletzend sein:

8.4 Sicht als Unterstützungsempfänger

211

„[...] das war natürlich eine Sache, die man dann gar nicht gerne hört und die man zuerst auch, wo eine Schwierigkeit vielleicht hat, das auch so ein bisschen anzunehmen und sagt „Und jetzt greifst du mich auch noch an [...]“ (I-m-411, 426:428) Eine Angestellte (I-w-NE01) reagiert garstig und verliert ihre Zugänglichkeit für die Unterstützungsbemühungen des Partners, wenn das Feedback nicht ihrer eigenen Meinung entspricht. Aufgrund der emotionalen Nähe zu ihrem Partner fällt ihr die Annahme seiner kritischen Anmerkungen schwieriger, als bei kritischen Äußerungen der Freundin. Bei einem der Führungskräfte (I-m-NE02), bei dem das durch die Partnerin geleistete Feedback zu einer Änderung seiner Sichtweise anregt, können allerdings auch Diskussionen und Streitigkeiten aus der Unterstützungsleistung resultieren. „[...] man man hat einfach mal eine sehr eindeutige .. Selbsteinschätzung zu vielen Themen, und man ist so so eingefahren in seinem Schubladendenken und jemanden anderes mit einer Schublade dazu zu holen führt dazu, dass man vielleicht mal eine ganz andere Schublade, eine ganz andere Sichtweise auf ein Thema bekommt. Also das ist ab und zu hilfreich, führt aber ab und zu auch dazu, dass man kopfschüttelnd in in Streit ausbricht und dann wird der Stress größer [...]“ (I-m-NE02, 247:251) Eine weibliche Befragte (I-w-549) benennt als negativen Effekt, dass durch eine zu starke Thematisierung der Arbeitsbelastung im Rahmen der Partnerschaft der Erholungseffekt eingeschränkt sein kann: „Ich denke, je mehr das ins Fachliche geht einfach .. umso weniger kann man zu Hause abschalten. Wenn man immer nur über die Arbeit spricht, dann ist das einfach schwierig. Das ist ja nicht Sinn der Sache.“ (I-w549, 310:311) Die negativen Folgen eines ausgeprägten Austausches über die Arbeitsbelastungen erlebt auch eine leitende Angestellte (I-w-NE03). Sie berichtet teilweise von Diskussionen, die sich im Kreise drehen und die Beziehung belasten. Erschwerend kommt hinzu, dass beide Partner in der Beziehung in der gleichen Firma angestellt sind, so dass eine Trennung von beruflichen und privaten Themen bewusst hergestellt werden muss. Aber nicht nur erhaltene Unterstützungsleistungen sondern auch das Ausbleiben benötigter Unterstützungsleistungen kann sich auf den Bedürftigen negativ auswirken. Die Mitarbeiterin aus dem Gesundheitssektor (I-w-674), deren

212

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

Ehemann in der Vergangenheit bei einem hohen eigenen Belastungsausmaß seiner Frau die erwarteten Unterstützungsleistungen verwehrte, fühlt sich in diesen Momenten allein gelassen und reagiert verärgert. „Es gibt auch, es gab auch Moment, wo ich dann sag, ich natürlich ärgerlich war, dass ich das nicht los werden konnte, dass ich das Gefühl hab, ich möchte eigentlich jetzt auch keine Beratung, wie es immer ist als Frau. Sondern man möchte eigentlich nur einmal darüber reden und das los werden und dann ist wieder gut. Und denn hab ich schon gemerkt, dass ich eine meine besten Freunde denn in dem Moment ver- vermisse, weil die einfach zu weit weg sind. Der eine ist da, der andere ist da. Und man, wenn man auch die Zeit nicht aufholen kann, was mal so passiert ist und man auch merkt, wie viel man denn zu erzählen dann hat. Und dass man das natürlich in, klar gehen Telefonhörer auch, aber man möchte auch nicht jeden damit belasten. Die haben auch ihre Sorgen und ihre Probleme und sozusagen man dann doch sich alleine fühlt.“ (I-w-674, 496:505) Unter Betrachtung der soziodemographischen Merkmale wird ein Aspekt besonders deutlich. Annähernd jeder zweite Vorgesetzte (n = 5) äußert negative Auswirkungen des Unterstützungsprozesses oder von Unterstützungsleistungen. Bei den operativen Mitarbeitern sind es 20 %, die von negativen Effekten berichten (n = 3). 8.4.6 Bewertung des Unterstützungsprozesses Angesichts der erwarteten und erhaltenen Unterstützung sowie dem Effekt, der durch die Interaktion ausgelöst wurde, wird der Unterstützungsprozess unterschiedlich bewertet (siehe Tabelle 42). Tabelle 42: Bewertung des Unterstützungsprozesses aus Empfängersicht Subcodes » Bewertung des Unterstützungsprozesses »

Anzahl

hilfreich

14

im Rückblick hilfreich

5

»

bedingt hilfreich

4

»

Ablehnung von Unterstützungsleistungen

4

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

8.4 Sicht als Unterstützungsempfänger

213

Es gibt Unterstützungsleistungen, die von den Teilnehmern abgelehnt werden. Hierzu zählen Ratschläge (I-w-411, I-w-568) und auch konträre Rückmeldungen seitens des Partners (I-w-NE01, I-w-NE02). Während die kritischen Anmerkungen nur vorerst abgelehnt werden, sich im Rückblick aber durchaus als hilfreich erweisen können, werden Ratschläge generell abgelehnt. Insbesondere bei fehlender fachlicher Kompetenz oder Praxiserfahrung des Gegenübers zeigt sich die ablehnende Haltung der Rezipienten gegenüber dieser Unterstützungsform: „Jemand, der aus einem ganz fremden Beruf kommt, kann ja keine Ratschläge erteilen. Ratschläge sind Schläge der besonderen Art [...]“ (I-w568, 331:332) Es sind ausschließlich Frauen, die diese ablehnende Haltung bei Ratschlägen oder konträrem Feedback deutlich machen. Mehr als die Hälfte der Befragten (n = 14) bewertet den Unterstützungsprozess bzw. einzelne Unterstützungsleistungen als hilfreich. Dabei scheint es in besonderem Maße das Zuhören mit der Möglichkeit zur Ventilation aber auch der gegenseitige Austausch zu sein, wodurch die Interaktion mit dem Partner einer Bewältigung der Arbeitsbelastungen dienlich ist. Mögliche kritische Anmerkungen des Partners im Unterstützungsprozess können sich, wie im vorherigen Kapitel gezeigt, im ersten Moment der Auseinandersetzung negativ auf den Bedürftigen auswirken und Verärgerung, Diskussionen oder gar Verletzungen hervorrufen. Im Rückblick und mit zeitlicher Verzögerung wird das kritische Feedback von fünf Interviewten durchaus als hilfreich bewertet. „[...] wenn (Name des Lebensgefährten) nicht nach meiner Nase spricht manchmal, dann . obwohl ich dann auch vielleicht den nächsten Tag darüber nachdenke und sag: „(Stimme wird leiser) Naja, er hat vielleicht doch Recht gehabt. Und so soll das eigentlich sein“ (I-w-NE01, 232:234) Vier Teilnehmer schätzen die Unterstützung des Partners bei den Arbeitsbelastungen nur bedingt bzw. eingeschränkt als hilfreich ein. Eine Mitarbeiterin (I-w549) relativiert die Unterstützungsleistungen des Partners mit denen ihres beruflichen Netzwerks und schätzt die Unterstützung durch Kollegen im Vergleich als hilfreicher ein. Aufgrund der Nähe zum Partner findet die Bewertung der einzelnen Rückmeldungen vom Partner auf einer emotionaleren Ebene statt, die mit Verletzungen einhergehen kann:

214

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

„[...] im Nachhinein denk ich, dass die Unterstützung durch die Kollegen hilfreicher ist. .. Weil man einfach auch, dass vieles auch nicht so persönlich nimmt. Wenn man das mit dem Partner bespricht, dann kommen dann doch ab und zu Verletzungen oder so und denn, das ist einfach nicht gut. Wenn man das mit den Kollegen, dann ist irgendwie auf einer sachlicheren Ebene und dann ist das einfach besser.“ (I-w-549, 366:369) Ein männlicher Teilnehmer (I-m-568) sieht die begrenzte Wirksamkeit partnerschaftlicher Unterstützung bei arbeitsbedingten Belastungen in der fehlenden tatsächlichen Bewältigung seiner Probleme: „Ja, gesprochen wird schon dadrüber . aber letztendlich .. muss ich es irgendwo alleine bewältigen. Das weiß ich auch, und es wird gesprochen, aber es hilft dann auch nicht wirklich weiter.“ (I-m-568, 329:330) Ein Mitarbeiter mit Klientenkontakt (I-m-674) fügt hinzu, dass das Verbalisieren der Probleme allein nicht ausreicht, wenn keine Auseinandersetzung mit alternativen Handlungs- und Verhaltensweisen erfolgt: „[...] nur reden hilft natürlich auch nicht, das weiß man ja aus dem . man muss dann auch konkret überlegen, was kann man anders machen [...]“ (I-m-674, 447:448) 8.4.7 Veränderungswunsch Es wird bereits deutlich, dass die erwünschte und erhaltene Unterstützung nicht immer deckungsgleich ist und der Outcome sowie die Bewertung des Unterstützungsprozesses Optimierungspotenzial aufdecken. Dies zeigt sich letztlich in den Veränderungswünschen der Unterstützungsnehmer (siehe Tabelle 43).

8.4 Sicht als Unterstützungsempfänger

215

Tabelle 43: Veränderungswünsche aus Empfängersicht

Veränderungswünsche

Subcodes

Anzahl

»

Unterstützung im Haushalt

8

»

Optimierung Beruf und Familie

2

»

Freiraum

2

»

Aufmerksamkeit

3

»

Intensivierung der gemeinsamen Zeit

9

»

Erhaltung der Beziehung

9

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

In acht Fällen wünschen sich die berufstätigen Frauen mehr Unterstützung im Haushalt von ihrem Partner. Das entspricht einem Anteil von 62 % der weiblichen Teilnehmer, die diesen Veränderungswunsch benennen. In den überwiegenden Fällen leistet der Partner diese Unterstützung auf direkte Aufforderung, entscheidend ist für die Frauen allerdings die Handlung aus eigenem Antrieb und eine Stetigkeit in der Ausübung von Familien- und Haushaltsarbeiten. Zwei Teilnehmer erhoffen sich eigene berufliche Verbesserungen, damit der Partner die Anforderungen in der Arbeit reduzieren und familiäre Anforderungen stärker fokussieren kann. „[...] ich versuche durch das Studium jetzt einen besser bezahlten Job zu kriegen, dass er vielleicht nicht mehr so viel arbeiten muss. Und mehr im Haushalt machen kann.“ (I-w-516, 675:676) Eine Angestellte (I-w-NE01) räumt ihrem Mann Freiräume zur individuellen Freizeitgestaltung mit seinen Arbeitskollegen ein. Selbige Gelassenheit und Akzeptanz erwartet sie ebenfalls von ihrem Partner, da sie ihm diese Freiheiten mit einer Selbstverständlichkeit gewährt. „[...] er kann z.B. immer anrufen und sagen, er kommt später, er geht noch mit seinem Chef einen Wein trinken, wie auch immer. Und das würde ich nie tun. Manchmal würde ich mir dann aber von ihm wünschen, wenn ich das mal sage, dass er genauso reagiert wie ich und sagt „Ja, das ist ja kein Problem“. Aber das macht er dann nicht. Es ist dann immer ja und wie willst du dies und das und jenes? (Kollege kommt ins Büro) Das würde ich mir schon wünschen. Dass er da genauso locker rea-

