Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

Dieses Buch befasst sich mit der Auftraggeberhaftung nach § 14 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und § 13 des Mindestlohngesetzes. Der Autor untersucht die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der Auftraggeberhaftung sowie deren prozessuale Durchsetzung. In § 14 Satz 1 AEntG – auf den § 13 MiLoG verweist – hat der Gesetzgeber dabei auf Rechtsfolgenseite angeordnet, dass der Auftraggeber „wie ein Bürge“ haften soll. Das wirft die Frage auf, wie diese Haftung rechtlich einzuordnen ist. Im Zentrum des Buches wird daher die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung untersucht. Nach der Darstellung, in welcher Form die Auftraggeberhaftung auf die Bürgschaft des Bürgerlichen Gesetzbuches Bezug nimmt und in das System der Bürgenhaftung einzuordnen ist, zeigt der Autor, inwiefern die Normen des Bürgschaftsrechts auf die Auftraggeberhaftung Anwendung finden.


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Juridicum – Schriften zum Arbeitsrecht

Paul Alexander Tophof

Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung Einordnung des § 14 AEntG und § 13 MiLoG in das System der Bürgenhaftung

Juridicum – Schriften zum Arbeitsrecht Reihe herausgegeben von J. Joussen, Bochum, Deutschland

Die Schriftenreihe widmet sich dem Arbeitsrecht in seiner ganzen Breite. Sie ermöglicht die Veröffentlichungen von Abhandlungen aus dem Bereich des Individualarbeitsrechts ebenso wie aus dem kollektiven Arbeitsrecht. Damit sind neben Fragestellungen des gesamten Arbeitsvertragsrechts insbesondere auch Beiträge aus dem Betriebsverfassung-, dem Tarif- und dem Koalitionsrecht Gegenstand der Reihe. Sie ist offen für sehr gute wissenschaftliche Forschungsarbeiten aus diesem Fächerbereich, auch soweit sie aus europäischen oder internationalen Bezügen stammen. Reihe herausgegeben von Prof. Dr. Jacob Joussen Juristische Fakultät Ruhr-Universität Bochum

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/15851

Paul Alexander Tophof

Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung Einordnung des § 14 AEntG und § 13 MiLoG in das System der Bürgenhaftung

Paul Alexander Tophof Bochum, Deutschland Dissertation Ruhr-Universität Bochum, 2018

ISSN 2522-5863 ISSN 2522-5871 (electronic) Juridicum – Schriften zum Arbeitsrecht ISBN 978-3-658-23383-9 ISBN 978-3-658-23384-6 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-23384-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Meiner Familie

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2018 von der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung sind im Wesentlichen bis April 2018 berücksichtigt. Ganz besonders danken möchte ich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Jacob Joussen. Er hat mich sowohl bei der Anfertigung der vorliegenden Arbeit als auch darüber hinaus stets unterstützt – dies auch schon weit vor meinem Promotionsvorhaben. Danken möchte ich ihm auch für die Möglichkeit, während meines Promotionsvorhabens an seinem Lehrstuhl arbeiten zu dürfen. Ebenso danke ich ihm für die Aufnahme in diese Schriftenreihe. Des Weiteren möchte ich Herrn Prof. Dr. Klaus Schreiber für die überaus zügige Erstellung des Zweitgutachtens besonders danken. Mein herzlicher Dank gilt zudem meinen Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl, die mich ebenfalls bei der Anfertigung der Arbeit unterstützt haben. In diesem Zusammenhang gilt es besonders Herrn Dr. Tim Husemann hervorzuheben, der mir von Beginn an ein sehr guter, zugleich kritischer Gesprächspartner war. Ein besonderer Dank gilt auch Frau Dr. Karola Christiane Wendel. Darüber hinaus möchte ich an dieser Stelle all denjenigen danken, die mich auf meinem bisherigen „juristischen Weg“ begleitet und unterstützt haben. Stellvertretend für viele sei an dieser Stelle Herr Prof. Dr. Markus Stoffels genannt, der mir den Weg in das Arbeitsrecht geebnet hat. Ein großer Dank gilt zudem Frau Heike Niemeyer für das sorgfältige Korrekturlesen der Arbeit. Frau Dr. Margarethe Tophof danke ich sehr für die Unterstützung bei der Veröffentlichung. Ganz herzlichen Dank schulde ich in erster Linie meiner Familie. Sie waren bei der Anfertigung der Arbeit immer eine Hilfe und zeigten viel Verständnis. Ich danke daher meinen Brüdern Max Tophof und Franz Tophof sowie meinen Eltern Volker Schmerfeld-Tophof und Dr. Susanne Tophof. Ohne ihre Unterstützung wäre die vorliegende Arbeit nicht möglich gewesen. Bochum, im Juli 2018

Paul Alexander Tophof

Inhaltsübersicht Erstes Kapitel.

Einleitung .................................................................................... 1

Zweites Kapitel.

Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen der Auftraggeberhaftung ................................................................. 5

A

Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG ........................................................ 6 I Normentstehung ................................................................................................ 6 II Normzweck ..................................................................................................... 11 III Anwendungsbereich ........................................................................................ 14 IV Tatbestandsvoraussetzungen ........................................................................... 16 V Rechtsfolgen ................................................................................................... 35

B

Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG ..................................................... 50 I Normentstehung .............................................................................................. 50 II Normzweck ..................................................................................................... 53 III Anwendungsbereich ........................................................................................ 56 IV Tatbestandsvoraussetzungen ........................................................................... 57 V Rechtsfolgen ................................................................................................... 69

C

Die prozessuale Durchsetzung der Auftraggeberhaftung ................................ 76 I Rechtsweg ....................................................................................................... 77 II Örtliche Zuständigkeit .................................................................................... 83 III Darlegungs- und Beweislast ........................................................................... 83 IV Klageart ........................................................................................................... 86 V Aussetzung bei Vorgreiflichkeit, § 148 ZPO.................................................. 91 VI Rechtskrafterstreckung ................................................................................... 92 VII Verjährungshemmende Maßnahmen .............................................................. 92

D

Vergleich von § 14 AEntG und § 13 MiLoG ..................................................... 94 I Normentstehung, Normzweck und Anwendungsbereich ............................... 94 II Tatbestandsvoraussetzungen ........................................................................... 95 III Rechtsfolgen ................................................................................................... 96 IV Abdingbarkeit ................................................................................................. 96 V Prozessuale Durchsetzung .............................................................................. 97 VI Die Rechtsnatur ............................................................................................... 97 VII Ergebnis .......................................................................................................... 98

X

Inhaltsübersicht

Drittes Kapitel.

Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung ........................... 99

A

Die Bürgschaft .................................................................................................... 101 I Die historische Entwicklung der Bürgschaft ................................................ 101 II Die Bürgschaft des Bürgerlichen Gesetzbuches ........................................... 105

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren ......... 123 I Der Kreditauftrag .......................................................................................... 123 II Die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft .................................................... 131 III Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung ................................... 146 IV Ergebnis ........................................................................................................ 197

C

Einordnung der Auftraggeberhaftung............................................................. 203 I Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG ................................................. 203 II Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG................................................. 206 III Die Rolle des Auftraggebers für das Arbeitsverhältnis ................................ 208 IV Ergebnis ........................................................................................................ 209

Viertes Kapitel.

Die rechtlichen Folgen: Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts auf die Auftraggeberhaftung ......................... 211

A

Die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts, §§ 765 ff. BGB .......................... 212 I Abstrakte Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts ......................................... 212 II Die entsprechende Anwendung des Bürgschaftsrechts auf die Auftraggeberhaftung ..................................................................................... 220 III Ergebnis ........................................................................................................ 242

B

Änderungen auf Seiten des Gläubigers oder des Schuldners ........................ 244 I Gläubigerwechsel (Übergang der Hauptforderung) ..................................... 244 II Schuldnerwechsel ......................................................................................... 255 III Ergebnis ........................................................................................................ 259

Fünftes Kapitel.

Forschungsergebnisse ............................................................ 261

Literaturverzeichnis ................................................................................................ 267

Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel.

Einleitung .................................................................................... 1

Zweites Kapitel.

Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen der Auftraggeberhaftung ................................................................. 5

A

Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG ........................................................ 6 I Normentstehung ................................................................................................ 6 II Normzweck ..................................................................................................... 11 III Anwendungsbereich ........................................................................................ 14 IV Tatbestandsvoraussetzungen ........................................................................... 16 1 „Ein Unternehmer“ .................................................................................. 16 a) Begriff des Unternehmers ................................................................. 16 b) Einschränkende Auslegung des Unternehmerbegriffs...................... 19 aa) Ansatz der Rechtsprechung........................................................ 20 bb) Auslegung von § 14 AEntG ....................................................... 21 2 „der einen anderen Unternehmer“ ........................................................... 27 3 „mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt“ ........ 28 a) Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen .................................. 28 aa) Werk- oder Dienstleistungen ..................................................... 28 bb) Relevanz bestimmter Vertragstypen .......................................... 30 b) Beauftragung ..................................................................................... 32 c) Einschränkung dieser Tatbestandsvoraussetzung ............................. 32 4 Ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung zur Einschränkung des Anwendungsbereichs als Ergebnis einer teleologischen Reduktion ....... 33 V Rechtsfolgen ................................................................................................... 35 1 Das Mindestentgelt an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen .............. 35 a) Gegenstand des Mindestentgelts ....................................................... 35 b) Erfasste Ansprüche ........................................................................... 37 aa) Mindestentgeltanspruch ............................................................. 37 bb) Annahmeverzug ......................................................................... 39 cc) Entgeltfortzahlung...................................................................... 40 dd) Ansprüche auf Urlaubsentgelt ................................................... 43 ee) Zwischenergebnis ...................................................................... 43 c) Reichweite der Haftung .................................................................... 44 d) Insolvenz des Nachunternehmers ..................................................... 44 2 Die Beiträge an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien ..................................................................................................... 46

XII

Inhaltsverzeichnis 3 4

Die Haftung wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat ............................................................................................ 47 Abdingbarkeit .......................................................................................... 48

B

Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG ..................................................... 50 I Normentstehung .............................................................................................. 50 II Normzweck ..................................................................................................... 53 III Anwendungsbereich ........................................................................................ 56 IV Tatbestandsvoraussetzungen ........................................................................... 57 1 Verweis auf § 14 AEntG .......................................................................... 57 2 Übertragbarkeit der Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 Satz 1 AEntG im Einzelnen ................................................................................ 58 a) „Ein Unternehmer“ ........................................................................... 58 aa) Begriff des Unternehmers .......................................................... 58 bb) Einschränkende Auslegung des Unternehmerbegriffs............... 59 b) „der einen anderen Unternehmer“ .................................................... 66 c) „mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt“ ........................................................................................ 67 d) Ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung zur Einschränkung des Anwendungsbereichs als Ergebnis einer teleologischen Reduktion .......................................................................................... 67 V Rechtsfolgen ................................................................................................... 69 1 Haftungsgegenstand ................................................................................. 69 a) Der Mindestlohnanspruch ................................................................. 69 b) Erfasste Ansprüche ........................................................................... 71 aa) Annahmeverzug ......................................................................... 71 bb) Entgeltfortzahlung...................................................................... 72 cc) Ansprüche auf Urlaubsentgelt ................................................... 72 dd) Zwischenergebnis ...................................................................... 73 c) Reichweite der Haftung .................................................................... 73 d) Insolvenz des Nachunternehmers ..................................................... 73 2 Die Haftung wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat ............................................................................................ 74 3 Abdingbarkeit .......................................................................................... 75

C

Die prozessuale Durchsetzung der Auftraggeberhaftung ................................ 76 I Rechtsweg ....................................................................................................... 77 1 § 14 AEntG .............................................................................................. 77 2 § 13 MiLoG.............................................................................................. 78 a) Grundsatz .......................................................................................... 78 b) Ausnahme: § 2 Abs. 3 ArbGG .......................................................... 79

Inhaltsverzeichnis

II III IV

V VI VII D

c) Keine Ausnahme: Prorogation .......................................................... 81 d) Keine Ausnahme: Rügelose Einlassung ........................................... 82 Örtliche Zuständigkeit .................................................................................... 83 Darlegungs- und Beweislast ........................................................................... 83 Klageart ........................................................................................................... 86 1 Leistungsklage eines Arbeitnehmers ....................................................... 86 a) Berechnung des Nettoentgelts .......................................................... 87 b) Umfang der Tätigkeit für den Auftraggeber ..................................... 87 aa) Materiell-rechtlich: Auskunftsanspruch gegen den Arbeitgeber ................................................................................ 88 bb) Prozessrechtliche Durchsetzung des Auskunftsanspruchs ........ 89 2 Feststellungsklage eines Arbeitnehmers .................................................. 90 3 Feststellungsklage eines Auftraggebers ................................................... 91 Aussetzung bei Vorgreiflichkeit, § 148 ZPO.................................................. 91 Rechtskrafterstreckung ................................................................................... 92 Verjährungshemmende Maßnahmen .............................................................. 92

Vergleich von § 14 AEntG und § 13 MiLoG ..................................................... 94 I Normentstehung, Normzweck und Anwendungsbereich ............................... 94 II Tatbestandsvoraussetzungen ........................................................................... 95 III Rechtsfolgen ................................................................................................... 96 IV Abdingbarkeit ................................................................................................. 96 V Prozessuale Durchsetzung .............................................................................. 97 VI Die Rechtsnatur ............................................................................................... 97 VII Ergebnis .......................................................................................................... 98

Drittes Kapitel. A

XIII

Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung ........................... 99

Die Bürgschaft .................................................................................................... 101 I Die historische Entwicklung der Bürgschaft ................................................ 101 II Die Bürgschaft des Bürgerlichen Gesetzbuches ........................................... 105 1 Die Entstehung ....................................................................................... 106 a) Der Bürgschaftsvertrag ................................................................... 106 b) Das Schriftformerfordernis ............................................................. 108 c) Zwischenergebnis ........................................................................... 110 2 Der Inhalt ............................................................................................... 110 a) Art und Gegenstand der Einstandspflicht ....................................... 110 aa) „Einstehen“ anstatt „haften“ .................................................... 110 bb) Einstehen für die Erfüllung ...................................................... 111 cc) Die eigene Leistungspflicht des Bürgen .................................. 112 b) Akzessorietät ................................................................................... 114

XIV

Inhaltsverzeichnis 3 4 5 6

B

c) Subsidiarität .................................................................................... 116 Sinn und Zweck ..................................................................................... 117 Die Rolle des Bürgen für das Hauptschuldverhältnis ............................ 119 Die Rechtsnatur ...................................................................................... 120 Zwischenfazit ......................................................................................... 121

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren ......... 123 I Der Kreditauftrag .......................................................................................... 123 1 Der Wortlaut .......................................................................................... 123 2 Die Systematik ....................................................................................... 125 3 Die Entstehungsgeschichte .................................................................... 126 4 Sinn und Zweck ..................................................................................... 128 5 Die Rolle des Auftraggebers für das Hauptschuldverhältnis ................. 130 6 Die Rechtsnatur ...................................................................................... 131 II Die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft .................................................... 131 1 § 128 Satz 1 HGB .................................................................................. 133 a) Der Wortlaut ................................................................................... 133 b) Die Systematik ................................................................................ 135 c) Die Entstehungsgeschichte ............................................................. 137 d) Sinn und Zweck .............................................................................. 138 e) Zwischenfazit .................................................................................. 139 2 § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG ...................................................................... 139 a) Der Wortlaut ................................................................................... 140 b) Die Systematik ................................................................................ 141 c) Die Entstehungsgeschichte ............................................................. 141 d) Sinn und Zweck .............................................................................. 142 e) Zwischenfazit .................................................................................. 144 3 Die Rolle des Gesellschafters bzw. des Konzerns für das Hauptschuldverhältnis............................................................................ 144 4 Die Rechtsnatur ...................................................................................... 145 III Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung ................................... 146 1 Die einzelnen Tatbestände ..................................................................... 146 a) Haftung für den zu ersetzenden Schaden wie ein Bürge ................ 146 aa) § 566 Abs. 2. Satz 1 BGB ........................................................ 147 bb) § 1251 Abs. 2. Satz 2 BGB ...................................................... 155 cc) § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG ......................................................... 160 dd) Zwischenergebnis .................................................................... 163 b) Haftung für Erfüllung der Verpflichtung wie ein Bürge ................ 163 aa) § 98a Abs. 3 AufenthG ............................................................ 163 bb) § 28e SGB IV ........................................................................... 170

Inhaltsverzeichnis

XV

cc) Zwischenergebnis .................................................................... 178 c) Haftung für Verpflichtung wie ein Bürge ....................................... 178 aa) Die Haftung für die festgesetzte Vergütung (vor allem § 53 Abs. 10 Satz 7 BRAO) ............................................................. 178 bb) § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB ..................................................... 183 cc) Zwischenergebnis .................................................................... 187 d) Zwischenergebnis ........................................................................... 188 2 Analyse: Fallgruppen der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung .................................................................................................. 188 a) Drei Fallgruppen ............................................................................. 189 aa) Einzelne Fallgruppen ............................................................... 189 bb) Zuordnung ................................................................................ 190 b) Die jeweilige Rolle des Haftenden für das Hauptschuldverhältnis ......................................................................................... 191 aa) Wechsel der Stellung des ursprünglichen Vertragspartners .... 191 bb) Haftung für originär fremde Pflichten ..................................... 192 cc) Einbeziehung bei einer gesetzlichen Beziehung ...................... 192 dd) Gemeinsame Betrachtung ........................................................ 193 3 Die Rechtsnatur ...................................................................................... 194 a) Bürgschaft und gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung ........................................................................................... 194 b) Eigene Schuld des Haftenden ......................................................... 195 IV Ergebnis ........................................................................................................ 197 1 Drei Rechtsfiguren ................................................................................. 198 a) Der Kreditauftrag ............................................................................ 198 b) Die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft ...................................... 199 c) Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung ..................... 199 2 Die geschichtliche Entwicklung ............................................................ 200 a) Der Kreditauftrag ............................................................................ 201 b) Die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft ...................................... 201 c) Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung ..................... 201 d) Fazit................................................................................................. 202 C

Einordnung der Auftraggeberhaftung............................................................. 203 I Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG ................................................. 203 1 Der Wortlaut .......................................................................................... 203 2 Die Systematik ....................................................................................... 204 3 Die Entstehungsgeschichte .................................................................... 205 4 Sinn und Zweck ..................................................................................... 205

XVI

Inhaltsverzeichnis

II

Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG................................................. 206 1 Der Wortlaut .......................................................................................... 206 2 Die Systematik ....................................................................................... 206 3 Die Entstehungsgeschichte .................................................................... 207 4 Sinn und Zweck ..................................................................................... 207 III Die Rolle des Auftraggebers für das Arbeitsverhältnis ................................ 208 IV Ergebnis ........................................................................................................ 209 Viertes Kapitel. A

Die rechtlichen Folgen: Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts auf die Auftraggeberhaftung ......................... 211

Die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts, §§ 765 ff. BGB .......................... 212 I Abstrakte Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts ......................................... 212 1 Unmittelbare Anwendbarkeit ................................................................. 212 a) Der Kreditauftrag ............................................................................ 212 b) Die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft und die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung ............................................. 213 2 Entsprechende oder analoge Anwendbarkeit ......................................... 213 a) Dogmatische Unterschiede ............................................................. 213 aa) Analogieschluss ....................................................................... 214 bb) Entsprechende Anwendung einer Rechtsnorm ........................ 215 cc) Zwischenergebnis .................................................................... 216 b) Einordnung ...................................................................................... 216 aa) Die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft ............................... 217 bb) Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung .............. 217 3 Ergebnis ................................................................................................. 219 II Die entsprechende Anwendung des Bürgschaftsrechts auf die Auftraggeberhaftung ..................................................................................... 220 1 Entstehungsvoraussetzungen, §§ 765, 766 BGB ................................... 220 2 Umfang der Bürgschaftsschuld, § 767 BGB ......................................... 221 a) § 767 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB ...................................................... 221 b) § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB ................................................................ 222 c) § 767 Abs. 2 BGB ........................................................................... 223 d) Zwischenergebnis ........................................................................... 223 3 Einreden und Einwendungen, §§ 768 und 770 BGB sowie §§ 771 bis 773 BGB ........................................................................................... 223 a) § 768 BGB ...................................................................................... 224 b) § 770 BGB ...................................................................................... 225

Inhaltsverzeichnis

XVII

c) §§ 771 bis 773 BGB........................................................................ 226 aa) Grundsätzlich: Entsprechende Anwendung auf die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung ..................... 227 bb) Ausnahme: Trotzdem vorherige Inanspruchnahme des Schuldners? .............................................................................. 227 cc) Rückausnahme: Herausforderung der Haftung........................ 230 4 Mitbürgschaft, § 769 BGB..................................................................... 231 a) Gemeinschaftliche Haftung ............................................................ 231 b) Kettenhaftung .................................................................................. 232 aa) Situation der Kettenhaftung ..................................................... 232 bb) Rechtsfolgen der Kettenhaftung .............................................. 232 5 Regressanspruch, § 774 BGB ................................................................ 234 6 Anspruch des Bürgen auf Befreiung, § 775 BGB ................................. 237 7 Aufgabe einer Sicherheit, § 776 BGB ................................................... 239 8 Bürgschaft auf Zeit, § 777 BGB ............................................................ 241 9 Zwischenergebnis .................................................................................. 241 III Ergebnis ........................................................................................................ 242 B

Änderungen auf Seiten des Gläubigers oder des Schuldners ........................ 244 I Gläubigerwechsel (Übergang der Hauptforderung) ..................................... 244 1 Der gesetzlich geregelte Fall: Die bestellte Bürgschaft ......................... 245 2 Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung in Form der Auftraggeberhaftung .............................................................................. 247 a) Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Falle der Insolvenzgeldzahlung zu § 14 AEntG ............................................ 248 aa) Das Bundesarbeitsgericht: Keine analoge Anwendbarkeit des § 401 BGB – Kein Übergang der Auftraggeberhaftung.... 249 bb) Rezeption in der Literatur ........................................................ 250 b) Eigener Ansatz: Der Übergang der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung ................................................................ 251 aa) Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung als unselbständiges Nebenrecht? ................................................... 252 bb) Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung als unselbständiger Forderungsbestandteil .................................... 253 c) Ergebnis .......................................................................................... 255 II Schuldnerwechsel ......................................................................................... 255 1 Der gesetzlich geregelte Fall: Die bestellte Bürgschaft ......................... 256 2 Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung in Form der Auftraggeberhaftung .............................................................................. 258 III Ergebnis ........................................................................................................ 259

XVIII Fünftes Kapitel.

Inhaltsverzeichnis Forschungsergebnisse ............................................................ 261

Literaturverzeichnis ................................................................................................. 267

Erstes Kapitel.

Einleitung

„Ich bin, spricht jener, zu sterben bereit Und bitte nicht um mein Leben, Doch willst du Gnade mir geben, Ich flehe dich um drey Tage Zeit, Bis ich die Schwester dem Gatten gefreit, Ich lasse den Freund dir als Bürgen, Ihn magst du, entrinn ich, erwürgen.“1 Friedrich von Schillers Ballade Die Bürgschaft (1799) verdeutlicht die Wirkung einer Bürgschaft an einem dramatischen Beispiel: Damon möchte den König Dionys, einen Tyrannen, ermorden. Bei diesem Vorhaben wurde er jedoch ertappt. Dionys spricht dafür die Todesstrafe gegen Damon aus. Damon erbittet aber vor seiner Exekution noch die Möglichkeit, seine Schwester verheiraten zu dürfen, und bittet dafür „um drey Tage Zeit“. Als Bürgen lässt er einen Freund bei Dionys – diesen soll Dionys ermorden dürfen, wenn Damon nicht rechtzeitig zurückkehrt. Den Freund soll also dasselbe Schicksal treffen wie den eigentlich zur Exekution Verurteilten: der Tod. Die Exekution des Freundes würde aber den Erlass der Strafe gegenüber Damon bedeuten – schlussendlich müsste also nur einer sterben: Damon oder sein Freund, der sich für ihn verbürgt hat. Schillers Ballade nimmt indes eine glückliche Wendung: Damon kehrt trotz widriger Umstände zu seinem Freund zurück, der schon dem Henker vorgeführt ist. Sein eigenes Leben ist ihm nicht so wichtig wie die Freundschaft der beiden. Der Tyrann Dionys ist von der Freundschaft derart beeindruckt, dass er nicht nur beiden die Exekution erspart, also die Schuld erlässt, sondern Unerwartetes vollzieht: „Und blicket sie lange verwundert an. Drauf spricht er: Es ist euch gelungen, Ihr habt das Herz mir bezwungen, Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn, So nehmet auch mich zum Genossen an: Ich sey, gewährt mir die Bitte, In eurem Bunde der dritte.“2 Dass der Gläubiger einer Forderung sowohl dem Hauptschuldner als auch dem Bürgen seine Schuld erlässt, weil er von der Treue einer Freundschaft beeindruckt ist und an dieser Freundschaft partizipieren will, ist im heutigen Rechtsverkehr wohl eher nicht vorstellbar. Schiller zeigt in seiner Ballade aber besondere Wirkweisen einer Bürgschaft auf, die auch heute noch Geltung besitzen: Der Freund (als Bürge) haftet

1 2

Schiller in: Schiller, Musen-Almanach für das Jahr 1799, Die Bürgschaft, S. 176 (176). Schiller in: Schiller, Musen-Almanach für das Jahr 1799, Die Bürgschaft, S. 176 (182).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 P. A. Tophof, Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung, Juridicum – Schriften zum Arbeitsrecht, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23384-6_1

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Erstes Kapitel. Einleitung

für die Verpflichtung von Damon (als Hauptschuldner), hätte aber im Falle seiner Inanspruchnahme durch Dionys (als Gläubiger) auf seine eigene Schuld leisten müssen, die nahezu inhaltsgleich mit der des Damon gewesen wäre. Zudem ist die Bürgschaft ein Risikogeschäft: Der Freund hat sich zum einen ohne eine wirtschaftliche Gegenleistung verbürgt. Zum anderen hängt seine Inanspruchnahme nicht von ihm ab; er ist vielmehr dem Willen des Damon ausgeliefert. Schließlich geht der Freund die Bürgschaft nicht der Bürgschaft wegen ein – dafür fehlt es bereits an einer Gegenleistung –, sondern wegen eines außerhalb der Bürgschaft liegenden Grundes, der Freundschaft. Der Bürgschaft im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches liegt gemäß § 765 Abs. 1 BGB ein Vertrag zugrunde. Durch den Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger eines Dritten, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzustehen. Dabei geht der Bürge selbstbestimmt das Risiko einer Bürgschaft ein, welches heutzutage bloß finanzieller Natur ist. Der Gesetzgeber nimmt daneben verschiedentlich Bezug auf die Bürgschaft: So haftet nach § 778 BGB bei einem Kreditauftrag der Auftraggeber für die entstehende Verbindlichkeit des Beauftragten „als Bürge“. In den §§ 128 ff. HGB und im § 322 AktG hat der Gesetzgeber „eine der Bürgschaft nachgebildete Haftung“ etabliert. Und beispielsweise nach § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB haftet der ehemalige Vermieter im Falle des Übergangs des vermieteten Wohnraums auf einen neuen Erwerber, für die von dem Erwerber zu ersetzenden Schäden „wie ein Bürge“, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Letztere Regelungstechnik hat der Gesetzgeber in einer Vielzahl von Fällen angewandt.3 Als neueste „Erscheinung“ dieser Regelungstechnik ist die Haftung des Auftraggebers im Mindestlohngesetz nach § 13 MiLoG anzusehen. Zwar wird dort nicht eigenständig die Haftung „wie ein Bürge“ angeordnet. Es wird aber eine entsprechende Anwendung der Haftung des Auftraggebers im Arbeitnehmer-Entsendegesetz nach § 14 AEntG angeordnet, wonach ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit einer Werk- oder Dienstleistung beauftragt, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers unter anderem zur Zahlung des Mindestentgelts an Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat, haftet. Hierbei fehlt es offensichtlich an der selbstbestimmten Eingehung der Haftung „wie ein Bürge“, wenngleich die Beauftragung eines anderen Unternehmers selbstbestimmt sein mag. Mit der Bürgschaft hat die Auftraggeberhaftung aber jedenfalls gemein, dass

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Dazu zählen (unter anderem) § 1251 Abs. 2 Satz 1 BGB, § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG, § 98a Abs. 3 AufenthG, § 28e SGB IV (i. V. m. § 150 Abs. 3 SGB VII), § 53 Abs. 10 Satz 7 BRAO, § 46 Abs. 10 Satz 7 PAO, § 121 Abs. 5 Satz 4 WiPrO, § 69 Abs. 4 Satz 7 StBerG, § 169 Abs. 6 Satz 4 BauGB.

Erstes Kapitel. Einleitung

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ein Dritter mit einem Schuldverhältnis zweier Anderer in Berührung kommt – ohne, dass der Bürge oder der Auftraggeber wie in Schillers Ballade Dritter im Bunde wird. Diese Arbeit befasst sich mit der Auftraggeberhaftung sowohl nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz als auch nach dem Mindestlohngesetz. Im zweiten Kapitel werden einerseits die Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen der beiden Normen untersucht, andererseits die jeweilige prozessuale Durchsetzung, um einen Vergleich der beiden Haftungen herausarbeiten zu können. Das dritte Kapitel dieser Arbeit befasst sich dann mit der Frage, wie die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft durch die Wörter „wie ein Bürge“ dogmatisch zu begreifen ist. Dazu werden die eingangs genannten, drei unterschiedlichen Regelungstechniken der gesetzlichen Bezugnahme auf die Bürgschaft untersucht, um die Auftraggeberhaftungen einzuordnen. Dabei steht im Vordergrund die Frage, ob es sich bei der Auftraggeberhaftung um eine „gesetzliche Bürgschaft“ handelt bzw. ob eine solche überhaupt existiert. Insofern ist auch die Rolle des Auftraggebers für das Hauptschuldverhältnis, also das Arbeitsverhältnis zwischen Auftragnehmer und Arbeitnehmer, relevant. Daran schließt sich das vierte Kapitel an, in welchem, ausgehend von dem Forschungsergebnis des dritten Kapitels, die Anwendbarkeit der Regelungen des Bürgschaftsrechts der §§ 765 ff. BGB sowie der Regelungen des § 401 BGB und des § 418 BGB erörtert wird. tel.

Die Arbeit schließt mit der Darstellung der Forschungsergebnisse im fünften Kapi-

Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen der Auftraggeberhaftung Das zweite Kapitel befasst sich mit der Auftraggeberhaftung nach dem ArbeitnehmerEntsendegesetz einerseits und der Auftraggeberhaftung nach dem Mindestlohngesetz andererseits. Dabei wird ausgehend von der „Grundnorm“ des § 14 AEntG auf die Normentstehung, den Normzweck und den Anwendungsbereich sowie die Tatbestandsvoraussetzungen und die Rechtsfolgen eingegangen (dazu A). In einem nächsten Schritt wird dann § 13 MiLoG unter den gleichen Gesichtspunkten untersucht, wobei sich insofern jeweils die Frage stellen wird, inwiefern die Voraussetzungen des § 14 AEntG übertragbar sind (dazu B). In einem dritten Teil wird die prozessuale Durchsetzung für beide Haftungen gemeinsam untersucht, wobei als Anknüpfungspunkt § 15 AEntG – jedenfalls für § 14 AEntG – dient. Das Mindestlohngesetz verweist diesbezüglich weder auf das Arbeitnehmer-Entsendegesetz noch beinhaltet es eine eigene entsprechende Vorschrift (dazu C). Schließlich sollen § 14 AEntG und § 13 MiLoG verglichen werden. Die unter A bis C erarbeiteten Ergebnisse sollen dabei herangezogen werden, um die Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten von § 14 AEntG und § 13 MiLoG herausarbeiten zu können (dazu D).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 P. A. Tophof, Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung, Juridicum – Schriften zum Arbeitsrecht, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23384-6_2

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

Nach § 14 Satz 1 AEntG haftet ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers, eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers, zur Zahlung des Mindestentgelts an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen oder zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien nach § 8 AEntG wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Nach § 14 Satz 2 AEntG umfasst das Mindestentgelt im Sinne des § 14 Satz 1 AEntG nur den Betrag, der nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechender Aufwendungen zur sozialen Sicherung an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen auszuzahlen ist (Nettoentgelt). I

Normentstehung

Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz in seiner ursprünglichen Fassung datiert vom 26. Februar 1996.4 Damit ging der deutsche Gesetzgeber dem Unionsgesetzgeber hinsichtlich der Regelung der Rechtsmaterie Arbeitnehmerentsendung voraus: Die Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen wurde am 16.Dezember 1996, also erst einige Monate nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz verabschiedet.5 Die Richtlinie wurde durch das Erste Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (Erstes SGB III-Änderungsgesetz – 1. SGB III-ÄndG)6 sowie das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte7 ins deutsche Recht umgesetzt,8 ausweislich der beiden Gesetze durch Änderungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.9 Das Arbeit-

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BGBl. I 1996, S. 227 (227 - 229). ABl. EG, L 18, 21. Januar 1997, S. 1 - 6; vgl. auch Schlachter in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt Erfurter Kommentar, AEntG § 1, Rdnr. 3; zur historischen Entwicklung der Richtlinie vgl. dazu Deinert in: Schlachter/Heinig Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, § 10 Entsendung, Rdnr. 11 13 m. w. N. BGBl. I 1997, S. 2970. BGBl. I 1998, S. 3843. Vgl. Tillmanns in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, AEntG Vorbemerkungen, Rdnr. 1. Artikel 10 Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes Nr. 6 des Ersten SGB IIIÄnderungsgesetzes, BGBl. I 1997, S. 2970 (2986) und Artikel 10 Änderung des ArbeitnehmerEntsendegesetzes des Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte, BGBl. I 1998, S. 3843 (3850 - 3852), vgl. auch Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 6 Rdnr. 32.

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Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

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nehmer-Entsendegesetz wurde darüber hinaus mehrfach an die Vorgaben des EuGH angepasst.10 In der ursprünglichen Fassung aus dem Jahr 1996 war eine Auftraggeberhaftung im Arbeitnehmer-Entsendegesetz noch nicht vorgesehen. Eine solche schreibt die Entsenderichtlinie aber auch nicht ausdrücklich vor. In Artikel 5 der Richtlinie heißt es lediglich: „Die Mitgliedstaaten sehen geeignete Maßnahmen für den Fall der Nichteinhaltung dieser Richtlinie vor. Sie stellen insbesondere sicher, daß den Arbeitnehmern und/oder ihren Vertretern für die Durchsetzung der sich aus dieser Richtlinie ergebenden Verpflichtungen geeignete Verfahren zur Verfügung stehen.“11 Konkrete Vorgaben zu den zu ergreifenden Maßnahmen hat der europäische Gesetzgeber damit nicht gemacht; die Maßnahmen müssen schlicht „geeignet“ sein.12 Gleichwohl hat der deutsche Gesetzgeber im Jahr 1998 durch Artikel 10 Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes Nr. 2 des Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte eine solche Auftraggeberhaftung mit einem § 1a AEntG a. F. eingeführt, welche also auch der Umsetzung der Entsenderichtlinie dienen sollte – obgleich die Entsenderichtlinie eine solche Haftung nicht konkret vorschrieb.13 Bei der Auftraggeberhaftung im Arbeitnehmer-Entsendegesetz nach dem heutigen § 14 AEntG handelt es sich um die Nachfolgeregelung zu § 1a AEntG a. F. § 1a AEntG a. F. beruhte auf einem Gesetzesentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 17. November 199814 und war wie folgt gefasst15: „Ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 211 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch beauftragt, haftet für die Verpflichtungen dieses Unternehmers, eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers zur Zahlung des Mindestentgelts an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen oder zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien nach § 1 Abs. 1 Satz 1 und 3, Abs. 2a, 3 Satz 2 und 3 oder Abs. 3a Satz 4 und 5 wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Das Mindestentgelt im Sinne des Satzes 1 umfaßt nur den Betrag, der nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversiche-

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Schlachter in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt Erfurter Kommentar, AEntG § 1, Rdnr. 3. ABl. EG, L 18, 21. Januar 1997, S. 1 (5). Rebhahn in: Franzen/Gallner/Oetker Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, RL 96/71/EG Artikel 5, Rdnr. 2. Vgl. dazu auch unten zu Artikel 12 der Durchsetzungs-Richtlinie. BT-Drs. 14/45, S. 13, 17 f., 26 f. Zur Entstehung der Neuregelung des § 1a AEntG Meyer NZA 1999, S. 121 (127 - 128).

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

rung und zur Arbeitsförderung oder entsprechender Aufwendungen zur sozialen Sicherung an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen auszuzahlen ist (Nettoentgelt).“16 Durch Artikel 11 Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes Nr. 2 des Gesetzes zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung vom 24. April 2006 wurde zunächst die Angabe „§ 211 Abs. 1“ des Dritten Buches Sozialgesetzbuch durch „§ 175 Abs. 2“ in § 1a Satz 1 AEntG a. F. geändert.17 Denn die Definition der „Bauleistung“ war mit Wirkung zum 1. April 2006 nicht mehr in § 211 Abs. 1 SGB III, sondern in § 175 Abs. 2 SGB III normiert.18 Durch das Erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes vom 25. April 2007 wurden die Wörter „Bauleistung im Sinne des § 175 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch“ durch die Wörter „Werk- oder Dienstleistungen“ ersetzt.19 Dabei handelte es sich laut Gesetzesbegründung um „[eine] redaktionelle Folgeänderung zu der mit Nummer 1 angeordneten Erweiterung des Gesetzes auf das Gebäude-

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Zur Verfassungsmäßigkeit dieser Norm vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.03.2007 – 1 BvR 1047/05, NZA 2007, S. 609 (610 ff.); ablehnend Seifert SAE 2007, S. 386 (386); Seifert in: Kempen/Zachert TVG, Anhang 1 zu § 5: AEntG § 14, Rdnr. 3 - 4; zustimmend Kohte jurisPR-ArbR 6/2008 Anm. 2; vgl. BAG, Urteil vom 12.01.2005 – 5 AZR 617/01, NZA 2005, S. 627 (630 ff.); vgl. BAG, Urteil vom 12.01.2005 – 5 AZR 279/01, NJOZ 2005, S. 2325 (2328 ff.); vgl. BAG, Beschluss vom 06.11.2002 – 5 AZR 617/01 (A), NZA 2003, S. 490 (494 ff.); vgl. LAG Berlin, Urteil vom 14.02.2001 – 15 Sa 2121/00, juris; vgl. ArbG Berlin, Urteil vom 10.08.2000 – 52 Ca 4049/00, NZA-RR 2000, S. 651 (652 ff.); vgl. auch Badura, Die Sicherung von Mindestarbeitsbedingungen im Baugewerbe durch eine Durchgriffshaftung des Unternehmers zugunsten der Arbeitnehmer, S. 20 ff., der eine Verfassungsmäßigkeit ablehnt; Lakies in: Däubler TVG, Anhang 2 zu § 5 TVG: AEntG § 14, Rdnr. 10 - 11; Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 8 - 11; Zur Verfassungsmäßigkeit des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes 1999 vgl. Danwitz RdA 1999, S. 322 (324 - 327); zur Vereinbarkeit des § 1a AEntG a. F. mit dem Europarecht vgl. BAG, Urteil vom 12.01.2005 – 5 AZR 617/01, NZA 2005, S. 627 (634); vgl. EuGH, Urteil vom 12.10.2004 – C-60/03 Wolff & Müller GmbH & Co. KG / José Filipe Pereira Félix, NZA 2004, S. 1211 (1213); vgl. BAG, Beschluss vom 06.11.2002 – 5 AZR 617/01 (A), NZA 2003, S. 490 (497 ff.); Lakies in: Däubler TVG, Anhang 2 zu § 5 TVG: AEntG § 14, Rdnr. 7 - 9; Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 12 - 15; Seifert in: Kempen/Zachert TVG, Anhang 1 zu § 5: AEntG § 14, Rdnr. 5; Veiga NZA, S. 208 (209); Danwitz RdA 1999, S. 322 (323 - 324); vgl. zur Vereinbarkeit des ArbeitnehmerEntsendegesetzes als solches mit dem Europarecht Rieble/Lessner ZfA 2002, S. 29 (44 ff.); Schlachter NZA 2002, S. 1242 (1242 ff.); Schlachter in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt Erfurter Kommentar, AEntG § 1, Rdnr. 6 - 7; Schwab NZA-RR 2004, S. 1 (2). BGBl. I 2006, S. 926 (932). Vgl. Artikel 1 Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch Nr. 11 des Gesetzes zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung vom 24. April 2006, BGBl. I 2006, S. 926 (927) sowie für das Inkrafttreten am 1. April 2006 Artikel 24 Abs. 1, BGBl. I 2006, S. 926 (934). Heute befindet sich die Definition der Bauleistung in § 101 Abs. 2 SGB III, vgl. Artikel 2 Weitere Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch zum 1. April 2012 Nr. 18 des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011, BGBl. I 2001, S. 2854 (2883). Vgl. Artikel 1 Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes Nr. 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, BGBl. I 2007, S. 576 (576).

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Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

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reinigerhandwerk […]“20. Die Auftraggeberhaftung nach § 1a AEntG a. F. wurde also, entsprechend des erweiterten Anwendungsbereichs des ArbeitnehmerEntsendegesetzes als solches21, für weitere Branchen geöffnet. Die Auftraggeberhaftung beschränkte sich nicht mehr bloß auf „Bauleistungen“; anstatt einer enumerativen Nennung der erfassten Tätigkeiten22, wählte der Gesetzgeber eine offene, generalklauselartige Formulierung. Im gleichen Zug wurde die Angabe „Abs. 2a, 3“ durch die Angabe „Abs. 2, Abs. 3“ ersetzt.23 Im Zuge einer grundlegenden Umgestaltung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, welche durch einen Gesetzesentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen24 vom 9. April 2008 bzw. einem Gesetzesentwurf der Bundesregierung25 vom 8. August 2008 angestoßen wurde, hat die Auftraggeberhaftung einen neuen Standort im Gesetz bekommen26. Die Haftungskonstruktion wurde dabei übernommen.27 Vom Wortlaut her wurde bloß die Angabe „§ 1 Abs. 1 Satz 1 und 3, Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 und 3 oder Abs. 3a Satz 4 und 5“ durch die Angabe „§ 8“ ersetzt28, was der grundlegenden Umgestaltung des Gesetzes geschuldet war. Das „neue“ Arbeitnehmer-Entsendegesetz wurde am 23. April 2009 verkündet29 und trat gemäß § 25 Satz 1 AEntG am Folgetage – also dem 24. April 2009 – in Kraft.30 Seitdem hat der Gesetzgeber keine Veränderung an der Auftraggeberhaftung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes vorgenommen. Veränderungen gab es indes in der Rechtslage auf europäischer Ebene. In der Richtlinie 2014/67/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im

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BT-Drs. 16/3064, S. 8. Vgl. Artikel 1 Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes Nr. 1 lit. a) bb) des Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, BGBl. I 2007, S. 576 (576). So aber das Regelungskonzept des europäischen Gesetzgebers mit dem Anhang zur Entsenderichtlinie. Vgl. Artikel 1 Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes Nr. 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, BGBl. I 2007, S. 576 (576). BT-Drs. 16/8758. BR-Drs. 542/08; BT-Drs. 16/10486. Im Ergebnis sollte die bis dato in § 1a AEntG enthaltene Bestimmung übernommen werden, vgl. BT-Drs. 16/10486, S. 14; Vgl. zum „neuen“ Arbeitnehmer-Entsendegesetz als solchem Schwab NZA-RR 2010, S. 225 (225 ff.). Vgl. Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 1: „nahezu identisch“, wobei Unterschiede nicht erläutert werden; Kühn in: Hümmerich/ Boecken/Düwell AK Arbeitsrecht I, AEntG § 14, Rdnr. 2: „inhaltlich unverändert“; Mohr in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 14, Rdnr. 3: „der ‚inhaltlich unverändert‘ übernommen werden sollte“. BGBl. I 2009, S. 799 (802). BGBl. I 2009, S. 799 (799). Zur Verfassungsmäßigkeit des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes 2009 vgl. Bayreuther NJW 2009, S. 2006 (2009 ff.), der eine Verfassungsmäßigkeit bejaht; Sodan/Zimmermann NJW 2009, S. 2001 (2001 ff.), die einen Verstoß des § 8 Abs. 2 MiLoG gegen Artikel 9 Abs. 3 GG sehen.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe des BinnenmarktInformationssystems („IMI-Verordnung“) (im Folgenden: Durchsetzungs-Richtlinie) wurde durch Artikel 12 die Haftung bei Unteraufträgen geregelt.31 Damit hat der europäische Gesetzgeber eine Regelung getroffen, die in der Entsenderichtlinie noch nicht thematisiert wurde.32 Diese Haftung beruht auf dem Gedanken, dass „die Einhaltung der auf dem Gebiet der Entsendung geltenden Vorschriften in der Praxis und der wirksame Schutz der Arbeitnehmerrechte [...] in dieser Hinsicht in Unterauftragsketten ein besonders wichtiges Anliegen [ist] und [...] durch geeignete Maßnahmen gemäß dem nationalen Recht und/oder nationalen Gepflogenheiten und unter Einhaltung des Unionsrechts gewährleistet werden [sollte]. Zu solchen Maßnahmen kann die Einführung – auf freiwilliger Grundlage und nach Anhörung der zuständigen Sozialpartner – eines Mechanismus der direkten Unterauftragshaftung zusätzlich zur oder an Stelle der Haftung des Arbeitgebers gehören, der in Bezug auf ausstehende Nettoentgelte, die den Mindestnettolöhnen entsprechen, und/oder in Bezug auf Beiträge zu gemeinsamen Fonds oder Einrichtungen der Sozialpartner greift, die gesetzlich oder tarifrechtlich geregelt sind, sofern diese unter Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 96/71/EG fallen. Den Mitgliedstaaten steht es jedoch weiterhin frei, strengere nationale Haftungsregeln vorzusehen oder im Einklang mit nationalem Recht und unter Wahrung der Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der Verhältnismäßigkeit darüber hinauszugehen.“ (Erwägungsgrund 36 der DurchsetzungsRichtlinie).33 Weiter: „Mitgliedstaaten, die Maßnahmen zur Gewährleistung der Einhaltung der geltenden Regelungen in Unterauftragsketten eingeführt haben, sollten vorsehen können, dass ein (Unter-)Auftragnehmer unter bestimmten Umständen nicht haftbar sein sollte oder die Haftung beschränkt sein kann, wenn dieser (Unter-)Auftragnehmer seiner Sorgfaltspflicht nachkommt. Diese Maßnahmen sollten im nationalen Recht unter Berücksichtigung der spezifischen Gegebenheiten des betreffenden Mitgliedstaats festgeschrieben werden und können unter anderem Maßnahmen umfassen, die der Auftragnehmer zur Dokumentation der Einhaltung der Verwaltungsanforderungen ergreift, sowie Kontrollmaßnahmen, die eine wirksame Überwachung der Einhaltung der geltenden Bestimmungen für die Entsendung von Arbeitnehmern gewährleisten.“ (Erwägungsgrund 37 der Durchsetzungs-Richtlinie).34

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ABl. EU, L 159, 28. Mai 2014, S. 11 (25). Rebhahn in: Franzen/Gallner/Oetker Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, RL 96/71/EG Artikel 5, Rdnr. 18. ABl. EU, L 159, 28. Mai 2014, S. 11 (15). ABl. EU, L 159, 28. Mai 2014, S. 11 (15).

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Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

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Ein Änderungsbedarf für den deutschen Gesetzgeber hinsichtlich der Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG aufgrund von Artikel 12 der Durchsetzungs-Richtlinie wird als nicht erforderlich angesehen.35 § 14 AEntG erfüllt mithin die Vorgaben der Durchsetzungs-Richtlinie. Eine weitere Änderung an § 14 AEntG blieb schließlich seit 2009 aus. II

Normzweck

Ziele des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes sind nach § 1 Satz 1 AEntG die Schaffung und Durchsetzung angemessener Mindestarbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie die Gewährleistung fairer und funktionierender Wettbewerbsbedingungen durch die Erstreckung der Rechtsnormen von Branchentarifverträgen. Dadurch sollen nach Satz 2 zugleich sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erhalten und die Ordnungs- und Befriedungsfunktion der Tarifautonomie gewahrt werden.36 Die ausdrückliche Normierung der Zielsetzung wurde durch die Neufassung des Gesetzes über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (ArbeitnehmerEntsendegesetz – AEntG) vom 20. April 2009 aufgenommen37 und durch Artikel 6 Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes Nr. 4 des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) durch die Einfügung der Wörter „durch die Erstreckung der Rechtsnormen von Branchentarifverträgen“ geändert.38 Diese ausdrückliche Benennung der Zielsetzung war damit für das ArbeitnehmerEntsendegesetz neu; in der vorherigen Fassung waren diese Ziele nicht ausdrücklich niedergeschrieben. Laut der Gesetzesbegründung greift § 1 AEntG aber einerseits die Erwägungen auf, die dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz schon bei dessen Erlass im Jahr 1996 zugrunde lagen, andererseits die maßgeblichen Erwägungsgründe der dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zugrunde liegenden Entsenderichtlinie.39 Eine ausdrückliche Benennung der Zielsetzung des § 1a AEntG a. F. beinhaltete das Arbeitnehmer-Entsendegesetz ebenfalls nicht. In der Begründung des Gesetzesentwurfs der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu § 1a AEntG a. F.

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Vgl. dazu Heuschmied/Schierle in: Preis/Sagan, Europäisches Arbeitsrecht, § 5 Entsenderichtlinie, Rdnr. 198. Diese Ziele entsprechen grundsätzlich denen der Entsenderichtlinie, vgl. dazu Tillmanns in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, AEntG Vorbemerkungen, Rdnr. 3. BGBl. I 2009, S. 799 (799). BGBl. I 2014, S. 1348 (1356). BR-Drs. 542/08, S. 13; die in § 1 AEntG genannten Ziele waren auch die Ziele in den Rechtsverordnungen zur Tariferstreckung nach § 1 Abs. 3a AEntG a. F., vgl. Thüsing in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 1, Rdnr. 3.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

heißt es zum Normzweck: „Er [der Generalunternehmer] soll im eigenen Interesse verstärkt darauf achten, daß seine Subunternehmer die nach dem ArbeitnehmerEntsendegesetz zwingenden Arbeitsbedingungen einhalten.“40 Der für die weitere Erarbeitung im Bundestag zuständige Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung machte keine weitergehenden Ausführungen zu dem Normzweck.41 § 1a AEntG a. F. hatte weder eine eigene Überschrift wie § 14 AEntG noch war die Vorschrift in einem eigenen Abschnitt im Arbeitnehmer-Entsendegesetz, wie es die Nachfolgeregelung des § 14 AEntG mit „Abschnitt 5, Zivilrechtliche Durchsetzung“ ist, verortet. Der Gesetzesentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu § 1a AEntG a. F. sprach auch noch nicht von einer zivilrechtlichen Durchsetzung der Zahlung des Mindestentgelts bzw. der Beiträge an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien. Der Begründungsansatz der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen beschreibt somit die zivilrechtliche Durchsetzung der Ansprüche von Arbeitnehmern aus dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz nicht. Im Vordergrund steht ein präventiver Zweck des § 1a AEntG a. F.: Der Auftraggeber soll präventiv auf die Einhaltung zwingender Arbeitsbedingungen durch den Auftragnehmer achten, da er ansonsten in die Haftung gerät. Laut des damaligen Bundesministers für Arbeit und Soziales Walter Riester in der Debatte um die Verabschiedung u. a. des § 1a AEntG a. F. fördert die Regelung die Beauftragung kleinerer und mittlerer Unternehmen, die zuverlässig die gesetzlichen Bestimmungen einhalten.42 Laut einer Vertreterin der damaligen Regierungskoalition, der Abgeordneten Annelie Buntenbach, dient § 1a AEntG auch kleinen Betrieben, die aufgrund von „Schmutzkonkurrenz“ – sprich Unternehmen, die die gesetzlichen Vorschriften nicht einhalten – vom Markt verdrängt worden sind.43 Schließlich soll die Durchgriffshaftung „Schlüssel zu einer erfolgreichen Bekämpfung von grenzüberschreitendem Sozialdumping und Steuerbetrug“ sein.44 § 1a AEntG a. F. kommen somit zwei weitere Zwecke zu: einerseits der Schutz und die Förderung redlicher (kleiner und mittlerer) Unternehmen, die als Auftragnehmer größerer Unternehmen auf dem Markt auftreten, andererseits die Bekämpfung von grenzüberschreitenden Methoden zum Nachteil der Sozialversicherungsträger bzw. des Fiskus. Als Unternehmen wird man insofern die gesamte gewerbliche oder berufliche

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BT-Drs. 14/45, S. 17 - 18. BT-Drs. 14/151. BT-PlPr. 14/14, S. 868 D. BT-PlPr. 14/14, S. 877 C - D. BT-PlPr. 14/14, S. 895 C.

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Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

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Tätigkeit eines Unternehmers auffassen können, wie es auch § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG verdeutlicht. Damit stimmt der Zweck des § 1a AEntG a. F. mit dem Ziel des ArbeitnehmerEntsendegesetz als solches überein: Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz sollte vor allem dem Schutz der heimischen (Bau-) Wirtschaft dienen.45 Teilweise wurde § 1a AEntG a. F. auch die Funktion einer Konkursabsicherungsnorm zugesprochen, „mit der Folge, dass das Konkursrisiko von Nachunternehmern nicht mehr von der Bundesanstalt für Arbeit, sondern vom gewerblichen Bauauftraggeber getragen werden muss“.46 Dies wurde indes von der Bundesregierung in einer Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, Rainer Funke, Rainer Brüderle, weitere Abgeordneter und der Fraktion der F.D.P. nicht bestätigt.47 Im Zuge der Umgestaltung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes bekam die Nachfolgeregelung des § 1a AEntG a. F. einen neuen Standort im Abschnitt der „Zivilrechtlichen Durchsetzung“. Sowohl der Gesetzesentwurf der Fraktion Bündnis90/Die Grünen48 als auch der Gesetzesentwurf der Bundesregierung49 stellten in ihrer Begründung insbesondere auf diesen neuen Standort ab und hoben damit auf die zivilrechtliche Durchsetzung (unter anderem) des Mindestentgelts nach dem ArbeitnehmerEntsendegesetz50 ab. Da die Norm jedoch weitestgehend unverändert zu ihrer Vorgängernorm übernommen wurde51, darf der ursprüngliche Zweck als weiterhin „gültig“ erachtet werden52. Es vereinigen sich bei § 14 AEntG somit der Zweck der zivilrechtlichen Durchsetzung der Ansprüche des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes mit dem präventiven Zweck, die zwingenden Arbeitsbedingungen einzuhalten, dem Zweck des Schutzes und der Förderung redlicher Unternehmer und schließlich dem Zweck der Bekämpfung grenzüberschreitender Betrugsmethoden.53

45 46 47 48 49 50 51 52

53

Vgl. das „Ziel des Gesetzesentwurfs“ in BT-Drs. 13/2414, 6 f. BT-Drs. 14/1885, S. 1. BT-Drs. 14/2107, S. 2. BT-Drs. 16/8758, S. 13. BR-Drs. 542/08, S. 19. Hierbei handelt es sich über § 8 Abs. 1 AEntG um tarifliche Mindestlöhne nach den §§ 3 ff. AEntG, vgl. Mohr in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 14, Rdnr. 22. Vgl. oben unter Zweites Kapitel. A I. Im Ergebnis so auch für viele: Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 1 - 4; Kühn in: Hümmerich/Boecken/Düwell AK Arbeitsrecht I, AEntG § 14, Rdnr. 1; Mohr in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 14, Rdnr. 4; Schwab AiB 2011, S. 357 (358); Tillmanns in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, MiLoG § 13, Rdnr. 1 f. Vgl. auch Krüger, Arbeitgeberähnliche Pflichten des Dritten in arbeitsrechtlichen Dreieckskonstellationen, S. 36 - 46.

14 III

Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen Anwendungsbereich

Nach § 14 Satz 1 AEntG wird die Haftung zum einen für die Zahlung des Mindestentgelts an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen, zum anderen für die Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien angeordnet. Diese Pflicht muss sich nach dem Wortlaut des § 14 Satz 1 AEntG aus § 8 AEntG ergeben. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 AEntG, dem Grundtatbestand des § 8 AEntG, sind Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland, die unter den Geltungsbereich eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 AEntG sowie §§ 5 und 6 Abs. 2 AEntG oder einer Rechtsverordnung nach § 7 oder § 7a AEntG fallen, verpflichtet, ihren Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen mindestens die in dem Tarifvertrag für den Beschäftigungsort vorgeschriebenen Arbeitsbedingungen zu gewähren sowie einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien die ihr nach § 5 Nr. 3 zustehenden Beiträge zu leisten. Der Wortlaut des § 8 Abs. 1 Satz 1 AEntG verdeutlicht ausdrücklich die Geltung für Inlands- sowie Auslandssachverhalte. Die tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen finden zum einen auf Auslandssachverhalte Anwendung. Damit sind diejenigen Fälle erfasst, in denen ein im Ausland ansässiger Arbeitgeber Arbeitnehmer im Inland beschäftigt, vgl. §§ 2, 3 AEntG. Die tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen im Sinne des § 3 AEntG waren dabei zunächst im Bereich des Baugewerbes und der Schifffahrtsassistenz von Bedeutung54. Dabei blieb es indes nicht. Zunächst wurden weitere Branchen aufgenommen (vgl. den Katalog des § 4 Abs. 1 AEntG). Seit dem 1. Januar 2015 kann das ArbeitnehmerEntsendegesetz dabei sogar über § 4 Abs. 2 AEntG grundsätzlich für alle Branchen geöffnet werden.55 Zum anderen findet das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auch für inländische Arbeitgeber Anwendung: Die Geltung der tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen für die genannten (§ 4 Abs. 1 AEntG) bzw. die „erstreckten“ (§ 4 Abs. 2 AEntG) Branchen für Inlandssachverhalte ergibt sich entweder aus einem nach § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag oder aus dem Vorliegen einer Rechtsverordnung nach §§ 7, 7a AEntG. § 2 und § 3 AEntG beispielsweise haben daher für einen inländischen Arbeitgeber keine konstitutive Bedeutung. Die Anwendbarkeit des ArbeitnehmerEntsendegesetzes für derartige Sachverhalte hat der Gesetzgeber dadurch verdeutlicht, dass nach § 3 Satz 1 AEntG die Rechtsnormen eines bundesweiten Tarifvertrages un54 55

Thüsing in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG Vor § 1, Rdnr. 5. Gussen in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, AEntG § 4, Rdnr. 18a; Reichel/Müller PuR 2014, S. 186 (188 - 189); Schlachter in: MüllerGlöge/Preis/Schmidt Erfurter Kommentar, AEntG § 4, Rdnr. 1; Viethen NZA-Beil. 2014, S. 143 (148); Waas in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 4, Rdnr. 35 - 36; Branchenmindestlöhne nach § 7 oder § 7a AEntG bestanden im Verlaug des Jahres 2017 nach Aussage der Bundesregierung in 14 Branchen, s. BT-Drs. 19/875, S. 2.

A

Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

15

ter den Voraussetzungen der §§ 4 bis 6 AEntG „auch“ auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem Arbeitgeber mit Sitz im Ausland Anwendung finden; wenn § 3 Satz 1 AEntG „auch“ für diese Art von Arbeitsverhältnissen Anwendung findet, muss es somit erst recht für Arbeitgeber mit Sitz im Inland gelten.56 Dies dann über die beschriebenen Methoden. Entsprechendes gilt mithin auch für § 2 AEntG, der ebenfalls von der Anwendung „auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen“ spricht. Zudem verdeutlicht die Zielsetzung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes nach § 1 Satz 1 AEntG die Anwendbarkeit des Gesetzes auch für inländische Arbeitgeber.57 Dies ist ist an dem Wortlaut der Norm festzumachen, da sie von der Schaffung und Durchsetzung angemessener Mindestarbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inalnd beschäftigte Arbeitnehmer spricht. Hätten nur ausländische Arbeitgeber in Bezug genommen werden sollen, wäre die Formulierung „für grenzüberschreitend und regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer“ angezeigt gewesen. Schließlich ergibt sich die Anwendbarkeit des ArbeitnehmerEntsendegesetzes im Allgemeinen für inländische Arbeitgeber daraus, dass die Belastung nur von Arbeitgebern aus dem (europäischen) Ausland – beispielsweise mit eben der Haftung nach § 14 AEntG – eine nicht zu rechtfertigende Diskriminierung von Arbeitgebern – jedenfalls aus dem europäischen – Ausland gegenüber deutschen Arbeitgebern im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit nach den Artikel 56 ff. AEUV darstellen würde.58 Somit hat im Ergebnis auch ein im Inland ansässiger Arbeitgeber ein Mindestentgelt nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz an seine Arbeitnehmer zu zahlen, sodass die Haftung nach § 14 Satz 1 AEntG auch Lohnansprüche von Arbeitnehmern eines inländischen Arbeitgebers erfassen kann.59 Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz – und somit auch § 14 AEntG – hatten zunächst also keine generelle Anwendbarkeit für jegliche Arbeitsverhältnisse. Der Anwendungsbereich war ursprünglich beschränkt, und zwar – als Grundkonzeption – auf „problematische“ Sachverhalte (Auslandsbezug und bestimmte Branchen). Diese Grundkonzeption wurde jedoch durch die Modifikationen des ArbeitnehmerEntsendegesetzes, letztlich mit der Änderung zum 1. Januar 2015, aufgegeben. Seither kann für den Anwendungsbereich des Gesetzes nicht mehr von „Problemsachverhalten“ die Rede sein, sondern es kann von einer generellen Anwendbarkeit gespro56 57 58 59

Waas in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 3, Rdnr. 10. Vgl. dazu Gussen in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, AEntG § 1, Rdnr. 1. Vgl. Frage der Diskriminierung von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten durch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz Thüsing in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG Vor § 1, Rdnr. 14 - 16. Vgl. Tillmanns in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, AEntG § 14, Rdnr. 1.

16

Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

chen werden, sofern ein Arbeitgeber durch die allgemeinen oder tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen verpflichtet wird. IV

Tatbestandsvoraussetzungen

Die Haftung nach § 14 Satz 1 AEntG setzt voraus, dass ein Unternehmer (dazu 1) einen anderen Unternehmer (dazu 2) mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt (dazu 3). Aufgrund teleologischer Erwägungen wird eine zusätzliche ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung diskutiert (dazu 4). Darüber hinaus kann die Auftraggeberhaftung nur dann eintreten, wenn überhaupt eine Verpflichtung des anderen Unternehmers zur Zahlung des Mindestentgelts an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen oder zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien nach § 8 AEntG besteht (dazu 5). 1

„Ein Unternehmer“

Zunächst muss es sich bei demjenigen, der einen anderen mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, um einen Unternehmer handeln. Derjenige kann als Auftraggeber im Sinne des § 14 Satz 1 AEntG bezeichnet werden, ohne dass es sich etwa um einen Auftraggeber im Sinne des § 662 BGB handelt, denn es wird ein Werk- oder Dienstvertrag zwischen den Handelnden und gerade kein Auftrag gefordert. a)

Begriff des Unternehmers

Der Begriff des Unternehmers wird vom Arbeitnehmer-Entsendegesetz neben § 14 Satz 1 AEntG in § 21 Abs. 2 AEntG (Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge) und § 23 Abs. 2 AEntG (Bußgeldvorschriften) verwendet. Es definiert aber an keiner Stelle diesen Begriff selbst. Auch die Gesetzesmaterialien zum ArbeitnehmerEntsendegesetz äußern sich nicht zur Begriffsbestimmung. In Literatur60 und Rechtsprechung61 wird für die Begriffsbestimmung des Unternehmers im Sinne des § 14 Satz 1 AEntG die Legaldefinition des § 14 Abs. 1 BGB herangezogen. Danach ist Unternehmer eine natürliche oder juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Da das 60

61

Für viele im Rahmen von § 14 AEntG: Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, ArbeitnehmerEntsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 16; Seifert in: Kempen/Zachert TVG, Anhang 1 zu § 5: AEntG § 14, Rdnr. 7. Vgl. dazu BAG, Urteil vom 16.05.2012 – 10 AZR 190/11, NZA 2012, S. 980 (981); BAG, Urteil vom 12.01.2005 – 5 AZR 617/01, NZA 2005, S. 627 (noch zu § 1a AEntG a. F.).

A

Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

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Arbeitnehmer-Entsendegesetz jedoch an keiner Stelle konkret auf diese Vorschrift oder generell auf das Bürgerliche Gesetzbuch verweist, stellt sich die Frage, ob der Rückgriff auf § 14 Abs. 1 BGB im Rahmen von § 14 Satz 1 AEntG zulässig ist. Zwar wurde § 1a AEntG a. F. bereits mit dem Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998 mit Wirkung zum 1. Januar 1999 eingeführt62; § 14 BGB dagegen erst mit dem Gesetz über Fernabsatzverträge und andere Fragen des Verbraucherrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro vom 27. Juni 2000.63 Obwohl damit die Auftraggeberhaftung zeitlich vor der Normierung des Unternehmerbegriffs eingeführt wurde, spricht dies nicht gegen eine Anwendung des § 14 Abs. 1 BGB im Rahmen von § 14 Satz 1 AEntG. Denn mit § 14 Abs. 1 BGB wurde keine gänzliche neue Rechtslage geschaffen: Der Begriff des Unternehmers war auch bereits vor der Einführung des § 14 Abs. 1 BGB „im deutschen Privatrecht bekannt und etabliert“.64 Die Normierung diente dabei der Vereinheitlichung des Unternehmerbegriffs für viele Bereiche des Privatrechts.65 § 14 Abs. 1 BGB ist im Ergebnis auch auf § 14 Satz 1 AEntG anwendbar: Aus systematischer Sicht steht § 14 BGB im Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Gesetzesbuches. Die Norm ist damit (zunächst nur) grundsätzlich für das gesamte Bürgerliche Gesetzbuch anwendbar.66 Doch soll die Norm darüber hinaus für das sonstige Privatund Wirtschaftsrecht anwendbar sein, wenn kein eigenständiger Unternehmerbegriff definiert wird.67 Aufgrund keiner eigenständigen Definition des Unternehmerbegriffs im Arbeitnehmer-Entsendegesetz spricht dies für die Anwendbarkeit des § 14 Abs. 1 BGB. Problematisch erscheinen indes Sinn und Zweck des § 14 Abs. 1 BGB hinsichtlich der Verknüpfung mit § 14 Satz 1 AEntG: § 14 BGB wurde geschaffen, um unterschiedliche Bezeichnungen für die Person des Unternehmers in den früheren nationalen Verbraucherschutzgesetzen zusammenzufassen und zudem europäische Vorgaben in Form von Richtlinien umzusetzen. Der Gesetzgeber wollte zwar die Auslegung und Anwendung des Unternehmerbegriffs vereinheitlichen, was aber gegebenenfalls nur

62 63 64 65 66 67

Vgl. oben unter Zweites Kapitel. A I. BGBl. I 2000, S. 897 (899). Alexander in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.10.2017, BGB § 14, Rdnr. 3. Alexander in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.10.2017, BGB § 14, Rdnr. 3. Micklitz/Purnhagen in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Säcker MünchKomm-BGB Band 1, BGB § 14, Rdnr. 1. Alexander in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.10.2017, BGB § 14, Rdnr. 47.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

für die Fälle gelten kann, in denen Unternehmer und Verbraucher im Gegenseitigkeitsverhältnis zueinander stehen.68 Dies ist im Rahmen von § 14 Satz 1 AEntG aber gerade nicht der Fall. Entscheidend ist aber, dass die Legaldefinition des § 14 Abs. 1 BGB von ihrem Wortlaut her auch Fälle umfassen kann, in denen kein Verbraucher beteiligt ist. Das Zusammenspiel von Unternehmer und Verbraucher ergibt sich allein aus dem Zusammenspiel von § 13 und § 14 BGB. Aus Gründen der Einheit der Rechtsordnung sollte § 14 Abs. 1 BGB daher richtigerweise für alle Fälle des Privatund Wirtschaftsrechts Anwendung finden, in denen der Begriff des Unternehmers verwendet wird, ohne ihn eigenständig zu regeln. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber den Unternehmerbegriff des § 14 Satz 1 AEntG ebenfalls der Legaldefinition des § 14 Abs. 1 BGB unterwirft. Denn es kann einerseits in dem Verzicht auf eine eigenständige Definition sowie andererseits in der Umgestaltung der Auftraggeberhaftung von § 1a AEntG a. F. zu § 14 AEntG und dem damit verbundenen Schweigen zur Begriffsbestimmung eine Akzeptanz des Gesetzgebers in der Verwendung der Definition des § 14 Abs. 1 BGB gesehen werden. Die Anwendung des § 14 Abs. 1 BGB im Rahmen von § 14 Satz 1 AEntG korrespondiert schließlich auch mit der gesetzgeberischen Intention bei Einführung des § 1a AEntG a. F.: Die Haftung sollte auf Unternehmer beschränkt werden, damit nur solche Bauaufträge erfasst werden, die Unternehmer im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit in Auftrag geben.69 Unternehmer im Sinne des § 14 Satz 1 AEntG ist damit derjenige, der als natürliche oder juristische Person oder als rechtsfähige Personengesellschaft bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung seiner gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt.70

68 69 70

So Bamberger in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 14, Rdnr. 1. BT-Drs. 14/45, S. 26. Zu der hier nicht vertieften Frage, ob die öffentliche Hand als Unternehmer im Sinne des § 14 AEntG anzusehen ist Boemke, Handbuch zum Arbeitnehmerentsendegesetz, S. 96; Dörfler, Die Nettolohnhaftung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz, S. 23; Gündisch, Die Bürgenhaftung nach § 1a Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) in rechtspolitischer Hinsicht, S. 37 - 38; Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 20; Kühn in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau NK-GA, AEntG § 14, Rdnr. 4; Lakies in: Däubler TVG, Anhang 2 zu § 5 TVG: AEntG § 14, Rdnr. 14; Seifert in: Kempen/Zachert TVG, Anhang 1 zu § 5: AEntG § 14, Rdnr. 7.

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Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

b)

Einschränkende Auslegung des Unternehmerbegriffs

19

Der Wortlaut des § 14 Satz 1 AEntG erfasst damit jegliches Handeln eines jeden Unternehmers, sofern es sich um eine Beauftragung mit einer Werk- oder Dienstleistung im Rahmen der gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. In der Begründung zur Einführung des § 1a AEntG a. F. heißt es jedoch im Allgemeinen Teil der Gesetzesbegründung, dass „eine verschuldensunabhängige Haftung des Generalunternehmers eingeführt“ wird.71 An späterer Stelle ist indes – wie im Gesetzeswortlaut selbst – lediglich von Unternehmern die Rede.72 Der Begriff des Generalunternehmers taucht aber wiederum in der Plenardebatte zur Einführung des § 1a AEntG a. F. auf.73 Bei der Einführung des § 14 AEntG hat der Gesetzgeber schließlich ausdrücklich formuliert: Es soll „insbesondere ein sogenannter Generalunternehmer“ nach § 14 AEntG haften.74 Der Begriff des Generalunternehmers wird vom Gesetzgeber im Rahmen der Einführung des § 1a AEntG a. F. nicht näher konkretisiert. Der Begriff des Generalunternehmers wird darüber hinaus zwar vom Gesetzgeber in anderen Gesetzen explizit verwendet – so zum Beispiel in § 28e SGB IV oder § 98a AufenthG –, aber auch dort findet sich keine Legaldefinition. In der Literatur findet sich insofern exemplarisch folgende Definition: „Als Generalunternhmer bezeichnet man grundsätzlich Unternehmer, die vom Bauherrn mit sämtlichen zu einem Bauwerk gehörenden Leistungen beauftragt werden, also mit der gesamten Bauausführung, der Koordinierung und Leitung des Bauvorhabens gegebenenfalls einschließlich der Architektenleistungen. […] Gemeinsam haben sowohl Generalunternehmer wie auch Hauptunternehmer, daß sie in aller Regel ihre vertraglichen Bauleistungen mit Einwilligung des Bauherrn durch die Einschaltung von Subunternehmern erfüllen, die von ihnen im eigenen Namen beauftragt werden.“75 Im Hinblick auf § 1a AEntG a. F. und damit auch auf § 14 AEntG stellt sich also die Frage, ob der Gesetzgeber eine einschränkende Auslegung des Unternehmerbegriffs auf bloß einen „Generalunternehmer“ angelegt hat. Dies soll im Folgenden unter der Prämisse untersucht werden, ob eine Einschränkung des Unternehmerbegriffs bzw.

71 72 73 74 75

BT-Drs. 14/45, S. 17. BT-Drs. 14/45, S. 26. BT-PlPr. 14/14, S. 868, 877, 880, 895. BT-Drs. 16/8758, S. 13; BR-Drs. 542/08, S. 19; BT-Drs. 16/10486, S. 17. Werner/Pastor/Müller, Baurecht von A-Z, S. 431; diese definieren an gleicher Stelle den Hauptunternehmer wie folgt: „Demgegenüber spricht man von einem Hauptunternehmer, wenn ein Unternehmer nur einen Teil der zu einem Bauvorhaben gehörenden Bauleistungen auszuführen hat.“ Vgl. zum Generalunternehmer auch Molt in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.10.2017, BGB nF § 650u, Rdnr. 18; Thierau in: Kappelmann/Messerschmidt VOB Teil A/B, VOB/B, Rdnr. 10 - 16 m. w. N.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

des Anwendungsbereichs des § 14 Satz 1 AEntG vorzunehmen ist. Dass somit ein restriktiver Blick auf die Norm geworfen wird, ist schon dadurch gerechtfertigt, dass die Auftraggeberhaftung die Selbstbestimmung des Auftraggebers einschränkt – womit ein globales Prinzip des deutschen Zivilrechtssystems eingeschränkt wird.76 aa) Ansatz der Rechtsprechung Bereits in seinem Beschluss vom 6. November 2002 hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts zu § 1a AEntG a. F. entschieden, dass der Begriff des Unternehmers einschränkend auszulegen sei. Mit Verweis auf die Gesetzesbegründung beschränkte der Senat den Unternehmerbegriff auf Generalunternehmer: „Ziel des Gesetzes ist vielmehr, Bauunternehmer, die sich verpflichtet haben, ein Bauwerk zu errichten, und dies nicht mit eigenen Arbeitskräften erledigen, sondern sich zur Erfüllung ihrer Verpflichtung eines oder mehrerer Subunternehmer bedienen, als Bürgen haften zu lassen, damit sie letztlich im eigenen Interesse verstärkt darauf achten, dass die Nachunternehmer die nach § 1 AEntG geltenden zwingenden Arbeitsbedingungen einhalten. Da diesen Bauunternehmern der wirtschaftliche Vorteil der Beauftragung von Nachunternehmern zugute kommt, sollen sie für die Lohnforderungen der dort beschäftigten Arbeitnehmer nach § 1a AEntG einstehen. Die Ziele des Gesetzes treffen nicht auf andere Unternehmer zu, die als Bauherren eine Bauleistung in Auftrag geben. Diese Unternehmer beschäftigen keine eigenen Bauarbeitnehmer. Sie beauftragen auch keine Subunternehmer, die für sie eigene Leistungspflichten erfüllen. Bauherren fallen daher nicht in den Geltungsbereich des § 1a AEntG […]“77 Damit schränkt die Rechtsprechung jedenfalls richtigerweise den Anwendungsbereich der Auftraggeberhaftung auf die Fälle ein, in denen eine Pflicht des Unternehmers zur Erbringung der Werk- oder Dienstleistungen gegenüber Dritten besteht. An diese Rechtsprechung hat der Zehnte Senat des Bundesarbeitsgerichts im Jahr 2007 angeknüpft und den Unternehmerbegriff des § 1a AEntG a. F. gleichermaßen eingeschränkt.78 Im Jahr 2012 hat der Zehnte Senat sodann – noch zu § 1a AEntG a. F. – Bauträger als „Generalunternehmer“ eingeordnet, da wesentlicher Inhalt der Bauträgertätigkeit unter anderem die Verpflichtung zur Errichtung eines Bauwerks auf einem eigenen oder von ihm noch zu beschaffenden Grundstück sei.79 Das Bundesverfassungsgericht hatte im Jahr 2007 über eine Verfassungsbeschwerde betreffend § 1a AEntG a. F. zu entscheiden. Es wurde insofern die Vereinbarkeit 76 77 78 79

Vgl. zur Selbstbestimmung unten unter Dittes Kapitel. A II 3. BAG, Beschluss vom 06.11.2002 – 5 AZR 617/01 (A), NZA 2003, S. 490 (493); ebenso: BAG, Urteil vom 12.01.2005 – 5 AZR 617/01, NZA 2005, S. 627. Vgl. BAG, Urteil vom 28.03.2007 – 10 AZR 76/06, AP AEntG § 1 Nr. 27, Rz. 12 ff. BAG, Urteil vom 16.05.2012 – 10 AZR 190/11, NZA 2012, S. 980, Rz. 15 ff.

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Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

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der Vorschrift mit Grundrechten gerügt. In diesem Zusammenhang hat sich das Bundesverfassungsgericht der Auslegung des § 1a AEntG a. F. des Bundesarbeitsgerichts zum Unternehmerbegriff angeschlossen, es spricht von der „Bürgenhaftung des Hauptunternehmers“80. Dies musste das Bundesverfassungsgericht aber auch tun, denn es ist – wie es zu Recht selbst feststellt – an die Auslegung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte gebunden und „prüft grundsätzlich nur, ob die angewandten Rechtsvorschriften gerade mit dem ihnen durch die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegten Inhalt mit höherrangigem Recht vereinbar sind und ob die Beachtung des Grundgesetzes gegebenenfalls eine verfassungskonforme Auslegung gebietet.“81 Es liegt mithin keine eigenständige Auslegung bzw. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Unternehmerbegriff (im Sinne des § 1a AEntG a. F.) vor.82 Eine Entscheidung zur Einschränkung des Unternehmerbegriffs des § 14 AEntG hat das Bundesarbeitsgericht bis dato nicht getroffen. In der Instanzrechtsprechung wird aber auch im Rahmen von § 14 AEntG an der Auslegung des Unternehmerbegriffs des § 1a AEntG a. F. durch das Bundesarbeitsgericht festgehalten, eine Änderung sei, so beispielsweise die 14. Kammer des Arbeitsgerichts Berlin, durch den Gesetzgeber nicht intendiert.83 bb) Auslegung von § 14 AEntG Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist in der Literatur (großteils) auf Zustimmung gestoßen. Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG wird sodann als „Generalunternehmerhaftung“84 bzw. als Haftung des „Generalunternehmers“85 bezeichnet. Andernorts wird sich zwar von dem Begriff des Generalunternehmers gelöst, eine Begrenzung der Haftung aber – im Einklang mit dem Bundesarbeitsgerichts – auf die Fälle begrenzt, in denen ein Unternehmer Subunternehmer einschaltet, um seine eigenen Verpflichtungen aus Verträgen mit Dritten zu erfüllen86, der Unternehmer die Einschaltung von Subunternehmern für seine eigene wirtschaftliche Tätigkeit nutzt87 bzw. der Unternehmer die vertraglich von ihm selbst übernommene Aufgabe an Subunter80 81 82 83 84

85 86 87

BVerfG, Beschluss vom 20.03.2007 – 1 BvR 1047/05, NZA 2007, S. 609 (610). BVerfG, Beschluss vom 20.03.2007 – 1 BvR 1047/05, NZA 2007, S. 609 (610). So vertritt es aber Bayreuther NZA 2015, S. 961 (962). ArbG Berlin, Urteil vom 03.05.2017 – 14 Ca 14814/16. Vgl. bspw. Bachner in: Kittner/Zwanziger/Deinert ArbR-Hdb, § 9, Rdnr. 17; Meyer AuA 1999, S. 113 (113); Theelen, Das Arbeitnehmerentsendegesetz: Entwicklung und Rechtskonformität, S. 161. Gussen in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, AEntG § 14, Rdnr. 2; Schwab AiB 2011, S. 357 (358). Boemke, Handbuch zum Arbeitnehmerentsendegesetz, S. 95. Tillmanns in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, AEntG § 14, Rdnr. 3.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

nehmer (derselben Branche) weiter vergibt88. Als Anknüpfungspunkt für die Begrenzung ist den verschiedenen Ansichten indes gemein, dass sie auf die Tatbestandsvoraussetzung des Unternehmers abstellen. Im Folgenden gilt es zu untersuchen, ob diese Zustimmung auch begründet ist. Dies erfolgt anhand einer Auslegung des § 14 AEntG. Der Wortlaut Der Wortlaut des § 14 AEntG gibt zunächst keinen Anlass, den Anwendungsbereich zu begrenzen.89 Es ist schlicht von einem „Unternehmer“ die Rede. Dass damit nur Generalunternehmer erfasst sein sollen oder dass ein Unternehmer bestimmte Voraussetzungen erfüllen muss, damit er der Haftung unterliegt, legt der Wortlaut nicht an.90 Insofern unterscheidet sich der Wortlaut des § 14 AEntG auch von dem des § 28e SGB IV oder § 98a AufenthG. In § 28e Abs. 3a Satz 1 SGB IV91 ist eine dem § 14 AEntG – und vor allem dem § 1a AEntG a. F. – vergleichbare Haftung normiert: „Ein Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 101 Absatz 2 des Dritten Buches beauftragt, haftet für die Erfüllung der Zahlungspflicht dieses Unternehmers oder eines von diesem Unternehmer beauftragten Verleihers wie ein selbstschuldnerischer Bürge.“ Diese Haftung wird durch Absatz 3f Satz 3 selbst als „Generalunternehmerhaftung“ bezeichnet; diese Formulierung findet sich erst seit der Änderung dieses Absatzes im Jahr 2009 durch das Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch, zur Errichtung einer Versorgungsausgleichkasse und anderer Gesetze92. Eine solche Bezeichnung fehlt für § 14 AEntG und wurde im Gesetzgebungsverfahren auch nicht erwogen. Zudem ist der Wortlaut des § 14 AEntG – in der heutigen Fassung – weiter als der des § 28e Abs. 3a SGB IV. Eine Generalunternehmerhaftung kann deswegen auch nicht etwa analog § 28e Abs. 3f Satz 3 SGB IV angenommen werden. § 98a AufenthG bezeichnet die dort geregelte, dem § 14 AEntG vergleichbare Haftung in Absatz 393 zwar selbst nicht als Generalunternehmerhaftung. § 98a Abs. 4 greift aber gleichwohl den Begriff des Generalunternehmers auf, indem unter anderem

88 89 90 91 92 93

Schlachter in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt Erfurter Kommentar, AEntG § 14, Rdnr. 3. So auch Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 18; Lakies in: Däubler TVG, Anhang 2 zu § 5 TVG: AEntG § 14, Rdnr. 16. So auch zum Wortlaut des § 1a AEntG Dörfler, Die Nettolohnhaftung nach dem ArbeitnehmerEntsendegesetz, S. 22; Rieble/Lessner ZfA 2002, S. 29 (39). Vgl. dazu ausführlich unten unter Drittes Kapitel. B III 1 b) bb). BGBl. I 2009, S. 1939 (1940). Vgl. dazu ausführlich unten unter Drittes Kapitel. B III 1 b) aa).

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Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

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für diesen eine Exkulpationsmöglichkeit eröffnet wird. Daneben werden aber auch andere „Arten“ von Unternehmen genannt. § 98a Abs. 3 AufenthG zeigt somit selbst an, dass es sich nicht um eine bloße Generalunternehmerhaftung handeln kann. Der Vergleich mit § 98a AufenthG zeigt für § 14 AEntG erneut, dass der Gesetzgeber im Rahmen des § 14 AEntG auf den Begriff des Generalunternehmers wohl bewusst verzichtet hat. Dies spricht vom Wortlaut her gegen eine Generalunternehmerhaftung. Der Wortlaut des § 14 AEntG allein kann damit keine Begrenzung etwa auf einen Generalunternehmer begründen. Die Systematik § 14 AEntG ist im Arbeitnehmer-Entsendegesetz in einem eigenen Abschnitt verortet, der „Zivilrechtlichen Durchsetzung“. Dieser Abschnitt folgt den Abschnitten „Zielsetzung“, „Allgemeine Arbeitsbedingungen“, „Tarifvertragliche Arbeitsbedingungen“ und „Arbeitsbedingungen in der Pflegebranche“. § 14 AEntG kann damit aus systematischer Sicht das Ziel zugesprochen werden, umfassend die zuvor bezeichneten Abschnitte durchzusetzen. Dies wird aber dadurch begrenzt, dass § 14 AEntG allein auf Mindestentgelte nach § 8 AEntG Anwendung findet; also auf Mindestentgelte, die tarifvertragliche Arbeitsbedingungen darstellen. Aber auch insofern begrenzen systematische Ansatzpunkte nicht die Auslegung des Unternehmerbegriffs. Denn – dies darf angenommen werden – es sollen die tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen zunächst einmal bestmöglich zivilrechtlich durchgesetzt werden können. Die Entstehungsgeschichte Die Entstehungsgeschichte des § 14 AEntG könnte für die Begründung einer Begrenzung des Unternehmerbegriffs gegebenenfalls schon ergiebiger sein. Die Gesetzesbegründungen zu § 1a AEntG a. F. sowie zu § 14 AEntG wurden eingangs bereits dargelegt. In diesen spricht der Gesetzgeber zwar von einem „Generalunternehmer“; er beschränkt sich jedoch nicht auf diesen. Dies wird dadurch deutlich, dass er auch (bloß) von „Unternehmer“ spricht und konkret bei der Einführung des § 14 AEntG nur noch „insbesondere“ von der Haftung eines sogenannten Generalunternehmers ausgeht. Das Wort „insbesondere“ verdeutlicht, dass „ein sogenannter Generalunternehmer“ nicht das einzige Haftungsobjekt nach dem Willen des Gesetzgebers darstellen soll.94 Vielmehr sollen auch andere Arten von Unternehmern der 94

Im Ergebnis so auch Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 18.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

Haftung nach § 14 AEntG unterliegen können. Für § 1a AEntG a. F. wäre zwar aufgrund des gesetzgeberischen Willens auch eine engere Auslegung denkbar. Entscheidend ist aber insofern der Wille bei der (Neu-)Einführung des § 14 AEntG. Es kann demnach nicht unterstellt werden, dass „der Gesetzgeber stets davon ausgegangen ist, dass er eine Generalunternehmerhaftung angeordnet hat“95. Gleichwohl ist der Blick auch auf die Vorgängerregelung des § 14 AEntG zu richten. § 1a AEntG a. F. galt in seiner Ursprungsfassung allein im Falle der Beauftragung mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 211 Abs. 1 SGB III (§ 211 Abs. 1 Satz 2 SGB III: „Bauleistungen sind alle Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen.“) Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz war darüber hinaus allein auf das Baugewerbe und die Seeschifffahrtsassistenz anwendbar.96 Daraus wird zum Teil der Schluss gezogen, dass es sich „zwangsläufig um einen Teil eines Auftrags, dessen Ausführung er selbst gegenüber einem Dritten schuldet“ handeln muss, wenn der Bauunternehmer – als Generalunternehmer – eine Leistung vergibt; Generalunternehmer- und Auftraggeberhaftung sind in der Baubranche schließlich „ein- und dasselbe“ (gewesen).97 Dieser Schluss ist aber keineswegs zwingend. So verlangt der Wortlaut des § 1a AEntG a. F. zwar, dass es sich um Bauleistungen im Sinne des § 211 Abs. 1 SGB III a. F. handeln muss. Er verlangt aber nicht, dass es sich bei dem Unternehmer etwa um einen „Betrieb des Baugewerbes“ handeln muss. Dies wurde in § 211 Abs. 1 Satz 1 SGB III folgendermaßen definiert: „Ein Betrieb des Baugewerbes ist ein Betrieb, der gewerblich überwiegend Bauleistungen auf dem Baumarkt erbringt.“ Der Gesetzgeber hätte also umfassender auf § 211 Abs. 1 SGB III a. F. verweisen und auch deutlich machen können, dass der Unternehmer in seiner Eigenschaft als „Betrieb des Baugewerbes“ agieren muss. Dann wäre jedenfalls für § 1a AEntG a. F. der zwangsläufige Schluss zu ziehen, dass bloß eine Generalunternehmerhaftung angeordnet ist. Unter den Wortlaut des § 1a AEntG a. F. fällt jedoch auch der Fall, dass ein Unternehmer – auch Unternehmer, die keine Bauunternehmer sind – einen anderen Unternehmer mit der Erbringung einer Bauleistung, also einer Leistung, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dient, beauftragt, welche der Unternehmer für sich selbst benötigt und eben nicht im Rahmen

95 96 97

So aber explizit Bayreuther NZA 2015, S. 961 (962). Thüsing in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG Vor § 1, Rdnr. 5. Bayreuther NZA 2015, S. 961 (962).

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Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

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seiner Erbringung von gewerblichen Bauleistungen auf dem Baumarkt.98 Schon bei § 1a AEntG a. F. lag mithin keine klare Einschränkung des Anwendungsbereichs vor. Auch wenn man sich einer anderen historischen Auslegung anschließen würde, muss aber festgestellt werden, dass der Gesetzgeber bei § 14 AEntG auf jegliche Anknüpfungspunkte zur Einschränkung – wie der Wortlaut eindeutig zeigt – verzichtet hat. Dies wird insbesondere dadurch deutlich, dass der Gesetzgeber den Begriff der „Bauleistungen“ durch „Werk- und Dienstleistungen“ ersetzt und ansonsten an dem Wortlaut der Norm festgehalten hat. Dies könnte im Ergebnis für eine uneingeschränkte Auslegung des Unternehmerbegriffs bzw. des § 14 AEntG als solchen sprechen.99 Die Entstehungsgeschichte des § 14 AEntG verdeutlicht also, dass der Gesetzgeber zwar wohl vor allem die Haftung eines Generalunternehmers im Auge hatte, als er die Auftraggeberhaftung schuf. Er hat aber bereits durch den Wortlaut des § 1a AEntG a. F. weitere Haftungsobjekte mit einbezogen. Dies wird auch durch die Gesetzesmaterialien gestützt. Einer Begrenzung der Haftung auf Generalunternehmer kann damit nicht gefolgt werden.100 Sinn und Zweck Soweit zeigt die Auslegung des § 14 AEntG, dass eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Vorschrift bzw. eine Einschränkung des Unternehmerbegriffs noch nicht begründbar ist. Möglicherweise kann eine solche Einschränkung aber mit Blick auf Sinn und Zweck des § 14 AEntG angezeigt sein. § 14 AEntG verfolgt – wie dargelegt – verschiedene Zwecke: Die Ansprüche des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes sollen zivilrechtlich durchgesetzt werden können, es soll präventiv darauf hingewirkt werden, dass die zwingenden Arbeitsbedingungen eingehalten werden, redliche Unternehmer sollen geschützt und gefördert werden und schließlich sollen grenzüberschreitende Betrugsmethoden bekämpft werden. All diese Zwecke sprechen indes nicht für eine Einschränkung des Unternehmerbegriffs. Losgelöst von dem Begriff des „Generalunternehmers“ muss indes ein erneuter Blick auf die Gesetzesmaterialien geworfen werden. Nach dem Gesetzesentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen zu § 1a AEntG a. F. „sollen alle Bauaufträge erfaßt werden, die Unternehmer im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit in Auftrag

98

99 100

So auch Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 18; andere Ansicht wohl Harbrecht BauR 1999, S. 1376 (1377), der sich im Ergebnis genauso wie Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup gegen eine Einschränkung ausspricht. Vgl. für viele Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 18 - 19; Lakies in: Däubler TVG, Anhang 2 zu § 5 TVG: AEntG § 14, Rdnr. 16. So auch zu § 1a AEntG Werner NZBau 2000, S. 225 (226).

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

geben“.101 Damit wird verdeutlicht, dass einerseits jegliche Art von Unternehmer unter § 1a AEntG a. F. zu fassen ist. Andererseits soll der Anwendungsbereich des § 1a AEntG a. F. als solcher eingeschränkt werden. Erforderlich ist eben, dass die Beauftragung mit der Bauleistung – heute Werk- oder Dienstleistung – in einem Rahmen geschieht, in dem der Unternehmer nicht für sich selbst die Leistung in Auftrag gibt, sondern dies im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit vollzieht.102 Die Leistung muss mithin für einen Dritten schlussendlich bestimmt sein. Dieser Wille steht auch nicht in einem gänzlichen Widerspruch zur Formulierung der Haftung „insbesondere“ eines Generalunternehmers. Denn unter anderem ein Generalunternehmer beauftragt andere Unternehmer mit Leistungen, um regelmäßig im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit für Dritte beispielsweise ein Bauwerk zu errichten. Andererseits kann auch ein Generalunternehmer Leistungen in Auftrag geben, die für ihn selbst bestimmt sind. In letzterem Fall soll er dem gesetzgeberischen Willen nach – obwohl es sich um einen Generalunternehmer handelt – nicht der Auftraggeberhaftung unterliegen. Dieser gesetzgeberische Wille zu § 1a AEntG a. F. ist schließlich auf § 14 AEntG übertragbar. In einem Entwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Umgestaltung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes heißt es, dass die bislang in § 1a AEntG enthaltene Bestimmung inhaltlich unverändert übernommen werden soll.103 Der maßgebliche Regierungsentwurf spricht davon, dass diese Bestimmung übernommen werden soll.104 Man wird also davon ausgehen können, dass im Rahmen von § 14 AEntG nach dem gesetzgeberischen Willen nur solche Aufträge – von Werk- oder Dienstleistungen – erfasst sein sollen, die der Unternehmer im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit in Auftrag gibt. Stellungnahme Die Rechtsprechung und der ihr folgende Teil der Literatur argumentieren für eine Einschränkung des Unternehmerbegriffs. Diese Linie ist jedoch nicht konsistent. Die (richtigen) teleologischen Erwägungen werden im Rahmen der Tatbestandsvoraussetzung „Unternehmer“ angestellt. Einen dogmatischen Anknüpfungspunkt zu dieser Tatbestandsvoraussetzung gibt es jedoch nicht. Allein die historische Erwägung des „Generalunternehmers“ verleitet zu der Annahme einer Einschränkung der Tatbestandsvoraussetzung „Unternehmer“. In den Anfängen des Arbeitnehmer-

101 102 103 104

BT-Drs. 14/45, S. 26. So auch Boemke, Handbuch zum Arbeitnehmerentsendegesetz, S. 95. BT-Drs. 16/8758, S. 13. BT-Drs. 16/10486, S. 17.

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Entsendegesetzes mag dies noch als Anknüpfungspunkt gedient haben. Aber spätestens mit der Öffnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für weitere (alle) Branchen verfängt dieses Argument nicht mehr, denn der Begriff des Generalunternehmers ist vor allem im Baugewerbe geläufig105. Im Ergebnis, aber nicht in der Art und Weise, also der einschränkenden Auslegung des Unternehmerbegriffs, ist dem Bundesarbeitsgericht aber zuzustimmen: Sowohl der Wortlaut als auch die Systematik und die Entstehungsgeschichte des § 14 AEntG geben keinen Anlass zur Einschränkung des Unternehmerbegriffs oder des § 14 AEntG als solchem. Alleinig Sinn und Zweck des § 14 AEntG begründen eine Einschränkung. Dabei wird aber auch deutlich, dass der Unternehmerbegriff nicht einzuschränken ist. Eine Einschränkung der Tatbestandsvoraussetzung „Unternehmer“ würde auch zu Unbilligkeiten gegenüber dem Generalunternehmer führen: Jegliche Beauftragung durch einen Generalunternehmer fiele – bei konsequenter Anwendung – in den Anwendungsbereich der Haftungsnorm; auch solche Beauftragungen, die bei anderen Unternehmern nicht der Haftung unterlägen. Damit würde die Auftraggeberhaftung über ihren eigentlichen Zweck hinaus angewandt. Vielmehr soll der Anwendungsbereich des § 14 AEntG als solcher eingeschränkt werden. Eine uneingeschränkte Anwendung des § 14 AEntG auf jegliche Form einer Beauftragung durch einen Unternehmer würde andererseits den gesetzgeberischen Willen nicht hinreichend beachten und ist deswegen abzulehnen. Dogmatischer Anknüpfungspunkt für die Einschränkung kann mithin nicht eine Tatbestandsvoraussetzung des § 14 AEntG sein, insbesondere nicht das des Unternehmers. Vielmehr wird eine Einschränkung im Wege einer teleologischen Reduktion106 vorzunehmen sein. 2

„der einen anderen Unternehmer“

Der Auftraggeber muss einen „anderen Unternehmer“ mit der Erbringung von Werkoder Dienstleistungen beauftragen. Dieser andere Unternehmer kann dann entsprechend als Auftragnehmer im Sinne des § 14 Satz 1 AEntG bezeichnet werden. Hinsichtlich des Unternehmers kann auch hier wieder auf die Definition des § 14 Abs. 1 BGB zurückgegriffen werden. Überdies muss der Auftraggeber ein „anderer“ Unternehmer sein. Der beauftragte Unternehmer muss mithin ein anderer als der beauftragende Unternehmer sein. Sofern also ein Unternehmer eine ihm ebenfalls gehörende Gesellschaft, bei der er auch der Unternehmer ist, beauftragt, beauftragt er keinen „anderen“ Unternehmer. In diesem Fall ist § 14 Satz 1 AEntG daher nicht anwendbar. Dies trifft beispielsweise auf zwei 105 106

Werner/Pastor/Müller, Baurecht von A-Z, S. 431. So auch der dogmatische Weg von Sick RdA 2016, S. 224 (225).

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

über einen Mutterkonzern verbundene Konzerngesellschaften zu. § 14 Satz 1 AEntG erfordert aus diesem Grunde, dass ein anderer rechtlicher Träger beauftragt wird. Dies ist auch insofern aus teleologischer Sicht richtig, als in einem Konzern die Arbeitnehmer bereits (faktisch) über das „Konzernvermögen“ geschützt sind. Schließlich werden hier auch die sprachlichen Unterschiede zwischen Unternehmer und Unternehmen deutlich: Zwei Konzerngesellschaften können gegebenenfalls noch als zwei verschiedene Unternehmen aufgefasst werden, sie gehören aber jedenfalls nicht zwei verschiedenen Unternehmern. 3

„mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt“

Der Auftraggeber muss den Auftragnehmer „mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt“ haben. Es sind von daher zwei Tatbestandsvoraussetzungen zu prüfen: Die Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen (dazu a)) und die Beauftragung (dazu b)). Schließlich stellt sich in Anlehnung an die obige Diskussion die Frage, ob diese Tatbestandsvoraussetzung einzuschränken ist (dazu c)). a)

Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen

In seiner ursprünglichen Fassung lautet § 1a AEntG a. F.: „Ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 211 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch beauftragt, haftet […].“107 Aus diesem Grunde war der Anwendungsbereich der Auftraggeberhaftung auf das Baugewerbe beschränkt. Erst 2007 wurde die Tatbestandsvoraussetzung der „Werk- oder Dienstleistungen“ in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz eingeführt. 108 aa) Werk- oder Dienstleistungen Das Gesetz spricht also nunmehr von Werk- oder Dienstleistungen. Warum der Gesetzgeber diese Formulierung gewählt hat, formuliert er indes nicht explizit: Der Gesetzgeber bezeichnet die Ersetzung der Wörter „Bauleistung im Sinne § 172 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch“ durch die Wörter „Werk- oder Dienstleistungen“ als „redaktionelle Folgeänderung zu der […] angeordneten Erweiterung des Gesetzes [des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes] auf das Gebäudereinigerhandwerk“.109 Eine „redaktionelle Folgeänderung“ impliziert, dass eine inhaltliche Änderung nicht stattgefunden hat. Die Änderung musste jedoch vorgenommen werden, um den

107 108 109

BGBl. I 1998, S. 3843 (3851). Vgl. oben unter Zweites Kapitel. A I. BT-Drs. 16/3064, S. 8; vgl. auch oben unter Zweites Kapitel. A I.

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neugeregelten Fall mit zu erfassen. Bauleistungen im Sinne des § 175 Abs. 2 SGB III a. F., welcher nunmehr im § 101 Abs. 2 SGB III normiert ist, sind nach der Legaldefinition in § 175 Abs. 2 Satz 2 SGB III a. F. bzw. § 101 Abs. 2 Satz 2 SGB III „alle Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen“, wobei hier schon wegen der generalklauselartigen Begrifflichkeit und dem gesetzgeberischen Willen ein weites, umfassendes Begriffsverständnis an den Tag gelegt werden muss.110 Werk- oder Dienstleistungen im Sinne des § 14 Satz 1 AEntG leiten ihrem Wortlaut nach auf die Regelungen zum Dienstvertrag (§§ 611 ff.) und zum Werkvertrag (§§ 631 ff.) des Bürgerlichen Gesetzbuches. Da der § 14 Satz 1 AEntG jedoch von „Leistung“ und nicht von „Vertrag“ spricht, kann es bei der Auslegung dieser Tatbestandsvoraussetzung nicht auf das Bestehen eines Dienst- bzw. Werkvertrages im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches ankommen.111 Entscheidend ist, ob inhaltlich eine Werk- oder Dienstleistung vorliegt.112 Erster Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der „Werk- oder Dienstleistung“ kann insofern aber der Inhalt der Leistungspflicht des Dienstverpflichteten im Sinne des § 611 Abs. 1 BGB beim Dienstvertrag bzw. des Unternehmers im Sinne des § 631 Abs. 1 BGB beim Werkvertrag sein. Gemäß § 611 Abs. 1 BGB ist der Dienstverpflichtete zur Leistung der vereinbarten Dienste verpflichtet. Gegenstand des Dienstvertrages können Dienste jeder Art sein, § 611 Abs. 2 BGB. Der Dienstvertrag bildet dabei den Vertragstyp, durch den menschliche Arbeit selbst zum Gegenstand des Rechtsverkehrs wird.113 Dienste sind mithin menschliche Arbeit. Gemäß § 631 Abs. 1 BGB wird der Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes verpflichtet. Gegenstand des Werkvertrages kann sowohl die Herstellung oder Veränderung einer Sache als auch ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg sein. Charakteristisch für den Werkvertrag ist also das Werk im Sinne eines Erfolges; dies unterscheidet den Werkvertrag vom Dienstvertrag.114

110 111 112 113 114

Vgl. BT-Drs. VI/2689, S. 11; Bieback in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-SozR, Stand: 47. Edition 01.09.2017, SGB III § 101, Rdnr. 7 m. w. N. Fragen zur vertraglichen Beziehung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer werden unter Zweites Kapitel. A IV 3 bb) diskutiert. Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 21; Ulber, Arbeitnehmerentsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 14. Richardi/Fischinger in: Staudinger, Neubearbeitung 2016, BGB § 611, Rdnr. 2. Für viele: Voit in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.02.2017, BGB § 631, Rdnr. 4.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

Die Bauleistungen im Sinne des § 101 Abs. 2 Satz 2 SGB III umfassen auch Werkund Dienstleistungen.115 Demnach hat es sich bei der Änderung tatsächlich um eine redaktionelle Folgeänderung gehandelt – sofern sich die Werk- oder Dienstleistung auf ein Bauwerk bezieht. Obgleich der Gesetzgeber hier zunächst an solche gedacht hat, werden in den weiten Anwendungsbereich des § 14 AEntG jegliche Werk- oder Dienstleistungen fallen, unabhängig davon, ob sie sich auf ein Bauwerk oder ein anderes Objekt beziehen. Die ursprünglich redaktionelle Folgeänderung hat sich somit in eine inhaltliche Änderung spätestens mit der Einführung des § 14 AEntG gewandelt. Dies war aber auch gesetzgeberisch gewollt. Entscheidend ist – aufgrund des Wortlauts des § 14 Satz 1 AEntG – dabei allein, dass es sich um eine Werk- oder Dienstleistung handelt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass es nicht entscheidend ist, dass ein Werk- oder Dienstvertrag vorliegt.116 Die Haftungsnorm löst sich somit von einem bestimmten Vertragstypus, insbesondere vom Werk- bzw. Dienstvertrag. Dies zeigt auch die ursprüngliche Formulierung des § 1a AEntG a. F.: Durch die Formulierung „Bauleistungen“ hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass es auf die Leistung als solche ankommt und nicht auf den dahinterstehenden Vertrag. Daher kommt es für die Bestimmung, ob eine Werk- oder Dienstleistung vorliegt, auch nicht auf den Vertrag als solchen an, sondern auf die tatsächliche Durchführung.117 Demnach kann es auch nicht auf die Wirksamkeit des dahinterstehenden Vertrages ankommen. Dies würde zudem zum Nachteil der Arbeitnehmer gereichen, die gerade das Schutzziel des § 14 AEntG sind. Schließlich ist aber die Ausnahme nach § 6 Abs. 1 AEntG zu beachten, wonach gewisse Arbeiten – nicht aber Bauleistungen im Sinne des § 101 Abs. 2 SGB III – nicht dem Anwendungsbereich des „Abschnitt 3. Tarifvertragliche Arbeitsbedingungen“ des ArbeitnehmerEntsendegesetzes unterliegen. bb) Relevanz bestimmter Vertragstypen Ein bestimmter Vertragstyp ist für § 14 S.1 AEntG somit nicht erforderlich. Insbesondere ist § 14 Satz 1 AEntG nicht allein auf Werk- oder Dienstverträge beschränkt. Vielmehr kommt grundsätzlich jeder Vertrag respektive Vertragstyp in Betracht, der eine Werk- oder Dienstleistung enthält. Darunter fallen zum Beispiel auch Geschäfts-

115 116 117

Vgl. insoweit die Ausführungen von Bieback in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOKSozR, Stand: 47. Edition 01.09.2017, SGB III § 101, Rdnr. 7 f. So auch Merkel/Götz DB 2015, S. 1407 (1409); Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 6. Heuschmid/Hlava NJW 2015, S. 1719 (1720); Seifert in: Kempen/Zachert TVG, Anhang 1 zu § 5: AEntG § 14, Rdnr. 9.

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besorgungsverträge118, Frachtverträge (§ 407 HGB) oder Speditionsverträge (§ 453 HGB).119 Keine dienst- oder werkvertraglichen Elemente enthält hingegen ein Kaufvertrag, da dieser gerade nicht die Herstellung einer neuen Sache beinhaltet, sondern lediglich die Verpflichtung zur Übergabe und Übereignung einer Sache; deshalb kommt dieser Vertragstyp nicht in Betracht.120 Zwei Konstellationen werfen indes Probleme auf: Der Werklieferungsvertrag (dazu (1)) und weitere typengemischte Verträge (dazu (2)). Werklieferungsverträge Werklieferungsverträge sind solche Verträge, die die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen zum Gegenstand haben, § 650 Satz 1 BGB n. F.121 Auf Werklieferungsverträge finden gemäß § 650 Satz 1 BGB n. F. die Vorschriften über den Kauf Anwendung. Der Kaufvertrag als solcher wurde aus dem Anwendungsbereich des § 14 Satz 1 AEntG herausgenommen. Für Werklieferungsverträge kann jedoch nicht das Gleiche gelten: Hier wird gerade ein Erfolg geschuldet. Gleichviel wie hoch oder gering der Aufwand für die Herstellung ist, steht eine werkvertragliche Leistung im Raum, sodass der Werklieferungsvertrag grundsätzlich in den Bereich des § 14 Satz 1 AEntG fällt.122 Dafür spricht auch ein Umkehrschluss aus § 6 Abs. 1 AEntG, wonach gewisse Werklieferungsverträge aus dem Anwendungsbereich ausgeschlossen sind, grundsätzlich werden solche aber in Bezug genommen.123 Typengemischte Verträge Da es gerade nicht auf einen bestimmten Vertragstyp ankommt, unterliegen auch typengemischte Verträge grundsätzlich dem Anwendungsbereich des § 14 Satz 1 AEntG. Entscheidend ist allein, dass werk- oder dienstvertragliche Elemente enthalten sind.124 Für dieses Ergebnis spricht auch ein Vergleich von § 14 Satz 1 AEntG mit § 6 Abs. 1 AEntG. In § 6 Abs. 1 AEntG werden bestimmte Vertragstypen aus dessem Anwendungsbereich herausgenommen. Eine solche Herausnahme besteht bei § 14

118 119 120 121 122

123 124

Vgl. Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 6. Müller TranspR 2014, S. 402 (404). Bayreuther NZA 2015, S. 961 (964); Sittard in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, MiLoG § 13, Rdnr. 43. Vgl. zu der Regelung des § 650 S. 1 BGB n. F. ausführlich Molt in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.10.2017, BGB § 651 a. F., Rdnr. 1 ff. m. w. N. Sittard in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, MiLoG § 13, Rdnr. 4 bejaht die Einbeziehung eines Werklieferungsvertrages nur, wenn werkvertragliche Elemente überwiegen; vgl. auch Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 29. Merkel/Götz DB 2015, S. 1407 (1409). Im Ergebnis zum Beispiel auch: Insam/Hinrichs/Tacou NZA-RR 2014, S. 569 (570).

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

Satz 1 AEntG gerade nicht, was der Gesetzgeber – wenn er dies gewollt hätte – hätte tun können.125 Überdies kann auch hier erneut die generalklauselartige Formulierung angeführt werden: Diese will einen möglichst großen Bereich einbeziehen, also auch typengemischte Verträge. Aus diesem Grunde unterliegen typengemischte Verträge grundsätzlich dem Anwendungsbereich des § 14 Satz 1 AEntG, sofern in dem Vertrag eine Werk- oder Dienstleistung enthalten ist. b)

Beauftragung

Schließlich muss der Auftraggeber den Auftragnehmer beauftragt haben. Beauftragen ist nach der Gesetzesbegründung zu § 1a AEntG a. F. gleichzusetzen mit „in Auftrag geben“.126 Mit dieser Formulierung distanziert sich der Gesetzgeber erneut von der allgemeinen Vertragslehre. Es wird allein auf die faktische „Beauftragung“ abgestellt. Eine (bestimmte) vertragliche Beziehung wird auch an dieser Stelle nicht eingefordert. Dies lässt auf zweierlei schließen: Einerseits kommt es für die Entstehung der Haftung nach § 14 Satz 1 AEntG allein darauf an, dass der Auftraggeber den Auftragnehmer zu einer Werk- oder Dienstleistung „aufgefordert“ hat. Ein gesonderter Wille der Parteien zur Eingehung der Auftraggeberhaftung ist nicht erforderlich.127 Selbst wenn die Beauftragung eines anderen Unternehmers von dem Auftraggeber selbst bestimmt ist, unterliegt die Haftung nach § 14 AEntG also nicht der Selbstbestimmung. Andererseits ist die vertragliche Rechtsbeziehung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer ohne Belang. Der Vertrag muss demgemäß nicht einmal wirksam sein. Eine rechtliche Verpflichtung des Auftragnehmers zur Erbringung der Werk- oder Dienstleistung ist nicht erforderlich128, wie auch schon die Tatbestandsvoraussetzung „Werk- oder Dienstleistung“ verdeutlicht hat. c)

Einschränkung dieser Tatbestandsvoraussetzung

Fraglich ist jedoch, ob diese Tatbestandsvoraussetzung eingeschränkt werden soll, um die gebotene Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 14 Satz 1 AEntG zu erreichen. Die Beschränkung des Anwendungsbereichs knüpft aber – wie dargelegt – nicht etwa an die Unternehmereigenschaft oder die Form der Beauftragung des anderen Unternehmers an. Vielmehr ist eine Verpflichtung des Auftraggebers gegenüber einem

125 126 127 128

So auch Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 6. Vgl. BT-Drs. 14/45, S. 26. Vgl. dazu auch unten unter Drittes Kapitel. B IV 1 c). Unter anderem Bayreuther NZA 2015, S. 961 (964); Lakies, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 9; Sittard in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, MiLoG § 13, Rdnr. 4; Ulber, Arbeitnehmerentsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 10.

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Dritten maßgeblich. Die Tatbestandsvoraussetzung der Beauftragung mit einer Werkoder Dienstleistung ist damit auch kein geeigneter dogmatischer Anknüpfungspunkt für die Beschränkung. 4

Ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung zur Einschränkung des Anwendungsbereichs als Ergebnis einer teleologischen Reduktion

Die Einschränkung des Anwendungsbereichs kann dogmatisch an eine teleologische Reduktion angeknüpft werden. Dabei wird der Wortlaut einer Norm eingeschränkt, um Sinn und Zweck der Vorschrift Rechnung zu tragen.129 Das Bundesarbeitsgericht hat zu den Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion eingehend – unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts130 und des Bundesverfassungsgerichts131 – formuliert: „Die teleologische Reduktion ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die nach ihrem Wortlaut anzuwendende Vorschrift hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle für gleichwohl unanwendbar hält, weil Sinn und Zweck, Entstehungsgeschichte und Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelung gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen. Sie setzt voraus, dass der gesetzessprachlich erfasste, dh. der gesetzlich in bestimmter Weise geregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes nach einer anderen Entscheidung verlangt als die übrigen geregelten Fälle, um Wertungswidersprüche zu vermeiden. Eine Gesetzesanwendung, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortsinn einer Norm hintan stellt, ohne dass diese Voraussetzungen vorlägen, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein.“132 In den Anfängen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes bzw. der Auftraggeberhaftung nach § 1a AEntG a. F. wurde allein der „Generalunternehmer“ in den Anwendungsbereich der Haftungsnorm einbezogen.133 Als Generalunternehmer wurde dabei jemand angesehen, der im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit Bauaufträge in Auftrag gibt.134 Dadurch und durch den Einwand, dass eine Ausdehnung der Haftung nach § 1a AEntG a. F. auf Privatleute nicht gerechtfertigt erscheint135, hat der Gesetzgeber verdeutlicht, dass die Auftraggeberhaftung nur denjenigen Unternehmer treffen soll, für den die Beauftragung eines Subunternehmers mit einer Bauleistung Teil seines Ge-

129 130 131 132 133 134 135

Vgl. dazu Möllers, Juristische Methodenlehre, § 6 Rdnr. 115; Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 92. Vgl. BSG, Urteil vom 04.12.2014 – B 2 U 18/13 R, SGb 2015, S. 702 (706) m. w. N. Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19.05.2015 – 2 BvR 1170/14, FamRZ 2015, S. 1263 (1267) m. w. N. BAG, Urteil vom 22.10.2015 – 2 AZR 381/14, AP BGB § 626 Unkündbarkeit Nr. 12. BT-Drs. 14/45, S. 17. Vgl. BT-Drs. 14/45, S. 26. Vgl. ebenso BT-Drs. 14/45, S. 26.

34

Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

schäftes ist.136 Mit anderen Worten: Die Auftraggeberhaftung trifft denjenigen Unternehmer nicht, der eine Bauleistung in Auftrag gibt, ohne dass diese unmittelbar seiner (äußeren) Geschäftstätigkeit zugute kommt, sondern unmittelbar nur eigenen Zwecken dient. Daher fiel unter § 1a AEntG a. F. beispielsweise nicht der Unternehmer, der sich ein neues Verwaltungsgebäude errichten ließ, gleichviel ob der Unternehmer Bauunternehmer ist oder einer anderen Branche angehörte. Die Errichtung des Verwaltungsgebäudes ist nicht Teil der Geschäftstätigkeit des Unternehmers. Sie ermöglicht bloß die Geschäftstätigkeit.137. Darüber hinaus hat die Rechtsprechung auch die Unternehmer, die als Bauherren eine Bauleistung in Auftrag geben, aus dem Anwendungsbereich der Auftraggeberhaftung ausgeschlossen, da diese Unternehmer keine eigenen Bauarbeitnehmer beschäftigen und auch keine Subunternehmer beauftragen, die für sie eigene Leistungspflichten erfüllen.138 Dabei ist diesem Ergebnis insofern zu widersprechen, als dass es nicht darauf ankommen kann, ob ein Bauherr eigene Bauarbeitnehmer beschäftigt. Entscheidend ist zu Recht allein die Frage, ob eigene Leistungspflichten erfüllt werden. Für die Frage, ob der Bauunternehmer eine Verpflichtung zur Errichtung eines Bauwerks hat, kann es dabei – als Ergänzung zu den von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen – nicht darauf ankommen, ob diese Verpflichtung im Zeitpunkt der Beauftragung des Subunternehmers bestanden hat oder nicht. Entscheidend muss sein, ob der Bauunternehmer für einen Dritten ein Bauwerk errichtet, gleichviel ob er die Bauleistung vor, während oder nach der Errichtung an einen Dritten „veräußert“.139 Ansonsten könnte die Haftung durch eine zeitlich „geschickte“ Vertragsgestaltung umgangen werden. Übertragen auf den heutigen § 14 Satz 1 AEntG unterliegt ein Unternehmer der Auftraggeberhaftung, wenn die an einen Subunternehmer übertragene Werk- oder Dienstleistung der Erfüllung von Interessen Dritter dient und diese Erfüllung – jedenfalls auch – die Geschäftstätigkeit des Unternehmers bildet.140 Unbeachtlich ist dabei, ob eine Verpflichtung gegenüber einem Dritten – deren rechtliche Wirksamkeit für die Haftungsnorm freilich ohne Belang sein muss141 – vor oder nach der Beauftragung des Subunternehmers eingegangen wurde. Entscheidend ist allein, dass die Beauftragung des Subunternehmers unmittelbar der eigenen Geschäftstätigkeit dient und nicht bloß

136 137 138 139 140

141

Vgl. auch Boemke, Handbuch zum Arbeitnehmerentsendegesetz, S. 95. Vgl. BAG, Beschluss vom 06.11.2002 – 5 AZR 617/01 (A), NZA 2003, S. 490 (493). BAG, Urteil vom 12.01.2005 – 5 AZR 617/01, NZA 2005, S. 627 (630). Kühn in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau NK-GA, AEntG § 14, Rdnr. 4. So auch Seifert in: Kempen/Zachert TVG, Anhang 1 zu § 5: AEntG § 14, Rdnr. 8; vgl. auch Krüger, Arbeitgeberähnliche Pflichten des Dritten in arbeitsrechtlichen Dreieckskonstellationen, S. 50. Vgl. oben unter Zweites Kapitel. A IV 3 a) aa).

A

Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

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mittelbar die Geschäftstätigkeit ermöglicht. Damit würden beispielsweise grundsätzlich alle Beauftragungen aus dem Anwendungsbereich des § 14 Satz 1 AEntG fallen, die der Unternehmer allein zur (Fort-) Führung seiner wirtschaftlichen Einheit benötigt. Sinn und Zweck des § 14 Satz 1 AEntG sprechen mithin gegen eine uneingeschränkte Anwendung der Regelung. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, ist die Auftraggeberhaftung nach § 14 Satz 1 AEntG demnach auf die Fälle teleologisch zu reduzieren, in denen die Beauftragung eines Subunternehmers mit einer Werk- oder Dienstleistung der Erfüllung von gegenwärtigen oder künftigen Interessen Dritter und in die Geschäftstätigkeit des Auftraggebers fällt. Eine wortlautgetreue, uneingeschränkte Anwendung des § 14 Satz 1 AEntG widerspricht dem gesetzgeberischen Willen und greift daher in unzulässiger Weise in die Kompetenz des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein. Positiv formuliert kann aus der teleologischen Reduktion eine ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung für § 14 AEntG entwickelt werden.142 Zusätzlich zu den Voraussetzungen, dass ein Unternehmer einen anderen Unternehmer mit einer Werkoder Dienstleistung beauftragt, muss diese Beauftragung der Erfüllung von gegenwärtigen oder künftigen Interessen Dritter dienen und in die Geschäftstätigkeit des Auftraggebers fallen. V

Rechtsfolgen

Auf der Rechtsfolgenseite ordnet § 14 Satz 1 AEntG die Haftung des Auftraggebers für die Verpflichtung des Auftragnehmers (oder eines Nachunternehmers oder eines von dem Auftragnehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers) zur Zahlung des Mindestentgelts an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen oder zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien nach § 8 wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat, an. 1

Das Mindestentgelt an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen

a)

Gegenstand des Mindestentgelts

Das Mindestentgelt im Sinne des § 14 Satz 1 AEntG umfasst nach § 14 Satz 2 AEntG nur den Betrag, der nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechender Aufwendungen zur sozialen Sicherung an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen auszuzahlen ist (Nettoentgelt). Damit gibt 142

Vgl. auch Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 19.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

der Gesetzgeber allein einen Hinweis zum Umfang der Haftung für das Mindestentgelt, der Gegenstand des Mindestentgelts selbst wird indes nicht näher konkretisiert. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz kennt Mindestentgelte für Arbeitnehmer sowohl in „Allgemeinen Arbeitsbedingungen“ nach § 2 Nr. 1 AEntG als auch in „Tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen“ nach § 3 i. V. m. § 5 Satz 1 Nr. 1 AEntG143. § 14 S. 1 AEntG begrenzt die Haftung aber nur auf die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestentgelts „nach § 8“. Damit sind allein die Mindestentgeltsätze in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen oder in Rechtsverordnungen nach §§ 7, 7a AEntG von der Auftraggeberhaftung nach § 14 Satz 1 AEntG umfasst. Dieses Ergebnis ist aufgrund der systematischen Stellung des § 14 AEntG im fünften Abschnitt des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes nicht zwingend; auch die Mindestentgeltsätze nach allgemeinen Arbeitsbedingungen (§ 2 AEntG) könnten von der Haftung umfasst sein. Dagegen spricht aber der Wortlaut der Norm, der sich allein auf die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestentgelts nach § 8 AEntG bezieht. Der Bezug auf § 8 AEntG kann auch nicht allein auf die Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien verstanden werden. Denn § 8 Abs. 1 Satz 1 AEntG begründet gleichfalls wie für die Mindestentgeltsätze bloß eine Verpflichtung zur Zahlung dieses Beitrags. Der Beitrag selbst wird – über § 5 Satz 1 Nr. 3 AEntG – durch den Tarifvertrag geregelt. Durch die Nennung des § 8 in § 14 Satz 1 AEntG hat der Gesetzgeber mithin die erfassten Mindestentgeltansprüche auf die des dritten Abschnitts des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes beschränkt.144 Dieses grammatikalische Ergebnis wird schließlich durch die historische Entwicklung der Auftraggeberhaftung bestätigt: So war in der Ursprungsfassung des § 1a AEntG a. F. eine ausdrückliche Bezugnahme auf sowohl das Mindestentgelt als auch die Beiträge an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien durch die konkrete Nennnung der entsprechenden Normen enthalten. Durch die Umgestaltung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes konnte dies durch die alleinige Nennung des § 8 AEntG ersetzt werden.145 Auch aus historischer Sicht bezieht sich § 8 AEntG sowohl auf das Mindestentgelt als auch auf die Beiträge an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien, sodass von § 14 Satz 1 AEntG nur Mindestentgeltansprüche nach dem dritten Abschnitt des Gesetzes erfasst sind.

143 144 145

Eingehend zu Mindestentgeltsätzen Waas in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 5, Rdnr. 2 ff. Vgl. Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 25; Mohr in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 14, Rdnr. 22. Vgl. dazu die Ausführungen zur Normentstehung des § 14 AEntG oben unter Zweites Kapitel. A I.

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Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

b)

Erfasste Ansprüche

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aa) Mindestentgeltanspruch Das Mindestentgelt richtet sich nach dem im Tarifvertrag festgelegten Bruttolohn.146 Ein etwaiger arbeitsvertraglicher Anspruch eines Arbeitnehmers auf einen höheren Lohn ist von der Auftraggeberhaftung nicht erfasst.147 Das Bundesarbeitsgericht beschränkt darüber hinaus den Anspruch aus der Auftraggeberhaftung allein auf das Mindestentgelt für tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung.148 Denn nur insoweit sei die Rechtsnorm des für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages international zwingend im Sinne von Artikel 34 EGBGB a. F. (heute Artikel 9 Abs. 1 Rom I-VO). Damit äußert sich das Bundesarbeitsgericht nicht zur Qualifizierung der Auftraggeberhaftung als solcher als Eingriffsnorm im Sinne des Artikel 9 Abs. 1 Rom I-VO, sondern allein zu §§ 3, 5 AEntG – § 2 AEntG149 ist insoweit nicht entscheidend, da sich die Auftraggeberhaftung wie dargelegt allein auf den dritten Abschnitt des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes bezieht, mithin auf die §§ 3 ff. AEntG. § 5 Satz 1 Nr. 1 AEntG geht dabei auf Artikel 3 Abs. 1 der Entsenderichtlinie zurück150, welcher die zwingende Erstreckung von Schutzregeln auf entsandte Arbeitnehmer regelt. Artikel 3 Abs. 1 schreibt ausdrücklich vor: „Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, daß unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht 151 die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren [...]“. Mithin ist § 5 AEntG zu Recht vom Bundesarbeitsgericht als Eingriffsnorm qualifiziert worden. Nach Artikel 9 Abs. 1 Rom I-VO ist eine Eingriffsnorm eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung

146 147 148

149

150 151

Vgl. Bayreuther in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 8, Rdnr. 13. Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 24. BAG, Urteil vom 12.01.2005 – 5 AZR 617/01, NZA 2005, S. 627 (634); dazu zählen aber auch die Zeiten der Arbeitsbereitschaft und des Bereitschaftsdienstes, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht nur arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit sind, sondern auch vergütungspflichtig im Sinne von §§ 611 Abs. 1, 611a Abs. 2 BGB sind, vgl. dazu BAG, Urteil vom 19.11.2014 – 5 AZR 1101/12, AP BGB § 611 Nr. 24; kritisch Boemke jurisPR-ArbR 7/2015 Anm. 2. Bei § 2 AEntG handelt es sich laut Deinert in: Schlachter/Heinig Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, § 10 Entsendung, Rdnr. 44 - 53 um den „harten Kern“ von Eingriffsnormen; vgl. aber auch Maultzsch in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.12.2017, Rom I-VO Artikel 9, Rdnr. 232, der anders als die wohl herrschende Auffassung eine Sonderanknüpfung des § 2 AEntG nicht über Art 9, sondern über Artikel 23 Rom I-VO vertritt. Vgl. dazu Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, § 6 Rdnr. 13, 15 - 16. Hervorhebung durch den Verfasser.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen.152 Diesen zwingenden Charakter schreibt Artikel 3 Abs. 1 der Entsenderichtlinie ausdrücklich vor,153 was auch durch den Wortlaut des § 3 Satz 1 AEntG unterstrichen wird: „Die Rechtsnormen eines bundesweiten Tarifvertrags finden […] zwingend Anwendung“.154 Ob das Mindestentgelt aber nur für tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung zu zahlen ist, ist der Entsenderichtlinie nicht eindeutig zu entnehmen. Mithin ist auf die Auslegung des deutschen Rechts zurückzugreifen. Das Ergebnis des Bundesarbeitsgerichts lässt sich aber mit dem Wortlaut des § 5 Satz 1 Nr. 1 AEntG, auf den sich § 14 AEntG durch den Verweis auf § 8 AEntG bezieht, begründen. Nach dieser Vorschrift können Gegenstand eines Tarifvertrages nach § 3 AEntG „Mindestentgeltsätze, die nach Art der Tätigkeit, Qualifikation der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und Regionen differieren können, einschließlich der Überstundensätze“ sein. Damit wird zum einen verdeutlicht, dass das Mindestentgelt stundenweise berechnet werden soll. Das Mindestentgelt wird demnach auch nur für tatsächlich erbrachte Arbeitsleistungen geschuldet.155 Zum anderen stehen Mindestentgeltsätze und Überstundensätze in einem gleichrangigen Verhältnis, wobei bei Überstundensätzen denknotwendigerweie nur solche Überstunden zur Auszahlung gelangen, die tatsächlich geleistet wurden. Aufgrund der Gleichrangigkeit muss dies (grundsätzlich) auch für Mindestentgeltsätze gelten. Durch § 5 Satz 1 Nr. 1 AEntG wird zudem deutlich, dass zwar auch für Überstunden das Mindestentgelt in die Haftung einzubeziehen ist, nicht jedoch höhere Überstundensätze von der Auftraggeberhaftung erfasst sind. Denn das Gesetz spricht insofern von „einschließlich der Überstundensätze“, wodurch schon die Unterscheidung der beiden Ansprüche deutlich wird.156 Der Mindestentgeltanspruch gilt somit allein für tatsächlich erbrachte Arbeitsleistungen. Der Mindestentgeltanspruch des Arbeitnehmers ist zudem nicht vollumfänglich von der Haftung umfasst. Der Auftraggeber haftet nur für den Betrag, der nach Abzug

152

153 154 155 156

Zur Begriffsbestimmung vgl. Krebber in: Dornbusch/Fischermeier/Löwisch AR Kommentar zum gesamten Arbeitsrecht, Artikel 1, 3, 8, 9 Rom I-VO, Rdnr. 20; Krebber in: Franzen/Gallner/Oetker Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, VO 593/2008/EG Artikel 9, Rdnr. 4 - 14; Schlachter in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt Erfurter Kommentar, Rom I-VO Artikel 9, Rdnr. 21 - 22. Vgl. auch Schlachter in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt Erfurter Kommentar, AEntG § 1, Rdnr. 5. Vgl. zur Erstreckung von Tarifverträgen Deinert in: Schlachter/Heinig Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, § 10 Entsendung, Rdnr. 57 - 76 So ausdrücklich auch Franzen AP AEntG § 1a Nr. 2. So auch Deckers NZA 2008, S. 321 (323).

A

Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

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der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechender Aufwendungen zur sozialen Sicherung an Arbeitnehmer auszuzahlen ist (§ 14 Satz 2 AEntG). Die Höhe der Abzüge ist für den einzelnen Arbeitnehmer individuell zu bestimmen, eine konkrete Höhe kann im Voraus nicht angegeben werden. Die tatsächlich durch den Arbeitgeber gezahlten Beiträge sind für die Berechnung schließlich nicht entscheidend.157 Keine Voraussetzung für die Haftung des Auftraggebers ist, ob der originäre Schuldner in Form des Arbeitgebers das Mindestentgelt endgültig nicht geleistet oder sich mit der Leistung in Verzug befunden hat. Insoweit stellt das Gesetz keine besonderen Voraussetzungen auf. Lediglich wenn der Arbeitgeber das Mindestentgelt geleistet hat, wird eine Inanspruchnahme des Auftraggebers ausscheiden. bb) Annahmeverzug Fraglich ist, ob der Auftraggeber darüber hinaus auch für Ansprüche des Arbeitnehmers haftet, die ihm eine Lohnfortzahlung ohne Arbeitsleistung gewähren. Darunter fallen zum einen Ansprüche wegen Annahmeverzugs: Nach § 615 Satz 1 BGB kann der Verpflichtete (der Arbeitnehmer) für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein, wenn der Dienstberechtigte (der Arbeitgeber) mit der Annahme der Dienste in Verzug ist. Mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Haftung des Arbeitgebers von vornherein zu verneinen: Denn im Falle des Annahmeverzugs wird keine tatsächliche Arbeitsleistung erbracht, die Bürgenhaftung bezieht sich allein auf den Mindestentgeltanspruch nach § 1 Abs. 1 AEntG, und nur hinsichtlich tatsächlich erbrachter Arbeitsleistungen sind die Rechtsnormen eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrages international zwingend im Sinne von Artikel 9 Abs. 1 Rom IVO.158 Da der Auftraggeber aber für die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestentgelts haftet und das Mindestentgelt auch im Falle eines Annahmeverzugs geleistet werden muss, könnte der Auftraggeber gleichwohl auch für diese Ansprüche haften. Die international-privatrechtlichen Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts haben allein Geltung in einem Sachverhalt, der eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweist (vgl. Artikel 1 Abs. 1 Rom I-VO). Für rein innerdeutsche Sachverhalte kann diese Erwägung also nicht allein tragen.

157 158

Mohr in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 14, Rdnr. 23. BAG, Urteil vom 12.01.2005 – 5 AZR 617/01, NZA 2005, S. 627 (633 - 634); vgl. auch oben unter Zweites Kapitel. A V 1 b) aa).

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

Gleichwohl ist auch für rein innerdeutsche Sachverhalte eine Haftung des Auftraggebers für Annahmeverzugsansprüche und Verzugszinsen abzulehnen: Die Haftung des Auftraggebers erfordert einen Bezug zwischen der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung und dem Auftrag. Nur also insoweit der Bezug tatsächlich besteht (und das ist im Falle des Annahmeverzugs gerade nicht der Fall) ist die Haftung des Auftraggebers gerechtfertigt. Würde man ihn gleichwohl auch für derartige Ansprüche haftbar machen, würde das gesamte Risiko des Arbeitgebers auf den Auftraggeber verlagert. Das ist gerade aber nicht das Ziel des § 14 Satz 1 AEntG. Der Auftraggeber haftet damit nicht für Ansprüche wegen Annahmeverzugs. Dieses Ergebnis wird auch durch die Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen gestützt. In Artikel 3 Abs. 1 der Entsenderichtlinie ist ebenfalls von „Mindestlohnsätze[n] einschließlich der Überstundensätze“ die Rede. Mindestlohnsätze erfassen nach europäischem Verständnis aber keinen Annahmeverzugslohn.159 Da der deutsche Gesetzgeber hier die Wortwahl des europäischen Gesetzgebers übernommen hat, ist im Ergebnis das europäische Verständnis maßgebend. Der Annahmeverzugslohn ist damit nicht von der Auftraggeberhaftung umfasst. cc) Entgeltfortzahlung Nach § 2 Abs. 1 EFZG hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für Arbeitszeit, die infolge eines gesetzlichen Feiertages ausfällt, das Arbeitsentgelt zu zahlen, das er ohne den Arbeitsausfall erhalten hätte. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, ohne dass ihn ein Verschulden trifft; dieser Anspruch entsteht gemäß § 3 Abs. 3 EFZG nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses. In diesen Fällen stellt sich die rechtliche Situation zur Haftung des Auftraggebers nicht anders dar, als im Falle des Annahmeverzugs160: Sofern man in § 3 EFZG aber eine eigenständige Anspruchsgrundlage sieht161, scheidet ein Anspruch des Arbeitnehmers schon von vornherein aus, weil es sich nicht

159 160 161

Deckers NZA 2008, S. 321 (323). Vgl. zum Beispiel Mohr in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 14, Rdnr. 23. Vgl. BAG, Urteil vom 13.07.2005 – 5 AZR 389/04, AP EntgeltFG § 3 Nr. 25: „Ein neuer Anspruch nach § 3 Abs. 1 EntgeltFG auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen entsteht, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf einer anderen Krankheit beruht.“; vgl. dazu auch Ricken in:

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Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

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um die Verpflichtung zur Leistung des Mindestentgelts handelt. Vielmehr geht es um einen anderen Anspruch, der von dem Wortlaut des § 14 AEntG eindeutig nicht umfasst ist. Insofern ist dann zwar umstritten, ob für die Höhe der Entgeltfortzahlung ein auf Basis des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes verbindlich gewordnenes tarifliches Mindestentgelt maßgeblich ist.162 Aber selbst wenn man die Entgeltfortzahlung an das Mindestentgelt anknüpft, kann eine Haftung nach § 14 AEntG nicht begründet werden. Sofern man jedoch in den Ansprüchen auf Entgeltfortzahlung einen den eigentlichen Lohnanspruch aufrechterhaltenden Anspruch sähe163, kämen hier die bereits dargestellten Grundsätze zum Tragen. Im Falle des Annahmeverzugs hätte der Arbeitnehmer leisten können, seine Arbeitsleistung wurde aber von dem Arbeitgeber nicht in Anspruch genommen. Ein Bezug zum Auftrag fehlt mithin völlig. Erkrankt indes ein Arbeitnehmer, den der Arbeitgeber für den Auftrag einsetzen wollte, konnte er schon gar nicht leisten. Es fehlt somit auch hier an einer tatsächlichen Leistung des Arbeitnehmers. Dafür hat der Arbeitnehmer also keinen Anspruch auf das Mindestentgelt. Dies entspricht auch dem europäischen Verständnis des Mindestentgeltbegriffs, welcher Ansprüche im Falle von Krankheit nicht erfasst. Anknüpfungspunkt ist insoweit erneut Artikel 3 Abs. 1 lit. c der Entsenderichtlinie.164 Zwar könnte man – um dem Zweck des § 14 Satz 1 AEntG gerecht zu werden – hier eine Haftung des Auftraggebers vor dem Hintergrund annehmen, dass sich im Krankheitsfall insofern ein Risiko verwirklicht, das ihm zugeschrieben werden kann – anders als bei dem Annahmeverzug des Arbeitgebers. Es muss jedoch auch hier ein Bezug zu der Beauftragung bestehen. Dieser besteht aber evident nicht. Zudem würde eine Ausweitung der Auftraggeberhaftung auf Ansprüche aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz den Auftraggeber mehr belasten können als den Arbeitgeber selbst. Der Arbeitgeber, der seinem Arbeitnehmer das Entgelt im Krankheitsfall fortzahlt und in der Regel ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten nicht mehr als 30 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beschäftigt, hat nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AAG einen Anspruch gegen die Krankenkasse auf Erstattung des für den in § 3 Abs. 1 und 2 EFZG und den in § 9 Abs. 1 EFZG bezeichneten Zeitraum an Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen fortgezahlten Arbeitsentgelts in Höhe von 80 Pro-

162

163 164

Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, EFZG § 3, Rdnr. 1. Vgl. zu den verschiedenen Ansichten LAG Köln, Urteil vom 16.01.2005 – 9 Sa 642/14, juris; mit Anmerkung Boemke jurisPR-ArbR 24/2015 Anm. 3; Wilke ArbRAktuell 2015, S. 226 (226); LAG Niedersachsen, Urteil vom 04.06.2014 – 16 Sa 1348/13, BeckRS 2014, 71546; LAG BerlinBrandenburg, Urteil vom 07.03.2014 – 3 Sa 1728/13, BeckRS 2014, 70651. So noch BAG, Urteil vom 27.03.1991 – 5 AZR 58/90, NJW 1991, S. 2371 (2371 f.). So auch Deckers NZA 2008, S. 321 (324).

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

zent. Ein solcher Anspruch stünde dem Auftraggeber nicht zu. Zwar könnte er sich gegebenenfalls diesen Anspruch im Falle seiner Inanspruchnahme abtreten lassen (oder der Anspruch ginge sogar kraft Gesetzes auf ihn über). Gleichwohl besteht hier eine primäre Privilegierung des Arbeitgebers, die für den Auftraggeber nicht besteht. Diese Privilegierung wird auch durch die Dauer der vom Arbeitgeber geschuldeten Entgeltfortzahlung deutlich: Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber im Krankheitsfall bis zur Dauer von sechs Wochen. Daran kann sich ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Krankengeld nach §§ 44 ff. SGB V anschließen.165 Sofern man eine Haftung des Auftraggebers auch für die Entgeltfortzahlung bejahte, müsste man konsequenterweise auch eine Haftung für das Krankengeld annehmen. Der Auftraggeber haftete also für mehr als der Arbeitgeber. Dies spricht ebenfalls gegen eine Einbeziehung der Entgeltfortzahlung in die Haftung des Auftraggebers. Schließlich wird auch hinsichtlich eines Entgeltfortzahlungsanspruchs auf Artikel 9 Rom I-VO abgestellt: Die Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes würden nicht zu den zwingenden Normen im Sinne des Artikel 9 Rom I-VO zählen, die in § 2 AEntG aufgezählt sind.166 Damit unterläge der Entgeltfortzahlungsanspruch, selbst wenn man ihn als einen den eigentlichen Lohnanspruch aufrechterhaltenden Anspruch ansähe, nicht der Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG. Dies ist insofern konsequent, da das Bundesarbeitsgericht bereits entschieden hat, dass es sich bei § 2 EFZG um keine Eingriffsnorm im Sinne des Artikel 9 Rom I-VO handelt und § 3 EFZG nur dann als Eingriffsnorm im Sinne des Artikel 9 Rom I-VO zu qualifizieren ist, wenn das betreffende Arbeitsverhältniss dem deutschen Sozialversicherungsrecht unterliegt.167 Da sich das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aber nicht allein auf deutsche Arbeitsverhältnisse bezieht, muss auch § 3 EFZG aus dem Anwendungsbereich der Auftraggeberhaftung herausgenommen werden. Ansprüche aus Entgeltfortzahlung sind daher im Ergebnis unter keinen Umständen – weder wenn man sie als eigenen Anspruch noch wenn man sie als einen den eigentlichen Entgeltanspruch erhaltenden Anspruch ansieht – von der Auftraggeberhaftung nach § 14 Satz 1 AEntG erfasst.

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167

Vgl. zum Verhältnis des Krankengeldes zur Entgeltfortzahlung Joussen in: Becker/Kingreen SGB V, SGB V § 44, Rdnr. 21, 22. Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 31, die davon ausgehen, dass es sich bei dem Entgeltfortzahlungsanspruch um einen den eigentlichen Entgeltanspruch aufrechterhaltenden Anspruch handelt, m. w. N.; vgl. dazu auch Lakies, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 27. Vgl. BAG, Urteil vom 18.04.2012 – 10 AZR 200/11, AP EntgeltFG § 2 Nr. 14; dazu auch Schlachter in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt Erfurter Kommentar, Rom I-VO Artikel 9, Rdnr. 24.

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Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

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dd) Ansprüche auf Urlaubsentgelt Diese Argumentation für die Entgeltfortzahlungsansprüche kann auch auf Urlaubsentgeltansprüche übertragen werden. Nach § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Das Urlaubsentgelt bemisst sich gemäß § 11 Abs. 1 BUrlG nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, das der Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat, mit Ausnahme des zusätzlich für Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes. Zwar handelt es sich bei dem Anspruch auf Urlaubsentgelt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts um eine anspruchserhaltende Norm für die nach § 611a Abs. 2 i. V. m. dem Arbeitsvertrag geschuldete Vergütung.168 Zwar könnte man hier eine Haftung für Ansprüche für den Zeitraum, in welchem ein Anspruch auf Urlaubsentgelt besteht und der Arbeitnehmer tatsächlich für den Auftrag Arbeit geleistet hätte bzw. ein anderer Arbeitnehmer dessen Arbeit übernommen hat, diskutieren. Dies müsste dann noch allein für gesetzliche (bzw. tarifvertragliche) Urlaubsansprüche gelten, da diese schließlich ohne weiteres Zutun des Arbeitgebers entstehen. Jedoch fehlt es auch hier wiederum an der Voraussetzung der tatsächlichen Arbeitsleistung. Zudem sprechen europarechtliche Erwägungen gegen eine Einbeziehung der Urlaubsentgeltansprüche in die Auftraggeberhaftung.169 Schließlich differenziert das Arbeitnehmer-Entsendegesetz selbst zwischen Mindestentgeltsätzen (§ 5 Satz 1 Nr. 1 AEntG) und Urlaubsentgelt (§ 5 Satz 1 Nr. 2 AEntG). Die Auftraggeberhaftung bezieht sich vom Wortlaut her aber allein auf das Mindestentgelt. Die vom Gesetz vorgenommene Differenzierung zwischen Mindestentgelt und Urlaubsentgelt ergäbe zudem wenig Sinn, wenn der Urlaubsentgeltanspruch mit dem Mindestentgelt gleich gesetzt würde. Somit sind auch Ansprüche auf das Urlaubsentgelt von der Auftraggeberhaftung nicht erfasst. ee) Zwischenergebnis Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG umfasst daher nur die Mindestentgeltansprüche für tatsächlich geleistete Arbeit eines Arbeitnehmers – Überstundensätze, Ansprüche auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder Urlaubsentgelt sind nicht erfasst. 168

169

Vgl. alleine BAG, Urteil vom 15.12.2009 – 9 AZR 887/08, AP BUrlG § 11 Nr. 66: „Hinsichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs steht dem Kl. ein Urlaubsentgeltanspruch gemäß § 611 Abs. 1 BGB iVm. § 11 Abs. 1 BUrlG (…) zu.“ Dazu Deckers NZA 2008, S. 321 (324).

44 c)

Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen Reichweite der Haftung

§ 14 Satz 1 AEntG ordnet dabei nicht nur die Haftung für die Verpflichtung des Auftragnehmers an, sondern darüber hinaus auch für die Verpflichtung eines Nachunternehmers oder eines von dem Auftragnehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers. Es handelt sich insofern um die Konstellation einer sogenannten Kettenhaftung. Aus den obigen Ausführungen zum Gegenstand des Mindestentgeltanspruchs ergibt sich dabei eine zu beachtende Einschränkung: Der Arbeitnehmer, der den Auftraggeber in Anspruch nehmen möchte, muss tatsächlich eine Arbeitsleistung für den Auftrag erbracht haben. Der Auftrag gestaltet sich rechtlich als eine Werk- oder Dienstleistung. Aus Sinn und Zweck der Auftraggeberhaftung ergibt sich daher, dass der Arbeitnehmer im Rahmen einer solchen Werk- oder Dienstleistung gehandelt haben muss. Das heißt, zwischen dem Auftraggeber und dem Arbeitgeber muss entweder unmittelbar eine Werk- oder Dienstleistung vereinbart worden sein oder es muss eine Kette von Beauftragungen in Form von Werk- oder Dienstleistungen bestehen. Dabei muss sich die Werk- oder Dienstleistung auf die originär vom Auftraggeber beauftragte Werk- oder Dienstleistung beziehen. Es muss sich zwar im Umfang nicht um dieselbe Werk- oder Dienstleistung handeln, sie muss aber jedenfalls Teil derer sein. Im Verhältnis zwischen Subunternehmer und Nachunternehmer bzw. Subunternehmer und Verleiher oder Nachunternehmer und Verleiher müssen darüber hinaus die Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 Satz 1 AEntG vorliegen. Denn nur in diesem Fall würde der Auftraggeber auch originär haften, wenn er den Nachunternehmer oder Verleiher selbst beauftragt hätte. Die Kettenhaftung kann die Haftung zwar persönlich erweitern, nicht aber sachlich. Der Auftraggeber haftet also nur für solche Verpflichtungen, die sich aus der Beauftragung mit der Werk- oder Dienstleistung ergeben.170. d)

Insolvenz des Nachunternehmers

Die Zahlungsunfähigkeit stellt den allgemeinen Eröffnungsgrund einer Insolvenz dar (§ 17 Abs. 1 InsO). Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO ist ein Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Dabei ist die Zahlungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen, wenn ein Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO). In einem solchen Fall wird der Arbeitnehmer,

170

Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 33.

A

Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

45

da er von dem Arbeitgeber keine Zahlung mehr erwarten kann171, auf Sicherheiten zurückgreifen wollen. Für die Lohnzahlung kommen dabei (vor allem) zwei Sicherheiten in Betracht: Der Arbeitnehmer könnte einerseits auf die Haftung des Auftraggebers nach § 14 AEntG zurückgreifen (dazu im Folgenden). Andererseits könnte er auch seinen Anspruch auf Insolvenzgeld (§§ 165 ff. SGB III) geltend machen (dazu im vierten Kapitel). Im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers wird es also zu einem Rückgriff der Arbeitnehmer auf einen Auftraggeber kommen können, soll der Auftraggeber schließlich nach § 14 AEntG die Zahlung des Mindestentgelts sichern. Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil zur Frage des Übergangs der Auftraggeberhaftung auf die Bundesagentur für Arbeit im Falle der Insolvenzgeldzahlung an die Arbeitnehmer des insolventen Arbeitgebers statuiert: „Der Anspruch eines Arbeitnehmers des Nachunternehmers gegen den Hauptunternehmer nach § 1 a AEntG a. F. – sein Bestehen auch in der Insolvenz des Nachunternehmers zu Gunsten der Kl. unterstellt […]“.172 Das Bundesarbeitsgericht hat also einerseits offengelassen – weil nicht entscheidungserheblich –, ob die Auftraggeberhaftung in der Insolvenz des Arbeitgebers besteht. Andererseits hat es mit der Formulierung auch gewisse Zweifel angedeutet. Fraglich ist daher, ob die Haftung des Auftraggebers auch in der Insolvenz des Arbeitgebers fortbesteht. Bei der Auftraggeberhaftung handelt es sich um ein „Sicherungsrecht“ für den Mindestentgeltanspruch.173 Es besteht eine Akzessorietät zwischen dem Mindestentgeltanspruch und der Auftraggeberhaftung. Das deutsche (Insolvenz-) Recht kennt jedoch keinen Grundsatz, nach welchem ein Sicherungsrecht für die Verbindlichkeit eines Schuldners im Falle der Insolvenz des Schuldners untergeht. Vielmehr wird ein Sicherungsrecht gerade für den Fall des Zahlungsausfalls des Schuldners bestellt.174 Dementsprechend geht auch die Insolvenzordnung von einem Fortbestand von Sicherheiten im Falle der Insolvenz des Schuldners aus. Dies zeigt sich beispielsweise in der Regelung des § 44 InsO. Danach können der Gesamtschuldner und der Bürge die Forderung, die sie durch eine Befriedigung des Gläubigers künftig gegen den Schuldner

171

172 173 174

Der Arbeitgeber darf gegebenenfalls auch gar nicht mehr leisten, beispielsweise aufgrund eines allgemeinen Verfügungsverbots nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO oder der gesellschaftsrechtlichen Zahlungsverbote nach § 130a HGB, § 92 Abs. 2 AktG, § 64 Satz 1 GmbHG oder § 99 GenG. Vgl. bspw. BAG, Urteil vom 08.12.2010 – 5 AZR 95/10, NZA 2011, S. 514 (515). Zur genauen Einordnung der Auftraggeberhaftung vgl. Drittes Kapitel. C und Viertes Kapitel. B I 2. Vgl. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 765, Rdnr. 42 „Rspr. und Lehre gehen deshalb zu Recht davon aus, dass bei einer Haftungsvereinbarung für fremde Schuld der Verpflichtete das Risiko fehlender Leistungsfähigkeit des Schuldners ‚schlechthin und uneingeschränkt‘ übernimmt und alle die Zahlungsfähigkeit des Schuldners betreffenden Umstände zum alleinigen Risikobereich des Bürgen gehören.“

46

Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

erwerben könnten, im Insolvenzverfahren nur dann geltend machen, wenn der Gläubiger seine Forderung nicht geltend macht. § 44 InsO umfasst also nur solche Regressansprüche des Gesamtschuldners oder des Bürgen, die diese noch nicht unbedingt erworben haben.175 Dies erfordert eine Zahlung durch den Gesamtschuldner oder den Bürgen an den Gläubiger des Insolvenzschuldners. Eine solche Zahlung kommt aber nur dann in Betracht, wenn noch eine Verpflichtung des Gesamtschuldners oder des Bürgen besteht. Ohne Rechtsgrund würde er nicht leisten. Mithin zeigt sich durch § 44 InsO, dass unter anderem eine Bürgschaft (als Sicherheit) für eine Verpflichtung des Schuldners auch im Falle der Insolvenz des Schuldners fortbesteht. Übertragen auf die Haftung des Auftraggebers nach § 14 AEntG bedeutet dies, dass die Haftung auch im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers fortbesteht. Für dieses Ergebnis spricht auch, dass die Bundesregierung im Rahmen von § 14 AEntG selbst davon ausgeht, dass ein Arbeitnehmer den Auftraggeber bei Zahlungsunfähigkeit – dem Eröffnungsgrund für ein Insolvenzverfahren (§ 17 Abs. 1 InsO) – nach § 14 AEntG in Anspruch nehmen kann.176 Schließlich kann im Hinblick auf Sinn und Zweck des § 14 AEntG eine Haftung auch in der Insolvenz des Nachunternehmers bejaht werden: Der Auftraggeber soll gerade einen „seriösen“ Unternehmer beauftragen, wozu die Zahlungsfähigkeit wohl auch gezählt werden kann. Durch eine sorgfältige Auswahl des Nachunternehmers kann das wirtschaftliche Risiko entsprechend begrenzt werden.177 Somit haftet der Auftraggeber auch dann nach § 14 AEntG, wenn der Nachunternehmer Insolvenz angemeldet hat.178 Die Insolvenz des Auftragnehmers stellt mithin nicht etwa eine rechtsvernichtende Einwendung für den Auftraggeber hinsichtlich seiner Haftung nach § 14 Satz 1 AEntG dar. 2

Die Beiträge an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien

Die zweite Variante des § 14 Satz 1 AEntG erstreckt sich auf die Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien nach § 8 AEntG. Die entsprechenden Regelungen finden sich in § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 AEntG, wobei sich die Norm auf eine tarifvertragliche Regelung im Sinne des § 5 Satz 1 Nr. 3 AEntG bezieht. Bei den Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien handelt es sich um Beiträge zu Urlaubskassen nach für allgemeinverbindlich erklärten Ta-

175 176 177 178

Vgl. Jungmann in: Fridgen/Geiwitz/Göpfert BeckOK-InsO, Stand: 8. Edition 31.10.2017, InsO § 44, Rdnr. 4. Vgl. BT-Drs. 18/3812, S. 29. Vgl, auch Bissels/Falter/Krings DB 2015, S. 1962 (1964) m. w. N. So auch Spielberger/Schilling NJW 2014, S. 2897 (2901).

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Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

47

rifverträgen. Durch § 5 Satz 1 Nr. 3 AEntG i. V. m. § 8 Abs. 1 Satz 1 AEntG wird eine Rechtspflicht zur Beitragsleistung begründet.179 Für diese Beitragspflicht wird durch § 14 Satz 1 AEntG ebenfalls eine Haftung für den Auftraggeber normiert. Dadurch, dass sich § 14 Satz 2 AEntG allein auf das Mindestentgelt bezieht, besteht die Haftung für die Beiträge an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien auf das Bruttoentgelt, also auch auf ein etwaiges vertraglich geschuldetes höheres Entgelt.180 3

Die Haftung wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat

Schließlich haftet der Auftraggeber nach § 14 Satz 1 AEntG für die genannten Verpflichtungen wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Mit anderen Worten soll der jeweils Anspruchsberechtigte – also der jeweilige Arbeitnehmer oder die jeweilige gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien – den Auftraggeber wie einen Bürgen in Anspruch nehmen können, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Besteht somit eine Bürgschaft im Sinne der §§ 765 ff. BGB des Auftraggebers für die Verpflichtungen des originären Schuldners (dem jeweiligen Arbeitgeber)? Jedenfalls – das ist dem Wortlaut des § 14 Satz 1 AEntG zu entnehmen – erlischt die Verpflichtung des originären Schuldners nicht. Der Auftraggeber steht also als zusätzlicher Schuldner für den Anspruchsberechtigten zur Verfügung. Wie die Rechtsnatur der Haftung jedoch dogmatisch gestaltet ist, lässt sich dem Wortlaut des § 14 Satz 1 AEntG nicht ohne Weiteres entnehmen, auch wenn zunächst eine sprachliche Nähe zur Bürgschaft besteht. Die Frage der Rechtsnatur von § 14 Satz 1 AEntG wird sich gleichermaßen für § 13 MiLoG stellen. Die Rechtsnatur soll daher in einem eigenen Kapitel (drittes Kapitel) untersucht werden, wobei auch die Rolle des Auftraggebers für das Schuldverhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer thematisiert wird.181

179 180 181

Waas in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 5, Rdnr. 11 m. w. N. Mohr in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 14, Rdnr. 25. Zur Einordnung des § 1a AEntG a. F. in das zivilrechtliche Haftungssystem vgl. Dörfler, Die Nettolohnhaftung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz, S. 40 - 67, der aber eine genaue Bestimmung der Rechtsnatur des § 1a AEntG a. F. aber nicht vornimmt; Däubler NJW 1999, S. 601 (607), nach dem der Auftragnehmer wie ein Erfüllungsgehilfe des Auftraggebers nach § 278 BGB behandelt wird; kursorisch auch Gündisch, Die Bürgenhaftung nach § 1a Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) in rechtspolitischer Hinsicht, S. 28; Forster/Schilein ZfIR 2016, S. 213 (223) bezeichnen die Haftung als „Garantiehaftung“.

48 4

Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen Abdingbarkeit

Nach § 9 Satz 1 AEntG ist ein Verzicht auf den entstandenen Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 8 AEntG nur durch gerichtlichen Vergleich zulässig; im Übrigen ist ein Verzicht ausgeschlossen. Nach Satz 2 ist überdies die Verwirkung des Anspruchs der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auf das Mindestentgelt nach § 8 AEntG ausgeschlossen. Ausschlussfristen für die Geltendmachung des Anspruchs können nach Satz 3 ausschließlich in dem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag nach den §§ 4 bis 6 AEntG oder dem der Rechtsverordnung nach § 7 AEntG zugrunde liegenden Tarifvertrag geregelt werden, wobei die Frist mindestens sechs Monate betragen muss. Die Vorschrift soll den Anspruch auf das Mindestentgelt der Arbeitnehmer sichern und deren Umgehung verhindern.182 Der Begriff des Verzichts ist dabei im Hinblick auf den Schutzzweck der Vorschrift weit zu verstehen, sodass alle Rechtsgeschäfte in den Anwendungsbereich des § 9 Satz 1 AEntG fallen, die in irgendeiner Form das vollständige oder teilweise Erlöschen des Anspruchs bedeuten oder dessen Durchsetzung hemmen.183 Von seinem Wortlaut erfasst § 9 AEntG jedoch keinen Verzicht auf die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG. Auch die insofern maßgebliche Gesetzesbegründung äußert sich zur Auftraggeberhaftung nicht.184 Allein der bezweckte umfassende Schutz der Arbeitnehmer durch § 9 AEntG könnte für eine Anwendbarkeit auch auf die Auftraggeberhaftung sprechen. Dagegen spricht jedoch, dass das ArbeitnehmerEntsendegesetz als solches den Schutz der Arbeitnehmer bezweckt, was allein schon durch die genaue Bezeichnung als „Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen“ deutlich wird. Wären nun alle Vorschriften des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes zwingend, bedürfte es des § 9 AEntG nicht. Vielmehr hat der Gesetzgeber in § 9 AEntG (wohl) abschließend die Unabdingbarkeit von Vorschriften normiert. Ein Verzicht, eine Verwirkung oder auch Ausschlussfristen sind demnach im Umkehrschluss für die Haftung nach § 14 AEntG möglich.185 Die Unzulässigkeit eines Verzichts wird aber aufgrund von zwei Argumenten abgelehnt: Einerseits wird angeführt, dass es sich bei § 14 AEntG um eine nach Artikel 9 Abs. 1 Rom I-VO zwingende Rechtsvorschrift handelt und daher durch Parteiverein-

182 183 184 185

Vgl. Thüsing in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 9, Rdnr. 1. So Thüsing in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 9, Rdnr. 2. Vgl. BR-Drs. 542/08, S. 19. Andere Ansicht Ulber, Arbeitnehmerentsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 26, der eine entsprechende Anwendung von § 9 Satz 1 AEntG vertritt.