216

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

giert, wenn ich mal anrufe und „ich geh jetzt nochmal eine Stunde in die Stadt“.“ (I-w-NE01, 415:420) Bei drei Teilnehmern ist der Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit sehr präsent. Während sich eine Mitarbeiterin (I-w-568) mehr sachliche Gesten von ihrem Mann erhofft, sagt ein männlicher Befragter (I-m-674), er müsse seiner Frau durch gemeinsame Aktivitäten wieder mehr Aufmerksamkeit entgegen bringen. Der Ehemann einer weiblichen Führungskraft (I-m-544) erwartet, dass seine Bedürfnisse ihrerseits von seinen Augen abgelesen werden. „[...] was ich mir immer so ein bisschen wünsche, ist . dass man in der Partnerschaft schon . dem ein bisschen näher kommt, Bedürfnisse, was Sie vorhin so fragten, so so bekomme ich das mit so, wie es wie es einem geht so, dass ich da doch sehr Menschen kennenlerne, irgendwie schon dass ein kleines Gespür dafür habe so, wie ist die Lage vielleicht gerade so, so dieses von den Augen manchmal so ein bisschen ablesen oder so. Das würde ich mir jetzt speziell in meiner Partnerschaft wünschen, ja, das das wäre für mich gut, das haben auch häufig so als Thema, (woher) kann ich doch nicht, steht doch nicht auf deiner Stirn, woher soll ich das denn wissen so, das weiß ich, das das wäre so ein Wunsch [...]“ (I-m-544, 795:801) Generell scheint für mehr als jeden Dritten (n = 9) die Intensivierung der gemeinsamen Zeit als Paar überaus wichtig. Dabei sollen zukünftig wieder mehr gemeinsame Unternehmungen und Aktivitäten für das Paar im Fokus stehen. Das sagen gleichermaßen Probanden mit Kindern und ohne Kinder im gemeinsamen Haushalt. Anhand der Aussage eines Teilnehmers (I-m-549) wird die Bedeutung der gemeinsamen Zeit für Paare mit Kindern deutlich: „Also ich denke manchmal schon so an die Zeit, wenn die Kinder weg sind, wo wir dann wieder mehr Zeit für uns haben, da freue ich mich auch drauf.“ (I-m-549, 553:554) Insgesamt möchte aber auch ein Großteil der Befragten (n = 9) die Beziehung in dieser Form erhalten und drückt die eigene Zufriedenheit aus. Der Wunsch nach vermehrter Unterstützung wird ausschließlich von den Frauen (n = 8) geäußert und ist bei den weiblichen Teilnehmer, die Kinder im eigenen Haushalt versorgen, etwas stärker ausgeprägt (n = 6). Zeitgleich wünschen sich ausschließlich die Personen mit Kindern, mehr Aufmerksamkeit und

8.5 Sicht als Unterstützungsgeber

217

Freiraum vom Partner. Dafür wünschen sich doppelt so viele männliche Teilnehmer eine Intensivierung der Beziehung (n = 6) 8.5

Sicht als Unterstützungsgeber

Die Beschreibung der Interaktion einzig auf der Sicht des Unterstützungsempfängers zu stützen, stellt den Prozess einseitig dar. Es ist notwendig, zusätzlich die Sicht der Unterstützungsquelle zu erfassen, um den Unterstützungsprozess umfänglich abzubilden. 8.5.1 Wahrgenommene Arbeitsbelastungen des Partners Die Teilnehmer wurden danach gefragt, welche Arbeitsbelastungen sie bei ihrem Partner wahrnehmen. Nachfolgend werden in der Tabelle 44, analog zu der Angabe der eigenen beruflichen Anforderungen, die beim Partner wahrgenommenen Belastungen aufgelistet. Tabelle 44: Wahrgenommene Arbeitsbelastungen aus Gebersicht

Arbeitsaufgabe

Arbeitsorganisation Unternehmenskultur/politik

Soziale Beziehungen Arbeitsumgebung

Subcodes

Anzahl

»

Emotionale Inanspruchnahme durch Humanarbeit

7

»

Verantwortung

2

»

Komplexität

0

»

Rollenkonflikte

0

»

Arbeitsintensität

11

»

Störungen

1

»

Unsicherheit

7

»

Unternehmensdruck

1

»

Personalpolitik

0

»

fehlende Anerkennung

4

»

Unternehmensstrukturen

2

»

Kollegen

4

»

Vorgesetzte

5

»

physikalische Faktoren

0

»

physische Faktoren

0

»

Arbeitsplatzgestaltung

1

218

Persönliche Faktoren

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

»

Arbeitsmittel

0

»

Innere Stressverstärker

2

»

Äußere Stressverstärker

0

»

Vereinbarkeit Beruf und Familie

4

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

In der Abbildung wird anhand des mengenmäßigen Vergleichs der Angaben deutlich, dass die Partner die Belastungssituation des Unterstützungssuchenden nur eingeschränkt wiedergeben. Im Anhang H werden die Eigenangaben zur Belastungssituation mit den Einschätzungen des Partners in tabellarischer Form abgeglichen. Hieraus wird ersichtlich, wie zutreffend die Einschätzungen des Partners sind. Grundsätzlich werden Belastungen der emotionalen Inanspruchnahme und der Arbeitsintensität eher richtig eingeschätzt. Belastende Anforderungen, die mit einer hohen Verantwortung, Komplexität oder Rollenkonflikten einhergehen, werden vom Partner nicht oder falsch bewertet. Der Aspekt der Störungen und Unterbrechungen taucht nur einmal als belastender Faktor für den Partner auf. Bezüglich der unternehmenspolitischen und -kulturellen Rahmenbedingungen geben deutlich mehr Befragte aus der Fremdsicht an, ihr Partner würde Unsicherheiten der Firma spüren und unter einer fehlenden Anerkennung leiden. Der Merkmalsbereich der sozialen Beziehungen scheint von außen weniger einschätzbar und in den sozialen Dimensionen schwer abgrenzbar zu sein. Am Ehesten werden die Belastungen aus dem Umgang mit dem Vorgesetzten richtig durch den Partner bewertet, wohingegen die Unstimmigkeiten im Kollegenkreis eine geringere Trefferquote aufweist. Faktoren aus der Arbeitsumgebung werden für den Partner nur in einem Fall als belastender Aspekt genannt. Auffällig ist das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Lediglich eine leitende Mitarbeiterin (I-w-544) benennt es explizit als Belastungsfaktor. Allerdings schätzen insgesamt vier Männer diese Anforderung für ihre jeweilige Partnerin als negativen Punkt ein. Überwiegend geht diese Einschätzung mit einer richtigen Wahrnehmung einer überfordernden Arbeitsintensität einher. 8.5.2 Wahrgenommene Beanspruchung des Partners Über die verbalisierten Belastungen hinaus nehmen die Partner die Beanspruchung ihres Gegenübers wahr. Die Unterstützungsgeber wurden gefragt, woran

8.5 Sicht als Unterstützungsgeber

219

sie die Belastung ihres Partners erkennen. Der Abgleich der Angaben bezogen auf Fremdwahrnehmung und Eigenwahrnehmung ist in der Tabelle 45 dargestellt. Tabelle 45: Wahrgenommene Beanspruchung aus Gebersicht

wahrgenommene Beanspruchung

Subcodes

Anzahl Abgleich

»

körperliche Auswirkungen

1

9

»

kognitive Auswirkungen

0

11

»

emotionale Auswirkungen

15

19

»

verhaltensbezogene Auswirkungen

5

8

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

Während die kognitiven Auswirkungen für die Partner nicht ersichtlich sind, gibt zumindest ein Proband (I-m-411) den Hörsturz seiner Frau als Auswirkung ihrer Arbeitsbelastung an. Wesentlich deutlicher spüren die Befragten die emotionalen Auswirkungen der stresserzeugenden Arbeitsbedingungen bei dem Partner. Ein Angestellter (I-m-228) merkt seiner Frau die Wut an, die sie (I-w-228) ebenfalls explizit als Beanspruchung angibt. In den meisten Fällen wird die Fehlbeanspruchung des Partners an den emotionalen Anzeichen von Ärger, Gereiztheit, Frustration oder auch Traurigkeit und Stimmungsschwankungen deutlich. Diese emotionalen Auswirkungen können sich in veränderten Verhaltensweisen dem Partner gegenüber zeigen, wie die eine Teilnehmerin (I-w-NE02) berichtet: „Ich bekomm es viel mit, wenn er gestresst ist, weil er das doch mit nach Hause bringt und Unzufriedenheit auch an mir auslässt. (schmunzelt)“ (Iw-NE02, 308:309) Ein Mitarbeiter mit Klientenkontakt (I-m-544) und ein Vorgesetzter (I-m-NE03) geben an, dass ihre Frauen in Stresssituationen hektischer als üblich agieren. Zumindest im Fall der einen Ehefrau (I-w-544) ist diese Wahrnehmung nachvollziehbar, da sie über sich selbst behauptet, in Belastungsmomenten nervös zu werden. Auch im Fall des Paares NE01 sind die emotionale Auswirkung aus eigener Sicht und das wahrgenommene Verhalten aus Partnersicht deckungsgleich. Ein männlicher leitender Angestellte (I-m-NE01) ist in Belastungssituationen frustriert, gereizt und unausgeglichen. Seine Partnerin (I-w-NE01) merkt

220

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

dies an veränderten Verhaltensweisen ihres Mannes ihr gegenüber, da er in dem Zusammenhang in gemeinsamen Interaktionen schneller ungehalten reagiert. Ein weiterer Vorgesetzter (I-m-NE04, 463:464) macht die Beanspruchung seiner Partnerin an „[...] der Menge und Intensität, in der sie drüber gesprochen hat und in der Art und Weise, wie sie darüber gesprochen hat.“ fest. Auch weitere Probanden merken die Auswirkungen an kommunikativen Elementen. Bei dem Partner einer Mitarbeiterin (I-w-NE02) ändert sich Stimme und Haltung, der Partner einer leitenden Angestellten (I-w-NE03) wird redseliger. Zwar geben auch hier beide Männer verhaltensbezogene Auswirkungen an, dennoch unterscheiden sich Fremd- und Eigenwahrnehmung deutlich. Der Mann der einen Mitarbeiterin (I-m-NE02) sieht die Belastung an einem veränderten Verhalten in Bezug auf das Vernachlässigen von Vorsätzen und sportlichen Aktivitäten. Der Freund der leitenden Angestellten (I-m-NE03) stellt die Beanspruchung an einem veränderten Essverhalten fest. Der verhaltensbezogene Effekt der Fehlbelastungen nimmt in Eigen- und Fremdwahrnehmung unterschiedliche Ausprägungen an. 8.5.3 Wahrgenommener Umgang des Partners mit den Arbeitsbelastungen Für den Partner kann auch das Bewältigungsverhalten des Partners ersichtlich sein. Die belastete Person kann sich in ihrem Bewältigungsverhalten dem Partner gegenüber anvertrauen, die Belastungen außerhalb der Partnerschaft autonom bewältigen oder sich innengewandt damit auseinandersetzen (siehe Tabelle 46). Tabelle 46: Wahrgenommenes Bewältigungsverhalten aus Gebersicht

wahrgenommenes Bewältigungsverhalten

Subcodes

Anzahl

»

Verbalisierung der Belastung innerhalb der Partnerschaft

14

»

autonome Bewältigung außerhalb der Partnerschaft

9

»

innengewandte Auseinandersetzung

7

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

Über die Hälfte der Probanden (n = 14) geben an, ihr Partner wendet sich in arbeitsbezogenen Stresssituationen an sie, um die Belastungen zu bewältigen:

8.5 Sicht als Unterstützungsgeber

221

„I: Und wie geht er damit um? B: Er spricht sehr viel darüber. Er spricht eher . (schmunzelt) über Sachen, die ihn belasten . als ich. Und er erzählt dann alles.“ (I-w-695, 480:481) Dabei kann die Verbalisierung der belastenden Themen nur eine Strategie des Partners sein, um mit den Ereignissen umzugehen. Ergänzend wird im Fall einer Mitarbeiterin aus dem sozialen Bereich (I-w-568) bei ihrem Mann auch ein autonomes Bewältigungshandeln außerhalb der Partnerschaft registriert. „I: Und wie geht er damit um mit der Belastung? B: Er macht Sport. Er macht ganz viel Sport. Er ist aber auch sehr gläubig, er betet auch sehr viel. ... Ja, und natürlich reden wir darüber. Sonst wüsste ich das ja auch nicht.“ (I-w-568, 714:716) Ein leitender Angestellte (I-m-NE01) und eine männliche Führungskraft (I-mNE03) bewältigen ihre Arbeitsbelastungen nach Angaben der jeweiligen Partnerin in einem Arbeitskontext durch den Austausch mit Kollegen. Letzterer hat laut der Partnerin (I-w-NE03) aber auch die Angewohnheit, Belastungen mit sich selbst auszumachen. Ähnliches berichtet eine weitere Mitarbeiterin (I-w-516). Entweder ihr Mann richtet sich als autonomes Bewältigungsverhalten an seinen Freund oder er behält die Themen für sich. „I: Und wie geht er so mit mit dieser Belastung, die er da mit seiner Selbstständigkeit hat, wie geht er damit um? Ist ja für ihn auch nicht ganz einfach dann. B: Ja. Das behält er eigentlich mehr für sich oder beredet das mit seinem Freund (Freund des Ehemannes). Da hat er einen guten Freund und Mann zu Mann das klappt auch besser.“ (I-w-516, 455:458) Eine Angestellte (I-w-411) gibt über ihren Mann an, dass er die belastenden Themen in sich hinein frisst. Auch der Befragte aus dem Bereich Verkehr, Logistik, Schutz und Sicherheit (I-m-695) schätzt seine Frau beim Umgang mit Belastungen eher als innengerichtet ein. Zum Teil bestätigt das seine Frau (I-w695). Bei Ereignissen in der Zusammenarbeit mit dem Klienten, die sie emotional fordern, wendet sie sich ihrer Aussage nach aber sehr wohl an ihren Partner zur Bewältigung der Belastung. Auch eine weitere Befragte vermutet bei ihrem Partner eine eher innengerichtete Auseinandersetzung mit seinem Arbeitsstress.