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Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

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barung von dieser nicht abgewichen werden kann.186 Ein nachträglicher Verzicht des Arbeitnehmers muss indes zugelassen werden, weil es ihm auch zusteht, den Auftraggeber nicht in die Haftung zu nehmen. Gegen eine Qualifizierung des § 14 AEntG als Eingriffsnorm im Sinne des Artikel 9 Rom I-VO spricht einerseits, dass die Entsenderichtlinie die Haftung nicht als zwingend vorschreibt. Zudem schreibt die Durchsetzungs-Richtlinie in Artikel 12 keine umfassende Auftraggeberhaftung fest, sondern in Abs. 2 nur für die im Anhang der Richtlinie 96/71/EG genannten Tätigkeiten (diese sind: Aushub, Erdarbeiten, Bauarbeiten im engeren Sinne, Errichtung und Abbau von Fertigbauelementen, Einrichtung oder Ausstattung, Umbau, Renovierung, Reparatur, Abbauarbeiten, Abbrucharbeiten, Wartung, Instandhaltung (Maler- und Reinigungsarbeiten), Sanierung). Somit dürfte § 14 AEntG nicht als Eingriffsnorm zu begreifen sein.187 Andererseits lägen der Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG tarifliche Ansprüche zugrunde. Von tariflichen Ansprüchen sind nach § 4 Abs. 3 TVG abweichende Abmachungen nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten. Nach § 4 Abs. 4 Satz 1 TVG ist ein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig. Aufgrund der Akzessorietät zwischen der Auftraggeberhaftung und dem zugrunde liegenden Anspruch wäre das Verzichtsverbot des Tarifvertragsgesetzes auch auf § 14 AEntG anzuwenden.188 Dem ist ebenfalls zu widersprechen, da sich die Auftraggeberhaftung zwar akzessorisch zu dem tariflichen Anspruch verhält. Bei § 14 AEntG handelt es sich aber gerade nicht um einen tariflichen, sondern um einen gesetzlichen Anspruch. Und für diesen hat der Gesetzgeber – wie aufgezeigt – gerade kein Verzichtsverbot statuiert. Ein Verzicht auf die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG ist mithin möglich – vorausgesetzt, es handelt sich um Rechtsgeschäfte, an denen der Haftungsinhaber, der Arbeitnehmer, beteiligt ist. Durch Rechtsgeschäfte zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer kann notwendigerweise die Haftung nicht abbedungen werden, da es sich insofern um unzulässige Verträge zu Lasten Dritter handeln würde.

186 187 188

Vgl. Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 51. Von Deinert in: Schlachter/Heinig Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, § 10 Entsendung, Rdnr. 54 - 56, 77 - 81 wird § 14 AEntG nicht als Eingriffsnorm aufgeführt Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 51.

50 B

Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG

Das Mindestlohngesetz kennt keine (gänzlich) eigenständige Haftungsregelung für die Haftung des Auftraggebers für den Mindestlohnanspruch eines Arbeitnehmers. Vielmehr heißt es in § 13 MiLoG: „§ 14 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes findet entsprechende Anwendung.“ I

Normentstehung

Das Mindestlohngesetz hat keinen europäischen Ursprung. Vielmehr handelt es sich hierbei um ein Instrumentarium des deutschen Gesetzgebers. Die Idee eines gesetzlich festgelegten allgemeinen Mindestlohnes kam bereits vor dem Mindestlohngesetz de lege lata auf.189 So wurde in der 17. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages (22. Oktober 2009 bis 22. Oktober 2013) aus der Mitte des Bundestages am 8. Februar 2011 ein „Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohnes“ eingebracht, welcher zur „Kontrolle“ eine entsprechende Anwendbarkeit des § 14 AEntG, mithin eine Auftraggeberhaftung, vorsah.190 Ebenfalls noch in der 17. Wahlperiode brachte der Bundesrat am 20. März 2013 den „Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung des Mindestlohns“ in den Bundestag ein.191 Dieser Entwurf sah entgegen dem vorherigen indes weder eine entsprechende Anwendbarkeit des § 14 AEntG noch eine eigene Regelung zur Haftung des Auftraggebers vor. Vielmehr begnügte sich dieser Entwurf mit bußgeldrechtlichen Sanktionen für einen Auftraggeber, der einen anderen Unternehmer, der seinen Arbeitnehmern nicht den Mindestlohn zahlt, beauftragt.192 Beide Entwürfe gingen jedoch ins Leere: Der Gesetzesentwurf der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen wurde in zweiter und dritter Beratung auf Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) abgelehnt193, der Gesetzesentwurf des Bundesrates wurde aufgrund des Endes der Legislaturperiode vom Bundestag nicht mehr abschließend beraten und fiel damit der Diskontinuität zum Opfer194. Gleichwohl verdeutlichen sie, dass eine Auftraggeberhaftung bereits zu

189 190 191 192 193 194

Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung der Lohnfestsetzung in Deutschland eingehend Heukenkamp, Gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland und Frankreich, S. 69 - 88. BT-Drs. 17/4665 (neu), S. 3. BT-Drs. 17/12857, S. 2. BT-Drs. 17/12857, S. 6. BT-PlPr. 17/153, S. 18362 B. Legal Tribune Online, „Wahlprogramme – Teil 7: Mindestlohn als Betondecke zum Keller“, 02.09.2013, http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/wahlprogramme-bundestagswahl-mindest lohn/2/ (besucht am 09.04.2018).

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Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG

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früheren Zeitpunkten thematisiert wurde und vor allem, dass die inhaltliche Ausgestaltung einer solchen Haftung umstritten war. Das Thema eines gesetzlichen Mindestlohnes kam sodann in der 18. Legislaturperiode erneut auf.195 Der Referentenentwurf der Bundesregierung zum „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz)“ sah im Rahmen des Mindestlohngesetzes eine eigenständige, jedoch an § 14 AEntG angelehnte Haftungsnorm vor: „Ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, haftet für die Verpflichtungen dieses Unternehmers, eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers zur Zahlung des Mindestlohns an Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer nach § 1 Absatz 1 wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Der Mindestlohn im Sinne des Satzes 1 umfasst nur den Betrag, der nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechender Aufwendungen zur sozialen Sicherung an Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer auszuzahlen ist (Nettoentgelt).“196 Bereits in die Kabinettsfassung des Gesetzesentwurfes wurde diese Haftungsnorm modifiziert: Ein Satz 2 eröffnete dem Auftraggeber eine Exkulpationsmöglichkeit; die Legaldefinition des Nettoentgelts wurde gestrichen: „Die Haftung nach Satz 1 entfällt, wenn der Unternehmer nachweist, dass er weder positive Kenntnis noch grob fahrlässige Unkenntnis davon hatte, dass der Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns nicht nachkommt.“197 Letzterer Entwurf wurde sodann zum endgültigen Gesetzesentwurf der Bundesregierung erhoben, welche diesen zunächst dem Bundesrat zuleitete.198 Trotz Kritik des Bundesrates an dem Entwurf der Bundesregierung – der Bundesrat regte eine inhaltliche Gleichstellung der Haftungsnorm im Mindestlohngesetz mit der im ArbeitnehmerEntsendegesetz an199 – leitete die Bundesregierung ihren unveränderten Gesetzesent-

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Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2018/03/2018-03-14-koalitionsvertrag. pdf?__blob=publicationFile&v=2 (besucht am 09.04.2018), S. 9, 67 - 70, 164; dazu auch Däubler NJW 2014, S. 1924 (1924 f.); zum Gesetzgebungsverfahren auch Grau/Sittard KSzW 2014, S. 227 (229) m. w. N. BMAS, Referentenentwurf der Bundesregierung, http://www.portal-sozialpolitik.de/uploads/sopo/ pdf/2014/2014-03-19_BMAS_Tarifautonomiestaerkungsgesetz_Referentenentwurf.pdf (besucht am 09.04.2018), S. 10. Bundesregierung, Kabinettfassung der Bundesregierung (Entwurf), http://www.portalsozialpolitik.de/uploads/sopo/pdf/2014/2014-04-02_BMAS_Tarifautonomiestaerkungsgesetz_ Kabinettfassung.pdf (besucht am 09.04.2018), S. 11. BR-Drs. 147/14, S. 7. BR-Drs. 147/1/14, S. 6.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

wurf dem Bundestag zu200. Dieser erfuhr sowohl bei der öffentlichen Anhörung von Sachverständigen als auch in der weiteren Öffentlichkeit erhebliche Kritik: Thüsing beispielsweise warnte vor einem „Werkvertragsverhinderungsgesetz“ aufgrund einer Auftraggeberhaftung im Mindestlohngesetz201, die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände bezeichnete die Auftraggeberhaftung zum Beispiel als „unkalkulierbar, lebensfremd und unverhältnismäßig“202. In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss) wurde – im Gleichlauf mit dem Bundesrat – vorgeschlagen, die entsprechende Anwendung des § 14 AEntG im Rahmen des Mindestlohngesetzes anzuordnen.203 Dieser Beschlussempfehlung folgte schließlich der Bundestag.204 Das Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz – MiLoG)205 wurde als Artikel 1 des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz) am 15. August 2014 verkündet und trat gemäß Artikel 15 Abs. 1 Tarifautonomiestärkungsgesetz am 16. August 2014 in Kraft. Eine gesetzliche Höhe des Mindestlohns wurde nach § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG aber erst ab dem 1. Januar 2015 geregelt. Bis zum 31. Dezember 2017 gab es zudem noch Übergangsregelungen zur vorübergehenden Tarif- und Rechtsverordnungsdisposivität (§ 24 Abs. 1 MiLoG) sowie für Zeitungszusteller (§ 24 Abs. 2 MiLoG); § 24 MiLoG206 ist jedoch 200 201

202

203 204 205

206

BT-Drs. 15/1558. BT-Ausschussdrs. 18(11)148, S. 56 - 57; vgl. zu weiteren Kritiken BT-Ausschussdrs. 18(11)148, S. 74, 144 f.; Greiner in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, MiLoG § 13, Rdnr. 2. Vgl. zum Beispiel: BDA, Gesetzentwurf für Mindestlohn schwächt Tarifautonomie und schafft Einstiegsbarrieren am Arbeitsmarkt, http://www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/ res/Stn_MiLo.pdf/$file/Stn_MiLo.pdf (besucht am 09.04.2018), S. 8 f. BT-Drs. 18/2010 (neu), S. 4, 23. Vgl. BGBl. I 2014, S. 1348 (1350). Vgl. zur Verfassungsmäßigkeit des Mindestlohngesetzes im allgemeinen Barczak RdA 2014, S. 290 (290 ff.), der eine Verfassungsmäßigkeit sowohl in formeller als auch materieller Hinsicht bejaht.; Lobinger ZfA 2016, S. 99 (110 ff.), der verfassungsrechtliche Mängel feststellt; Zeising/Weigert NZA 2015, S. 15 (15 ff.), die ebenfalls verfassungsrechtliche Bedenken äußern; Schubert/ Jerchel/Düwell, Das neue Mindestlohngesetz, Rdnr. 57 - 64; drei Verfassungsbeschwerden gegen das Mindestlohngesetz wurden wegen Unzulässigkeit nicht zur Entscheidung angenommen, vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.06.2015 – 1 BvR 20/15, BeckRS 2015, 47764 sowie die Beschlüsse vom 25.06.2015 - 1 BvR 37/15 und 1 BvR 555/15; konkret bezogen auf § 13 MiLoG sieht Barkow von Creytz DStR-Beih. 2015, S. 94 (94 f.) keine verfassungsrechtlichen Bedenken, mit Verweis auf; BVerfG, Beschluss vom 20.03.2007 – 1 BvR 1047/05, NZA 2007, S. 609; ebenso Berndt DStR 2014, S. 1878 (1883); Grau/Sittard KSzW 2014, S. 227 (229); Lakies, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 8; Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 33; Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 8 - 11; kritisch Kühn/Reich BB 2014, S. 2938 (2938); vgl. zur Vereinbarkeit mit dem Europarecht Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 34; Lakies, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 6 - 7; Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 12 - 15. Dazu Bayreuther NZA 2014, S. 865 (872); Berndt DStR 2014, S. 1878 (1882 f.); Franzen JbArbR, Bd. 52 2015, S. 67 (84 - 85); Hlava, in: Husemann/Wietfeld, Zwischen Theorie und Praxis - Her-

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Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG

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gemäß Artikel 15 Abs. 2 Tarifautonomiestärkungsgesetz mit Ablauf des 31. Dezember 2017 außer Kraft getreten. II

Normzweck

Die Gesetzesbegründung zu § 13 MiLoG nimmt die Rechtslage zu § 14 AEntG in Bezug, es soll eine Angleichung der Rechtslage zu § 13 MiLoG zu der Rechtslage zu § 14 AEntG stattfinden.207 Ferner ist § 14 AEntG entsprechend anwendbar. Mithin ist der gesetzgeberische Zweck von § 14 AEntG auf § 13 MiLoG zu übertragen – soweit dies möglich ist: Der Zweck der effektiven zivilrechtlichen Durchsetzung ist auf § 13 MiLoG übertragbar.208 Im Ergebnis dient § 13 MiLoG daher auch dem Arbeitnehmerschutz, da der Mindestlohn als solcher den einzelnen Arbeitnehmer schützen soll209. Einige Autoren beschreiben das gesetzgeberische Ziel des § 13 MiLoG damit, dass sich ein Unternehmer nicht dadurch seinen eigenen Verpflichtungen aus dem Mindestlohngesetz entziehen können soll, dass er eine Werk- oder Dienstleistung nicht mit eigenen Arbeitnehmern erbringt, sondern Nachunternehmer beauftragt.210 Hierbei handelt es sich schlicht um einen logischen Schluss aus der Haftungsnorm: Setzte der Auftraggeber eigene Arbeitnehmer ein, müsste er diesen jedenfalls den Mindestlohn zahlen. Beauftragt er einen Nachunternehmer, muss der Auftraggeber für die Zahlung des Mindestlohns ebenfalls einstehen. Die Weitergabe des Auftrags an den Unternehmer ist aber nicht die Weitergabe einer originär eigenen gesetzlichen Pflicht. Der Auftraggeber hat mithin keine rechtliche Pflicht, die er weitergibt. Moralisch bzw. politisch mag es zwar wünschenswert sein, dass der Auftraggeber Arbeitnehmer selbst beschäftigt, eine

207 208

209 210

ausforderungen des Arbeitsrechts, Anspruch und Wirklichkeit des gesetzlichen Mindestlohns, S. 95 (106 - 108). Vgl. BT-Drs. 18/2010 (neu), S. 23. So im Ergebnis auch: Forst in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau NK-GA, MiLoG § 13, Rdnr. 2; Greiner in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, MiLoG § 13, Rdnr. 3; Hilgenstock, Das Mindestlohngesetz, Rdnr. 177; Reinfelder in: Düwell/ Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 1; Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 4. Vgl. dazu Sittard in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, MiLoG Vorb., Rdnr. 7. Vgl. Franzen in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt Erfuter Kommentar, MiLoG § 13, Rdnr. 2; Lakies, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 2. Damit knüpft diese Ansicht an eine Idee während der Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches an: Schon damals gab es den Vorschlag, denjenigen für die Zahlung des Lohns haftbar zu machen, dem die Arbeitsleistung zugutekommt, also beispielsweise einen Auftraggeber. Dieser Vorschlag hat sich indes in den Beratungen nicht durchsetzen können. Für die vorliegende Untersuchung ist der damalige Vorschlag darüber hinaus nicht von Bedeutung, da durch den Vorschlag keine der Bürgschaft vergleichbare Haftung implementiert werden sollte. Vgl. zu dem Vorschlag eingehend Kocher AuR 2015, S. S. G1 (G4) m. w. N.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

rechtliche Pflicht dazu besteht aber keineswegs. Es kann damit nicht die Rede davon sein, dass er sich eigene Pflichten entzieht. Weiterhin kann § 13 MiLoG ein präventiver Charakter zugeschrieben werden. Beauftragende Unternehmer sollen möglichst einen zuverlässigen Auftragnehmer auswählen.211 Der Schutz vor „Schmutzkonkurrenz“ und die Bekämpfung von „Sozialdumping und Steuerbetrug“ haben keinen gesonderten Eingang in die Gesetzesmaterialien zu § 13 MiLoG gefunden. Beides hat indes auch keine Bedeutung für die Norm: Die sogenannte „Schmutzkonkurrenz“ stand im Rahmen von § 1a AEntG a. F. in Zusammenhang mit der Baubranche.212 Einen Branchenbezug kennt das Mindestlohngesetz jedoch nicht. In Ermangelung entsprechender Ausführungen in den Gesetzesmaterialien kann das gesetzgeberische Ziel „Schutz bestimmter Unternehmen“ § 13 MiLoG nicht „auferlegt“ werden.213 Das Sozialdumping und der Steuerbetrug wurden in einem grenzüberschreitenden Kontext bei § 1a AEntG a. F. betrachtet.214 Dieser Zweck ist im Ergebnis nicht auf § 13 MiLoG übertragbar. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz zielt gerade auf grenzüberschreitend entsandte und auf regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ab, wie § 1 Satz 1 AEntG verdeutlicht. Das Mindestlohngesetz zielt indes auf im Inland beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab, eine Entsendung ist gerade nicht maßgebend. Gleichwohl werden Arbeitgeber mit Sitz im Inland sowie im Ausland nach § 20 MiLoG verpflichtet. Das Mindestlohngesetz bewegt sich also allein in einem nationalen Kontext bzw. hat keinen dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz vergleichbaren Auslandsbezug, sodass der vorbezeichnete Zweck im Ergebnis für § 13 MiLoG keine Bedeutung hat. Wie bereits angeführt, erfuhr der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Mindestlohngesetz215 schon in einem frühen Stadium durch den Bundesrat Kritik. Der Bundesrat führte dazu aus: „Es ist nicht nachvollziehbar, warum für den (allgemeinen) Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz eine andere Haftungsregelung Anwendung finden sollte als für die (branchenspezifischen) Mindestlöhne nach dem ArbeitnehmerEntsendegesetz. Auch die Begründung des Regierungsentwurfs enthält hierzu keine Ausführungen. […] Aus Sicht des Bundesrates erscheint ein Gleichlauf mit der Haftungsregelung des § 14 AEntG auch deshalb geboten, weil dieses nun für alle Branchen geöffnet wird. Sollten aber unterschiedliche Haftungsmaßstäbe für (Haupt-) Un211 212 213 214 215

Barkow von Creytz DStR-Beih. 2015, S. 94 (95); Lakies, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 3; Schubert/Jerchel/Düwell, Das neue Mindestlohngesetz, Rdnr. 221. Vgl. BT-PlPr. 14/14, S. 877; aber auch BT-Drs. 13/2414, S. 6 f. Ähnlich Lelley in: Thüsing MiLoG/AEntG, MiLoG § 13, Rdnr. 5 „primär“; andere Ansicht Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 4. BT-PlPr. 14/14, S. 895. BR-Drs. 147/14, S. 7.

B

Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG

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ternehmer gelten, bestünde die Gefahr, dass sich die Tarifvertragsparteien der Arbeitgeberseite mit dem - in der Regel niedrigeren und zudem haftungsprivilegierten - allgemeinen Mindestlohn begnügen würden, anstatt ergänzend die Möglichkeit branchenspezifischer Mindestlöhne zu nutzen. Dies würde der gesetzgeberischen Intention von Artikel 6 des Tarifautonomiestärkungsgesetzes aber geradezu zuwiderlaufen.“216 Der Bundesrat führt damit als ein Argument für einen Haftungsgleichlauf zwischen dem Mindestlohngesetz und dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz die Gefahr an, dass ansonsten gegebenenfalls auf branchenspezifische Mindestlöhne, die über den gesetzlichen Mindestlohn reichen, verzichtet wird. Dieser Begründung hat sich der Ausschuss für Arbeit und Soziales in der Beschlussempfehlung ausdrücklich angeschlossen.217 Darüber hinaus soll – wie bereits angeführt – die Regelung des § 13 MiLoG an die Rechtslage zu § 14 AEntG angeglichen werden, da sich diese Rechtslage, insbesondere durch die Ausgestaltung durch die Rechtsprechung, bewährt habe.218 Insofern macht sich der Gesetzgeber die – jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Gesetzesverabschiedung ergangene – Rechtsprechung zu § 14 AEntG zu eigen, das heißt konkret, Rechtsprechung, die bis zum 3. Juli 2014, dem Tag der Dritten Lesung zum Tarifautonomiestärkungsgesetz, ergangen ist.219 Diese Regelungstechnik des Gesetzgebers bezweckt – auf einen ersten Blick – Rechtssicherheit für den Rechtsanwender. Durch eine ausgeprägte Rechtsprechung zu § 14 AEntG sollen sich weniger Fragen zu § 13 MiLoG stellen – so die Vorstellung des Gesetzgebers. Dies übersieht jedoch, dass die Übertragbarkeit der Rechtsprechung von § 14 AEntG auf § 13 MiLoG eine Prüfung im Einzelfall voraussetzt und wohl nicht pauschal übernommen werden kann – wie sich im Folgenden auch noch zeigen wird. Der Normzweck des § 13 MiLoG besteht folglich zum einen in der effektiven Durchsetzung des Mindestlohnes – für den Fall, dass ein Arbeitgeber, der für einen anderen Unternehmer handelt, seinen Arbeitnehmern nicht den Mindestlohn zahlt – und zum anderen in der Prävention vor der Nichtzahlung des Mindestlohnes bzw. dem freigiebigen Beauftragen anderer Unternehmer. Vielmehr sollen Arbeitgeber dazu angeregt werden, eigene Arbeitnehmer zu beschäftigen und für diese den Mindestlohn zu zahlen.220 Neben diesem Regelungszweck bezüglich der Sachmaterie „Mindestlohnge216 217 218 219

220

BR-Drs. 147/14 (Beschluss), S. 5. BT-Drs. 18/2010 (neu), S. 19. BT-Drs. 18/2010 (neu), S. 23. Nach diesem Stichtag ergangene Rechtsprechung kann aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht als vom Willen des Gesetzgebers erfasst angesehen werden, denn ansonsten legte der Gesetzgeber die Gesetzgebung in die Hände der Judikative, was einen offensichtlichen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip darstellte. Die Auftraggeberhaftung, insbesondere nach § 13 MiLoG, zeigt somit Elemente des sogenannten „Nudgings“ auf; vgl. zum „Nudging“ grundlegend Thaler/Sunstein, Nudge; zu den rechtlichen Grenzen vgl. auch Kirchhof ZRP 2015, S. 136 (136 - 137).

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

setz“ versucht der Gesetzgeber (zumindest) durch den Verweis auf § 14 AEntG und die dortige Rechtslage Rechtssicherheit sowie eine klare Regelung zur Haftung des Auftraggebers zu schaffen. Dafür soll die Rechtslage zu § 14 AEntG also „adaptiert“ werden. III

Anwendungsbereich

Im Gegensatz zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz gilt das Mindestlohngesetz grundsätzlich ohne Einschränkung: Nach § 1 Abs. 1 MiLoG hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber; nach § 20 MiLoG sind Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland verpflichtet, ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns zu zahlen. Dabei ist – was anfangs nicht unumstritten war – der Mindestlohn im Kern in jeder Arbeitsvergütung eines jeden Arbeitnehmers enthalten, gleichviel ob er nur den Mindestlohn oder einen (vertraglichen) Lohn oberhalb des Mindestlohnes verdient.221 Ausnahmen zu diesem Grundsatz finden sich in § 22 MiLoG, beispielsweise unter bestimmten Voraussetzungen für Praktika.222 Das Mindestlohngesetz ist mithin von vornherein nicht auf einen „Problemsachverhalt“ begrenzt. Eine Schutzwirkung für bestimmte Branchen – wie durch § 1a AEntG intendiert war223 – sollte § 13 MiLoG gar nie entfalten. Ferner ist das Mindestlohngesetz – wie § 1 Abs. 3 MiLoG statuiert – gegenüber Mindestlöhnen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz oder dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz subsidiär.224 Daran ändert sich auch nicht dadurch etwas, dass § 13 MiLoG zunächst uneingeschränkt auf § 14 AEntG verweist. Man könnte zwar der Auffassung sein, dass auch nur der Anwendungsbereich des § 14 AEntG durch § 13 MiLoG einbezogen ist. Dagegen spricht aber, dass § 14 AEntG nur „entsprechend“ Anwendung finden soll, das heißt, auch entsprechend dem Anwendungsbereich des Mindestlohngesetzes.225

221 222

223 224 225

Bayreuther in: Thüsing MiLoG/AEntG, MiLoG § 1, Rdnr. 10 m. w. N.; eingehend mit Darstellung von Folgefragen Sagan/Witschen jm 2014, S. 372 (373 ff.). Vgl. zu den Ausnahmen Bayreuther NZA 2014, S. 865 (871 ff.); Berndt DStR 2014, S. 1878 (1879); Fink/Schmid SteuK 2015, S. 461 (461 f.); Franzen JbArbR, Bd. 52 2015, S. 67 (78 - 84); Friedl ZAT 2015, S. 110 (110 ff.); Heukenkamp, Gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland und Frankreich, S. 100 - 150; Hlava, in: Husemann/Wietfeld, Zwischen Theorie und Praxis - Herausforderungen des Arbeitsrechts, Anspruch und Wirklichkeit des gesetzlichen Mindestlohns, S. 95 (101 - 106); Meurer npoR 2015, S. 101 (103 - 104); Sagan/Witschen jm 2014, S. 372 (372 - 373); Spielberger/Schilling NJW 2014, S. 2897 (2897 - 2898); Waltermann AuR 2015, S. 166 (172 173). Vgl. oben unter Zweites Kapitel. A III. Vgl. auch Bayreuther in: Thüsing MiLoG/AEntG, MiLoG § 1, Rdnr. 13; Franzen in: MüllerGlöge/Preis/Schmidt Erfuter Kommentar, MiLoG § 1, Rdnr. 21. Vgl. dazu Forst in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau NK-GA, MiLoG § 13, Rdnr. 4 m. w. N.

B

Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG

57

Die Ausgangslage von § 13 MiLoG stellt sich demnach wie folgt dar: Die Auftraggeberhaftung kann jeden Auftraggeber treffen, der als Unternehmer einen anderen Unternehmer mit einer Werk- oder Dienstleistung beauftragt, unabhängig von der Branche oder anderen Faktoren.226 IV

Tatbestandsvoraussetzungen

Eigene Tatbestandsvoraussetzungen stellt § 13 MiLoG nicht auf. Er verweist allein auf eine entsprechende Anwendung des § 14 Satz 1 AEntG. 1

Verweis auf § 14 AEntG

Die entsprechende Anwendung einer Rechtsnorm findet stets aufgrund einer Verweisung des Gesetzes statt. Für eine Analogie fehlt es in diesen Fällen dann bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Zwar hat der Gesetzgeber keine konkreten Regelungen für den zu entscheidenden Fall getroffen, sodass insofern zwar in der Vorschrift selbst eine Regelungslücke vorliegt. Durch den Verweis auf eine andere Vorschrift schließt der Gesetzgeber diese Lücke aber wiederum. Durch eine entsprechende Anwendung stellt der Gesetzgeber klar, dass die in Bezug genommene Norm nicht ohne Weiteres angewandt werden soll, sondern nur im Rahmen des teleologisch Sinnvollen zur Anwendung gebracht werden soll.227 Die Verweisung kann, muss aber nicht zwingend durch die explizite Verwendung des Wortes „entsprechend“ geschehen. Die entsprechende Anwendung einer Rechtsnorm kann sich auch aus der Norm heraus von selbst verstehen. In beiden Fällen ist die in Bezug genommene Rechtsnorm allein im Rahmen des Sinnvollen zur Anwendung zu bringen.228 Insofern besteht ein wesentlicher Unterschied zur teleologischen Reduktion: Bei der entsprechenden Anwendbarkeit muss die Anwendbarkeit der Norm – positiv – begründet werden, bei der teleologischen Reduktion ist die Norm qua Gesetz anwendbar und es muss deren Nichtanwendbarkeit – negativ – begründet werden.

226

227 228

Zur Geltung des Mindestlohngesetzes bei Transitfahrten durch das Inland Bissels/Falter/Evers ArbRAktuell 2015, S. 4 (4 ff.); Grimm/Schmidt-Lauber ArbRB 2016, S. 12 (13); Hohnstein TranspR 2015, S. 149 (150); Hohnstein NJW 2015, S. 1844 (1846 - 1847); Jansen/Vogt, in: Husemann/Wietfeld, Zwischen Theorie und Praxis - Herausforderungen des Arbeitsrechts, Die Anwendung des deutschen Mindestlohngesetzes im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 129 (129 ff.); Maaß ZAP Fach 17 2015, S. 1161 (1161 - 1164); Moll/Katerndahl DB 2015, S. 555 (555 ff.); Sittard NZA 2015, S. 78 (78 ff.); Stommel/Valder jurisPR-TranspR 5/2014 Anm. 4. Reimer, Juristische Methodenlehre, Rdnr. 444. Reimer, Juristische Methodenlehre, Rdnr. 444.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

Hinsichtlich der Art und Weise der Verweisung kann weiterhin zwischen einer Rechtsfolgen- und einer Rechtsgrundverweisung differenziert werden. Bei ersterer enthält die Verweisungsnorm einen eigenen Tatbestand, die Rechtsfolgen ergeben sich dann aber aus der Zielnorm. Deren etwaige Tatbestandsvoraussetzungen müssen für die Anwendbarkeit der Rechtsfolgen aber nicht mehr erfüllt sein. Bei einer Rechtsgrundverweisung müssen hingegen nicht nur die Tatbestandsvoraussetzungen der Verweisungsnorm erfüllt sein. Es müssen auch die Tatbestandsvoraussetzungen der Zielnorm vorliegen. Die Verweisungsnorm verweist somit auf die gesamte Zielnorm.229 § 13 MiLoG verweist schlicht auf eine entsprechende Anwendung des § 14 AEntG. Es werden keine eigenen Tatbestandsvoraussetzungen für die Auftraggeberhaftung nach dem Mindestlohngesetz aufgestellt. In Ermangelung von Tatbestandsvoraussetzungen müssen daher nach dem Willen des Gesetzgebers die Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 AEntG für die Haftung vorliegen. Bei § 13 MiLoG handelt es sich demnach um eine Rechtsgrundverweisung auf § 14 AEntG.230 Dabei sind die Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 AEntG aber nur im Rahmen des Sinnvollen anzuwenden, sodass im Folgenden untersucht wird, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 AEntG für die Haftung nach § 13 MiLoG vollumfänglich oder modifiziert anzuwenden sind. 2

Übertragbarkeit der Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 Satz 1 AEntG im Einzelnen

Die zu untersuchenden Tatbestandsvoraussetzungen sind mithin: „Ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt.“ a)

„Ein Unternehmer“

aa) Begriff des Unternehmers Ebenso wie das Arbeitnehmer-Entsendegesetz kennt auch das Mindestlohngesetz keine eigenständige Definition des Unternehmerbegriffs. Aus den bereits zu § 14 Satz 1 AEntG dargelegten Gründen ist daher auch im Rahmen von § 13 MiLoG auf die Defi-

229 230

Vgl. dazu Rüthers/Fischer/Bork, Rechtstheorie mit Juristischer Methodenlehre, Rdnr. 132; Wörlen/Leinhas JA 2006, S. 22 (23). So auch Krüger, Arbeitgeberähnliche Pflichten des Dritten in arbeitsrechtlichen Dreieckskonstellationen, S. 46; Oltmanns/Fuhlrott NZA 2015, S. 392 (393).

B

Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG

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nition des Unternehmerbegriffs in § 14 BGB zurückzugreifen. Ein Unternehmer ist somit derjenige, der als natürliche oder juristische Person oder als rechtsfähige Personengesellschaft bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung seiner gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt.231 bb) Einschränkende Auslegung des Unternehmerbegriffs Gewissermaßen in einem Gleichlauf zu § 14 AEntG heißt es zu § 13 MiLoG beispielsweise in dem Referentenentwurf der Bundesregierung zum „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie (Tarifautonomiestärkungsgesetz)“, dass „insbesondere ein sogenannter Generalunternehmer“ nach § 13 MiLoG haften soll.232 Diese Formulierung findet sich sodann auch in dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung (Kabinettfassung)233 und auch in dem endgültigen Gesetzesentwurf der Bundesregierung234. In den Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrats zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung findet sich zwar nicht die Formulierung „Generalunternehmer“, dafür wird aber von einem „Hauptunternehmer“ bzw. „(Haupt-)Unternehmer“ gesprochen.235 Auch im weiteren Gesetzgebungsverfahren wird die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG mit dem Begriff des Generalunternehmers verbunden. So spricht der Sachverständige Thüsing beispielsweise in seiner Stellungnahme von einer „Generalunternehmerhaftung“.236 Der Sachverständige Düwell geht bei § 13 MiLoG wohl auch nur von einer Haftung von „Generalunternehmern“ aus.237 Bepler und Hanau vertreten in ihrer Stellungnahme, dass § 13 MiLoG „nach der Gesetzesbegründung – insoweit zu Recht – für Generalunternehmer und ähnliche Bestellerstrukturen gedacht sei“.238 Sie erweitern – jedenfalls vom Wortlaut her – damit den Anwendungsbereich

231

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233

234 235 236 237 238

Heukenkamp, Gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland und Frankreich, S. 382 - 383; Lakies, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 11; Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 18 jeweils m. w. N.; Zu der hier nicht vertieften Frage, ob die öffentliche Hand als Unternehmer im Sinne des § 13 MiLoG anzusehen ist vgl. Müller öAT 2016, S. 31 (33); Müller öAT 2015, S. 95 (95 ff.); Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 10; Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 25 - 26. BMAS, Referentenentwurf der Bundesregierung, http://www.portal-sozialpolitik.de/uploads/sopo/ pdf/2014/2014-03-19_BMAS_Tarifautonomiestaerkungsgesetz_Referentenentwurf.pdf (besucht am 09.04.2018), S. 40. Bundesregierung, Kabinettfassung der Bundesregierung (Entwurf), http://www.portalsozialpolitik.de/uploads/sopo/pdf/2014/2014-04-02_BMAS_Tarifautonomiestaerkungsgesetz_ Kabinettfassung.pdf (besucht am 09.04.2018), S. 46. BR-Drs. 147/14, S. 43 oder auch BT-Drs. 18/1558, S. 40. BR-Drs. 147/1/14, S. 6. BT-Ausschussdrs. 18(11)148, S. 56. BT-Ausschussdrs. 18(11)148, S. 74. BT-Ausschussdrs. 18(11)148, S. 144.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

über den bloßen Generalunternehmer hinaus, gehen indes ebenfalls von einer Einschränkung des Anwendungsbereichs aus. Es stellt sich somit – im Gleichlauf zu § 14 AEntG – die Frage, ob auch bei § 13 MiLoG eine Einschränkung des Anwendungsbereichs angezeigt ist und, wenn ja, in welcher Weise. Ist hier eine einschränkende Auslegung des Unternehmerbegriffs vorzunehmen? Übertragung der Rechtsprechung zu § 14 AEntG In der Rechtsprechung findet sich bis dato keine Entscheidung zur Auslegung des Unternehmerbegriffs im Rahmen von § 13 MiLoG bzw. der Übertragung der Rechtsprechung zu § 14 AEntG auf § 13 MiLoG. In der Literatur wird wohl zum Großteil davon ausgegangen, dass die Rechtsprechung ihre Auslegung zu § 14 Satz 1 AEntG auch auf das Mindestlohngesetz übertragen wird: Zum einen wird dies mit der bewussten Entscheidung des Gesetzgebers begründet, in § 13 MiLoG auf § 14 AEntG zu verweisen und damit auch die Rechtsprechung zu § 14 AEntG zu übertragen239 bzw. diese zu billigen240. Daraus wird dann zum Teil aber wiederum der Schluss gezogen, es handele sich bei § 13 MiLoG um eine „Generalunternehmerhaftung“.241 Damit ist dann aber der Fall gemeint, dass sich ein Unternehmer eines anderen Unternehmers bedient, um seine eigenen Verpflichtungen gegenüber Dritten zu erfüllen.242 Zum anderen wird aber auch darauf abgestellt, dass die Erwägungen und Argumente, die für eine Beschränkung auf eine Generalunternehmerhaftung bei § 14 AEntG vorgetragen werden, auf § 13 MiLoG übertragbar seien. Es müsse daher auch im Rahmen von § 13 MiLoG nur eine Generalunternehmerhaftung gelten.243

239 240 241

242 243

Forster/Schilein ZfIR 2016, S. 213 (223); Koschker CB 2015, S. 269 (269 f.); Sittard in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, MiLoG § 13, Rdnr. 3. So ausdrücklich Greiner in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, MiLoG § 13, Rdnr. 8. Baeck/Winzer/Kramer NZG 2015, S. 265 (267 f.); Bayreuther NZA 2014, S. 865 (871); Grau/Sittard KSzW 2014, S. 227 (229 f.); Heukenkamp, Gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland und Frankreich, S. 381; Moll/Päßler/Reich MDR 2016, S. 624 (628); Moll/Päßler/Reich MDR 2015, S. 125 (130); Müller TranspR 2014, S. 402 (404); Sittard in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, MiLoG § 13, Rdnr. 3; Sittard RdA 2015, S. 99 (106 f.); s. auch: Sittard NZA 2014, S. 951 (953); Sittard/Sassen NJW 2016, S. 364 (366 - 367); Walk ZAT 2015, S. 119 (122). Lelley in: Thüsing MiLoG/AEntG, MiLoG § 13, Rdnr. 14; Sittard in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, MiLoG § 13, Rdnr. 3. Bayreuther NZA 2015, S. 961 (962 f.).

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Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG

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Schließlich wird eine Einschränkung des Unternehmerbegriffs – also wiederum eine Generalunternehmerhaftung – damit begründet, dass eine uneingeschränkte Haftung für jegliche Unternehmer vor dem Hintergrund der verschuldensunabhängigen Haftung nicht zu rechtfertigen sei.244 In diesem Zusammenhang wird auch auf „unbeherrschbare Risiken“ abgestellt, die eine uneingeschränkte Auftraggeberhaftung mit sich bringen würde; eine Beschränkung sei daher auf Generalunternehmer vorzunehmen, die durch ihre Einflussmöglichkeit auf den Auftragnehmer die Risiken besser beherrschen könnten. Eine Beschränkung sei insofern „angemessen“.245 Die Ergebnisse stehen im Wesentlichen im Einklang mit § 14 AEntG – der Begriff der Generalunternehmerhaftung246 ist aber wieder irreführend. Denn jeder Unternehmer kann theoretisch auch einen anderen Unternehmer beauftragen, um eigene Verpflichtungen gegenüber Dritten zu erfüllen. Die Voraussetzung „Generalunternehmer“ ist nicht die entscheidende Voraussetzung, entscheidend sind die Hintergründe der jeweiligen Beauftragung. Andere Ansichten in der Literatur Zum Teil wird eine uneingeschränkte Anwendung der Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG angenommen.247 Dabei wird zumeist auf den nicht einschränkenden Wortlaut248 sowie Sinn und Zweck des Mindestlohngesetzes249 abgestellt. Andere Ansichten in der Literatur kommen jedoch ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Anwendungsbereich des § 13 MiLoG eingeschränkt werden muss. Dabei wird indes nicht die Tatbestandsvoraussetzung des Unternehmers eingeschränkt. Die Ansätze differieren insoweit:

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248 249

Bissels/Falter DB 2015, S. 65 (66), die aufgrund des Wortlauts von einem „völligen Gleichzulauf zu § 14 AEntG“ ausgehen; so auch: Bissels/Falter/Krings DB 2015, S. 1962 (1963); wobei die Übertragbarkeit der Erwägungen und Argumente zu § 14 AEntG angezweifelt wird. Greiner in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, MiLoG § 13, Rdnr. 8. So auch: Insam/Hinrichs/Tacou NZA-RR 2014, S. 569 (570); Jansen/Vogt, in: Husemann/Wietfeld, Zwischen Theorie und Praxis - Herausforderungen des Arbeitsrechts, Die Anwendung des deutschen Mindestlohngesetzes im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 129 (140 ff.); Kühn/Reich BB 2014, S. 2938 (2939 f.); Müller öAT 2015, S. 95 (96); Müller TranspR 2014, S. 402 (404); Schmitz-Witte AuA 2015, S. 136 (139); Schwab NZA-RR 2010, S. 225 (227); Stommel/Valder jurisPR-TranspR 5/2014 Anm. 4; Viethen NZA-Beil. 2014, S. 143 (147). Barkow von Creytz DStR-Beih. 2015, S. 94 (94 - 95); Berndt DStR 2014, S. 1878 (1878); Emmert/Traut BauSV 2015, S. 52 (54) (ohne weitere Begründung); so wohl auch Maaß ZAP Fach 17 2015, S. 1161 (1169 - 1170); Müller öAT 2015, S. 95 (95 f.); Schubert/Jerchel/Düwell, Das neue Mindestlohngesetz, Rdnr. 227 ff. Müller öAT 2015, S. 95 (95 - 96); Schubert/Jerchel/Düwell, Das neue Mindestlohngesetz, Rdnr. 228. Bertram GWR 2015, S. 26 (27).

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

Zum Teil wird – in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts250 – an eine „Verantwortungsbeziehung“ zwischen dem Auftraggeber und der Nichtzahlung des Mindestlohns an die Arbeitnehmer der Auftragnehmer angeknüpft, um die Haftung zu rechtfertigen. Das Kriterium der Verantwortungsbeziehung wird dabei beispielsweise wie folgt definiert: „Eine solche Verantwortungsbeziehung und die daraus resultierende Unternehmerhaftung liegt damit nicht nur dann vor, wenn Tätigkeiten vergeben werden, die unmittelbar gegenüber einem Kunden geschuldet sind, sondern bereits, wenn sie zum ‚Tätigkeitsfeld des Unternehmens‘ gehören, mithin die Fremdvergabe ‚dem Betriebszweck dient‘.“251 Nach anderer Ansicht sollen solche Beauftragungen von Werk- oder Dienstleistungen aus dem Anwendungsbereich des § 13 MiLoG herausgenommen werden, mit denen der Auftraggeber andere Unternehmer beauftragt, um des eigenen Bedarfs willen; werden durch die Aufträge indes eigene Leistungspflichten gegenüber Dritten erledigt, solle die Auftraggeberhaftung gleichwohl greifen.252 Es wird somit (wohl in der Regel253) an die Tatbestandsvoraussetzung der Beauftragung angeknüpft und eben nicht an die Tatbestandsvoraussetzung des Unternehmers. Die Abgrenzung zwischen der Beauftragung mit Werk- oder Dienstleistungen für eigene Zwecke oder für die Erfüllung von Verpflichtungen gegenüber Dritten ist dabei mitnichten regelmäßig eindeutig.254 Mit einem in der Begründung vergleichbaren Ansatz wird daneben auch die Einführung einer ungeschriebenen Tatbestandsvoraussetzung vertreten. Als für die Haftung notwendig wird insoweit auch die Weitergabe eigener Leistungspflichten gegenüber Dritten vorausgesetzt (welche ihrerseits dienst- oder werkvertraglicher Natur sein sollen).255 Als dogmatische Folge wird indes keine bestehende Tatbestandsvorausset250 251

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In Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: BVerfG, Beschluss vom 20.03.2007 – 1 BvR 1047/05, NZA 2007, S. 609. Hlava, in: Husemann/Wietfeld, Zwischen Theorie und Praxis - Herausforderungen des Arbeitsrechts, Anspruch und Wirklichkeit des gesetzlichen Mindestlohns, S. 95 (119) m. w. N.; vgl. auch Hlava SR 2016, S. 17 (24 - 27); Heuschmid/Hlava NJW 2015, S. 1719 (1720). Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 13; Franzen in: MüllerGlöge/Preis/Schmidt Erfuter Kommentar, MiLoG § 13, Rdnr. 2, bei dem aber nicht ganz deutlich wird, ob er die Tatbestandsvoraussetzung des Unternehmers oder der Beauftragung mit einer Werk- oder Dienstleistung einschränken möchte; Franzen JbArbR, Bd. 52 2015, S. 67 (90 - 91); Vgl. auch Bayreuther NZA 2015, S. 961 (964), wonach der Auftraggeber einen anderen Unternehmer zumindest teilweise mit einer Leistung beauftragen muss, deren Erbringung er einem Dritten gegenüber schuldet; Oltmanns/Fuhlrott NZA 2015, S. 392 (393). Hlava, in: Husemann/Wietfeld, Zwischen Theorie und Praxis - Herausforderungen des Arbeitsrechts, Anspruch und Wirklichkeit des gesetzlichen Mindestlohns, S. 95 (119) m. w. N., der aber gerade nicht deutlich macht, inwiefern diese Verantwortungsbeziehung dogmatisch eingebunden wird, also etwa eine Einschränkung des Unternehmerbegriffs vorzunehmen ist oder etwa eine teleologische Reduktion. Vgl. dazu mit Beispielen Mauthner/Rid AuA 2014, S. 518 (519 f.). So noch ausdrücklich Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, 1. Auflage (2015), MiLoG § 13, Rdnr. 19, die aber in der 2. Auflage nunmehr lediglich eine einschränkende Auslegung des Unter-

B

Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG

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zung einschränkend ausgelegt, sondern der Tatbestand als solcher durch eine entsprechende ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung eingeschränkt. Stellungnahme der Bundesregierung Die Gesetzesbegründung zu § 13 MiLoG verhält sich – wie eingangs dargestellt – nicht eindeutig zu dem Unternehmerbegriff. Dies hat wohl die Exekutive dazu bewegt, sich nachträglich zum Unternehmerbegriff des § 13 MiLoG zu äußern. In den Ausführungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) aus der „Bestandsaufnahme: Einführung des allgemeinen Mindestlohnes in Deutschland Juni 2015“ heißt es zu Fragen und Unsicherheiten hinsichtlich des § 13 MiLoG: „Das BMAS wird daher gemeinsam mit dem BMF gegenüber den Behörden der Zollverwaltung klarstellen, dass sowohl bei der zivilrechtlichen Haftungsfrage als auch bei der Anwendung der Bußgeldvorschriften ein ‚eingeschränkter‘ Unternehmerbegriff zugrunde gelegt wird, wie ihn das Bundesarbeitsgericht für die zivilrechtliche Haftung im Arbeitnehmerentsendegesetz entwickelt hat. Dabei übernimmt ein Unternehmen nur die Verantwortung für Beauftragte [sic] Unternehmen, wenn eigene vertraglich übernommene Pflichten weitergegeben werden. Damit wird in den meisten Fällen einer Beauftragung eines anderen Unternehmens klargestellt, dass hier im Hinblick auf den Mindestlohn keine Auftraggeberhaftung besteht.“256 Diese Ausführungen führen aus mehreren Gründen zu Erstaunen: In Anlehnung an den Wortlaut des § 14 Satz 1 AEntG hätte man eher von „Unternehmer“ als von „Unternehmen“ sprechen müssen. Denn Adressat der Haftungsvorschrift ist der Unternehmer und nicht das Unternehmen. Eine rechtliche Auswirkung hat diese Ungenauigkeit indes nicht, was daran liegt, dass – wie oben bereits dargelegt wurde – als Unternehmen die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers zu verstehen ist (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG). Im Wege einer authentischen Interpretation wird davon ausgegangen werden können, dass das BMAS auf den Unternehmer abzielte. Darüber hinaus kann diese „Bestandsaufnahme“ auch nicht als Gesetzesbegründung herangezogen werden, da sie zeitlich nach der Verabschiedung des Mindestlohngesetzes verfasst wurde und daher nicht in den Willen des Gesetzgebers einbezogen werden konnte. Schließlich ist die Auslegung zivilrechtlicher Normen Aufgabe der Gerichte. An eine Stellungnahme eines Ministeriums, also der Exekutive, ist sie

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nehmerbegriffs vertreten vgl. Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 19 22. BMAS, Bestandsaufnahme: Einführung des allgemeinen Mindestlohnes in Deutschland Juni 2015, http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Meldungen/2015/bestandsaufnahme-min destlohn.pdf?__blob=publicationFile (besucht am 09.04.2018), S. 10.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

nicht gebunden.257 Zwar kann das BMF gegenüber der Zollverwaltung, welche dem BMF unterstellt ist258, Weisungen erteilen. Diese Weisungen können indes nur Bedeutung für die Bußgeldvorschriften (insbesondere) des § 21 Abs. 2 MiLoG259 erlangen, für deren Verfolgung und Ahndung (§ 35 OWiG) die Zollverwaltung gemäß § 21 Abs. 4 i. V. m. § 14 MiLoG im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 1 OWiG sachlich zuständig ist260. Die Stellungnahme des BMAS stellt sich daher im Ergebnis als bloße Meinungskundgabe ohne rechtliche Wirkung dar. Stellungnahme Aus grammatikalischer und systematischer Sicht ergeben sich hinsichtlich einer Auslegung von § 13 MiLoG keine Besonderheiten im Vergleich zur Auslegung von § 14 AEntG. Auch hilft insoweit die Historie von § 13 MiLoG nicht weiter. Maßgebend sind daher auch für § 13 MiLoG Sinn und Zweck der Vorschrift. Dabei gilt der erste Blick zunächst der gesetzgeberischen Intention bei der Einführung der Auftraggeberhaftung. Der Gesetzgeber hat bei der Einführung des § 13 MiLoG ausdrücklich gewollt, dass die Rechtslage zu § 14 AEntG auf § 13 MiLoG übertragen wird.261 Er hat eine Einschränkung des Anwendungsbereichs, wie von der Rechtsprechung vertreten, damit gebilligt – auch wenn der Form, der Einschränkung des Unternehmerbegriffs, nicht zuzustimmen ist. Zudem muss der Unternehmer also im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit tätig geworden sein. Ein uneingeschränkter Anwendungsbereich ist deshalb auch nicht etwa deswegen zu vertreten, weil der Gesetzgeber trotz des Wissens um diese Streitfrage keine explizite Regelung getroffen hat.262 Denn der Gesetzgeber wollte ja gerade die Rechtslage zu § 14 AEntG übernehmen – mit der Auslegung der Rechtsprechung.

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261 262

Vgl. Jansen/Vogt, in: Husemann/Wietfeld, Zwischen Theorie und Praxis - Herausforderungen des Arbeitsrechts, Die Anwendung des deutschen Mindestlohngesetzes im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr, S. 129 (142). Vgl. § 1 Nr. 1 FVG. Eingehend zum § 21 MiLoG Bissels/Falter BB 2015, S. 373 (373 ff.); Franzen JbArbR, Bd. 52 2015, S. 67 (91); Grau/Sittard KSzW 2014, S. 227 (231 - 234); Heuschmid/Hlava NJW 2015, S. 1719 (1722 - 1723); Hlava, in: Husemann/Wietfeld, Zwischen Theorie und Praxis - Herausforderungen des Arbeitsrechts, Anspruch und Wirklichkeit des gesetzlichen Mindestlohns, S. 95 (125 - 126); Neufang TranspR 2015, S. 329 (331 - 335); Pötters/Krause NZA 2015, S. 398 (400). Vgl. zur zollinternen Aufgabenverteilung an die „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ Koschker CB 2015, S. 269 (270 f.) m. w. N.; sowie zur behördlichen Aufsicht über die Gewährung der Mindestlöhne Aulmann NZA 2015, S. 418 (418 ff.); Franzen JbArbR, Bd. 52 2015, S. 67 (92 - 93); sowie eingehend zur staatlichen Durchsetzung Maschmann NZA 2016, S. 929 (929 ff.). Vgl. BT-Drs. 18/2010 (neu), S. 23. So aber Sick RdA 2016, S. 224 (225).

B

Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG

65

Des Weiteren ist auf den Regelungszweck des § 13 MiLoG zu schauen: Zum einen soll der Mindestlohnanspruch eines jeden Arbeitnehmers effektiv durchgesetzt werden können. Zum anderen soll der Nichtzahlung des Mindestlohns bzw. die freigiebige Beauftragung anderer Unternehmer präventiv vorgebeugt werden, mit dem Ziel, dass Auftraggeber vermehrt eigene Arbeitnehmer einsetzen. Insbesondere letzterer Zweck verdeutlicht, dass die Auftraggeberhaftung einen Unternehmer nur dann treffen können soll, wenn er einen anderen Unternehmer beauftragt, um eigene Leistungspflichten gegenüber Dritten zu erfüllen. Denn nur in diesem Fall kann das Ziel, den Auftraggeber zu motivieren, eigene Arbeitnehmer einzusetzen, greifen. In den Fällen, in denen der Unternehmer einen anderen Unternehmer beauftragt, um für sich selbst etwas zu besorgen, was nicht unmittelbar eine Leistungspflicht gegenüber Dritten betrifft, hat der Unternehmer (regelmäßig) gar nicht die Kompetenz bzw. Möglichkeit, eigene Arbeitnehmer zu beschäftigen. In diesem Fall wäre es auch nicht erklärbar, warum ein Unternehmer in die Haftung geraten soll und ein Nicht-Unternehmer gerade nicht. Zwar gilt das Mindestlohngesetz für jeden Arbeitnehmer. Der Gesetzgeber intendierte aber gerade nicht die Haftung eines jeden Auftraggebers. Insofern kann auch die „flächendeckend beabsichtigte Geltung des Mindestlohns“263 bzw. umfassende Verantwortlichkeit eines Auftraggebers264 nicht für eine uneingeschränkte Anwendung der Auftraggeberhaftung sprechen. Zugegebenermaßen kann die Auftraggeberhaftung mit erheblichen finanziellen Risiken für den beauftragenden Unternehmer verbunden sein, wobei seine rechtlichen Einflussmöglichkeiten auf den beauftragten Unternehmer und etwaige weitere beauftragte Unternehmer gering sein können.265 Diese Argumentation alleine kann jedoch keine Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 13 MiLoG begründen, denn man muss diese Risikoverteilung als vom Gesetzgeber gewollt zunächst einmal annehmen. Andererseits sind dem Gesetzgeber aber auch Grenzen, namentlich verfassungsrechtliche Grenzen, gesetzt. So hat das Bundesverfassungsgericht zwar seinerzeit keine eigene Auslegung des § 1a AEntG a. F. vorgenommen, gleichwohl die einschränkende Auslegung des Bundesarbeitsgerichts als notwendig erachtet, um die Vereinbarkeit des § 1a AEntG a. F. mit dem Verfassungsrecht zu gewährleisten. Dies verleitet zu dem Schluss, dass eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 13 MiLoG auch aus verfassungsrechtlicher Sicht notwendig ist.266

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So aber Bertram GWR 2015, S. 26 (27). Vgl. Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 11; Schubert/ Jerchel/Düwell, Das neue Mindestlohngesetz, Rdnr. 228. So zum Beispiel Greiner in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, MiLoG § 13, Rdnr. 8. So zum Beispiel Sick RdA 2016, S. 224 (225).

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 20. März 2007 die Vereinbarkeit des § 1a AEntG a. F. mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit gemäß Artikel 12 Abs. 1 GG vornehmlich damit begründet, dass ein Hauptunternehmer ein zusätzliches Risiko schafft, indem er die Beachtung zwingender Mindestarbeitsbedingungen aus der Hand gibt und die Durchsetzung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes erschwert; deshalb sei es gerechtfertigt, ihm eine „Mitverantwortung“ zuzuweisen.267 Im Ergebnis bedeutet dies, dass der Unternehmer, der kein zusätzliches Risiko schafft – weil er die Beachtung zwingender Mindestarbeitsbedingungen nicht aus der Hand gibt, da er eigene Arbeitnehmer gar nicht einsetzen kann – nicht der Haftung aus § 1a AEntG a. F. ausgesetzt werden kann.268 Dies bedeutet dann, dass er dem finanziellen Risiko der Auftraggeberhaftung nicht ausgesetzt ist. Diese Argumentation ist auf § 13 MiLoG wiederum übertragbar: Auch hier kann man differenzieren zwischen Unternehmern, die ein zusätzliches Risiko schaffen, indem sie die Beachtung des Mindestlohngesetzes aus der Hand geben (also die Fälle, in denen ein Unternehmer etwas aus der Hand gibt, was er mit eigenen Arbeitnehmern leisten könnte), und Unternehmern, die einen anderen Unternehmer beauftragen, weil sie etwas gerade nicht mit eigenen Arbeitnehmern leisten können; diese schaffen dann gerade kein zusätzliches Risiko. Das Grundrecht auf Berufsfreiheit spricht damit auch für eine Einschränkung des Anwendungsbereichs von § 13 MiLoG.269 Im Gleichlauf zu § 14 AEntG gilt aber auch im Rahmen von § 13 MiLoG, dass die Tatbestandsvoraussetzung des Unternehmers nicht der geeignete Anknüpfungspunkt für eine Einschränkung des Anwendungsbereichs darstellt. Überhaupt ist aus dogmatischer Sicht nicht an eine bestimmte Tatbestandsvoraussetzung anzuknüpfen. Vielmehr muss auch bei § 13 MiLoG eine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs der Norm zu einer ungeschriebenen Tatbestandsvoraussetzung führen.270 b)

„der einen anderen Unternehmer“

Bei dieser Tatbestandsvoraussetzung kann ebenfalls auf die Auslegung zu § 14 Satz 1 AEntG zurückgegriffen werden. Denn insofern verlangt das Mindestlohngesetz keine eigenständige Begriffsbestimmung des „Unternehmers“.271

267 268 269 270 271

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.03.2007 – 1 BvR 1047/05, NZA 2007, S. 609 (612). So auch Bayreuther NZA 2015, S. 961 (962). So auch Klötzer-Assion/Mahnhold wistra 2015, S. 88 (91). Beck GE 2015, S. 429 (430) fordert im Ergebnis eine entsprechende „klarstellende Gesetzesänderung“. Vgl. oben unter Zweites Kapitel. B IV 2 a) aa).

B

Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG

c)

„mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt“

67

Gleiches gilt für die Tatbestandsvoraussetzung der Beauftragung mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen.272 Für die Bestimmung dieser Tatbestandsvoraussetzung ist auf die Auftraggeberhaftung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz abzustellen. Mithin kommt es allein auf die Art der Leistung und nicht auf etwaige vertragliche Beziehungen an, Letztere müssen nicht einmal wirksam sein. Der Begriff der Werk- oder Dienstleistungen ist umfassend zu verstehen.273 d)

Ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung zur Einschränkung des Anwendungsbereichs als Ergebnis einer teleologischen Reduktion

Unterschiede ergeben sich aber bei der ungeschriebenen Tatbestandsvoraussetzung zur Einschränkung des Anwendungsbereichs. Im Rahmen von § 14 Satz 1 AEntG wurde als Ergebnis einer teleologischen Reduktion eine Einschränkung für die Fälle vorgenommen, in denen die Beauftragung eines Subunternehmers mit einer Werk- oder Dienstleistung der Erfüllung von gegenwärtigen oder künftigen Interessen Dritter dient und in die Geschäftstätigkeit des Auftraggebers fällt. Fraglich ist jedoch, ob es im Rahmen des § 13 MiLoG allein bei dieser Einschränkung bleiben kann oder ob noch weitere Umstände einen Haftungsfall begründen können. Es kann insofern gegebenenfalls an das durch § 13 MiLoG zu schützende Risiko angeknüpft werden. § 13 MiLoG soll den Mindestlohnanspruch effektiv durchsetzen und präventiv vor der Nichtleistung des Mindestlohns schützen.274 Es soll also eine Gefahr für Arbeitnehmer minimiert werden. Diese Gefahr ist vor allem in zwei Konstellationen greifbar: Als eine Konstellation kann die Beauftragung mit Werk- oder Dienstleistungen aus betriebswirtschaftlichen Gründen betrachtet werden. Unternehmer beauftragen einen Subunternehmer, um bewusst selbst mehr Flexibilität zu gewinnen und betriebswirtschaftliche Risiken (zum Beispiel Personalkosten) zu minimieren. Diese Risiken werden auf den Subunternehmer abgewälzt, was für den Arbeitnehmer des Subunternehmers wiederum eine „Gefahr“ für die Durchsetzbarkeit seines Anspruchs nach § 1 Abs. 1 MiLoG darstellt. Unter diese Konstellation können einerseits Werk- oder Dienstleistungen zur Erfüllung im Interesse Dritter fallen, andererseits aber auch solche Werk- oder Dienstleistungen, die nur mittelbar der Geschäftstätigkeit des Unternehmers dienen.

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Vgl. zudem Bayreuther NZA 2015, S. 961 (964). Vgl. auch Bayreuther NZA 2015, S. 961 (964); Lakies, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 9; Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 28 jeweils m. w. N. Vgl. oben unter Zweites Kapitel. B II.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

Als weitere Konstellation kann eine „Haftungsvermeidung“ angesehen werden: Dies nutzen Unternehmer, die einen Subunternehmer einsetzen, der wirtschaftlich vom Auftraggeber abhängig ist. Der Subunternehmer kann also faktisch seinen Arbeitgeberverpflichtungen, mithin auch seiner Pflicht aus § 1 Abs. 1 MiLoG, nicht eigenständig bzw. selbstbestimmt nachkommen. Der Auftraggeber kann dadurch jedoch seine Haftungsrisiken vermeiden. Er entzieht sich also seiner rechtlichen Haftung, obwohl er faktisch wie der Arbeitgeber für die Arbeitnehmer des Auftragnehmers auftritt. In dieser Konstellation ist der Begriff der Durchgriffshaftung275 im Vergleich mit der Verwendung des Begriffs (beispielsweise) im Gesellschaftsrecht gerechtfertigt: Dort gibt es Fälle, in denen es unbillig erscheint, dass der Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung trotz seines Verhaltens oder trotz besonderer Umstände den Schutz des Haftungsprivilegs des § 13 Abs. 2 GmbHG genießen darf.276 In der hier skizzierten Konstellation erscheint es auch unbillig, dass der Unternehmer den Schutz der Beauftragung genießen darf, obgleich er wirtschaftlich und faktisch, aber allein nicht rechtlich wie der Arbeitgeber agiert. Der Unternehmer hat die Privilegien des Auftraggebers gegenüber den Pflichten eines Arbeitgebers nicht „verdient“. Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG i. V. m. § 14 Satz 1 AEntG entsprechend ist demnach – positiv formuliert – in drei Fällen anwendbar: - Die Beauftragung eines Subunternehmers mit einer Werk- oder Dienstleistung dient der Erfüllung von Interessen Dritter und fällt in die Geschäftstätigkeit des Auftraggebers; - der Unternehmer beauftragt einen Subunternehmer mit einer Werk- oder Dienstleistung, um unternehmerische Flexibilität zu gewinnen und seine betriebswirtschaftlichen Risiken zu minimieren; oder - der Unternehmer beauftragt einen wirtschaftlich von ihm abhängigen Subunternehmer mit Werk- oder Dienstleistungen und „schwimmt“ sich dadurch von der „Haftung“ als Arbeitgeber frei, der Auftraggeber sich also seiner Arbeitgeberpflichten entledigen will.

275 276

Vgl. zum Beispiel BT-Drs. 14/45, S. 26. Vgl. eingehend Lieder in: Michalski GmbHG, GmbHG § 13, Rdnr. 331 - 481.

B

Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG

V

Rechtsfolgen

69

Hinsichtlich der Rechtsfolge der Haftung verweist § 13 MiLoG gleichermaßen auf die entsprechende Anwendung des § 14 AEntG. 1

Haftungsgegenstand

Haftungsgegenstand bei der Auftraggeberhaftung nach § 14 Satz 1 AEntG ist – wie aufgezeigt – einerseits die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestentgelts an Arbeitnehmer nach § 8 AEntG, andererseits die Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien nach § 8 AEntG. Das Mindestlohngesetz kennt indes weder eine Verpflichtung zur Zahlung eines Mindestentgelts an Arbeitnehmer, noch eine Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien. a)

Der Mindestlohnanspruch

Eine den in § 14 Satz 1 AEntG genannten vergleichbare Pflicht kennt das Mindestlohngesetz aber in § 20, den Pflichten des Arbeitgebers zur Zahlung des Mindestlohns: „Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland sind verpflichtet, ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns nach § 1 Absatz 2 spätestens zu dem in § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 genannten Zeitpunkt zu zahlen.“ Diese Verpflichtung korrespondiert mit dem Anspruch eines jeden Arbeitnehmers auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber aus § 1 Abs. 1 MiLoG. Die Regelung des § 20 MiLoG ist mit der Regelung des § 8 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 AEntG vergleichbar. Da § 13 MiLoG eine entsprechende Anwendung des § 14 Satz 1 AEntG anordnet und die Auftraggeberhaftung sich auf Verpflichtungen aus dem Mindestlohngesetz beziehen soll, ist Gegenstand der Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG in entsprechender Anwendung des § 14 Satz 1 AEntG die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung des Mindestlohns nach § 20 MiLoG. Gegenstand der Haftung ist also nicht etwa allein der Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung eines Arbeitsentgelts in Höhe des Mindestlohns aus § 1 Abs. 1 MiLoG.277 Somit ist die Regelung des § 20 MiLoG auch nicht etwa „überflüssig“278, sondern findet ihre Berech-

277 278

So wohl aber Lelley in: Thüsing MiLoG/AEntG, MiLoG § 13, Rdnr. 17, der davon spricht, dass der Unternehmer gegenüber dem Arbeitnehmer auf die Zahlung des Mindestlohns haftet. So aber Bayreuther in: Thüsing MiLoG/AEntG, MiLoG § 20, Rdnr. 1.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

tigung sowohl (jedenfalls) in der Auftraggeberhaftung, als auch als Voraussetzung für öffentlich-rechtliche Kontroll- und Sanktionsbefugnisse279. Hinsichtlich des Mindestlohnanspruchs aus § 1 Abs. 1 MiLoG, welcher der Verpflichtung aus § 20 MiLoG zugrunde zu legen ist, stellen sich verschiedene Einzelfragen. Dazu zählt etwa das Verhältnis dieses gesetzlichen Anspruchs zu einem arbeitsvertraglichen Entgeltanspruch280 – insofern kann man dieses Verhältnis als ein Nebeneinander der beiden Ansprüche qualifizieren.281 Zudem ist der Mindestlohn nach wohl nunmehr allgemeiner Ansicht „im Kern in jeder Arbeitsvergütung eines jeden Arbeitnehmers enthalten“, sodass die Regelungen, insbesondere Schutzregelungen des Mindestlohngesetzes auf jeden in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer Anwendung finden, gleichviel ob er ein Entgelt „nur“ in Höhe des Arbeitsentgelts oder darüber hinaus erhält.282 Weiterhin sind die mindestlohnwirksamen Leistungen des Arbeitgebers umstritten, das heißt, die Frage, welche Leistungen des Arbeitgebers auf den Mindestlohn anzurechnen sind.283 Trotz der hohen praktischen Relevanz dieser Frage bedarf sie keiner tiefergehenden Untersuchung für diese Arbeit. Denn es wird hier von dem Fall ausgegangen, dass ein Arbeitnehmer den Auftraggeber in Anspruch nehmen möchte, was indes nur der Fall ist, wenn er keinerlei Leistungen von seinem Arbeitgeber erhalten hat. Hinsichtlich der Höhe der Haftung gibt § 14 Satz 2 AEntG, der ebenfalls entsprechend anwendbar ist, einen Anhaltspunkt. Danach umfasst das „Mindestentgelt nur den Betrag, der nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechender Aufwendungen zur sozialen Sicherung an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen auszuzahlen ist (Nettoentgelt).“ Es handelt sich der Höhe nach bei § 13 MiLoG also ebenfalls um eine „Netto“-Haftung. Es sind demnach persönliche Faktoren der jeweiligen Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Berücksichtigung bei der Berechnung des Nettoentgelts finden die jeweilige Steuerklasse, etwaige Steuerfreibeträge und andere steuerliche Besonderheiten sowie die jeweilige Art und Weise der Krankenversicherung. Die Haftung ist also auf einen im Vorhinein nicht vollumfänglich feststellbaren Höchstbetrag, der nicht nur von den oben aufgeführten persönlichen Faktoren abhängt, sondern auch von der Anzahl der eingesetzten Arbeitnehmer und deren tatsächlicher Arbeitszeit abhängt, begrenzt. Die konkrete Hö-

279 280

281 282 283

Letzteres so auch Bayreuther in: Thüsing MiLoG/AEntG, MiLoG § 1, Rdnr. 6. Die Regelung des § 611a Abs. 2 BGB verdeutlicht, dass die Vergütungspflicht des Arbeitgebers „essentialium negotii des Arbeitsvertrages“ ist, vgl. dazu Joussen in: Rolfs/Giesen/ Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, BGB § 611a, Rdnr. 36, sodass dieser Anspruch stets in einem Konkurrenzverhältnis zum Mindestlohnanspruch steht. Vgl. Bayreuther in: Thüsing MiLoG/AEntG, MiLoG § 1, Rdnr. 4 m. w. N. Dazu eingehend Bayreuther in: Thüsing MiLoG/AEntG, MiLoG § 1, Rdnr. 11 - 13 m. w. N. Dazu eingehend Bayreuther in: Thüsing MiLoG/AEntG, MiLoG § 1, Rdnr. 87 - 142 m. w. N.

B

Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG

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he ist nicht ohne Weiteres feststellbar. In einem Fall – zum Mindestlohn in der ursprünglichen Höhe von EUR 8,50 – vertritt Hlava die Auffassung, dass bei Zugrundelegung einer Versicherungspflicht in der deutschen Sozialversicherung rechnerisch je nach Steuerklasse eine Nettolohnhaftung in Höhe von EUR 6,50 bestünde.284 In einem anderen Fall gibt Hlava die Nettolohnhaftung bei gleichem Sachverhalt mit einem Betrag in Höhe von EUR 6,70 an.285 Dies allein zeigt die dargelegten Schwierigkeiten der vorherigen Berechnung. b)

Erfasste Ansprüche

Für die Auftraggeberhaftung stellt sich wie bei § 14 AEntG gleichermaßen die Frage, welche Ansprüche – neben dem Mindestlohn – von der Haftung erfasst sind. Der Mindestlohnanspruch als solcher besteht nur für tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung. Dies ist gesetzlich einerseits in § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG angelegt, wonach der Mindestlohn „je Zeitstunde“ zu berechnen ist. Andererseits spricht § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MiLoG von „in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde“. Entscheidend ist daher, dass der Arbeitnehmer tatsächlich Arbeit geleistet hat.286 Dafür spricht auch, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 13 MiLoG die zu § 14 AEntG ergangene Rechtsprechung auf die Auftraggeberhaftung nach dem Mindestlohngesetz „übertragen“ wollte.287 Da zu § 1a AEntG a. F. das Bundesarbeitsgericht die Haftung allein auf die Vergütung für tatsächlich geleistete Arbeit beschränkt hat288, sollte diese Beschränkung nach dem gesetzgeberischen Willen auch für § 13 MiLoG Geltung erhalten. aa) Annahmeverzug Im Falle des Annahmeverzugs des Arbeitgebers entfällt zwar zunächst nach § 326 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BGB der Anspruch auf den Mindestlohn, wird aber durch § 615 Satz 1 BGB schließlich aufrechterhalten, der eine Ausnahme zu § 326 Abs. 1 BGB enthält.289 Mithin hat der Arbeitgeber auch im Falle des Annahmeverzugs den Mindestlohn zu zahlen.290 Dies spricht wiederum für die Einbeziehung eines Annahmeverzugslohns in die Auftraggeberhaftung des § 13 MiLoG.

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Hlava, in: Husemann/Wietfeld, Zwischen Theorie und Praxis - Herausforderungen des Arbeitsrechts, Anspruch und Wirklichkeit des gesetzlichen Mindestlohns, S. 95 (120) m. w. N. Hlava SR 2016, S. 17 (28). So auch Bayreuther in: Thüsing MiLoG/AEntG, MiLoG § 1, Rdnr. 33 - 34. BT-Drs. 18/2010 (neu), S. 23. BAG, Urteil vom 12.01.2005 – 5 AZR 617/01, NZA 2005, S. 627 (634). Vgl. Ernst in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Krüger MünchKomm-BGB Band 2, BGB § 326, Rdnr. 5. Im Ergebnis so auch Bayreuther in: Thüsing MiLoG/AEntG, MiLoG § 1, Rdnr. 59, wonach der Vergütungsanspruch „sich nicht mehr alleine auf § 1 stützen“ lässt.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

Dagegen spricht aber – entsprechend zu § 14 AEntG –, dass es an einer notwendigen Beziehung zwischen dem Auftrag und der „Arbeitsleistung“ des Arbeitnehmers fehlt. Der Arbeitnehmer hätte zwar arbeiten können, doch begründet sich die fehlende Arbeitsleistung in einem Verhalten des Arbeitgebers. Dieses Risiko soll von § 13 MiLoG aber nicht abgedeckt werden. Es geht im Hinblick auf den Anspruch des Arbeitnehmers vielmehr nur darum, eine Vergütung für geleistete Arbeit im Rahmen des Auftrags abzusichern. Daher sind Annahmeverzugslöhne nicht von der Auftraggeberhaftung umfasst.291 Bayreuther nimmt insofern eine teleologische Reduktion des § 14 AEntG vor; die Haftung ist nur gerechtfertigt, sofern der Auftraggeber einen Gegenwert erhält, namentlich in Form der erbrachten Arbeitsleistung.292 Dem ist aus den genannten Gründen zuzustimmen. bb) Entgeltfortzahlung Für den Fall der Entgeltfortzahlung gilt das zu § 14 AEntG Gesagte entsprechend. Es fehlt auch hier an einer tatsächlichen Arbeitsleistung des Arbeitnehmers. Für den Anspruch aus § 3 Abs. 1 EFZG besteht somit keine Haftung aus § 13 MiLoG.293 Europarechtliche Erwägungen können insofern nicht nutzbar gemacht werden, als das Mindestlohngesetz der Umsetzung europäischen Rechts dient und damit keinen entsprechenden Anknüpfungspunkt besitzt. cc) Ansprüche auf Urlaubsentgelt Für die Ansprüche auf Urlaubsentgelt kann das zu § 14 AEntG Gesagte entsprechend herangezogen werden: Zwar könnte man zunächst den Auftraggeber dann für Ansprüche auf Urlaubsentgelt haftbar machen, wenn der Arbeitnehmer in einem Zeitraum urlaubsbedingt abwesend ist, in dem er unter normalen Umständen für den Auftrag Arbeit geleistet hätte. Gleichwohl muss hier wegen des Verweises auf § 14 AEntG und dem Erfordernis der tatsächlichen Arbeitsleistung sowie der dortigen Unterscheidung zwischen Mindestentgelt und Urlaubsentgelt davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber das Urlaubsentgelt nicht als umfasst ansehen wollte.294

291 292 293 294

So auch Lakies, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 27. Bayreuther NZA 2015, S. 961 (965). So auch Lakies, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 27; Vogelsang/Wensing NZA 2016, S. 141 (142). Vgl. auch Lakies, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 27.

B

Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG

73

dd) Zwischenergebnis Somit stellt sich der Umfang der erfassten Ansprüche für § 13 MiLoG in gleichem Rahmen wie für § 14 AEntG dar. Es sind nur Mindestlohnansprüche für tatsächlich geleistete Arbeit erfasst. c)

Reichweite der Haftung

Keine Abweichungen zu § 14 AEntG ergeben sich bei der Reichweite der Haftung. Auch wird man hier die gezogenen Grenzen der Kettenhaftung anwenden können. Es bedarf also eines „notwendigen Verantwortungszusammenhangs“295 bzw. einer „hinreichenden Verantwortungsbeziehung“296. Diese ist gegeben, wenn eine lückenlose Ketten-Beauftragung zwischen Auftraggeber und originär verpflichtetem Arbeitgeber besteht.297 d)

Insolvenz des Nachunternehmers

In Anlehnung an die Frage der Haftung des Auftraggebers nach § 14 AEntG im Falle der Insolvenz des Nachunternehmers stellt sich auch für § 13 MiLoG die Frage nach der Haftung des Auftraggebers im Falle der Insolvenz des Nachunternehmers. Die Ausführungen zu § 14 AEntG sprechen bei § 13 MiLoG ebenfalls für einen Fortbestand der Haftung im Fall der Insolvenz des Nachunternehmers298, also dafür, dass sich der Auftraggeber nicht im Wege einer rechtsvernichtenden Einrede auf die Insolvenz berufen kann. Gegen dieses Ergebnis spricht auch nicht etwa der insolvenzrechtliche allgemeine Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz, wonach alle Gläubiger des Insolvenzschuldners gleich zu behandeln sind.299 Mit Berufung auf diesen Grundsatz ziehen Bissels,

295 296 297

298

299

Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 20. Reinfelder folgend: Hlava, in: Husemann/Wietfeld, Zwischen Theorie und Praxis - Herausforderungen des Arbeitsrechts, Anspruch und Wirklichkeit des gesetzlichen Mindestlohns, S. 95 (122). Heukenkamp, Gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland und Frankreich, S. 404 - 405 diskutiert darüber hinaus die Haftungsverteilung, wenn ein Arbeitgeber seine Arbeitnehmer für verschiedene Aufträge einsetzt. Sie kommt zu dem notwendigen Schluss, dass jeder Auftraggeber nur für den Anteil seiner Beauftragung haftet. Dies ist aber kein Fall der Kettenhaftung. So auch Bayreuther NZA 2015, S. 961 (966); Sittard in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, MiLoG § 13, Rdnr. 8; andere Ansicht Bissels/Falter/Krings DB 2015, S. 1962 (1964 - 1965); Kühn/Reich BB 2014, S. 2938 (2939), die eine Einschränkung im Falle der Insolvenz als verfassungsrechtlich geboten ansehen; Oltmanns/Fuhlrott NZA 2015, S. 392 (395); Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 53 - 54; Worzalla PuR 2014, S. 179 (180); ausdrücklich offenlassend BAG, Urteil vom 08.12.2010 – 5 AZR 95/10, NZA 2011, S. 514; BVerfG, Beschluss vom 20.03.2007 – 1 BvR 1047/05, NZA 2007, S. 609; Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 27. Vgl. Ehricke in: Kirchhof/Eidenmüller/Stürner MünchKomm-InsO Band 1, InsO § 38, Rdnr. 4.