222

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

„[...] er ist mehr der Typ, der nicht direkt darüber spricht, sondern das in sich hinein frisst.“ (I-w-NE02, 335) Ihr Partner (I-m-NE02) sieht seine Partnerin schon als erste Ansprechperson bei Arbeitsbelastungen, der er die Themen gegenüber auch gezielt verbalisiert. Er fügt aber einschränkend hinzu, dass er sich mitunter auch an kollegiale Netzwerkpartner wendet, wenn Themen für die Partnerin zu wenig greifbar sind oder sie nicht verfügbar ist. 8.5.4 Wahrgenommene Unterstützungsmobilisierung des Partners Adäquat zur eigenen Einschätzung der Unterstützungsmobilisierung machen die Partner Aussagen dazu, wie das Bedürfnis nach Unterstützung ihnen gegenüber durch den Belasteten signalisiert wird (siehe Tabelle 47). Tabelle 47: Wahrgenommene Unterstützungsmobilisierung aus Gebersicht

wahrgenommene Unterstützungsmobilisierung

Subcodes

Anzahl Abgleich

»

Ritualisierte Kommunikation

4

9

»

Kommunikation der Erwartungshaltung

2

2

»

Direkte Verbalisierung der Belastung

16

22

»

Indirekte Signalisierung der Beanspruchung

17

11

»

Verzögerte Verbalisierung der Belastung

11

5

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

Auch hier werden erneut Abweichungen in der Eigen- und Fremdwahrnehmung ersichtlich. Der reine quantitative Vergleich in der Kommunikation der Erwartungshaltung als Mobilisierungsstrategie wirkt deckungsgleich. Unter Betrachtung der Einzelfälle wird aber deutlich, dass es sich hierbei um unterschiedliche Teilnehmer handelt. In der Eigenwahrnehmung geben eine Mitarbeiterin aus dem sozialen Bereich (I-w-568) und eine Angestellte (I-w-NE01) an, sie würden ihrem Mann gegenüber klar kommunizieren, was sie von ihm als Unterstützung erwarten. Allerdings sind es aus Unterstützersicht andere Partner (I-m-544, I-m-NE03), die Hinweise oder klare Botschaften von ihren Frauen zur Übernahme haushaltsnaher Aufgaben zur Entlastung erhalten.

8.5 Sicht als Unterstützungsgeber

223

Während die Teilnehmer aus der Ursprungserhebung eine nahezu identische Einschätzung bezüglich der direkten Verbalisierung der Belastung geben, liegen die Sichtweisen der Teilnehmer aus der Nacherhebung weit auseinander. So nehmen die Partner eher indirekte Mobilisierungsstrategien ihrer Partner wahr, wohingegen die belasteten Personen von sich behaupten, die Belastungen direkt zu verbalisieren und den Partner damit zur Unterstützungsleistung anzuregen. Wenn die Interviewten die indirekten Signale, die sie zum Handeln veranlassen benennen konnten, waren es zumeist emotionale oder verhaltensbezogene Reaktionen des Partners. Teilweise halten die Unterstützungsgeber die Signale eher allgemein. „[...] Und . das merkt man eigentlich schon, wenn die Tür aufgeht. Wenn man sich so lange kennt, hat man ja so ein gewisses Empfinden schon füreinander.“ (I-w-695, 490:492) Die Signale müssen aber nicht zwangsweise emotionaler oder verhaltensbezogener Natur sein. Es kann sich dabei auch um verbale Schlüsselwörter handeln, die die Unterstützungsquelle aufhorchen lassen. „[...] man merkt ihm das an, dass er sehr in sich gekehrt ist, weil er mit den Gedanken vielleicht auch woanders ist und dass man ihn dann mal darauf anspricht. (Pause 7 sec) So, wenn man bei einem Glas Wein sitzt und so über Gott und die Welt spricht, dann kommt das mal, dass er auch darüber das ein oder andere Wort verliert. Aber dann muss man auch . genau hinhören und dann gegebenenfalls auch nachfragen, weil sonst kriegt man das auch nicht mit.“ Grundsätzlich nehmen die Partner in der Fremdwahrnehmung mehr indirekte Signale wahr und fragen deutlich häufiger gezielt nach, um die detaillierten Belastungshintergründe zu erfahren, als es in der Eigenwahrnehmung als Mobilisierungsstrategie angegeben wird. Dabei wird ein Geschlechtsunterschied deutlich. Haben nur drei Männer über sich selbst angegeben, ihren Unterstützungsbedarf indirekt zu signalisieren, sagen allerdings neun Frauen aus Gebersicht über ihren männlichen Partner aus, er würde über indirekte Signale sein Belastungs- und Beanspruchungsausmaß kommunizieren und sie zum Unterstützungshandeln veranlassen.

224

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

8.5.5 Geleistete Unterstützung Basierend auf der Signalisierung der Unterstützungsbedürftigkeit wird der Partner zur Leistung konkreter Unterstützungsleistungen veranlasst. Im besten Fall wird die geleistete Unterstützung aus Sicht der Quelle von den Rezipienten auch als erhaltene Unterstützung registriert (siehe Tabelle 48) Tabelle 48: Geleistete Unterstützung aus Gebersicht Subcodes

Anzahl Abgleich

Zuhören

20

13

Empathie

7

6

»

Austausch

6

6

»

Feedback

6

9

»

Ratschläge

7

5

»

aktive Problemlösung

2

1

»

Aufgabenübernahme

5

4

»

Freiraum

4

4

»

Bestätigung

2

2

»

Zuspruch

2

2

»

Sicherheit

0

3

»

Ablenkung

2

1

Geleistete Unterstützung » (erhaltene Unterstützung) »

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

Der quantitative Abgleich der geleisteten und erhaltenen Unterstützung offenbart dabei eine gute Annäherung. Einzig der Aspekt des Zuhörens wird in Eigen- und Fremdwahrnehmung unterschiedlich bewertet. Demnach geben zwei Drittel (n = 20) von sich als Unterstützer an, den Partner durch Zuhören bei der Belastungsverbalisierung unterstützt zu haben. Dennoch bleiben sechs belastete Personen, die zwar das Bedürfnis nach dieser Unterstützung haben und bei denen der Partner das Zuhören als Unterstützungsleistung angibt, die dies aber nicht bewusst registrieren. Bei den beiden Probanden (I-w-544, I-m-NE01), die nach

8.5 Sicht als Unterstützungsgeber

225

eigenen Aussagen eine Kommunikation über die Arbeit weitestgehend vermeiden, geben die Partner allerdings als Unterstützungsleistung zuhören an. „B: [...] da nehme ich mir die Zeit oder lege die Sachen weg, die ich gerade vor habe und und und höre ihr dann schon zu.“ (I-m-544, 697:680) Angesichts des bei vielen Teilnehmern hohen Bedarfs zu Reden offenbart der Abgleich mit dem Pendant Zuhören als tatsächlich geleistete und erhaltene Unterstützung eine größere Diskrepanz. Zuhören kennzeichnet sich dabei in der Qualität der Aufmerksamkeit und Bewusstheit dieser Unterstützungsform. Eine Angestellte (I-w-NE01) verdeutlicht allerdings, dass zuhören auch eher beiläufig passiert. „[...] dann höre ich mir das an und versuche, ihm auch kluge Ratschläge in Anführungsstrichen zu geben.“ (I-w-NE01, 356) Die Interviewte geht schnell dazu über Ratschläge zu erteilen. Generell wird mehr Feedback gegeben und es werden Ratschläge angebracht, obwohl sie von den Probanden in dieser Form nicht erwünscht sind. Männer (n = 4) unterstützen ihre Frauen (n = 1) etwas häufiger durch die Übernahme von Haushalts- und familiären Aufgaben als umgekehrt. Überdies werden keine soziodemographischen Unterschiede deutlich. Bei der Gegenüberstellung der Interviews innerhalb der Paare wird deutlich, dass die angebotene Unterstützungsleistung in vielen Fällen nicht dem Unterstützungsbedürfnis entspricht. Teilweise wurden die Probanden ausdrücklich gefragt, warum sie dem Partner genau die ausgewählte Form der Unterstützung gaben (siehe Tabelle 49). Tabelle 49: Begründung für die geleistete Unterstützungsform aus Gebersicht

Begründung für die geleistete Unterstützungsform

Subcodes

Anzahl

»

eigene Erfahrung außerhalb der Partnerschafft

3

»

Unterstützungsbiographie innerhalb der Partnerschaft 3

»

im Rahmen der eigenen Möglichkeiten

3

»

situationsspezifisch angemessen

5

»

typbedingt

2

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

226

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

Drei Probanden haben in der Vergangenheit in Belastungssituationen selbst die Erfahrung außerhalb der Partnerschaft gemacht, dass die von ihnen angebotenen Unterstützungsformen der Belastungsbewältigung dienlich sind. Drei weitere Teilnehmer unterstützen aus den biographischen Unterstützungserfahrungen heraus. Entweder haben sie aus den eigenen fehlgeschlagenen Unterstützungsprozessen gelernt oder das Unterstützungsverhalten des Partners prägt die eigenen Unterstützungsleistungen. Eine Interviewte (I-w-411) hat in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass Vorschläge ihren Partner zusätzlich belasten, so dass sie bevorzugt zuhört und sich empathisch zeigt: „Inzwischen versuche ich nur noch verständnisvoll zu sein. Früher hab ich auch versucht Vorschläge zu machen oder ihm aufzuzeigen, dass er vielleicht auch nicht ganz richtig reagiert. Hab aber gemerkt, dass ihn das zusätzlich belastet und gemerkt, dass er mehr davon hat, wenn ich einfach nur zuhöre und mich verständnisvoll zeige [...]“ (I-w-411, 443:446) Eine weitere Mitarbeiterin tauscht sich mit ihrem Partner durch die Einnahme verschiedener Rollen aus und gibt Feedback, weil er sie in der gleichen Weise unterstützt. Daher rührt bei ihr die Annahme, dass er selbiges Unterstützungsverhalten von ihr erwartet. „Vielleicht doch so das, was er dann auch bei mir versucht, nochmal so einen anderen Blickwinkel zu öffnen. (I: Das machen Sie auch bei ihm.) Das mache ich dann auch bei ihm, genau. (I: Wie kommt es, dass Sie das genau in dieser Weise tun, dass Sie ihm diese Unterstützung geben?) Habe ich bis jetzt noch nie drüber nachgedacht, aber (lacht) ist wahrscheinlich wirklich so, weil man es annimmt, weil man es irgendwie gewohnt ist, dass man das ja auch so macht, wenn er mir Unterstützung gibt.“ (I-wNE02, 370:374) Drei Teilnehmer leisten die von ihnen dargebotenen Unterstützungsformen, da sie sich im Rahmen ihrer eigenen Unterstützungsmöglichkeiten für den Partner zur Bewältigung der Situationen in der Arbeit bewegen. „Das ist auch immer, was ich dann sag „Ich kann dir nur zuhören, mehr kann ich leider nicht machen. Aber ich kann dich umarmen, aber ich kann das Problem an sich dann vielleicht nicht lösen.“ (I-w-674, 488:489)

8.5 Sicht als Unterstützungsgeber

227

Eine leitende Mitarbeiterin (I-w-544) fügt in dem Zusammenhang an, dass sie sich für Unterstützungsleistungen, die über Zuhören und Verständnis hinausgehen, und den Partner aktiv zur Reflexion anregen nicht geübt fühlt. Demnach ist Zuhören die Form der Unterstützung, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten verfügbar ist. Unterstützungsformen können aber auch geleistet werden, weil sie in der Situation als angemessen erscheinen und am besten funktionieren, wie eine Angestellte mit Führungsfunktion (I-w-NE03) stellvertretend argumentiert. Zwei Teilnehmer bieten dem Rezipienten exakt diese Unterstützungsleistung, da sie typbedingt eher dazu neigen Lösungen zu präsentieren (I-m-411, I-m-NE02): „[...] ich war denn immer schon so weit, ich war denn immer in Gedanken dabei, ja wie kriege ich das gelöst. „Das will ich ja gar nicht von dir.“ Da musste, da hat sich mich dann paarmal dann auch gebremst so und sagt „So nun lass das nach nach, das sollst du gar nicht.“ Gut aber das ist eben so typbedingt [...].“ (I-m-411, 679:682) Unterstützung zu leisten, die sich im Rahmen der eigenen Möglichkeiten befinden, impliziert, dass Unterstützungsleistungen auch aus Gebersicht ausgeschlossen werden können. In der Tat geben die Partner an, dass sie unter Umständen keine Unterstützung leisten, auch wenn sie sich des Bedürfnisses bewusst sind. Unterstützungsleistungen bleiben aus, wenn » keine Hilfe im Rahmen der Partnerschaft möglich ist (n = 4), » ein hohes eigenes Belastungsausmaß besteht (n = 5) oder » das Interesse an der Belastungssituation fehlt (n = 1). Bei einer Befragten (I-w-NE04) war zeitweise aufgrund der partnerschaftlichen Rahmenbedingungen während einer beruflichen Auszeit in einem anderen Land und des zeitlich wie räumlich begrenzten Kontakts keine Unterstützung möglich. Eine Teilnehmerin (I-w-516) verweist darauf, dass sie bezüglich seines Berufes zu wenig fachliche Erfahrung hat: „[...] beruflich rede ich ihm da nichts rein, weil ich hab keine Ahnung von EDV und ja, wenn er da Probleme hat, dann dann muss er sich selbst durchbeißen.“ (I-w-516, 512:514) Ein männlicher Befragter (I-m-549) bringt andere berufliche Netzwerkmitglieder ins Spiel, die mitunter für Unterstützungsleistungen besser geeignet sein können.

228

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

„Also ich verweise immer darauf, dass .. sie sich mit Ihrer Kollegin gut versteht, also ich habe auch meine Kollegen, die . vom Prinzip her unterstützen.“ (I-m-549, 439:440) Ein hohes eigenes Belastungsausmaß kann bei fünf Befragten dazu führen, dass der Partner dem Rezipienten notwendige Unterstützungsleistungen verwehrt. „[...] wenn es einem, wenn es einfach zu viel wird, wenn man zu viel hört, wenn man zu viel spricht, dass man dann nach Hause kommt und einfach eigentlich gar nichts mehr hören will [...]“ (I-m-674, 205:207) Ein Teilnehmer gibt sogar zu, dass ihm mitunter das Interesse an einer Thematisierung der Belastungen des Partners fehlt. „[...] wahrscheinlich beschäftige ich mich nicht so gerne mit ihren Problemen [...]“ (I-m-549, 460) Unter Berücksichtigung soziodemographischer Merkmale fällt auf, dass einzig bei dem Mitarbeiter aus dem Bereich 'Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung' das hohe eigene Belastungsausmaß als Grund für das Verwehren von Unterstützungsleistungen genannt wird. 8.5.6 Outcome des Unterstützungsprozesses Ähnlich der Angaben aus Sicht des Unterstützten werden aus Sicht des Gebers positive wie negative Aspekte als Ergebnis der Unterstützungsinteraktion genannt (siehe Tabelle 50). Tabelle 50: Auswirkung des Unterstützungsprozesses aus Gebersicht Subcodes » Outcome des Unterstützungsprozesses »

Anzahl

emotionale und kognitive Reinigung

3

Lösungsfindung

1

»

Meinungsprägung

4

»

Belastungen des Empfängers

1

»

Belastungen des Gebers

3

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

8.5 Sicht als Unterstützungsgeber

229

Neben den positiven Auswirkungen des Unterstützungsprozesses, die das emotionale und mentale Abladen der Belastung, eine konkrete Lösungsfindung oder auch die Änderung von Sichtweisen und Prägung von Meinungen umfasse kann, sind durch die Interaktion auch Belastungen des Empfängers möglich. Der Selbstständige (I-m-516), der seiner Frau durch verbale Aufforderungen einen motivierenden Zuspruch geben will, damit sie ihren Studienverpflichtungen nachkommt, wird mitunter selbst zum Belastungsfaktor. So kann aus der Absicht zu unterstützen, neuer Druck für den Rezipienten entstehen. „Manchmal, bin ich dann auch anstrengend, weil ich sage „Hier, nun musst du aber mal, morgen musst du deine Hausarbeit hochladen (lachend), sie mal zu, dass du fertig wirst!“ Das ist schon, also das kann man sicherlich auch als Belastung ansehen [...]“ (I-m-516, 526:528) Aber auch für den Unterstützungsgeber kann der Unterstützungsprozess negative Auswirkungen haben. Das Ausmaß kann von anteilnehmender Bestürzung, eigenen Gedankenkreiseln über die Thematik bis hin zur Sorge um die Gesundheit des Partners reichen. Es sind ausschließlich die männlichen Interviewten, die die belastenden Aspekte als Auswirkung des Unterstützungsprozesses benennen. 8.5.7 Bewertung des Unterstützungsprozesses Der Unterstützungsprozess kann nicht nur durch den Empfänger, sondern auch aus der Sicht der Unterstützungsquelle bewertet werden (siehe Tabelle 51). Tabelle 51: Auswirkung des Unterstützungsprozesses aus Gebersicht Subcodes » Outcome des Unterstützungsprozesses »

Anzahl

hilfreich

8

bedingt hilfreich

1

»

ausbaufähig

8

»

richtigen Zeitpunkt abwarten

5

»

richtige Wortwahl treffen

2

»

Signalisierung unerwünschter Unterstützungsformen

5

Anmerkungen. Die Nennungen werden pro Interviewpartner nur einmal gezählt. Mehrfachzuordnungen der Kategorien sind möglich.

230

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

Acht Interviewte schätzen den Interaktionsprozess und die von ihnen geleistete Unterstützung für den Empfänger als hilfreich ein. „[...] ich glaub, dass es ihn danach auch nicht mehr so sehr belastet, so spiegelt er mir das wieder. Deswegen denke ich schon, dass das ihm hilft.“ (I-w-NE02, 384:385) Die Rückkopplung zur Wirksamkeit kann nonverbal über Mimik und Gestik erfolgen, wie der Selbstständige (I-m-516) berichtet. Zum Teil erhält die Unterstützungsquelle aber auch direkte verbale Äußerungen von dem Unterstützten, die die positive Wirkung der Interaktion bestätigen. „Und er dann auch sagt „Ich bin froh, dass wir jetzt darüber gesprochen haben.“ Und dann sieht man ihm das auch an. Auch wenn ich das Problem nicht lösen kann, aber wir eben darüber gesprochen und er sagt dann manchmal reicht ihm das aber auch einfach die Umarmung zu haben [...]“ (I-w-674,571:574) In diesem Zitat wird deutlich, dass der emotionale Aspekt des Zuhörens und der Empathie vom Partner ausreichen kann, um einen entlastenden Effekt bei arbeitsbedingten Belastungen zu erzielen. Das Gespräch ist auf jeden Fall hilfreich, sonst würde er auch nicht so viel erzählen. .. Und das das sagen wir ja auch manchmal: „Du du kannst mir im Moment zwar nicht helfen, aber es es tut einfach trotzdem gut das darüber sprechen zu können.“.“ (I-w-411, 473:475) Einer der Führungskräfte (I-m-NE2) empfindet seine Unterstützungsleistungen nur bedingt als hilfreich. Sofern er einfach zuhört und der Partnerin die Möglichkeit zur Ventilation bietet, schätzt er es für sie als hilfreich und ausreichend ein. Da er aber häufig auch Anmerkungen zu ihren Sichtweisen und Ratschläge gibt, wird der entlastende Effekt unter Umständen eingeschränkt. Grundsätzlich empfinden acht Teilnehmer ihre geleistete Unterstützung als ausbaufähig. Ein männlicher Interviewter (I-m-544) weiß, dass seine Frau sich mehr Anerkennung und Bestätigung für ihre beruflichen und privaten Leistungen wünscht, was in der Tat bei der Partnerin (I-w-544) als Unterstützungsbedürfnis präsent ist. „I: Und wie kann er Sie unterstützen? B: Wie kann er mich unterstützen? . Was mich auf jeden Fall unterstützt, ist absolute Anerkennung für das, was ich tue.“ (I-w-544, 492:494)

8.5 Sicht als Unterstützungsgeber

231

Ein weiterer Mitarbeiter (I-m-549) vermutet bei seiner Frau den Wunsch nach längeren Gesprächen, die aufgrund der Kinder im Haushalt in dieser Intensität selten möglich sind, dabei erwartet sie mehr familien- und haushaltsbezogene Unterstützung zur Entlastung von ihm. Dem Partner der Interviewten aus dem Gesundheitssektor (I-m-674) hingegen ist bewusst, dass er sie im Haushalt mehr unterstützen könnte. „[...] dass ich sie halt auch mehr unterstützen könnte, wobei sie mich schon auch oft lobt, wenn ich dann mal was mache, das heißt nicht, dass ich jetzt stinkend faul bin, aber ich könnte auf jeden Fall mehr machen als . als ich mache.“ (I-m-674, 598:600) Ein Teilnehmer (I-m-695) hält die Art seiner Unterstützung für richtig, allerdings reiche die Menge an Unterstützungsleistungen, die er seiner Frau gibt, nicht aus. Einer der leitenden Mitarbeiter (I-m-NE03) hält seine Sensibilität, mit der er erkennt, wann seine Partnerin Unterstützung benötigt, für optimierungswürdig. Bei den Frauen erkennen zwei Teilnehmerinnen aus dem sozialen Bereich (I-w549, I-w-568), dass der Partner mehr Aufmerksamkeit und Empathie braucht. Nicht nur die Form der geleisteten Unterstützung ist für die Bewertung der Interaktion entscheidend. Fünf Befragten müssen für ihre Unterstützungsleistungen den richtigen Zeitpunkt abwarten. Ein Angestellter (I-m-228) bringt seine Unterstützung erst an, nachdem sich seine Frau zunächst zurückziehen und entsannen konnte. Auch die Mitarbeiterin aus dem Gesundheitssektor (I-w-674) wartet einen ruhigen Moment ab, um bei ihrem Partner gezielt nachzufragen: „Wo ich dann erstmal abwarte. Nicht sofort mit der Tür ins Haus falle, sondern erstmal einen Moment suche oder einen Tag später oder zwei Tage später, manchmal eine Woche später, wo ich sage „Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, wir sind für uns unter uns.“ Wo ich sage „Sag mal, irgendwas hat dich doch jetzt hier die Woche, was ist denn los, was ist passiert?“.“ (I-w-674, 558:561) Bei Unterstützungsleistungen wie Ratschlägen oder kritischen Anmerkungen scheinen ebenfalls der richtige Zeitpunkt und die Rahmenbedingungen der Situation von Bedeutung zu sein. „I. Aber jetzt bringen Sie ja trotzdem auch mal kluge Ratschläge an. Geschickt verpackt dann?