74

Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

Falter und Krings den Schluss, dass es die anderen Gläubiger benachteiligen würde, wenn die Arbeitnehmer sich über § 13 MiLoG einen „zweiten Schuldner verschaffen könnten“, da sich die Arbeitnehmer dann „von der Allgemeinheit der übrigen Gläubiger abheben“ würden.300 Ferner verweisen die Autoren auf § 613a BGB, bei welchem eine Haftung des neuen Betriebsinhabers allein für Verbindlichkeiten besteht, die nach der Insolvenzeröffnung entstehen, was (allgemein anerkannt) ebenfalls mit dem allgemeinen Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz begründet wird.301 Diese Argumente überzeugen jedoch nicht: Zunächst besteht ein Unterschied, ob eine Gruppe von Gläubigern bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen „zweiten Schuldner“ hat (so bei § 13 MiLoG) oder erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen „zweiten Schuldner“ bekäme (so bei § 613a BGB302). Die Ausgangssituationen von § 13 MiLoG und § 613a BGB sind mithin nicht vergleichbar. Die Situation der Arbeitnehmer bei § 13 MiLoG ist beispielsweise vergleichbar mit einer Bank, die der Insolvenzschuldnerin ein Darlehen gewährt, dafür aber Sicherheiten verlangt. Auch die Bank steht anders dar als diejenigen Gläubiger, die nur eine Forderung haben. Darüber hinaus profitieren auch die anderen Gläubiger von einem Fortbestand der Auftraggeberhaftung: Die Arbeitnehmer müssen deswegen (wenn überhaupt) nur geringere Forderungen zur Insolvenztabelle anmelden. Dadurch erhöht sich die Insolvenzquote für die weiteren Gläubiger. Im Ergebnis kann daher der Argumentation von Bissels, Falter und Krings nicht gefolgt werden. Es bleibt damit festzuhalten, dass die Haftung des Auftraggebers nach § 13 MiLoG auch in der Insolvenz des Nachunternehmers fortbesteht303 und der Auftraggeber auch insofern nicht etwa eine rechtsvernichtende Einwendung geltend machen kann. 2

Die Haftung wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat

Hinsichtlich der Art und Weise der Haftung – namentlich der Haftung wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat – ergeben sich keine Besonderheiten zu § 14 Satz 1 AEntG. Denn insofern fehlt es bei § 13 MiLoG für über die des § 14 AEntG hinausgehende Anknüpfungspunkte. Es kann somit auf die obigen Ausführungen sowie die folgenden im dritten Kapitel verwiesen werden.

300 301 302 303

Bissels/Falter/Krings DB 2015, S. 1962 (1964). Bissels/Falter/Krings DB 2015, S. 1962 (1965) m. w. N. Vgl. dazu eingehend Krüger, Arbeitgeberähnliche Pflichten des Dritten in arbeitsrechtlichen Dreieckskonstellationen, S. 51 - 55 m. w. N. Im Ergebnis so auch Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 27 m. w. N.

B

Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG

3

Abdingbarkeit

75

Nach § 3 Satz 1 MiLoG sind Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, insoweit unwirksam. Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer kann nach Satz 2 auf den entstandenen Anspruch nach § 1 Abs. 1 MiLoG nur durch gerichtlichen Vergleich verzichten; im Übrigen ist ein Verzicht ausgeschlossen. Die Verwirkung des Anspruchs ist schließlich nach Satz 3 ausgeschlossen.304 Auch § 3 MiLoG bezweckt den Schutz der Arbeitnehmer, indem (jedenfalls) der Mindestlohnanspruch für zwingend erklärt wird.305 Der Wortlaut des § 3 MiLoG geht dabei über den des § 9 AEntG hinaus, da nicht nur der Verzicht und die Verwirkung ausdrücklich genannt werden, sondern abstrakte Vereinbarungen als unwirksam erklärt werden, die den Anspruch unterschreiten und seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen.306 Fraglich ist daher, ob die Auftraggeberhaftung unter die Geltendmachung des Anspruchs auf Mindestlohn fällt und daher Vereinbarungen, die die Auftraggeberhaftung beschränken oder ausschließen, unwirksam sind. § 3 Satz 1 MiLoG bezieht sich aber allein auf den Mindestlohnanspruch. Allein auf dessen Entstehung und Geltendmachung (also dessen Durchsetzbarkeit) zielt die Vorschrift ab.307 Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG ist demnach nicht von dem Regelungsgehalt des § 3 MiLoG erfasst. Das Mindestlohngesetz schließt mithin die Abdingbarkeit der Auftraghaftung nicht aus. Gleichwohl kann insofern die Auftraggeberhaftung wiederum nur durch eine Vereinbarung unmittelbar zwischen Haftungsinhaber und Haftungsverpflichtetem abbedungen werden. Die Haftung unterliegt nicht der Disposition von Auftraggeber und Auftragnehmer.

304

305 306

307

Eingehend zu § 3 MiLoG Franzen JbArbR, Bd. 52 2015, S. 67 (88 - 90); Heukenkamp, Gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland und Frankreich, S. 336 - 534; Hlava, in: Husemann/Wietfeld, Zwischen Theorie und Praxis - Herausforderungen des Arbeitsrechts, Anspruch und Wirklichkeit des gesetzlichen Mindestlohns, S. 95 (99 - 101); Pötters/Krause NZA 2015, S. 398 (399). Vgl. Greiner in: Thüsing MiLoG/AEntG, MiLoG § 3, Rdnr. 1. Ausschlussfristen unterliegen auch § 3 MiLoG, vgl. insofern eingehend Preis/Ulber, Ausschlussfristen und Mindestlohngesetz, S. 21 ff.; Trümmer in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 3, Rdnr. 20 - 45; sowie mit einem Überlick zur bisher ergangenen Rechtsprechung Fuhlrott ArbRAktuell 2018, S. 85 (86 - 87). Franzen in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt Erfuter Kommentar, MiLoG § 3, Rdnr. 1; Trümmer in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 3, Rdnr. 10.

76 C

Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen Die prozessuale Durchsetzung der Auftraggeberhaftung

Weder die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG noch nach § 14 AEntG haben eine große Relevanz in der Rechtsprechung, was allein schon durch die geringe Anzahl der Rechtsstreitigkeiten über § 14 AEntG vor dem Bundesarbeitsgericht deutlich wird. § 13 MiLoG ist bis heute (soweit ersichtlich) sogar noch gar nicht Gegenstand eines Rechtsstreits vor dem Bundesarbeitsgericht geworden. Auch die bestehenden Entscheidungen gründen regelmäßig nicht auf einer Klage eines Arbeitnehmers. Über die Gründe für diese geringe praktische Bedeutung der Auftraggeberhaftung in der Rechtsprechung lässt sich nur spekulieren, wofür in dieser Arbeit naturgemäß kein Raum ist. Auf die schriftliche Frage der Abgeordneten Azize Tank (DIE LINKE), welchen regulatorischen Handlungsbedarf die Bundesregierung vor dem Hintergrund der bisherigen Praxis der Anwendung der Vorschriften aus § 14 des ArbeitnehmerEntsendegesetzes sehe, damit Beschäftigte im Falle von Lohnraub bzw. Verweigerung des Abschlusses eines Arbeitsvertrages gegenüber dem Bauherrn bzw. Generalunternehmer Ansprüche geltend machen können, bzw. welche Gesetzeskorrekturen die Bundesregierung für notwendig halte, um dem Grundgedanken der Vorschrift gerecht zu werden und die soziale Sicherheit und den Schutz der Beschäftigten zu gewährleisten, antwortete die Bundesregierung am 21. Januar 2015: „Nach § 14 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) haftet ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers, eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers zur Zahlung des Mindestentgelts an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen nach § 8 AEntG wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. § 14 AEntG erweitert damit zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Kreis der Schuldner, an die sie sich zur Erfüllung ihres Anspruchs auf Arbeitsentgelt wenden können. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten damit einen Anspruch gegen einen Dritten, mit dem sie in keinem Vertragsverhältnis stehen. In Fällen, in denen der Arbeitgeber nicht zahlungswillig oder -fähig ist, kann der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin die Auftraggeber seines oder ihres Arbeitgebers über die gesamte Auftragskette in Anspruch nehmen. Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG knüpft an den Entgeltanspruch der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers gegen ihren oder seinen Arbeitgeber an. Maßgeblich für das Bestehen des Entgeltanspruchs sind auch hier die tatsächlichen Verhältnisse. Die Haftung besteht in Höhe des Mindestentgelts, das der Arbeitgeber aufgrund einer Rechtsverordnung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu zahlen verpflichtet ist, d. h. etwa nach der Neunten Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe (9. BauArbbV). Besteht ein entsprechender Anspruch, so haftet der Auftraggeber neben dem Arbeitgeber verschuldensunabhängig, also auch unabhängig

C

Die prozessuale Durchsetzung der Auftraggeberhaftung

77

davon, ob er die fehlende Willigkeit oder Fähigkeit des Nachunternehmers, den Lohnanspruch des Arbeitnehmers zu erfüllen, hätte kennen müssen oder können. Für entsandte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besteht nach § 15 AEntG, unabhängig davon, in welchem Staat ansonsten Ansprüche aus dem betreffenden Arbeitsverhältnis geltend zu machen sind, die Möglichkeit, den Anspruch auf § 14 AEntG vor den deutschen Arbeitsgerichten einzuklagen. Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass diese strenge Haftung mit der Klagemöglichkeit im Inland in der bestehenden Form nicht dem sozialen Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gerecht wird.“308 Einen Änderungsbedarf hielt die Bundesregierung damit also nicht für notwendig, auch nicht im prozessualen Bereich – obgleich dieser prozessuale Bereich in der Praxis wohl keine besondere Relevanz hat und insofern für eine Einschätzung der Bundesregierung auch nicht auf entsprechende Erfahrungen zurückgegriffen werden kann. Auch wenn sich Spekulationen über die geringe Anzahl von Rechtsstreitigkeiten über die Auftraggeberhaftungen nach § 14 Satz 1 AEntG und § 13 MiLoG jedenfalls im Rahmen dieser Arbeit verbieten, stellt sich die Frage, wie die Möglichkeiten der prozessualen Durchsetzung eines etwaigen Anspruchs aus § 14 Satz 1 AEntG bzw. § 13 MiLoG ausgestaltet sind. Möglicherweise zeigen sich hierbei in der Theorie Schwierigkeiten auf, die eine Durchsetzung in der Praxis erschweren. I

Rechtsweg

1

§ 14 AEntG

Nach § 15 Satz 1 AEntG können Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die in den Geltungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes entsandt sind oder waren, eine auf den Zeitraum der Entsendung bezogene Klage auf Erfüllung der Verpflichtungen nach den §§ 2, 8 oder 14 auch vor einem deutschen Gericht für Arbeitssachen erheben. Diese Klagemöglichkeit besteht nach Satz 2 auch für eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien nach § 5 Nr. 3 in Bezug auf die ihr zustehenden Beiträge. Für die genannten Fälle wird eine internationale und (sachliche) Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen normiert,309 wobei auch die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen angeordnet wird.

308 309

BT-Drs. 18/3812, S. 28 - 29. Gussen in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, AEntG § 15, Rdnr. 1; Mohr in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 15, Rdnr. 1; Schlachter in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt Erfuter Kommentar, AEntG § 15, Rdnr. 1.

78

Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

In Deutschland lebende und tätige Arbeitnehmer sind vom Wortlaut des § 15 Satz 1 AEntG hingegen nicht erfasst. Aus dem Zweck einer effektiven und einheitlichen Durchsetzung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes einerseits und der ausdrücklichen Bezugnahme auf die Arbeitsgerichte in § 15 Satz 1 AEntG andererseits wird jedoch aus § 15 Satz 1 AEntG die allgemeine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für Klagen auf Erfüllung der Verpflichtungen nach den §§ 2, 8 oder 14 AEntG entnommen.310 2

§ 13 MiLoG

Das Mindestlohngesetz hingegen beinhaltet keine entsprechende Vorschrift. Auch verweist es nicht auf § 15 AEntG (entsprechend). Insbesondere besteht kein gesonderter Bedarf, eine internationale Zuständigkeit im Rahmen des Mindestlohngesetzes zu normieren, fehlt es im Mindestlohngesetz an der gesonderten Regelung eines internationalen Sachverhalts. a)

Grundsatz

Fraglich ist indes, welche Gerichte dann für Klagen auf Erfüllung der Verpflichtung aus § 13 MiLoG in Ermangelung einer besonderen Normierung zuständig sind. Eine analoge Anwendung des § 15 AEntG kommt – wenn überhaupt – nur dann in Betracht, wenn eine planwidrige Regelungslücke besteht und die Interessenlagen vergleichbar sind.311 Es fragt sich daher zunächst, ob eine gesetzliche Regelung zur Zulässigkeit des Rechtswegs für eine Klage auf Erfüllung der Verpflichtung aus § 13 MiLoG besteht. Bei der Klage auf Erfüllung der Verpflichtung aus § 13 MiLoG handelt es sich um eine zivilrechtliche Streitigkeit, weil auf beiden Seiten Privatpersonen beteiligt sein können312. Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte wird gemäß § 1 ZPO durch das Gesetz über die Gerichtsverfassung bestimmt. Gemäß § 13 GVG gehören vor die ordentlichen Gerichte unter anderem bürgerliche Rechtsstreitigkeiten. §§ 2 ff. ArbGG normieren davon abweichend, wann die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig sind.313 Damit die Gerichte für Arbeitssachen zuständig sind, müsste also ein Fall der §§ 2 ff. ArbGG vorliegen. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG sind die Ge310 311 312

313

Vgl. dazu näher BAG, Beschluss vom 11.09.2002 – 5 AZB 3/02, NZA 2003, S. 62; Mohr in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 15, Rdnr. 3 m. w. N. Vgl. zu den Voraussetzungen einer Analogie BGH, Urteil vom 13.03.2003 – I ZR 290/00, NJW 2003, S. 1932 (1933); sowie eingehend auch unten unter Viertes Kapitel. A I. 2 a) aa). Vgl. zur Abgrenzung einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit Meller-Hannich, Zivilprozessrecht, Rdnr. 227 - 231; Rathmann in: Saenger Hk-ZPO, GVG § 13, Rdnr. 11 - 14; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rdnr. 8 - 9; Zimmermann in: Krüger/Rauscher MünchKomm-ZPO Band 3, GVG § 13, Rdnr. 8. Vgl. zur Abgrenzung der Zivilgerichtsbarkeit von der Arbeitsgerichtsbarkeit Meller-Hannich, Zivilprozessrecht, Rdnr. 232 m. w. N.

C

Die prozessuale Durchsetzung der Auftraggeberhaftung

79

richte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Bei § 13 MiLoG handelt es sich indes regelmäßig um eine Streitigkeit zwischen Auftraggeber und Arbeitnehmern des Auftragnehmers, sodass § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG nicht einschlägig ist. Ein weiterer Fall des § 2 oder des § 2a ArbGG, der für die Auftraggeberhaftung einschlägig ist, ist nicht ersichtlich. Jedoch könnte sich eine Zuständigkeit aus § 3 ArbGG ergeben: „Die in den §§ 2 und 2a begründete Zuständigkeit besteht auch in den Fällen, in denen der Rechtsstreit durch einen Rechtsnachfolger oder durch eine Rechtsperson geführt wird, die kraft Gesetzes an Stelle des sachlich Berechtigten oder Verpflichteten hierzu befugt ist.“ Der Auftraggeber ist jedoch weder Rechtsnachfolger des Auftragnehmers, weil er nur für die Verpflichtung des Auftragnehmers haftet und nicht in die Stellung des Auftragnehmers einrückt. Noch ist der Auftraggeber kraft Gesetzes an Stelle des Verpflichteten (des Arbeitgebers) zur Führung des Rechtsstreits befugt. Die Zuständigkeit kann sich mithin auch nicht aus § 3 i. V. m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG ergeben.314 In Ermangelung einer Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen muss auf § 13 GVG zurückgegriffen werden, sodass grundsätzlich die ordentlichen Gerichte für Klagen auf Erfüllung der Verpflichtungen aus § 13 MiLoG zuständig sind.315 Es besteht damit keine Regelungslücke, sodass im Ergebnis § 15 AEntG nicht analog anwendbar ist.316 b)

Ausnahme: § 2 Abs. 3 ArbGG

Eine Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen kann sich jedoch ausnahmsweise unter den Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 ArbGG ergeben. Nach § 2 Abs. 3 ArbGG können auch nicht unter die Absätze 1 und 2 (des § 2 ArbGG) fallende Rechtsstreitigkeiten vor die Gerichte für Arbeitssachen gebracht werden, wenn der Anspruch mit einer bei einem Arbeitsgericht anhängigen oder gleichzeitig anhängig werdenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeit der in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Art in rechtlichem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang steht und für seine Geltendmachung nicht die ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts gegeben ist.

314

315 316

So jedoch Bayreuther NZA 2015, S. 961 (966), der aber zurecht darauf hinweist, dass im Umkehrschluss die Gerichte für Arbeitssachen auch für Klagen auf Regressansprüche des Auftraggebers gegen den Arbeitgeber über § 3 ArbGG zuständig wären; siehe auch Sittard in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, MiLoG § 13, Rdnr. 13; Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 41; Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 60. So auch Schmidt TranspR 2016, S. 15 (16). Die instanzielle Zuständigkeit ergibt sich aus den §§ 23, 71 GVG. Bayreuther NZA 2015, S. 961 (966).

80

Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

Der Anspruch aus § 13 MiLoG fällt – wie dargelegt – nicht unter den § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 ArbGG. Als bei einem Arbeitsgericht anhängige oder gleichzeitig anhängig werdende bürgerliche Rechtsstreitigkeit kommt der Anspruch des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber auf Zahlung des Mindestlohns nach § 1 Abs. 1 MiLoG i. V. m. § 20 MiLoG in Betracht. Für eine entsprechende Klage wären, weil es sich um eine Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis handelt, die Gerichte für Arbeitssachen nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a ArbGG zuständig. Zudem müsste der Anspruch aus § 13 MiLoG mit dem Anspruch aus § 1 MiLoG in einem rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Die Haftung aus § 13 MiLoG ist akzessorisch zum Anspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG. Es besteht damit ein rechtlicher Zusammenhang.317 Ein wirtschaftlicher Zusammenhang ist zu bejahen, wenn die Ansprüche auf demselben wirtschaftlichen Verhältnis beruhen oder wirtschaftliche Folgen desselben Tatbestands sind. Die Ansprüche müssen dabei innerlich eng zusammengehören, also einem einheitlichen Lebenssachverhalt entspringen, und nicht lediglich eine zufällige Verbindung haben.318 Der Anspruch des Arbeitnehmers aus § 13 MiLoG gegen den Auftraggeber gründet sich auf den Anspruch aus § 1 MiLoG gegen den Arbeitgeber bzw. aus der Verpflichtung des Arbeitgebers aus § 20 MiLoG. Die Ansprüche beruhen mithin auf einem einheitlichen Lebenssachverhalt. Schließlich ist auch keine ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts gegeben.319 Die Gerichte für Arbeitssachen sind demnach gemäß § 2 Abs. 3 ArbGG für eine Klage auf Erfüllung der Verpflichtung aus § 13 MiLoG zuständig, wenn die Klage des Arbeitnehmers auf Erfüllung der Verpflichtung aus § 1 Abs. 1 MiLoG bei einem Gericht für Arbeitssachen anhängig ist oder gleichzeitig anhängig gemacht wird.320 Damit wird auch der Gefahrt divergierender Entscheidungen vorgebeugt, sofern der Arbeitnehmer sowohl auf seinen Mindestlohnanspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG als auch auf seinen Anspruch aus § 13 MiLoG klagt. In allen anderen Fällen ist von Gesetzes wegen – solange es keine anderslautende Vorschrift gibt – allein der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten zulässig. Für dieses Ergebnis spricht auch, dass man ansonsten wohl auch bei Streitigkeiten zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer wegen § 13 MiLoG die Gerichte für Arbeitssachen für zuständig erklären müsste. Dies kann nicht gewollt sein.

317 318

319 320

Vgl. BAG, Beschluss vom 11.09.2002 – 5 AZB 3/02, NZA 2003, S. 62. Vgl. BAG, Beschluss vom 11.09.2002 – 5 AZB 3/02, NZA 2003, S. 62; Clemens in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, ArbGG § 2, Rdnr. 33. Wie zum Beispiel § 29a ZPO, vgl. Clemens in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOKArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, ArbGG § 2, Rdnr. 32. So auch Schmidt TranspR 2016, S. 15 (16 - 17).

C

Die prozessuale Durchsetzung der Auftraggeberhaftung

c)

Keine Ausnahme: Prorogation

81

Den Parteien könnte es aber im Wege einer Prorogation gemäß §§ 38 ff. ZPO, insbesondere § 38 Abs. 3 ZPO, offenstehen, die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen zu vereinbaren.321 Die §§ 38 ff. ZPO als Teil der allgemeinen Vorschriften des ersten Buches der Zivilprozessordnung gelten dabei für die Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen aufgrund des Charakters des Urteilsverfahrens auch ohne besondere Verweisung – wie zum Beispiel § 46 Abs. 2 ArbGG –, es sei denn, das Arbeitsgerichtsgesetz enthält eine eigene Sonderregelung322, was insofern jedoch nicht der Fall ist. Nach § 40 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist eine solche Vereinbarung aber unzulässig, wenn der Rechtsstreit nichtvermögensrechtliche Ansprüche betrifft, die den Amtsgerichten ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes zugewiesen sind (Nummer 1), oder für die Klage ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist (Nummer 2). In diesen Fällen wird gemäß § 40 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Zuständigkeit eines Gerichts auch nicht durch rügeloses Verhandeln zur Hauptsache begründet. Für die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG greift die Ausnahme des § 40 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht: Weder handelt es sich um nichtvermögensrechtliche Ansprüche, noch ist ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet. Problematisch ist aber, dass Gegenstand einer Gerichtsstandsvereinbarung nicht nur die internationale und örtliche Zuständigkeit eines Gerichts sein kann, sondern auch die sachliche Zuständigkeit.323 Doch geht es bei der Frage der Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen richtigerweise nicht um eine sachliche Zuständigkeit, sondern um den Rechtsweg. Der Rechtsweg kann aber nicht Gegenstand einer Gerichtsstandsvereinbarung sein.324 Die Vereinbarung der Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen scheidet mithin aus.

321 322

323

324

Eingehend zur Gerichtsstandsvereinbarung Meller-Hannich, Zivilprozessrecht, Rdnr. 257 - 263; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rdnr. 97 - 101 jeweils m. w. N. Vgl. Germelmann/Künzl in: Germelmann/Prütting/Matthes Arbeitsgerichtsgesetz, ArbGG § 46, Rdnr. 1; Hamacher in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, ArbGG § 46, Rdnr. 2; Zimmerling in: Schwab/Weth Arbeitsgerichtsgesetz, ArbGG § 46, Rdnr. 3 - 6a. BGH, Beschluss vom 07.11.1996 – IX ZB 15/96, NJW 1997, S. 328 (328) m. w. N.; MellerHannich, Zivilprozessrecht, Rdnr. 257; Schultzky in: Zöller ZPO, ZPO § 38, Rdnr. 3; Toussaint in: Vorwerk/Wolf BeckOK-ZPO, Stand: 27. Edition 01.12.2017, ZPO § 38, Rdnr. 16; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rdnr. 99. BGH, Beschluss vom 07.11.1996 – IX ZB 15/96, NJW 1997, S. 328 (328); Heinrich in: Musielak/Voit ZPO, ZPO § 38, Rdnr. 2; Schultzky in: Zöller ZPO, ZPO § 38, Rdnr. 3; Toussaint in: Vorwerk/Wolf BeckOK-ZPO, Stand: 27. Edition 01.12.2017, ZPO § 38, Rdnr. 16.

82 d)

Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen Keine Ausnahme: Rügelose Einlassung

Auch ohne ausdrückliche Einigung der Parteien könnte sich die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen aber aus einer rügelosen Einlassung der Beklagten, die im Falle einer Leistungsklage durch den Arbeitnehmer der Auftraggeber ist, gemäß § 39 Satz 1 ZPO begründen. Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer die Klage vor den Gerichten für Arbeitssachen erhebt und der Auftraggeber, ohne die Unzuständigkeit geltend zu machen, zur Hauptsache mündlich verhandelt.325 Bei einem Verfahren vor den Amtsgerichten gilt dies nach § 39 Satz 2 ZPO aber nicht, wenn ein vorheriger Hinweis nach § 504 ZPO unterblieben ist. Nach § 504 ZPO hat das Amtsgericht, wenn es sachlich oder örtlich unzuständig ist, den Beklagten vor der Verhandlung zur Hauptsache darauf und auf die Folgen einer rügelosen Einlassung zur Hauptsache hinzuweisen. Für ein Verfahren vor den Landgerichten gilt eine solche Hinweispflicht jedenfalls nicht.326 Umstritten ist aber, ob diese Hinweispflicht für die Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen gilt327: Das Arbeitsgerichtsgesetz enthält zur rügelosen Einlassung keine besondere Vorschrift. Nach § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG gelten für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Amtsgerichten entsprechend, soweit das Arbeitsgerichtsgesetz nichts anderes bestimmt. Demnach findet § 504 ZPO über § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG entsprechende Anwendung.328 Wenn schon § 504 ZPO entsprechende Anwendung findet, muss dies auch für den Fall einer rügelosen Einlassung gelten, sodass eine Hinweispflicht auch bei den Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen besteht.329 Dem steht auch nicht entgegen, dass § 2 ArbGG die ausschließliche sachliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte bestimmt.330 Denn insoweit wird damit allein die Zuständigkeit anderer Gerichte ausgeschlossen.

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Zu den Voraussetzungen im einzelnen Heinrich in: Musielak/Voit ZPO, ZPO § 39, Rdnr. 3 - 8; Meller-Hannich, Zivilprozessrecht, Rdnr. 264; Schultzky in: Zöller ZPO, ZPO § 39, Rdnr. 5 - 10; Toussaint in: Vorwerk/Wolf BeckOK-ZPO, Stand: 27. Edition 01.12.2017, ZPO § 39, Rdnr. 1 ff.; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rdnr. 102 - 104. Vgl. dazu Toussaint in: Vorwerk/Wolf BeckOK-ZPO, Stand: 27. Edition 01.12.2017, ZPO § 39, Rdnr. 16, nach dem sich eine solche Hinweispflicht des Landgerichts auch nicht aus § 139 Abs. 3 ZPO ergibt. Toussaint in: Vorwerk/Wolf BeckOK-ZPO, Stand: 27. Edition 01.12.2017, ZPO § 39, Rdnr. 16. Hamacher in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, ArbGG § 46, Rdnr. 4; wohl auch Schultzky in: Zöller ZPO, ZPO § 39, Rdnr. 4. Offengelassen von BAG, Urteil vom 13.11.2007 – 9 AZR 134/07, NZA 2008, S. 761 (762) m. w. N.; ablehnend LAG Hamburg, Beschluss vom 26.04.2000 – 1 SHa 1/00, LAGE § 36 ZPO Nr. 3; Heinrich in: Musielak/Voit ZPO, ZPO § 39, Rdnr. 2. Andere Ansicht Patzina in: Krüger/Rauscher MünchKomm-ZPO Band 1, ZPO § 39, Rdnr. 16; Schlewing in: Germelmann/Prütting/Matthes Arbeitsgerichtsgesetz, ArbGG § 2, Rdnr. 2 - 3 m. w. N.

C

Die prozessuale Durchsetzung der Auftraggeberhaftung

83

Gleichwohl sperrt das Arbeitsgerichtsgesetz die Möglichkeit einer rügelosen Einlassung und einer damit einhergehenden Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen auf andere Weise, namentlich durch § 48 Abs. 1 ArbGG331: Die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen ist eine Prozessvoraussetzung, welche das Gericht für Arbeitssachen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen hat, und zwar von Amts wegen.332 Liegt sie nicht vor, wird die Klage zwar nicht als unzulässig abgewiesen. Das Gericht für Arbeitssachen hat den Rechtsstreit gemäß §§ 17 ff. GVG an das zuständige Gericht von Amts wegen zu verweisen.333 Demnach wird es zu der Situation einer rügelosen Einlassung gar nicht kommen können, da das Gericht für Arbeitssachen den Rechtsstreit zuvor an das sachlich zuständige Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu verweisen hat. Auch über § 39 ZPO kann somit nicht die Zuständigkeit eines Gerichts des unzulässigen Rechtswegs begründet werden.334 II

Örtliche Zuständigkeit

Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach den §§ 12 ff. ZPO. Sofern eine Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen über § 2 Abs. 3 ArbGG gegeben ist, kommt auch der besondere Gerichtsstand des Arbeitsorts nach § 48 Abs. 1a ArbGG in Betracht. Ansonsten wird der Arbeitnehmer den Auftraggeber in der Regel an dessen allgemeinem Gerichtsstand auf Erfüllung der Verpflichtungen aus § 13 MiLoG verklagen müssen. III

Darlegungs- und Beweislast

Weiterhin stellt sich die Frage, welche Partei in einem Prozess über die Auftraggeberhaftung jeweils darlegungs- und beweispflichtig ist. Obgleich es keine normierte Grundregel der Beweislastverteilung im Zivilrecht gibt, wird auf Grundlage der Rosenbergschen Normentheorie335 eine ungeschriebene, allgemeine Regel angenommen. „Im Zivilrecht ist als Beweislastprinzip im allgemeinen der Grundsatz anerkannt, daß jede Partei, die den Eintritt einer Rechtsfolge geltend macht, die Vorausetzungen des 331 332 333

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Vgl. auch Germelmann/Künzl in: Germelmann/Prütting/Matthes Arbeitsgerichtsgesetz, ArbGG § 48, Rdnr. 11. Germelmann/Künzl in: Germelmann/Prütting/Matthes Arbeitsgerichtsgesetz, ArbGG § 48, Rdnr. 11; Koch NJW 1991, S. 1856 (1858). Germelmann/Künzl in: Germelmann/Prütting/Matthes Arbeitsgerichtsgesetz, ArbGG § 48, Rdnr. 2a; Hamacher in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, ArbGG § 48, Rdnr. 4. Vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 25.02.2014 – I-1 U 86/13, 1 U 86/13, juris; Heinrich in: Musielak/Voit ZPO, ZPO § 39, Rdnr. 2; Toussaint in: Vorwerk/Wolf BeckOK-ZPO, Stand: 27. Edition 01.12.2017, ZPO § 39, Rdnr. 18; Schultzky in: Zöller ZPO, ZPO § 39, Rdnr. 2. Vgl. zur Rosenbergschen Normentheorie Foerste in: Musielak/Voit ZPO, ZPO § 286, Rdnr. 34 m. w. N.

84

Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

ihr günstigen Rechtssatzes zu beweisen hat.“336 Daneben wird auch formuliert: „Den Anspruchsteller trifft die Beweislast für die rechtsbegründenden Tatsachen, der Gegner muß den Beweis für rechtshemmende, rechtshindernde oder rechtsvernichtende Tatsachen erbringen.“ 337 Erstere Formulierung wird dabei als „handhabbarer“ erachtet, weil es im Einzelfall umstritten sein kann, ob eine Tatsache rechtshemmend, rechtshindernd oder rechtsvernichtend ist.338 Im Vergütungsprozess trifft insofern also den Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast: „Verlangt der Arbeitnehmer gemäß § 611 BGB Arbeitsvergütung für Arbeitsleistungen, hat er deshalb darzulegen und – im Bestreitensfall – zu beweisen, dass er Arbeit verrichtet oder einer der Tatbestände vorgelegen hat, der eine Vergütungspflicht ohne Arbeit regelt.“339 Übertragen auf die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG und § 13 MiLoG ist die Beweislast wie folgt verteilt: Der Arbeitnehmer will die Rechtsfolge der Auftraggeberhaftung geltend machen. Er hat daher deren Voraussetzungen zu beweisen. Der Arbeitnehmer muss also beweisen, dass der Auftraggeber seinen Arbeitgeber mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt hat, „um dadurch Interessen Dritter zu erfüllen“ oder „und dadurch unternehmerische Flexibilität gewinnt“ oder „der Arbeitgeber von dem Auftraggeber wirtschaftlich abhängig ist“.340 Darüber hinaus ist erforderlich, dass der Arbeitnehmer beweist, dass er tatsächlich Arbeit für den Auftrag geleistet hat, was gegebenenfalls durch eine Dokumentation der Arbeitszeiten möglich sein wird.341 Dies ist nachvollziehbar jedoch nur dann möglich, sofern der Arbeitnehmer abgrenzbar für den Auftrag tätig war, beispielsweise, wenn er auf einer Baustelle tätig war. Schwierig wird dies jedoch, wenn der Arbeitnehmer in der Arbeitsorganisation des Arbeitgebers (gegebenenfalls fast parallel) für verschiedene Auftraggeber des Arbeitgebers Arbeit geleistet hat. Hier wird ein genauer Nachweis der tatsächlich geleisteten Arbeit an seine Grenzen stoßen.342

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BGH, Urteil vom 14.01.1991 – II ZR 190/89, NJW 1991, S. 1052 (1053); Bacher in: Vorwerk/ Wolf BeckOK-ZPO, Stand: 27. Edition 01.12.2017, ZPO § 284, Rdnr. 72; Greger in: Zöller ZPO, ZPO Vorb zu § 284, Rdnr. 17; Meller-Hannich, Zivilprozessrecht, Rdnr. 46; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rdnr. 462 jeweils m. w. N. BGH, Urteil vom 14.01.1991 – II ZR 190/89, NJW 1991, S. 1052 (1053); Bacher in: Vorwerk/Wolf BeckOK-ZPO, Stand: 27. Edition 01.12.2017, ZPO § 284, Rdnr. 72; Greger in: Zöller ZPO, ZPO Vorb zu § 284, Rdnr. 17 jeweils m. w. N. Bacher in: Vorwerk/Wolf BeckOK-ZPO, Stand: 27. Edition 01.12.2017, ZPO § 284, Rdnr. 72 m. w. N. BAG, Urteil vom 18.04.2012 – 5 AZR 248/11, AP BGB § 611 Nr. 7. Im Ergebnis hinsichtlich der Verteilung der Beweislast so auch Kühn in: Boecken/Düwell/Diller/ Hanau NK-GA, AEntG § 14, Rdnr. 15; Kühn in: Hümmerich/Boecken/Düwell AK Arbeitsrecht I, AEntG § 14, Rdnr. 12; Lelley in: Thüsing MiLoG/AEntG, MiLoG § 13, Rdnr. 22; Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 43. Vgl. Lelley in: Thüsing MiLoG/AEntG, MiLoG § 13, Rdnr. 22 m. w. N. Vgl. Jöris/Steinau-Steinrück BB 2014, S. 2101 (2105).

C

Die prozessuale Durchsetzung der Auftraggeberhaftung

85

Insofern, also beispielsweise hinsichtlich der tatsächlichen Arbeitsleistung, ist auch ein Bestreiten mit Nichtwissen nach § 138 Abs. 4 ZPO durch den Auftraggeber grundsätzlich möglich, wenn die Voraussetzungen des § 138 Abs. 4 ZPO vorliegen.343 Eine Ausnahme ist jedoch insofern zu machen, als sich ein Auftraggeber durch den Einsatz eines Unternehmers einer arbeitsteiligen Organisation bedient. Dann kann der Auftraggeber bei seiner Inanspruchnahme die Art und den Umfang der Arbeitsleistung eines Arbeitnehmers des anderen Unternehmers nicht nach § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen bestreiten. Denn insoweit liegen die Voraussetzungen des § 138 Abs. 4 ZPO nicht vor, als es sich dabei um Vorgänge im eigenen Geschäfts- oder Verantwortungsbereich handelt, die den eigenen Handlungen oder Wahrnehmungen im Sinne von § 138 Abs. 4 ZPO gleichzustellen sind.344 Aufgrund dieser Beweislast kann es demnach unter Umständen zu erheblichen Schwierigkeiten führen, den Anspruch aus § 14 AEntG bzw. § 13 MiLoG durchzusetzen, insbesondere wenn dem Auftraggeber das Bestreiten mit Nichtwissen zusteht. Deswegen erscheint es angezeigt, die Darlegungs- und Beweislast zugunsten des Arbeitnehmers zu modifizieren: Im Falle des arbeitsrechtlichen allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes345 ist der Arbeitnehmer beispielsweise bei der Gewährung von Sonderzahlungen allein dahin gehend darlegungsbelastet, dass er auf eine bestehende Ungleichbehandlung hinweisen muss.346 Der Arbeitgeber hingegen muss – sofern es sich um eine Ungleichbehandlung handelt – die Differenzierung darlegen: „Er hat […] die Gründe für die vorgenommene Differenzierung so substantiiert darzulegen, dass es möglich ist zu beurteilen, ob die Gruppenbildung sachlichen Kriterien entsprach und der Leistungsausschluss des klagenden Arbeitnehmers gerechtfertigt war. Er muss mithin darlegen, wie groß der begünstigte Personenkreis ist, wie er sich zusammensetzt, wie er abgegrenzt ist und warum der klagende Arbeitnehmer nicht dazugehört.“347 Die Darlegungs- und Beweislast wird also zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber verteilt, um eine sachgerechte Wirkung des allgemeinen Gleichbehand-

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So zum Beispiel auch Schmidt TranspR 2016, S. 15 (19 - 20); Schwab AiB 2011, S. 357 (358) m. w. N. Vgl. zu den Voraussetzungen des § 138 Abs. 4 ZPO Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rdnr. 415. Vgl. BAG, Urteil vom 17.08.2011 – 5 AZR 490/10, NZA 2012, S. 563 (565); BAG, Urteil vom 02.08.2006 – 10 AZR 688/05, NZA-RR 2007, S. 646 (648 - 649); Kühn in: Boecken/Düwell/ Diller/Hanau NK-GA, AEntG § 14, Rdnr. 15 m. w. N.; Kühn in: Hümmerich/Boecken/Düwell AK Arbeitsrecht I, AEntG § 14, Rdnr. 12; Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 44; Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 63; Sittard in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, MiLoG § 13, Rdnr. 15. Eingehend zum allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz vgl. Joussen in: Rolfs/Giesen/ Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, BGB § 611, Rdnr. 265 290. Fuhlrott ArbRAktuell 2015, S. 141 (143). LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 12.12.2013 – 5 Sa 173/13, juris, Rz. 33.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

lungsgrundsatzes zu entfalten.348 Eine solche sachgerechte Verteilung kann auf die Auftraggeberhaftung übertragen werden: Danach müsste der Arbeitnehmer alleine darlegen und beweisen, dass er für den Auftraggeber tätig geworden ist. Der Auftraggeber müsste dann – weil dies in seinem Geschäftsbereich oder jedenfalls in einem von ihm nachvollziehbaren Geschäftsbereich geschieht – die Dauer der Tätigkeit des Arbeitnehmers substantiiert darlegen und beweisen. Dies könnte der Auftraggeberhaftung zu einer sachgerechten Wirkung verhelfen. Für die „Verteidigungsmöglichkeiten“ des Auftraggebers349 gelten wiederum die allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregelungen: Sofern die Rechtsfolge einer Verteidigungsmöglichkeit für den Auftraggeber positiv ist, muss er die Voraussetzungen dieser Verteidigungsmöglichkeit, gegebenenfalls mit Zuhilfenahme von Wissen des Arbeitgebers, beweisen. So beispielsweise auch, wenn der Auftraggeber geltend macht, der Anspruch des einzelnen Arbeitnehmers sei durch Erfüllung erloschen.350 Dies entspricht schließlich der Rechtslage bei einer rechtsgeschäftlichen Bürgschaft: Hierbei muss der Gläubiger nach der Rechtsprechung den Nachweis über die Entstehung der Forderung, der Gläubiger gegebenenfalls den Nachweis über das Erlöschen der Forderung erbringen.351 IV

Klageart

1

Leistungsklage eines Arbeitnehmers

Grundsätzlich wird ein Arbeitnehmer unmittelbar auf Erfüllung der Verpflichtung aus § 14 AEntG bzw. § 13 MiLoG klagen. Der Arbeitnehmer will den Auftraggeber also zu einer Handlung veranlassen. Demnach ist für diesen Fall die Leistungsklage die statthafte Klageart.352 Problematisch könnte insofern jedoch sein, dass der Arbeitnehmer den Antrag nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend genau zu beziffern hat. Grundsätzlich kann bei der Klage wegen Ansprüchen auf Zahlung von Arbeitslohn der Bruttobetrag durch den Arbeitnehmer angegeben werden.353 Im Falle der Klage wegen

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Vgl. zur Darlegungs- und Beweislast in den Fällen des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes auch Joussen in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, BGB § 611, Rdnr. 384 m. w. N. Vgl. unten unter Viertes Kapitel. A II. Vgl. Schmidt TranspR 2016, S. 15 (20). Vgl. insofern BGH, Urteil vom 10.12.1987 – IX ZR 296/86, NJW 1988, S. 906 (906 - 907); zustimmend Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rdnr. 578 m. w. N. Vgl. Bacher in: Vorwerk/Wolf BeckOK-ZPO, Stand: 27. Edition 01.12.2017, ZPO § 253, Rdnr. 3; Greger in: Zöller ZPO, ZPO Vorb zu §§ 253 - 299a, Rdnr. 3; Meller-Hannich, Zivilprozessrecht, Rdnr. 123 - 124; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rdnr. 272 - 277. Vgl. BAG, Beschluss vom 07.03.2001 – GS. 1/00, NJW 2001, S. 3570 (3571).

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Die prozessuale Durchsetzung der Auftraggeberhaftung

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Ansprüchen aus der Auftraggeberhaftung muss der Arbeitnehmer jedoch einerseits den Nettolohn einklagen, andererseits die Klage auf solche Zeiten beschränken, in denen er für den Auftrag tätig geworden ist. a)

Berechnung des Nettoentgelts

Ersteres wird er unter Umständen noch anhand seiner Gehaltsabrechnung und einer eigenen Rechnung feststellen können. Aber auch schon dabei ergeben sich Schwierigkeiten, da die steuerrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Abgaben bereits für jeden Monat variieren können, wenn der Arbeitnehmer unterschiedlich hohes Entgelt (wegen zum Beispiel Sonderzulagen, Gratifikationen etc.) erhält. Dies ist insoweit mit der Situation des § 287 Abs. 2 ZPO vergleichbar, bei dem ein unbezifferter Zahlungsantrag zugelassen wird, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.354 Man wird daher wohl von dem Erfordernis eines genau bezifferten Klageantrags abweichen müssen und dem Arbeitnehmer zugestehen müssen, das Bruttogehalt abzüglich der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechender Aufwendungen zur sozialen Sicherung zu beantragen. Damit würde man – sofern man in den vergleichbaren Bahnen des § 287 Abs. 2 ZPO denkt – dem Erfordernis einer nicht völlig abstrakten Schätzung 355 und der Umstände der Auftraggeberhaftung gerecht. b)

Umfang der Tätigkeit für den Auftraggeber

Die genaue Bezeichnung des Umfangs, in dem der Arbeitnehmer Ansprüche aus der Auftraggeberhaftung geltend machen möchte, kann jedoch schon wesentlich größere Schwierigkeiten bereiten. Erforderlich wäre, dass der Arbeitnehmer festhält, wann er für welchen Auftraggeber seines Arbeitgebers Arbeitsleistungen erbracht hat. Dies wird aber nur insofern möglich sein, als der Arbeitnehmer für einen ausgewiesenen, erkennbaren Auftrag tätig wird oder zum Beispiel unmittelbar auf dem Gelände des Auftraggebers tätig wird. In anderen Fällen wird es dem Arbeitnehmer gegebenenfalls nicht möglich sein, den Umfang der geleisteten Arbeit festzuhalten. Insofern wäre er auf die Auskunft durch seinen Arbeitgeber angewiesen, wenn man keine abgestufte Darlegungs- und Beweislast zuließe. 354

355

So etwa Bacher in: Vorwerk/Wolf BeckOK-ZPO, Stand: 27. Edition 01.12.2017, ZPO § 253, Rdnr. 60; Prütting in: Krüger/Rauscher MünchKomm-ZPO Band 1, ZPO § 287, Rdnr. 19 - 21; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rdnr. 333. Vgl. BGH, Urteil vom 22.07.2014 – VI ZR 357/13, NJW 2014, 3151 (3152); Greger in: Zöller ZPO, ZPO § 287, Rdnr. 4.

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

aa) Materiell-rechtlich: Auskunftsanspruch gegen den Arbeitgeber Fraglich ist, wie der Arbeitnehmer eine solche Auskunft von seinem Arbeitgeber erlangen kann. Der Arbeitgeber selbst hat möglicherweise kein Interesse daran, dass sein Arbeitnehmer einen Auftraggeber in Anspruch nimmt, offenbart es jedenfalls eine (vorübergehende) Zahlungsunwilligkeit oder gar Zahlungsfähigkeit. Einen solchen Auskunftsanspruch kennt weder das Arbeitnehmer-Entsendegesetz noch das Mindestlohngesetz. Es könnte insofern aber auf den allgemeinen Auskunftsanspruch im Arbeitsverhältnis abgestellt werden, der eine Nebenpflicht des Arbeitgebers aus § 242 BGB darstellt.356 Der Arbeitgeber hat durch einen berechtigten Anspruch die Pflicht, „den Arbeitnehmer oder einen Dritten über bestimmte, mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehende Vorgänge oder Tatsachen zu informieren“.357 In der Rechtsprechung wird ein solcher Auskunftsanspruch unter anderem angenommen, wenn der Arbeitnehmer auf die Auskunft zur Durchsetzung eines möglichen Zahlungsanspruchs angewiesen ist, der Arbeitgeber die Auskunft unschwer erteilen kann und sie ihn nicht übermäßig belastet.358 Dabei kann sich der für die Auskunftserteilung vorauszusetzende Zahlungsanspruch auch gegen einen Dritten richten.359 Dies wird beispielsweise bei der Arbeitnehmerüberlassung angenommen: So ist der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer an Drittfirmen verleiht, ohne die dazu nach § 1 Abs. 1 AÜG erforderliche Erlaubnis zu besitzen, verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer Auskunft über solche Tatsachen zu erteilen, die dieser zur Durchsetzung eventueller Ansprüche gegenüber dem Verleiher und dem Entleiher benötigt.360 Insofern hängt die Auskunftspflicht nicht davon ab, dass die unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung nachgewiesen ist. Es genügt, wenn Tatsachen vorliegen, die den Verdacht auf eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung begründen.361 Diese Rechtsprechung ist auf die Auftraggeberhaftung zu übertragen. Zur Durchsetzung seines Zahlungsanspruchs gegen den Auftraggeber aus § 14 AEntG oder § 13 MiLoG kann der Arbeitnehmer auf die Auskunft des Arbeitgebers angewiesen sein, wenn er aus tatsächlichen Gründen die Dauer seiner Tätigkeit für einen Auftrag nicht 356

357 358 359 360 361

So Joussen in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, BGB § 611, Rdnr. 258; offengelassen von BAG, Urteil vom 19.04.2005 – 9 AZR 188/04, AP BGB § 242 Auskunftspflicht Nr. 39 (Herleitung entweder aus den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung (§ 157 BGB) oder aus § 242 BGB). Joussen in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, BGB § 611, Rdnr. 258 m. w. N. Ständige Rechtsprechung vgl. dazu BAG, Urteil vom 19.04.2005 – 9 AZR 188/04, AP BGB § 242 Auskunftspflicht Nr. 39 m. w. N. BAG, Urteil vom 19.04.2005 – 9 AZR 188/04, AP BGB § 242 Auskunftspflicht Nr. 39. BAG, Urteil vom 11.04.1984 – 5 AZR 316/82, AP AÜG § 10 Nr. 7. BAG, Urteil vom 11.04.1984 – 5 AZR 316/82, AP AÜG § 10 Nr. 7.

C

Die prozessuale Durchsetzung der Auftraggeberhaftung

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feststellen kann. Die Grenze des Auskunftsanspruchs muss dann aber auch dort gezogen werden, wo der Arbeitgeber die Auskunft nur schwer erteilen kann und sie ihn übermäßig belastet. Dafür fordert die Rechtsprechung aber richtigerweise, dass der Arbeitgeber konkrete Gründe benennt, aus denen sich seine übermäßige Belastung ergibt.362 bb) Prozessrechtliche Durchsetzung des Auskunftsanspruchs Der Auskunftsanspruch richtet sich also gegen den Arbeitgeber, mithin einen Dritten in dem Prozess des Arbeitnehmers gegen den Auftraggeber. Die Auskunft kann daher nicht etwa im Wege einer Stufenklage (§ 254 ZPO) geltend gemacht werden, denn das Auskunfts- und Leistungsbegehren müssen sich gegen denselben Beklagten richten.363 Sie ist nämlich nur zulässig, wo die Auskunft der Bestimmung des Leistungsanspruchs dient.364 Dem Arbeitnehmer steht darüber hinaus keine Möglichkeit offen, die beiden voneinander unabhängigen Prozesse zu verbinden. Einzig denkbare Möglichkeit wäre eine Streitverkündung nach § 72 ZPO. Voraussetzung dafür wäre jedoch ein Streitverkündungsgrund nach § 72 Abs. 1 ZPO: Eine Partei, die für den Fall des ihr ungünstigen Ausgangs des Rechtsstreits einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen einen Dritten erheben zu können glaubt oder den Anspruch eines Dritten besorgt, kann bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits dem Dritten gerichtlich den Streit verkünden. Weder im Falle des ungünstigen Ausgangs des Rechtsstreits mit dem Auftraggeber oder mit dem Arbeitgeber hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen den Arbeitgeber bzw. den Auftraggeber (§ 72 Abs. 1 Var. 1 ZPO). Noch besorgt der Arbeitnehmer den Anspruch des Auftraggebers oder des Arbeitgebers (§ 72 Abs. 1 Var. 2 ZPO). Eine Streitverkündung wäre also nur durch den Auftraggeber oder Arbeitgeber denkbar, nicht jedoch durch den Arbeitnehmer.365 Der Arbeitnehmer muss daher in dem Fall, in dem er die für die Auftraggeberhaftung anspruchsbegründenden Tatsachen nicht beweisen kann, weil er die Dauer seiner Tätigkeit für einen Auftrag nicht kennt, zunächst gegen seinen Arbeitgeber auf Auskunft klagen. Anschließend kann er erst gegen den Auftraggeber vorgehen.

362 363 364 365

BAG, Urteil vom 19.04.2005 – 9 AZR 188/04, AP BGB § 242 Auskunftspflicht Nr. 39. Bacher in: Vorwerk/Wolf BeckOK-ZPO, Stand: 27. Edition 01.12.2017, ZPO § 254, Rdnr. 5. BGH, Urteil vom 02.03.2000 – III ZR 65/99, NJW 2000, S. 1945 (1946); Greger in: Zöller ZPO, ZPO § 254, Rdnr. 2. Vgl. Schmidt TranspR 2016, S. 15 (20 - 21).

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Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen Feststellungsklage eines Arbeitnehmers

Daneben könnte unter Umständen aber auch das Interesse eines Arbeitnehmers an der bloßen Feststellung der Verpflichtung des Auftraggebers nach § 14 AEntG bzw. § 13 MiLoG bestehen. Der Arbeitnehmer würde auf die Feststellung einer rechtlichen Beziehung zwischen ihm und dem Auftraggeber, mithin eines Rechtsverhältnisses366, klagen, sodass eine Feststellungsklage in Betracht kommt. Gemäß § 256 Abs. 1 ZPO kann unter anderem Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Es bedarf demnach eines rechtlichen Interesses des Arbeitnehmers, dem Feststellungsinteresse. Ein Feststellungsinteresse ist gegeben, wenn dem Recht oder der Rechtslage eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und das erstrebte Urteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen.367 Im Falle einer positiven Feststellungsklage ist das Feststellungsinteresse regelmäßig gegeben, wenn der Beklagte das Recht des Klägers bestreitet oder wenn die Verjährung droht.368 Zu beachten ist indes, dass die Feststellungsklage subsidiär zur Leistungsklage ist, das heißt, dass letztere Vorrang hat, wenn der Kläger das Ziel der Feststellungsklage ebenso mit der Leistungsklage erreichen kann.369 Eine Ausnahme ist wiederum dann zu machen, wenn die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen ist und der Kläger seinen Anspruch deshalb ganz oder teilweise nicht beziffern kann.370 Dies könnte der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer noch nicht abschließend beurteilen kann, wie lange er noch für den Auftrag Arbeit leisten wird.

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368 369

370

Vgl. zur Definition des Rechtsverhältnisses Bacher in: Vorwerk/Wolf BeckOK-ZPO, Stand: 27. Edition 01.12.2017, ZPO § 256, Rdnr. 3; Becker-Eberhard in: Krüger/Rauscher MünchKommZPO Band 1, ZPO § 256, Rdnr. 10; Greger in: Zöller ZPO, ZPO § 256, Rdnr. 3; Meller-Hannich, Zivilprozessrecht, Rdnr. 126 - 160; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rdnr. 279. Bacher in: Vorwerk/Wolf BeckOK-ZPO, Stand: 27. Edition 01.12.2017, ZPO § 256, Rdnr. 20; Becker-Eberhard in: Krüger/Rauscher MünchKomm-ZPO Band 1, ZPO § 256, Rdnr. 39; Greger in: Zöller ZPO, ZPO § 256, Rdnr. 7; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rdnr. 281. Bacher in: Vorwerk/Wolf BeckOK-ZPO, Stand: 27. Edition 01.12.2017, ZPO § 256, Rdnr. 21; Greger in: Zöller ZPO, ZPO § 256, Rdnr. 7; Meller-Hannich, Zivilprozessrecht, Rdnr. 133. Vgl. BGH, Urteil vom 21.12.2005 – X ZR 17/03, NJW 2006, S. 515 (516) m. w. N.; Bacher in: Vorwerk/Wolf BeckOK-ZPO, Stand: 27. Edition 01.12.2017, ZPO § 256, Rdnr. 26; BeckerEberhard in: Krüger/Rauscher MünchKomm-ZPO Band 1, ZPO § 256, Rdnr. 66; Greger in: Zöller ZPO, ZPO § 256, Rdnr. 7a; Meller-Hannich, Zivilprozessrecht, Rdnr. 134; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rdnr. 282. Vgl. Bacher in: Vorwerk/Wolf BeckOK-ZPO, Stand: 27. Edition 01.12.2017, ZPO § 256, Rdnr. 27; Greger in: Zöller ZPO, ZPO § 256, Rdnr. 9; Meller-Hannich, Zivilprozessrecht, Rdnr. 136; Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rdnr. 282.

C

Die prozessuale Durchsetzung der Auftraggeberhaftung

3

Feststellungsklage eines Auftraggebers

91

Die Feststellungsklage könnte aber auch für den Auftraggeber in Betracht kommen, beispielsweise, weil ihm die Inanspruchnahme durch Arbeitnehmer droht oder weil andere Auftraggeber von ihm Erstattung bzw. Freistellung verlangen. Das notwendige Feststellungsinteresse ist in einem solchen Fall der negativen Feststellungsklage gegeben, wenn der Beklagte (der Arbeitnehmer bzw. der andere Auftraggeber) vorgibt, Inhaber einer Forderung gegen den Kläger zu sein. Es genügt dafür, dass der Beklagte geltend macht, aus einem bestimmten Rechtsverhältnis könne sich unter bestimmten Voraussetzungen, deren Eintritt noch ungewiss ist, ein Anspruch gegen den Kläger ergeben.371 V

Aussetzung bei Vorgreiflichkeit, § 148 ZPO

Es wurde wiederholt gezeigt, dass die Auftraggeberhaftung in einem engen, namentlich akzessorischen Zusammenhang mit der originären Verpflichtung zur Zahlung des Arbeitslohns steht, also zum Beispiel § 13 MiLoG und § 1 Abs. 1 MiLoG bzw. § 20 MiLoG. Es fragt sich daher, was geschieht, wenn der Arbeitnehmer gleichzeitig seine Ansprüche gegen den Arbeitgeber aus § 1 Abs. 1 MiLoG und gegen den Auftraggeber aus § 13 MiLoG geltend macht. Zwar ist die Haftung akzessorisch und der Auftraggeber kann auch Rechte geltend machen, die dem Arbeitgeber zustehen. Jedoch hängt der Erfolg der Klage des Arbeitnehmers gegen den Auftraggeber auf Erfüllung seiner Verpflichtung aus § 13 MiLoG nicht zwingend von dem Erfolg der Klage des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Erfüllung dessen Verpflichtungen aus § 1 Abs. 1 MiLoG ab.372 Bei der Auftraggeberhaftung handelt es sich nämlich um eine von der Verbindlichkeit der Hauptschuld (§ 1 Abs. 1 MiLoG) verschiedene, durch § 13 MiLoG gesetzlich auferlegte Verpflichtung.373 Es liegen mithin zwei unterschiedliche Streitgegenstände vor. Demnach fehlt es an einem Präjudiz der Klage des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber. Mangels Vorgreiflichkeit kommt deshalb eine Aussetzung nach § 148 ZPO nicht in Betracht.374

371 372 373 374

Vgl. Bacher in: Vorwerk/Wolf BeckOK-ZPO, Stand: 27. Edition 01.12.2017, ZPO § 256, Rdnr. 22 m. w. N. Vgl. Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 45. Vgl. zu § 1a AEntG a. F. LAG Hessen, Beschluss vom 22.08.2005 – 16/10 Ta 345/05, NZA-RR 2006, S. 381 (382). So auch Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 45; Riechert/ Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 62; Sittard in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, MiLoG § 13, Rdnr. 14.

92 VI

Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen Rechtskrafterstreckung

Anknüpfend an die Frage der Aussetzung bei Vorgreiflichkeit ist zu bedenken, ob der Auftraggeber das Bestehen der Hauptschuld, sprich: den Anspruch des Arbeitnehmers aus zum Beispiel § 1 Abs. 1 MiLoG bzw. die Verpflichtung aus § 20 MiLoG, bestreiten kann. Materiell-rechtlich ist nach § 14 AEntG bzw. § 13 MiLoG lediglich die Einrede der Vorausklage ausgeschlossen. Nicht ausgeschlossen ist indes die Einwendung, die erhobene Forderung bestehe nicht. Denn der Ausschluss der Einrede der Vorausklage hat keine Auswirkung auf die Abhängigkeit der Auftraggeberhaftung von dem Mindestentgeltanspruch oder dem Mindestlohnanspruch aus § 1 Abs. 1 MiLoG. Eine Rechtskrafterstreckung einer für den Arbeitnehmer günstigen Entscheidung widerspräche somit dem Rechtsgedanken des § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB.375 Denn die Rechtskrafterstreckung käme einer Verschlechterung der Rechtsstellung des Auftraggebers gleich.376 Prozessrechtlich wird dieses Ergebnis gestützt: Sogar die Rechtskraft einer dem Gläubiger günstigen Entscheidung gegen den Hauptschuldner wirkt nicht gegenüber dem Bürgen.377 In materielle Rechtskraft erwächst darüber hinaus lediglich der Tenor einer Entscheidung, also nur der Ausspruch der Verurteilung des Arbeitgerbers zur Zahlung, nicht jedoch die dieser zugrunde liegenden materiell-rechtlichen Gründe wie etwa die Anspruchsgrundlage.378 Die Rechtskraft einer dem Arbeitnehmer günstigen Entscheidung gegen seinen Arbeitgeber wirkt demnach nicht gegenüber dem Auftraggeber. Dies kann der Arbeitnehmer auch nicht etwa – wie aufgezeigt – durch eine Streitverkündung erwirken. Der Auftraggeber kann sich also weiterhin und selbständig auf das Nichtbestehen des Mindestentgelt- bzw. Mindestlohnanspruchs berufen. VII Verjährungshemmende Maßnahmen Sowohl der Anspruch auf Mindestentgelt bzw. Mindestlohn als auch der Anspruch aus § 14 AEntG oder § 13 MiLoG unterliegen grundsätzlich der Verjährung (§ 195 Abs. 1 BGB) mit der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB). Der Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist (§ 199 Abs. 1 BGB) kann bei dem Mindes375 376 377 378

Vgl. BAG, Urteil vom 02.08.2006 – 10 AZR 688/05, NZA-RR 2007, S. 646 (648); Riechert/ Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 61. Vgl. BGH, Urteil vom 09.07.1998 – IX ZR 272 - 96, NJW 1998, S. 2972 (2973). Vgl. BAG, Beschluss vom 06.11.2002 – 5 AZR 617/01 (A), NZA 2003, S. 490 (492); vgl. zu verschiedenen Ansichten in der Literatur Zeiss/Schreiber, Zivilprozessrecht, Rdnr. 589. Vgl. zum Umfang der Rechtskraft in objektiver Hinsicht Meller-Hannich, Zivilprozessrecht, Rdnr. 580.

C

Die prozessuale Durchsetzung der Auftraggeberhaftung

93

tentgelt- bzw. Mindestlohnanspruch und dem Anspruch aus der Auftraggeberhaftung unterschiedlich sein: Zwar entstehen die Ansprüche wohl gleichzeitig (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB), aber der Gläubiger kann zu verschiedenen Zeitpunkten von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangen (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Fraglich ist, welche Maßnahmen der Arbeitnehmer ergreifen muss, um sowohl die Verjährung des Mindestentgelts- bzw. Mindestlohnanspruchs als auch des Anspruchs aus der Auftraggeberhaftung zu hemmen. Verjährungshemmende Maßnahmen sind in den §§ 203 ff. BGB normiert. Zu den wichtigsten zählt vor allem die Erhebung der Klage (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Sofern der Arbeitnehmer rechtzeitig, das heißt, vor Ablauf der Verjährungsfrist, Klage gegen seinen Arbeitgeber auf Erfüllung dessen Verpflichtung zur Zahlung des Mindestentgelts bzw. -lohns erhebt, wird die Verjährung dieses Anspruchs gehemmt. Dies führt aber nicht dazu, dass auch der Anspruch aus der Auftraggeberhaftung gehemmt wird. Dieser unterliegt einer eigenen Verjährung, die ebenfalls durch unter anderem eine Klageerhebung gehemmt werden muss. Vice versa würde die alleinige Hemmung der Verjährung des Anspruchs aus § 14 AEntG bzw. § 13 MiLoG auch nicht hilfreich sein: In diesem Fall könnte der Anspruch auf Zahlung des Mindestentgelts bzw. -lohns verjähren. Gemäß § 768 Abs. 1 BGB kann der Bürge die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen. Zu den Einreden zählt unter anderem die Verjährung.379 Da § 768 BGB auf die Auftraggeberhaftung – wie später noch zu zeigen sein wird – entsprechend anwendbar ist380, könnte sich der Auftraggeber also auf die Verjährung des Anspruchs auf Zahlung des Mindestentgelts bzw. -lohns berufen. Zur Hemmung der Verjährung beider Ansprüche und insbesondere des Anspruchs aus § 14 AEntG bzw. § 13 MiLoG bedarf es folglich verjährungshemmender Maßnahmen gegen beide Ansprüche.

379

380

Vgl. dazu Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 768, Rdnr. 5; Rohe in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 768, Rdnr. 3. Vgl. unten unter Viertes Kapitel. A II 3 a).

94 D

Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen Vergleich von § 14 AEntG und § 13 MiLoG

Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG ist in sich bereits komplex, es bedarf über den Normtext hinaus weiterer Kenntnisse, um die Norm rechtssicher anzuwenden. Mit dem Verweis in § 13 MiLoG auf § 14 AEntG wollte der Gesetzgeber Rechtssicherheit hinsichtlich der Auftraggeberhaftung im Mindestlohngesetz schaffen – dass dies eine gewisse Schwierigkeit mit sich bringt, wenn zu § 14 AEntG offene Fragen bestehen, versteht sich von selbst. Ein gänzlicher Gleichlauf zwischen § 14 AEntG und § 13 MiLoG besteht nach der bisherigen Untersuchung nicht. Vielmehr bestehen zum Teil erhebliche Unterschiede: I

Normentstehung, Normzweck und Anwendungsbereich

Die Auftraggeberhaftung im Arbeitnehmer-Entsendegesetz wurde vom deutschen Gesetzgeber ohne vorherige konkrete europäische Vorgabe eingeführt. Im Laufe der Zeit hat der europäische Gesetzgeber aber zunächst abstrakt die Vorgabe zu einem Durchsetzungsmechanismus für das Mindestentgelt für Arbeitnehmer gemacht (Entsenderichtlinie) und schließlich auch eine Auftraggeberhaftung vorgeschrieben (Durchsetzungs-Richtlinie). Die Auftraggeberhaftung im Mindestlohngesetz folgt keinen europäischen Vorgaben. Sie verweist auf die Auftraggeberhaftung im ArbeitnehmerEntsendegesetz; im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde aber auch eine eigenständige Haftungsregelung erwogen. Der unterschiedliche Hintergrund von § 14 AEntG und § 13 MiLoG ist schließlich bei dem Verständnis der beiden Normen zu berücksichtigen. Die Zwecksetzungen der beiden Haftungsnormen sind trotz des grundsätzlichen Haftungsgleichlaufs nicht deckungsgleich. § 14 AEntG dient der Durchsetzung der Ansprüche aus dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz sowie präventiven Zwecken zur Einhaltung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Zudem sollen redliche Unternehmen geschützt und gefördert werden und grenzüberschreitende Betrugsmethoden bekämpft werden. Letztere beiden Zwecke sind auf § 13 MiLoG nicht übertragbar. § 13 MiLoG dient aber auch der Durchsetzung des Mindestlohns sowie dem präventiven Zweck der Einhaltung des Mindestlohngesetzes. Darüber hinaus soll der Auftraggeber motiviert werden, eigene Arbeitnehmer zu beschäftigen. Zudem unterscheiden sich die beiden Normen in ihrem Anwendungsbereich. Gemäß § 1 Abs. 1 MiLoG hat jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber. Nach § 20 MiLoG sind Arbeitgeber mit Sitz im In-und Ausland – spiegelbildlich – dazu verpflichtet, ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns zu zahlen. Für

D

Vergleich von § 14 AEntG und § 13 MiLoG

95

diese Verpflichtung besteht sodann die Auftraggeberhaftung gemäß § 13 MiLoG. Somit kann in der Theorie jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer Begünstigter der Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG sein. Dahin gehend ist der Anwendungsbereich des § 14 AEntG eingeschränkt. Obgleich eine Ausweitung der einbezogenen Branchen stattgefunden hat, ist der Anwendungsbereich nicht derart umfassend. Die allgemeinere Haftungsnorm (§ 13 MiLoG) verweist somit auf die speziellere (§ 14 AEntG). Im Verhältnis zueinander geht das Arbeitnehmer-Entsendegesetz als lex specialis dem Mindestlohngesetz vor. Dabei dürfen Mindestentgeltsätze den gesetzlichen Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz nicht unterschreiten. So formuliert § 1 Abs. 3 MiLoG: „Die Regelungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und der auf ihrer Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen gehen den Regelungen dieses Gesetzes vor, soweit die Höhe der auf ihrer Grundlage festgesetzten Branchenmindestlöhne die Höhe des Mindestlohns nicht unterschreitet. Der Vorrang nach Satz 1 gilt entsprechend für einen auf der Grundlage von § 5 des Tarifvertragsgesetzes für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag im Sinne von § 4 Absatz 1 Nummer 1 sowie §§ 5 und 6 Absatz 2 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.“ Die Einhaltung des Mindestentgelts richtet sich dann also weiterhin nach dem ArbeitnehmerEntsendegesetz381, wobei die Mindestentgeltsätze gleichwohl höher sein dürfen als der Mindestlohnsatz – und dies in der Praxis auch sind. Die Haftung nach § 14 AEntG geht mithin der Haftung nach § 13 MiLoG vor. II

Tatbestandsvoraussetzungen

Die unterschiedlichen Anwendungsbereiche und Zwecksetzungen führen dann auch zu einem Unterschied bei den Tatbestandsvoraussetzungen. Grundsätzlich besteht indes ein Gleichlauf bei diesen. Die geschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 Satz 1 AEntG sind alle ohne Modifikation entsprechend bei § 13 MiLoG anwendbar: Sowohl der Begriff des Unternehmers als auch die Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen sind für beide Auftraggeberhaftungen gleich zu verstehen. Der Unterschied ergibt sich dann bei der ungeschriebenen Tatbestandsvoraussetzung, welche dem Grunde nach sowohl bei § 14 AEntG als auch bei § 13 MiLoG zu beachten ist. Aufgrund einer angezeigten teleologischen Reduktion der beiden Normen

381

Vgl. Bayreuther NZA 2014, S. 865 (866); Däubler NJW 2014, S. 1924 (1927), der insofern auf den Koalitionsvertrag verweist, wonach Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz unberührt bleiben sollen; Franzen JbArbR, Bd. 52 2015, S. 67 (85 - 86); Hlava, in: Husemann/Wietfeld, Zwischen Theorie und Praxis - Herausforderungen des Arbeitsrechts, Anspruch und Wirklichkeit des gesetzlichen Mindestlohns, S. 95 (107 - 108); Insam/Hinrichs/Tacou NZA-RR 2014, S. 569 (569 - 570).

96

Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

kann eien ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung entwickelt werden. Die Haftung nach § 14 AEntG erfasst danach nur Fälle, in denen ein Unternehmer einen anderen Unternehmer mit einer Werk- oder Dienstleistung um der Erfüllung von gegenwärtigen oder künftigen Interessen Dritter wegen beauftragt und die Beauftragung in die Geschäftstätigkeit des Auftraggebers fällt. Für § 13 MiLoG ist diese ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung ebenfalls anzuwenden. Darüber hinaus erfasst die Auftraggeberhaftung nach dem Mindestlohngesetz aber auch die Fälle, in denen die Beauftragung eines anderen Unternehmers mit einer Werk- oder Dienstleistung entweder der unternehmerischen Flexibilisierung bzw. der Minimierung betriebswirtschaftlicher Risiken dient oder der Auftragnehmer von dem Auftraggeber wirtschaftlich abhängig ist und sich der Auftraggeber durch die Beauftragung seiner Arbeitgeberpflichten entledigen will. Im Ergebnis erfasst § 13 MiLoG damit drei Anwendungsfälle, wohingegen § 14 Satz 1 AEntG nur in einem Fall anwendbar ist. III

Rechtsfolgen

Auf der Rechtsfolgenseite erfasst der Anspruch aus § 14 Satz 1 AEntG neben der Verpflichtung zur Zahlung des Mindestentgelts an Arbeitnehmer nach § 8 AEntG auch die Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien nach § 8 AEntG. Der Anspruch aus § 13 MiLoG erfasst lediglich die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns aus § 20 MiLoG. Insofern ist also die Auftraggeberhaftung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz weiter als die nach dem Mindestlohngesetz. Die Haftung besteht nur für tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung; ein Auftraggeber haftet weder nach § 14 AEntG noch nach § 13 MiLoG etwa für Annahmeverzugsansprüche, Entgeltfortzahlung oder Urlaubsentgelt, wobei sich die Begründung dafür zum Teil unterscheidet. Hierbei werden auch die unterschiedlichen Rechtshintergründe deutlich. Schließlich bleibt die Haftung sowohl nach § 14 AEntG als auch nach § 13 MiLoG in der Insolvenz des Nachunternehmers bestehen. Weder das ArbeitnehmerEntsendegesetz noch das Mindestlohngesetz geben insofern – als ein wichtiges Argument – Anhaltspunkte für einen Ausschluss der Haftung im Falle der Insolvenz des Nachunternehmers. IV

Abdingbarkeit

Sowohl die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG als auch die nach § 13 MiLoG stellen kein zwingendes Recht dar. Sie sind durch Parteivereinbarung abdingbar. Eine sol-

D

Vergleich von § 14 AEntG und § 13 MiLoG

97

che Vereinbarung bedarf aber der Mitwirkung des Anspruchsbegünstigten; alle anderen Vereinbarungen würden unzulässige Verträge zu Lasten Dritten darstellen. V

Prozessuale Durchsetzung

Schließlich ergeben sich bei der prozessualen Durchsetzung der Ansprüche aus der Auftraggeberhaftung Besonderheiten und auch Unterschiede. Der wohl bedeutendste Unterschied liegt in dem angeordneten Rechtsweg. So ist durch § 15 AEntG für die Haftung aus § 14 AEntG auch für Inlandssachverhalte mittelbar der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet. § 13 MiLoG verweist aber weder auf § 15 AEntG noch trifft er selbst eine Regelung zu dem Rechtsweg für den Anspruch. Der Rechtsweg ist dann grundsätzlich zu der ordentlichen Gerichtsbarkeit eröffnet, es sei denn, es wird der Anspruch aus § 13 MiLoG gleichzeitig mit dem Mindestlohnanspruch gegen den eigenen Arbeitgeber geltend gemacht. Dann kann ausnahmsweise der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet sein (vgl. § 2 Abs. 3 ArbGG). Insofern zeigt sich ein Handlungsbedarf für den Gesetzgeber. Denn die Gerichte für Arbeitssachen erscheinen kraft Sachzusammenhangs als die geeignete Gerichtsbarkeit für jeglichen Anspruch aus einer Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG. Dafür spricht unter anderem, dass die Besonderheiten eines Prozesses vor den Gerichten für Arbeitssachen (zum Beispiel die Kostentragungspflicht gemäß § 12a ArbGG) auch in einem solchen Verfahren Geltung finden sollten, denn es klagt ein Arbeitnehmer wegen eines ihm zustehenden Mindestlohns. Der Handlungsbedarf des Gesetzgebers könnte durch einen ebenfalls entsprechenden Verweis auf § 15 AEntG umgesetzt werden. Darüber hinaus kann es bei der Durchsetzung der Auftraggeberhaftung insbesondere im Rahmen der Darlegungs- und Beweislast zu erheblichen Schwierigkeiten für den klagenden Arbeitnehmer kommen, die es – zur Effektivierung der Auftraggeberhaftung – zu beseitigen gilt. In dieser Hinsicht wäre beispielsweise an eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast zu denken, wenn es um Umstände geht, von denen der Arbeitnehmer keine Kenntnis haben kann, vor allem die Dauer seiner Tätigkeit für den Arbeitgeber. Dies könnte auch im Sinne der Prozessökonomie etwaige Auskunftsklagen eines Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber vermeiden. Letztere sind aber jedenfalls dann notwendig, wenn der Auftraggeber seiner ihm auferlegten Darlegungslast nicht nachkommen kann. VI

Die Rechtsnatur

Eine Frage hinsichtlich beider Haftungsnormen wurde bislang jedoch nur gestreift und noch nicht untersucht: Welche Rechtsnatur hat die Auftraggeberhaftung? Kann man

98

Zweites Kapitel. Die Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen

sie – wie es der Name nahelegen könnte – rechtlich schlicht als „Haftung“ qualifizieren? Handelt es sich um eine vom Gesetz angeordnete Bürgschaft, weil der Auftraggeber „wie ein Bürge“ haftet? Oder ist sie etwas Vergleichbares oder gänzlich anderes? Diese Fragestellung wird Gegenstand des dritten Teils dieser Arbeit sein. Dabei wird ausgehend vom Wortlaut des § 14 Satz 1 AEntG die Rechtsnatur der beiden Haftungen untersucht. Die Notwendigkeit der dogmatischen Einordnung der Auftraggeberhaftung zeigt sich letztlich im vierten Kapitel der Arbeit, in der Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts auf die Auftraggeberhaftung. VII Ergebnis § 14 AEntG und § 13 MiLoG haben eine enge Verbindung, allein schon wegen des umfänglichen Verweises in § 13 MiLoG auf § 14 AEntG. Gleichwohl ergeben sich bei der Rechtsanwendung Unterschiede, die – so darf man es wohl feststellen – zum Teil vom Gesetzgeber gar nicht gewollt sind. Verbesserungsmöglichkeiten bestehen für den Gesetzgeber beispielsweise hinsichtlich der prozessualen Durchsetzung; diese Möglichkeiten sollte der Gesetzgeber gegebenenfalls nutzen. Bei der Rechtsanwendung des § 13 MiLoG darf aber grundsätzlich auf die Erkenntnisse zu § 14 AEntG zurückgegriffen werden; die Besonderheiten hinsichtlich der Entstehungsgeschichte sowie des Normzweckes gilt es aber zu beachten.