232

8 Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie

B: Ja, ja, ich warte dann vielleicht auch noch einen Tag. Ich muss gucken, wie er dann drauf ist. Es kommt auf die Situation drauf an, ob er dann das hören will.“ (I-w-NE01, 372:374) Der Ehemann einer leitenden Mitarbeiterin (I-m-544) kann Kritik erst anbringen, wenn er sie vorher auf andere, in ihrem Sinne positive, Weise unterstützt hat: „[...] dann möchte sie doch erst mal, dass dass ich das so anerkenne, dass es ihr auch wichtig ist und dass ich sage, das finde ich auch in Ordnung, ist für dich wichtig und du machst das und da auch hinhören, dann darf ich auch was kritisches dazu äußern, denn aber . das ist ihr ganz wichtig.“ (I-m-544, 707:710) Neben dem richtigen Zeitpunkt kommt es aber auch auf die richtige Wortwahl an, damit Unterstützungsleistungen den Partner in wohlwollender Absicht erreichen und damit ihre positive Wirkung entfalten können. „[...] aber ich darf nicht generell irgendwie sagen, ich finde Qualitätsmanagement quatsch so, das würde sie nicht so gerne.“ (I-m-544, 706:707) Sollte die Unterstützungsleistungen das Bedürfnis oder die Erwartung des Rezipienten verfehlen, so wird der Unterstützungsquelle in fünf Fällen signalisiert, dass die angebotene Unterstützungsform unerwünscht ist. Dabei kann der Partner den Unterstützungsgeber direkt verbal ausbremsen: „[...] ich war denn immer schon so weit, ich war denn immer in Gedanken dabei, ja wie kriege ich das gelöst. „Das will ich ja gar nicht von dir.“ Da musste, da hat sich mich dann paarmal dann auch gebremst so und sagt „So nun lass das nach nach, das sollst du gar nicht.“ (I-m-411, 679:681) Dennoch erweist sich das direkte Kommunizieren der Erwartungshaltung nicht als Garant für eine Anpassung zukünftiger Unterstützungsprozesse. Ein Angestellter (I-m-411) unterstützt seine Frau trotzdem weiterhin in dieser Form. Im Gegenzug äußert er seiner Frau gegenüber ebenfalls klar und deutlich, dass bestimmte Unterstützungsformen ihrerseits nicht hilfreich sind. Darüber hinaus können nonverbale Signale, die beispielsweise Verärgerung ausdrücken, aber auch Gereiztheitsreaktionen Aufschluss über unerwünschte Unterstützungsleistungen geben.

8.5 Sicht als Unterstützungsgeber

233

Die Berücksichtigung sozidemographischer Merkmale offenbart, dass überwiegend Personen aus dem Bereich 'Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung' (n = 6) und männliche Probanden (n = 6) ihre Unterstützung als ausbaufähig einschätzen. Die Bedeutung des richtigen Zeitpunktes und der richtigen Wortwahl für eine positive Wirkung ihrer Unterstützungsleistungen erkennen ausschließlich androgyne und feminine Personen.

9

Diskussion

Die quantitative Vorstudie und die qualitative Hauptstudie haben eine Reihe interessanter Ergebnisse hervorgebracht. Diese gilt es abschließend sowohl im Hinblick auf die aufgestellten Hypothesen und formulierten Forschungsfragen als auch vor dem Hintergrund bisheriger Forschungsergebnisse zu diskutieren. 9.1

Interpretation der Ergebnisse

Zunächst sollte mit Hilfe der quantitativen Studie generell der Stellenwert des Partners bei der Bewältigung von Problemen in der Arbeit und der Einfluss partnerschaftlicher Unterstützung bei arbeitsbedingten Belastungen auf die Gesundheit eruiert werden. Die Befunde vertiefend und ergänzend stand bei der qualitativen Studie eine genaue Analyse des Prozesses und Beschreibung der Unterstützungsinteraktionen im Vordergrund. 9.1.1 Zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse der quantitativen Vorstudie Im Vergleich verschiedener berufsbezogener und privater Netzwerkmitglieder offenbarte sich der Partner als bedeutsamste Unterstützungsquelle bei Problemen in der Arbeit. Das durch den Partner gelieferte Unterstützungsausmaß überstieg deutlich die Unterstützungsleistungen von Kollegen und Vorgesetzten. Dieser Effekt zeigte sich bei beiden Geschlechtern. Allerdings erhielten Frauen im Gegensatz zu den Männern von anderen privaten Netzwerkmitgliedern einen vergleichbaren Grad an sozialer Unterstützung wie durch die beruflichen Bezugspersonen. Dies ist mit den bisherigen Forschungsergebnissen kongruent, die Frauen in Krisensituationen ein größeres Netzwerk an privaten Sozialpartnern für Unterstützungsleistungen nachweisen (Antonucci & Akiyama, 1987; Berkman et al., 1993; Knoll et al., 2005). Unter Berücksichtigung des Geschlechtsrollenselbstkonzepts zeigte sich nur bei der Unterstützungsquelle des Vorgesetzten ein Unterschied im Unterstützungsausmaß bei arbeitsbedingten Belastungen zugunsten femininer verglichen mit maskulinen Personen. Die Ergebnisse, bei denen sich für alle weiteren Netzwerkmitglieder keine signifikanten Unterschiede im Unterstützungsgrad im direkten Vergleich von femininen und maskulinen Personen nachweisen lassen, widersprechenden mit Ausnahme des Vorgesetzten © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 D. Niemann, Die Rolle des Partners und der Partnerin bei der Bewältigung arbeitsbedingter Belastungen, Gesundheitspsychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24906-9_9

236

9 Diskussion

als Unterstützungsquelle den Befunden von Reevy und Maslach (2001), nach denen Femininität statt Maskulinität mit der Suche nach und dem Erhalt von sozialer Unterstützung einhergeht. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Relevanz privater Beziehungspartner für Unterstützungsleistungen bei arbeitsbezogenen Problemen beschränkten sich allerdings ausschließlich auf das biologische statt auf das psychologische Geschlecht. Der Partner konnte anhand der Angaben der Befragten als wesentlichste Unterstützungsquelle bei Arbeitsbelastungen identifiziert werden. Ledige Personen profitieren aufgrund des Fehlens dieses Netzwerkpartners nicht von diesem Vorzug. Demnach wurde ihnen ein höheres Unterstützungsausmaß durch weitere berufliche und private Netzwerkmitglieder unterstellt. Dies konnte aber nur für andere Personen außerhalb der Arbeit bestätigt werden. Ledige Personen scheinen damit das Fehlen der partnerschaftlichen Unterstützung durch weitere private Unterstützungsquellen zu kompensieren. Interessanterweise erhielten Befragte ohne Kinder sowohl von dem Lebenspartner als auch von anderen Personen außerhalb der Arbeit mehr Unterstützung bei arbeitsbedingten Problemen. Auch wenn der Unterschied im Ausmaß nur geringfügig war, so scheint er zumindest insofern Relevanz aufzuzeigen, als dass gerade im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie die Unterstützungsleistungen durch den Partner aber auch durch andere private Netzwerkmitglieder besonders wertvoll und erwünscht sein können. Es stellt sich dabei die Frage, ob diese Unterstützungsleistungen den Personen mit Kindern tatsächlich weniger angeboten werden oder, ob diese durch den Bedürftigen nur nicht registriert und damit als Unterstützungsverhalten interpretiert werden. Mitunter haben die Personen mit Kindern im Vergleich zu den Befragten ohne Kinder einen anderen Bedarf an Unterstützungsleistungen zur Bewältigung der Arbeitsbelastungen, wodurch die Unterstützungsinteraktion negativer bewertet wird. Es hat sich gezeigt, dass der Partner aus der Sicht der Befragten einen herausragenden Stellenwert bei der Bewältigung von Problemen in der Arbeit einnimmt. Letztlich ist aber nicht nur die Bewertung durch die Befragungsteilnehmer von Bedeutung, sondern auch ein nachweisbarer positiver Effekt in der Einflussnahme partnerschaftlicher Unterstützung bei Arbeitsbelastungen auf die Gesundheit. Nur wenn die Unterstützungsinteraktion die Gesundheit nachweislich positiv beeinflusst, erweist sich die subjektive Bedeutsamkeit des Partners

9.1 Interpretation der Ergebnisse

237

aus Teilnehmersicht auch objektiv im Unterstützungsprozess als wirksam und gewichtig. Zunächst zeigte sich mit Ausnahme der qualitativen Unterforderung und der kognitiven Irritation, dass ein erhöhtes Belastungsausmaß mit einem erhöhten Beanspruchungsausmaß einhergeht. Hingegen verringerte sich der Grad der Fehlbeanspruchung mit zunehmender sozialer Unterstützung. Dieser negative Zusammenhang zwischen der sozialen Ressourcen und den negativen Befindensparametern zeigte sich für die berufsbezogenen Netzwerkmitglieder gleichermaßen wir für den Partner. Einzig bei den anderen Personen außerhalb der Arbeit fehlte der Zusammenhang. Die Bedeutsamkeit des Partners ließ sich auch für das Belastungs- und Beschwerdeausmaß nachweisen. So zeigten Personen mit einer hohen partnerschaftlichen Unterstützung bei Arbeitsbelastungen einen niedrigeren Belastungsgrad und äußerten ein geringeres Maß an psychosomatischen Beschwerden als Personen mit geringer partnerschaftlicher Unterstützung. Die partnerschaftliche Unterstützung offenbarte sowohl bei einem geringen als auch bei einem hohen Belastungsausmaß einen förderlichen Effekt im Hinblick auf die Gesundheit gemessen am Grad der psychosomatischen Beschwerden. Unter Berücksichtigung der Kombination von Unterstützungsausprägungen durch den Partner und den Vorgesetzten offenbarte der Partner als Unterstützungsquelle eine größere Bedeutsamkeit für die Gesundheit als der Vorgesetzte. Eine logistische Regressionsanalyse und begleitende Moderationsanalyse sollten die Art der Einflussnahme der sozialen Unterstützung auf die Gesundheit klären. Unter Kontrolle von Alter, Geschlechtsrollenselbstkonzept sowie von sozialer Unterstützung durch Vorgesetzte, Kollegen und andere Personen außerhalb der Arbeit ließen sich das Geschlecht, der Arbeitsbelastungsindex sowie die soziale Unterstützung durch den Partner bei Problemen in der Arbeit als Prädikatoren für eine gute bzw. schlechte Gesundheit identifizieren. Während ein steigendes Alter und arbeitsbedingtes Belastungsausmaß die Chance auf eine gute Gesundheit verringerten, verbesserte sich die Chance auf eine gute Gesundheit durch ein hohes partnerschaftliches Unterstützungsausmaß. Berufsbezogene Netzwerkmitglieder erwiesen sich im Hinblick auf die Gesundheit als unbedeutend. Dabei weisen sie nach Badura et al. (2010) und Gusy (1995) eine größere Relevanz für die Bewältigung von Arbeitsbelastungen auf, was sich letztlich in einem positiven Effekt auf die Gesundheit hätte zeigen müssen. Schließlich offenbart auch die Metanalyse von Viswesvaran et al. (2002) einen positiven Ein-

238

9 Diskussion

fluss arbeitsbezogener sozialer Unterstützung auf die stressbezogene Bewertung von Anforderungen, das Stresserleben und die Auswirkung der Belastung auf Gesundheit und Wohlbefinden. Bei genauerer Betrachtung der einzelnen Studien, die über positive Effekte sozialer Unterstützung durch die Vorgesetzten und Kollegen berichten, sind die abhängigen Variablen wie beispielsweise Produktivität, Arbeitsausfall oder auch Arbeitszufriedenheit verstärkt arbeitskontextbezogene Folgen. Im Rahmen der vorliegenden quantitativen Studie wurde ein übergreifend relevanter Gesundheitsparameter, gemessen an dem Ausmaß der psychosomatischen Beschwerden, bestimmt. Bei Verwendung der kognitiven oder auch emotionalen Irritation als Outcome Variablen, hätte sich die soziale Unterstützung durch berufsbezogene Netzwerkmitglieder durchaus als Prädikator erweisen können. Im Hinblick auf die Gesundheit bestätigte sich aber die subjektive Bedeutsamkeit des Partners auch objektiv in einer direkten positiven Auswirkung der partnerschaftlichen Unterstützung bei Arbeitsbelastungen auf die Gesundheit. Allerdings lag hierbei keine puffernde Wirkung sozialer Unterstützungsleistungen vor. Zusammenfassend ließ sich zwar ein Direkteffekt von sozialer Unterstützung durch den Partner im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nachweisen, ein Moderationseffekt lässt sich allerdings empirisch nicht halten. Auch auf Basis bisheriger Forschungsbefunde sind die Ergebnisse zu den Puffereffekten durchaus heterogen (Lin et al., 1986). Wenn sich nur das Haupteffektmodell nicht aber das Moderatormodell bestätigen lässt, ist die Frage nach dem genauen Prozess und der subjektiv wahrgenommenen Auswirkung von Unterstützung im Kontext der qualitativen Studie von entscheidender Bedeutung. 9.1.2 Zusammenfassende Diskussion der Ergebnisse der qualitativen Hauptstudie Zunächst zeigt sich im Rahmen der Interviews, dass die Aktvierung und Nutzung des sozialen Netzwerks bei der großen Mehrheit der Teilnehmer eine mögliche Strategie zur Bewältigung der arbeitsbedingten Belastungen darstellen kann. Bei diesem zielgerichteten und bewusst angewandten Bewältigungsverhalten scheinen die Kollegen eine größere Relevanz als der Vorgesetzte und der Partner zu erfahren. Die kollegiale Unterstützungsquelle wird häufig für einen emotionsorientierten und kognitiven Austausch oder auch zur Aufgabenübernahme genutzt. Ihr großer Vorteil liegt in der zeitlichen und meist auch räumlichen Nähe zum Unterstützungsbedürftigen. Zudem besteht hier eine Verbundenheit, da die Kol-

9.1 Interpretation der Ergebnisse

239

legen meist auch ähnliche Rahmenbedingungen und Belastungen teilen. Der Partner hingegen ist in der Regel erst im Anschluss an die Arbeitszeit verfügbar, es sei denn, der Kontakt wird während der Arbeitszeit über moderne Kommunikationsmittel initiiert. Interessanterweise nennen vorzugsweise Frauen die Aktivierung des sozialen Netzwerks als Copingstrategie und wenden sich diesbezüglich auch vermehrt an den Partner. Allerdings werden Unterstützungsprozesse nicht ausschließlich auf Basis einer gezielt eingesetzten Copingstrategie initiiert. Die Betrachtung des gesamten Unterstützungsnetzwerks und die gezielte Frage nach unterstützenden Personen bei arbeitsbedingten Belastungen offenbart ein deutlich größeres Netzwerk an Sozialpartnern als einzig die Frage nach dem bewussten Bewältigungsverhalten. Hierbei zeigt sich der Partner sowohl für die Frauen als auch für die Männer als größte Unterstützungsquelle, wenngleich die Kollegen eine nahezu ähnlich hohe Relevanz erfahren. Bei den Kollegen gibt es allerdings die Einschränkung, dass Themen mitunter nur oberflächlich angesprochen werden. Als problematisch erweisen sich kollegiale Unterstützungsquellen, wenn die Kollegen die unterstellten Mitarbeiter sind oder der Kollegenkreis für die Arbeitsbelastungen ursächlich verantwortlich ist. In diesem Fall und insbesondere bei Fragen der Vertraulichkeit der Kommunikation gewinnt der Partner an Bedeutung, da er mitunter bei sozialen Arbeitsbelastungen der einzige Ansprechpartner ist. Der Stellenwert der partnerschaftlichen Unterstützung resultiert aber nicht nur aus der Vertraulichkeit sondern auch aus der Verlässlichkeit dieses Netzwerkmitglieds. Freunde erfahren wiederum für einige Interviewte stärkere Relevanz, wenn die Gleichgeschlechtlichkeit des Unterstützungspartners für die Legitimation von Problemen oder für den Erhalt der erwünschten Unterstützungsleistungen wichtig ist. Der Kommunikation bezogen auf spezifische belastende oder allgemeine Arbeitsthemen wird eine hohe Bedeutung im Rahmen der Partnerschaft beigemessen. Der Partner kann natürlich wichtig sein, wenn die belastenden Ereignisse ganz gezielt kommuniziert werden sollen. Überdies ist die Kommunikation aber generell ein wichtiger und alltäglicher Bestandteil innerhalb einer Partnerschaft, der Bindung und Nähe vermittelt. In diesem Rahmen werden natürlich auch ganz allgemeine Themen, die die Arbeit betreffen, angebracht. Lediglich ein geringer Teil klammerte die Arbeitsbelastungen in der partnerschaftlichen Kommunikation bewusst aus. Dennoch weichen die Teilnehmer unter Umständen von dieser grundsätzlichen Haltung ab, wenn das eigene Belastungsausmaß

240

9 Diskussion

eine hohe Intensität erreicht. Mitunter werden auch nur manche Themen in der Kommunikation ausgeklammert, wenn der Partner in der akuten Belastungssituation nicht verfügbar ist, die Themen für den Partner nicht greifbar sind oder erwünschte Unterstützungsleistungen in der Antizipation ausbleiben würden. Das eigene Bedürfnis, über die Arbeitsbelastungen zu sprechen, kann aber auch aus Rücksicht auf den Belastungsgrad des Partners zurück gefahren werden. Frauen nutzen die Kommunikation mit dem Partner zielgerichteter für die Bewältigung der Arbeitsbelastungen, während die Männer der Stichprobe die arbeitsbezogene Kommunikation in der Partnerschaft bevorzugt allgemeiner halten. Hier kann die kulturelle Männlichkeitsnorm eine Rolle spielen, die es Frauen eher als Männern gestattet, Probleme zu haben und zuzugeben. Der Stellenwert der arbeitsbezogenen Kommunikation spiegelt sich natürlich auch in der Mobilisierung der Unterstützungsleistungen wider. Cutrona und Suhr et al. (1990) konnten in ihren Studien bereits zeigen, dass soziale Unterstützung vorzugsweise durch Schilderung des Belastungsereignisses oder durch indirekte Signalisierung der Beanspruchung mobilisiert wird. Auch in der vorliegenden Studie verbalisieren die Rezipienten die belastenden Ereignisse überwiegend direkt und gezielt dem Partner gegenüber, um den Unterstützungsprozess in Gang zu setzen. In diesem Fall werden die Kommunikationsräume zur Verbalisierung der belastenden Themen gezielt geschaffen. Darüber hinaus können die belastenden Ereignisse aber auch im Rahmen ritualisierter Kommunikationsmuster wie beispielsweise beim gemeinsamen Abendessen oder Kaffee trinken angesprochen werden. Häufig geht mit dem standardisierten Kommunikationsraum auch ein Erzählimpuls zur Verbalisierung der Tagesereignisse einher. Insbesondere Paare ohne im Haushalt lebende Kinder sprechen die Arbeitsthemen innerhalb eines regelhaften täglichen Austausches an und können dem Partner dadurch Informationen über den Belastungsgrad vermitteln, der als Impuls für Unterstützungsleistungen dient. Bei Paaren mit Kindern scheinen andere Themen als die Arbeitsbelastungen der Eltern innerhalb der ritualisierten Kommunikationsräume ausschlaggebend zu sein. Frauen neigen überdies häufiger dazu, ihren Belastungsgrad indirekt zu signalisieren. Dies kann nonverbal durch Körpersprache aber auch durch die paraverbale Kommunikation erfolgen und den Partner zu einer erzählauffordernden Nachfrage veranlassen. In seltenen Fällen werden die Erwartungen der Unterstützungsleistungen direkt kommuniziert. Die daraufhin geleistete soziale Unterstützung würde eher aus einem Gefühl der Verpflichtung

9.1 Interpretation der Ergebnisse

241

als aus eigenem Interesse heraus geschehen. Bereits Cutrona und Cohen et al. (1990) haben festgestellt, dass spontan geleistete Unterstützung besser bewertet wird. In Anbetracht der Fehlbeanspruchungsfolgen bei den belasteten Teilnehmern, die sich vorwiegend durch emotionale Auswirkungen kennzeichnen und zum Teil auch über verhaltensbezogene Veränderungen offenbart werden, kann der Partner auch durch sichtbare Signale dieser Fehlbeanspruchung auf den Belastungsgrad schließen und dadurch ohne Verbalisierung belastender Themen unterstützend aktiv werden. In der Tat nehmen die Partner emotionale und verhaltensrelevante Veränderungen des Rezipienten stärker wahr als beispielsweise kognitive oder körperliche Auswirkungen. Im Abgleich der Eigenangaben und die vom Partner wahrgenommenen Mobilisierungsstrategien offenbaren sich allerdings große Diskrepanzen. Auch wenn nach Cutrona und Cohen et al. (1990) direkte Aufforderungen eher in Unterstützungsleistungen münden als indirekte Signalisierungen der mit der Belastung verbundenen Emotionen, so zeigt sich in der vorliegenden Studie, dass die Partner sehr wohl auf der Basis der offenbarten Emotionen unterstützendes Verhalten anbieten. Ein entscheidender Vorteil innerhalb intimer Beziehungen liegt letztlich auch in der Entwicklung eigener Kommunikationssignale und -muster, die zwar für außenstehende Dritte schwer identifizierbar, für den Partner hingegen leichter zu entschlüsseln sind. Entscheidend ist im weiteren Verlauf aber auch eine richtige Entschlüsselung der erwünschten Unterstützungsleistungen. Das primäre Bedürfnis, das sich bezogen auf die Arbeitsbelastungen bei den Rezipienten einstellt, ist das Reden über die belastenden Ereignisse. In Anbetracht der Bedeutung der partnerschaftlichen Kommunikation erscheint dieses Bedürfnis plausibel. Mit der Verbalisierung geht in vielen Fällen der Wunsch nach emotionaler Ventilation einher. Auch der gemeinsame Austausch scheint für einige Teilnehmer bei der Bewältigung der Arbeitsbelastungen bedeutsam. Austausch kennzeichnet sich durch einen gleichwertigen verbal-kognitiven Abgleich von Sichtweisen und ein gemeinsames lautes Denken. Im Gegensatz dazu meint Feedback eher eine einseitige Mitteilung von Denkweisen aus Sicht des Unterstützungsgebers und wird nur in einem Fall begehrt. Ratschläge sind zwar ebenfalls eine Form einseitiger Rückmeldungen, die dem Rezipienten allerdings eine klare Information über empfehlenswerte Handlungen und Verhaltensweisen geben. Die Teilnehmer wünschen sich vorzugsweise den gleichwertigen Aus-

242

9 Diskussion

tausch mit dem Partner auf einer Kommunikationsebene, als einseitige Rückmeldungen in Form von Feedback oder Ratschlägen mit Handlungsempfehlungen. Während der Austausch die Gleichwertigkeit zwischen Rezipient und Geber vermittelt, lassen Feedback und Ratschläge eher eine Hierarchie in der Kommunikationsebene deutlich werden. Mitunter kann dem Bedürftigen damit der Eindruck der Minderwertigkeit oder Unmündigkeit vermittelt werden, was sich in einem geringeren Bedürfnis nach dieser Unterstützungsform ausdrückt. Bei manchen Teilnehmern stellt sich der Wunsch nach Freiraum ein. Dieser Freiraum kann sich in der Gewährung nach Rückzug und Ruhe ausdrücken oder auch in der Akzeptanz des Partners, so dass zeitliche Spielräume zur Erledigung und Kompensation beruflicher Anforderungen genutzt werden können. Weiterhin brauchen einige Interviewte mehr Bestätigung ihrer Meinung und Anerkennung ihrer Leistungen oder motivationalen Zuspruch von ihren Partnern als andere. Ausschließlich Frauen wünschen sich mehr Unterstützung im Haushalt durch die Übernahme von alltäglichen Aufgaben. In der klassischen Rollenverteilung sind Frauen zwar für die Haus- und Familienarbeit sowie die Kindererziehung zuständig (Faltermaier & Hübner, 2016), was sich auch in der qualitativen Hauptstudie, trotz der Variation in der Paarzusammensetzung nach dem Geschlechtsrollenselbstkonzept, zeigt. Dennoch benötigen und erwarten berufstätige Frauen Haushaltsunterstützung zur Entlastung ihrer beruflichen Anforderungen. Zudem bezwecken eher Frauen durch das Reden über die Arbeitsbelastungen gleichzeitig eine emotionale Ventilation. Dafür brauchen vemehrt Männer den Freiraum, was einem stärkeren Autonomiestreben männlicher Personen entspricht. Frauen wiederum begehren stärker Zuspruch und die Vermittlung von Sicherheit in arbeitsbedingten Belastungssituationen. Auch wenn es vereinzelt Teilnehmer gibt, die eine Kommunikation über Arbeitsthemen weitestgehend vermeiden, können sie Unterstützungsleistungen vom Partner begehren. In diesem Fall brauchen diese Personen statt kommunikativer und kognitiver Unterstützungsformen eher Freiraum, Anerkennung und Unterstützung durch die Übernahme von Haushaltsaufgaben. Der große Teil der Befragten möchte über die Belastung reden. Der überwiegende Teil der Unterstützungsgeber gibt auch an, dass sie in diesem Fall durch Zuhören unterstützen. Dennoch registrieren deutlich weniger Rezipienten diese Unterstützungsleistung. Das mag in der Qualität des Zuhörens begründet sein. Aktives Zuhören kennzeichnet sich durch eine bewusste Aufmerksamkeits-