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung Nach § 14 Satz 1 AEntG haftet der Auftraggeber für die Verpflichtungen des originären Schuldners wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Damit wird jedenfalls eine sprachliche Nähe zur Bürgschaft hergestellt. Doch handelt es sich dabei auch um eine Bürgschaft im Sinne des § 765 BGB und sind die Regelungen der §§ 765 ff. BGB auf die Auftraggeberhaftung anwendbar? In der Rechtsprechung wird die Auftraggeberhaftung nach § 14 Satz 1 AEntG als „Bürgenhaftung“ bezeichnet.382 Diese Bezeichnung wird großteils in der Literatur – in verschiedenen Variationen – aufgegriffen.383Dies gilt für die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG gleichermaßen.384 Sofern also von einer „Bürgenhaftung“ die Rede

382

383

384

Vgl. EuGH, Urteil vom 12.10.2004 – C-60/03 Wolff & Müller GmbH & Co. KG / José Filipe Pereira Félix, NZA 2004, S. 1211 (1212); BVerfG, Beschluss vom 20.03.2007 – 1 BvR 1047/05, NZA 2007, S. 609 (609); BAG, Urteil vom 16.05.2012 – 10 AZR 190/11, NZA 2012, S. 980; BAG, Urteil vom 08.12.2010 – 5 AZR 95/10, NZA 2011, S. 514 (515); BAG, Urteil vom 19.11.2008 – 10 AZR 864/07, juris; BAG, Urteil vom 28.03.2007 – 10 AZR 76/06, AP AEntG § 1 Nr. 27; BAG, Urteil vom 02.08.2006 – 10 AZR 688/05, NZA-RR 2007, S. 646 (647); BAG, Urteil vom 12.01.2005 – 5 AZR 617/01, NZA 2005, S. 627 (629); BAG, Beschluss vom 06.11.2002 – 5 AZR 617/01 (A), NZA 2003, S. 490; BAG, Beschluss vom 11.09.2002 – 5 AZB 3/02, NZA 2003, S. 62; LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.01.2010 – 4 Sa 14/09, juris; LAG Hessen, Beschluss vom 22.08.2005 – 16/10 Ta 345/05, NZA-RR 2006, S. 381 (382); ArbG Berlin, Urteil vom 10.08.2000 – 52 Ca 4049/00, NZA-RR 2000, S. 651 (653); LG Magdeburg, Urteil vom 17.04.2012 – 11 O 1698/11, BeckRS 2013, 14303. Ambs in: Erbs/Kohlhaas Strafrechtliche Nebengesetze, Stand: 180. EL Juli 2010, AEntG § 14, Rdnr. 1: „gesetzlich angeordnete Bürgenhaftung“; Bachner in: Kittner/Zwanziger/Deinert ArbRHdb, § 9, Rdnr. 17: „Bürgenhaftung“; Boemke, Handbuch zum Arbeitnehmerentsendegesetz, S. 97: „Bürgenhaftung“; Gündisch, Die Bürgenhaftung nach § 1a Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) in rechtspolitischer Hinsicht, S. 40: „Bürgenhaftung“; Gussen in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, AEntG § 14, Rdnr. 1: „Bürgenhaftung“; Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 34: „gesetzlich angeordnete Bürgenhaftung“; Kühn in: Hümmerich/Boecken/Düwell AK Arbeitsrecht I, AEntG § 14, Rdnr. 9: „Selbstschuldnerische Bürgen-Haftung“; Kühn in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau NK-GA, AEntG § 14, Rdnr. 9: „Selbstschuldnerische Bürgen-Haftung“; Lakies in: Däubler TVG, Anhang 2 zu § 5 TVG: AEntG § 14, S. 2: „Bürgenhaftung“; Mayer in: Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath/Ahrendt HK-ArbR, AEntG § 14, S. 2: „Bürgenhaftung“; Schlachter in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt Erfurter Kommentar, AEntG § 14, Rdnr. 2: „Bürgenhaftung“; Seifert in: Kempen/Zachert TVG, Anhang 1 zu § 5: AEntG § 14, Rdnr. 1: „Bürgschaftshaftung“; Tillmanns in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, AEntG Vorbemerkungen, Rdnr. 19: „Bürgenhaftung“; Ulber, Arbeitnehmerentsendegesetz, AEntG § 14, Vor.: „Selbstschuldnerische Bürgenhaftung“. Franzen JbArbR, Bd. 52 2015, S. 67 (90): „Bürgenhaftung“; Greiner in: Rolfs/Giesen/ Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, MiLoG § 13, Rdnr. 8: „Bürgenhaftung“; Henkel/Jöris/Röder/Schmitz-Witte/Warden/Wolf, Mindestlohn, S. 74: „Bürgenhaftung“, die aber in Bezug auf § 1a AEntG a. F. sogar von einer Bürgschaft nach dieser Vorschrift sprechen, vgl. S. 78; Heukenkamp, Gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland und Frankreich, S. 401: „Die Auftraggeberhaftung ist eine Bürgenhaftung.“; Heuschmid/Hlava NJW 2015, S. 1719 (1721): „gesetzlich angeordnete Bürgenhaftung“; Hilgenstock, Das Mindestlohngesetz,

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 P. A. Tophof, Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung, Juridicum – Schriften zum Arbeitsrecht, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23384-6_3

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

ist, lässt dies zunächst den Schluss zu, dass damit gemeint ist, aus § 14 Satz 1 AEntG (und somit auch § 13 MiLoG) könne eine „gesetzliche Bürgschaft“ abgeleitet werden. Voraussetzung wäre dann jedoch, dass das Gesetz eine solche Rechtsfigur überhaupt kennt bzw. zulässt. Im Folgenden wird daher zunächst die Bürgschaft als Grundlage für das weitere Verständnis der Arbeit in ihren wesentlichen Zügen dargestellt (dazu A). Darauf folgt die Untersuchung, ob es überhaupt eine „gesetzliche Bürgschaft“ gibt – oder mit welchen Rechtsfiguren das Gesetz auf die Bürgschaft Bezug nimmt. Diese sind nach hiesigem Verständnis der Kreditauftrag, die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft sowie die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung (dazu B). Schließlich werden die Auftraggeberhaftungen nach § 14 Satz 1 AEntG sowie nach § 13 MiLoG in diese Rechtsfiguren eingeordnet (dazu C).

Rdnr. 187: „gesetzlicher Fall der Bürgenhaftung“; Hlava, in: Husemann/Wietfeld, Zwischen Theorie und Praxis - Herausforderungen des Arbeitsrechts, Anspruch und Wirklichkeit des gesetzlichen Mindestlohns, S. 95 (122): „Bürgenhaftung“; Kühn/Reich BB 2014, S. 2938 (2940): „gesetzlich angeordnete Bürgenhaftung“; Lakies, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 4: „Gleichstellung mit einem Bürgen“; Lelley in: Thüsing MiLoG/AEntG, MiLoG § 13, Rdnr. 8: „Bürgenhaftung“; Maschmann in: Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, C.432 (Mindestlohn), Rdnr. 66: „Bürgenhaftung“; Müller-Glöge in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Henssler/Krüger MünchKomm-BGB Band 4, MiLoG § 13, Rdnr. 1, 3, 4: „Bürgenhaftung“, Rdnr. 5: „Bürgenschuld“; Oltmanns/Fuhlrott NZA 2015, S. 392 (395): „Bürgenhaftung“; Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 24: „gesetzlich angeordnete Bürgenhaftung“; Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 44: „Bürgenhaftung“; Sittard in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, MiLoG § 13, Rdnr. 14: „Bürgenhaftung“.

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Die Bürgschaft

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Die historische Entwicklung der Bürgschaft

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Die Bürgschaft, wie wir sie heute kennen, existierte auch schon im Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich aus dem Jahr 1900. Zwar hieß es in § 886 des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Erste Lesung von 1888, noch: „Durch den Bürgschaftsvertrag wird der Bürge gegenüber dem Gläubiger eines Dritten verpflichtet, die Verbindlichkeit des letzteren zu erfüllen, wenn die anderweite Erfüllung derselben unterbleibt.“385 Doch schon in dem Entwurf der Zweiten Lesung von 1894 findet sich die heute noch geltende Regelung des § 765 BGB, dort noch in § 706: „Durch den Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger eines Dritten, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzustehen.“386 In den „Motiven der Ersten Kommission zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich“ heißt es zur Bürgschaft im Entwurf der Ersten Lesung, die als besonderer Fall des Garantievertrages aufgefasst wird: „Die Bürgschaft gehört dem weiteren Gebiete der Intercession an.“387 Die Intercession selbst hat aber keine gesonderte Normierung im Entwurf gefunden, da dies nach Ansicht der Schöpfer nur bei einer unterschiedlichen Behandlung der Intercession von Mann und Frau nötig wäre.388 Bei der Intercession handelt es sich um eine „Handlung, wodurch Jemand eines Anderen obligatio zur Sicherstellung des Gläubigers freiwillig auf sich nimmt.“389 Dies deutet auf einen Ursprung der Bürgschaft bereits im römischen Recht hin. Dafür sprechen auch die weiteren Ausführungen in den Motiven, die eine Abgrenzung der Bürgschaft zum Konstitutum beinhalten.390 Die Verankerung des im römischen Recht anerkannten Vertrages sei im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht mehr notwendig, da das Konstitutum veraltet sei und im Rechtsverkehr nicht mehr vorkom-

385

386

387 388 389 390

Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, A. Gegenüberstellung des Entw. der ersten Lesung, des Entw. der zweiten Lesung, der Bundesrathsvorlage, der Reichstagsvorlage und des Gesetzbuches, S. CXIII. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, A. Gegenüberstellung des Entw. der ersten Lesung, des Entw. der zweiten Lesung, der Bundesrathsvorlage, der Reichstagsvorlage und des Gesetzbuches, S. CXIII. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 367. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 367. Mühlenbruch, Lehrbuch des Pandekten-Rechts, S. 527. Vgl. zum Konstitutum eingehend Vangerow, Leitfaden für die Pandekten-Vorlesung, Dritter Band, S. 145 - 148: Ein Hauptunterschied zwischen Bürgschaft und Konstitutum war, dass durch das Konstitutum etwas ganz anders versprochen werden konnte, als die Hauptschuld, wodurch dem Gläubiger auch andere Vorteile, als nur die bloße Sicherung, verschafft werden sollten.

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

me.391 Die Protokolle der Kommission für die Zweite Lesung geben darüber hinaus keine weiteren Anhaltspunkte für die historischen Ursprünge der Bürgschaft, sondern befassen sich allein mit den Änderungsanträgen zum Ersten Entwurf.392 Es lässt sich somit anhand der „Motive der Ersten Kommission zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich“ zunächst feststellen, dass die Schöpfer des Bürgerlichen Gesetzbuches mit der Bürgschaft keine neue Rechtsfigur eingeführt haben. Vielmehr ging es allein um die Kodifizierung einer bestehenden, historisch möglicherweise weit zurückreichenden Rechtsfigur. So viel sei aber, um die Worte von Beyerle aus dem Jahr 1927 aufzugreifen, vorweggenommen: „Die Frage nach dem Ursprung der Bürgschaft hat es mit der besonderen Ungunst der Überlieferung zu tun. Unsere Kenntnis der frühgeschichtlichen Zeit ist lückenhaft. Urkunden und Rechtssätze sind oftmals dunkel und mehrdeutig; sie zwingen zu tastendem Erklärungsversuch.“393 Der Begriff der Bürgschaft findet sich bereits verschiedentlich im Alten Testament394: So heißt es in Genesis/1. Moses 43, 9: „Ich verbürge mich für ihn; aus meiner Hand magst du ihn zurückfordern. Wenn ich ihn dir nicht zurückbringe und vor dich hinstelle, will ich alle Tage bei dir in Schuld stehen.“395, oder in Sprüche Salomon 6, 1 - 3: „Mein Sohn, hast du deinem Nächsten Bürgschaft geleistet, hast du einem Fremden den Handschlag gegeben, hast du dich durch deine Worte gebunden, bist du gefangen durch deine Worte, dann tu doch dies, mein Sohn: Reiß dich los; denn du bist in die Hand deines Nächsten geraten. Geh eilends hin und bestürm deinen Nächsten!“396. Diese Bibelstellen verdeutlichen die Entstehungsvoraussetzungen der Bürgschaft im hebräischen Recht: Zur Entstehung der Bürgschaft legte der Bürge seine Hand in die des Gläubigers, wodurch der Bürge dann mit seinem Vermögen einstehen musste.397 Ziel der Bürgschaft war es, ein Darlehen, welches als Rechtsgeschäft weit verbreitet war, abzusichern.398 Im griechischen Recht war die Bürgschaft ebenfalls etabliert. Sie wurde als „Engye“ bezeichnet.399 Anders als im hebräischen Recht legte der Bürge nicht etwa

391 392 393 394 395 396 397 398 399

Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 368. Vgl. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 1018 ff. Beyerle Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Germanistische Abteilung 1927, S. 567 (567). Vgl. Fischer NJW 2004, S. 558 (562). Einheitsübersetzung 1980. Einheitsübersetzung 1980. Fischer NJW 2004, S. 558 (562). Fischer NJW 2004, S. 558 (562). Fischer NJW 2004, S. 558 (563).

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seine Hand in die des Gläubigers. Vielmehr wurde der Bürge durch den Schuldner in die Hände des Gläubigers übergeben.400 Dies zeigt den personenrechtlichen Einschlag der Bürgschaft, der aber auch durch den Begriff „Engye“ selbst verdeutlicht wird. Denn dieser Begriff bedeute neben Bürgschaft auch Eheschließung.401 Im Corpus Iuris Civilis heißt es dahingegen zu der Verpflichtung des Bürgen in den Institutionen, Drittes Buch, Zwanzigster Titel, Nr. 5: „Bürgen können sich nicht zu mehr verbindlich machen, als derjenige verschuldet, für welchen sie sich verpflichten, denn ihre Verpflichtung ist [nur] ein Zuwachs zur Hauptverbindlichkeit, und im Zuwachs kann nicht mehr enthalten sein, als in der Hauptsache; umgekehrt aber, dass sie weniger schuldig werden, können sie sich verpflichten. Hat daher der Verklagte zehn Goldstücke versprochen, so kann sich allerdings der Bürge zu fünf verpflichten; umgekehrt kann er sich nicht verpflichten. Ebenso kann er, wenn jener unbedingt versprochen hat, bedingungsweise versprechen, nicht aber umgekehrt. Ein Mehr oder Weniger wird [nämlich] nicht nur der Summe, sondern auch der Zeit nach verstanden, denn es ist mehr, sogleich etwas geben, weniger, nach einiger Zeit etwas geben.“402 Hier wird eine akzessorische Haftung des Bürgen verdeutlicht403 – anders als die Haftung im germanischen Recht.404 Besondere Formen der Bürgschaft waren im römischen Recht dabei (unter anderem) die sponsio, die fidepromissio und die fideiussio. Sponsio und fidepromissio waren als Geschäftsform nur unter römischen Bürgern möglich, wohingegen die fideiussio auch Nichtrömern zugänglich war.405 Das germanische Recht ging dann noch einen Schritt weiter: Der Bürge haftete nicht etwa mit seinem Vermögen gegenüber dem Schuldner. Er haftetet sogar mit seinem Leben. Dem eigentlichen Schuldner blieb dies jedoch erspart.406 Vorgänger der Bürgschaft waren dabei die Geiselschaft und die Gestellungsbürgschaft.407 Bei der Geiselschaft wurde ein freier Mann wie ein Faustpfand in die Gewalt des Gläubigers gegeben, der Gläubiger durfte die Geisel – als Form seiner Gewalt – zurückhalten, solange der Schuldner nicht geleistet hatte. Im Falle der Leistung wurde die Geisel frei. Im Falle des Verzugs der Leistung ging die Geisel aber in das Eigentum des Gläubigers über, der dann mit ihr nach Belieben verfahren durfte. Die Geisel400 401 402 403 404 405

406 407

Fischer NJW 2004, S. 558 (563). Fischer NJW 2004, S. 558 (563). Otto/Schilling/Sintenis, Das Corpus Juris Civilis, S. 136. Vgl. Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, S. 286. Fischer NJW 2004, S. 558 (563). Vgl. zu diesen Bürgschaftsformen des römischen Rechts eingehend Honsell/Mayer-Maly/Selb, Römisches Recht, S. 285 ff.; speziell zur fideiussio Hasenbalg, Die Bürgschaft des gemeinen Rechts, S. 1 ff. Fischer NJW 2004, S. 558 (563). Vgl. eingehend zur Bürgschaft im Germanischen Recht Beyerle Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Germanistische Abteilung 1927, S. 567 (S. 581 ff.).

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

schaft stellte demnach die Übernahme einer persönlichen Haftung für eine fremde Schuld mit der eigenen Person selbst dar.408 Die Gestellungsbürgschaft stellte hingegen die Übernahme einer eigenen Bürgenschuld dar. Wurde diese entweder durch die Leistung des Schuldners oder die Befriedigung durch den Bürgen selbst erfüllt, so wurde der Bürge frei. Sofern die Bürgenschuld jedoch nicht erfüllt wurde, weil der Bürge entweder den Schuldner nicht zur Leistung veranlasste oder den Schuldner nicht vor Gericht stellte, kam der Bürge selbst in Verzug. Er hatte dann gegenüber dem Gläubiger die Stellung eines vertragsbrüchigen Schuldners.409 Im Mittelalter wurden die Geiselschaft und die Gestellungsbürgschaft durch die Leibbürgschaft und die Vermögensbürgschaft abgelöst. Die Leibbürgschaft war der Geiselschaft vergleichbar, indem der Körper des Bürgen „verhaftet“ war, doch hatte der Gläubiger erst Zugriff auf den Bürgen, wenn er die tatsächliche Gewalt über dessen Körper innehatte410 – so wohl auch die Stellung des Freundes von Damon in Schillers Ballade. Die Vermögensbürgschaft war wiederum mit der Gestellungsbürgschaft vergleichbar. Aber es ging mit der Vermögensbürgschaft eine grundsätzlich subsidiäre Haftung des Bürgen einher, gleichwohl war auch die selbstschuldnerische Bürgschaft bekannt. Wie der Name es bereits impliziert, bezog sich die Vermögensbürgschaft auf das Vermögen des Bürgen, sie war daher vererblich, weil sie, anders als die drei anderen Formen, nicht höchstpersönlich war.411 Das neuere Recht hat bis spätestens zum 19. Jahrhundert die Leibbürgschaft beseitigt. Die Bürgschaft des neueren Rechts lehnte sich vielmehr an die fideiussio des römischen Rechts an und konnte – auch durch ihre Weiterentwicklung – mit der Vermögensbürgschaft aus dem Mittelalter verglichen werden.412 Obgleich die verschiedenen Rechtssysteme die Bürgschaft unter unterschiedliche Voraussetzungen gestellt haben, war ihnen doch eines gemein: Die Bürgschaft war (und ist) ein Mittel der Kreditsicherung in der Form einer Personalsicherheit – ausgelöst durch den Willen des Bürgen bzw. des Hauptschuldners. Dabei zeigen die unterschiedlichen Rechtssysteme eine Entwicklung auf. Es entwickelte sich eine Art der Haftung des Bürgen, bei der er nicht mit seinem Leben, sondern alleine mit seinem Vermögen für die Verbindlichkeit des Schuldners haftete. Diese Haftung sollte aber

408 409 410 411 412

Vgl. dazu Planitz, Deutsches Privatrecht, S. 168 - 169. Vgl. dazu Planitz, Deutsches Privatrecht, S. 169. Vgl. dazu Planitz, Deutsches Privatrecht, S. 170. Vgl. dazu Planitz, Deutsches Privatrecht, S. 170 - 171. Vgl. dazu Planitz, Deutsches Privatrecht, S. 171.

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grundsätzlich erst dann aufleben, wenn die Vollstreckung in das Vermögen des Schuldners nicht erfolgreich war.413 II

Die Bürgschaft des Bürgerlichen Gesetzbuches

Die Bürgschaft ist Teil des Rechts der Schuldverhältnisse und ist im achten Abschnitt des zweiten Buches des Bürgerlichen Gesetzbuches normiert. Eine Legaldefinition der Bürgschaft enthält das Gesetz nicht.414 In § 765 Abs. 1 BGB heißt es jedoch, dass sich der Bürge durch den Bürgschaftsvertrag gegenüber dem Gläubiger eines Dritten verpflichtet, für die Erfüllung der Verbindlichkeit einzustehen. Diese Vorschrift verdeutlicht, dass die Bürgschaft auf eine Kreditsicherung abzielt. Anders als etwa Grundpfandrechte ist die Bürgschaft dabei keine Realkreditsicherung, sondern eine Personalkreditsicherung: Der Bürge verpflichtet sich allein mit seinem Vermögen einzustehen und stellt gerade keine konkrete Sicherheit. Die Bürgschaft wird dabei auch als die „gesetzliche Regelform der Personalsicherheit“ bezeichnet.415 Dem Gläubiger steht zwar das gesamte Vermögen des Bürgen zur Verfügung.416 Dies muss er sich aber gegebenenfalls mit anderen Gläubigern teilen. Seine Rechtsposition ist auch nicht etwa in der Zwangsvollstreckung oder in einem Insolvenzverfahren durch Vorrechte abgesichert.417 Der Wert der Sicherheit hängt mithin von der finanziellen Leistungsfähigkeit des Bürgen ab.418 Diese Leistungsfähigkeit kann zudem unvorhersehbaren wirtschaftlichen Entwicklungen unterliegen. Die Vorschrift des § 765 Abs. 1 BGB ist – wie bereits angedeutet – für die Bürgschaft von zentraler Bedeutung: Sie beinhaltet neben dem Inhalt (dazu 2) auch die Voraussetzungen der rechtsgeschäftlichen Entstehung einer Bürgschaft (dazu 1). Zudem gründen Sinn und Zweck (dazu 3) sowie die Rechtsnatur der Bürgschaft (dazu 5) nicht nur, aber auch in der Vorschrift des § 765 Abs. 1 BGB.

413 414 415 416 417 418

Bucher in: Bucher, Obligationenrecht, Besonderer Teil, § 17 Die Bürgschaft, S. 286. Vgl. Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 1. „Die Bürgschaft ist die gesetzliche Regelform der Personalsicherheit“, Horn, Bürgschaften und Garantien, Rdnr. 3. Vgl. dazu Brödermann in: Prütting/Wegen/Weinreich BGB, BGB Vor §§ 765 ff, Rdnr. 7 m. w. N. Esser/Weyers, Schuldrecht Bd. II Tb. 1, S. 343; Heyers JA 2012, S. 81 (81). Esser/Weyers, Schuldrecht Bd. II Tb. 1, S. 343; Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/ Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 765, Rdnr. 1; Heyers JA 2012, S. 81 (81); Looschelders, Schuldrecht Besonderer Teil, Rdnr. 932 f.; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 765, Rdnr. 5.

106 1

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung Die Entstehung

§ 765 Abs. 1 BGB setzt einen schuldrechtlichen Bürgschaftsvertrag voraus.419 Die Bürgschaft folgt somit dem sogenannten Vertragsprinzip des § 311 Abs. 1 BGB.420 Nach § 311 Abs. 1 BGB ist zur Begründung (sowie zur Änderung des Inhalts) eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt. In den „Motiven der Ersten Kommission zum Ersten Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich“ heißt es: „Die Bürgschaft hat stets einen Vertrag zur Grundlage. Das Gesetz kann sich aber in gewissen Fällen veranlasst sehen, zu bestimmen, daß Jemand für die Schuld eines Anderen so zu haften habe, als wenn er sich durch Vertrag verbürgt hätte (vgl. §§ 1013, 1187 Abs. 2).“421 Die Erste Kommission verweist insofern auf eine Haftung des veräußernden Nießbrauchers (§ 1013)422 sowie auf eine Haftung des bisherigen Pfandgläubigers (§ 1187 Abs. 2)423. Die Motive verdeutlichen bereits, dass einer Bürgschaft im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches stets ein Vertrag zugrunde liegen muss. Die Motive legen hier auch nicht etwa eine gesetzliche Entstehungsmöglichkeit einer Bürgschaft an. Vielmehr öffnen sie allein die Möglichkeit einer Haftung, die der Bürgschaft angelehnt ist. Die Motive nennen diese Haftung nicht etwa „gesetzliche Bürgschaft“. Damit unterscheidet sich die Bürgschaft auch beispielsweise von einem Pfandrecht im Sinne des § 1204 Abs. 1 BGB. Für ein solches sieht das Gesetz ausdrücklich gesetzliche Entstehungstatbestände vor. Deshalb heißt es dazu in den Motiven auch: „Man unterscheidet drei Arten der Begründung des Pfandrechts: durch Rechtsgeschäft, durch Gesetz und durch Pfändung.“424 Da die Motive im Rahmen der Bürgschaft gerade nicht von der Begründung „durch Gesetz“ sprechen, sondern stets einen Vertrag voraussetzen, gingen die Motive mithin nicht von einer „gesetzlichen Bürgschaft“ aus. a)

Der Bürgschaftsvertrag

Die Beteiligten des notwendigen Bürgschaftsvertrages können dabei der Bürge, der Dritte (also der Schuldner der Hauptforderung) und der Gläubiger des Dritten (im Folgenden: der Gläubiger) sein. Dies ergibt sich aus folgender Überlegung: Da sich ge419 420 421 422 423 424

Schmolke JuS 2009, S. 585 (585). Herresthal in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.08.2017, BGB § 311, Rdnr. 1. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 368. Vgl. dazu unten unter Drittes Kapitel. B III 1 a) bb) (3). Vgl. dazu unten unter Drittes Kapitel. B III 1 a) bb). Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III, B. Motive der 1. Kommission, S. 444.

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mäß § 765 Abs. 1 BGB aus dem Bürgschaftsvertrag eine Verpflichtung des Bürgen gegenüber dem Gläubiger ergibt, kommen zuvörderst diese beiden als Beteiligte des Bürgschaftsvertrages in Betracht. Der Bürge verpflichtet sich dann unmittelbar gegenüber dem Gläubiger, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzustehen. Der Hauptschuldner ist in diesem Fall im Rechtssinne nicht beteiligt.425 Die Bürgschaft kann auch gänzlich ohne dessen Wissen und Wollen entstehen.426 Daneben besteht aber auch die Möglichkeit eines Vertrages zwischen dem Bürgen und dem Dritten als Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 Abs. 1 BGB), hier also zugunsten des Gläubigers, in welchem sich der Bürge gegenüber dem Dritten verpflichtet, dass der Gläubiger das Recht erwirbt, von ihm, dem Bürgen, fordern zu können, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzustehen.427 Ein Bürgschaftsvertrag zwischen dem Gläubiger und dem Dritten ohne Mitwirkung des Bürgen kommt indes nicht in Betracht, da sich ein solcher Vertrag als ein unzulässiger Vertrag zu Lasten Dritter (also zu Lasten des Bürgen) darstellen würde. Der Wortlaut des § 765 Abs. 1 BGB deutet hinsichtlich der Verbindlichkeit des Dritten darauf hin, dass diese bestehen muss. Auch der Sicherungscharakter der Bürgschaft spricht für das Bestehen der Verbindlichkeit des Dritten, mithin der Hauptforderung, als Wirksamkeitsvoraussetzung.428 Gleichwohl kann die Bürgschaft nach dem insofern eindeutigen Wortlaut des § 765 Abs. 2 BGB auch für eine künftige oder eine bedingte Verbindlichkeit übernommen werden.429 Da der Gesetzgeber jedoch von „der Verbindlichkeit des Dritten“ in Absatz 1 spricht, muss die bestehende bzw. künftige oder bedingte Verbindlichkeit jedenfalls bestimmbar sein. Dies entspricht auch dem allgemeinen Bestimmtheitsgrundsatz.430 Für die Entstehung einer Bürgschaftsverpflichtung ist also entscheidend, dass sowohl die Person des Gläubigers als auch die des Dritten (also des Hauptschuldners) sowie die Hauptverbindlichkeit bestimmbar sind.431

425 426 427

428 429 430 431

Esser/Weyers, Schuldrecht Bd. II Tb. 1, S. 343. So ausdrücklich Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 6. Vgl. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 765, Rdnr. 11; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 765, Rdnr. 7; Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 111; Madaus in: Gsell/Krüger/ Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 765, Rdnr. 34. Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 765, Rdnr. 103; Staudinger in: Schulze Hk-BGB, BGB § 765, Rdnr. 15. Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 113, 114. Dazu eingehend Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 121 - 130. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 765, Rdnr. 68 ff.; Rohe in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 765, Rdnr. 16 ff.; Staudinger in: Schulze Hk-BGB, BGB § 765, Rdnr. 9.

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung Das Schriftformerfordernis

Für die Entstehung der rechtsgeschäftlichen Bürgschaftsverpflichtung ist ferner § 766 BGB von Bedeutung. Satz 1 fordert zur Gültigkeit des Bürgschaftsvertrages die schriftliche Erteilung der Bürgschaftserklärung. Zunächst einmal wird damit nicht die Schriftform für den gesamten Bürgschaftsvertrag gefordert. Vielmehr beschränkt der Wortlaut des § 766 Satz 1 BGB das Schriftformerfordernis allein auf die Erteilung der Bürgschaftserklärung: Es muss also die Erklärung des Bürgen, sich verpflichten zu wollen, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzustehen, schriftlich vorliegen. Dieses Erfordernis muss unabhängig davon gelten, ob es sich um einen Vertrag zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger oder um einen Vertrag zugunsten des Gläubigers zwischen dem Bürgen und dem Dritten handelt.432 Die schriftliche Erteilung im Sinne des § 766 Abs. 1 BGB muss dabei als Schriftform im Sinne des § 126 Abs. 1 BGB verstanden werden.433 Die Urkunde, die die Bürgschaftserklärung enthält, muss demnach von dem Bürgen eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden; dieses Formerfordernis kann gemäß § 126 Abs. 4 BGB durch eine notarielle Beurkundung ersetzt werden. § 126 Abs. 2 BGB ist darüber hinaus für den Bürgschaftsvertrag gerade nicht einschlägig, da sich das Schriftformerfordernis wie dargestellt nicht auf den gesamten Vertrag bezieht. Obgleich nach § 126 Abs. 3 BGB grundsätzlich die Schriftform durch die elektronische Form ersetzt werden kann, ist dies für die Bürgschaft nach § 766 Satz 2 BGB ausdrücklich ausgeschlossen. Das Schriftformerfordernis des § 766 Satz 1 BGB hat eine Warnfunktion und soll den Bürgen vor dem übereilten Abschluss einer – für ihn negativen – Bürgschaft bewahren.434 So heißt es in den „Motiven der Ersten Kommission zum Ersten Entwurf des Bügerlichen Gesetzbuches“: „Soweit in der Gesetzgebung für die Bürgschaft eine Form (Schriftform) erfordert wird, beruht dies […] wesentlich auf dem Zwecke, übereilte, leichtsinnige Bürgschaften zu verhüten, oder es soll die Form der Klarstellung,

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Vgl. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 766, Rdnr. 5; Zetzsche in: Erman BGB, BGB § 766, Rdnr. 1; Madaus in: Gsell/Krüger/ Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 766, Rdnr. 6. Vgl. zu weiteren Einzelheiten des Schriftformerfordernisses eingehend Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 156 - 164. Vgl. zum Zweck des Formerfordernisses Habersack in: Säcker/ Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 766, Rdnr. 1; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 766, Rdnr. 1. Ständige Rechtsprechung, vgl. dazu BGH, Urteil vom 10.10.1957 – VII ZR 419/56, BGHZ 25, S. 318 (320); vgl. für das Schrifttum Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rdnr. 1349; Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 766, Rdnr. 1; Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 156; Madaus in: Gsell/Krüger/ Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 766, Rdnr. 2, jeweils m. w. N.

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für welche Schuld die Bürgschaft übernommen wurde, dienen.“435 Daher wird ein etwaiger Formmangel nach § 766 Satz 3 BGB geheilt, soweit der Bürge die Hauptverbindlichkeit erfüllt. In diesem Stadium wird man nämlich davon ausgehen können, dass der Bürge erneut über seine eigene Verpflichtung nachgedacht hat und damit diese nicht übereilt eingegangen ist; der Warnzweck des Schriftformerfordernisses erübrigt sich damit.436 Ausreichend ist insofern nicht der Willen der Parteien zur Aufrechterhaltung der Bürgschaft. Erforderlich ist vielmehr, dass der Bürge eine Leistungshandlung vornimmt, die zur Erfüllung der Hauptschuld entweder nach § 362 Abs. 1 BGB oder gemäß der §§ 364 ff. BGB führt.437 Insofern kann auch eine teilweise Heilung eintreten, da das Gesetz formuliert: „Soweit der Bürge die Hauptverbindlichkeit erfüllt, wird der Mangel der Form geheilt.“438 Teilleistungen des Bürgen führen also nur, aber auch gerade zur teilweisen Heilung.439 Ansonsten führt die Missachtung des Formerfordernisses zur Nichtigkeit der Bürgschaft, welche von Amts wegen zu beachten ist. Diese Warnfunktion sieht der Gesetzgeber aber nicht für alle Personengruppen als erforderlich an. Vielmehr statuiert er in § 350 HGB eine Ausnahme von dem Formerfordernis: Auf eine Bürgschaft finden, sofern die Bürgschaft auf der Seite des Bürgen ein Handelsgeschäft ist, die Formvorschriften des § 766 Satz 1 und 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches keine Anwendung. Für diese Ausnahmevorschrift ist also erforderlich, dass die Bürgschaft auf Seiten des Bürgen ein Handelsgeschäft im Sinne des § 343 Abs. 1 HGB ist. Wird eine Bürgschaftserklärung demnach von einem Kaufmann abgegeben und gehört die Bürgschaft als Geschäft zum Betrieb seines Handelsgewerbes, so besteht kein Schriftformerfordernis für die Bürgschaftserklärung.440 Dem Kaufmann wird mithin zum einen ein größeres Verständnis von der Bürgschaft als solcher zugesprochen, zum anderen aber auch die Kompetenz, die Bedeutung seines Handelns

435 436 437 438 439 440

Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 368. Vgl. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 766, Rdnr. 28 m. w. N. Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 766, Rdnr. 37. Vgl. Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 166. Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 766, Rdnr. 40. Vgl. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 766, Rdnr. 3; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 766, Rdnr. 7 ff., jeweils mit Erläuterungen zur Anwendbarkeit des § 350 HGB auch auf verschiedene Gesellschaftsformen. Die Bürgschaft eines Gesellschafters oder eines GmbHGeschäftsführers ist hingegen nicht formfrei, da diese als Person keine Kaufleute sind, vgl. Horn, Bürgschaften und Garantien, Rdnr. 148; Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 63.

110

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

richtig zu erfassen. Er ist daher hinsichtlich der Bürgschaft nicht so schutzwürdig wie andere Personen im Rechtsverkehr.441 c)

Zwischenergebnis

Eine Bürgschaft im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches entsteht somit – jedenfalls als gesetzlich vorgesehener Normalfall – durch einen Vertrag. Aufgrund der wirtschaftlichen Reichweite bzw. des wirtschaftlichen Risikos ohne unmittelbare Gegenleistung für den Bürgen schützt das Gesetz den Bürgen grundsätzlich durch das Schriftformerfordernis des § 766 Satz 1 BGB. Eine gesetzliche Entstehung der Bürgschaft – als ein vom Gesetz im Sinne des § 311 Abs. 1 BGB anderes vorgeschrieben – sehen die §§ 765, 766 BGB indes nicht vor bzw. bieten auch keinen Anhaltspunkt für die Annahme einer gesetzlichen Bürgschaft. 2

Der Inhalt

§ 765 Abs. 1 BGB normiert über die Entstehungsvoraussetzungen hinaus den Inhalt einer Bürgschaft: Der Bürge hat für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzustehen. a)

Art und Gegenstand der Einstandspflicht

aa) „Einstehen“ anstatt „haften“ Auf einen ersten Blick ist auffällig, dass der Bürge nicht für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten haftet, sondern für die Erfüllung der Verbindlichkeit einzustehen hat. Die Begrifflichkeit „einzustehen“ wird vom Bürgerlichen Gesetzbuch verschiedentlich verwendet: Einerseits verwendet das Gesetz diesen Begriff im Zusammenhang mit der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten (so in §§ 277, 347 Abs. 1 Satz 2, 690, 708, 1359, 1664 Abs. 1, 2131 BGB), andererseits im Zusammenhang mit dem Wert eines Gegenstandes (so in § 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BGB) oder mit Gesamtgutsverbindlichkeiten (so in § 1481 Abs. 1 bis 3 BGB). Im ersteren Fall begründen die jeweiligen Normen keine eigenen Haftungstatbestände. Vielmehr schränken sie allein einen bestehenden Haftungstatbestand ein, indem der Umfang des Verschuldens, für welches gehaftet wird, eingegrenzt wird – es handelt sich also um Haftungsprivilegierungen442 – bzw. füllen eine solche Eingrenzung inhaltlich aus, das heißt,

441 442

Vgl. Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rdnr. 108. Vgl. beispielhaft für § 690 BGB Schlinker in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.06.2017, BGB § 690, Rdnr. 1.

A

Die Bürgschaft

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konkretisieren diese (vgl. § 277 BGB)443. „Einstehen“ bedeutet dort insoweit also nicht „haften“. Anders liegt es indes bei § 506 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 bzw. § 1481 BGB: Dort wird der Begriff des „Einstehens“ synonym mit „haften“ verwendet. Dies gilt gleichermaßen für § 765 Abs. 1 BGB. Insofern ist die Verwendung des Ausdrucks „der Bürge haftet“ bzw. „Bürgenhaftung“ mit dem Gesetzeswortlaut vereinbar. Gleichwohl besteht bei § 765 Abs. 1 BGB insoweit eine Besonderheit, als dass dies die einzige Norm ist, in welcher die Haftung für eine fremde Verbindlichkeit (bzw. Verpflichtung) mit dem Wort „einzustehen“ ausgedrückt wird. Die synonyme Verwendung von „haften“ und „einstehen“ in der Rechtssprache ist zudem mit der sprachlichen Bedeutung der Worte vereinbar. „Einstehen“ bedeutet „sich verbürgen, garantieren, Gewähr leisten, eintreten“ oder „geradestehen, aufkommen“.444 „Haften“ trägt neben der Bedeutung als „aufgrund seiner Haftfähigkeit [in bestimmter Weise] an, auf etwas festkleben“ die Bedeutung „für jemanden, jemandes Handlungen, für etwas die Haftung tragen, im Falle eines eintretenden Schadens o. Ä. Ersatz leisten müssen“ oder „(Rechtssprache, Wirtschaft) als Gesellschafter eines Unternehmens, als Unternehmen in bestimmter Weise mit seinem Vermögen eintreten müssen“ oder „für jemanden, etwas einem anderen gegenüber verantwortlich sein, einstehen müssen“.445 Die beiden Worte haben mithin – jedenfalls in einem Rechtskontext – einen vergleichbaren Bedeutungsgehalt. bb) Einstehen für die Erfüllung Die Bürgschaft unterscheidet sich überdies von anderen Haftungstatbeständen dadurch, dass der Bürge nicht etwa unmittelbar für die Verbindlichkeit, sondern für die Erfüllung der Verbindlichkeit einzustehen hat. Dies deutet darauf hin, dass sich Hauptschuld und Bürgschaftsschuld unterscheiden. Der Begriff der Erfüllung ist im Gesetz nicht legaldefiniert. Der vierte Abschnitt des zweiten Buches des Bürgerlichen Gesetzbuches regelt das Erlöschen der Schuldverhältnisse. Der erste Titel trägt die Überschrift „Erfüllung“. Aus der Zusammenschau der Überschrift und der Vorschrift des § 362 Abs. 1 BGB („Erlöschen durch Leistung“) kann indes geschlussfolgert werden, dass die Erfüllung die Bewirkung der geschuldeten Leistung ist.446 Dies bedeutet, dass der Bürge nicht für die gesamte Ver-

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Vgl. dazu Schaub in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.07.2017, BGB § 277, Rdnr. 2 m. w. N. Duden Deutsches Universalwörterbuch, S. 496: „einstehen“. Duden Deutsches Universalwörterbuch, S. 778: „haften“. Im Ergebnis so auch Fetzer in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Krüger MünchKomm-BGB Band 2, BGB § 362, Rdnr. 2; Joussen, Schuldrecht I – Allgemeiner Teil, Rdnr. 28; Looschelders in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.07.2017, BGB § 362, Rdnr. 28.

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

bindlichkeit des Hauptschuldners (also Hauptleistung einschließlich Nebenleistungen) einzustehen hat, sondern allein für die Hauptleistung (jedoch einschließlich von Sekundäransprüchen).447 Der Haftungsumfang wird auch durch § 767 BGB verdeutlicht: Nach § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB ist für die Verpflichtung des Bürgen der jeweilige Bestand der Hauptverbindlichkeit maßgebend. Dies gilt nach Satz 2 auch insbesondere dann, wenn die Hauptverbindlichkeit durch Verschulden oder Verzug des Hauptschuldners geändert wird. Insofern hat der Bürge auch für Verzugszinsen einzustehen (Sekundäransprüche).448 Nach § 767 Abs. 2 BGB haftet der Bürge für die dem Gläubiger von dem Hauptschuldner zu ersetzenden Kosten der Kündigung und der Rechtsverfolgung (Nebenleistungen). Hierunter fallen beispielsweise die Kosten der Rechtsverfolgung im Sinne von §§ 91 ff., 788 ZPO.449 Sofern der Bürge für die Verbindlichkeit des Hauptschuldners als solche einzustehen hätte, würde diese Kostentragungspflicht von Natur aus den Bürgen treffen. Da dies jedoch – wie aufgezeigt – nicht der Fall ist, bedarf es der Regelung des § 767 Abs. 2 BGB. Der Bürge hat also nach § 765 Abs. 1 BGB nur für die Hauptleistung nebst Sekundäransprüchen einzustehen. cc) Die eigene Leistungspflicht des Bürgen Dabei entsteht durch den Bürgschaftsvertrag eine von der Hauptschuld verschiedene, einseitig übernommene eigene Leistungspflicht des Bürgen. Diese gilt damit grundsätzlich unabhängig vom Bestand der Hauptschuld.450 Dies ist zwar mit Blick auf die Entstehungsgeschichte nicht von vornherein selbstverständlich, wenn es im Entwurf der Ersten Lesung des Bürgerlichen Gesetzbuches noch hieß, dass sich der Bürge verpflichtet, die Verbindlichkeit des Dritten zu erfüllen. Durch die Änderung des Wortlauts im Entwurf der Zweiten Lesung wird aber deutlich, dass der Bürge für die Erfül-

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Aber ausdrücklich nicht geregelt ist die Frage, ob der Bürge auch für Nebenansprüche im Sinne von Vertragszinsen und Vertragsstrafen haftet, vgl. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 372. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 765, Rdnr. 77; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 767, Rdnr. 33; Rohe in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 767, Rdnr. 10. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 767, Rdnr. 8, 9; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 767, Rdnr. 27 ff.; Rohe in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 767, Rdnr. 13. BGH, Urteil vom 09.07.1998 – IX ZR 272 - 96, NJW 1998, S. 2972 (2973); BGH, Urteil vom 24.01.1991 – IX ZR 174/90, NJW 1991, S. 975 (976); Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/ Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 765, Rdnr. 2 - 3; Madaus in: Gsell/Krüger/ Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 765, Rdnr. 7 - 9; Sprau in: Palandt, BGB Einf v § 765, Rdnr. 1.

A

Die Bürgschaft

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lung der Verbindlichkeit lediglich einzustehen hat, also eben nicht dieselbe Verbindlichkeit erfüllen muss.451 Die Leistungspflicht des Bürgen richtet sich – wie dargelegt – inhaltlich nahezu vollständig nach der Leistungspflicht des Hauptschuldners.452 Der Bürge hat daher grundsätzlich das Leistungsinteresse des Gläubigers zu befriedigen. Ausnahmsweise hat der Bürge aber bloß das Erfüllungsinteresse des Gläubigers zu befriedigen. Dies ist der Fall, wenn der Bürge für die Erfüllung untervertretbarer oder höchstpersönlicher Leistungen einzustehen hat. Dem Bürgen ist die Erfüllung der Leistung dann gar nicht möglich, sodass dann bloß das monetäre Interesse des Gläubigers inhaltlicher Gegenstand der Bürgschaft sein kann.453 Durch die Bürgschaft stehen dem Gläubiger somit zwei Forderungen zu: Einerseits besteht die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner. Andererseits wird diese Forderung durch die Forderung gegen den Bürgen abgesichert, die als zweite Forderung dem Gläubiger zusteht.454 Der Sicherungszweck der Bürgschaft in Form der Personalsicherheit wird durch diese rechtliche Konstruktion unterstrichen. Die Sicherheit besteht mithin nicht in einem konkreten Gegenstand, wie es bei einer Realkreditsicherheit der Fall ist, sondern in einer Forderung, wodurch dem Gläubiger der schuldrechtliche Zugriff auf das Vermögen des Bürgen gewährt wird. Zwischen dem Hauptschuldner und dem Bürgen entsteht somit auch nicht etwa ein Gesamtschuldverhältnis.455 Dafür fehlt es bereits an dem Erfordernis derselben Leistung. Der Hauptschuldner erfüllt mit seiner Leistung stets eine eigene Schuld und nicht etwa die des Bürgen, im Gegenzug erfüllt auch der Bürge seine eigene Schuld und nicht die des Hauptschuldners, auch wenn der jeweils andere durch die Leistung befreit wird. Der Wortlaut des § 766 Satz 3 BGB, der von der Erfüllung der Hauptverbindlichkeit durch den Bürgen spricht, ist zwar insofern missverständlich. Er muss jedoch so verstanden werden, dass der Bürge seine eigene Schuld erfüllt, wodurch der Hauptschuldner befreit wird. Ansonsten würde bei einer Leistung des Bürgen seine eigene Schuld nicht erfüllt und zudem wäre ein Forderungsübergang nach Maßgabe

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Vgl. dazu unter Drittes Kapitel. A I. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 765, Rdnr. 79; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 765, Rdnr. 23; Zetzsche in: Erman BGB, BGB § 765, Rdnr. 37. Vgl. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB Vor § 765, Rdnr. 79; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 765, Rdnr. 113 jeweils m. w. N. Vgl. dazu Heyers JA 2012, S. 81 (81); Schmolke JuS 2009, S. 585 (585). Vgl. zum Meinungsstand insgesamt Bydlinski in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Krüger MünchKomm-BGB Band 2, BGB § 421, Rdnr. 33 m. w. N.

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

des § 774 BGB nicht möglich, da auf den Bürgen eine Forderung übergehen müsste, auf die er selbst geleistet hätte. b)

Akzessorietät

Die Verbindung zwischen Hauptschuld und Bürgenschuld spielt gleichwohl eine zentrale Rolle im Bürgschaftsrecht und prägt dieses. Ohne die Hauptschuld bestünde keine Berechtigung für das Bestehen der Bürgschaft, da die Bürgschaft der Sicherung der Hauptschuld dient.456 Die grundsätzlich vom Bestand der Hauptverbindlichkeit unabhängige Geltung der Bürgschaft wird deswegen vom Gesetz selbst gebrochen. § 765 Abs. 1 BGB verdeutlicht, dass sich die Bürgschaftsverpflichtung auf die Verbindlichkeit des Hauptschuldners bezieht. § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB verfestigt diese Beziehung, indem für die Verpflichtung des Bürgen der jeweilige Bestand der Hauptverbindlichkeit als maßgebend angeordnet wird. Es wird somit eine einseitige „Abhängigkeit“ der Bürgschaftsverpflichtung von der Hauptverbindlichkeit normiert. Die Bürgschaft ist akzessorisch.457 So heißt es in den „Motiven der Ersten Kommission zum Ersten Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches“: „Die Bürgschaft ist accessorischer Natur, indem sie eine bestehende Verbindlichkeit voraussetzt und der Hauptschuldner (der Dritte) mitverhaftet bleibt.“458 Dem Akzessorietätsprinzip liegt zudem die Regelung des § 768 BGB, die vom Hauptschuldner abgeleiteten Einreden des Bürgen,459 sowie des § 770 Abs. 1 BGB, die Einrede der Anfechtbarkeit,460 zugrunde. Dieses die Bürgschaft kennzeichnende Merkmal ist für den Bestand einer Bürgschaft unumgänglich und daher nicht disponibel.461 Zwar werden Einschränkungen des Akzessorietätsprinzips zugunsten sowohl des Gläubigers als auch des Bürgens zugelassen – beispielsweise durch Begrenzung der Bürgenverpflichtung hinsichtlich der

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Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB Vor § 765, Rdnr. 1, 2; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, Vorbemerkungen zu §§ 765 - 778, Rdnr. 2. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 765, Rdnr. 61 - 67; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 765, Rdnr. 25; Zetzsche in: Erman BGB, BGB § 765, Rdnr. 2, 36 (der richtigerweise drauf hinweist, dass der Bürgschaftsvertrag als solcher nicht von der Hauptschuld abhängig ist). Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 368. Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 768, Rdnr. 1. Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 770, Rdnr. 1, vgl. dazu näher Viertes Kapitel. A II 3 b). Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, Rdnr. 838, der auf den Garantievertrag oder den Schuldbeitritt verweist, sofern ein nicht akzessorisches Sicherungsrecht angestrebt wird; in diese Richtung auch Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 765, Rdnr. 61; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 765, Rdnr. 25.

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Die Bürgschaft

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Höhe oder der Dauer –, jedoch nur insoweit, als die Akzessorietät nicht im Wesentlichen berührt wird.462 Das Akzessorietätsprinzip hat zur Folge, dass die Bürgschaft etwa nur dann entsteht, wenn auch die Hauptverbindlichkeit entsteht bzw. entstehen kann – sollte Letztere etwa wegen Sittenwidrigkeit nicht entstehen, trifft den Bürgen auch keine Einstandspflicht. Inhaltlich haftet der Bürge als solcher aufgrund der Akzessorietät auch nicht weiter als der Hauptschuldner.463 Dies war im Ersten Entwurf zum Bürgerlichen Gesetzbuch noch ausdrücklich normiert: „Hat der Bürge sich zu einer grösseren oder zu einer beschwerlicheren Leistung verpflichtet, als zu welcher der Hauptschuldner verpflichtet ist, oder hat er eine Leistung, zu welcher der Hauptschuldner nur bedingt verpflichtet ist, unbedingt versprochen, so haftet er als Bürge nicht weiter, als der Hauptschuldner verpflichtet ist.“464 Zudem erlischt die Bürgschaftsverpflichtung gleichfalls mit dem Erlöschen der Hauptverbindlichkeit.465 Eine Ausnahme ist beispielsweise dann zu machen, wenn der Hauptschuldner wegen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über seines Vermögen aufgelöst wird, vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG. Dann erlischt zwar die Hauptforderung, die Bürgschaft bleibt aber bestehen, da sie gerade auch für den Fall der Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners greifen soll.466 Schließlich kann sich auch eine nicht mögliche Durchsetzbarkeit der Hauptforderung auf die Durchsetzbarkeit der Bürgschaft auswirken. Die Akzessorietät kann somit in Entstehungs-467, Inhalts-468, Zuständigkeits-, Durchsetzbarkeits- und Bestandsakzessorietät unterschieden werden, wodurch die einzelnen Abhängigkeiten der Bürgschaft von der Hauptschuld differenziert bezeichnet werden.469

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Vgl. Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 133. Vgl. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 369. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, A. Gegenüberstellung des Entw. der ersten Lesung, des Entw. der zweiten Lesung, der Bundesrathsvorlage, der Reichstagsvorlage und des Gesetzbuches, S. CXIV. Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, Rdnr. 837; Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 134; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 765, Rdnr. 23; Prütting in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdiger/Junker jurisPKBGB, Band 2, Stand: 01.12.2016, BGB § 765, Rdnr. 55. Vgl. dazu und zu weiteren Ausnahmen Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 767, Rdnr. 6 f. Vgl. Schmolke JuS 2009, S. 585 (585 f.). Vgl. Schmolke JuS 2009, S. 679 (679). Vgl. insgesamt Medicus/Lorenz, Schuldrecht II, Besonderer Teil, Rdnr. 1012 - 1016. Vgl. zur Bedeutung der Akzessorietät als Mittel des Bürgen- bzw. Gläubigerschutzes Fikentscher/Heinemann, Schuldrecht, Rdnr. 1353.

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung Subsidiarität

Die Bürgschaft ist durch ein weiteres Prinzip geprägt, dem Subsidiaritätsprinzip. Die eigene Schuld des Bürgen ist nach § 271 Abs. 1 BGB im Zweifel sofort fällig, sodass der Bürge im Zweifel sofort für die Hauptverbindlichkeit einzustehen hat. Der Gläubiger könnte sich also grundsätzlich unmittelbar an den Bürgen halten. Das Bürgschaftsrecht kennt aber zum Schutz des Bürgen Einreden, welche er gegen seine sofortige Inanspruchnahme geltend machen kann. Dabei handelt es sich um § 770 Abs. 2 BGB und um § 771 BGB. Nach § 770 Abs. 2 BGB kann der Bürge die Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange sich der Gläubiger durch Aufrechnung gegen eine fällige Forderung des Hauptschuldners befriedigen kann. Nach § 771 Satz 1 BGB kann der Bürge die Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange nicht der Gläubiger eine Zwangsvollstreckung gegen den Hauptschuldner ohne Erfolg versucht hat (Einrede der Vorausklage). Diese Einreden verdeutlichen, dass es sich einerseits bei der Bürgenschuld um eine eigene Schuld des Bürgen handelt und der Bürge andererseits nicht „neben“, sondern bloß „hinter“ dem Hauptschuldner steht. § 771 BGB enthält das Prinzip der Subsidiarität der Bürgschaftsverbindlichkeit, der Bürge „erklärt durch das Bürgschaftsversprechen in Gemäßheit des rechtlichen Bürgschaftsbegriffes an sich nicht allein den Willen, erst hinter dem Hauptschuldner zu haften, sondern auch den Willen, nur für den Fall einzustehen, wenn und soweit die Rechthülfe gegen den Hauptschuldner fruchtlos versucht wurde“.470 Als weitere Ausprägung des Grundsatzes der Subsidiarität kann die Beschränkung der Einstandspflicht des Bürgen bei unvertretbaren Handlungen oder höchstpersönlichen Leistungen auf das Erfüllungsinteresse in Form des Geldes, das der Gläubiger an der Erfüllung der Hauptschuld hat, gezählt werden.471 Insofern zeigt sich, dass die Schuld des Bürgen nicht deckungsgleich mit der des Hauptschuldners, sondern nur nahezu inhaltsgleich ist, und dass der Bürge nicht stets für die Erfüllung der Verpflichtung als solche einzustehen hat. Anders als das Akzessorietätsprinzip ist das Subsidiaritätsprinzip nicht zwingend, es kann, ohne den Charakter der Bürgschaft zu beseitigen, abbedungen werden.472 Dies verdeutlicht schon das Gesetz selbst, wenn es die Subsidiarität von sich aus abbedingt.

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472

Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 373. Vgl. BGH, Urteil vom 21.03.1989 – IX ZR 82/88, NJW 1989, S. 1856 (1857); Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 765, Rdnr. 79; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, Vorbemerkungen zu §§ 765 - 778, Rdnr. 13; vgl. auch oben unter Drittes Kapitel. A II 2 a) cc). Vgl. dazu Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 765, Rdnr. 26, der darauf verweist, dass die Subsidiarität bspw. dem klassischen römischen Recht unbekannt war.

A

Die Bürgschaft

117

§ 773 BGB etwa normiert Ausschlusstatbestände für die Einrede der Vorausklage, wobei insbesondere dessen Absatz 1 Nr. 1 von Bedeutung ist, wonach der Bürge auf die Einrede verzichten kann; die Einrede der Vorausklage wird in diesem Fall durch Vertrag zwischen dem Gläubiger und dem Bürgen ausgeschlossen473. Nach § 349 Satz 1 HGB ist die Einrede der Vorausklage ebenfalls ausgeschlossen, wenn die Bürgschaft für den Bürgen ein Handelsgeschäft ist. In diesen Fällen kann der Bürge gleichwohl unmittelbar durch den Gläubiger in Anspruch genommen werden. Die Akzessorietät der Bürgschaft bleibt insofern aber bestehen.474 Trotz der Disponibilität des Subsidiaritätsprinzips ist dieses ein weiteres charakteristisches Merkmal einer Bürgschaft. Es verdeutlicht die grundlegende Stellung des Bürgen hinter und gerade nicht neben dem Schuldner. Zwar erhält der Gläubiger durch die Bürgschaft eine zweite Forderung und somit auch einen weiteren Schuldner. Jedoch sind die beiden Schuldner nicht auf eine gemeinsame Stufe zu stellen. Der Bürge dient allein der Absicherung des Hauptschuldners. 3

Sinn und Zweck

Sinn und Zweck der Bürgschaft liegen in der Sicherung der Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner in Form einer Personalsicherheit. Die Bürgschaft ist für den Gläubiger eine Sicherungsforderung.475 Für den Bürgen ist die Bürgschaft ein Risikogeschäft: Er übernimmt mit seinem Vermögen das Risiko der Insolvenz des Hauptschuldners.476 Verwirklicht sich also das Risiko, indem der Bürge von dem Gläubiger in Anspruch genommen wird, kann der Bürge grundsätzlich bei dem Hauptschuldner Regress nehmen. Der Regress wird aber nicht in jedem Fall uneingeschränkt möglich sein; so zum Beispiel regelmäßig im Falle der Insolvenz des Hauptschuldners.477 An-

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Vgl. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 374. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 374: „Dieser Verzicht ändert an sich nichts an der accessirischen Natur der Bürgschaft.“; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rdnr. 145. Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, Rdnr. 1; Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, Rdnr. 832; Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB Vor § 765, Rdnr. 1. Esser/Weyers, Schuldrecht Bd. II Tb. 1, S. 343; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, Vorbemerkungen zu §§ 765 - 778, Rdnr. 4; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 765, Rdnr. 6. Im Falle der Insolvenz des Hauptschuldners ist für den Bürgen die Einrede der Vorausklage gemäß § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB ausgeschlossen. Sofern keine Ausfallbürgschaft vorliegt – eine solche liegt vor, wenn der Bürge auch im Falle der Insolvenz des Hauptschuldners seine Haftung als zu einer nur ergänzenden gemacht hat, vgl. insofern auch Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 375 – kann der Gläubiger nach § 43 InsO seine Forderung im Insolvenzverfahren trotz etwaiger Zahlun-

118

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

gesichts dieses Risikos ergibt die Bürgschaft für den Bürgen keinen unmittelbaren wirtschaftlichen Sinn, da der Bürge für seine Bürgschaftsverpflichtung aus dem Bürgschaftsvertrag keine synallagmatische Gegenleistung erhält.478 Eine Gegenleistung könnte sich gegebenenfalls aus einem Grundgeschäft zwischen Bürge und Hauptschuldner ergeben.479 Isoliert betrachtet bedeutet die Bürgschaft, dass der Bürge mit der Übernahme ebendieser ein eigenes, von der Bürgschaft als solcher unterschiedliches wirtschaftliches Interesse verfolgen wird. Dieses Risiko soll der Bürge weitestgehend selbstbestimmt eingehen können, doch wird er vom Gesetz auch geschützt, was sich bereits in § 766 Satz 1 BGB zeigt. Denn bei der Bürgschaft kommen neben den beiden bereits angesprochenen „lokalen Prinzipien“480 des Rechts der Kreditsicherheiten, dem Akzessorietätsprinzip und dem Subsidiaritätsprinzip auch „globale Prinzipien“ des gesamten deutschen Zivilrechtssystems zum Tragen. Gemeint sind Selbstbestimmung und Selbstverantwortung eines (potentiellen) Bürgen, welche aber durch das Erfordernis einer Vertragsparität flankiert werden. Jede Person soll also, weil sie für sich selbst am besten entscheiden kann, was wirtschaftlich gut oder schlecht für sie ist, selbst über das Eingehen einer Bürgschaft entscheiden können (Selbstbestimmung). Hat sie sich für eine Bürgschaft entschieden, muss sie auch die Folgen dieser tragen (Selbstverantwortung). Dies lässt das Gesetz aber nur uneingeschränkt in den Fällen zu, in denen zwischen Bürge und Schuldner eine vergleichbare Verhandlungsposition besteht (Vertragsparität). Besteht keine Vertragsparität, schließt das Gesetz zwar nicht die Entstehung einer Bürgschaft aus, es werden jedoch Flanken (wohl zu Lasten des stärkeren Vertragspartners) gesetzt.481

478 479

480 481

gen des Bürgen weiterverfolgen, vgl. Knof in: Uhlenbruck InsO, InsO § 43, Rdnr. 5. Andererseits kann der leistende Bürge seinen Regressanspruch gegen den Hauptschuldner aus § 774 Abs. 1 Satz 1 BGB gemäß § 44 InsO nur geltend machen, wenn der Gläubiger seine Forderung nicht geltend macht, weil die Forderungen wirtschaftlich betrachtet identisch sind, vgl. Bitter in: Kirchhof/Eidenmüller/Stürner MünchKomm-InsO Band 1, InsO § 43, Rdnr. 1. Der Bürge hat bei vollständiger Befriedigung des Gläubigers einen Anspruch gegen diesen auf Abtretung des zur Insolvenzmasse angemeldeten Betrages oder auf Rücknahme der Insolvenzanmeldung wegen ungerechtfertigter Bereicherung, vgl. Leithaus in: Andres/Leithaus Insolvenzordnung, InsO § 44, Rdnr. 5. Daher rührt wohl auch das Zitat von Konrad Zweigert „Ein Jurist bürgt nicht!“, vgl. Plate, Das gesamte examensrelevante Zivilrecht, S. 288 - 289. Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 765, Rdnr. 6. Prütting in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdiger/Junker jurisPK-BGB, Band 2, Stand: 01.12.2016, BGB § 765, Rdnr. 11. Vgl. zu diesem Begriff Heyers JA 2012, S. 81 (82). Vgl. zum Vorstehenden Heyers JA 2012, S. 81 (82).

A

Die Bürgschaft

4

Die Rolle des Bürgen für das Hauptschuldverhältnis

119

Die Bürgschaft begründet eine schuldrechtliche Pflicht des Bürgen gegenüber dem Gläubiger, indem sich der Bürge verpflichtet, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Hauptschuldners einzustehen. Dabei wird durch die Bürgschaft eine neue Schuld des Bürgen begründet, die nahezu inhaltsgleich mit der des Schuldners ist. Rein rechtlich betrachtet hat die Bürgschaft zunächst einmal keinerlei Einfluss auf das Schuldverhältnis zwischen Gläubiger und Drittem. Dies wird auch dadurch verdeutlicht, dass der Bürgschaftsvertrag als kausales Verpflichtungsgeschäft seinen Geschäftszweck selbst in sich trägt.482 Bei Erfüllung seiner Verpflichtung durch den Bürgen wird indes der Hauptschuldner von seiner Verpflichtung befreit. Es wird regelmäßig zwischen Hauptschuldner und Bürgen ein Schuldverhältnis bestehen, aufgrund dessen der Bürge die Bürgschaft überhaupt erst eingegangen ist. Man kann daher feststellen, dass durch die Bürgschaft ein Dreiecksverhältnis zwischen dem Gläubiger, dem Hauptschuldner und dem Bürgen entsteht. Diese rein rechtliche Betrachtung würdigt die Bedeutung bzw. die Rolle des Bürgen aber nicht hinreichend. Zwar wird die Bürgschaft in der Regel zwischen dem Gläubiger und dem Bürgen vereinbart. Gleichwohl ist es nicht ungewöhnlich, dass der Gläubiger von dem Dritten die Stellung einer Sicherheit fordert und dies gegebenenfalls sogar zur Voraussetzung eines Vertragsschlusses macht, weil er (vor allem) an der Leistungsfähigkeit des Hauptschuldners zweifelt483. Eine solche Sicherheit kann dann die Bürgschaft darstellen. Jedenfalls vor diesem Hintergrund hat der Bürge eine entscheidende wirtschaftliche Rolle für das Hauptschuldverhältnis: Ohne sein Zutun würde das Hauptschuldverhältnis so nicht begründet, der Bürge ist dann mithin der „Katalysator“ des Vertragsschlusses. Dieses Bild veranschaulicht die weitreichende Rolle des Bürgen: Obgleich der Bürge nicht Schuldner der originären Schuld wird – einen Schuldbeitritt484 beispielsweise stellt die Bürgschaft gerade nicht dar485 –, löst eine Bürgschaft die klassischen Strukturen des Hauptschuldverhältnisses. Der Bürge wird zu einem Quasi-Schuldner, der eigentliche Schuldner kann sich indes allein auf seine Gläubigerstellung zurückziehen.

482 483 484 485

Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 765, Rdnr. 19 - 21; Sprau in: Palandt, BGB Einf v § 765, Rdnr. 4. Vgl. Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 3. Auch Schuldmitübernahme oder kumulative Schuldübernahme genannt, vgl. dazu Looschelders, Schuldrecht Besonderer Teil, Rdnr. 938. Eingehend zur Abgrenzung von Bürgschaft und Schuldbeitritt Horn, Bürgschaften und Garantien, Rdnr. 9 - 19; Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 11; Looschelders, Schuldrecht Besonderer Teil, Rdnr. 938 - 940; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rdnr. 36 - 41.

120

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

Ein Bürge ist also nicht Partei des Hauptschuldverhältnisses. Der Gläubiger ist zudem nicht Partei des etwaigen Schuldverhältnisses zwischen Bürgen und Hauptschuldner. Der Hauptschuldner ist schließlich auch nicht Partei eines zwischen Bürgen und Gläubiger abgeschlossenen Bürgschaftsvertrags. Eine rechtliche Einflussnahme des jeweils Dritten auf das jeweilige Schuldverhältnis besteht daher nicht. Die Bürgschaft verändert daher insbesondere das bestehende Hauptschuldverhältnis in keiner Weise. Gleichwohl berührt es dieses in einer zumindest wirtschaftlichen bzw. faktischen Weise. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Stellung einer Bürgschaft zur Voraussetzung der Begründung des Schuldverhältnisses gemacht wird. Aber selbst dann, wenn das Hauptschuldverhältnis ohne die Bürgschaft begründet wurde und die Bürgschaft erst zu einem späteren Zeitpunkt entstanden ist, ist ein Bürge noch eng mit dem Hauptschuldverhältnis verbunden und hat für dessen wirtschaftlichen Erfolg eine entscheidende Rolle. Diese Rolle verstärkt sich umso mehr, desto geringer die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Bürgen sind. Ein selbstschuldnerischer Bürge kann seiner Inanspruchnahme weniger entgegensetzen als der „normale“ Bürge. Er kann daher schneller in Anspruch genommen werden, hat also eine größere wirtschaftliche Bedeutung. Je nach dem, in welchem Stadium der Bürge ins Spiel kommt und in welcher Art und Weise er sich verbürgt, hat der Bürge eine stärkere oder schwächere wirtschaftliche Bedeutung für das Hauptschuldverhältnis. Aus rechtlicher Sicht hat er keine Einflussmöglichkeit auf das Hauptschuldverhältnis, vielmehr sind die einzelnen Schuldverhältnisse lediglich bilateraler Natur – ausgenommen einer Bürgschaft in Form eines (echten) Vertrages zwischen Bürgen und Hauptschuldner zugunsten des Gläubigers. 5

Die Rechtsnatur

Daraus ergibt sich nun die Rechtsnatur der Bürgschaft: Die Bürgschaft ist keine bloße Haftung in Bezug auf die Hauptschuld.486 Vielmehr handelt es sich um eine Leistungspflicht aus einer eigenen Schuld des Bürgen. Die Rechtsnatur der Bürgschaft ist daher nicht aus der Natur der Hauptschuld zu bestimmen.487 Der Bürge hat durch den Bürgschaftsvertrag eine eigene Leistungspflicht gegenüber dem Gläubiger, die mit dieser inhaltlich nahezu identisch ist; er hat die Hauptleistung einschließlich etwaiger Sekundäransprüche zu erfüllen. Gleichwohl ist die Verpflichtung des Bürgen von der des Hauptschuldners verschieden.488 Dabei stellt der 486 487 488

Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 4; Weber/Weber, Kreditsicherungsrecht, S. 66. BGH, Urteil vom 09.07.1998 – IX ZR 272 - 96, NJW 1998, S. 2972 (2973). Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 765, Rdnr. 2; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 765, Rdnr. 7.

A

Die Bürgschaft

121

Bürgschaftsvertrag kein abstraktes Rechtsgeschäft dar: Die Bürgschaft trägt ihren Rechtsgrund in sich, sie ist eine kausale Verbindlichkeit.489 Durch die Befriedigung des Gläubigers der Hauptschuld leistet der Bürge gemäß § 362 Abs. 1 BGB auf seine eigene Schuld und befreit gleichzeitig den Hauptschuldner von seiner Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger, ohne jedoch dessen Verbindlichkeit zu erfüllen.490 Der Bundesgerichtshof formulierte dazu beispielsweise im Jahr 1984: „Die Bürgschaft begründet eine von der Verbindlichkeit des Hauptschuldners verschiedene, eigene Verbindlichkeit des Bürgen, für die Erfüllung durch den Hauptschuldner einzustehen. Sie ist keine bloße Haftungsübernahme. Ihr Rechtscharakter bestimmt sich nicht aus der Art der Hauptschuld. Sie trägt ihren Rechtsgrund vielmehr in dem Sinne in sich, daß sie keiner weiteren Rechtfertigung mehr bedarf. Sie hat ihre gesetzliche Grundlage in den Vorschriften des BGB. Die Abhängigkeit der Bürgschaftsschuld von der gesicherten Hauptverbindlichkeit (Akzessorietät) soll nur sicherstellen, daß der Gläubiger vom Bürgen das bekommt, was er vom Hauptschuldner nach dem jeweiligen Bestand der Hauptschuld zu bekommen hat. Sie bestimmt aber nicht die Rechtsnatur der Bürgschaft im Sinne einer Abhängigkeit von der Rechtsnatur der Hauptschuld.“491 Die Bürgschaft ist daher – in der Form des gesetzlich normierten Regelfalls der §§ 765 ff. BGB – eine rechtsgeschäftlich entstandene, eigenständige Schuld des Bürgen. 6

Zwischenfazit

Die Bürgschaft hat sich aus geschichtlicher Sicht von einer persönlichen Einstandspflicht mit dem eigenen Leben zu einer persönlichen Einstandspflicht mit dem eigenen, gesamten Vermögen entwickelt. Der wirtschaftliche Wert der Bürgschaft hängt allein von der aktuellen finanziellen Leistungsfähigkeit des Bürgen ab und kann Schwankungen unterworfen sein. Die Bürgschaft stellt keine bloße Haftung, sondern eine eigenständige Schuld dar. Gleichwohl ist sie aufgrund ihrer Akzessorietät von der Hauptschuld einseitig abhängig und steht nach der gesetzlichen Grundkonzeption hinter der Hauptschuld. Auch wenn Letzteres in zulässiger Weise im Außenverhältnis abbedungen sein sollte, so soll der Bürge grundsätzlich nicht das endgültige wirtschaftliche Risiko tragen. Dies kann jedoch in tatsächlicher Hinsicht durch eine Vermögenslosigkeit des Hauptschuldners eintreten.

489 490 491

Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 765, Rdnr. 2 - 3; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 765, Rdnr. 7. Vgl. dazu Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, Vorbemerkungen zu §§ 765 - 778, Rdnr. 12. BGH, Urteil vom 16.02.1984 – IX ZR 45/83, NJW 1984, S. 1622 (1623).

122

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

Der Gesetzgeber geht in den §§ 765 ff. BGB schließlich allein von einer rechtsgeschäftlichen Entstehung der Bürgschaft aus, was vor allem dadurch deutlich wird, dass er – anders als beispielsweise für das Pfandrecht an beweglichen Sachen in § 1204 Abs. 1 BGB – keine von der Entstehungsmöglichkeit der Bürgschaft losgelöste Legaldefinition normiert hat. Vielmehr spricht der Gesetzgeber in § 765 Abs. 1 BGB allein von den Verpflichtungen des Bürgen aus einem Bürgschaftsvertrag.

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

123

Gleichwohl nimmt der Gesetzgeber auf verschiedene Art und Weise sowohl im Bürgerlichen Gesetzbuch als auch in anderen Gesetzen Bezug auf die Bürgschaft. Dabei stellt sich zum einen die Frage, wie diese Bezugnahme rechtlich ausgestaltet ist. Zum anderen fragt sich, wie sich diese Bezugnahmen im Laufe der Zeit nach Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches entwickelt haben. Für die Bezugnahme auf die Bürgschaft werden im Folgenden drei Rechtsfiguren unterschieden: der Kreditauftrag, die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft und die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. Diese drei Rechtsfiguren werden zunächst mit ihren jeweiligen Tatbeständen dargestellt, um anhand einer Auslegung der Tatbestände nach Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck492 die Rechtsnatur zu bestimmen. Schließlich wird die Entwicklung der einzelnen Rechtsfiguren untersucht. I

Der Kreditauftrag

Als erste Rechtsfigur, die eine gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft darstellt, wird der Kreditauftrag untersucht. Der Kreditauftrag ist im „Titel 20. Bürgschaft“ des Bürgerlichen Gesetzbuches verortet. § 778 BGB normiert, dass, wer einen anderen beauftragt, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung einem Dritten ein Darlehen oder eine Finanzierungshilfe zu gewähren, dem Beauftragten für die aus dem Darlehen oder der Finanzierungshilfe entstehende Verbindlichkeit als Bürge haftet. 1

Der Wortlaut

Sprachlich unterscheidet sich § 778 BGB bereits von § 765 Abs. 1 BGB. Zunächst verzichtet § 778 BGB jedenfalls auf einen gesonderten Bürgschaftsvertrag im Sinne des § 765 Abs. 1 BGB.493 Erforderlich ist lediglich, dass jemand (der Auftraggeber) einen anderen (den Beauftragten) beauftragt, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung einem Dritten ein Darlehen oder eine Finanzierungshilfe zu gewähren. Es muss also lediglich ein Auftrag (im Sinne des § 662 BGB) mit bestimmtem Inhalt vorliegen. Zum anderen unterscheidet sich § 778 BGB von § 765 Abs. 1 BGB insofern, als der

492 493

Vgl. zu den verschiedenen Auslegungsmethoden eingehend Möllers, Juristische Methodenlehre, § 4 Rdnr. 1 ff., § 5 Rdnr. 1 ff. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 778, Rdnr. 1; im Ergebnis so auch Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 778, Rdnr. 6; Prütting in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/ Würdiger/Junker jurisPK-BGB, Band 2, Stand: 01.12.2016, BGB § 778, Rdnr. 7; Rohe in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 778, Rdnr. 2.

124

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

Auftraggeber „haftet“ und nicht „einsteht“; dies ist für die Auslegung der Norm jedoch – wie oben gezeigt wurde – aufgrund der synonymen Verwendbarkeit der Begriffe ohne Belang. Der Auftraggeber haftet jedoch nicht für die Erfüllung der Verbindlichkeit, sondern unmittelbar für die Verbindlichkeit. Dieser Umstand könnte wiederum eine unterschiedliche dogmatische Einordnung der Bürgschaft und des Kreditauftrags bedeuten. Dieses Ergebnis ist vom Wortlaut her indes nicht zwingend: Die Formulierung, dass der Auftraggeber für die entstehende Verbindlichkeit als Bürge haftet, kann auch dahin gehend verstanden werden, dass der Auftraggeber für die Erfüllung der entstehenden Verbindlichkeit einstehen muss. Demnach könnte es sich um eine gesetzlich angeordnete Bürgschaft, also eine gesetzliche Bürgschaft handeln. Dies wiederum beachtet nicht, dass der Haftung ein Auftrag als schuldrechtlicher Vertrag zwischen dem Gläubiger des Darlehens bzw. der Finanzierungshilfe und dem Auftraggeber, der eine dem Bürgen jedenfalls vergleichbare Stellung einnehmen soll, zugrunde liegt. Daher könnte das Bürgschaftsrecht auch bloß als gesetzliche Haftungsfolge auf den (besonderen) Auftrag anwendbar sein. Dann aber müsste der Kreditauftrag dogmatisch etwas anderes als eine „gesetzliche Bürgschaft“ sein. In der Art seiner Formulierung – und damit in der Art seiner Regelungstechnik – ist der Wortlaut des § 778 BGB einzigartig. Ein weiterer Tatbestand, nach dem jemand „als Bürge“ haftet, existiert weder im Bürgerlichen Gesetzbuch noch in einem anderen Gesetz. Im Vergleich zu den Tatbeständen, nach denen jemand „wie ein Bürge“ haftet494, erscheint § 778 BGB sprachlich noch näher an die Bürgschaft angelehnt zu sein. „Als“ könnte mithin für eine gesetzliche Bürgschaft sprechen. § 778 BGB unterscheidet sich aber auch im Vergleich zu Tatbeständen, die gesetzlich ein Sicherungsrecht anordnen. So ordnet beispielsweise § 647 BGB ein gesetzliches Pfandrecht (vgl. § 1257 BGB) an: Der Unternehmer hat für seine Forderungen aus dem Vertrag ein Pfandrecht an den von ihm hergestellten oder ausgebesserten beweglichen Sachen des Bestellers, wenn sie bei der Herstellung oder zum Zwecke der Ausbesserung in seinen Besitz gelangt sind. Die unterschiedliche Regelungstechnik ist evident. Wohingegen § 778 BGB bloß die Haftung als Bürge anordnet, bestimmt § 647 BGB, dass unter bestimmten Voraussetzungen der Unternehmer ein Pfandrecht hat. Vergleichbares hätte auch für den Kreditauftrag normiert werden können, indem der Gesetzgeber zum Beispiel angeordnet hätte, dass der Beauftragte eine Bürgschaftsforderung gegen den Auftraggeber unter den genannten Voraussetzungen hat.

494

Vgl. dazu Drittes Kapitel. B III.

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

125

Im Ergebnis liefert der Wortlaut des § 778 BGB demnach kein eindeutiges Auslegungsergebnis. Er spricht aber eher dafür, dass § 778 BGB keine gesetzliche Bürgschaft anordnet. 2

Die Systematik

Systematische Erwägungen unterstützen dieses (vorläufige) Ergebnis. Der Kreditauftrag ist dem Grunde nach ein Auftrag im Sinne der §§ 662 ff. BGB.495 Demnach sind auch die Rechtsfolgen eines Kreditauftrags zunächst einmal dem Auftragsrecht zu entnehmen. Der Standort des Kreditauftrags im Recht der Bürgschaft soll aber zu einer Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts führen, wobei fraglich ist, wie diese Anwendbarkeit begründet werden kann. Da der Kreditauftrag aber mehr als die bloße Kreditsicherung beinhaltet, kann das Bürgschaftsrecht allein für die Haftung des Auftraggebers von Bedeutung sein; der Kreditauftrag selbst kann keine Bürgschaft sein. Vielmehr ist die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts gesetzliche Folge des Kreditauftrags für die Haftung des Auftraggebers. Insofern wird § 670 BGB verdrängt496, der normalerweise Aufwendungsersatzansprüche des Beauftragten gegenüber dem Auftraggeber regelt.497 Das an den Dritten gewährte Darlehen bzw. die an den Dritten gewährte Finanzierungshilfe wären als Aufwendung im Sinne des § 670 BGB zu qualifizieren. Der Beauftragte hätte demnach mit Abschluss des Auftrags und dessen Gewährung einen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen. Dies wäre indes nicht mit dem Sinn eines Kreditauftrags vereinbar, da der originäre Schuldner des Darlehens bzw. der Finanzierungshilfe der Begünstigte sein soll und der Auftraggeber nicht neben, sondern – wie bei einer Bürgschaft – nur hinter ihm haften soll. Daher wird nach hiesigem Verständnis für die Ersatzansprüche des Beauftragten gegen den Auftraggeber

495

496

497

Vgl. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 381 - 382; Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/ Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 778, Rdnr. 1; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 778, Rdnr. 1; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGKBGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 778, Rdnr. 1; Prütting in: Herberger/Martinek/Rüßmann/ Weth/Würdiger/Junker jurisPK-BGB, Band 2, Stand: 01.12.2016, BGB § 778, Rdnr. 1; Rohe in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 778, Rdnr. 1; Sprau in: Palandt, BGB § 778, Rdnr. 1; Stadler in: Jauernig BGB, BGB § 778, Rdnr. 1; Staudinger in: Schulze Hk-BGB, BGB § 778, Rdnr. 1; Zetzsche in: Erman BGB, BGB § 778, Rdnr. 1. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 778, Rdnr. 9; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 778, Rdnr. 14; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 778, Rdnr. 1, 15 ff.; Prütting in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdiger/Junker jurisPK-BGB, Band 2, Stand: 01.12.2016, BGB § 778, Rdnr. 7; Stadler in: Jauernig BGB, BGB § 778, Rdnr. 4; Zetzsche in: Erman BGB, BGB § 778, Rdnr. 4. Vgl. zu § 670 BGB als solchen für viele Seiler in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Henssler MünchKomm-BGB Band 4, BGB § 670, Rdnr. 1 ff.

126

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

als gesetzliche Folge das Recht der Bürgschaft für anwendbar erklärt, ohne dass jedoch eine (gesetzliche) Bürgschaft vorliegt. Dieses Ergebnis wird auch durch die Vorschrift des § 349 Satz 2 HGB gestützt: Nach § 349 Satz 1 HGB steht die Einrede der Vorausklage einem Bürgen nicht zu, wenn die Bürgschaft für ihn ein Handelsgeschäft ist. Würde es sich bei dem Kreditauftrag um eine gesetzliche Bürgschaft handeln, wäre bereits durch § 349 Satz 1 HGB die Einrede entsprechend ausgeschlossen. Jedoch ordnet der Gesetzgeber in § 349 Satz 2 HGB ausdrücklich an, dass das Gleiche wie in § 349 Satz 1 HGB unter der bezeichneten Voraussetzung für denjenigen gilt, welcher aus einem Kreditauftrag als Bürge haftet. Der Gesetzgeber unterscheidet also in § 349 HGB hinsichtlich der Rechtsnatur von Bürgschaft und Kreditauftrag. Ein Kreditauftrag kann daher auch aus diesem Grund keine gesetzliche Bürgschaft sein. Bei dem Kreditauftrag handelt es sich also aus systematischer Sicht um einen Auftrag, auf welchen die Vorschriften der Bürgschaft aufgrund gesetzlicher Anordnung Anwendung finden.498 Die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts bezieht sich dabei aber allein auf die Haftung des Auftraggebers, nicht etwa auf die Entstehung des Kreditauftrags. Daher ist es folgerichtig, etwa das Formerfordernis des § 766 Satz 1 BGB auf den Kreditauftrag nicht zu übertragen.499 3

Die Entstehungsgeschichte

Dieses Ergebnis wird weiterhin durch die Entstehungsgeschichte des Kreditauftrags gestützt. Im „Ersten Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich“ (1888) war der Kreditauftrag noch wie folgt gefasst: „§ 680. Hat Jemand den ihm von einem Anderern ertheilten Auftrag, im eigenem Namen und für eigene Rechnung einem Dritten Kredit zu geben, angenommen, so ist das aus dem Vertrage entstehende Rechtsverhältnis, soweit nicht ein anderer Wille der Vertragsschließenden erhellt, nicht nach den Vorschriften über den Auftrag, sondern nach den Vorschriften über die Bürgschaft zu beurtheilen.“500 Hier war ausdrücklich von einem Auftrag zwischen

498

499

500

Brödermann in: Prütting/Wegen/Weinreich BGB, BGB § 778, Rdnr. 7 spricht insofern davon, dass die „Rechtsfolgen aus den Bürgschaftsregeln in §§ 765 ff neben den §§ 662 ff“ gelten, mit Verweis auf; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 778, Rdnr. 14. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 778, Rdnr. 8; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 778, Rdnr. 6; Looschelders, Schuldrecht Besonderer Teil, Rdnr. 943; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 778, Rdnr. 8; Prütting in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/ Würdiger/Junker jurisPK-BGB, Band 2, Stand: 01.12.2016, BGB § 778, Rdnr. 4; Stadler in: Jauernig BGB, BGB § 778, Rdnr. 5; Staudinger in: Schulze Hk-BGB, BGB § 778, Rdnr. 2; Zetzsche in: Erman BGB, BGB § 778, Rdnr. 2. Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches (Erste Lesung, 1888), S. 150.

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

127

Auftraggeber und Beauftragtem die Rede, welcher partiell nach den Vorschriften der Bürgschaft zu beurteilen ist. Es wird überdies nicht das Bestehen einer Bürgschaft angeordnet. Im „Zweiten Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich“ (1894) hieß es nunmehr: „Wer einen Anderen beauftragt, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung einem Dritten Kredit zu geben, haftet dem Beauftragten für die aus der Kreditgewährung entstehende Verbindlichkeit des Dritten als Bürge.“501 Dieser Wortlaut wurde auch in der Bundesrathsvorlage (1898) aufgegriffen.502 Zwar wird hier der Begriff des Auftrags nicht mehr ausdrücklich angeführt, gleichwohl greift der Gesetzgeber auf die dem Auftragsrecht immanenten Begriffe „beauftragt“ und „Beauftragten“ zurück. Die Motive äußern sich vielfältig zu dem Kreditauftrag.503 Dabei wird zunächst angeführt, dass der Kreditauftrag aufgrund seiner großen Rolle im Rechtsverkehr einer eigenständigen Regelung bedarf, um Rechtsunsicherheit zu vermeiden.504 Die Motive bezeichnen den Kreditauftrag wie folgt: „Der Auftrag ist nur die äußere Form, in welcher die Bürgschaftsleistung sich vollzieht.“505 Dementsprechend sei der Kreditauftrag nicht nach den Vorschriften des Auftrags, sondern nach denen der Bürgschaft zu beurteilen, was auch dem Parteiwillen entspräche.506 Die äußere Form ist aber explizit keine Bürgschaft. Schließlich besteht – anders als bei der Bürgschaft507 – kein Bedürfnis für ein Formerfordernis.508 Hieran zeigt sich ebenfalls, dass der Kreditauftrag hinsichtlich seiner Rechtsnatur als Auftrag zu qualifizieren ist. Die Formulierung „Kredit zu geben“ wurde schließlich im Rahmen des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts durch die Formulierung „ein Darlehen oder eine Finanzierungshilfe zu gewähren“, die Formulierung „aus der Kreditgewährung“ durch „aus dem Darlehen oder der Finanzierungshilfe“ ersetzt.509 Hierbei handelt es

501 502 503 504 505 506 507 508 509

Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches (I.-III. Buch, Zweite Lesung, 1894), S. 222. Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches (Bundesrathsvorlage, 1898), S. 133. Vgl. insgesamt Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II (1899), B. Motive der 1. Kommission, S. 381 - 382. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 381. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 381. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 381. Vgl. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, F. Bericht der XII. Kom. des Reichstages vom 12. Juni 1896, S. 1295. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 382. Artikel 1 Nr. 56 des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26.11.2001, BGBl. 2001 I, S. 3138 (3169).

128

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

sich aber lediglich um eine redaktionelle Folgeänderung aus der Neuregelung des Darlehensrechts.510 Weiteren Entwicklungen wurde der Kreditauftrag nicht unterworfen. Der Gesetzgeber hat diese Art der Regelungstechnik zudem nicht auf weitere Fälle ausgedehnt, sondern diese alleinig für den Kreditauftrag angewandt bzw. für diesen belassen. Aus der Entstehungsgeschichte des Kreditauftrags wird deutlich, dass es sich bei diesem nicht um eine Bürgschaft, sondern um einen Auftrag (im Sinne der §§ 622 ff. BGB) handelt („die äußere Form“). Die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts auf den Kreditauftrag ist bloß gesetzliche Folge für die zu beurteilende Haftung des Auftraggebers. Es kann demnach bei einem Kreditauftrag nicht von einer „gesetzlichen Bürgschaft“ die Rede sein. Damit würde überdies das Rechtsverhältnis zwischen Auftraggeber und Beauftragtem nur teilweise abgebildet. 4

Sinn und Zweck

Auch Sinn und Zweck des Kreditauftrags sprechen schließlich für eine von der Bürgschaft unterschiedliche dogmatische Einordnung des Kreditauftrags. Bei einem Auftrag besorgt der Beauftragte das Geschäft im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung. Bei einem Kreditauftrag gewährt der Beauftragte einem Dritten das Darlehen oder die Finanzierungshilfe im eigenen Namen und nicht auf fremde, sondern auf eigene Rechnung. Die wirtschaftlichen Folgen des Kredits treffen also zunächst allein den Beauftragten, wozu Chancen, aber auch Risiken zählen.511 § 778 BGB verlagert indes das wirtschaftliche Risiko des Kredits: Dieses soll den Auftraggeber treffen, und zwar in Form der Haftung „als Bürge“.512 Dieser Unterschied muss bei der Entstehung eines Kreditauftrags deutlich werden, um nicht jede Aufforderung bzw. Bitte zum Abschluss eines Kredits dem Kreditauftrag zu unterwerfen.513 Es wird deswegen herrschend angenommen, dass zwar ein eigenes Interesse des Auftraggebers an der Kreditgewährung nicht erforderlich sei514 (was indes ein wesent-

510 511 512

513 514

BT-Drs. 14/6040, S. 270. Vgl. Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 778, Rdnr. 16. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 778, Rdnr. 1; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 778, Rdnr. 1; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 778, Rdnr. 2; Rohe in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 778, Rdnr. 1. Horn, Bürgschaften und Garantien, Rdnr. 27. Zu den Einzelheiten vgl. für viele Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 778, Rdnr. 4, ein solches aber als Auslegungshilfe für das Vorliegen eines Kreditauftrags dient, m. w. N.

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Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

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liches Indiz sei515), jedoch der Verpflichtungswille zum Abschluss eines Kreditauftrags zum Ausdruck bringen müsse, dass das Risiko der Kreditgewährung den Auftraggeber treffen solle.516 Dadurch wird aber – insbesondere bei einer schriftlichen Kundgabe des Auftraggebers – nicht von einer Willenserklärung zum Abschluss eines Bürgschaftsvertrages ausgegangen werden können, da ansonsten der Kreditauftrag ins Leere liefe. Davon unabhängig steht es den Parteien freilich offen, einen Bürgschaftsvertrag abzuschließen. Dann aber unter anderem mit der Einhaltung des Formerfordernisses des § 766 Satz 1 BGB. Dieser Ansicht ist zuzustimmen, nicht nur aus Abgrenzungsgründen. Auch der Mangel an Schutzmechanismen für den Auftraggeber eines Kreditauftrags spricht für die vorherrschende Meinung. Anderenfalls könnte jeder, der einen Kredit vermittelt, dem Kreditauftrag unterliegen, gleichviel, ob ihn das wirtschaftliche Risiko treffen soll oder nicht. Eine sachgerechte Abgrenzung wäre nicht möglich. Zudem können auch die Erfolgschancen für die Kreditgewährung steigen, wenn der Auftraggeber zu erkennen gibt, dass ihn und nicht den Beauftragten selbst das Risiko treffen soll. Schließlich entspricht diese Risikoverteilung der der Bürgschaft: Die Bürgschaft – isoliert betrachtet – ist für den Bürgen wirtschaftlich sinnlos, der Kreditauftrag – isoliert betrachtet – für den Auftraggeber auch. Letzteres zeigt erneut die Nähe von Bürgschaft und Kreditauftrag auf, sowie eine Rechtfertigung dafür, die Regelungen des Bürgschaftsrechts auf den Kreditauftrag anzuwenden.517 Zudem zeigt sich, dass der Kreditauftrag dem unbedingten Willen der Parteien unterliegt und hier kein vom Willen der Parteien unabhängiger gesetzlicher Entstehungstatbestand vorliegt. Insofern unterscheidet sich der Kreditauftrag von den anderen zwei zu untersuchenden Rechtsfiguren, wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird. Schließlich bestehen bei einem Kreditauftrag – jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Kreditgewährung – beiderseitige Pflichten, da es sich bei einem Auftrag, anders als bei der Bürgschaft, um ein synallagmatisches Rechtsverhältnis handelt.518 Auch dies ver-

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Vgl. dazu Looschelders, Schuldrecht Besonderer Teil, Rdnr. 944 m. w. N. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 778, Rdnr. 5; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 778, Rdnr. 4; Looschelders, Schuldrecht Besonderer Teil, Rdnr. 944; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 778, Rdnr. 16. Vgl. dazu Viertes Kapitel. A I 1 a). Vgl. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 778, Rdnr. 7 - 8; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 778, Rdnr. 8, 11 ff.; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 778, Rdnr. 19 ff.

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

deutlicht die Notwendigkeit, den Kreditauftrag von der Bürgschaft dogmatisch abzugrenzen. Sinn und Zweck des Kreditauftrags sprechen mithin gegen eine gesetzliche Bürgschaft und für eine eigene Rechtsnatur des Kreditauftrags, bei der die Regelungen des Bürgschaftsrechts qua gesetzlicher Anordnung anwendbar sind519, ohne dass durch § 778 BGB eine gesetzliche Bürgschaft vorliegt. 5

Die Rolle des Auftraggebers für das Hauptschuldverhältnis

Der Kreditauftrag weist hinsichtlich seiner Rechtsnatur eine große Nähe zur Bürgschaft auf, handelt es sich hierbei um die Anwendung des Bürgschaftsrechts als gesetzliche Folge. Gleichwohl ist die Rolle des Auftraggebers anders zu beurteilen als die des Bürgen: Die Bürgschaft kann theoretisch ohne ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis zwischen Bürgen und Drittem entstehen, dies insbesondere, wenn die Bürgschaft zwischen Bürgen und Gläubiger ohne Mitwirkung des Dritten vereinbart wird. Der Bürge hat – wie bereits festgestellt – keinerlei rechtliche Einwirkungsmöglichkeiten auf das Hauptschuldverhältnis zwischen Gläubiger und Drittem. Beim Kreditauftrag liegen die Rechtsverhältnisse anders: Der Auftraggeber setzt mit seiner Einwirkung auf den Beauftragten erst die Ursache für das Entstehen des Hauptschuldverhältnisses. Anders als ein Bürge ist der Auftraggeber (jedenfalls) bei der Entstehung des Hauptschuldverhältnisses notwendigerweise eingebunden. Das Bürgschaftsrecht findet als gesetzliche Folge für das Verhältnis zwischen Auftraggeber und Beauftragtem ab dem Zeitpunkt der Auszahlung des Darlehens oder der Finanzierungshilfe Anwendung. Der diese gesetzliche Folge begründende Auftrag unterliegt gleichwohl weiterhin dem Auftragsrecht. Nach diesem kann der Auftrag von dem Auftraggeber nach § 671 Abs. 1 BGB jederzeit widerrufen werden.520 Der Auftraggeber hat mithin auch nach der Begründung des Kreditauftrags Einfluss auf diesen. Und der Widerruf des Kreditauftrags hat zwar keine unmittelbar rechtlichen, wohl aber mittelbare Folgen für das Verhältnis zwischen Beauftragtem und dem Dritten im Sinne des § 778 BGB. Der Auftraggeber bei einem Kreditauftrag hat demnach eine entscheidende rechtliche Rolle für das Zustandekommen des Hauptschuldverhältnisses. Durch seine Handlungsmöglichkeiten hinsichtlich des Kreditauftrags hat er auch einen (mittelbaren) Einfluss auf das Darlehen oder die Finanzierungshilfe. 519 520

Looschelders, Schuldrecht Besonderer Teil, Rdnr. 944 spricht insofern davon, dass die Bürgenhaftung kraft Gesetzes eintritt. § 778 BGB verdrängt insofern § 671 BGB auch nicht, da § 778 BGB allein § 670 BGB verdrängt.

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Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

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Die Rechtsnatur

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Der Kreditauftrag ist eine besondere Form des Auftrags. Es handelt sich nicht etwa um eine gesetzliche Bürgschaft. Die Vorschriften der Bürgschaft finden allein Anwendung auf das Haftungsverhältnis zwischen Auftraggeber und Beauftragtem nach Kreditgewährung – und dies aufgrund gesetzlicher Anordnung. Diese gesetzliche Anordnung setzt jedoch voraus, dass der Auftraggeber die Risikoübernahme zu seinen Lasten in irgendeiner Form kundtut. Durch diese bloße Kundgabe liegen auch noch nicht die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen für eine Willenserklärung vor, die auf eine Bürgschaft gerichtet ist. Eine solche kann jedoch zwischen den Parteien unabhängig vom Kreditauftrag abgeschlossen werden. Im Gegenzug können die Parteien aber auch die Rechtsfolge der gesetzlichen Anwendung der Bürgschaftsregelungen ausschließen, § 778 BGB ist demnach disponibel.521 Durch einen (nicht abbedungenen) Kreditauftrag entsteht eine nahezu inhaltsgleiche Schuld des Auftraggebers zu der des Dritten, also des Kreditempfängers, bezüglich der sich aus dem Darlehen oder der Finanzierungshilfe entwickelnden Verbindlichkeit. Denn das Bürgschaftsrecht findet – wie noch zu zeigen sein wird – unmittelbare Anwendung, sodass insofern die rechtlichen Konsequenzen der Bürgschaft zu übertragen sind. Zudem ist das Interesse des Beauftragten aus dem Darlehen bzw. der Finanzierungshilfe und dem Anspruch gegen den Auftraggeber – ausgenommen einem gewährten Sachdarlehen522 – gleich: Das Interesse ist allein auf einen finanziellen Anspruch gerichtet. Es ist daher im Ergebnis Rohe zuzustimmen, der in § 778 BGB eine Rechtsfolgenverweisung auf die Regelungen der Bürgschaft sieht: „Der Auftraggeber ist kein Bürge, sondern haftet nur wie ein solcher“.523 Der Kreditauftrag stellt im Ergebnis also keine gesetzliche Bürgschaft dar, sondern eine eigene Rechtsfigur, die gesetzlich auf die Bürgschaft Bezug nimmt. II

Die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft

Die zweite Rechtsfigur, die als eine gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft verstanden werden kann, stellt die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft dar. Dabei handelt es sich zum einen um die Haftung der Gesellschafter einer offenen Handelsgesell-

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Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 778, Rdnr. 26. Auch das Sachdarlehen unterliegt dem Kreditauftrag gemäß § 778 BGB, vgl. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 778, Rdnr. 6 m. w. N.; für eine analoge Anwendung indes Zetzsche in: Erman BGB, BGB § 778, Rdnr. 1 Rohe in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 778, Rdnr. 2.

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

schaft nach §§ 128 ff. HGB sowie zum anderen um die Haftung der Hauptgesellschaft nach § 322 AktG. Zwar verweisen diese Vorschriften anders als beispielsweise § 778 BGB nicht durch ihren Wortlaut auf das Bürgschaftsrecht und sind eigenständige Tatbestände mit (grundsätzlich) eigenständigen Haftungsregelungen. Diese Tatbestände können jedoch durch ihre – wie im Folgenden zu zeigen sein wird – weitgehend übereinstimmende Konzipierung mit dem Bürgschaftsrecht als eine gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft verstanden werden524, weswegen sie Eingang in diese Arbeit finden. Die Kreditwürdigkeit und damit auch die Kreditsicherung einer Gesellschaft sind für die Gläubiger stets von besonderer Bedeutung. Eine natürliche Person haftet für eingegangene Verbindlichkeiten grundsätzlich unbeschränkt mit ihrem gesamten Vermögen. Dieses Risiko können und wollen natürliche Person im Geschäftsverkehr nicht immer auf sich nehmen; zu diesem Zwecke können sie sich einer Kapitalgesellschaftsform bedienen. Bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung haftet den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen, § 13 Abs. 2 GmbHG. Die Gläubiger der Gesellschaft haben grundsätzlich keinen Zugriff auf das Vermögen der hinter der Gesellschaft stehenden natürlichen Personen.525 Daneben haben die Gläubiger aber Zugriff auf ein vorhandenes Stammkapital, welches bei einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mindestens fünfundzwanzigtausend Euro betragen muss (§ 5 Abs. 1 GmbHG). Die Gläubiger erhalten somit einen „Ausgleich“ für die begrenzte Haftung dieser Gesellschaftsform. Entsprechendes gilt beispielsweise auch für die Aktiengesellschaft: Für die Verbindlichkeiten haftet den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen, § 1 Abs. 1 Satz 2 AktG. Daneben existiert aber wiederum ein Grundkapital, § 1 Abs. 1 AktG. Der Mindestnennbetrag dieses Grundkapitals muss fünfzigtausend Euro sein, § 7 AktG. Die Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen ist indes nicht konstitutives Merkmal aller Gesellschaftsformen. Dies ergibt sich schon aus der Konzeption einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 705 ff. BGB), welche zwar auf den Inhalt des Gesellschaftsvermögens eingeht, die Haftung der Gesellschaft aber nicht auf dieses beschränkt. Noch deutlicher formuliert es § 105 Abs. 1 HGB, in welchem es heißt: „Eine Gesellschaft, deren Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes unter gemeinschaftlicher Firma gerichtet ist, ist eine offene Handelsgesellschaft, wenn bei keinem der Gesellschafter die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläu524

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So ausdrücklich für die Haftung der Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft nach §§ 128 ff. HGB Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB Vor § 765, Rdnr. 4 Vgl. eingehend zu den Voraussetzungen für die ausnahmsweise persönliche Haftung eines GmbHGesellschafters sowie der Durchgriffshaftung Lieder in: Michalski GmbHG, GmbHG § 13, Rdnr. 367 ff.

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Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

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bigern beschränkt ist 526.“ Die Haftung ist mithin nicht auf das Gesellschaftsvermögen begrenzt; ein Stamm- bzw. Grundkapital ist daher auch nicht vorgeschrieben. Zwar haftet auch hier das Gesellschaftsvermögen, die Gesellschafter können aber auch persönlich in Anspruch genommen werden. Dies dient der Erhöhung der Kreditfähigkeit bzw. der Kreditsicherung der Gesellschaft.527 1

§ 128 Satz 1 HGB

Der Erhöhung der Kreditfähigkeit bzw. der Kreditsicherung der offenen Handelsgesellschaft dient unter anderem die Haftung der Gesellschafter gemäß der §§ 128 ff. HGB. Nach § 128 Satz 1 HGB haften die Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft für die Verbindlichkeit der Gesellschaft den Gläubigern als Gesamtschuldner persönlich.528 Das Merkmal der unbeschränkten Gesellschafterhaftung bei einer offenen Handelsgesellschaft aus § 105 Abs. 1 HGB wird hier hinsichtlich der Art und Weise der Gesellschafterhaftung konkretisiert. a)

Der Wortlaut

Die Vorschrift ordnet ihrem Wortlaut nach zunächst einmal nur eine Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft an. Einen sprachlichen Hinweis auf die Rechtsnatur gibt § 128 Satz 1 HGB nicht. Auch besteht keine sprachliche Nähe etwa zu § 765 Abs. 1 BGB. Die Gesellschafter untereinander haften zwar als Gesamtschuldner, das heißt, sie schulden eine Leistung in der Weise, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist (§ 421 Satz 1 BGB).529 Gesellschaft und Gesellschafter haften – dem Wortlaut nach – indes nicht als Gesamtschuldner530 – so wie es auch der Fall im Verhältnis zwischen Bürge und Hauptschuldner ist.

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Hervorhebung durch den Verfasser. Boesche in: Oetker HGB, HGB § 128, Rdnr. 2; Hillmann in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn HGB Band 1, HGB § 128, Rdnr. 1; Klimke in: Häublein/Hoffmann-Theinert BeckOK-HGB, Stand: 19. Edition 15.01.2018, HGB § 128, Rdnr. 1; Roth in: Baumbach/Hopt Handelsgesetzbuch, HGB § 128, Rdnr. 1; Seeger in: Heidel/Schall Hk-HGB, HGB § 128, Rdnr. 1; Steitz in: Henssler/Strohn Gesellschaftsrecht, HGB § 128, S. 1. § 128 HGB findet gemäß § 161 Abs. 2 HGB auch für Komplementäre einer Kommanditgesellschaft Anwendung, für Kommanditisten gilt die eingeschränkte Haftung des § 171 HGB, vgl. Häublein in: Häublein/Hoffmann-Theinert BeckOK-HGB, Stand: 19. Edition 15.10.2017, HGB § 161, Rdnr. 39. Klimke in: Häublein/Hoffmann-Theinert BeckOK-HGB, Stand: 19. Edition 15.01.2018, HGB § 128, Rdnr. 25; Looschelders in: Staudinger, Neubearbeitung 2017, BGB § 426, Rdnr. 240. Vgl. BGH, Urteil vom 09.05.1963 – II ZR 124/61, NJW 1963, S. 1873 (1874); Klimke in: Häublein/Hoffmann-Theinert BeckOK-HGB, Stand: 19. Edition 15.01.2018, HGB § 128, Rdnr. 26; Looschelders in: Staudinger, Neubearbeitung 2017, BGB § 426, Rdnr. 238.

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

Haften bedeutet auch hier „schulden“.531 Der in Anspruch genommene Gesellschafter schuldet also die Verbindlichkeit der Gesellschaft. Damit wird zunächst eine Akzessorietät zwischen Gesellschaftsschuld und Gesellschafterhaftung deutlich.532 Nach früherer Vorstellung bestand zwischen Gesellschaftsschuld und Gesellschafterhaftung eine Identität, also im Ergebnis nur eine Schuld. Der Gläubiger hatte aber auf zwei Vermögensmassen Zugriff (Gesellschaft und Gesellschafter). Begründet wurde diese Ansicht damit, dass die Gesellschaft nicht als eigene Rechtsperson verstanden wurde.533 Diese Ansicht ist indes heute überholt, da die offene Handelsgesellschaft als Trägerin von eigenen Rechten und Pflichten angesehen wird (vgl. auch § 124 Abs. 1 HGB).534 Eine Subsidiarität ordnet § 128 Satz 1 HGB indes nicht an: Nach dem Wortlaut der Vorschrift kann der Gläubiger der Gesellschaft den Gesellschafter ohne vorherige Inanspruchnahme der Gesellschaft in Anspruch nehmen.535 Insofern unterscheidet sich die Gesellschafterhaftung vom Grundmodell der Bürgschaft. Nicht eindeutig ist aber, wie der Gesellschafter für die Verbindlichkeit der Gesellschaft haftet: Haftet er nur auf das Interesse oder auf Erfüllung? Der Wortlaut, der gerade die Haftung für die Verbindlichkeit anordnet, spricht insoweit eher für eine Haftung auf Erfüllung. Man wird aber auch hier eine Ausnahme für unvertretbare Handlungen machen müssen: Etwas, was von dem Gesellschafter schlicht nicht erfüllbar ist, kann auch nicht von ihm in der Form gefordert werden: In diesem Fall haftet der Gesellschafter also nur auf das Interesse, sprich: auf Geld.536 Dies ist wiederum mit der Bürgschaft vergleichbar. Schließlich ist die Gesellschafterhaftung zwingend. Gemäß § 128 Satz 2 HGB sind der Haftung entgegenstehende Vereinbarungen unwirksam. Das heißt, Gesellschafter

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Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts. Erster Band. Allgemeiner Teil, S. 22. Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, Rdnr. 1075. Vgl. dazu Roth in: Baumbach/Hopt Handelsgesetzbuch, HGB § 128, Rdnr. 8. Boesche in: Oetker HGB, HGB § 128, Rdnr. 26; Roth in: Baumbach/Hopt Handelsgesetzbuch, HGB § 128, Rdnr. 8. Boesche in: Oetker HGB, HGB § 128, Rdnr. 6; Haas in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas HGB, HGB § 128, Rdnr. 5; Hillmann in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn HGB Band 1, HGB § 128, Rdnr. 18; Klimke in: Häublein/Hoffmann-Theinert BeckOK-HGB, Stand: 19. Edition 15.01.2018, HGB § 128, Rdnr. 24; Roth in: Baumbach/Hopt Handelsgesetzbuch, HGB § 128, Rdnr. 1; Schmidt in: Schmidt/Schmidt MünchKomm-HGB Band 2, HGB § 128, Rdnr. 20; Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1413 - 1414; Steitz in: Henssler/Strohn Gesellschaftsrecht, HGB § 128, Rdnr. 16. Boesche in: Oetker HGB, HGB § 128, Rdnr. 26; Haas in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas HGB, HGB § 128, Rdnr. 6; Hillmann in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn HGB Band 1, HGB § 128, Rdnr. 22; Klimke in: Häublein/Hoffmann-Theinert BeckOK-HGB, Stand: 19. Edition 15.01.2018, HGB § 128, Rdnr. 27; Schmidt in: Schmidt/Schmidt MünchKomm-HGB Band 2, HGB § 128, Rdnr. 24; Steitz in: Henssler/Strohn Gesellschaftsrecht, HGB § 128, Rdnr. 22.

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Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

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können untereinander keine abweichende Vereinbarung mit Wirkung für das Außenverhältnis treffen, für das Innenverhältnis ist eine derartige Vereinbarung indes möglich.537 Eine Abbedingung der Haftung durch Vereinbarung zwischen Gesellschaft bzw. Gesellschafter und Gläubiger ist jedoch grundsätzlich möglich.538 Der Wortlaut des § 128 Satz 1 HGB zeigt zwar die Merkmale der Gesellschafterhaftung auf – akzessorischer, unmittelbarer, primärer und unbeschränkter Haftung –, die Rechtsnatur wird dadurch aber noch nicht deutlich. Die Merkmale der Gesellschafterhaftung stimmen jedoch mit wesentlichen Merkmalen einer Bürgschaft überein. Gleichwohl ist der Wortlaut des § 128 Satz 1 HGB nicht eindeutig: Beispielsweise spricht auch § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB von einer Haftung für Verbindlichkeiten. Bei dieser Vorschrift handelt es sich aber nach allgemeiner Ansicht um einen gesetzlichen Schuldbeitritt.539 Allein die Haftungskonstruktion zeigt eine Nähe zum Bürgschaftsrecht. b)

Die Systematik

Systematisch steht § 128 Satz 1 HGB im dritten Titel der offenen Handelsgesellschaft, dem Rechtsverhältnis der Gesellschafter zu Dritten. Die Norm regelt also vornehmlich das Außenverhältnis der Gesellschafter. Dies allein lässt noch keine Nähe zur Bürgschaft erkennen. Für das Rechtsverhältnis der Gesellschafter untereinander normiert § 110 Abs. 1 HGB einen Regressanspruch für Gesellschafter: Macht der Gesellschafter in den Gesellschaftsangelegenheiten Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, oder erleidet er unmittelbar durch seine Geschäftsführung oder aus Gefahren, die mit ihr untrennbar verbunden sind, Verluste, so ist ihm die Gesellschaft nach § 110 Abs. 1 HGB zum Ersatz verpflichtet. Aufwendungen sind freiwillige Vermögensopfer jeder Art. Zu diesen gehört beispielsweise auch die Erfüllung von Gesell-

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Boesche in: Oetker HGB, HGB § 128, Rdnr. 24, 25; Hillmann in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn HGB Band 1, HGB § 128, Rdnr. 14; Klimke in: Häublein/Hoffmann-Theinert BeckOK-HGB, Stand: 19. Edition 15.01.2018, HGB § 128, Rdnr. 32; Schmidt in: Schmidt/Schmidt MünchKommHGB Band 2, HGB § 128, Rdnr. 13, 14; Steitz in: Henssler/Strohn Gesellschaftsrecht, HGB § 128, Rdnr. 12. Vgl. dazu ausführlich Klimke in: Häublein/Hoffmann-Theinert BeckOK-HGB, Stand: 19. Edition 15.01.2018, HGB § 128, Rdnr. 33 - 36; Steitz in: Henssler/Strohn Gesellschaftsrecht, HGB § 128, Rdnr. 13. Vgl. BGH, Urteil vom 26.11.1964 – VII ZR 75/63, NJW 1965, S. 439 (440); Hopt in: Baumbach/Hopt Handelsgesetzbuch, HGB § 25, Rdnr. 10; Reuschle in: Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn HGB Band 1, HGB § 25, Rdnr. 58; Roth in: Koller/Kindler/Roth/Morck HGB, HGB § 25, Rdnr. 2; Wamser in: Henssler/Strohn Gesellschaftsrecht, HGB § 25, Rdnr. 10.

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

schaftsschulden aufgrund des § 128 Satz 1 HGB.540 Demnach kann der nach § 128 Satz 1 HGB in Anspruch genommene Gesellschafter jedenfalls nach § 110 Abs. 1 HGB uneingeschränkt Regress bei der Gesellschaft nehmen. Dieser Regressanspruch unterscheidet sich indes von dem im Bürgschaftsrecht normierten Regressanspruch nach § 774 Abs. 1 Satz 1 BGB, der den Übergang der Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner anordnet. Gleichwohl verdeutlicht die Existenz des § 110 Abs. 1 HGB, dass der Gesellschafter wie ein Bürge rechtlich nicht endgültig haften soll. Endgültig Leistender soll grundsätzlich die Gesellschaft bleiben, auch wenn sich aufgrund wirtschaftlicher Faktoren, insbesondere der Insolvenz der Gesellschaft, eine endgültige Haftung des Gesellschafters einstellen kann. Die Nähe der Gesellschafterhaftung zum Bürgschaftsrecht wird schließlich bei den dem Gesellschafter zustehenden Einwendungen deutlich. Nach § 129 Abs. 1 HGB kann der in Anspruch genommene Gesellschafter Einwendungen, die nicht in seiner Person begründet sind, nur insoweit geltend machen, als sie von der Gesellschaft erhoben werden können. Absatz 2 erlaubt den Gesellschaftern die Befriedigung des Gläubigers zu verweigern, solange der Gesellschaft das Recht zusteht, das ihrer Verbindlichkeit zugrunde liegende Rechtsgeschäft anzufechten. Nach Absatz 3 hat der Gesellschafter die gleiche Befugnis, solange sich der Gläubiger durch Aufrechnung gegen eine fällige Forderung der Gesellschaft befriedigen kann. Schließlich findet nach Absatz 4 aus einem gegen die Gesellschaft gerichteten vollstreckbaren Schuldtitel die Zwangsvollstreckung gegen die Gesellschafter nicht statt. § 129 HGB ist Ausdruck des der Gesellschafterhaftung zugrunde liegenden Akzessorietätsprinzips.541 Die Parallelen zu den § 768 und § 770 BGB, die entsprechende Befugnisse des Bürgen regeln, sind dabei evident. § 129 HGB hat demnach im Hinblick auf die Untersuchung zweierlei Bedeutung: Einerseits verdeutlicht diese Norm, dass die Gesellschafterhaftung nach Vorbild der Bürgschaft konzipiert ist. Andererseits grenzt sie die Gesellschafterhaftung aber auch deutlich von der Bürgschaft ab, denn wenn die Gesellschafterhaftung selbst eine gesetzliche Bürgschaft wäre, bedürfte es der Regelung des § 129 HGB schon gar nicht. Es wird mithin deutlich, dass es sich bei der Gesellschafterhaftung um eine an die Haftungsstruktur des Bürgschaftsrechts angelehnte Haftung handelt.542 Der Gesellschafter ist dabei aber kein Bürge im Sinne des § 765 Abs. 1 BGB.

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Bergmann in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn HGB Band 1, HGB § 110, Rdnr. 10; Haas in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas HGB, HGB § 110, Rdnr. 7; Langhein in: Schmidt/Schmidt MünchKomm-HGB Band 2, HGB § 110, Rdnr. 11. Hillmann in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn HGB Band 1, HGB § 129, Rdnr. 1. So im Ergebnis auch Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, Rdnr. 1078: „Bürgenähnliche Haftung“.

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Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

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Die Entstehungsgeschichte

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Der Tatbestand der Haftung der Gesellschafter war schon Gegenstand des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches in der Fassung vom 5. Juni 1869. Zwar hieß es noch: „Die Gesellschafter haften für alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft solidarisch und mit ihrem ganzen Vermögen.“543 Trotz des im Vergleich zur heutigen Vorschrift anderslautenden Wortlauts kann hierin kein Unterschied hinsichtlich der Haftung der Gesellschafter ausgemacht werden. Eine Neufassung des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches wurde aufgrund der Vereinheitlichung des Bürgerlichen Rechts durch das Bürgerliche Gesetzbuch notwendig.544 Im „Entwurf eines Handelsgesetzbuches für das Deutsche Reich von 1895“ hieß es: „Die Gesellschafter haften für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesammtschuldner mit ihrem ganzen Vermögen.“545 Die „solidarische“ Haftung wurde also vom Wortlaut her durch die gesamtschuldnerische Haftung ersetzt. Dieselbe Formulierung findet sich sodann im „Entwurf eines Handelsgesetzbuches mit Ausschluß des Seehandelsrechts. Aufgestellt im ReichsJustizamt, 1896“.546 Im „Entwurf eines Handelsgesetzbuches mit Ausschluß des Seehandelsrechts und eines zugehörigen Einführungsgesetzes“ in der Fassung der Bundesrathsvorlage von 1896 findet sich dann erstmals die noch heute aktuelle Fassung: „Die Gesellschafter haften für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern als Gesammtschuldner persönlich.“547 Im Januar 1897 wurde diese Formulierung auch Gegenstand der Reichstagsvorlage zum Entwurf eines Handelsgesetzbuches.548 Schließlich wurde die Vorschrift in dieser Form auch in das „Handelsgesetzbuch mit Ausschluß des Seehandelsrechts und zugehöriges Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897“ übernommen, erstmals auch als ein § 128.549 Die Begründung zu dem „Entwurf eines Handelsgesetzbuches für das Deutsche Reich von 1895“ befasst sich vornehmlich mit der Frage, ob die Gesellschafter auch für die Forderung eines Mitgesellschafters (als Gläubiger) gegenüber der Gesellschaft 543 544 545 546 547 548 549

Abdruck in: Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897. Band I. Gesetze und Entwürfe, S. 120. Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897. Band I. Gesetze und Entwürfe, Vorwort. Abdruck in: Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897. Band I. Gesetze und Entwürfe, S. 247. Abdruck in: Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897. Band I. Gesetze und Entwürfe, S. 376. Abdruck in: Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897. Band I. Gesetze und Entwürfe, S. 498. Abdruck in: Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897. Band I. Gesetze und Entwürfe, S. 619. Abdruck in: Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897. Band I. Gesetze und Entwürfe, S. 744.

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

haften und welche Auswirkungen die Einreden und Einwendungen der Gesellschaft haben bzw. inwiefern der in Anspruch genommene Gesellschafter diese geltend machen kann.550 Letztere Frage weist auf die Bedeutung der davor stehenden Frage nach der Selbständigkeit der offenen Handelsgesellschaft hin.551 Anhand des § 129 HGB zeigt sich, dass der Gesetzgeber von einer Selbständigkeit der offenen Handelsgesellschaft ausgegangen ist, ansonsten würde die Einrede bereits in der Person des Gesellschafters bestehen. Die „Denkschrift zum Entwurf eines Handelsgesetzbuches und eines Einführungsgesetzes“ entspricht in diesem Punkt der genannten Begründung.552 Die Entstehungsgeschichte verdeutlicht damit das der Gesellschaftsschuld und der Gesellschafterhaftung zugrunde liegende Akzessorietätsprinzip. Explizit wurde zwar nie auf die Bürgschaft im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches Bezug genommen. Schlicht aus zeitlichen Gründen konnte dies das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch in der Fassung vom 5. Juni 1869 noch gar nicht. Die der Bürgschaft vergleichbare Konzipierung der Haftung zeigt sich indes bereits damals und auch in den folgenden Änderungen des Haftungstatbestandes. Deutlich wird durch die Historie aber wiederum, dass die Gesellschafterhaftung eine eigenständige Haftungsregelung darstellt, der Gesellschafter also kein Bürge ist. d)

Sinn und Zweck

Sinn und Zweck der Gesellschafterhaftung sind einerseits der Schutz der Gesellschaftsgläubiger – in Ermangelung eines Stamm- bzw. Grundkapitals –, andererseits der Gesellschaft die Basis einer Kreditwürdigkeit zu legen.553 Hauptschuldner der Verbindlichkeit bleibt gleichwohl die Gesellschaft selbst. Aus rechtlicher Sicht sollen die wirtschaftlichen Folgen der Gesellschafterhaftung also nicht endgültig beim Gesellschafter verbleiben, auch wenn dies in der Praxis gerne passieren mag. Der Gesellschafter wird demnach nicht deswegen in die Haftung genommen, weil ihm etwa ein Fehlverhalten vorgeworfen wird oder er sanktioniert werden soll. Die Grundkonzeption des § 128 Satz 1 HGB liegt also in der Kreditsicherung. Die Zwecke der Bürgschaft und der Gesellschafterhaftung sind vergleichbar. Die Gesellschafterhaftung ist für den Gesellschafter – wie die Bürgschaft für den Bürgen – ein Risikogeschäft. Zwar unterscheidet sich die Gesellschafterhaftung insoweit, als

550 551 552 553

Abdruck in: Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897. Band II. Denkschrift, Beratungen, Berichte. Erster Halbband, S. 81 - 83. Abdruck in: Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897. Band II. Denkschrift, Beratungen, Berichte. Erster Halbband, S. 82. Vgl. Abdruck in: Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum Handelsgesetzbuch von 1897. Band II. Denkschrift, Beratungen, Berichte. Zweiter Halbband, S. 267 - 268. Vgl. oben unter Drittes Kapitel. B II.

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

139

diese für den Gesellschafter einen unmittelbareren Nutzen als die Bürgschaft für den Bürgen hat, indem die Gesellschafterhaftung die Basis der Kreditwürdigkeit der Gesellschaft darstellt und somit das Handeln des Gesellschafters im Rahmen der Gesellschaft wirtschaftlich erst ermöglicht. Dennoch wird durch die Gesellschafterhaftung – vergleichbar der Bürgschaft – ein durch die Hauptverbindlichkeit nicht Verpflichteter in die Haftung genommen. Zweck von Bürgschaft und Gesellschafterhaftung liegen mithin in der Schaffung einer Personalkreditsicherheit für eine Verbindlichkeit. § 128 Satz 1 HGB ordnet diese Sicherheit für die Verbindlichkeiten einer offenen Handelsgesellschaft kraft Gesetzes an. § 765 Abs. 1 BGB eröffnet hingegen den Parteien eines Rechtsgeschäfts lediglich die Möglichkeit einer Bürgschaft. Gleichwohl kann auch die Bestellung einer Bürgschaft erst die Kreditwürdigkeit des Hauptschuldners legen. Bürgschaft und Gesellschafterhaftung sind somit auch hinsichtlich ihrer Zwecke vergleichbar konzipiert. e)

Zwischenfazit

Die Haftung der Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft nach den §§ 128 ff. HGB stellt keine gesetzliche Bürgschaft dar. Die Haftung ist aber vergleichbar der Bürgschaft konzipiert. Das Gesetz nimmt insofern also Bezug auf die Bürgschaft. 2

§ 322 Abs. 1 Satz 1 AktG

Wie eingangs bereits dargestellt haften die Gesellschafter einer Aktiengesellschaft, die Aktionäre, anders als die Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft grundsätzlich nicht für die Gesellschaftsschulden persönlich.554 Für die Verbindlichkeiten einer Aktiengesellschaft haftet grundsätzlich allein deren Gesellschaftsvermögen, § 1 Abs. 1 Satz 2 AktG. Von diesem Grundsatz ist wiederum eine Ausnahme für eine Sonderkonstellation im Gesetz vorgeschrieben: Nach § 319 Abs. 1 AktG kann die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft die Eingliederung der Gesellschaft in eine andere Aktiengesellschaft mit Sitz im Inland (Hauptgesellschaft) beschließen, wenn sich alle Aktien der Gesellschaft in der Hand der zukünftigen Hauptgesellschaft befinden. Dadurch soll die eingegliederte Gesellschaft eine 100%ige Tochter der Hauptgesellschaft werden.555 § 322 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 AktG durchbricht nun den Grundsatz des § 1 Abs. 1 Satz 2 AktG, indem die Vorschrift bestimmt: Von der Eingliederung an haftet die Hauptge554 555

Zu den Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines ausnahmsweisen Haftungsdurchgriffs vgl. etwa Lange in: Henssler/Strohn Gesellschaftsrecht, AktG § 1, Rdnr. 9. Grigoleit/Rachlitz in: Grigoleit AktG, AktG § 319, Rdnr. 2; Grunewald in: Goette/Habersack MünchKomm-AktG Band 5, AktG § 319, Rdnr. 1.

140

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

sellschaft für die vor diesem Zeitpunkt begründeten Verbindlichkeiten der eingegliederten Gesellschaft den Gläubigern dieser Gesellschaft als Gesamtschuldner. Die gleiche Haftung trifft sie für alle Verbindlichkeiten der eingegliederten Gesellschaft, die nach der Eingliederung begründet werden. Für die Verbindlichkeiten der eingegliederten Gesellschaft haftet demnach nicht nur deren Gesellschaftsvermögen, sondern auch das Gesellschaftsvermögen der Hauptgesellschaft – und zwar gesamtschuldnerisch. a)

Der Wortlaut

Die Hauptgesellschaft haftet nach dem Wortlaut des § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG für die Verbindlichkeiten der eingegliederten Gesellschaft unmittelbar den Gläubigern der eingegliederten Gesellschaft gegenüber, und zwar als Gesamtschuldner mit der eingegliederten Gesellschaft. Hier wird vom Wortlaut her ein Nebeneinander von Hauptund eingegliederter Gesellschafter statuiert. Die Hauptgesellschaft kann demnach von dem Gläubiger der eingegliederten Gesellschaft sofort in Anspruch genommen werden, sie haftet also primär.556 Anders als bei § 128 Satz 1 HGB wird das Gesamtschuldverhältnis nicht zwischen denen, die neben bzw. hinter der Gesellschaft haften, gebildet, sondern zwischen der originär haftenden eingegliederten Gesellschaft und der „derivativ“ haftenden Hauptgesellschaft. Aus dieser Gesamtschuldnerschaft ergibt sich, dass Hauptgesellschaft und eingegliederte Gesellschaft auch die gleiche Leistung schulden – eine Einschränkung hinsichtlich des Leistungsinteresses des Gläubigers, wie sie bei § 128 Satz 1 HGB vorgenommen wurde, gilt hier nicht.557 Schließlich ist die Haftung nicht disponibel, § 322 Abs. 1 Satz 3 AktG. Die Haftung kann also nicht durch eine Vereinbarung zwischen Hauptgesellschafter und eingegliederter Gesellschaft abbedungen werden; Vereinbarungen mit dem Gläubiger sind – wie auch bei § 128 Satz 2 HGB – gleichwohl möglich.558 Das vom Gesetzeswortlaut vorgegebene Gesamtschuldverhältnis deutet bei dieser Konzernhaftung auf einen gesetzlich angeordneten Schuldbeitritt hin. Der Wortlaut lässt insofern keine unmittelbare Nähe zum bzw. Anlehnung an das Bürgschaftsrecht erkennen.

556

557

558

Grigoleit/Rachlitz in: Grigoleit AktG, AktG § 322, Rdnr. 3; Habersack in: Emmerich/Habersack Aktien- und GmbH-Konzernrecht, AktG § 322, Rdnr. 10; Ziemons in: K. Schmidt/Lutter AktG, AktG § 322, Rdnr. 8. Grigoleit/Rachlitz in: Grigoleit AktG, AktG § 322, Rdnr. 3; Koch in: Hüffer/Koch Aktiengesetz, AktG § 322, S. 4; Ziemons in: K. Schmidt/Lutter AktG, AktG § 322, Rdnr. 9; differenzierter Grunewald in: Goette/Habersack MünchKomm-AktG Band 5, AktG § 322, Rdnr. 4. Vgl. für viele Habersack in: Emmerich/Habersack Aktien- und GmbH-Konzernrecht, AktG § 322, Rdnr. 8; Ziemons in: K. Schmidt/Lutter AktG, AktG § 322, Rdnr. 10 jeweils m. w. N.

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

b)

Die Systematik

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§ 322 Abs. 1 Satz 1 AktG steht im Dritten Teil, der eingegliederten Gesellschaft, des Dritten Buches, Verbundene Unternehmen, des Aktiengesetzes. Eine derartig unmittelbare Haftung für die Verbindlichkeit eines Dritten ordnet das Aktiengesetz an keiner weiteren Stelle an. § 302 Abs. 1 AktG beispielsweise ordnet die Verlustübernahme der herrschenden Gesellschaft gegenüber der abhängigen Gesellschaft an, § 303 Abs. 1 Satz 1 AktG die Leistung von Sicherheiten gegenüber Gläubigern einer anderen Gesellschaft. Gleichwohl bestehen insofern keine Parallelen zur Haftung nach § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG. Systematische Erwägungen können daher zur Bestimmung der Rechtsnatur des § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht gewinnbringend herangezogen werden. c)

Die Entstehungsgeschichte

In der Begründung zum Regierungsentwurf eines Aktiengesetzes aus dem Jahr 1962 heißt es in der Vorbemerkung zur „Eingegliederten Gesellschaft“: „Die Vorschriften dieses Abschnitts haben im geltenden Recht kein Vorbild. Sie waren auch im Referentenentwurf eines Aktiengesetzes nicht vorgesehen. Ihnen liegt folgender Gedanke zugrunde: Mit dem Abschluß eines Beherrschungsvertrags sind nach den Vorschriften des Ersten Teils dieses Buches weitgehende Sicherungen für die Aktionäre und Gläubiger der abhängigen Gesellschaft verbunden. Diese Sicherungen sind in ihrer dort vorgesehenen Form nicht erforderlich, wenn das herrschende Unternehmen eine Aktiengesellschaft ist und sich alle Anteile der abhängigen Gesellschaft in seiner Hand befinden. Dann sind die Vorschriften des Ersten Teils zum Schutze der ausstehenden Aktionäre gegenstandslos. Die Gläubiger können auf einfachere Weise geschützt werden. Es erscheint dann nicht erforderlich, zu ihrer Sicherung die beim Abschluß des Vertrags vorhandene bilanzmäßige Substanz der abhängigen Gesellschaft zu erhalten, wie dies die §§ 289 bis 292 des Entwurfs anstreben. Vielmehr genügt es, wenn das herrschende Unternehmen die Mithaftung für die Verbindlichkeiten der abhängigen Gesellschaft übernimmt. Durch diese Mithaftung sichert das Grundkapital des herrschenden Unternehmens auch die Gläubiger der abhängigen Gesellschaft. Weil alle aktienrechtlichen Gläubigerschutzvorschriften für das herrschende Unternehmen gelten, kann auf ihre Einhaltung bei der abhängigen Gesellschaft verzichtet werden. Der Entwurf sieht daher als neue Rechtseinrichtung die Eingliederung einer Aktiengesellschaft, deren Aktien sich sämtlich in der Hand einer anderen Aktiengesellschaft befinden, in diese von ihm als Hauptgesellschaft bezeichnete Gesellschaft vor. Die Eingliederung begründet eine Mithaftung der Hauptgesellschaft für die Verbindlichkeiten der eingegliederten Gesellschaft. Sie verschafft der Hauptgesellschaft ähnlich wie ein Beherrschungsvertrag eine umfassende Leitungsmacht über die eingegliederte Gesell-

142

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

schaft und gestattet in wesentlich weiterem Umfang als ein Beherrschungsvertrag Verfügungen über die Substanz der eingegliederten Gesellschaft. Wirtschaftlich steht sie daher einer Verschmelzung nahe. Doch bleibt bei ihr im Gegensatz zur Verschmelzung die Rechtspersönlichkeit der eingegliederten Gesellschaft erhalten.“559 Konkret zu der Haftung der Hauptgesellschaft (dort noch in § 310 RegE) führt der Entwurf weiter an: „Die Vorschrift regelt die gesamtschuldnerische Mithaftung der Hauptgesellschaft für die vor und während der Eingliederung begründeten Verbindlichkeiten der eingegliederten Gesellschaft. Erst diese Mithaftung ermöglicht es, wie in der Vorbemerkung zu diesem Abschnitt näher ausgeführt ist, bei eingegliederten Gesellschaften sehr weitgehend auf Sicherungen für die Gläubiger zu verzichten. In der Ausgestaltung dieser Mithaftung im Einzelnen schließt der Entwurf sich an die gesetzliche Regelung vergleichbarer Gesamtschuldverhältnisse, namentlich an die §§ 128 und 129 des Handelsgesetzbuches an.“560 Der Gesetzgeber verfolgte demnach eine Anlehnung an die §§ 128, 129 HGB. Es kann demnach davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber auch im Rahmen des § 322 AktG eine Haftung nach Vorbild der Bürgschaft konstruieren wollte. Insofern zeigt sich hier bereits eine Entwicklung der Rechtsfigur der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft. Die systematischen und redaktionellen Ungenauigkeiten der Regelung des § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG sind jedoch offenbar. Denn die Haftungssituation bei der Hauptgesellschaft ist eine ganz andere als bei der Gesellschafterhaftung der offenen Handelsgesellschaft. Insofern fehlt es schon an einer gesetzlich angeordneten Rückgriffsmöglichkeit der Hauptgesellschaft gegenüber der eingegliederten Gesellschaft, wie es § 110 HGB für den Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft normiert. Zudem haften Gesellschaft und Gesellschafter eben nicht als Gesamtschuldner.561 Die Entstehungsgeschichte eröffnet somit ein Problem: Der Wille des Gesetzgebers widerspricht dem Gesetzeswortlaut. Hier bedarf es einer Lösung – etwa anhand des Sinnes und Zweckes der Regelung. d)

Sinn und Zweck

Sinn und Zweck der Haftung der Hauptgesellschaft liegen, wie die zitierte Gesetzesbegründung zeigt, in der Sicherung der Gläubiger der eingegliederten Gesellschaft. Durch die Eingliederung geht die Leitungsmacht der eingegliederten Gesellschaft

559 560 561

BT-Drs. IV/171, S. 234 f. BT-Drs. IV/171, S. 236. Vgl. oben unter Drittes Kapitel. B II 1 a).

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

143

nämlich auf die Hauptgesellschaft über.562 Es erscheint daher gerechtfertigt, die Hauptgesellschaft für die Verbindlichkeiten der eingegliederten Gesellschaft mithaften zu lassen. Dieser Zweck ist wiederum vergleichbar mit dem Zweck einer Bürgschaft: Die Hauptgesellschaft haftet für die Verbindlichkeit der eingegliederten Gesellschaft, es besteht mithin eine Akzessorietät. Zwar ist die Konzernhaftung nicht subsidiär. Da der Grundsatz der Subsidiarität bei der Bürgschaft aber disponibel ist, ist dieser Umstand für den Vergleich mit der Bürgschaft nicht ausschlaggebend. Der Unterschied besteht indes darin, dass die Hauptgesellschaft anders als der Bürge eine rechtliche und wirtschaftliche Einflussmöglichkeit auf den Hauptschuldner, hier die eingegliederte Gesellschaft, hat (vgl. allein § 323 Abs. 1 Satz 1 AktG). Dies ist bei der Gesellschafterhaftung nach § 128 Satz 1 HGB in geringerem Umfang aber auch der Fall. Die Sicherung der Gläubiger erfordert darüber hinaus nicht, dass die Hauptgesellschaft im Ergebnis wirtschaftlich mithaftet, wenn die eingegliederte Gesellschaft solvent ist. Denn in diesem Fall ist zwar auch die unmittelbare Inanspruchnahme der Hauptgesellschaft nach § 322 AktG durch die Gläubiger der eingegliederten Gesellschaft möglich. Die Hauptgesellschaft kann dann jedoch Regress nehmen, und zwar, weil sie als Gesamtschuldner haftet, nach § 426 Abs. 1 und Abs. 2 BGB. Zwar geht das Gesetz bei Gesamtschuldnern grundsätzlich von einer Haftung zu gleichen Anteilen und damit nur einer entsprechenden Ausgleichspflicht aus, § 426 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BGB. Jedoch kann gemäß § 426 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BGB das Gesetz auch ein anderes bestimmen. Und diese andere Bestimmung kann hier aufgrund des Zweckes sowie der gesetzgeberischen Intention in § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG gesehen werden: Die Hauptgesellschaft kann rechtlich betrachtet vollen Regress bei der eingegliederten Gesellschaft nehmen.563 Das wirtschaftliche Risiko verbleibt bei der Hauptgesellschaft, weil diese im Falle der Insolvenz der eingegliederten Gesellschaft weiterhin in Anspruch genommen werden, aber nicht selbst (vollen) Regress bei dieser nehmen kann. Insofern liegt auch keine Benachteiligung der Gläubiger der eingegliederten Gesellschaft vor. Aufgrund des Sinnes und Zweckes des § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG sowie der gesetzgeberischen Intention kann man eine Parallele zu § 128 HGB ziehen und auch für die-

562 563

Vgl. BT-Drs. IV/171, S. 235. So auch Grigoleit/Rachlitz in: Grigoleit AktG, AktG § 322, Rdnr. 5; Grunewald in: Goette/ Habersack MünchKomm-AktG Band 5, AktG § 322, Rdnr. 18; Habersack in: Emmerich/ Habersack Aktien- und GmbH-Konzernrecht, AktG § 322, Rdnr. 7; Koch in: Hüffer/Koch Aktiengesetz, AktG § 322, Rdnr. 6; Singhof in: Spindler/Stilz AktG Band 2, AktG § 322, Rdnr. 17, 18; Ziemons in: K. Schmidt/Lutter AktG, AktG § 322, Rdnr. 20.

144

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

se Vorschrift feststellen, dass eine Haftung nach Vorbild der Bürgschaft vorliegt, auch wenn die gesetzgeberische Umsetzung zu wünschen übriglässt. e)

Zwischenfazit

Die Haftung der Hauptgesellschaft für die Verbindlichkeiten der eingegliederten Gesellschaft nach § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG ist ebenfalls nach Vorbild der Bürgschaft konstruiert. Auch sie legt die weitere Kreditwürdigkeit der eingegliederten Gesellschaft, wodurch die Haftung ebenfalls als eine Kreditsicherung anzusehen ist. Diese folgt aber existierenden Bahnen, namentlich denen der §§ 128 ff. HGB und somit auch der Bürgschaft, sodass es sich bei § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht um einen eigenen Kreditsicherungstyp handelt.564 3

Die Rolle des Gesellschafters bzw. des Konzerns für das Hauptschuldverhältnis

Sowohl die Gesellschafter- als auch die Konzernhaftung sind zwar an die Bürgschaft angelehnt, dennoch nicht mit ihr deckungsgleich. Dies zeigt sich nicht nur in ihrer Rechtsnatur, sondern auch durch die Rolle der Gesellschafter bzw. der Hauptgesellschaft für das Hauptschuldverhältnis. Zum Beispiel sind die Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft (§ 105 Abs. 1 HGB) die Grundpfeiler der Gesellschaft. Ohne sie würde die Gesellschaft nicht existieren. Ein Gesellschafter ist auch grundsätzlich zur Vertretung der Gesellschaft ermächtigt, wenn er nicht durch den Gesellschaftsvertrag von der Vertretung ausgeschlossen ist (§ 125 Abs. 1 HGB). Der Gesellschafter, der gegebenenfalls später von einem Gläubiger der Gesellschaft nach § 128 Satz 1 HGB in Anspruch genommen wird, kann also selbst das Hauptschuldverhältnis, für welches er dann haftet, eingegangen sein. Der Gesellschafter im Sinne des § 128 Satz 1 HGB ist somit nicht nur Haftender, sondern auch (mittelbar) Beteiligter des Hauptschuldverhältnisses. Anders liegt es indes im Falle eines eintretenden Gesellschafters, der nach § 130 Abs. 1 HGB gleich den anderen Gesellschaftern nach Maßgabe der §§ 128 und 129 HGB für die vor seinem Eintritte begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet, ohne Unterschied, ob die Firma eine Änderung erleidet oder nicht. Der eintretende Gesellschafter ist kein Beteiligter der vor seinem Eintritt begründeten Verbindlichkeiten, seine Haftung ist dann mit der Partizipation an dem Gesellschaftsvermögen zu rechtfertigen.565.

564 565

Vgl. Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, Rdnr. 1081. Klimke in: Häublein/Hoffmann-Theinert BeckOK-HGB, Stand: 19. Edition 15.01.2018, HGB § 130, Rdnr. 1; das Akzessorietätsprinzip der Haftung nach § 128 HGB wird durch diese Haftung ergänzt; ein Gläubiger muss somit nicht ermitteln, wer zum maßgeblichen Zeitpunkt Gesellschaf-

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

145

Die Rolle der Hauptgesellschaft ist indes nicht in Gänze vergleichbar. Zwar haftet die Hauptgesellschaft nach § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG für die vor der Eingliederung begründeten Verbindlichkeiten der eingegliederten Gesellschaft den Gläubigern dieser Gesellschaft und nach § 322 Abs. 1 Satz 2 AktG für alle Verbindlichkeiten der eingegliederten Gesellschaft, die nach der Eingliederung begründet werden. Die Hauptgesellschaft hat aber nicht dieselben Einflussmöglichkeiten wie der Gesellschafter, da sie die eingegliederte Gesellschaft nicht vertritt. Gleichwohl ist die Hauptgesellschaft nach § 323 Abs. 1 Satz 1 AktG berechtigt, dem Vorstand der eingegliederten Gesellschaft hinsichtlich der Leitung der Gesellschaft Weisungen zu erteilen. Es bestehen mithin rechtliche und wirtschaftliche Einflussmöglichkeiten der Hauptgesellschaft auf die eingegliederte Gesellschaft. Der Regierungsentwurf aus dem Jahr 1962 spricht insoweit von einer „umfassenden Leitungsmacht“.566 Die Position des Gesellschafters bzw. der Hauptgesellschaft ist damit aus rechtlicher Sicht von der des Bürgen zu unterscheiden. Denn der Bürge hat regelmäßig keinerlei rechtliche Einflussmöglichkeiten auf das Hauptschuldverhältnis. Aus Sicht des Bürgen besteht somit eine größere Abhängigkeit von den Parteien des Hauptschuldverhältnisses. 4

Die Rechtsnatur

Die Gesellschafter- und Konzernhaftung stellen im Ergebnis keine eigenständigen Kreditsicherungstypen dar. Vielmehr lehnen sie sich jeweils an die Haftungsstruktur des Bürgschaftsrechts an.567 Rein rechtlich betrachtet handelt es sich aber nicht um eine gesetzlich angeordnete bzw. gesetzliche Bürgschaft. Bei der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft entsteht eine eigene Schuld des Gesellschafters bzw. der Hauptgesellschaft. Dies ergibt sich daraus, dass bei § 128 HGB eben nicht mehr eine Schuld mit Zugriff auf zwei Vermögensmassen besteht, sondern Gesellschaft und Gesellschafter unabhängig voneinander haften. Bei § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG wird dies schon dadurch deutlich, dass Hauptgesellschaft und eingegliederte Gesellschaft Gesamtschuldner sind. Es schulden also mehrere eine Leistung in der Weise, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet, der Gläubiger aber die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist, vgl. § 421 BGB. Jeder ist also Verpflichteter einer eigenen Schuld.

566 567

ter war, sondern kann sich an alle aktuellen Gesellschafter halten, vgl. Hillmann in: Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn HGB Band 1, HGB § 130, Rdnr. 1; Schmidt in: Schmidt/Schmidt MünchKomm-HGB Band 2, HGB § 130, Rdnr. 1. BT-Drs. IV/171, S. 235 (Vorbemerkung), vgl. auch S. 236 (zu § 311 AktG). So auch Bülow, Recht der Kreditsicherheiten, Rdnr. 1081.

146

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

In Anlehnung an die Bürgschaft ist die Schuld des Gesellschafters bzw. der Hauptgesellschaft dabei nahezu inhaltsgleich zu der des originären Schuldners. Dass sie nicht in Gänze inhaltsgleich ist, zeigt beispielsweise die Ausnahme zur Erfüllungstheorie bei der Gesellschafterhaftung. Schließlich ist diese Schuld nicht (unmittelbar) disponibel. Die Haftung selbst kann nicht durch den Gesellschafter bzw. die Hauptgesellschaft allgemein ausgeschlossen werden – sie entsteht danach unabhängig von seinem Willen, wodurch sich die Haftung aber wiederum von der Bürgschaft unterscheidet. Bei der Gesellschafterhaftung nach §§ 128 ff. HGB sowie der Haftung der Hauptgesellschaft nach § 322 AktG handelt es sich im Ergebnis um Haftungen nach Vorbild der Bürgschaft. III

Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung

Als dritte und letzte Rechtsfigur, durch die das Gesetz das Bürgschaftsrecht in Bezug nimmt, wird nachfolgend die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung untersucht. Dabei handelt es sich um solche Tatbestände, die die Haftung „wie ein Bürge“ anordnen. Zum Teil ist dabei die Einrede der Vorausklage ausgeschlossen bzw. die Haftung „wie ein selbstschuldnerischer Bürge“ angeordnet, teilweise besteht aber auch nur die Haftung „wie ein Bürge“. Danach richtet sich die Aufteilung der Untersuchung indes nicht, da die etwaige Anordnung lediglich eine Frage der Anwendbarkeit der §§ 771 ff. BGB darstellt. Vielmehr wird – zunächst – danach unterschieden, worauf sich die jeweiligen Tatbestände beziehen. Dabei ist zwischen drei Arten zu unterscheiden: die Haftung für den zu ersetzenden Schaden wie ein Bürge (dazu 1), die Haftung für Erfüllung der Verpflichtung wie ein Bürge (dazu 2) und schließlich die Haftung für Verpflichtung wie ein Bürge (dazu 3). Dabei werden die einzelnen Tatbestände jeweils dahin gehend untersucht, ob sie ihrem Wortlaut, ihrer Systematik, ihrer Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck nach mit der Bürgschaft vergleichbar sind bzw. in welcher Form sie auf die Bürgschaft gesetzlich Bezug nehmen. Handelt es sich bei diesen Tatbeständen schließlich um gesetzliche Bürgschaften? 1

Die einzelnen Tatbestände

a)

Haftung für den zu ersetzenden Schaden wie ein Bürge

Nach § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB, § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB und schließlich § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG wird vom Gesetz die Haftung wie ein Bürge für einen zu ersetzenden Schaden angeordnet.

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

147

aa) § 566 Abs. 2. Satz 1 BGB Das sprichwörtliche568 „Kauf bricht nicht Miete“ ist in § 566 BGB normiert.569 Absatz 1 legt fest, dass der Erwerber von vermietetem Wohnraum anstelle des Vermieters, sprich: des Veräußerers, in die sich während der Dauer dessen Eigentums aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten eintritt. Absatz 2 Satz 1 begründet dagegen eine Pflicht des Veräußerers, namentlich seine Haftung: Erfüllt der Erwerber die Pflichten nicht, so haftet der Vermieter für den von dem Erwerber zu ersetzenden Schaden wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Im zweiten Satz ist sodann eine Haftungsbefreiung normiert: Der Vermieter wird von der Haftung frei, wenn der Mieter von dem Übergang des Eigentums durch Mitteilung des Vermieters Kenntnis erlangt und das Mietverhältnis nicht zum ersten Termin kündigt, zu dem die Kündigung zulässig ist. Die Vorschrift des § 566 BGB ist originär für Mietverhältnisse über Wohnraum anwendbar. Nach § 578 Abs. 1 BGB findet § 566 BGB entsprechende Anwendung für Mietverhältnisse über Grundstücke und Räume. Die Vorschrift des § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB hat demnach einen weiten Anwendungsbereich im Mietrecht. In der Rechtsprechung wird § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB als „gesetzlich angeordnete Bürgenhaftung“570, als „bürgenähnliche Haftung“571 oder auch als „bürgengleiche Haftung“572 bezeichnet. Als „bürgenähnlich“ benennen beispielsweise auch Herrmann573, Westermann574 oder Jacoby575 die Haftung nach 566 Abs. 2 Satz 1 BGB. Streyl bezeichnet § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB als „bürgengleiche Haftung“.576 Ähnlich formulieren es beispielsweise Horn577 oder Reinicke/Tiedtke578 mit den Worten „bürgschaftsgleiche Haftung kraft Gesetzes“. Andere jedoch bezeichnen die Haftung als „Bürgenhaftung“, womit wohl eine gesetzlich angeordnete Bürgschaft gemeint ist.579

568 569 570 571 572 573 574 575 576 577 578 579

Vgl. BT-Drs. 14/4553, S. 63. Eingehend zur Entstehung und zum Verständnis des § 566 BGB: Hattenhauer NZM 2003, S. 666 (666 - 676). BAG, Urteil vom 02.08.2006 – 10 AZR 688/05, NZA-RR 2007, S. 646 (648). BGH, Urteil vom 18.12.1968 – VIII ZR 29/68, juris (Rz. 20); BGH, Urteil vom 18.01.1966 – V ZR 113/63, NJW 1966, S. 590 (591). BGH, Urteil vom 12.07.2017 – XII ZR 26/16, juris (Rz. 38). Herrmann in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 566, Rdnr. 27. Westermann in: Erman BGB, BGB § 566, Rdnr. 21. Jacoby in: Jaeger, Insolvenzordnung, InsO § 111, Rdnr. 21. Streyl in: Schmidt-Futterer/Blank Mietrecht, BGB § 566, Rdnr. 144. Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, Vorbemerkungen zu §§ 765 - 778, Rdnr. 126. Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rdnr. 55. So zum Beispiel Blank in: Blank/Börstinghaus Miete, BGB § 566, Rdnr. 94; Harke in: Gsell/ Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.01.2018, BGB § 566, Rdnr. 73; Häublein in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Henssler/Krüger MünchKomm-BGB Band 4, BGB § 566,

148

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

Wiederum andere lassen eine solche Bezeichnung offen.580 Emmerich verwendet die Begriffe „Bürgenhaftung“581 und „bürgenähnliche Haftung“582 offenbar synonym583, wobei er aber auch „Haftung als selbstschuldnerischer Bürge“ und „Haftung wie ein selbstschuldnerischer Bürge“ synonym verwendet584. Tonner sagt schließlich, dass der bisherige Vermieter in die Stellung eines selbstschuldnerischen Bürgen rückt.585 Eine Auseinandersetzung mit der genauen Begrifflichkeit und damit mit der dahinterstehenden dogmatischen Frage der Rechtsnatur des § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB bleiben die Autoren aber schuldig. Eine Ausnahme dazu bildet insofern jedoch Koban in seinem Werk Die gesetzliche Bürgschaft der §§ 571 und 1251 des Bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich aus dem Jahr 1905. Koban bezeichnet die Haftung nach § 571 Abs. 2 Satz 1 BGB a. F.586 bzw. § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB als „gesetzliche Bürgschaft“. Dies begründet er, nachdem er sich mit abweichenden Bezeichnungen in der Literatur auseinandersetzt, wie folgt: „Da in den beiden oben genannten Fällen dem Wesen nach doch zweifellos eine Bürgenhaftung vorliegt und ein Unterschied zur regulären, durch Vertrag übernommenen Bürgschaft einzig und allein nur im Entstehungsgrund vorhanden ist, so glaube ich schon der Kürze halber mich im Folgenden des Ausdruckes »gesetzliche Bürgschaft« bedienen zu dürfen.“587 Koban sieht demgemäß einen Unterschied im Entstehungsgrund, auf die Unterschiede im Wortlaut oder etwa beim Sinn und Zweck geht er nicht ein. Gleichwohl sagt er, dass es sich nicht um eine reguläre Bürgschaft handelt. Die Begrifflichkeit der gesetzlichen Bürgschaft meint wohl dennoch, dass es sich hierbei rechtstechnisch um eine Bürgschaft handelt. Ausgehend davon stellt sich also für § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB die Frage, welche Rechtsnatur dieser Haftungstatbestand hat.

580 581 582 583 584 585 586 587

Rdnr. 44; Hörndler in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.10.2016, BGB § 578, Rdnr. 239; Kandelhard in: Herrlein/Kandelhard ZAP-Praxiskommentar MietR, BGB § 566, Rdnr. 24; Lehr in: BeckOK-MietR, Stand: 10. Edition 01.12.2015, BGB § 566, Rdnr. 73. Gramlich, Mietrecht, BGB § 566, Nr. 8; Scheuch/Ebert in: Schulze Hk-BGB, BGB § 566, Rdnr. 9; Teichmann in: Jauernig BGB, BGB § 540, Rdnr. 7. Emmerich in: Staudinger, Neubearbeitung 2014, BGB § 566, Rdnr. 59; Emmerich in: Emmerich/Sonnenschein Miete, BGB § 566, Rdnr. 39. Emmerich in: Staudinger, Neubearbeitung 2014, BGB § 567b, Rdnr. 1. So auch Riecke in: Prütting/Wegen/Weinreich BGB, BGB § 566, Rdnr. 19. Emmerich in: Staudinger, Neubearbeitung 2014, BGB § 566, Rdnr. 59. Tonner in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdiger/Junker jurisPK-BGB, Band 2, BGB § 566, Rdnr. 32. Der heutige § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB, vgl. unten unter Drittes Kapitel. D I 1 a) aa). Koban, Die gesetzliche Bürgschaft der §§ 571 und 1251 des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, S. 1 Fn. 1.

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Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

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Der Wortlaut Nach dem Wortlaut des § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB haftet der Vermieter für den von dem Erwerber zu ersetzenden Schaden wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat, wenn der Erwerber seine Pflicht aus § 566 Abs. 1 BGB nicht erfüllt. Es wird also eine Haftung nicht unmittelbar für die primären Pflichten des Erwerbers normiert, sondern bloß für den Ersatz etwaiger Schäden, die durch die Nichterfüllung der erwerberseitigen Pflichten entstehen. Dieser Umstand erscheint zwar auf einen ersten Blick im Vergleich abweichend von § 765 Abs. 1 BGB – doch die Regelungstechnik ist auch hier keine andere: Gleichviel, ob es sich bei der „Hauptschuld“ um einen Primär- oder Sekundäranspruch des Gläubigers aus dem Schuldverhältnis handelt, soll der Bürge bzw. der Haftende dafür in Anspruch genommen werden können. Anders als § 778 BGB haftet hier der Vermieter wie ein Bürge und nicht als Bürge. Dieser sprachliche Unterschied könnte, weil das Wort „wie“ in seiner Funktion als Vergleichspartikel nur eine Vergleichbarkeit, aber keine Identität ausdrückt, bedeuten, dass die Haftung nach § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB nur der Bürgschaft vergleichbar ist, also bürgenähnlich ist. Dies spricht dafür, dass es sich bei § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB schon nicht um eine gesetzlich angeordnete Bürgschaft handeln kann. Gleichwohl könnte an dieser Stelle andererseits argumentiert werden, dass die Formulierung „haftet […] für den Schaden wie ein Bürge“ auch bedeuten kann, dass für den Schadensersatzanspruch eine Bürgschaft gesetzlich angeordnet wird. Dieses Argument, welches bereits im Rahmen des Kreditauftrags aufgegriffen wurde, erscheint aber an dieser Stelle noch weniger tragfähig als zuvor: Die Vergleichbarkeit, die das Wort „wie“ zum Ausdruck bringt, ist noch schwächer als die Formulierung „als“. Schließlich ließe sich auch nicht erklären, warum in anderen Normen die Haftung wie ein Bürge für die Erfüllung einer Verpflichtung angeordnet wird – dies würde eine nicht notwendige Doppelung des Haftungsgegenstands bzw. der Art und Weise der Haftung darstellen. Diese Argumente sprechen demnach gegen eine Auslegung als gesetzliche Anordnung einer Bürgschaft. Für eine differenzierte Betrachtung des Wortes „wie“ kann zudem folgende Überlegung herangezogen werden: Im Falle des § 128 Satz 1 HGB besteht allein zwischen den Gesellschaftern eine Gesamtschuld, nicht jedoch zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft.588 Werden die Gesellschafter gemeinsam auf eine Leistung verklagt, so muss beantragt werden, sie „als Gesamtschuldner“ zu verurteilen.589 Bei ge-

588 589

Vgl. oben unter Drittes Kapitel. C I 1. Vgl. Schmidt in: Schmidt/Schmidt MünchKomm-HGB Band 2, HGB § 128, Rdnr. 23 (dort zur Kostenentscheidung bei gemeinsamer Verurteilung).

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

meinsamer Verklagung von Gesellschaftern und Gesellschaft wäre indes die Formulierung „als Gesamtschuldner“ rechtstechnisch nicht zutreffend, da sie keine Gesamtschuldner sind. Dennoch wird diese Formulierung wohl akzeptiert.590 Gleichwohl formuliert Schmidt dazu richtigerweise: „Wer einen unzutreffenden Eindruck hinsichtlich der materiellen Rechtslage vermeiden will, verurteilt die Gesellschaft und den Gesellschafter ‚wie Gesamtschuldner‘ oder ‚als wären sie Gesamtschuldner‘.“591 Hieran zeigt sich, dass die Formulierung „wie …“ zum Ausdruck bringen kann, dass man auf eine rechtlich so nicht bestehende Rechtsfigur verweist, um sie zur entsprechenden oder analogen Anwendung zu bringen. Auf § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB übertragen bedeutet dies, dass zwar auf die Bürgschaft Bezug genommen wird, es sich aber bei § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht um eine Bürgschaft handelt – denn dafür müsste es mindestens „als Bürge haftet“ heißen. Für eine Auslegung als gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung spricht auch ein Vergleich zu § 647 BGB. Dort heißt es: Der Unternehmer hat für seine Forderung aus dem Vertrag ein Pfandrecht an den von ihm hergestellten oder ausgebesserten beweglichen Sachen des Bestellers, wenn sie bei der Herstellung oder zum Zwecke der Ausbesserung in seinen Besitz gelangt sind. Der Gesetzgeber hat an dieser Stelle unzweifelhaft ein Pfandrecht gesetzlich angeordnet. Diese Regelungstechnik hätte dem Gesetzgeber bei der Haftung nach § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB gleichfalls offen gestanden (so zum Beispiel mit der Formulierung: „Erfüllt der Erwerber die Pflichten nicht, so besteht für den von dem Erwerber zu ersetzenden Schaden eine Bürgschaft des Vermieters, bei der die Einrede der Vorausklage ausgeschlossen ist.“)592. Die unterschiedliche Regelungstechnik spricht im Ergebnis ebenfalls nicht für eine gesetzlich angeordnete Bürgschaft, sondern für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. Andererseits besteht im Vergleich zur Gesellschafter- und Konzernhaftung ein Unterschied. Dort wurde durch die Regelungstechnik insbesondere der §§ 128, 129 HGB eine Angleichung an die Bürgschaft vorgenommen.593 Bei der Haftung des Vermieters nimmt aber bereits der Wortlaut der Norm Bezug auf die Bürgschaft – durch eben die

590

591 592

593

Vgl. Bydlinski in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Krüger MünchKomm-BGB Band 2, BGB § 421, Rdnr. 33; Hillmann in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn HGB Band 1, HGB § 128, Rdnr. 59; aber auch Roth in: Baumbach/Hopt Handelsgesetzbuch, HGB § 128, Rdnr. 39, der allein die Formulierung „als Gesamtschuldner“ für richtig hält, m. w. N. Schmidt in: Schmidt/Schmidt MünchKomm-HGB Band 2, HGB § 128, Rdnr. 23 m. w. N. Vgl. auch die Formulierung zur Entstehung einer rechtsgeschäftlichen Bürgschaft in Österreich in § 1346 Abs. 1 Satz 1 AGBGB (Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch): „Wer sich zur Befriedigung des Gläubigers auf den Fall verpflichtet, daß der erste Schuldner die Verbindlichkeit nicht erfülle, wird ein Bürge, und das zwischen ihm und dem Gläubiger getroffene Uebereinkommen ein Bürgschaftsvertrag genannt.“ Vgl. oben unter Drittes Kapitel. C I 1.