9.1 Interpretation der Ergebnisse

243

lenkung auf die Erzählungen des Partners. Allerdings offenbart sich bei vielen Unterstützungsgebern relativ schnell der Impuls nach weiteren Unterstützungsleistungen. So wird nur flüchtig zugehört und relativ schnell zu anderen Unterstützungsformen übergegangen. Es wird deutlich mehr Feedback gegeben und es werden Ratschläge erteilt, wobei sie von der belasteten Person nur selten oder gar nicht erwünscht sind. Das zeigt, dass Menschen die Kommunikation vorzugsweise selbst bestimmen und sich durch Kompetenz dem anderen gegenüber auszeichnen wollen. Immerhin haben einige Unterstützungsgeber in der Vergangenheit Erfahrungen gesammelt, was sich für sie selbst als hilfreich auszeichnet, und übertragen dies letztlich auch auf den Unterstützungsbedürftigen. Was für einen selbst gut ist, muss schließlich auch für den Partner funktionieren. Zudem möchte die Unterstützungsquelle in der Regel helfen, was eventuell dem eigenen Verständnis nach eher durch Ratschläge mit Handlungsimpulsen oder durch kritische Anmerkungen, wodurch der Partner zu Reflektion angeregt werden soll, erreicht wird. Interessanterweise geben überwiegend die männlichen Probanden an, ihre Unterstützung der Partnerin gegenüber sei hinsichtlich der Intensität und Qualität ausbaufähig und verbesserungswürdig, was aktuellen Forschungserkenntnissen entspricht, dass Männer ein geringeres Ausmaß an sozialer Unterstützung leisten als Frauen (Faltermaier & Hübner, 2016). Anhand der Ergebnisse lassen sich Determinanten erfolgreicher oder misslungener Unterstützungsinteraktionen benennen. Unterstützungsprozesse scheitern, wenn die Unterstützungsquelle meint, es sei im Rahmen der Partnerschaft generell oder zeitweise keine Unterstützung möglich. Zudem führt ein hohes eigenes Belastungsausmaß dazu, dass der Unterstützungsgeber mitunter keine Hilfe leisten kann oder möchte. Das kann wiederum dazu führen, dass sich der Bedürftige mit der Belastungssituation allein gelassen fühlt. Letztlich muss aber berücksichtigt werden, dass ein zu starkes Thematisieren der Arbeitsbelastungen im Rahmen der Partnerschaft den Erholungseffekt einschränken kann. In einer Studie von Hahn und Dormann (2013) konnte in diesem Zusammenhang gezeigt werden, dass die Trennung von Beruf und Familie ein Abschalten von der Arbeit fördert und dadurch auch die Erholung des Partners begünstigt wird. Es ist daher entscheidend, das richtige Maß an Verbalisierung zu finden, so dass das eigene Bedürfnis nach Unterstützung bekundet und befriedigt wird, dennoch die Übertragungseffekte auf die Partnerschaft gering gehalten werden. Aufgrund der Äußerung der belastenden Situationen und Signalisierung der damit verbun-

244

9 Diskussion

denen Emotionen kann auch der Partner zusätzlich belastet werden. Der Prozess kann aber auch misslingen, wenn sich der Unterstützungsbedürftige aus Rücksicht auf den Belastungsgrad des Partners in der Befriedigung seines Bedürfnisses zurück nimmt. Mitunter wird der benötigte Unterstützungsprozess in diesem Fall erst gar nicht initiiert. Ratschläge und kritisches Feedback werden innerhalb der Interaktion schlechter bewertet. Aufgrund der Nähe zum Partner und einen Bedürfnis nach Bestätigung und Anerkennung, die durch Kritik negiert wird, kann konträres Feedback mit emotionalen Verletzungen des Unterstützungsbedürftigen einhergehen. Fivecoat (2016) fand bei einer Untersuchung im Rahmen ihrer Dissertation heraus, dass insbesondere bei Frauen der Cortisolspiegel bei unerwünschten, wenn auch vom Geber gut gemeinten, Unterstützungsleisten ansteigt. Innerhalb der vorliegenden Studie zeigen sich im ersten Moment bei kritischen Rückmeldungen und voreilig angebrachten Ratschlägen ebenfalls ablehnende Reaktionen des Rezipienten. Erst im Rückblick können sich diese Unterstützungsformen als nützlich und angemessen erweisen. Hierfür muss der Rezipient allerdings auch Reflektionsvermögen aufweisen und die Fähigkeit zur Einsicht besitzen. Für einen gelingenden Unterstützungsprozess ist es wichtig, sich auf den Unterstützungsbedürftigen einstellen zu können und die notwendige Sensibilität in der Wahrnehmung des Bedarfs und der Bedürfnisse aufzuweisen. Empathische und sozial-kommunikative Unterstützungsqualitäten können sich hierbei als förderlich erweisen. Sensibilität begünstigt die Wahrnehmung ablehnender Haltungen gegenüber bestimmter Unterstützungsleistungen und ermöglicht die Anpassung der zukünftigen Unterstützungsinteraktion entsprechend der Bedürfnisse des Rezipienten. Bewusst geschaffene Kommunikationsräume und ritualisierte Kommunikationsmuster helfen, belastende Themen zu verbalisieren und einen selbstverständlichen Umgang mit Arbeitsbelastungen im Rahmen der Partnerschaft herzustellen. In diesem Zusammenhang ist es aber auch entscheidend, klare Signale für erwünschte oder unerwünschte Interaktionen zu vereinbaren, um Missverständnisse oder fehlgeleitete Unterstützungsleistungen zu vermeiden. Auf Seiten des Partners sollten die Entscheidungen des Rezipienten im Umgang mit der belastenden Situation letztlich auch akzeptiert werden. Zuhören kristallisierte sich als wichtigste Unterstützungsleistung heraus und sollte vom Partner bewusst und aufmerksam erfolgen. Das vermittelt Interesse und fördert die Bindung, Nähe und das gegenseitige Verständnis. Dabei ist es wichtig, nicht voreilig

9.1 Interpretation der Ergebnisse

245

zu anderen Unterstützungsformen überzugehen, die in der eigenen Vorstellung nützlicher zu sein scheinen. Insbesondere bei kritischen Anmerkungen oder Ratschlägen sind der richtige Zeitpunkt und die Wortwahl ausschlaggebend, um Verletzungen und negative Reaktionen zu vermeiden. Es erweist sich ebenfalls von Vorteil, wenn im Vorfeld von Kritik positive und bestätigende Unterstützungsformen geleistet werden. Berufstätige Frauen benötigen zur Entlastung von ihrem Mann Unterstützung im Haushalt. Im idealen Fall wird diese alltägliche Übernahme haushaltsnaher Aufgaben aus eigenem Antrieb und ohne direkte Aufforderung geleistet. Es hat sich gezeigt, dass die Interaktion der sozialen Unterstützung eine größere Komplexität aufweist, als in dem Modell von Knoll und Schwarzer (2005) dargestellt. Insbesondere auf Seiten des Unterstützungsgebers lassen sich weitere Dimensionen und Interaktionspfade abbilden, die bisher keine oder nur unzureichend Berücksichtigung finden. Auf Basis der Ergebnisse der leitfadengestützten Interviews ist daher folgende Erweiterung des Modells der Unterstützungsinteraktion, dargestellt in Abbildung 23, möglich. Unterstützungsempfänger Wahrgenommene Unterstützung

Unterstützungsgeber

Bedürfnis nach Unterstützung

Wahrgenommener Unterstützungsbedarf Situation Person Beziehung

Mobilisierung von Unterstützung

Geleistete Unterstützung Unterstützungseinbehalt

Erhalt von Unterstützung

Abbildung 23: Erweitertes Modell der Unterstützungsinteraktion (mod. nach Knoll & Schwarzer, 2005, S. 336)

246

9 Diskussion

Da das Ursprungsmodell der Unterstützungsinteraktion von Knoll und Schwarzer (2005) bereits im Kapitel 3.4 ausführlich beschrieben wurde, werden an dieser Stelle nur die ergänzten Dimensionen und Interaktionspfade näher erläutert. Das erweiterte Modell Unterstützungsinteraktion basiert auf den Interaktionsmustern, die sich durch die qualitativen Interviews prozesshaft abbilden lassen. Auf der Seite des Unterstützungsgebers wird der Bedarf nach Unterstützung eingeschätzt (wahrgenommener Unterstützungsbedarf). Der potenziell Unterstützende schätzt dabei die Belastungssituation des Rezipienten ein und antizipiert vor dem Hintergrund der Situationsbeschaffenheit den Bedarf für Unterstützungsleistungen. Überdies wird der Unterstützungsbedarf auch auf Basis vorhergehender gelingender oder fehlgeschlagener Unterstützungsprozesse bewertet. Auch die Bewertung der eigenen Handlungs- und Reaktionsweisen des Unterstützungsgebers in vergleichbaren Belastungssituationen beeinflusst den wahrgenommenen Unterstützungsbedarf. Die Leistung von Unterstützung geschieht auf Seiten der Quelle aus eigenem Antrieb auf Basis des wahrgenommenen Unterstützungsbedarfs oder auf Basis der Mobilisierungsbemühungen des Unterstützungsbedürftigen. Werden die Mobilisierungsbemühungen des Empfängers von der Unterstützungsquelle registriert und der Bedarf erkannt, erfolgen die Unterstützungsleistungen immer auch vor dem Hintergrund einer Situations-, Bedürfnis- und Handlungsinterpretation sowie einer Abschätzung der eigenen Handlungsmöglichkeiten. Basierend auf diesen Bewertungen kann die Unterstützungsquelle die benötigten Unterstützungsleistungen auch bewusst verwehren, wenn der Unterstützungsgeber beispielsweise vor dem Hintergrund fehlender eigener Handlungsmöglichkeiten oder fehlender Kapazitäten keine Bereitschaft zur Leistung von Unterstützung zeigt (Unterstützungseinbehalt). Der Einbehalt von Unterstützungsleistungen stellt dabei eine eigenständige und zusätzliche Dimension dar. Die Unterstützung, die auf Seiten des Unterstützungsempfängers registriert wird, liefert nicht nur einen rückgekoppelten Beitrag zur zukünftigen wahrgenommenen Unterstützung bei dem Rezipienten, sondern beeinflusst durch bewusste und unbewusste Reaktionsweisen des Rezipienten auch die zukünftige Bewertung des Unterstützungsbedarfs, die durch die Unterstützungsquelle wahrgenommen wird. Die gesamte Interaktion zwischen dem Empfänger und dem Geber gestaltet sich dabei stets vor dem Hintergrund von situationalen (Situation), intrapersonellen (Person) und interpersonellen Aspekten (Beziehung), die stetig aufgrund vergangener Unterstützungsinteraktionen verändert werden.

9.2 Stärken und Schwächen der Studie

9.2

247

Stärken und Schwächen der Studie

Die vorliegende Arbeit zeichnet sich in besonderem Maße durch den MixedMethods-Ansatz aus, bei dem die qualitative Studie die Ergebnisse der vorgelagerten quantitativen Studie ergänzt. Damit hebt sich die Arbeit in Anbetracht bisheriger Forschungen zu sozialer Unterstützung hervor. Eine Vielzahl von Studien bildet soziale Unterstützung auf Basis quantitativer Analysen ab. Zwar gibt es zahlreiche diagnostische Instrumente, die die verschiedenen Stadien im Unterstützungsprozess mitunter auch aus verschiedenen Sichtweisen analysieren und unterschiedliche Unterstützungsquellen sowie Formen von Unterstützung differenzieren, dennoch lässt sich der Prozess mit quantitativ orientierten Analysen nicht vollständig abbilden und rekonstruieren. Zumal es Verhaltensweisen, Reaktionen, Einstellungen und Antizipationen gibt, die im Vorfeld noch unbekannt sind und daher in starren Befragungsinstrumenten keine Berücksichtigung finden. Tagebuchverfahren gehen hier zwar einen Schritt weiter und ermöglichen eine differenziertere Abbildung des Prozesses und eine zeitnahe Erfassung unterstützender Interaktionen, dennoch sind sie aufgrund ihrer fehlenden Möglichkeit zur Nachfrage begrenzt. Beobachtungsverfahren konstruieren Unterstützungsprozesse meist unter künstlichen Bedingungen, die nicht zwangsweise mit Unterstützungsinteraktionen in Realsituationen übereinstimmen müssen. Im Rahmen dieser Arbeit wurden quantitative und qualitative Methoden gleichwertig und ergänzend eingesetzt. Die quantitative Vorstudie eruierte erste Hinweise auf den Stellenwert des Partners und lieferte den Fokus für die qualitative Hauptstudie. Die in der Hauptstudie eingesetzten Leitfadeninterviews ermöglichten ein gezieltes Erfragen von Unterstützungsprozessen und eine Fokussierung auf relevante Informationen durch den Interviewer. Der Interviewleitfaden erfasste gleichermaßen die Sicht als Rezipienten und als Unterstützungsquelle. Durch die gleichzeitige Befragung der Partner in getrennten Gesprächssituationen konnte ein Abgleich der Sichtweisen erfolgen und der Prozess aus beiden Perspektiven abgebildet werden. Die für die Auswertung relevante Kategorienbildung erfolgte überwiegend induktiv. Starre theoriegeleitete Kategorien hätten den Informationsgehalt zu stark reduziert, wodurch relevante Aspekte im Unterstützungsprozess verborgen geblieben wären. So zeigen die induktiv gebildeten Kategorien der erwünschten, geleisteten und erhaltenen Unterstützung die Vielschichtigkeit und Spezifität von emotionalen, kognitiven oder auch instrumentellen Unterstützungsformen.