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Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

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Formulierung „haftet wie ein Bürge“. Insofern unterscheidet sich § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB von der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft. Sie hat aufgrund des Wortlauts eine größere Nähe zur Bürgschaft. Der Wortlaut lässt verschiedene Auslegungen zu. Zudem lassen sich die Stimmen der Literatur zu der Frage der Rechtsnatur nicht hinreichend nutzbar machen. Gleichwohl spricht der Wortlaut des § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB – ohne indes völlig eindeutig zu sein – eher dafür, dass es sich bei der Vorschrift um eine mit der Bürgschaft vergleichbare Haftung handelt, also um eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. Eine gesetzliche Bürgschaft stellt § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB demnach nicht dar. Die Systematik Anders als § 778 BGB steht § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht etwa im Recht der Bürgschaft, sondern im Recht der Miete. Dieser Umstand spricht für eine bloß mit der Bürgschaft vergleichbare Haftung: § 778 BGB stellt eine besondere Form des Auftrags dar, aber um die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts als gesetzliche Folge zu normieren, wurde der Kreditauftrag im Bürgschaftsrecht verortet. Gleiches hätte für § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB auch gemacht werden können. Die Normierung außerhalb des Bürgschaftsrechts deutet jedenfalls auf einen Unterschied zu § 778 BGB hin. Die Systematik spricht daher ebenfalls für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. Die Entstehungsgeschichte Der Regelungsgehalt des § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB war bereits Gegenstand des Bürgerlichen Gesetzbuches vom 18. August 1896594 und dort wie folgt in § 571 BGB normiert: „Erfüllt der Erwerber die Verpflichtungen nicht, so haftet der Vermiether für den von dem Erwerber zu ersetzenden Schaden wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat.“595 Diese Vorschrift wurde zwar sprachlich leicht verändert. Eine inhaltliche Veränderung hat bis dato nicht stattgefunden. Die Haftung des Vermieters war aber nicht von vornherein derart vorgesehen. In den Protokollen der Kommission für die Zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuches findet sich noch folgende Formulierung: „Wird der Erwerber wegen Nichterfüllung der ihm aus dem Miethverhältnisse obliegenden Verpflichtungen dem Miether zum Schadensersatz verpflichtet, so haftet der Vermiether für die Erfüllung dieser Verbindlichkeit als Bürge mit der Maßgabe, dass die Einrede der Voraus-

594 595

RGBl. 1896, S. 195. RGBl. 1896, S. 195 (292).

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

klage ausgeschlossen ist.“596 Diese Formulierung, die sich von der entsprechenden Formulierung zu § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB unterscheidet597, deutet wegen der Wahl des Wortes „als“ noch eher auf eine gesetzlich angeordnete Bürgschaft hin als die endgültige Fassung. In der Erläuterung zu der Formulierung heißt es jedoch unter anderem: „Vielmehr müsse er [der Vermieter] für den Fall, daß der Erwerber seinen Verpflichtungen nicht genüge und der Miether deshalb in die Lage komme, Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen, neben dem Erwerber als Gesammtschuldner haften.“598 Zwischen dem Bürgen und dem Hauptschuldner besteht indes zweifelsohne kein Gesamtschuldverhältnis599. Der Gesetzgeber hat also mit der Regelung des späteren § 571 Abs. 2 Satz 1 BGB a. F. auf eine gemeinsame Haftung von Vermieter und Erwerber gezielt. Der Verweis auf das Bürgschaftsrecht kann daher nur so verstanden werden, dass die Merkmale der Bürgschaft – Akzessorietät und in einem gewissen Rahmen Subsidiarität – zum Tragen kommen sollen. Durch das Gesetz zur Neugliederung, Vereinfachung und Reform des Mietrechts (Mietrechtsreformgesetz) vom 19. Juni 2001 wurde die Regelung des § 571 Abs. 2 Satz 1 BGB a. F. in § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB verortet.600 Zwar bezog sich § 571 BGB a. F. auf die Miete von Grundstücken und § 566 BGB bezieht sich allein auf die Wohnraummiete. Sachlich hat sich der Anwendungsbereich dadurch aber nicht verändert, da über § 578 Abs. 1 BGB auf § 566 BGB im Bereich der „Mietverhältnisse über Grundstücke und Räume“ Bezug genommen wird.601 Eine inhaltliche Veränderung hat § 566 BGB durch das Mietrechtsreformgesetz nicht erfahren.602 Von einer gesetzlich angeordneten Bürgschaft kann aufgrund der Entstehungsgeschichte nicht ausgegangen werden. Vielmehr stellt die Haftung des Vermieters eine gesetzlich angeordnete, an die Bürgschaft angelehnte, mit ihr vergleichbare Haftung, also eine bürgenähnliche Haftung dar.

596 597 598 599 600 601 602

Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, C. Protokolle der 2. Kommission, S. 818. Vgl. dazu unten unter Drittes Kapitel. B III 1 a) bb). Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, C. Protokolle der 2. Kommission, S. 819. Vgl. oben unter Drittes Kapitel. A II 2 a) cc). BGBl. I 2001, S. 1149 (1157 - 1158). Vgl. Häublein in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Henssler/Krüger MünchKomm-BGB Band 4, BGB § 566, Rdnr. 5. Vgl. auch Harke in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.01.2018, BGB § 566, Rdnr. 3.

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Sinn und Zweck Die Haftung des Vermieters bezweckt den Schutz des Mieters. Dieser soll vor einem nicht solventen neuen Vermieter geschützt werden, den er sich nicht selbst ausgesucht, sondern durch den gesetzlichen Vermieterwechsel des § 566 Abs. 1 BGB erhalten hat.603 Dieser Schutz ist aber nur soweit nötig, wie der Mieter keine Kündigungsmöglichkeit gegenüber dem neuen Vermieter hat. Daher endet die Haftung des alten Vermieters auch nach § 566 Abs. 2 Satz 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in welchem der Mieter Kenntnis durch den alten Vermieter von dem Übergang des Eigentums erlangt und das Mietverhältnis nicht zum nächstmöglichen Zeitpunkt kündigt. Ab diesem Zeitpunkt hat sich der Mieter den neuen Vermieter quasi selbst bzw. freiwillig ausgesucht, indem er ihn beibehalten hat. § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB stellt demnach eine Haftung für Pflichten eines Dritten dar, welche originär bei dem Haftenden (dem alten Vermieter) entstanden sind. Das Gesetz berücksichtigt also hier den aus der Sicht des Mieters ungewollten bzw. nicht beeinflussbaren Vertragspartnerwechsel, indem der originäre Vertragspartner so lange in die Haftung genommen wird, wie er auch aus dem Vertrag hätte leisten müssen, solange das Vertragsverhältnis durch die Kündigung noch nicht beendet ist. Sinn und Zweck des § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB sind in einer Weise mit dem Kreditsicherungszweck der Bürgschaft vergleichbar. Gleichwohl überwiegt hier als Zweck wohl die Konsistenz der Vertragsbeziehung sowie die Weiterhaftung für eigenständig eingegangene Verpflichtungen.604 Damit unterscheidet sich § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB wiederum vom bereits angesprochenen Unternehmerpfandrecht nach § 647 BGB. Mit § 647 BGB ordnet das Gesetz einen Ausgleich dafür an, dass der Unternehmer im Rahmen eines Werkvertrages das Risiko des Erfolges trägt und vorleistungspflichtig ist605. Das Unternehmerpfandrecht stellt eine gesetzliche Sicherungsmöglichkeit für den Unternehmer dar606 und korrespondiert damit mit dem Sicherungszweck des Pfandrechts im Sinne des § 1204 Abs. 1 BGB.607 § 647 BGB erfüllt damit – anders als § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB – die Zielsetzung der Rechtsfigur, auf welche die Norm verweist. Im Umkehrschluss zeigt

603

604 605 606 607

Emmerich in: Staudinger, Neubearbeitung 2014, BGB § 566, Rdnr. 59; Harke in: Gsell/Krüger/ Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.01.2018, BGB § 566, Rdnr. 73; Lehr in: BeckOKMietR, Stand: 10. Edition 01.12.2015, BGB § 566, Rdnr. 73; Streyl in: Schmidt-Futterer/Blank Mietrecht, BGB § 566, Rdnr. 144. Vgl. zur Kompensationsfunktion des § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB Harke in: Gsell/Krüger/Lorenz/ Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.01.2018, BGB § 566, Rdnr. 73. Molt in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.10.2017, BGB § 647, Rdnr. 3. Molt in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.10.2017, BGB § 647, Rdnr. 3. Vgl. dazu Förster in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.01.2018, BGB § 1204, Rdnr. 1.

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dies, dass es sich bei der Haftung nach § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB nur um eine mit der Bürgschaft vergleichbare Haftung handelt. Darüber hinaus wird die Haftung nach § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB trotz ihres Mieterschutzzweckes allgemein als nicht zwingend erachtet; vertragliche Abreden können sie daher außer Kraft setzen.608 Durch einen entsprechenden Willen der Parteien – in der Regel Vermieter, Erwerber und Mieter – kann mithin die Haftung ausgeschlossen werden, zur Entstehung der Haftung ist ein entsprechender Wille aber nicht notwendig. Allein bei Vorliegen der objektiven Voraussetzungen des § 566 Abs. 1 und 2 BGB entsteht die Haftung des ehemaligen Vermieters. Anders als bei § 778 BGB ist hier also nicht die Kundgabe des ehemaligen Vermieters erforderlich, dass ihn das wirtschaftliche Risiko (hier des Verkaufs) treffen soll. § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB verzichtet also auf ein wesentliches Merkmal der Bürgschaft, namentlich der bewussten und gewollten Risikoeingehung seitens des „Bürgens“ – sprich: der Selbstbestimmung. Die Haftung des Vermieters steht damit in einem anderen Licht sowohl als die Bürgschaft als auch der Kreditauftrag. Eine gesetzlich angeordnete Bürgschaft kommt damit aus teleologischer Sicht ebenso wenig in Betracht wie die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts als gesetzliche Folge. Vielmehr zeigen auch Sinn und Zweck, dass es sich bei § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB um eine bloß an die Bürgschaft angelehnte Haftung handelt. Zwischenergebnis Im Ergebnis stellt die Haftung des Vermieters nach § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB daher keine gesetzlich angeordnete Bürgschaft dar. Von der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft unterscheidet sich die Haftung des Vermieters insbesondere durch den Wortlaut und auch dadurch, dass § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB keine zum Beispiel § 129 HGB vergleichbaren Regelungen trifft, sondern hinsichtlich der Haftungsausgestaltung auf das Bürgschaftsrecht – entsprechend oder analog – Bezug nimmt. § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB stellt somit vielmehr eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung dar, die ohne den Willen der Parteien grundsätzlich begründet wird, aber mit deren Willen auch ausgeschlossen werden kann.

608

Vgl. unter anderem Emmerich in: Staudinger, Neubearbeitung 2014, BGB § 566, Rdnr. 57; Harke in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.01.2018, BGB § 566, Rdnr. 80; Häublein in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Henssler/Krüger MünchKomm-BGB Band 4, BGB § 566, Rdnr. 47 - 48; Lehr in: BeckOK-MietR, Stand: 10. Edition 01.12.2015, BGB § 566, Rdnr. 73; Streyl in: Schmidt-Futterer/Blank Mietrecht, BGB § 566, Rdnr. 155.

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bb) § 1251 Abs. 2. Satz 2 BGB Mit Blick auf die Regelungstechnik bzw. den Wortlaut ist mit § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB insbesondere § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB vergleichbar. § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB regelt die Haftung eines Pfandgläubigers. Auch hier heißt es: „Erfüllt er [der neue Pfandgläubiger] die Verpflichtungen nicht, so haftet für den von ihm zu ersetzenden Schaden der bisherige Pfandgläubiger wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat.609„ Dem liegt folgende Konstellation zugrunde: Nach § 1204 BGB kann eine bewegliche Sache zur Sicherung einer Forderung in der Weise belastet werden, dass der Gläubiger berechtigt ist, Befriedigung aus der Sache zu suchen (Pfandrecht). Wird die Forderung auf einen neuen Gläubiger übertragen, geht nach § 1250 Abs. 1 Satz 1 BGB das Pfandrecht auf den Zessionar über. Der Zessionar kann dann nach § 1251 Abs. 1 BGB vom Zedenten die bisherige Herausgabe des Pfandes verlangen, wobei der Zessionar einen Anspruch auf Einräumung der Besitzposition des bisherigen Pfandgläubigers (§§ 1205, 1206 BGB) hat.610 Mit der Erlangung des Besitzes tritt der Zessionar anstelle des Zedenten in die mit dem Pfandrecht verbundenen Verpflichtungen gegen den Verpfänder ein, § 1251 Abs. 1 Satz 2 BGB. Erfüllt der Zessionar die Verpflichtungen nicht, so haftet nach § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB für den von diesem zu ersetzenden Schaden der Zedent „wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat“. Diese Haftung tritt nach § 1251 Abs. 2 Satz 3 BGB indes nicht ein, wenn die Forderung kraft Gesetzes übergeht oder auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung abgetreten wird. Im Besonderen besteht auch hinsichtlich der Bezeichnung der Rechtsnatur des § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB Uneinigkeit in Rechtsprechung und Literatur. Es werden auch hier die Begriffe „gesetzlich angeordnete Bürgenhaftung“611, „gesetzliche Bürgschaft“612, „Bürgenhaftung kraft Gesetzes“613, „Bürgenhaftung“614, „bürgschaftsglei609 610

611 612

613 614

Hervorhebungen durch den Verfasser. Damrau in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Gaier MünchKomm-BGB Band 7, BGB § 1251, Rdnr. 1; Förster in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.01.2018, BGB § 1251, Rdnr. 5; Protz in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdiger/Martinek jurisPK-BGB, Band 3, Stand: 01.04.2017, BGB § 1251, Rdnr. 3; Schärtl in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 1251, Rdnr. 2; Wiegand in: Staudinger, Neubearbeitung 2009, BGB § 1251, Rdnr. 3. Vgl. dazu BAG, Urteil vom 02.08.2006 – 10 AZR 688/05, NZA-RR 2007, S. 646 (648). Protz in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdiger/Martinek jurisPK-BGB, Band 3, Stand: 01.04.2017, BGB § 1251, Rdnr. 10; Schärtl in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 1251, Rdnr. 4; Wiegand in: Staudinger, Neubearbeitung 2009, BGB § 1251, Rdnr. 10. Herresthal in: Beckmann/Busche/Coester Staudinger/Eckpfeiler (2014), K. Das Recht der Kreditsicherung, Rdnr. 98. Wicke in: Palandt, BGB § 1251, Rdnr. 2.

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che Haftung kraft Gesetzes“615 oder „Haftung wie ein Bürge“616 bzw. „wie ein selbstschuldnerischer Bürge“617 verwendet. Der Wortlaut Abgesehen von „der bisherige Pfandgläubiger“ ist der Wortlaut des § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB gleichlautend mit dem des § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB. Es kann insofern auf die Argumentation hinsichtlich des Wortlauts des § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB rekurriert werden. Der Wortlaut des § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB ist daher im Ergebnis hinsichtlich der Rechtsnatur der Norm nicht eindeutig. Es könnte sich insofern auch entweder um eine gesetzliche Bürgschaft oder um eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung handeln. Die Systematik § 1251 BGB ist im dritten Buch des Bürgerlichen Gesetzbuches verortet, dem Sachenrecht. Die Vorschrift ist Teil des Pfandrechts an beweglichen Sachen, §§ 1204 ff. BGB. Diese Verortung spricht wiederum für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung des alten Pfandgläubigers. Über diese zu § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB vergleichbare Argumentation hinaus bietet § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB weitere systematische Anknüpfungspunkte: Das Pfandrecht an beweglichen Sachen verweist bzw. rekurriert nicht nur in dieser Norm auf das Bürgschaftsrecht. Auch andere Normen stellen einen solchen Bezug her. Nach § 1210 Abs. 1 Satz 1 BGB haftet das Pfand für die Forderung in deren jeweiligem Bestand, insbesondere auch für Zinsen und Vertragsstrafen. Diese Vorschrift normiert somit eine grundsätzliche Akzessorietät, vergleichbar der der Bürgschaft in § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB. Eine Ausnahme zu diesem Akzessorietätsgrundsatz ist in Satz 2 normiert, wonach die Haftung durch ein Rechtsgeschäft, das der Schuldner nach der Verpfändung vornimmt, nicht erweitert wird, wenn der persönliche Schuldner nicht der Eigentümer des Pfandes ist. § 1210 Abs. 2 BGB normiert darüber hinaus die Haftung des Pfandes für die Ansprüche des Pfandgläubigers auf Ersatz von Verwendungen, für die dem Pfandgläubiger zu ersetzenden Kosten der Kündigung und der

615 616 617

Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, Vorbemerkungen zu §§ 765 - 778, Rdnr. 126; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rdnr. 56. Damrau in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Gaier MünchKomm-BGB Band 7, BGB § 1251, Rdnr. 3. Förster in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.01.2018, BGB § 1251, Rdnr. 12; Schmidt in: Erman BGB, BGB § 1251, Rdnr. 5.

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Rechtsverfolgung sowie für die Kosten des Pfandverkaufs. Auch dies ist aus dem Bürgschaftsrecht bekannt: Vergleichbares bezüglich der Kosten der Kündigung und der Rechtsverfolgung ist in § 767 Abs. 2 BGB festgelegt. Die Vorschrift des § 1211 BGB entspricht in seiner Gesamtheit der Vorschrift des § 768 BGB. § 1225 Satz 1 BGB legt – vergleichbar § 774 Abs. 1 Satz 1 BGB – schließlich einen gesetzlichen Forderungsübergang fest; in seinem Satz 2 wird darüber hinaus die entsprechende Anwendbarkeit des § 774 BGB angeordnet. Unstreitig wird man festhalten können, dass ein Pfandrecht an beweglichen Sachen trotz des Bezugs zur Bürgschaft keine Bürgschaft ist. Vielmehr bedient sich der Gesetzgeber dieser Verweise bzw. Bezugnahme, um die entsprechenden Regelungstechniken nicht gänzlich wiederholen zu müssen, sondern auf Gewohntes zurückzugreifen. Hierdurch zeigt sich, dass der Gesetzgeber bei einem Pfandrecht an beweglichen Sachen selbst nicht von einer gesetzlichen Bürgschaft ausgeht, sondern nur eine Anlehnung an das Bürgschaftsrecht vornimmt. Bezogen auf § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB spricht dies für nur eine an die Bürgschaft angelehnte Haftung, sprich: eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. Würde man gleichwohl die Haftung nach § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB als gesetzlich angeordnete Bürgschaft ansehen, überginge man demnach die gesetzlichen Wertungen und Vorstellung der §§ 1204 ff. BGB, die eben eine Anlehnung bzw. Nähe des Pfandrechts an beweglichen Sachen an die Bürgschaft vorsehen, aber selbst zeigen, dass keine Bürgschaft im Sinne der §§ 765 ff. BGB vorliegt. Die systematische Stellung des § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB zeigt daher deutlich, dass die Haftung des bisherigen Pfandgläubigers keine gesetzliche Bürgschaft ist. Vielmehr handelt es sich um eine an die Bürgschaft angelehnte Haftung, also eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. Die Entstehungsgeschichte Die Vorschrift des § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB lautete im Ersten Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches unter § 1187 Abs. 2 Halbsatz 1 wie folgt: „Der bisherige Pfandgläubiger haftet dem Eigenthümer für die Erfüllung der dem neuen Pfandgläubiger obliegenden Verpflichtungen wie ein Bürge mit der Maßgabe, daß die Einrede der Vorausklage ausgeschlossen ist.“618 Im Zweiten Entwurf hieß es dann unter § 1158 Abs. 2 Satz 1: „Erfüllt er die Verpflichtungen nicht, so haftet für den von ihm zu erset618

Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III, A. Gegenüberstellung des Entw. erster Lesung, des Entw. zweiter Lesung, der Bundesrathsvorlage, der Reichstagsvorlage und des Gesetzbuches, S. LXXXVII; Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III, B. Motive der 1. Kommission, 467 - 468.

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

zenden Schaden der bisherige Pfandgläubiger wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat.“619 Damit unterschied sich, wie oben bereits angedeutet, der Zweite Entwurf zu § 1158 Abs. 2 Satz 1 zu dem von § 571.620 Eine Erklärung für diese Unterscheidung ist indes nicht ersichtlich. Vielmehr wirkt die Formulierung „als Bürge“ im Rahmen von § 571 als ein Versehen, denn die endgültige Fassung von § 571 griff die Formulierung „wie ein Bürge“ gleichermaßen auf wie die endgültige Fassung von § 1187 Abs. 2 Halbsatz 1. Schließlich wurde diese Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch vom 18. August 1896 in § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB aufgenommen.621 In den „Motiven der Ersten Kommission zum Ersten Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches“ wird hinsichtlich der Gründe für die Haftung des bisherigen Pfandgläubigers auf die – damals noch zunächst vorgesehene – Haftung des veräußernden Nießbrauchers verwiesen.622 Im Ersten Entwurf hieß es in § 1013 Abs. 1 Halbsatz 2: „der Veräußerer haftet dem Eigenthümer für die Erfüllung der dem Erwerber als Nießbraucher obliegenden Verpflichtungen wie ein Bürge mit der Maßgabe, daß die Einrede der Vorausklage ausgeschlossen ist.“623 Nach den Motiven beruht die Haftung des Veräußerers auf „einem allgemeinen Prinzipe, welches auch für den Fall des Faustpfandrechts (§ 1187 Abs. 2) zur Geltung gebracht wird“. Die Motive stellen zunächst dar, welche Haftungsmodelle nicht auf die Haftung des Veräußerers passen, um schließlich festzustellen: „Mit der prinzipalen Haftung des jeweiligen Nießbrauchers ist vielmehr nur eine accessorische Haftung des Veräußerers vereinbar, welche, damit der Eigenthümer durch die Veräußerung in seiner Sicherheit keinen Abbruch erleide, eine selbstschuldnerische, also eine Bürgenhaftung mit Ausschluß der Einrede der Vorausklage (§ 674), sein muß.“624 Die Motive lassen also zunächst den Schluss zu, dass der Gesetzgeber von einer Bürgenhaftung – wie er wörtlich selbst sagt – ausgeht. Gleichwohl zeigt sich auch an619

620 621 622 623

624

Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III, A. Gegenüberstellung des Entw. erster Lesung, des Entw. zweiter Lesung, der Bundesrathsvorlage, der Reichstagsvorlage und des Gesetzbuches, S. LXXXVII; Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III, C. Protokolle der 2. Kommission, S. 935. Vgl. oben unter Drittes Kapitel. B III 1 a) aa). RGBl. 1896, S. 195 (409). Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III, B. Motive der 1. Kommission, S. 468. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III, A. Gegenüberstellung des Entw. erster Lesung, des Entw. zweiter Lesung, der Bundesrathsvorlage, der Reichstagsvorlage und des Gesetzbuches, S. L, im Ergebnis haben die Verfasser den Nießbrauch als nicht übertragbares Recht ausgestaltet, vgl. § 1059 Satz 1 BGB; dazu Pohlmann in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Gaier MünchKomm-BGB Band 7, BGB § 1059, Rdnr. 1. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III, B. Motive der 1. Kommission, S. 295.

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Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

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hand der Motive, dass es sich bei der Haftung des bisherigen Pfandgläubigers nur um eine an die Bürgschaft angelehnte Haftung handelt: Der Gesetzgeber hat die Haftungssituation des bisherigen Pfandgläubigers bzw. des veräußernden Nießbrauchers mit den dem Gesetz bekannten Haftungssystemen verglichen, um das für diese Situation „passende“ System zu finden. Gerade dieser Vergleich zeigt erneut, dass es sich bei der Haftungssituation nicht um die einer Bürgschaft handelt; vielmehr entspricht sie nur der Bürgschaftssituation bzw. soll die Situation einer Bürgschaft nachempfunden werden: Der Gesetzgeber sieht für die Haftung des bisherigen Pfandgläubigers demnach eine akzessorische Haftung vor, bei welcher derselbe den Verpfänder grundsätzlich nicht auf eine vorherige Inanspruchnahme des neuen Pfandgläubigers verweisen darf, sondern vielmehr wie ein selbstschuldnerischer Bürge sofort in Anspruch genommen werden kann. Auch die Entstehungsgeschichte des § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB spricht demnach für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. Sinn und Zweck § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB bezweckt die Haftung des bisherigen Pfandgläubigers für die Auswahl des neuen Pfandgläubigers.625 Denn die Übertragung gründet in dem Verhalten des bisherigen Pfandgläubigers.626 Aus diesem Grund ist aber auch nach § 1251 Abs. 2 Satz 3 BGB die Haftung für den Fall ausgeschlossen, dass die Forderung kraft Gesetzes auf den neuen Pfandgläubiger übergeht oder ihm auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung abgetreten wird. In diesem Fall hat der bisherige Pfandgläubiger nämlich keine Ursache für den Übergang geschaffen. Eine solche Freistellung für einen Bürgen sehen die §§ 765 ff. BGB indes nicht vor. Dort wird der Bürge nach § 776 Satz 1 BGB nur insoweit frei, als der Gläubiger ein mit der Forderung verbundenes Vorzugsrecht, eine für sie bestehende Hypothek oder Schiffshypothek, ein für sie bestehendes Pfandrecht oder das Recht gegen einen Mitbürgen aufgibt, aus dem der Bürge nach § 774 hätte Ersatz erlangen können. Zwar könnte man § 1251 Abs. 2 Satz 3 BGB, sofern man § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB als eine gesetzlich angeordnete Bürgschaft ansehen würde, seinerseits als ein lex specialis zum Bürgschaftsrecht ansehen. Dies würde indes verkennen, dass § 1251 Abs. 2 Satz 3 BGB einen von der Bürgschaft abweichenden Zweck der Haftung des 625

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Förster in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.01.2018, BGB § 1251, Rdnr. 13; Schärtl in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 1251, Rdnr. 4; Schmidt in: Erman BGB, BGB § 1251, Rdnr. 5; Wiegand in: Staudinger, Neubearbeitung 2009, BGB § 1251, Rdnr. 10. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band III, C. Protokolle der 2. Kommission, S. 936.

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

bisherigen Pfandgläubigers normiert: Bei der Haftung des bisherigen Pfandgläubigers steht nicht die Kreditsicherung des neuen Pfandgläubigers (der insoweit als „Hauptschuldner“ gilt) gegenüber dem Gläubiger im Vordergrund – es geht vielmehr wie aufgezeigt um die Haftung für ein Auswahlverschulden; der bisherige Pfandgläubiger wechselt seine Position in dem Schuldverhältnis mit dem Gläubiger. Würde die Kreditsicherung Hauptzweck sein, müsste die Haftung auch im Falle eines gesetzlichen Übergangs bestehen – ein weiteres Risiko für den bisherigen Pfandgläubiger. Der Zweck des § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB entspricht demnach nicht dem der Bürgschaft. Dies spricht wiederum dafür, dass es sich hier bloß um eine an die Bürgschaft angelehnte Haftung handelt. Zwischenergebnis Auch die Vorschrift des § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB stellt im Ergebnis eine (bloß) gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung dar. cc) § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG Ebenfalls und schließlich gehört zu den Tatbeständen, nach denen jemand für einen zu ersetzenden Schaden wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet, haftet, eine Norm aus dem Gesetz über das Verlagsrecht, namentlich § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG. Diese Norm bezieht sich auf die Insolvenz eines Verlegers: Ist ein gegenseitiger Vertrag zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner und vom anderen Teil nicht oder nicht vollständig erfüllt, so kann der Insolvenzverwalter gemäß § 103 Abs. 1 InsO anstelle des Schuldners den Vertrag erfüllen und die Erfüllung vom anderen Teil verlangen. § 103 InsO findet dabei gemäß § 36 Abs. 1 VerlG auch dann Anwendung, wenn das Werk bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeliefert worden war. Sofern ein Werk abgeliefert wurde, ist der Verlagsvertrag aber noch nicht erfüllt, bestehen weitere Leistungspflichten, jedenfalls solche des Verlegers. Trotz der „Erfüllung“ durch den anderen Teil stellt sich der Verlagsvertrag also weiterhin als „offener Vertrag“ dar, weshalb § 36 Abs. 1 VerlG insoweit bloß eine klarstellende Funktion innehat.627 Sofern der Insolvenzverwalter im Falle eines Werks im Sinne des Gesetzes über das Verlagsrecht auf der Erfüllung des Vertrages besteht, so steht dem Insolvenzverwalter auch die Möglichkeit zu, die sich aus dem Vertrag ergebenden Rechte an einen

627

Nordemann-Schiffel in: Fromm/Nordemann UrhR, VerlG § 36, Rdnr. 4; Ulmer-Eilfort in: UlmerEilfort/Obergfell Verlagsrecht, VerlG § 36, Rdnr. 3; Wegner in: Ahlberg/Götting BeckOK-UrhR, Stand: 18. Edition 01.04.2017, VerlG § 36, Rdnr. 1.

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Dritten zu übertragen (sogenannte „sanierende Übertragung der Verlagsrechte“628). Entscheidet sich der Insolvenzverwalter für die Übertragung der Rechte, so tritt der Erwerber anstelle der Insolvenzmasse in die sich aus dem Vertragsverhältnis ergebenden Verpflichtungen ein, § 36 Abs. 2 Satz 1 VerlG. Dies würde im Umkehrschluss bedeuten, dass die Insolvenzmasse von den Verpflichtungen frei würde. § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG normiert jedoch, dass die Insolvenzmasse, wenn der Erwerber die Verpflichtungen nicht erfüllt, für den von dem Erwerber zu ersetzenden Schaden wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat, haftet. Die Bezeichnungen der Rechtsnatur dieser Haftungsvorschrift differieren auch hier. Neben den bereits bekannten Bezeichnungen als beispielsweise „Bürgenhaftung“629, „bürgschaftsgleiche Haftung kraft Gesetzes“630 oder bloß „Haftung wie ein Bürge“631 bezeichnet Henckel diese Haftung als „gesetzliche Selbstschuldbürgschaft eigener Art“, abstellend auf die Haftungskonstruktion.632 Nordemann-Schiffel stellt insoweit darauf ab, dass „die Insolvenzmasse nur als Bürge haftet“.633 Der Wortlaut Der Wortlaut des § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG entspricht in den entscheidenden Merkmalen dem des § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB und des § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB. Besonderheiten, welche zu einer anderen Auslegung als der beiden genannten Vorschriften führen würden, bestehen insoweit nicht. Es kann daher auf die gefundenen Ergebnisse der Wortlautsauslegung rekurriert werden. Aufgrund des somit nicht eindeutigen Wortlauts des § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG kann es sich auch hierbei entweder um eine gesetzliche Bürgschaft oder eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung handeln. Die Systematik Systematische Erwägungen zu § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG bieten indes keine weitere Auslegungshilfe. Insbesondere besteht kein systematischer Bezug der Vorschrift zum Bürgschaftsrecht, wie es bei § 778 BGB der Fall ist.

628 629 630 631 632 633

Wegner in: Ahlberg/Götting BeckOK-UrhR, Stand: 18. Edition 01.04.2017, VerlG § 36, Rdnr. 11; vgl. dazu auch Nordemann-Schiffel in: Fromm/Nordemann UrhR, VerlG § 36, Rdnr. 18. Wegner in: Ahlberg/Götting BeckOK-UrhR, Stand: 18. Edition 01.04.2017, VerlG § 36, Rdnr. 12. Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, Vorbemerkungen zu §§ 765 - 778, Rdnr. 126. Schricker, Verlagsrecht, VerlG § 36, Rdnr. 20. Henckel in: Jaeger Konkursordnung, 9. Aufl. (1997), KO § 17, Rdnr. 239. Nordemann-Schiffel in: Fromm/Nordemann UrhR, VerlG § 36, Rdnr. 18.

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung Die Entstehungsgeschichte

Im Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht von 1900 hieß es bereits in § 40 Abs. 2 Satz 2, einer Vorgängerregelung des § 36 VerlG: „Die Konkursmasse haftet jedoch, wenn der Erwerber die Verpflichtungen nicht erfüllt, für den von dem Erwerber zu ersetzenden Schaden wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat.“ In der Begründung heißt es dazu: „Uebrigens läßt sich der Zweck, die Abwicklung des Konkursverfahrens von der Dauer der zur Masse gehörenden Verlagsrechte unabhängig zu machen, nur erreichen, wenn weiterhin bestimmt wird, daß im Falle der Veräußerung der Verlagsrechte die Verfasser sich mit ihren Ansprüchen aus dem Vertragsverhältniß an den Erwerber zu halten haben (§ 40 Abs. 2 Satz 2), während die Konkursmasse, wenn der Erwerber die Vertragsverpflichtungen nicht erfüllt, dem Verfasser nur wie ein Bürge für den Schaden haftet (§ 40 Abs. 2 Satz 3). Durch diese Haftung der Masse wird aber, sofern nur die danach dem Verfasser zustehenden Ansprüche sichergestellt werden, die Beendigung des Verfahrens nicht gehindert (§ 40 Abs. 2 Satz 3).“634 Der Wortlaut dieser Begründung deutet an, dass die Konkursmasse „nur“ wie ein Bürge haften soll, also diese Haftung ein „Weniger“ darstellen soll als die Haftung des Erwerbers. Dadurch wird zudem deutlich, dass eine Subsidiarität der Haftung der Konkursmasse bestehen soll, sie also – jedenfalls im Innenverhältnis – hinter dem Erwerber und nicht neben ihm haften soll. Die Entstehungsgeschichte des § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG liefert im Ergebnis wenig Anhaltspunkte für die Bestimmung der Rechtsnatur. Deutlich wird lediglich, dass die Eigenschaften der Bürgschaft auf die Haftung nach § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG zutreffen sollen. Sinn und Zweck § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG will die Rechte des Autors stützen. Seine Ansprüche gegen den Verlag sind aufgrund dessen Insolvenz regelmäßig nicht sehr werthaltig. Die Übertragung der Rechte auf einen Dritten ist daher allein aus wirtschaftlicher Sicht für den Autor in der Regel vorteilhaft. Gleichwohl soll der Autor durch die Übertragung nicht schlechter gestellt werden also ohne: Seine Ansprüche gegen den Erwerber werden durch die Haftung der Masse abgesichert. Sollte also der Erwerber nicht leisten, wäre der Autor so gestellt wie ohne die Übertragung der Rechte. § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG bezweckt von daher nicht die Kreditsicherung des „Hauptschuldners“ in Person des Erwerbers; vielmehr geht es auch hier um die weitere Haftung des originären Vertragspartners. Die Regelungstechnik der Bürgschaft ist dabei nur Mittel zum Zweck. An sie wird die Haftung nur angelehnt. 634

Entwurf eines Gesetzes über das Verlagsrecht, Amtliche Ausgabe, Berlin 1900, S. 52.

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Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

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Darüber hinaus wird durch § 36 Abs. 2 VerlG verhindert, dass die Beendigung des Insolvenzverfahrens selbst durch die Haftung der Insolvenzmasse verhindert wird. Insofern ordnet § 36 Abs. 2 Satz 3 VerlG an, dass im Falle der Aufhebung des Insolvenzverfahrens die sich aus dieser Haftung ergebenden Ansprüche des Verfassers gegen die Masse sicherzustellen sind. Die Regelung verfolgt also auch den Zweck, das Insolvenzverfahren trotz weiterer bestehender Ansprüche beendigen zu können. Sinn und Zweck des § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG weichen daher von denen der Bürgschaft ab. Dies spricht wiederum für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. Zwischenergebnis Schließlich fügt sich die Auslegung zu § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG in die nun bereits gewohnten Bahnen ein: Die hier gesetzlich angeordnete Haftung ist eine bürgenähnliche. dd) Zwischenergebnis Die drei dargestellten Vorschriften sind in ihrer Regelungstechnik vergleichbar: Jeweils wird für einen zu ersetzenden Schaden, sprich: einen Schadensersatzanspruch gehaftet und nicht unmittelbar für die davorstehende primäre Verpflichtung. Dieser Umstand alleine sagt aber noch nichts über die Rechtsnatur aus. Es wurde jedoch gezeigt, dass es sich aufgrund des Wortlauts, der Systematik, der Entstehungsgeschichte und des Sinnes und Zweckes jeweils um eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung handelt und nicht etwa um eine gesetzlich angeordnete Bürgschaft. b)

Haftung für Erfüllung der Verpflichtung wie ein Bürge

Sowohl das Aufenthaltsgesetz als auch das Vierte Buch Sozialgesetzbuch kennen ebenfalls Tatbestände, die eine Haftung „wie ein Bürge“ beinhalten. Dabei wird aber – wie es auch § 765 Abs. 1 BGB anlegt – die Haftung für Erfüllung einer Verpflichtung angeordnet. Die zu untersuchenden Vorschriften sind § 98a Abs. 3 AufenthG sowie § 28e SGB IV. aa) § 98a Abs. 3 AufenthG Allein schon für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet bedürfen Ausländer grundsätzlich eines Aufenthaltstitels, § 4 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AufenthG. Eine Erwerbstätigkeit dürfen Ausländer überdies nur ausüben, wenn der Aufenthaltstitel sie dazu berechtigt, § 4 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 4 Abs. 2 AufenthG. § 4 Abs. 3 Satz 2 AufenthG stellt dazu ein Pendant für einen Arbeitgeber bzw. Dienstgeber oder Bestel-

164

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

ler dar: Demnach dürfen Ausländer nur beschäftigt oder mit einer anderen entgeltlichen Werk- oder Dienstleistung beauftragt werden, wenn sie einen solchen Aufenthaltstitel besitzen. Eine Ausnahme findet sich in § 4 Abs. 3 Satz 3 AufenthG, die für die weitere Untersuchung aber nicht von Bedeutung ist. § 4 Abs. 3 Satz 4 AufenthG normiert zudem noch eine „Prüfpflicht“ des potentiellen Arbeitgebers bzw. Dienstberechtigten oder Bestellers: Wer im Bundesgebiet einen Ausländer beschäftigt oder mit nachhaltigen entgeltlichen Dienst- oder Werkleistungen beauftragt, die der Ausländer auf Gewinnerzielung gerichtet ausübt, muss prüfen, ob die Voraussetzungen nach Satz 2 oder Satz 3 vorliegen. Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen § 4 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bleibt nach dem Aufenthaltsgesetz auch nicht „sanktionslos“: Nach § 98a Abs. 1 Satz 1 AufenthG ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Ausländer, den er (ohne die nach § 284 Abs. 1 SGB III erforderliche Genehmigung oder)635 ohne die nach § 4 Abs. 3 AufenthG erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt hat, die vereinbarte Vergütung zu zahlen. § 98a Abs. 1 Satz 1 AufenthG geht also davon aus, dass die Beschäftigung eines Ausländers in diesem Fall trotz Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nicht zur Nichtigkeit des Arbeitsvertrages (§ 134 BGB) führt.636 Diese Vergütungspflicht des Arbeitgebers ist ihrerseits unter gewissen Voraussetzungen wiederum „abgesichert“: Ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, haftet nach § 98a Abs. 3 AufenthG für die Erfüllung der Verpflichtung dieses Unternehmers nach Absatz 1 wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Für einen Generalunternehmer und alle zwischengeschalteten Unternehmer gilt diese Haftung nach § 98a Abs. 4 AufenthG entsprechend, jedoch steht diesen eine Exkulpationsmöglichkeit zu, wenn sie keine Kenntnis von der erforderlichen (Genehmigung bzw.) Berechtigung zur Erwerbstätigkeit haben. Für die Absätze 3 und 4 gilt zudem gleichermaßen der Haftungsausschluss nach § 98a Abs. 5 AufenthG: Die Haftung entfällt, wenn der Unternehmer nachweist, dass er auf Grund sorgfältiger Prüfung davon ausgehen konnte, dass der Arbeitgeber keine Ausländer ohne die erforderliche Genehmigung oder die erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt hat. Die Haftung wird im Schrifttum wiederum unterschiedlich bezeichnet. Wunderele beispielsweise bezeichnet § 98a Abs. 3 AufenthG als „eine Bürgenhaftung, bei der der Unterauftraggeber auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat (§§ 765, 773 I Nr 1

635 636

§ 284 Abs. 1 SGB III ist inzwischen gegenstandslos geworden, vgl. für viele Breidenbach in: Kluth/Heusch BeckOK-AuslR, Stand: 16. Edition 01.08.2017, AufenthG § 98a, Rdnr. 1. Vgl. insoweit die Gesetzesbegründung in BR-Drs. 210/11, S. 75; vgl. auch Huber NZA 2012, S. 477 (478).

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BGB)“637; der Verweis auf § 765 BGB kann nur so verstanden werden, dass es sich bei § 98a Abs. 3 AufenthG um eine gesetzliche Bürgschaft handeln soll. Funke-Kaiser schreibt explizit, dass dieser gesetzliche „Anspruch als Bürgschaft nach § 765 ausgestaltet“ ist.638 Breidenbach und auch Huber stellen jeweils lediglich fest, dass der Unternehmer wie ein Bürge haftet, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat.639 Laut Keßler ist der Umfang der Haftung derselbe wie bei einem Bürgen, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat.640 Damit – insbesondere mit der Formulierung „derselbe“ – will er wohl auch eine Identität zwischen Bürgschaft und der Haftung verdeutlichen. Der Wortlaut Der Wortlaut des § 98a Abs. 3 AufenthG unterscheidet sich von den bisher untersuchten Vorschriften: Der Unternehmer haftet nicht für die Verpflichtung des anderen Unternehmers wie ein Bürge, sondern er haftet für die Erfüllung der Verpflichtung des anderen Unternehmers wie ein Bürge. Hier wird insoweit die Wortwahl des § 765 Abs. 1 BGB („für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten“) aufgegriffen. Ein Unterschied zu § 765 Abs. 1 BGB besteht gleichwohl durch das Wort „haften“ anstatt „einstehen“. Ferner haftet nach § 98a Abs. 3 AufenthG der Unternehmer auch nur „wie“ ein Bürge. Dem Wortlaut kann somit jedenfalls entnommen werden, dass die Haftung akzessorisch sein soll. Die Frage der Rechtsnatur beantwortet er gleichwohl auch nicht eindeutig. Dennoch wäre die Annahme einer gesetzlichen Bürgschaft nur schwierig zu begründen. Denn die Formulierung des Tatbestands würde sich dann als nicht notwendige Doppelung zur Bürgschaft hinsichtlich des Haftungsgegenstands bzw. der Art und Weise der Haftung darstellen. Im Ergebnis nähert sich der Wortlaut des § 98a Abs. 3 AufenthG am meisten dem des § 765 Abs. 1 BGB an. Dennoch spricht der Wortlaut – auch in Anlehnung an die bisherigen Auslegungsergebnisse – eher für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung als für eine gesetzliche Bürgschaft.

637 638 639 640

Wunderle in: Bergmann/Dienelt Ausländerrecht, AufenthG § 98a, Rdnr. 10. Funke-Kaiser in: Fritz/Vormeier GK-AufenthG, Stand: Mai 2012, AufenthG § 98a, Rdnr. 19. Breidenbach in: Kluth/Heusch BeckOK-AuslR, Stand: 16. Edition 01.08.2017, AufenthG § 98a, Rdnr. 2; Huber in: Huber AufenthG, AufenthG § 98a, Rdnr. 3. Keßler in: Hofmann Ausländerrecht, AufenthG § 98a, Rdnr. 11.

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung Die Systematik

Systematisch stellt § 98a Abs. 3 und Abs. 4 AufenthG eine Sicherung des Anspruchs des Ausländers aus § 98a Abs. 1 AufenthG dar. Dies alleine lässt indes keinen Rückschluss auf die Rechtsnatur der Haftung zu. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass zum Schutze des illegal beschäftigten Ausländers die Haftung nach den Absätzen 3 und 4 unabhängig von der Wirksamkeit der verschiedenen bestehenden vertraglichen Beziehungen (Ausländer zu Arbeitgeber; Arbeitgeber zu Auftraggeber etc.) besteht.641 Die Haftung ist demnach nicht streng akzessorisch, wodurch sie sich von der Bürgschaft unterscheidet. Dies spricht eher für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. Für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung sprechen überdies die Exkulpationsmöglichkeiten der Absätze 4 und 5. Damit besteht für die Haftung des Unternehmers bzw. des Generalunternehmers oder des zwischengeschalteten Unternehmers ein Verschuldenserfordernis. Denn die Haftung entfällt, wenn der Unternehmer nachweist, dass er auf Grund sorgfältiger Prüfung davon ausgehen konnte, dass der Arbeitgeber keine Ausländer ohne die erforderliche Genehmigung oder die erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt hat (Absatz 5). Ein solches Verschuldenserfordernis ist der Bürgschaft indes fremd. Andererseits eröffnet der Absatz 5 eine Einwirkungsmöglichkeit des Unternehmers auf seine Haftung. Die jedoch nicht etwa dazu führt, dass die Haftung nicht entsteht – sie entfällt bloß. Somit entsteht die Haftung nach § 98a Abs. 3 AufenthG wiederum unabhängig vom Willen des Unternehmers. Die Systematik deutet daher im Ergebnis auch auf eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung hin. Die Entstehungsgeschichte § 98a AufenthG wurde durch Artikel 1 Nr. 55 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 eingeführt.642 In Bezug auf § 98a AufenthG dient das Gesetz der Umsetzung der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatszugehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen643 – sogenannte Sanktionsrichtlinie.644

641 642 643

Wunderle in: Bergmann/Dienelt Ausländerrecht, AufenthG § 98a, Rdnr. 11. BGBl. I 2011, S. 2258 (2265). ABl. EU, L 168, 30. Juni 2009, S. 24 - 32.

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Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

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In Artikel 8 Abs. 1 der Richtlinie 2009/52/EG heißt es wörtlich: „Handelt es sich bei dem Arbeitgeber um einen Unterauftragnehmer, tragen die Mitgliedstaaten unbeschadet der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über Regressansprüche und Rückgriffsrechte oder der innerstaatlichen Rechtsvorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit dafür Sorge, dass der Auftragnehmer, dessen unmittelbarer Unterauftragnehmer der Arbeitgeber ist, neben oder an Stelle des Arbeitgebers für folgende Zahlungen haftbar gemacht werden kann.“645 Es folgen Verweise auf Artikel 5, Artikel 6 Abs. 1 lit. a, c, Abs. 2, 3 der Sanktionsrichtlinie. In Artikel 8 Abs. 2 der Sanktionsrichtlinie wird im Falle eines Generalunternehmers die Kenntnis der illegalen Beschäftigung als Voraussetzung für die Haftung normiert, Absatz 3 eröffnet eine Exkulpationsmöglichkeit für den Fall der Erfüllung von Sorgfaltspflichten und Absatz 4 eröffnet schließlich die Möglichkeit einer strengeren Haftung nach innerstaatlichem Recht. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung formuliert im Allgemeinen als Lösung für die Umsetzung der Sanktionsrichtlinie: „Um die illegale Beschäftigung von Ausländern zu verhindern beziehungsweise zu sanktionieren, fordert die Sanktionsrichtlinie im Wesentlichen die Ausdehnung der Arbeitgeberhaftung im Sinne von § 66 des Aufenthaltsgesetzes auf Generalunternehmer und zwischengeschaltete Unternehmer, erhöhte Nachweispflichten für Arbeitgeber und die Einführung von zwei neuen Straftatbeständen. Darüber hinaus ist ein befristeter Aufenthaltstitel für Opfer illegaler Beschäftigung einzuführen, um ihre Mitwirkung als Zeugen im Strafverfahren zu ermöglichen.“646 Im Besonderen heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 98a Abs. 3 AufenthG, dass die in Artikel 8 Abs. 1 der Sanktionsrichtlinie genannten Unternehmer „wie Bürgen, die auf die Einrede der Vorausklage verzichtet haben“, haften.647 Die Absätze 4 und 5 des § 98a AufenthG setzen Artikel 8 Abs. 2 bzw. Artikel 8 Abs. 3 der Sanktionsrichtlinie um.648 Anders als die bereits untersuchten Vorschriften kann die Vorschrift des § 98a AufenthG demnach auf keine langjährige Entstehungsgeschichte zurückblicken. Einzig der Verweis im Allgemeinen der Gesetzesbegründung lässt ein Rekurrieren auf § 66 AufenthG zu. Diese Vorschrift normiert verschiedene Haftungstatbestände für die nach § 66 Abs. 1 AufenthG von dem Ausländer zu tragenden Kosten, die durch die Durchsetzung einer räumlichen Beschränkung, die Zurückweisung, Zurückschiebung

644 645 646 647 648

Vgl. die Fußnote in BGBl. I 2011, S. 2258 (2258). ABl. EU, L 168, 30. Juni 2009, S. 24 (30). BR-Drs. 210/11, S. 2. BR-Drs. 210/11, S. 76 f. Vgl. BR-Drs. 210/11, S. 78 f.

168

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

oder Abschiebung entstehen. Unter anderem haftet nach § 66 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AufenthG, wer als Arbeitgeber den Ausländer als Arbeitnehmer beschäftigt hat, dem die Ausübung der Erwerbstätigkeit nach den Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes nicht erlaubt war. § 66 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 AufenthG normiert eine entsprechende Haftung eines Unternehmers bzw. Generalunternehmers. Die Haftungssubjekte sind demnach in § 98a Abs. 3, 4 AufenthG wiederaufgenommen. § 66 AufenthG kennt aber nicht die Haftung „wie ein Bürge“, sondern bloße Anordnung der Haftung für die Kosten. Der Verweis auf § 66 AufenthG ist demnach hinsichtlich der Art und Weise der Haftung und damit hinsichtlich der Rechtsnatur nicht verständlich bzw. jedenfalls nicht weiterführend. Artikel 8 Abs. 1 der Sanktionsrichtlinie deutet aber auf eine Besonderheit hin, indem es heißt „unbeschadet der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über Regressansprüche und Rückgriffsrechte“. Der europäische Gesetzgeber hatte demnach wohl eine Haftung im Blick, durch welche zwar der Unternehmer unmittelbar durch den Ausländer in Anspruch genommen werden kann, der Unternehmer aber nicht endgültig mit diesen Kosten belastet werden soll. Vielmehr stellt sich der europäische Gesetzgeber einen Regress bzw. Rückgriff vor, was er durch die ausdrückliche Benennung in Artikel 8 Abs. 1 der Sanktionsrichtlinie verdeutlicht. Dies hat der deutsche Gesetzgeber durch die Formulierung „haftet für die Erfüllung der Verpflichtung [...] wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat“ wohl aufgenommen. § 98a Abs. 3 AufenthG muss deshalb derart verstanden werden, dass ein Regress bzw. Rückgriff des Unternehmers gegen den Arbeitgeber bestehen soll. Einen solchen Regress kennt das Bürgschaftsrecht in § 774 BGB. Dies spricht zwar für die gesetzliche Anordnung einer Bürgschaft in § 98a Abs. 3 AufenthG. Gleichwohl ist dann jedoch nicht erklärbar, warum der Gesetzgeber nur die Haftung „wie ein Bürge“ angeordnet hat und nicht etwa „als Bürge“ oder noch deutlicher, dass der Unternehmer für die Erfüllung der Verpflichtung des Arbeitgebers Bürge ist. Dies entspräche auch der Regelungstechnik des § 647 BGB, wonach der Unternehmer für seine Forderung aus dem Vertrag ein Pfandrecht hat. In Ermangelung der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung einer Bürgschaft spricht die Entstehungsgeschichte des § 98a AufenthG ebenfalls für eine gesetzlich angeordnete, an die Bürgschaft angelehnte Haftung. Sinn und Zweck § 98a AufenthG bezweckt zuvörderst die Umsetzung der Sanktionsrichtlinie.649 Diese wiederum bezweckt, die illegale Beschäftigung von Ausländern zu verhindern bzw. zu 649

BR-Drs. 210/11, S. 1.

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

169

sanktionieren.650 Denn ein wichtiger Anreiz für die rechtswidrige Einwanderung in die Europäische Union sei die bestehende Möglichkeit, auch ohne den erforderlichen Rechtsstatus zu besitzen eine Beschäftigung zu finden.651 Daher sollen neben einem allgemeinen Verbot der illegalen Beschäftigung Sanktionen gegen Arbeitgeber, die dem Verbot zuwiderhandeln, etabliert werden.652 Dazu zählt dann unter anderem die Haftung für die Vergütung.653 Die Haftung soll laut Wunderle dadurch gerechtfertigt werden, dass die beauftragenden Unternehmer regelmäßig von den günstigen Preisen profitieren, die aus dem illegalen Beschäftigungsverhältnis zwischen Ausländer und Unterauftragnehmer resultieren.654 Die Haftung nach § 98a Abs. 3 und 4 AufenthG dient also nicht der Kreditsicherung des Arbeitgebers; ein Ausländer geht die illegale Beschäftigung also nicht wegen der bzw. nur aufgrund des Wissens um die Rückgriffsmöglichkeit auf den Auftraggeber ein. Vielmehr dient diese Haftung der Verhinderung der illegalen Beschäftigung durch zivilrechtliche Sanktionen gegenüber dem Auftraggeber. Dieser soll durch die Haftung von der Beauftragung von Arbeitgebern oder Subunternehmern, die möglicherweise Ausländer illegal beschäftigen, abgeschreckt werden. Hiermit unterscheidet sich der Zweck des § 98a Abs. 3 und 4 AufenthG eindeutig von dem Kreditsicherungszweck der Bürgschaft. Dies spricht für eine unterschiedliche Beurteilung der beiden Instrumente und schließlich für die bloß gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung in § 98a AufenthG. Zwischenergebnis Die Auslegung des § 98a Abs. 3 und 4 AufenthG ergibt daher, dass diese Vorschriften nur eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung und nicht etwa eine gesetzliche Bürgschaft darstellen. Trotz des von den anderen Haftungstatbeständen unterschiedlichen Wortlauts reiht sich § 98a AufenthG somit in die bisherigen Auslegungsergebnisse zu den Tatbeständen der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung ein.

650 651 652 653 654

BR-Drs. 210/11, S. 2. Richtlinie 2009/52/EG, Erwägungsgrund 2, ABl. EU, L 168, 30. Juni 2009, S. 24 (24). Richtlinie 2009/52/EG, Erwägungsgrund 3, ABl. EU, L 168, 30. Juni 2009, S. 24 (24). Richtlinie 2009/52/EG, insb. Erwägungsgründe 13 und 14, ABl. EU, L 168, 30. Juni 2009, S. 24 (25). Wunderle in: Bergmann/Dienelt Ausländerrecht, AufenthG § 98a, Rdnr. 9.

170

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

bb) § 28e SGB IV Beitragsschuldner des Gesamtsozialversicherungsbeitrags im Sinne des § 28d SGB IV ist nach § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV der Arbeitgeber. Er ist aber nicht nur Beitragsschuldner seines eigenen Beitragsanteils, sondern auch Beitragsschuldner des Beitragsanteils des Versicherten.655 Damit normiert § 28e Abs. 1 Satz 1 SGB IV allein die Zahlungspflicht; wer wirtschaftlich die Kosten zu tragen hat, ist in den einzelnen Büchern des Sozialgesetzbuches geregelt.656 Dem entspricht auch die Regelung des § 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV, wonach die Zahlung des vom Beschäftigten zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrags als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht gilt.657 Diese Zahlungspflicht des Arbeitgebers ist in § 28e SGB IV für verschiedene Fallkonstellationen abgesichert: − Im Falle einer Arbeitnehmerüberlassung haftet nach § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV bei einem wirksamen Vertrag der Entleiher für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers wie ein selbstschuldnerischer Bürge, soweit ihm Arbeitnehmer gegen Vergütung zur Arbeitsleistung überlassen worden sind. − Nach § 28e Abs. 2a Satz 1 SGB IV haftet der Arbeitgeber des Bergwerkbetriebes, mit dem die Arbeiten räumlich und betrieblich zusammenhängen, für die Erfüllung der Zahlungspflicht, die sich für den Arbeitgeber knappschaftlicher Arbeiten im Sinne von § 134 Abs. 4 SGB VI ergibt, wie ein selbstschuldnerischer Bürge.

655

656 657

Baier in: Wagner/Knittel Krauskopf, Stand: 78. EL Juni 2012, SGB IV § 28e, Rdnr. 3; Kreikebohm in: Kreikebohm SGB IV, SGB IV § 28e, Rdnr. 2; Roßbach in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann Sozialrecht, SGB IV § 28e, Rdnr. 2; Sehnert in: Hauck/Noftz/Udsching SGB IV, Stand: 09/12, SGB IV § 28e, Rdnr. 3; Wagner in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-SozR, Stand: 47. Edition 01.12.2017, SGB IV § 28e, Rdnr. 3; Wehrhahn in: Körner/Leitherer/Mutschler KassKomm, Stand: 74. EL Juni 2012, SGB IV § 28e, Rdnr. 12; Werner in: Schlegl/Voelzke/Schlegl jurisPK-SGB IV, Stand: 01.03.2016, SGB IV § 28e, Rdnr. 25. Vgl. die Auflistung bei Sehnert in: Hauck/Noftz/Udsching SGB IV, Stand: 09/12, SGB IV § 28e, Rdnr. 3. Baier in: Wagner/Knittel Krauskopf, Stand: 78. EL Juni 2012, SGB IV § 28e, Rdnr. 11; Kreikebohm in: Kreikebohm SGB IV, SGB IV § 28e, Rdnr. 3; Roßbach in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann Sozialrecht, SGB IV § 28e, Rdnr. 5; Sehnert in: Hauck/Noftz/Udsching SGB IV, Stand: 09/12, SGB IV § 28e, Rdnr. 4a; Wagner in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-SozR, Stand: 47. Edition 01.12.2017, SGB IV § 28e, Rdnr. 8a; Wehrhahn in: Körner/Leitherer/Mutschler KassKomm, Stand: 74. EL Juni 2012, SGB IV § 28e, Rdnr. 17c; Werner in: Schlegl/Voelzke/Schlegl jurisPK-SGB IV, Stand: 01.03.2016, SGB IV § 28e, Rdnr. 20.

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

171

− Für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers von Seeleuten nach § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB IV haften nach § 28e Abs. 3 SGB IV Arbeitgeber und Reeder als Gesamtschuldner. − Ein Unternehmer des Baugewerbes, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Bauleistungen im Sinne des § 101 Abs. 2 SGB III beauftragt, haftet nach § 28e Abs. 3a Satz 1 SGB IV für die Erfüllung der Zahlungspflicht dieses Unternehmers oder eines von diesem Unternehmer beauftragten Verleihers wie ein selbstschuldnerischer Bürge. Für diese Haftung ist ein Verschuldensvorwurf nach § 28e Abs. 3b SGB IV erforderlich. Die Haftung umfasst nach § 28e Abs. 4 SGB IV die Beiträge und Säumniszuschläge, die infolge der Pflichtverletzung zu zahlen sind, sowie die Zinsen für gestundete Beiträge (Legaldefinition für Beitragsansprüche). Sowohl für § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV als auch für § 28e Abs. 2a und § 28e Abs. 3a SGB IV gilt indes, dass der Dritte die Zahlung verweigern kann, solange die Einzugsstelle den Arbeitgeber nicht gemahnt hat und die Mahnfrist nicht abgelaufen ist (§ 28e Abs. 2 Satz 2, Abs. 2a Satz 2, Abs. 3a Satz 3 SGB IV). Der Dritte soll anders als im Falle des Reeders (§ 28e Abs. 3 SGB IV) „nach“ dem Arbeitgeber haften und nicht „neben“ ihm. Überdies wird § 28e SGB IV im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung in Bezug genommen: Nach § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind die Unternehmer, für deren Unternehmen Versicherte tätig sind oder zu denen Versicherte in einer besonderen, die Versicherung begründenden Beziehung stehen, beitragspflichtig. Nach § 150 Abs. 3 Satz 1 SGB VII gilt § 28e Abs. 2 und 4 SGB IV für die Beitragshaftung bei der Arbeitnehmerüberlassung und (unter anderem) § 28e Abs. 3a bis 3f SGB IV für die Beitragshaftung bei der Ausführung eines Dienst- oder Werkvertrages im Baugewerbe entsprechend. In der Literatur ist im Hinblick auf die Haftungstatbestände in § 28e SGB IV von der Haftung „wie ein selbstschuldnerischer Bürge“658 oder „als selbstschuldnerischer Bürge“659 bzw. „eines selbstschuldnerischen Bürgen“660 die Rede. Teilweise werden diese Begriffe synonym verwendet.661 Dies übergeht nach hiesigem Verständnis indes die unterschiedliche Bedeutung der Begriffe „wie“ und „als“. Schließlich ist oftmals

658

659 660 661

Baier in: Wagner/Knittel Krauskopf, Stand: 78. EL Juni 2012, SGB IV § 28e, Rdnr. 28; Kreikebohm in: Kreikebohm SGB IV, SGB IV § 28e, Rdnr. 11; Sehnert in: Hauck/Noftz/Udsching SGB IV, Stand: 09/12, SGB IV § 28e, Rdnr. 15; Wagner in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-SozR, Stand: 47. Edition 01.12.2017, SGB IV § 28e, Rdnr. 10. Roßbach in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann Sozialrecht, SGB IV § 28e, Rdnr. 8. Werner in: Schlegl/Voelzke/Schlegl jurisPK-SGB IV, Stand: 01.03.2016, SGB IV § 28e, Rdnr. 66. Wehrhahn in: Körner/Leitherer/Mutschler KassKomm, Stand: 74. EL Juni 2012, SGB IV § 28e, Rdnr. 19, 24c.

172

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

von einer „Generalunternehmerhaftung“662 die Rede, wodurch eine Aussage zur Rechtsnatur indes nicht getroffen wird, sondern bloß auf den Umstand abgestellt wird, dass im Rahmen von § 28e Abs. 3a SGB IV ein sogenannter Generalunternehmer (vgl. § 28e Abs. 3f Satz 3 SGB IV) zur Haftung herangezogen wird. Selbige Begriffe werden auch im Rahmen von § 150 Abs. 3 SGB VII angebracht.663 Mit der Rechtsnatur der Haftung zeigt sich indes keine intensive Auseinandersetzung. Der Wortlaut Die Wortlaute der verschiedenen, hier relevanten Haftungstatbestände in § 28e SGB IV weichen von § 98a Abs. 3 AufenthG dadurch ab, dass nicht die „Haftung wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat“, sondern die „Haftung wie ein selbstschuldnerischer Bürge“ angeordnet ist. Nach § 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist die Einrede der Vorausklage ausgeschlossen, wenn der Bürge auf die Einrede verzichtet hat, insbesondere, wenn er sich als Selbstschuldner verbürgt hat. Dabei ergeben sich aus der verschiedenen Wortwahl indes keine rechtlichen Unterschiede.664 Unabhängig von dieser sprachlichen Differenzierung zwischen § 98a AufenthG und § 28e SGB IV gilt hinsichtlich des zum Wortlaut des § 98a AufenthG Gesagte hier Entsprechendes: Der Gesetzgeber hat sich zwar näher als bei den anderen untersuchten Vorschriften an der Nomenklatur des Bürgschaftsrechts orientiert. Gleichwohl lässt dies keinen eindeutigen Rückschluss auf die Rechtsnatur der Haftungstatbestände des § 28e SGB IV bzw. des § 150 SGB VII zu. Der Wortlaut des § 28e SGB IV lässt daher kein eindeutiges Auslegungsergebnis zu. Festzuhalten ist insofern jedoch noch der Vergleich der Absätze 2, 2a und 3a mit dem Absatz 3: Letzterer ordnet die Haftung als Gesamtschuldner an, wohingegen die anderen Absätze eine Haftung wie ein Bürge anordnen. Im Rahmen des § 28e SGB IV wird somit der sprachliche Unterschied zwischen „als“ und „wie“ vom Gesetzgeber

662

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Kreikebohm in: Kreikebohm SGB IV, SGB IV § 28e, Rdnr. 11; Roßbach in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann Sozialrecht, SGB IV § 28e, Rdnr. 13; Wagner in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-SozR, Stand: 47. Edition 01.12.2017, SGB IV § 28e, Rdnr. 13; Werner in: Schlegl/Voelzke/Schlegl jurisPK-SGB IV, Stand: 01.03.2016, SGB IV § 28e, Rdnr. 81. Höller in: Hauck/Noftz/Keller SGB VII, Stand: 12/15, SGB VII § 150, Rdnr. 20; Schmitt, SGB VII, SGB VII § 150, Rdnr. 11; Scholz in: Schlegl/Voelzke/Brandenburg jurisPK-SGB VII, Stand: 15.03.2014, SGB VII § 150, Rdnr. 32; Spellbrink in: Körner/Leitherer/Mutschler KassKomm, Stand: Juli 2017, SGB VII § 150, Rdnr. 17: Haftung „wie ein selbstschuldnerischer Bürge“. Vgl. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 765, Rdnr. 123; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 773, Rdnr. 18; Rohe in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 773, Rdnr. 2.

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

173

selbst aufgegriffen. Dies spricht auch an dieser Stelle für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung in den entsprechenden Absätze. Die Systematik Systematisch bietet § 28e SGB IV dreierlei Ansatzpunkte für die Auslegung der Rechtsnatur der Haftungstatbestände. Der bereits angesprochene § 28e Abs. 3 SGB IV ordnet eine gesamtschuldnerische Haftung zwischen Arbeitgeber und Reeder bei der Zahlungspflicht des Arbeitgebers von Seeleuten an. Im Umkehrschluss sind die drei anderen Haftungstatbestände keine gesamtschuldnerischen. Der Arbeitgeber und der Dritte sollen also nicht, wie regelmäßig bei der Gesamtschuld, im Innenverhältnis zu gleichen Teilen haften (vgl. § 426 Abs. 1 BGB). Die wirtschaftlichen Folgen sollen grundsätzlich den Arbeitgeber treffen und nur subsidiär den Dritten. Dies entspricht der Interessenlage im Bürgschaftsrecht (vgl. § 774 BGB). Der Interessenlage im Bürgschaftsrecht nicht entsprechend ist indes das Verschuldenserfordernis des § 28e Abs. 3b SGB IV, wonach die Haftung nach § 28e Abs. 3a Satz 1 SGB IV entfällt, wenn der Unternehmer nachweist, dass er ohne eigenes Verschulden davon ausgehen konnte, dass der Nachunternehmer oder ein von ihm beauftragter Verleiher seine Zahlungspflicht erfüllt. Das Bürgschaftsrecht kennt ein Verschuldenserfordernis für die Einstandspflicht des Bürgen nicht. § 28e Abs. 4 normiert den bereits dargestellten Umfang der Beitragsansprüche, sprich: die Beiträge, Säumniszuschläge sowie Zinsen für gestundete Beiträge. Dies entspricht im Wesentlichen dem Umfang bei einer Bürgschaft nach § 767 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB, wonach nicht nur die Hauptschuld, sondern unter anderem auch Zinsen durch den Bürgen zu tragen sind. Der Vorschrift des § 28e Abs. 4 SGB IV hätte es demnach nicht bedurft, wenn es sich bei den Haftungstatbeständen des § 28e SGB IV um gesetzliche Bürgschaften handeln würde. Die systematischen Erwägungen verdeutlichen, dass es sich bei den Haftungstatbeständen des § 28e SGB IV um gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftungen handelt, nicht indes um gesetzlich angeordnete Bürgschaften. Der Gesetzgeber hat allein das Haftungssystem der Bürgschaft adaptiert, ohne dies jedoch zum unmittelbaren Gegenstand zu erheben.

174

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung Die Entstehungsgeschichte

(a)

Die Entstehungsgeschichte des § 28e SGB IV

§ 28e SGB IV gründet auf dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zu einem „Gesetz zur Einordnung der Vorschriften über die Meldepflichten des Arbeitgebers in der Kranken- und Rentenversicherung sowie im Arbeitsförderungsrecht und über den Einzug des Gesamtsozialversicherungsbeitrags in das Vierte Buch Sozialgesetzbuch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung –“ vom 2. Mai 1988. Zielsetzung war dabei, die in zahlreichen Gesetzen des Sozialversicherungsrechts enthaltenen, im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschriften über die Pflichten des Arbeitgebers hinsichtlich der Meldung der Beschäftigten und der Beitragszahlung zur Sozialversicherung durch einheitliche Regelungen zu ersetzen.665 In dem Gesetzesentwurf war bereits die Haftung im Falle der rechtmäßigen Arbeitnehmerüberlassung vorgesehen666, die heutigen Absätze 2a und 3a waren noch nicht im Entwurf enthalten. § 28e Abs. 2 SGB IV war sodann auch in der Fassung dieses Gesetzesentwurf Gegenstand des verabschiedeten Gesetzes vom 20. Dezember 1988.667 In der Begründung zu Absatz 2 heißt es aber auch lediglich, „daß im Fall der rechtmäßigen Arbeitnehmerüberlassung für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Verleihers der Entleiher wie ein selbstschuldnerischer Bürge haftet.“668 Darüber hinaus heißt es: „Die gegenüber dem bisherigen Recht geänderte Formulierung bedeutet keine Änderung der geltenden Rechtslage.“669 Durch § 28e Abs. 2 SGB IV wurden die Vorschriften der §§ 393 Abs. 3, 520 Abs. 1 Satz 3, 729 Abs. 4, 1396 Abs. 1 Satz 2, 1401 Abs. 5 RVO a. F., §§ 118 Abs. 1 Satz 2, 123 Abs. 5 AVG a. F., § 114 Abs. 1 Satz 4 RKG a. F. sowie § 179 Nr. 2 AFG a. F. ersetzt.670 Auch in diesen Vorschriften war die Haftung für die Beitragspflicht des Arbeitgebers als selbstschuldnerischer Bürge angeordnet bzw. wurden die Folgen der Beitragszahlung durch den Haftenden geregelt. Dem § 393 RVO a. F. wurde beispielsweise 1972 durch Artikel 3 § 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung671 ein Absatz 3 angefügt, der in seinem Satz 1 lautete: „Für die Erfüllung der Zahlungspflicht des Arbeitgebers haftet der Entleiher (§ 317a) wie ein selbstschuldnerischer Bürge.“ Diese Formulierung entsprach dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Arbeitneh-

665 666 667 668 669 670 671

BT-Drs. 11/2221, S. 1. BT-Drs. 11/2221, S. 6. BGBl. I 1988, S. 2330 (2332). BT-Drs. 11/2221, S. 22. BT-Drs. 11/2221, S. 22. Vgl. dazu Sehnert in: Hauck/Noftz/Udsching SGB IV, Stand: 09/12, SGB IV § 28e, Rdnr. 2. BGBl. I 1972, S. 1393 (1398).

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

175

merüberlassungsgesetz.672 Begründet wurde die Einführung wie folgt: „Durch die vorgesehene Haftung des Entleihers für die Zahlungspflicht des Verleihers soll nicht nur die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge gewährleistet werden, sondern auch mittelbar ein Zwang auf den Verleiher ausgeübt werden, seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachzukommen. [...] Die Einschränkung der Haftung des Entleihers auf die eines selbstschuldnerischen Bürgen erscheint notwendig, aber auch ausreichend; eine gesamtschuldnerische Haftung würde beitragstechnisch zu Schwierigkeiten führen, ohne den Schutz des Leiharbeitnehmers zu verbessern.“673 Hinsichtlich der Rechtsnatur stellt die Haftung wie ein selbstschuldnerischer Bürge demnach eine Begrenzung der Haftung dar. Inhaltlich wird sie von der gesamtschuldnerischen Haftung abgegrenzt. Dies hat indes nur eine Auswirkung auf das Innenverhältnis zwischen dem Arbeitgeber als Verleiher und dem Entleiher. Alleiniger (Haupt-) Schuldner sollte in diesem Verhältnis also der Arbeitgeber bleiben. Gleichwohl kann auch dieser Gesetzesbegründung nicht entnommen werden, dass es sich bei der Haftung um die gesetzliche Anordnung einer Bürgschaft handeln soll. Vielmehr stellt der Gesetzgeber allein die rechtlichen Folgen einer Inanspruchnahme des Dritten dar: Dieser soll „hinter“ dem Schuldner haften, also bei diesem grundsätzlichen Regress nehmen können. Durch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz wurden ebenfalls §§ 520 Abs. 1 Satz 3, 729 Abs. 4, 1396 Abs. 1 Satz 3, 1401 Abs. 5 RVO a. F., §§ 118 Abs. 1 Satz 2, 123 Abs. 5 AVG a. F., § 114 Abs. 1 Satz 4 RKG a. F. sowie § 179 Nr. 2 AFG a. F. mit entsprechender Begründung eingeführt bzw. geändert.674 Dabei ergeben sich aber zwei Besonderheiten: Im Rahmen von § 1401 Abs. 5 RVO a. F. spricht der Gesetzgeber von dem Entleiher „als selbstschuldnerisch haftender Bürge“.675 In der Begründung zu § 179 Nr. 2 AFG a. F. bezeichnet der Gesetzgeber die Regelung des § 393 RVO a. F. als „Bürgschaftshaftung“.676 Diese Bezeichnung alleine kann indes nicht ausschlaggebend für die Bestimmung der Rechtsnatur sein, was sich bereits an den verschiedenen Begrifflichkeiten für derartige Haftungstatbestände zeigt. Die Absätze 3a bis 3 f des § 28e SGB IV wurden durch Artikel 3 Nr. 4 des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit vom 23. Juli 2002 eingefügt.677 Die Regelung des Absatzes 3a soll sich an die Regelung für die Arbeitnehmerüberlassung in Absatz 2 des § 8e SGB IV anlehnen, wobei

672 673 674 675 676 677

BT-Drs. VI/2303, S. 6. BT-Drs. VI/2303, S. 16. BT-Drs. VI/2303, S. 6 - 7, 17 - 18. BT-Drs. VI/2303, S. 17. BT-Drs. VI/2303, S. 18. BGBl. I 2002, S. 2787 (2789 - 2790).

176

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

Absatz 3a jedoch eine verschuldensunabhängige Haftung darstellt.678 Hieran zeigt sich erneut, dass das Haftungsmodell keine (gesetzliche) Bürgschaft darstellen kann. Denn das Verschuldenserfordernis stimmt mit dem Recht der Bürgschaft nicht überein. Absatz 2a des § 28e SGB IV wurde schließlich durch Artikel 1 Nr. 17 Buchst. c des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2007 eingefügt.679 Begründet wurde die Einfügung wie folgt: „Die Regelung entspricht dem geltenden Recht und war bisher in § 2 der Verordnung über knappschaftliche Arbeiten vom 11. Februar 1933 enthalten. Aus Rechtsbereinigungsgründen wird diese Regelung in das SGB IV überführt.“680 Die Regelung wurde also inhaltlich unverändert in das Vierte Buch Sozialgesetzbuch eingeführt.681 Für die Bestimmung der Rechtsnatur der Haftung ergibt sich hieraus insofern keine weitere Besonderheit. (b)

Die Entstehungsgeschichte des § 150 SGB VII

§ 150 Abs. 3 SGB VII wurde 1996 durch das Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch eingeführt, wobei zunächst nur ein Verweis auf § 28e Abs. 2 und 4 SGB IV bestand: „Für die Beitragshaftung bei der Arbeitnehmerüberlassung gilt § 28e Abs. 2 und 3 des Vierten Buches entsprechend.“682 Es wurde das für die Beitragshaftung bei der Arbeitnehmerüberlassung vormals geltende Recht (§ 729 Abs. 4 RVO) übernommen.683 Nach § 729 Abs. 4 RVO a. F. galt § 393 Abs. 4 RVO a. F. entsprechend. Es kann mithin auch hier auf das zu § 393 Abs. 3 RVO a. F. Gesagte zurückgegriffen werden. 2002 wurde durch Artikel 6 Nr. 1 des Gesetzes zur Erleichterung der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit in § 150 Abs. 3 SGB VII nach dem Wort „Buches“ die Wörter „und für die Beitragshaftung bei der Ausführung eines Dienst- oder Werkvertrages im Baugewerbe gilt § 28e Abs. 3a des Vierten Buches“ eingefügt.684 Durch Artikel 5 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch, zur Errichtung einer Versorgungsausgleichskasse und anderer Gesetze vom 15. Juli 2009 wurde § 150 Abs. 3 SGB VII erneut geändert. Die Wörter „gilt § 28e Abs. 3 a“ wurden durch die Wörter „gelten § 28e Absatz 3a bis 3f sowie § 116a“ ersetzt. Zudem wurde folgender Satz 2 angefügt: „Der Nachunternehmer oder der von diesem beauftragte Verleiher hat für den Nachweis nach § 28e Absatz 3f

678 679 680 681 682 683 684

BT-Drs. 14/8221, S. 15. BGBl. I 2007, S. 3024 (3027). BR-Drs. 543/07, S. 43. Vgl. dazu Sehnert in: Hauck/Noftz/Udsching SGB IV, Stand: 09/12, SGB IV § 28e, Rdnr. 8a. BGBl. I 1996, S. 1254 (1293 - 1294). BT-Drs. 13/2204, S. 110. BGBl. I 2002, S. 2787 (2791).

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

177

des Vierten Buches eine qualifizierte Unbedenklichkeitsbescheinigung des zuständigen Unfallversicherungsträgers vorzulegen; diese enthält insbesondere Angaben über die bei dem Unfallversicherungsträger eingetragenen Unternehmensteile und diesen zugehörigen Lohnsummen des Nachunternehmers oder des von diesem beauftragten Verleihers sowie die ordnungsgemäße Zahlung der Beiträge.“685 Vor allem die Anfügung des Satzes 2 verdeutlicht – mit Blick auf die systematischen Erwägungen zu § 28e SGB IV –, dass auch § 150 Abs. 3 SGB VII bloß eine bürgenähnliche Haftung gesetzlich anordnet. (c)

Zwischenergebnis zur Entstehungsgeschichte

Die Entstehungsgeschichte von § 28e SGB VI sowie § 150 SGB VII spricht mithin auch für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. Sinn und Zweck Die Beitragshaftung im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung (§ 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV) sollte also einerseits die Gewährleistung der Abführung der Sozialversicherungsbeiträge bezwecken.686 Dies entspricht dem Zweck der Kreditsicherung der Bürgschaft. Bemerkenswert ist aber der weitere (eigentliche) Zweck der Vorschrift: Der Verleiher sollte einem mittelbaren Zwang zur Leistung der Sozialversicherungsbeiträge ausgesetzt werden.687 Ein solcher mittelbarer Zwang ist nur insofern erklärbar, als der Entleiher, der durch die Norm in Anspruch genommen werden kann, den Verleiher darauf drängen soll, die Beiträge tatsächlich zu leisten, und bei einem Nichtleisten durch den Verleiher und damit einer eigenen Inanspruchnahme selbst gegebenenfalls zivilrechtliche Konsequenzen ziehen soll. Der Staat hat damit ein Instrument entwickelt, mit welchem er sich die pünktliche Beitragszahlung durch den eigentlichen Schuldner erhoffte, um sich damit gar nicht erst in die Vollstreckung begeben zu müssen. Man kann dies als ein Verlagern von Risiken und ein Auslagern von Verantwortung bezeichnen. Insbesondere letzterer Zweck widerspricht der Annahme einer gesetzlich angeordneten Bürgschaft, da der Zweck dem Bürgschaftsrecht insofern fremd ist, als ein Bürge zwar auch auf den Hauptschuldner gegebenenfalls Druck ausüben wird, zu leisten,

685 686 687

BGBl. I 2009, S. 1939 (1945). BT-Drs. VI/2303, S. 16. BT-Drs. VI/2303, S. 16; vgl. auch Krüger, Arbeitgeberähnliche Pflichten des Dritten in arbeitsrechtlichen Dreieckskonstellationen, S. 56 - 57, 60 - 61, die eine Vergleichbarkeit zu § 14 Satz 1 AEntG feststellt.