248

9 Diskussion

Allerdings verlangt die Methodik der Interviews ein hohes Reflexionsvermögen der Befragten. Mitunter kann auch die retrospektive Wahrnehmung verzerrt sein. Beobachtungen von realen Interaktionskontexten liefern demgegenüber ein unverfälschtes Bild des Unterstützungsprozesses. Bei der Nutzung von zwei Interviewern, wodurch zwar die Beeinflussung der Paare untereinander und durch den Interviewer im Falle eines notwendigen zweiten Interviews mit dem anderen Partner vermieden wird, besteht trotz des Leitfadens die Gefahr unterschiedlicher Fokussierungen von Gesprächsinhalten. Weiterhin ist kritisch anzumerken, dass die Interpretation der Interviews mit Blick auf die personellen Ressourcen ohne Beteiligung eines Interpretationsteams erfolgte. Im Rückblick hätten für die quantitative Untersuchung durchaus auch andere Instrumente zum Einsatz kommen können. Dies hätte nicht nur eine Differenzierung der sozialen Unterstützung nach der Quelle, sondern überdies auch eine Unterscheidung nach Unterstützungsform sowie den Stadien in der Unterstützungsinteraktion aus Geber- und Empfängersicht bei Anwendung der Berliner Social Support Skalen (Schulz & Schwarzer, 2003) oder dem Inventar zur sozialen Unterstützung in Dyaden (Winkeler & Klauer, 2003) im Rahmen der quantitativen Untersuchung ermöglicht. Weiterhin ist der geringe Rücklauf bei der schriftlichen Befragung zu hinterfragen und kritisch zu betrachten. Aufgrund dessen war es nicht möglich, die Stichprobe für die qualitative Untersuchung anhand vorher festgelegter demographischer Merkmale auszuwählen. Daher ist die Zusammensetzung der Teilnehmer in der qualitativen Studie überaus heterogen. Ein Vergleich von Gruppen unter sozidemographischen Gesichtspunkten war nur eingeschränkt auf Ebene der einzelnen 26 Teilnehmer in Bezug auf das biologische Geschlecht oder die hierarchische Position im Unternehmen möglich. Eine differenzierte Betrachtung der Ergebnisse anhand der Beziehungsdauer oder der altersmäßigen Zusammensetzung des Paares blieb nicht nur aufgrund der Heterogenität, sondern auch aufgrund des geringen Samples von 13 Paaren aus. 9.3

Anwendungsmöglichkeiten

Aus den Ergebnissen sowie den Stärken und Schwächen der Studien lassen sich Implikationen für zukünftige Forschungen aber auch für die Praxis ableiten.

9.3 Anwendungsmöglichkeiten

249

9.3.1 Perspektiven für die Forschung Das qualitative Datenmaterial bietet über die bisherige Auswertung hinaus noch eine Reihe an Inhalten für eine tiefergehende und fokussierte Analyse. In den Interviews wurden auch unterstützungsrelevante Aspekte der Paarbiographie sowie Persönlichkeitseigenschaften in Eigen- und Fremdattribution erfasst. So wäre es möglich, den Unterstützungsprozess vor dem Hintergrund biographischer Entwicklungen als Paar zu rekonstruieren oder den Zusammenhang mit Eigen- und Partnerzuschreibungen von Eigenschaften herzustellen. In der Auswertung der einzelnen Fälle bietet sich zudem eine grafische Darstellung der Prozesspfade an. So könnte jeder Fall ausgehend von den Belastungen über die Beanspruchungen und das Bewältigungsverhalten bis hin zu dem differenzierten Unterstützungsprozess abgebildet werden. Diese abstrakte grafische Abbildung der Unterstützungsinteraktion würde den Fallvergleich weiter vereinfachen und die Komplexität und Differenziertheit von Unterstützungsprozessen sowie deren Abhängigkeiten verdeutlichen. Zudem wäre es möglich, aus dem vorhandenen Datenmaterial bei einer Auswertung auf der Ebene des Paares verschiedenen Paartypen der Unterstützungsinteraktion zu identifizieren. Ergänzend könnten in zukünftigen Forschungen zusätzlich zu den Leitfadeninterviews die Ergebnisse nach einer detaillierten Auswertung in einem gemeinsamen Paarinterview rückgekoppelt werden. Mögliche Auffälligkeiten, Unklarheiten oder Fragen könnten auf diesem Wege mit dem Paar abgeglichen werden. Dies würde den Unterstützungsprozess weiter konkretisieren sowie Spekulationen und Interpretationen des Forschers bestätigen oder ausräumen. Andererseits könnten auch Beobachtungen in Realsituationen nachfolgend zu den Leitfadeninterviews eingesetzt werden, um die Angaben aus den Interviews zu verifizieren. Allerdings können beide methodischen Ergänzungen nur unter Berücksichtigung ausreichender personeller, zeitlicher und finanzieller Ressourcen realisiert werden. Grundsätzlich bieten sich zukünftig vermehrt MixedMethods-Studien an, um die Schwächen einzelner Verfahren auszugleichen und ein umfangreiches Bild der Unterstützungsprozesse zu liefern. Insbesondere mit Blick auf die Kategorisierung von Unterstützungsformen muss abgewogen werden, ob diese starr entsprechend theoretischer Einteilungen oder offen mit Blick auf die Relevanz innerhalb der Stichprobe vorgenommen wird. Es ist zu empfehlen, die soziale Unterstützung in Partnerschaftsbeziehungen bei arbeitsbedingten Belastungen weiter zu erforschen und die soziodemo-

250

9 Diskussion

graphischen Merkmale für Gruppenvergleiche und Typenbildung von Unterstützern und Unterstützten homogen zu halten. Aufgrund der Heterogenität der Stichprobe war es überwiegend nur möglich, Gruppen beispielsweise nach Geschlecht zu vergleichen. Die Daten lassen aber auf weitere bedeutsame Unterschiede schließen. Ein Vergleich kann nach Beziehungsdauer, Alter oder unterstützungsbiographische Erfahrungen erfolgen. Vereinzelt wurden Differenzen zwischen Paaren mit Kindern und ohne Kinder deutlich. Auch dieser Vergleich kann zukünftig fokussiert werden. Interessant erweist sich auch eine differenzierte Betrachtung der Unterstützungsprozesse von Führungskräften und Mitarbeitern ohne Leitungsfunktion. Im Rahmen der Studie wurde vereinzelt deutlich, dass Führungsfunktionen mit einem veränderten Bedarf an Unterstützung und einer anderen Leistung von Unterstützung einhergeht. Grundsätzlich bietet dieses Feld viele weitere Differenzierungsmöglichkeiten und eine Vielfalt an möglichen Methoden, die miteinander kombiniert werden können. Zukünftige Forschungsprojekte könnten folgende Fragestellungen näher untersuchen: » Welche unterschiedlichen Paartypen lassen sich in der Unterstützungsinteraktion in Paarbeziehungen identifizieren? » Wie unterscheiden sich Paare mit und ohne Kinder im Bedürfnis nach sozialer Unterstützung bei Arbeitsbelastungen und deren Unterstützungsinteraktionen? » Welchen Einfluss übt die berufliche Rolle auf die Unterstützungsinteraktion in Paarbeziehungen bei Arbeitsbelastungen aus? » Wie verändert sich die Unterstützungsinteraktion unter paarbiographischen Gesichtspunkten? » Wie beeinflusst das biologische Alter das Unterstützungsbedürfnis und die zugehörige Unterstützungsinteraktion? Die quantitativ orientierten Instrumente zur Diagnostik der sozialen Unterstützung sollten die Ebene des Unterstützungsgebers stärker durch weitere Konstrukte in der Interaktion berücksichtigen und mittels geeigneter Skalen erfassen. Hierbei bietet es sich an, die im erweiterten Modell der Unterstützungsinteraktion (siehe Kapitel 9.1.2) ergänzten Dimensionen wahrgenommener Unterstützungsbedarf und Unterstützungseinbehalt in geeigneter Weise mittels MultiItems-Skalen zu operationalisieren und deren Relevanz und Gültigkeit statistisch zu überprüfen.

9.3 Anwendungsmöglichkeiten

251

9.3.2 Perspektiven für die Praxis Forschung sollte immer auch Praxisrelevanz aufzeigen und in Empfehlungen für die Praxis münden, immerhin liefern wissenschaftliche Erkenntnisse stichhaltige Argumentationen für die Gestaltung von alltäglichen Lebenswelten. Auch die vorliegenden Ergebnisse liefern Hinweise für eine anwendungsbezogene Umsetzung der Erkenntnisse in verschiedenen Disziplinen. Zunächst sind die Ergebnisse für Unternehmen zur Gestaltung von Arbeitsbedingungen relevant. Über die Rolle des Partners hinaus zeigen die beiden Studien, dass soziale Ressourcen einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung von Arbeitsbelastungen leisten. In diesem Zusammenhang sind aus Sicht von Betrieben und Institutionen in erster Hinsicht die beruflichen Netzwerkpersonen bedeutsam. Führungskräfte gestalten die Arbeitsorganisation und -aufgaben und werden dadurch zu einer wichtigen Ressource für Mitarbeiter. Überdies stellen die Kollegen eine weitere wichtige Unterstützungsquelle dar, die sich aufgrund der räumlichen wie zeitlichen Nähe und der gemeinsamen Verbundenheit leichter aktivieren lässt. Unternehmen profitieren demnach, wenn sie bewusst in ein gutes Sozialklima investieren und Maßnahmen umsetzen, die die sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz hierarchieintern und -übergreifend verbessern. Hierfür ist es förderlich, Führungskräfte zum komplexen Interaktionsprozess der sozialen Unterstützung zu schulen, so dass diese in der Lage sind, gelingende Unterstützungsinteraktionen zu gestalten. Überdies hat sich der immense Stellenwert des Partners bei der Bewältigung von Arbeitsbelastungen bestätigt. Viele Firmen neigen dazu, Prozesse aus dem privaten Kontext in ihrer Relevanz für betriebliche Belange zu ignorieren oder gar zu negieren. Damit entgeht ihnen allerdings der Blick für eine überaus wirksame Ressource. Damit die Unterstützungsinteraktion mit dem Partner und ein entlastender Effekt greifen kann, sind gemeinsame Kommunikationsräume im Rahmen der Partnerschaft unabdingbar. Dies erfährt insbesondere in Hinsicht auf in Schichtarbeit tätige Personen besondere Bedeutung. Ein Abgleich der Schichten und eine individuelle Gestaltung von Schichtplänen sollte berücksichtigt werden. Ohne gemeinsame Zeiträume für Kommunikation kann der Unterstützungsprozess im Rahmen der Partnerschaft nur schwer greifen. Dies sollte bei der Arbeitszeitgestaltung Berücksichtigung finden. Zugleich ist es überlegenswert, nicht nur bei Mitarbeitern eine Identifikation mit dem Unternehmen zu

252

9 Diskussion

fokussieren und mit entsprechenden Maßnahmen zu hinterlegen, sondern auch bei den Partnern der Mitarbeiter die Attraktivität als Arbeitsgeber zu fördern. Weiterhin erfährt vor Allem die qualitative Studie besondere Relevanz im Kontext paartherapeutischer Interventionen. So kann Paarberatung die Bedeutung der Kommunikation von Arbeitsbelastungen im Rahmen der Partnerschaft herausstellen und gezielt eine Reflektion der unterstützenden Prozesse bei berufstätigen Paaren initiieren, um ein besseres Verständnis für die eigenen Bedürfnisse und die des Partners bei belastenden berufsbezogenen Ereignissen zu erzielen. Im weiteren Verlauf können die Paare dazu angeleitet werden, gezielt ritualisierte Kommunikationsräume zu schaffen und Kommunikationsmuster zu entwickeln, die eine adäquate und erfolgreiche Unterstützungsmobilisierung ermöglichen.

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