178

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

jedoch soll die Bürgschaft keine Verantwortung des Gläubigers verlagern. Der Zweck spricht mithin auch für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. Die Haftung nach § 28e Abs. 3a Satz 1 SGB IV sollte sich – wie dargelegt – an die Haftung nach § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV anlehnen.688 Insofern können auch Sinn und Zweck übertragen werden. Die Haftung nach § 28e Abs. 2a Satz 1 SGB IV beruht zwar auf der Verordnung über knappschaftliche Arbeiten vom 11. Februar 1933. Da diese Haftung jedoch der nach Absatz 2 entspricht689 und der Gesetzgeber sie in die Systematik des § 28e SGB IV überführt hat, wird davon ausgegangen werden können, dass auch insofern der Zweck des Absatzes 2 auch für die Haftung nach Absatz 2a Geltung hat. Im Ergebnis sprechen somit auch Sinn und Zweck des § 28e Abs. 2a und Abs. 3a SGB IV für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. Zwischenergebnis Bei den relevanten Haftungstatbeständen des § 28e SGB IV (Absätze 2, 2a und 3a) handelt es sich jeweils um eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. cc) Zwischenergebnis Auch die Tatbestände der Haftung für die Erfüllung einer Verpflichtung stellen vor allem aufgrund systematischer und teleologischer Erwägungen jeweils eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung dar. c)

Haftung für Verpflichtung wie ein Bürge

Zu der dritten Gruppe, bei der die Haftung wie ein Bürge, jedoch unmittelbar für eine Verpflichtung angeordnet wird, zählen § 53 Abs. 10 Satz 8 BRAO – stellvertretend für die vergleichbaren Vorschriften der Patentanwaltsordnung, der Wirtschaftsprüferordnung und des Steuerberatungsgesetzes – sowie § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB. aa) Die Haftung für die festgesetzte Vergütung (vor allem § 53 Abs. 10 Satz 7 BRAO) Ein Rechtsanwalt muss nach § 53 Abs. 1 BRAO für seine Vertretung sorgen, wenn er länger als eine Woche daran gehindert ist, seinen Beruf auszuüben (Nummer 1) oder wenn er sich länger als eine Woche von seiner Kanzlei entfernen will (Nummer 2). Der Rechtsanwalt kann den Vertreter nach § 53 Abs. 2 Satz 1 BRAO selbst bestellen, wenn die Vertretung von einem derselben Rechtsanwaltskammer angehörenden

688 689

Vgl. oben unter Drittes Kapitel. B III 1 b) bb) (3) (a). Vgl. dazu Sehnert in: Hauck/Noftz/Udsching SGB IV, Stand: 09/12, SGB IV § 28e, Rdnr. 8a.

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

179

Rechtsanwalt übernommen wird. In anderen Fällen kann ein Vertreter nur auf Antrag des Rechtsanwalts von der Rechtsanwaltskammer bestellt werden (sogenannte amtliche Bestellung, vgl. § 53 Abs. 2 Satz 2 BRAO).690 Eine Vergütungsregelung sieht die Bundesrechtsanwaltsordnung für diese Fälle nicht vor. Insofern steht es den Parteien frei, eine Ausgleichsregelung zu treffen.691 Die Rechtsanwaltskammer ist mit der Vergütungsfrage in diesem Fällen nicht befasst. Gehört der Vertreter nicht derselben Rechtsanwaltskammer an oder unterlässt der Rechtsanwalt eine Maßnahme nach § 53 Abs. 2 Satz 1 BRAO, so kann die Rechtsanwaltskammer nach § 53 Abs. 5 Satz 1 BRAO den Vertreter von Amts wegen bestellen. Der vertretene Rechtsanwalt hat nach § 53 Abs. 10 Satz 4 BRAO dem von Amts wegen bestellten Vertreter eine angemessene Vergütung zu zahlen, für die Sicherheit zu leisten ist, wenn die Umstände es erfordern. Können sich die Beteiligten (Vertreter und Vertretener) über die Höhe der Vergütung oder über die Sicherheit nicht einigen oder wird die geschuldete Sicherheit nicht geleistet, setzt der Vorstand der Rechtsanwaltskammer nach § 53 Abs. 10 Satz 5 BRAO auf Antrag des Vertretenen oder des Vertreters die Vergütung fest. Für die festgesetzte Vergütung haftet die Rechtsanwaltskammer „wie ein Bürge“. Der Wortlaut Der Wortlaut des § 53 Abs. 10 Satz 7 BRAO unterscheidet sich im Vergleich zu den bereits untersuchten Vorschriften insofern, als die Rechtsanwaltskammer unmittelbar für die Verpflichtung in Form der festgesetzten Vergütung „wie ein Bürge“ haftet und nicht etwa für einen aus der Nichterfüllung der Verpflichtung zu ersetzenden Schaden (wie beispielsweise bei § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB) oder für die Erfüllung der Verpflichtung (wie beispielsweise bei § 98a Abs. 3 AufenthG) wie ein Bürge. Gleichwohl nimmt diese Vorschrift die Formulierung „Haftung wie ein Bürge“ auf. Insofern darf auf die Wortlautauslegung zu den bereits untersuchten Vorschriften rekurriert werden: Zwar könnte diese Formulierung grundsätzlich zweierlei bedeuten – namentlich, dass die Rechtsanwaltskammer für die Verpflichtung wie ein Bürge haftet, also für die Erfüllung der Verpflichtung einsteht, oder dass die Rechtsanwaltskammer nur der Bürgschaft vergleichbar haftet, also auch grundsätzlich akzessorisch und subsidiär. Für Letzteres spricht die Bezugnahme auf das Bürgschaftsrecht, wodurch eine akzessorische und subsidiäre Haftung angestrebt wird.

690 691

Vgl. Schwärzer in: Feuerich/Weyland BRAO, BRAO § 53, Rdnr. 19. Vgl. BT-Drs. 11/3253, S. 23; Schwärzer in: Feuerich/Weyland BRAO, BRAO § 53, Rdnr. 67 m. w. N.

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

Für dieses Ergebnis spricht auch die Entstehung der Haftung der Rechtsanwaltskammer: Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer hat nach § 53 Abs. 10 Satz 5 BRAO die gesetzliche Pflicht, auf Antrag des Vertretenen oder des Vertreters die geschuldete Vergütung festzusetzen. Aus dieser Festsetzung resultiert dann die Haftung der Rechtsanwaltskammer. Zwar setzt der Kammervorstand die unmittelbare Ursache für die Haftung, entscheidend gründet die Haftung aber auf der gesetzlichen Normierung und dem Antrag eines Beteiligten. Die Haftung entsteht demnach nicht aus freien Stücken der Rechtsanwaltskammer. Von einem „Bürgschaftsvertrag“ kann demnach hier nicht die Rede sein. Schließlich ist auf den ersten Blick bemerkenswert, dass die Rechtsanwaltskammer haftet, obgleich der Vorstand die Vergütung festsetzt. Dies resultiert jedoch aus dem Umstand, dass die Rechtsanwaltskammer als Körperschaft öffentlichen Rechts (vgl. § 62 Abs. 1 BRAO) als solche nicht handlungsfähig ist, sondern durch ihre Organe, wozu der Vorstand zählt (vgl. §§ 63 bis 77 BRAO), handelt. Auf einen zweiten Blick ist die Handlung durch den Vorstand und die Haftung der Kammer demnach logische Konsequenz ihrer Rechtsform. Der Wortlaut des § 53 Abs. 10 Satz 7 BRAO spricht nach alledem für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. Gleichwohl findet sich in der Literatur wieder der – unzutreffende – Begriff der „Bürgenhaftung“692. Die Systematik § 53 Abs. 10 Satz 7 BRAO stellt im Gefüge des § 53 BRAO eine Absicherung für einen Vergütungsanspruch des Vertreters dar. Die Rechtsanwaltskammer soll demnach nicht originärer Schuldner der Vergütung sein, sondern nur in Anspruch genommen werden können, wenn und soweit der Vertretene die festgesetzte Vergütung nicht leistet. Überdies ist der Vertreter nach § 53 Abs. 10 Satz 6 BRAO sogar befugt, Vorschüsse auf die vereinbarte oder festgesetzte Vergütung zu entnehmen. Dies zeigt ebenfalls die Subsidiarität der Haftung. Der Regelungsstandort der Vorschrift spricht indes, insbesondere im Vergleich zu § 778 BGB, gegen eine gesetzlich angeordnete Bürgschaft, sondern vielmehr für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung.

692

Römermann/Günther in: Römermann BeckOK-BORA, Stand: 18. Edition 01.12.2017, BRAO § 53, Rdnr. 42; Schwärzer in: Feuerich/Weyland BRAO, BRAO § 53, Rdnr. 73 ff.

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

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Die Entstehungsgeschichte Die Entstehungsgeschichte des § 53 Abs. 10 Satz 7 BRAO geht weit zurück: Bereits durch Artikel I Nr. 5 des Kapitels XIII „Änderung der Rechtsanwaltsordnung“ der Verordnung des Reichspräsidenten über Maßnahmen auf dem Gebiete der Finanzen, der Wirtschaft und der Rechtspflege vom 18. März 1933 wurde unter anderem § 91d in die Rechtsanwaltsordnung eingefügt. In Absatz 3 hieß es: „Der Stellvertreter führt sein Amt unter eigener Verantwortung und ohne an Weisungen des Vertretenen gebunden zu sein, für dessen Rechnung auf dessen Posten. Der Vertretene ist verpflichtet, dem Stellvertreter eine angemessene Vergütung zu zahlen. Auf Verlangen des Stellvertreters oder des Vertretenen ist die Vergütung vom Vorstand der Anwaltskammer festzusetzen. Für die festgesetzte Vergütung haftet die Anwaltskammer wie ein Bürge.“693 Dies stellt – soweit ersichtlich – die erstmalige Normierung der Haftung der Rechtsanwaltskammer für die festgesetzte Vergütung dar. Eine entsprechende Vorschrift findet sich dann auch in der Bekanntmachung der neuen Fassung der Rechtsanwaltsordnung vom 21. Februar 1936 in § 98 Abs. 3 Satz 4.694 Gleichfalls beinhaltete die Rechtsanwaltsordnung für die britische Zone von 1949 in § 116 Abs. 3 Satz 4 eine entsprechende Regelung.695 In dem Entwurf einer Bundesrechtsanwaltsordnung der Bundesregierung vom 8. Januar 1958 war unter § 175 Abs. 5 Satz 3 gleichfalls vorgesehen: „Für die so festgesetzte Vergütung haftet die Rechtsanwaltskammer wie ein Bürge.“696 Die Bundesregierung wollte die Vergütung des Vertreters in Übereinstimmung mit dem bis dato geltenden Recht regeln.697 In der schließlich beschlossenen Bundesrechtsanwaltsordnung von 1959 findet sich indes keine Regelung mehr zur Festsetzung der Vergütung oder der Haftung der Rechtsanwaltskammer; auch die amtliche Begründung schweigt insofern.698 Durch Artikel 1 Nr. 22 Buchst. c des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte der Bundesregierung vom 3. November 1988 sollte dem § 53 BRAO unter anderem ein Absatz 10 angefügt werden, in dessen Satz 7 es nunmehr wieder hieß: „Für die festgesetzte Vergütung haftet die

693 694 695 696 697 698

RGBl. I 1933, S. 119. RGBl. I 1936, S. 107, 117. Vgl. bei Cüppers, Rechtsanwaltsordnung für die britische Zone mit ergänzenden Vorschriften, München und Berlin 1949, S. 161. BT-Drs. III/120, S. 32. BT-Drs. III/120, S. 109. Vgl. Bundesrechtsanwaltsordnung mit der amtlichen Begründung, Textausgabe mit Sachverzeichnis, München und Berlin 1959, S. 100 ff.

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

Rechtsanwaltskammer wie ein Bürge.“699 Absatz 10. Satz 7 war Teil einer neuen Entschädigungsregelung für von Amts wegen bestellte Vertreter. Dazu hieß es aber lediglich: „Die Entschädigung des von Amts wegen bestellten Vertreters soll gesetzlich geregelt werden. Einer entsprechenden Regelung für den vom Rechtsanwalt selbst bestellten Vertreter bedarf es nicht. Die Beteiligten werden in einem solchen Fall einen angemessenen Ausgleich für die – freiwillig übernommene – Vertretung vereinbaren.“700 Trotz dieser Wiedereinführung der Haftung der Rechtsanwaltskammer gibt auch diese Gesetzesbegründung keinen Hinweis auf die Rechtsnatur der Haftung. Sinn und Zweck Die in der Entstehungsgeschichte dargestellten Gesetzesbegründungen zeigen jedoch den Zweck der Haftung auf: Die Haftung ist Teil der Entschädigungsregelung des Vertreters. Dieser soll, wenn er von Amts wegen bestellt wird, jedenfalls von dem bestellenden Organ seine Vergütung erhalten. Der Vertreter muss nicht selbst das Insolvenzrisiko des Vertretenen übernehmen, sondern kann auf die regelmäßig erhebliche Solvenz der Rechtsanwaltskammer zurückgreifen. Gleichwohl erfordert § 53 Abs. 10 Satz 7 BRAO wohl zunächst den erfolglosen Versuch einer – auch gerichtlichen – Inanspruchnahme des Vertretenen, da die Rechtsanwaltskammer lediglich wie ein Bürge haftet, jedoch die Einrede der Vorausklage nach dem Gesetzeswortlaut nicht ausgeschlossen ist.701 Sinn und Zweck der Haftung beweisen auch hier: Es geht nicht um die Kreditsicherung des Vertretenen. Vielmehr steht hier allein die Entschädigung des Vertreters im Vordergrund. Die Haftung entspricht ihrem Zweck nach also nicht einer Bürgschaft, weshalb sie eher eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung darstellt. Vergleichbare Vorschriften Die Vorschrift des § 53 Abs. 10 Satz 7 BRAO ist indes keine Ausnahmeerscheinung im Berufsrecht. Nach § 46 Abs. 10 Satz 7 PAO haftet die Patentanwaltskammer, nach § 121 Abs. 5 Satz 4 WiPrO die Wirtschaftsprüferkammer und nach § 69 Abs. 4 Satz 7

699 700 701

BT-Drs. 11/3253, S. 7. BT-Drs. 11/3253, S. 23. § 349 Satz 1 HGB hilft insofern auch nicht weiter, da die Rechtsanwaltskammer weder Kaufmann ist, noch eine Bürgschaft vorliegt, sodass eine unmittelbare Anwendung der Vorschrift ausscheidet. Gegen eine entsprechende oder analoge Anwendung spricht überdies, dass der Gesetzgeber bei den vergleichbaren Tatbeständen dann, wenn er es für notwendig erachtet hat, die Einrede der Vorausklage ausgeschlossen hat.

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

183

StBerG die Steuerberaterkammer für die von dem Vorstand der jeweiligen Kammer festgesetzte Vergütung eines von Amts wegen bestellten Vertreters wie ein Bürge. Dabei gehen die Regelungen im Wesentlichen auf die entsprechende und bereits untersuchte Regelung in der Bundesrechtsanwaltsordnung bzw. deren Vorgänger zurück.702 Insofern ergeben sich aus der Auslegung der jeweiligen Vorschriften keine Besonderheiten. Zwischenergebnis Auch bei der Haftung der (Rechtsanwalts-)Kammer für eine durch den Vorstand festgesetzte Vergütung eines von Amts wegen bestellten Vertreters handelt es sich um eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. bb) § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB Im Rahmen städtebaulicher Sanierungsmaßnahmen erlaubt das Baugesetzbuch, dass sich die Gemeinde zur Erfüllung von Aufgaben, die ihr bei der Vorbereitung oder Durchführung der Sanierung obliegen, eines geeigneten Beauftragten bedienen kann (§ 157 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Dabei kann der Sanierungsträger nach § 159 Abs. 1 Satz 1 BauGB die ihm von der Gemeinde übertragenen Aufgaben nach § 157 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 oder 2 BauGB im eigenen Namen für Rechnung der Gemeinde als deren Treuhänder oder im eigenen Namen für eigene Rechnung erfüllen. Für gewisse Aufgaben muss das zu beauftragende Unternehmen, der Sanierungsträger, nach § 157 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 158 BauGB bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Darunter fallen unter anderem wirtschaftlich geordnete Verhältnisse des Sanierungsträgers (vgl. § 158 Nr. 2 BauGB).703 Trotz solch (anfänglich) wirtschaftlich geordneter Verhältnisse ist kein Sanierungsträger vor einer etwaigen Insolvenz gefeit. Kündigt die Gemeinde im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des für eigene Rechnung tätigen Sanierungsträgers den mit diesem geschlossenen Vertrag, so kann sie gemäß § 159 Abs. 6 Satz 1 BauGB vom Insolvenzverwalter verlangen, ihr die im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücke, die der Sanierungsträger nach Übertragung der Aufgaben zur Vorbereitung oder Durchführung der Sanierung erworben hat, gegen Erstattung der vom Sanierungsträger erbrachten Aufwendungen zu übereignen. Der Insolvenzverwalter hat in702 703

Vgl. für § 46 PAO BT-Drs. 11/5264, S. 35, für § 121 WiPrO BT-Drs. 7/2417, S. 24 (über die Begründung zum Steuerberatungsgesetz) sowie für § 69 StBerG BT-Drs. 12/6753, S. 19. Bauernfeind/Krautzberger in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger BauGB, Stand: 118. EL August 2015, BauGB § 158, Rdnr. 12 - 14a; Mitschang in: Battis/Krautzberger/Löhr BauGB, BauGB § 158, Rdnr. 4; Schmitz in: Spannowsky/Uechtritz BeckOK-BauGB, Stand: 40. Edition 01.01.2018, BauGB § 158, Rdnr. 3.

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

soweit ein Verzeichnis dieser Grundstücke zu übergeben, § 159 Abs. 6 Satz 2 BauGB. Die Insolvenzmasse des Sanierungsträgers wird also durch die Übereignung an die Gemeinde geschmälert, hingegen durch die Erstattungspflicht der Gemeinde wiederum gemehrt. Schließlich ordnet § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB eine Haftung der Gemeinde an: Im Übrigen, also im Falle der Insolvenz des für eigene Rechnung tätigen Sanierungsträgers, haftet die Gemeinde den Gläubigern von Verbindlichkeiten aus der Durchführung der Ordnungsmaßnahmen wie ein Bürge, soweit sie aus dem Vermögen des Sanierungsträgers im Insolvenzverfahren keine vollständige Befriedigung erlangt haben. Der Wortlaut Die Gläubiger von Verbindlichkeiten aus der Durchführung der Ordnungsmaßnahmen (im Folgenden bloß: die Gläubiger) müssen also zunächst im Rahmen des in der Insolvenzordnung geregelten Insolvenzverfahrens versuchen, sich aus der Insolvenzmasse zu befriedigen. Nur soweit dies nicht zu einer vollständigen Befriedigung führt, haftet die Gemeinde. Die Gemeinde haftet mithin subsidiär zum Vermögen des Sanierungsträgers. Zudem haftet die Gemeinde auch akzessorisch, da für die Haftung der jeweilige Bestand der Verbindlichkeit der Gläubiger gegenüber dem Sanierungsträger maßgeblich ist. Die wesentlichen Merkmale der Bürgschaft sind also durch die Haftung nach § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB erfüllt. Gleichwohl haftet die Gemeinde nicht „als ein“ Bürge, sondern nur „wie ein“ Bürge. Dies spricht, im Einklang mit der bereits untersuchten Wortlautauslegung der vergleichbaren Normen, bloß für eine an die Bürgschaft angelehnte Haftung, die § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB anordnet. Die Literatur geht im Rahmen von § 159 Abs. 6 BauGB nicht intensiver auf die Rechtsnatur der Haftung ein. Es wird lediglich statuiert, dass die Gemeinde „wie ein Bürge“ haftet.704 Die Systematik Aus systematischer Sicht unterscheidet sich § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB beispielsweise von § 98a Abs. 3 AufenthG dadurch, dass die Gemeinde hier für einen Aufgabenbe-

704

Bauernfeind/Krautzberger in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger BauGB, Stand: 118. EL August 2015, BauGB § 159, Rdnr. 34; Mitschang in: Battis/Krautzberger/Löhr BauGB, BauGB § 159, Rdnr. 7; Schmitz in: Spannowsky/Uechtritz BeckOK-BauGB, Stand: 40. Edition 01.01.2018, BauGB § 159, Rdnr. 21.

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Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

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reich in die Haftung genommen wird, für welchen sie originär selbst zuständig ist (vgl. allein § 157 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BauGB). Gleichwohl ist der Gemeinde die Möglichkeit der Hinzuziehung von Sanierungsträgern eröffnet. Eine vollständige Freistellung von ihrer Aufgabenzuständigkeit kommt der Gemeinde indes nicht zugute. Diese „Besonderheit“ ist jedoch kein Spezifikum der Bürgschaft. Insofern führt sie zu keiner besonderen Beurteilung der Rechtsnatur der Haftung. Vielmehr kann auch aus systematischer Sicht auf das bereits Gesagte zurückgegriffen werden: Die Stellung des § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB nicht im Bürgschaftsrecht, sondern in einem besonderen Rechtsbereich spricht eher für eine bloß an die Bürgschaft angelehnte Haftung. Darüber hinaus weist § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB eine Parallele zu § 778 BGB auf: Sowohl bei § 778 BGB als auch bei § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB wird die Haftung für Verpflichtungen normiert, die der Vertragspartner des (später) Haftenden mit Dritten eingeht. Dabei handelt der Vertragspartner jeweils in eigenem Namen und auf eigene Rechnung. Im Fall des § 778 BGB wird der Vertragspartner aber konkret mit der Vergabe eines Kredits an den Dritten beauftragt, im Fall des § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB erfolgt bloß eine abstrakte Beauftragung mit der Durchführung der Ordnungsmaßnahmen; die Eingehung von konkreten Verpflichtungen mit Dritten wird nicht „beauftragt“ (hier ist eine Beauftragung im Sinne der §§ 662 ff. BGB gemeint). Zudem unterscheidet sich auch der Wortlaut des § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB von dem des § 778 BGB, sodass auch aus diesem Grund eine unterschiedliche Behandlung angezeigt ist. Trotz der Gemeinsamkeiten der Konstellation des § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB mit denen des § 778 BGB unterscheiden sie sich in ihrer Regelungstechnik. § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB ist deshalb nicht der Rechtsfigur des Kreditauftrags zuzuordnen. Systematische Erwägungen sprechen daher bei § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB ebenfalls für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. Die Entstehungsgeschichte § 159 Abs. 6 BauGB, der Gegenstand eines Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zu einem Entwurf eines Gesetzes über das Baugesetzbuch war705, wurde 1986 mit Wirkung zum 1. Juli 1987 eingeführt. Begründet wurde die Einführung mit der Entsprechung dieses Absatzes mit § 35 Abs. 8 des Städtebauförderungsgesetzes.706 In diesem war auch schon die dargestellte Haftung der Gemeinde im Falle der Insolvenz des Sanierungsträgers normiert. 705 706

BT-Drs. 10/4630, S. 27 f. BT-Drs. 10/4630, S. 133.

186

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

In dem Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von städtebaulichen Erneuerungsund Entwicklungsmaßnahmen in Stadt und Land (Städtebauförderungsgesetz) der Fraktion der CDU/CSU vom 24. Februar 1970 war noch vorgesehen, dass der „Erneuerungs(Entwicklungs)träger als Treuhänder des Auftraggebers im eigenen Namen tätig“ wird, § 37 Abs. 1 Satz 1 des Entwurfs. Entsprechend war eine Haftung des Auftraggebers anstelle des Erneuerungs(Entwicklungs)trägers für die Verbindlichkeiten, für welche dieser mit dem Treuhandvermögen gehaftet hat, in § 38 Abs. 3 Satz 4 des Entwurfs vorgesehen; diese war nicht als Haftung „wie ein Bürge“ ausgestaltet.707 In dem Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von städtebaulichen Erneuerungsund Entwicklungsmaßnahmen in Stadt und Land (Städtebauförderungsgesetz) der Bundesregierung (Kabinett Brandt I, SPD und FDP) vom 12. März 1970 war eine dem Entwurf der Fraktion CDU/CSU entsprechende Haftung in § 32 Abs. 3 Satz 4 vorgesehen, wobei hier bereits von einem Sanierungsträger die Rede ist.708 Mit der Regelung des gesamten Absatzes 3 bezweckte die Bundesregierung die Absicherung des Treuhandvermögens für den Fall der Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Sanierungsträgers.709 Der schriftliche Bericht des Ausschusses für Städtebau und Wohnungswesen zu den Entwürfen eines Städtebauförderungsgesetzes durch die Abgeordneten Dr. Ahrens (SPD) und Erpenbeck (CDU) ist zur Regelung der nunmehr in § 35 Abs. 8 Satz 5 verorteten Haftung der Gemeinde710 schon aufschlussreicher: Die Gemeinde soll für die Verbindlichkeiten, die der Sanierungsträger zur Durchführung von Ordnungsmaßnahmen eingegangen ist, wie ein Ausfallbürge haften. Dadurch soll sichergestellt werden, dass aus einer Insolvenz eines Sanierungsträgers für die an der Sanierung Beteiligten keine Nachteile entstehen.711 Auch der Abgeordnete Batz (SPD) sprach im Rahmen der Beratung des Städtebauberichts der Bundesregierung von der Haftung „wie ein Bürge“.712 Die Entstehungsgeschichte des § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB, der auf § 35 Abs. 8 Satz 5 StBauFG a. F. zurückgeht, spricht demnach nicht für eine gesetzlich angeordnete Bürgschaft, sondern bloß für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung der Gemeinde.

707 708 709 710 711 712

BT-Drs. VI/434, S. 17. BT-Drs. VI/510, S. 14. BT-Drs. VI/510, S. 43. Vgl. BT-Drs. VI/2204, S. 16. Zu BT-Drs. VI/2204, S. 16. BT-PlPr. 6/127, S. 7396 B - C.

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

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Sinn und Zweck Das sich aus den Gesetzesmaterialien primär ergebende Ziel der Regelung des § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB bzw. § 35 Abs. 8 Satz 5 StBauFG a. F. liegt also in der Verhinderung von Nachteilen für die an der Sanierung Beteiligten im Falle der Insolvenz des Sanierungsträgers.713 Diese Nachteile würden sich in Ermangelung einer Insolvenz der Gemeinde bei der unmittelbaren Durchführung durch die Gemeinde selbst nicht ergeben. Als gesetzgeberisches Ziel dieser Vorschrift wird auch gesehen, dass die an der Durchführung der Ordnungsmaßnahme beteiligten Unternehmen ihre Arbeit nicht im Falle der Insolvenz des Sanierungsträgers einstellen und es damit zu einer zeitlichen Verzögerung der Maßnahme kommt.714 Sinn und Zweck der Haftung der Gemeinde liegen also nicht etwa – wie bei einer Bürgschaft – in der (Kredit-) Sicherung der Ansprüche der beteiligten Unternehmen. Gleichwohl wird durch diese Haftung der Gemeinde ein Risiko verlagert: Zwar ist die städtebauliche Sanierungsmaßnahme originäre Aufgabe der Gemeinde. Jedoch wird ab dem Zeitpunkt der Beauftragung eines Sanierungsträgers dieser auf eigenes Risiko hin tätig. Er erhält zwar keine Vergütung, jedoch stehen ihm etwaige Gewinne bei der Weiterveräußerung von Grundstücken zu.715 Die Haftung der Gemeinde entspricht mithin nicht dem Normalfall einer Bürgschaft. Auch kann hier somit nicht von einer Bürgschaft gesprochen werden. Demnach handelt es sich auch aus teleologischen Erwägungen bei § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB bloß um eine gesetzlich angeordnete, an die Bürgschaft angelehnte Haftung. Zwischenergebnis Für § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB kann demnach auch festgestellt werden, dass es sich um eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung handelt. cc) Zwischenergebnis Damit stellen auch die Tatbestände, nach denen für eine Verpflichtung „wie ein Bürge“ gehaftet wird, jeweils eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung dar.

713 714

715

Vgl. zu BT-Drs. VI/2204, S. 16. Bauernfeind/Krautzberger in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger BauGB, Stand: 118. EL August 2015, BauGB § 159, Rdnr. 34; Schmitz in: Spannowsky/Uechtritz BeckOK-BauGB, Stand: 40. Edition 01.01.2018, BauGB § 159, Rdnr. 21. Schmitz in: Spannowsky/Uechtritz BeckOK-BauGB, Stand: 40. Edition 01.01.2018, BauGB § 159, Rdnr. 5.

188 d)

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung Zwischenergebnis

Die verschiedenen Tatbestände der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung unterscheiden sich zwar, wie eingangs festgehalten, hinsichtlich ihres Bezugsobjekts der Haftung. Dieser Unterschied wirkt sich jedoch bei der rechtlichen Qualifizierung ihrer Rechtsnatur nicht aus. Indes zeigen unter anderem die von der Bürgschaft abweichenden Bezugsobjekte, dass eine Differenzierung zwischen diesen Tatbeständen und der Bürgschaft vorzunehmen ist. Die aufgeführten Tatbestände stellen durchweg keine gesetzlichen Bürgschaften dar. Sie unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihres Wortlauts und der jeweiligen Entstehung von einer Bürgschaft, sondern weisen vor allem andere Zielsetzungen als die Bürgschaft auf. Darüber hinaus unterscheiden sie sich von dem Kreditauftrag (§ 778 BGB) einmal wegen ihres anderslautenden Haftungswortlauts („wie ein Bürge“ anstatt „als Bürge“). Vor allem aber zeigt sich ein Unterschied in der Konzipierung: Die Haftung aus dem Kreditauftrag baut auf einem zwischen den Beteiligten geschlossenen Auftrag auf, wodurch die eigentlichen Pflichten des Auftraggebers aus dem Auftragsrecht durch die Regelungen des Bürgschaftsrechts verdrängt werden. Die Haftung bei der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung schließt an ein tatsächliches oder rechtliches Geschehen an, welches besondere (Haftungs-) Tatbestände des jeweils Haftenden nicht kennt. Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung verändert dadurch nicht ein bestehendes Pflichtenprogramm, sondern etabliert ein solches gänzlich neu. Von der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft ist die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung ebenfalls abzugrenzen. Bei Ersterer hat der Gesetzgeber ein Haftungssystem nach Vorbild der Bürgschaft konzipiert, wobei er spezielle Fragen aus dem Bürgschaftsrecht im Rahmen des „neuen“ Haftungssystems auch gesondert geregelt hat. Anders liegt es bei der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung, bei der eine enge Bezugnahme auf das Bürgschaftsrecht besteht. Insbesondere legen sie selbst keine weiteren Haftungsvoraussetzungen – wie eine akzessorische oder (zum Teil) subsidiäre Haftung –, sondern verweisen für diese auf das Bürgschaftsrecht. Die unter III. dargestellten Tatbestände unterliegen mithin alle der Rechtsfigur der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung. 2

Analyse: Fallgruppen der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung

Bis hierhin wurden die Tatbestände der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung gemäß ihrem jeweiligen Wortlaut bzw. ihrer Regelungstechnik gruppiert. Demnach wurde unterschieden zwischen der „Haftung für den zu ersetzenden Schaden“,

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

189

der „Haftung für die Erfüllung einer Verpflichtung“ und der „Haftung für eine Verpflichtung“. Die einzelnen Tatbestände lassen sich aber auch hinsichtlich der durch sie geregelten Fälle analysieren. Daran schließt sich die Frage an, ob die Fallgruppen unterschiedlichen Regelungstechniken unterliegen. a) Drei Fallgruppen aa) Einzelne Fallgruppen Für die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung können drei Fallgruppen identifiziert werden. Dabei gilt es, weiterhin zu beachten, dass diese Fallgruppen von dem Kreditauftrag und der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft abweichen. Das bedeutet, dass auch die Existenz der Fallgruppen die Unterscheidung zwischen diesen drei Rechtsfiguren rechtfertigt. Wechsel der Stellung des ursprünglichen Vertragspartners Als Erstes besteht die Fallgruppe, in der eine Vertragspartei aus ihrer originären Stellung herausrückt und dadurch gleichfalls von ihren originären Pflichten frei wird. In die Position dieser Vertragspartei rückt ein neuer Dritter ein. Der Gesetzgeber hat für diesen Fall eine Weiterhaftung der ursprünglichen Vertragspartei für ihre originären Pflichten bzw. jedenfalls für einen Teil dieser Pflichten vorgesehen.716 Zu dieser Fallgruppe zählen die Haftung des Vermieters nach § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB, die Haftung des ursprünglichen Pfandgläubigers nach § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB sowie die Haftung der Insolvenzmasse nach § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG. Dabei steht – anders als bei der Bürgschaft – die Kreditsicherung nicht im Vordergrund, sondern die Weiterverpflichtung des originären Vertragspartners. Haftung für originär fremde Pflichten Die zweite Fallgruppe erfasst die Konstellationen, in denen der spätere Haftungsadressat für Pflichten eines – abhängig davon, ob eine wirksame vertragliche Beziehung besteht – Vertragspartners bzw. Geschäftspartners „wie ein Bürge“ haftbar gemacht wird. Dabei handelt es sich um Pflichten, die in keiner unmittelbaren rechtlichen Beziehung zu dem Verhältnis zwischen Haftungsadressat und dem anderen stehen, jedoch durch dieses Verhältnis jedenfalls mittelbar faktisch bzw. wirtschaftlich berührt

716

So auch Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, Vorbemerkungen zu §§ 765 - 778, Rdnr. 126.

190

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

werden. Als Grundgedanke kann insofern identifiziert werden, dass der Inanspruchgenommene für solche Pflichten haftbar gemacht wird, die er selbst tragen müsste, wenn er eine (Werk- oder Dienst-) Leistung selbst oder mit eigenen Arbeitnehmern ausführte. Die Haftung stellt demnach einen Reflex zur Abgabe von Pflichten an einen Vertragspartner bzw. Geschäftspartner dar. Zu diesem Anwendungsbereich können die Haftungstatbestände des § 98a Abs. 3 AufenthG, des § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV sowie des § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB gezählt werden. Hierbei verfolgt das Gesetz primär das Ziel, präventiv, aber auch sanktionierend auf den Haftungsadressaten einzuwirken bzw. – im Falle des § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB zusätzlich Nachteile auszugleichen. Einbeziehung bei einer gesetzlichen Beziehung Eine dritte Fallgruppe bildet die Haftung für die festgesetzte Vergütung nach § 53 Abs. 10 Satz 7 BRAO bzw. den entsprechenden Vorschriften der anderen Berufsordnungen. Dabei ordnet der Gesetzgeber zunächst eine Pflicht der Kammer bzw. des Vorstandes der Kammer an, die Vergütung eines von Amts wegen bestellten Vertreters festzusetzen, die der Vertretene zu leisten hat. Sodann wird eine Haftung der Kammer – und nicht etwa des handelnden Organs – für die festgesetzte Vergütung normiert. Die Regelung bezweckt dabei den Ausgleich der amtlichen Bestellung des Vertreters. Zwischen dem Haftenden und dem eigentlichen Schuldner besteht keine rechtsgeschäftliche Beziehung, jedoch eine gesetzliche Beziehung durch die Pflicht des Schuldners zur Mitgliedschaft in der jeweiligen Kammer. Diese Fallgruppe ist insofern einzigartig und ist daher gesondert zu betrachten. bb) Zuordnung Es gibt mithin drei Fallgruppen der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung. Allein bei der ersten Fallgruppe besteht eine Überschneidung mit einer Art der Haftung, nämlich mit der Haftung für den zu ersetzenden Schaden. Daraus kann indes nicht abgeleitet werden, dass es sich hierbei um eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung handelt. Vielmehr sind die Tatbestände dieser Fallgruppe bzw. dieser Regelungstechnik zeitlich vergleichbar einzuordnen, sodass davon ausgegangen werden kann, dass sie deswegen vergleichbar formuliert sind. Die beiden anderen Fallgruppen können dahingegen keiner Regelungstechnik zugeordnet werden. Die Gemeinsamkeit verbleibt damit bei der Rechtsfigur „gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung“. Aus der Fallgruppe der jeweiligen Haftung allein kann damit kein weiterer Rückschluss für die Rechtsnatur der Tatbestände gezogen werden.

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

b)

Die jeweilige Rolle des Haftenden für das Hauptschuldverhältnis

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Hinsichtlich der Rolle des Haftenden kann die soeben vorgenommene Aufteilung der Fallgruppen übernommen werden. Denn die Rolle des Haftenden verhält sich in den drei benannten Fallgruppen jeweils gleich, gleichviel, welcher Tatbestand vorliegt. aa) Wechsel der Stellung des ursprünglichen Vertragspartners Sowohl § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB als auch § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB und § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG erfassen jeweils eine Konstellation, in welcher der Haftende zuvor (originärer) Schuldner der Verbindlichkeit war, bei welcher er bei der Nichterfüllung für einen Schaden haftet. Der Haftende hat somit die Entstehung der Hauptverbindlichkeit in seiner Hand. Daneben hat er aber auch die Entstehung der Haftung in seiner Hand: Zwar ist der Haftende nicht Herr darüber, ob der neue Schuldner der Erfüllung seiner Verpflichtungen nachkommt. Der Haftende setzt aber insofern die Ursache für seine spätere Haftung, als er sich den neuen Schuldner selbst aussucht. Der Haftende hat demnach Einfluss sowohl auf die Entstehung der Hauptschuld als auch der Haftung. Nach Übertragung der Rechte und Pflichten aus dem jeweiligen Schuldverhältnis hat der Haftende aber keine unmittelbaren Einflussmöglichkeiten auf das Hauptschuldverhältnis, weil er seine unmittelbare Beteiligung aufgegeben hat. Dies ist mit der Konstellation des § 613a Abs. 2 Satz 1 BGB vergleichbar, welcher die Haftung des ehemaligen Arbeitgebers normiert: Der bisherige Arbeitgeber haftet neben dem neuen Inhaber für Verpflichtungen nach Absatz 1, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden, als Gesamtschuldner.717 Somit ist auch im Rahmen eines Betriebsübergangs eine Haftung bei dem Wechsel der Stellung des ursprünglichen Vertragspartners angeordnet. Dieser haftet aber gerade nicht allein für Schäden, die aus der Nichterfüllung von Pflichten entstehen, und auch nicht nur wie ein Bürge. Der bisherige Arbeitgeber haftet neben dem neuen Inhaber und mit ihm als Gesamtschuldner. Gleichwohl entsteht die Haftung nach § 613a Abs. 2 Satz 1 BGB wie im Falle des Wechsels der Stellung des originären Vertragspartners unabhängig von dem Willen des bisherigen Arbeitgebers und des neuen Inhabers. Sie haben gleichermaßen faktische Einflussmöglichkeiten hinsichtlich des „Ob“ der Entstehung – sie müssen keinen

717

Vgl. dazu eingehend Annuß in: Staudinger, Neubearbeitung 2016, BGB § 613a, Rdnr. 250 - 252; Müller-Glöge in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Henssler/Krüger MünchKomm-BGB Band 4, BGB § 613a, Rdnr. 159 - 175; Preis in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt Erfurter Kommentar, BGB § 613a, Rdnr. 133 - 145; Willemsen in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, BGB § 613a, Rdnr. 295 - 303.

192

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

Betriebsübergang vornehmen. Insofern sind also allein die Ausgangskonstellationen vergleichbar, nicht indes die rechtlichen Folgen. bb) Haftung für originär fremde Pflichten Als zweite Fallgruppe wurde die Haftung für originär fremde Pflichten herausgearbeitet. Eine Einwirkungsmöglichkeit des Haftenden auf das Hauptschuldverhältnis besteht – ganz der Bürgschaft vergleichbar – nicht. Zwar kann er sich durch die Wahl eines zuverlässigen und solventen Hauptschuldners hinsichtlich der Erfüllung durch den Hauptschuldner absichern. Aber aus rein rechtlicher Sicht steht der Haftende außerhalb dieses Schuldverhältnisses, welches auch regelmäßig nicht allein im Hinblick auf das Schuldverhältnis zwischen Haftendem und Schuldner eingegangen wurde. Die Haftung des „Auftraggebers“ nach § 98a Abs. 3 AufenthG oder § 28e SGB IV unterliegen damit dieser Bewertung hinsichtlich der Rolle des Haftenden. Gleiches gilt für die Haftung der Gemeinde nach § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB. Eine solche Einbeziehung eines Dritten kennt das Bürgerliche Gesetzbuch darüber hinaus nicht. Auch wird man insofern zwar von faktischen Einflussmöglichkeiten der Parteien auf die Entstehung der Haftung sprechen können. Doch sind diese Einflussmöglichkeiten – gerade im Vergleich zur vorherigen Fallgruppe – wesentlich geringer, da beispielsweise die Beauftragung eines anderen Unternehmers mit einer Werk- oder Dienstleistung für viele Geschäftszweige zur täglichen Arbeit gehört und diese Leistungen in Ermangelung verschiedener Kompetenzen gar nicht in Eigenregie durchgeführt werden können. Darin zeigt sich schließlich, welchen „Sanktionscharakter“ die Vorschriften dieser Fallgruppe haben können bzw. welche Wirkung mit ihnen – in Abkehr von einer Kreditsicherungsfunktion – intendiert sind. Diese Normen lösen sich in besonderem Maße von einer „normalen“ Bürgschaft. cc) Einbeziehung bei einer gesetzlichen Beziehung Als letzte Fallgruppe wurde die Einbeziehung in eine fremde Pflicht bei einer gesetzlichen Beziehung herausgearbeitet. Dies ist der Fall bei der Haftung der Rechtsanwalts-, Patentanwalts-, Wirtschaftsprüfer- und Steuerberaterkammer für die von dem Vorstand der jeweiligen Kammer festgesetzte Vergütung eines von Amts wegen bestellten Vertreters. Vertretener und Vertreter sind (grundsätzlich) aufgrund gesetzlicher Pflicht Mitglieder der jeweiligen Kammer. Der jeweilige Kammervorstand hat die gesetzliche Pflicht, unter den bestimmten Voraussetzungen eine Vergütung für den Vertreter fest-

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

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zusetzen. Schuldner dieser festgesetzten Vergütung ist der Vertretene. Haftender im Falle der Nichtleistung ist die jeweilige Kammer. Eine Kammer ist allein durch ihre Organe handlungsfähig, wozu ein Vorstand gehört. Der Vorstand setzt – aufgrund der gesetzlichen Pflicht – die Grundlage für die spätere Haftung; es besteht mithin hinsichtlich der Entstehung der Vergütungspflicht eine Einwirkungsmöglichkeit der Kammer. Gleichwohl ist die Kammer kein primär Beteiligter der Pflicht. Sie steht als Dritter außen vor, obwohl sie verpflichtet ist, die Höhe der Vergütung zu bestimmen – und zu einem späteren Zeitpunkt gegebenenfalls für die Vergütung haftet. Die Kammer nimmt also in doppeltem Maße die Rolle eines Dritten ein – jedoch in zwei verschiedenen Konstellationen. Zunächst ist die Kammer, vertreten durch den Vorstand, zur Bestimmung der Leistung, also der Vergütung, verpflichtet. Insofern nehmen die Kammer bzw. der jeweilige Vorstand die Rolle eines Dritten vergleichbar der Situation des § 317 Abs. 1 BGB ein. Durch diese Regelung verzichtet man auf andere, komplizierte Beilegungsmöglichkeiten eines Streits über die Höhe der Vergütung. Die etwaige spätere Haftung versetzt die Kammer wiederum in die Rolle eines Dritten – diesmal aber allein zur Absicherung des bestellten Vertreters. Eine derartige Doppelfunktion als Dritter ist dem Bürgerlichen Gesetzbuch als Konstruktion fremd – insbesondere ist dies der Bürgschaft fremd. Dies zeigt erneut, dass die Tatbestände der Bürgschaft nur angelehnt sind. dd) Gemeinsame Betrachtung Je nach Rechtsfigur nimmt der Haftende eine bestimmte Rolle im bzw. für das „Hauptschuldverhältnis“ ein: Im Rahmen des Kreditauftrags ist der Auftraggeber der Auslöser für die Begründung des Hauptschuldverhältnisses und hat auch nach der Begründung noch jedenfalls mittelbare Einwirkungsmöglichkeiten. Bei der Gesellschafterhaftung ist der Haftende sogar derjenige, der über die Begründung des Hauptschuldverhältnisses mitentscheiden kann und auch nach dessen Begründung als Vertreter der Gesellschaft über das Ob und Wie der Verbindlichkeit walten kann. Dies gilt in einem abgestuften Maße gleichfalls für die Konzernhaftung. Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung ist insofern in drei Fallgruppen aufzuteilen: Bei dem „Wechsel der Stellung des ursprünglichen Vertragspartners“ zum Haftenden, hat dieser die Verbindlichkeit selbst begründet, ist aber auf eigene Veranlassung hin aus der Rolle des Schuldners ausgeschieden und in die Rolle des Haftenden aufgrund der gesetzlichen Anordnung eingetreten. Die „Haftung für originär fremde Pflichten“ erweitert gesetzlich das Pflichtenprogramm eines an dem maßgeblichen Schuldverhältnis unbeteiligten Dritten; dies ist dem Bürgerlichen Gesetzbuch

194

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

grundsätzlich fremd. Eine Besonderheit stellt ferner unter anderem die Regelung zur Haftung der Rechtsanwaltskammer als Form der „Einbeziehung bei einer gesetzlichen Beziehung“ dar: Die Kammer nimmt insofern die Position eines Leistungsbestimmers als auch die eines Haftenden ein und ist in beiden Positionen als Dritter zu qualifizieren. Diese Analyse verdeutlicht, wie sich die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung auch hinsichtlich der Beteiligten von einer Bürgschaft unterscheidet. Die dogmatisch unterschiedliche Betrachtung von Bürgschaft und gesetzlich angeordneter bürgenähnlichen Haftung ist demnach auch aus diesem Punkt angezeigt und gerechtfertigt. 3

Die Rechtsnatur

Im Rahmen der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung wurden somit drei verschiedene Gruppen identifiziert: die Haftung für den zu ersetzenden Schaden wie ein Bürge, die Haftung für die Erfüllung der Verpflichtung wie ein Bürge und schließlich die Haftung für die Verpflichtung wie ein Bürge. Es unterscheidet sich mithin sprachlich das Haftungsobjekt (zu ersetzender Schaden, Erfüllung der Verpflichtung, Verpflichtung). Trotz dieses Unterschiedes stellt sich die rechtliche Regelungstechnik identisch dar: Der Haftende haftet „wie ein Bürge“. Die drei Gruppen unterscheiden sich also hinsichtlich des Anwendungsbereichs, nicht jedoch hinsichtlich der Regelungstechnik. Sie können demnach hinsichtlich der Rechtsnatur gemeinsam untersucht werden. Für die einzelnen Tatbestände wurde bereits jeweils herausgearbeitet, warum es sich nicht um eine gesetzliche Bürgschaft handelt. Im Folgenden wird zunächst auf einer abstrakten Ebene der Unterschied zwischen der Bürgschaft und der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung dargestellt (dazu a)). In einem zweiten Schritt wird sodann herausgearbeitet, ob es sich bei der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung um eine bloße Haftung oder um eine eigene Schuld des Haftenden handelt (dazu b)). a)

Bürgschaft und gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung

Gegen die Qualifizierung als eine „gesetzliche Bürgschaft“ sprechen verschiedene Argumente. Im Vergleich zu § 778 BGB ist nur die Haftung „wie ein Bürge“ und nicht „als Bürge“ angeordnet. Zudem sind die einzelnen Tatbestände nicht im Recht der Bürgschaft verortet. Auch die Zwecke der Tatbestände unterscheiden sich – wie gezeigt – regelmäßig von denen einer Bürgschaft. Schließlich würde die Qualifizierung als „gesetzliche Bürgschaft“ die Fiktion eines Bürgschaftsvertrages bedeuten, was sei-

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

195

nerseits im Vergleich zu anderen gesetzlichen Fiktionen dem Wortlaut nicht zu entnehmen ist. So ist beispielsweise die Fiktion des § 1923 Abs. 2 BGB wie folgt formuliert: „Wer zur Zeit des Erbfalls noch nicht lebte, aber bereits gezeugt war, gilt als vor dem Erbfall geboren.“ Bei den in Rede stehenden Tatbeständen haftet eine Person „wie ein Bürge“, es ist nicht etwa normiert, dass jemand „als Bürge gilt“. Es kann gleichermaßen auf das Beispiel des Werkunternehmerpfandrechts nach § 647 BGB verwiesen werden. Schließlich benötigte es der Formulierung „Haftung für die Erfüllung der Verpflichtung“ in den entsprechenden Tatbeständen nicht, weil dies sonst die Rechtsfolge des § 765 Abs. 1 BGB wäre; eine unbeabsichtigte Doppelung der Rechtsfolge wird nicht unterstellt. Bei der Haftung „wie ein Bürge“ handelt es sich demnach nicht um eine „gesetzliche Bürgschaft“, sondern um eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. b)

Eigene Schuld des Haftenden

Anders als bei dem Kreditauftrag oder der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft ist es bei der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung nicht eindeutig, ob durch eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung eine eigene Schuld des Haftungsverpflichtenden entsteht. Denkbar erscheinen insofern zwei Möglichkeiten: Einerseits könnte – der Bürgschaft vergleichbar – eine eigene Schuld des Haftenden entstehen, die dann wiederum nahezu inhaltsgleich mit der des originären Schuldners wäre. Denkbar wäre aber auch – vergleichbar der früheren Vorstellung einer Identität zwischen Gesellschaftsschuld und Gesellschafterhaftung im Rahmen von § 128 HGB718 –, dass der Haftende für die Schuld des originären Schuldners mithaftet, also nur eine Leistungspflicht bestünde, es aber zwei Leistungsverpflichtete gäbe. Dies könnte man dann als „bloße Haftung“ bezeichnen.719 Die genaue dogmatische Bestimmung, ob eine eigene Schuld des Haftenden entsteht, hat im Ergebnis vor allem Auswirkungen auf die Frage von etwaigen Regressansprüchen des Haftenden gegen den originären Schuldner. Im Ergebnis entsteht durch die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung vergleichbar der Bürgschaft eine eigene Schuld des Haftenden. Er haftet demnach nicht bloß für eine bestehende Schuld „mit“. Dies ergibt sich aus drei Gründen: Zum einen spricht für die Entstehung einer eigenen Schuld des Haftenden, dass dieser wie ein Bürge haften soll, also eine der Bürgschaft vergleichbare Haftung ent718 719

Vgl. dazu oben unter Drittes Kapitel. B II 1 a). Vgl. eingehend zur Abgrenzung der Begriffe „Schuld“ und „Haftung“ in der Rechtssprache Dauner-Lieb, Unternehmen im Sondervermögen, S. 30 ff.; Grüneberg in: Palandt, Einl v § 241, Rdnr. 10 - 11; Weller, Die Vertragstreue, S. 32 - 33 jeweils m. w. N.

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

stehen soll. Dann muss diese Haftung aber auch zu einer eigenen Schuld des Haftenden führen, wie es bei der Bürgschaft eben selbst der Fall ist. Die Anlehnung an die Bürgschaft spricht mithin für eine eigene Schuld des Haftenden. Für die beiden Gruppen „Haftung für den zu ersetzenden Schaden“ und „Haftung für die Erfüllung der Verpflichtung“ deuten auch die jeweiligen Wortlaute auf eine eigene Schuld des Haftenden hin. Denn insofern wird nicht für die Verpflichtung, also die originäre Schuld, direkt gehaftet. Dies könnte andererseits für die letzte Gruppe, die „Haftung für die Verpflichtung“, bedeuten, dass diese anders zu beurteilen ist. Dagegen spricht aber insofern das erste Argument, aber auch das nun folgende Argument. Im Rahmen von § 128 Satz 1 HGB wurde früher eine Identität zwischen Gesellschaftsschuld und Gesellschafterhaftung angenommen.720 Diese Ansicht wurde aufgegeben, da der Gesellschaft eine eigene Rechtspersönlichkeit zugesprochen wurde. Bei der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung existieren mit dem Haftenden und dem originären Schuldner auch zwei natürliche oder juristische Personen. Es bedarf also hier keiner Identität von originärer Schuld und gesetzlich angeordneter bürgenähnlicher Haftung. Die Eigenständigkeit von Haftendem und originärem Schuldner spricht demnach für eine eigene Schuld des Haftenden. Es entsteht durch den Tatbestand einer gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung also eine eigene Schuld des Haftenden. Im Falle seiner Inanspruchnahme wird der Haftende auf diese und nicht auf die des originären Schuldners leisten. Letzterer kann aber – wie bei der Bürgschaft der Hauptschuldner – nicht mehr von dem Gläubiger in Anspruch genommen werden; dies wird durch die Leistung des Haftenden gesperrt. Weiterhin folgt daraus, dass die originäre Schuld nicht untergeht, sodass diese gegebenenfalls für einen Regress auf den leistenden Haftenden übergehen kann.721 Die Möglichkeit eines Regresses zeigt überdies, dass der Verpflichtete des jeweiligen Tatbestandes der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung konzeptionell grundsätzlich nicht endgültig das wirtschaftliche Risiko endgültig tragen soll, sondern dies dem originären Schuldner zugeschrieben wird. Dieser Grundsatz findet jedoch dort seine Grenzen, wo ein Rückgriff auf den originären Schuldner aufgrund eines finanziellen Leistungsunvermögens nicht möglich ist. Durch den jeweiligen Tatbestand entsteht eine Schuld des Haftenden, die nahezu deckungsgleich mit der des originären Schuldners ist. Denn die Haftung bezieht sich auf diese originäre Schuld. Grundsätzlich wird mit der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung das Leistungsinteresse des Gläubigers gesichert. Gleichwohl kann diese Schuld – vergleichbar der Bürgschaft oder § 128 Satz 1 HGB – bei unver-

720 721

Vgl. oben unter Drittes Kapitel. B II 1 a). Vgl. dazu unten unter Viertes Kapitel. A II 5.

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Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

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tretbaren oder höchstpersönlichen Leistungen nur das Erfüllungsinteresse des Gläubigers absichern. Dies auch zum Beispiel für den Fall, dass die originäre Schuld nicht durch eine finanzielle Leistung erfüllt wird. Dann wird der Haftende gleichwohl allein das Erfüllungsinteresse befriedigen müssen. Es gilt auch hier insoweit eine grundsätzliche Befriedigung des Leistungsinteresses, ausnahmsweise nur des Erfüllungsinteresses des Gläubigers. Diese dogmatische Konstruktion ist somit auch weder mit einem Schuldbeitritt noch mit einer Erfüllungsübernahme zu vergleichen. Denn bei einem Schuldbeitritt entstehen zwei Leistungspflichten, die des alten Schuldners und die des Beitretenden, wodurch ein Gesamtschuldverhältnis entsteht.722 Ein Gesamtschuldverhältnis ist aber dadurch geprägt, dass – wie es § 421 Satz 1 BGB statuiert – eine Leistung in der Weise geschuldet ist, dass jeder die ganze Leistung zu bewirken verpflichtet ist. Originärer Schuldner und der jeweils Haftende der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung schulden aber – wie schon Bürge und Hauptschuldner723 – nicht dieselbe Leistung, da nur eine nahezu deckungsgleiche Schuld entsteht. Die Erfüllungsübernahme ist dadurch gekennzeichnet, dass der Übernehmende gegenüber dem Schuldner verspricht, den Gläubiger zu befriedigen, wodurch der Gläubiger keine Rechte erwirbt.724 Somit fehlt es im Vergleich zur gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung an einer Leistungspflicht gegenüber dem Gläubiger. IV

Ergebnis

Es wurde somit aufgezeigt, dass es drei Rechtsfiguren gibt, die eine gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft darstellen. Diese drei Rechtsfiguren stellen zwar keine eigenen Kreditsicherungstypen dar, weil sie insofern mit der Bürgschaft vergleichbar sind. Gleichwohl sind sie aufgrund ihrer dogmatischen Unterschiede zur Bürgschaft differenziert von dieser zu betrachten. Die drei Rechtsfiguren sind der Kreditauftrag, die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft (in Form der Gesellschafter- und der Konzernhaftung) sowie die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. Die drei Rechtsfiguren sind aufgrund ihrer Regelungstechnik, aber auch aufgrund ihrer Fallgruppen voneinander zu unterscheiden. Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung erfasst dabei alleinig mehrere Fallgruppen. Sie haben jeweils ihre eigene Rechtsnatur und stellen nicht etwa eine gesetz-

722 723 724

Vgl. dazu Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 765, Rdnr. 396; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rdnr. 36. Vgl. dazu oben Viertes Kapitel. A II 2 a) cc). Vgl. dazu Gottwald in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Krüger MünchKomm-BGB Band 2, BGB § 329, Rdnr. 1 m. w. N.

198

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

liche Bürgschaft dar. Vielmehr wurde dargelegt, dass eine gesetzliche Bürgschaft – anders als etwa ein gesetzliches Pfandrecht – so nicht existiert. 1

Drei Rechtsfiguren

a)

Der Kreditauftrag

Als erste Rechtsfigur konnte der Kreditauftrag identifiziert werden. Dieser ist im Abschnitt des Rechts der Bürgschaft in § 778 BGB normiert: „Wer einen anderen beauftragt, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung einem Dritten ein Darlehen oder eine Finanzierungshilfe zu gewähren, haftet dem Beauftragten für die aus dem Darlehen oder der Finanzierungshilfe entstehende Verbindlichkeit des Dritten als Bürge.“ Der Kreditauftrag stellt sich dem Grunde nach als ein Auftrag im Sinne der §§ 662 ff. BGB dar. Dabei besorgt der Beauftragte das Geschäft aber nicht wie bei einem Auftrag im eigenen Namen und auf fremde Rechnung, sondern wie der Wortlaut des § 778 BGB schon darlegt, im eigenen Namen und auf eigene Rechnung. Somit träfen die Chancen und Risiken des Kredits grundsätzlich den Beauftragten selbst. § 778 BGB verlagert indes das Risiko des Kredits auf den Auftraggeber, indem dieser „als Bürge“ für die „Aufwendungen“ des Auftrags in Form der aus dem Darlehen oder der Finanzierungshilfe entstehenden Verbindlichkeit haftet. Erforderlich ist aber, weil der Beauftragte auf eigene Rechnung handelt, dass die Parteien des Kreditauftrags die genannte Risikoverlagerung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auch wollten und dies entsprechend zum Ausdruck gebracht haben. Denn grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass der, der auf eigene Rechnung handelt, auch das rechtliche und wirtschaftliche Risiko eines Rechtsgeschäfts trägt. Die notwendige Kundgabe erfüllt indes nicht die Voraussetzungen einer auf den Abschluss eines Bürgschaftsvertrages gerichteten Willenserklärung, ansonsten liefe die Norm des § 778 BGB ins Leere. Im Rahmen des Kreditauftrags wird mithin das Auftragsrecht durch das Bürgschaftsrecht partiell verdrängt, namentlich für das Verhältnis zwischen Auftraggeber und Beauftragtem nach Gewährung des Darlehens oder der Finanzierungshilfe durch den Beauftragten an den Dritten. Konkret bedeutet dies die Haftung „als Bürge“ anstatt des Aufwendungsersatzes nach § 670 BGB. Der Kreditauftrag stellt aus diesem Grunde nicht etwa eine „gesetzliche Bürgschaft“ dar. Vielmehr ist der Kreditauftrag ein Auftrag, auf welchen partiell das Recht der Bürgschaft als gesetzliche Folge anwendbar ist. Der Kreditauftrag ist demnach seiner Rechtsnatur nach ein Auftrag. Diese Regelungstechnik ist mit dem Kreditauftrag im Gesetz einzigartig.

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

b)

Die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft

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Als zweite Rechtsfigur existiert die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft. Darunter fallen Tatbestände, welche zwar keinen ausdrücklichen Verweis auf das Recht der Bürgschaft in Form der Haftung „als Bürge“ oder „wie ein Bürge“ beinhalten, gleichwohl aufgrund ihrer Regelungstechnik einen Bezug zur Bürgschaft herstellen. Die Regelungstechnik stellt sich dabei wie folgt dar: Eine natürliche bzw. juristische Person haftet gegenüber dem Gläubiger eines Dritten für die Verbindlichkeit des Dritten akzessorisch und subsidiär. Der Haftende soll dabei grundsätzlich nicht das endgültige Risiko tragen, sondern sich bei der Inanspruchnahme durch den Gläubiger bei dem Dritten schadlos halten können. Eine Grenze stellt insofern die Insolvenz des Dritten dar. Nach diesem Haftungsmodell sind zum einen die Gesellschafterhaftung nach § 128 Satz 1 HGB, zum anderen die Konzernhaftung nach § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG gebildet. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf das Bürgschaftsrecht durch den Wortlaut oder die systematische Stellung besteht nicht. Die Bezugnahme ergibt sich allein aus der rechtlichen Ausgestaltung der Haftung als akzessorisch (und subsidiär) – dies sind wesentliche Merkmale der Bürgschaft. Insofern kann auch bei der Gesellschafter- und Konzernhaftung hinsichtlich der Rechtsnatur nicht etwa von einer „gesetzlichen Bürgschaft“ gesprochen werden. Bei den Haftungstatbeständen handelt es sich vielmehr um mit der Bürgschaft vergleichbare bzw. nachgebildete Haftungssysteme. Der Gesellschafter bzw. der Konzern haben zwar nicht rechtlich die Stellung eines Bürgen, unter anderem weil der Bürge (regelmäßig) nachrangig haftet. Davon abgesehen, ist ihre grundlegende Stellung aber nach Vorbild eines Bürgen gebildet. c)

Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung

Die dritte mit der Bürgschaft verwandte Rechtsfigur ist die „gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung“. Gemeinsame Eigenschaft aller entsprechenden Tatbestände ist die Anordnung der Haftung „wie ein Bürge“. Die Haftung ist für eine Verbindlichkeit oder für die Erfüllung einer Verbindlichkeit angeordnet. Dabei ist teilweise die Einrede der Vorausklage ausgeschlossen bzw. nur eine selbstschuldnerische Haftung angeordnet. Bei der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung handelt es sich ebenfalls nicht etwa um eine „gesetzliche Bürgschaft“. Die Haftung ist der Bürgschaft bloß ähnlich. Unterschiede bestehen neben der Entstehung der Haftung auch und vor allem bei Sinn und Zweck, die von denen der Bürgschaft abweichen. Der Gesetzgeber übernimmt somit bei dieser Rechtsfigur Mechanismen der Bürgschaft, ohne aber auf die

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Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

Bürgschaft in ihrer Gesamtheit Bezug zu nehmen; dafür fehlt es an der inhaltlichen Vergleichbarkeit von Bürgschaft und den Tatbeständen der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung. Konstitutives Merkmal der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung ist die gesetzliche Entstehung der Haftung unabhängig vom Willen der Parteien. Gleichwohl kann auch hier nicht von einem eigenen Kreditsicherungstyp die Rede sein, da insofern die Gemeinsamkeiten mit der Bürgschaft zu erheblich sind. Der Begriff der „gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung“ verdeutlicht zweierlei: Zum einen werden mit diesem Begriff vergleichbare vertragliche Rechtsfiguren nicht mit in die Bewertung einbezogen (entsprechende vertragliche Rechtsfiguren könnten unter Umständen rechtlich anders zu bewerten sein). Zum anderen wird die enge Verwandtschaft dieser Haftung mit der Bürgschaft verdeutlicht, ohne jedoch eine – nichtexistierende – Bürgschaft zu implizieren. Insofern ist der Begriff der „gesetzlichen Bürgschaft“ unpräzise und irreführend. Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung kann dabei hinsichtlich der Regelungstechnik in drei Gruppen unterteilt werden: Die Haftung für den zu ersetzenden Schaden, die Haftung für die Erfüllung einer Verpflichtung und die Haftung für eine Verpflichtung wie ein Bürge (der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat). Hinsichtlich des Anwendungsbereichs bestehen wiederum drei Fälle, ohne dass diese jedoch mit den Gruppen der Regelungstechniken korrespondieren: Der Wechsel der Stellung des ursprünglichen Vertragspartners, die Haftung für originär fremde Pflichten und die Einbeziehung bei einer gesetzlichen Beziehung. Schließlich entsteht durch den jeweiligen Haftungstatbestand eine eigene Schuld des Haftenden. Diese ist inhaltlich nahezu identisch, sprich: deckungsgleich mit der des originären Schuldners. Insofern stellt die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung keine bloße Haftung dar. 2

Die geschichtliche Entwicklung

Die drei verschiedenen Rechtsfiguren unterlagen unterschiedlichen Entwicklungen seit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches. Allein die Haftung der Gesellschafter einer offenen Handelsgesellschaft war schon vor der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches im „Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch“ in der Fassung vom 5. Juni 1869 normiert. Mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches kamen sodann der Kreditauftrag (§ 778 BGB) sowie die Haftung des ehemaligen Vermieters (§ 566 Abs. 2 Satz 1 BGB) und die des bisherigen Pfandgläubigers (§ 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB) hinzu. Alle drei Rechtsfiguren waren mithin schon seit 1900 im Bürgerlichen Gesetzbuch oder dem Handelsgesetzbuch verankert.

B

Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft – drei Rechtsfiguren

a)

Der Kreditauftrag

201

Die Rechtsfigur des Kreditauftrags hat seit ihrer Einführung jedoch keine Entwicklung genommen. Weder wurde die Rechtsfigur inhaltlich modifiziert noch wurden weitere Tatbestände zu dieser Rechtsfigur ergänzt. Dies wird an der Besonderheit dieser Rechtsfigur liegen, dass hier das Bürgschaftsrecht eine besondere Form des Auftrags verdrängt, was abermals die Einzigartigkeit dieser Rechtsfigur unterstreicht. Somit wurden keine weiteren Fälle dieser Rechtsfigur unterworfen; der Gesetzgeber wird wohl für keine andere Form eines Auftrags den besonderen Schutz des Beauftragten, den § 778 BGB gewährt, als notwendig erachtet haben. § 778 BGB ist damit als Form dieser Rechtsfigur einzig geblieben. b)

Die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft

Die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft hat sich gleichwohl weiterentwickelt. Zwar wurde auch bei dieser Rechtsfigur die Haftung nach §§ 128 ff. HGB nicht inhaltlich angetastet. Jedoch wurde mit § 322 AktG im Jahr 1962 ein weiterer Tatbestand dieser Rechtsfigur eingeführt. Auffällig ist bei § 322 AktG, dass der Gesetzgeber bei § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG eine gesamtschuldnerische Haftung von ursprünglichem Schuldner und dem nach der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft Haftenden angeordnet hat. Damit unterscheidet sich § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG von § 128 Satz 1 HGB, obgleich die Haftung nach § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG nach dem gesetzgeberischen Willen gerade nach Vorbild des § 128 Satz 1 HGB konstruiert sein sollte. Damit ist § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG in seiner Konzipierung dem Wortlaut nach mit der Rechtsfigur der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft eigentlich nicht kompatibel. Die Kompatibilität kann aber durch eine teleologische Auslegung der Vorschrift erreicht werden. § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG stellt also keine weitere, eigene Rechtsfigur bzw. keinen weiteren, eigenen Kreditsicherungstypen dar, sondern ist der Rechtsfigur der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft zuzuordnen. c)

Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung

Die größte Entwicklung hat schließlich die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung genommen. 1900 wurde § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG eingeführt. § 53 Abs. 10 Satz 7 BRAO und § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB wurden 1970 aufgenommen. 1972 folgte mit § 393 RVO a. F. der Vorgänger des § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV. 1996 wurde der Verweis auf § 28e Abs. 2 Satz 1 SGB IV in § 150 Abs. 3 SGB VII normiert. 2011 wurde sodann die Regelung des § 98a Abs. 3 AufenthG eingeführt.

202

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

Aber nicht nur die Anzahl der Tatbestände dieser Rechtsfigur hat sich vermehrt. Der Gesetzgeber hat neben der ursprünglichen Fallgruppe des Wechsels der Stellung des ursprünglichen Vertragspartners mit der Haftung für originär fremde Pflichten und der Einbeziehung bei einer gesetzlichen Beziehung zwei neue Fallgruppen für die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung geschaffen. Diese sind aber insoweit nicht systemgerecht, wenn sie nicht zuvörderst die Kreditsicherung einer Person bezwecken, sondern allein als Sanktionsmittel oder als Mittel zur Regulierung durch die Vertragspartner dienen. Dann hat der Gesetzgeber für diese Fälle aber eine Rechtsfigur gewählt, die diese Fälle eigentlich nicht abbilden kann. d)

Fazit

Sofern eine Rechtsfigur vom Gesetzgeber weiterentwickelt wurde, muss diese Entwicklung aus dogmatischer Sicht nicht allein positiv sein. Dem gesetzgeberischen Willen ist im Ergebnis erhebliches Gewicht zuzusprechen, dogmatisch saubere Lösungen wären gleichwohl wünschenswert. Ein solch dogmatischer Fehlgriff des Gesetzgebers zeigt sich beispielsweise bei § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG, wenn der Gesetzgeber auf § 128 Satz 1 HGB und damit auf die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft Bezug nimmt, das interne Haftungssystem aber zugleich grundlegend verändert. Hätte er dann nicht besser ein gänzlich neues Haftungssystem gebildet oder auf ein anderes bestehendes verwiesen? Dies hätte zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten geführt, was doch schließlich ein Anliegen des Gesetzgebers ist bzw. sein sollte. Der Gesetzgeber sollte daher bei der Weiterentwicklung der Rechtsfiguren darauf achten, ob der zu beurteilende Fall rechtlich mit den Interessen einer Bürgschaft übereinstimmt. Nur wenn dies zu bejahen ist, ist ein Rückgriff auf eine dieser drei Rechtsfiguren angezeigt. Verneinendenfalls sollte auf eine andere Haftungskonstruktion zurückgegriffen werden.

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Einordnung der Auftraggeberhaftung

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Einordnung der Auftraggeberhaftung

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Es stellt sich nunmehr die Frage, inwiefern sich die Auftraggeberhaftungen nach § 14 AEntG und § 13 MiLoG zu diesen drei Rechtsfiguren der gesetzlichen Bezugnahme auf die Bürgschaft verhalten. Es könnte sich insofern um Fälle der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung handeln. I

Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG

Nach § 14 Satz 1 AEntG haftet ein Unternehmer, der einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt, für die Verpflichtungen dieses Unternehmers, eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers, zur Zahlung des Mindestentgelts an Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen oder zur Zahlung von Beiträgen an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien nach § 8 AEntG wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Der Wortlaut des § 14 Satz 1 AEntG deutet mithin eine Einordnung in die Rechtsfigur der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung an. 1

Der Wortlaut

Der Wortlaut des § 14 Satz 1 AEntG weist in Bezug zu den bereits untersuchten Vorschriften der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung keine weiteren Besonderheiten auf: Der Unternehmer haftet zwar unmittelbar für die Verpflichtung des anderen Unternehmers. Zudem ist für diese Haftung die Einrede der Vorausklage ausgeschlossen. Diese Formulierungen weisen nach hier vertretener Auffassung eher auf eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung hin als auf eine gesetzlich angeordnete Bürgschaft. Im Speziellen lässt sich jedoch zum Wortlaut des § 14 Satz 1 AEntG noch Folgendes festhalten: Die Haftung des Auftraggebers entsteht bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen, wenn also ein Unternehmer einen anderen Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragt. Insofern ist § 14 AEntG mit § 778 BGB vergleichbar. Sprachlich aber zeigt sich ein Unterschied zu § 778 BGB in der Formulierung „wie ein Bürge“. Zudem spricht die amtliche Überschrift der Norm von der „Haftung des Auftraggebers“ und nicht etwa von der „Bürgschaft“. Satz 2 schränkt die Akzessorietät (die sogenannte Inhaltsakzessorietät) ein; der Auftraggeber haftet nicht für den vollen Mindestlohnanspruch, sondern nur für das Nettoentgelt. Fraglich ist, ob im Rahmen von § 14 AEntG – vergleichbar zu § 778 BGB – auch der Wille des Auftraggebers erkennbar sein muss, dass er das „Risiko“ für die Zahlung des Mindestlohns übernehmen will, obgleich es eigentlich das Risiko des Auftragneh-

204

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

mers (des Unternehmers, der beauftragt wurde) ist. Dafür könnte sprechen, dass sich durch § 14 AEntG die Risikoverteilung zum rechtlichen „Normalfall“ verschiebt, sprich: durch die Vorschrift des § 14 AEntG ein Werk- oder Dienstvertrag in seiner Grundkonzeption hinsichtlich der Risikoverteilung beibehalten wird – wie auch bei § 778 BGB argumentiert wird. Jedoch unterscheiden sich § 778 BGB und § 14 AEntG: Bei § 778 BGB handelt es sich um einen speziellen Unterfall des Auftrags. Bei einem Auftrag ist der Auftraggeber stets zum Ersatz von Aufwendungen, die der Beauftragte zum Zwecke der Ausführung des Auftrags macht, verpflichtet. Eine solche Pflicht besteht bei einem Vertrag über Werk- oder Dienstleistung nicht; hierbei erhält der „Auftragnehmer“ eine Vergütung, durch welche er seine Aufwendungen abdecken kann. Die zusätzliche Risikoübernahme durch den „Auftraggeber“ ist dem Werk- bzw. Dienstvertragsrecht grundsätzlich fremd. Jedoch hat sich der Gesetzgeber mit § 14 AEntG für eine Haftung des Auftraggebers zur zivilrechtlichen Durchsetzung des Anspruchs auf Zahlung des Mindestentgelts nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz entschieden. Diese Durchsetzungsmöglichkeit soll auch unabhängig von einem Willen zur Risikoübernahme des Auftraggebers bestehen; auf einen entsprechenden Willen kommt es also nicht an. Dies ist auch insoweit richtig, als durch § 14 AEntG der Arbeitnehmer (also ein Dritter) geschützt werden soll725 und nicht wie bei § 778 BGB der Beauftragte. Der Arbeitnehmer ist bei einem Werk- oder Dienstvertrag zwischen den Unternehmern regelmäßig nicht beteiligt, der Beauftragte im Rahmen von § 778 BGB ist sehr wohl beteiligt. Der Beauftragte kann also beeinflussen, ob der Auftraggeber das Risiko übernehmen will oder nicht; der Arbeitnehmer indes nicht. Daher ist es nur konsequent, dass bei § 778 BGB ein Wille zur Risikoübernahme gefordert wird, bei § 14 AEntG ein solcher Wille jedoch unerheblich ist. Anderenfalls könnten die Unternehmer zu Lasten des Arbeitnehmers ohne seine Beteiligung die Haftung des Auftraggebers ausschließen, was der zwingenden Rechtsnatur der Vorschrift zuwiderliefe. Somit unterscheidet sich § 14 AEntG grundlegend von dem Kreditauftrag nach § 778 BGB und ist daher mit diesem auch nicht zu vergleichen. Der Wortlaut des § 14 Satz 1 AEntG spricht nach hiesiger Ansicht mithin für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. 2

Die Systematik

Systematisch hat § 14 Satz 1 AEntG eine für die Rechtsnatur interessante Stellung im Arbeitnehmer-Entsendegesetz: Die Vorschrift ist im fünften Abschnitt „Zivilrechtliche Durchsetzung“ verortet. Dies zeigt, dass es bei der Vorschrift weniger um die Kreditsicherung des zur Zahlung des Mindestentgelts verpflichteten Arbeitgebers geht, son-

725

Vgl. dazu oben unter Zweites Kapitel. A II.

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Einordnung der Auftraggeberhaftung

205

dern eher um die Verwirklichung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Denn „Durchsetzung“ bedeutet unter anderem so viel wie „(etwas Angestrebtes, Erwünschtes o. Ä.) unter Überwindung von Hindernissen verwirklichen“726. Dies allein spricht schon gegen eine gesetzlich angeordnete Bürgschaft. Für eine Bürgschaft hätte der Gesetzgeber auch die Formulierung „Zivilrechtliche Sicherung“ des Anspruchs wählen können bzw. müssen. Somit spricht auch die systematische Stellung des § 14 AEntG für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. 3

Die Entstehungsgeschichte

§ 14 AEntG stellt die Nachfolgeregelung zu § 1a AEntG a. F. dar. Letzterer geht auf das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998727 zurück. Aus historischer Sicht handelt es sich insofern um ein „junges“ Gesetz. Die Entstehungsgeschichte des § 14 AEntG als solche – wie sie bereits eingangs dargestellt wurde – gibt aber keinen Aufschluss über bzw. keinen Hinweis auf die Rechtsnatur der Haftung. Der Gesetzgeber hat sich zu der Rechtsnatur der Auftraggeber nicht geäußert. Die Entstehungsgeschichte kann daher bei der Einordnung des § 14 Satz 1 AEntG nicht weiterhelfen. 4

Sinn und Zweck

Bei § 14 AEntG vereinigen sich mehrere Zwecke: Zum einen bezweckt die Vorschrift die zivilrechtliche Durchsetzung der Ansprüche des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, zum anderen den präventiven Zweck, die zwingenden Arbeitsbedingungen einzuhalten. Darüber hinaus sollen Unternehmen, mithin auch die Unternehmer728, geschützt und gefördert werden. Schließlich sollen grenzüberschreitender Betrugsmethoden bekämpft werden. Damit verfolgt Auftraggeberhaftung nicht dieselben Zwecke wie die Bürgschaft: Bei der Auftraggeberhaftung geht es nicht vornehmlich darum, die Solvenz des Hauptschuldners, also des jeweiligen Arbeitgebers, zu sichern. Vielmehr verfolgt die Auftraggeberhaftung Zwecke, die sich bei einer Bürgschaft „als Nebeneffekt“ darstellen. Dies spricht entscheidend für eine durch § 14 Satz 1 AEntG gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. Denn der Gesetzgeber hat sich zwar in einer gewissen Art und Weise die Konzeption der Bürgschaft für die Auftraggeberhaftung zu eigen ma-

726 727 728

Duden Deutsches Universalwörterbuch, S. 462: „durchsetzen“. BGBl. I 1998, S. 3843 (3851). Vgl. zum Unterschied zwischen Unternehmer und Unternehmen oben unter Zweites Kapitel. A II.

206

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

chen wollen, ohne jedoch die Grundidee bzw. -eigenschaften der Bürgschaft aufzugreifen. Zwar unterscheidet sich die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG damit hinsichtlich ihrer Zwecksetzung auch von anderen Fällen der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung. So besteht ein Unterschied etwa zu § 159 Abs. 5 Satz 4 BauGB. Im Rahmen von § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB ist die Haftung wie ein Bürge angeordnet, weil die Gemeinde eine originär eigene rechtliche Pflicht an den Sanierungsträger weitergibt, der dann wiederum durch Dritte die Ordnungsmaßnahme durchführt. Die Kreditsicherung des Sanierungsträgers ist damit aber auch nicht bezweckt. Letztlich ist für die Einordnung nicht die Vergleichbarkeit mit anderen Fällen der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung entscheidend. Entscheidend ist, ob eine Vergleichbarkeit mit der Bürgschaft besteht – und dies ist wie dargelegt aufgrund des Zweckes des § 14 AEntG nicht der Fall. II

Die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG

Da der Wortlaut des § 13 MiLoG allein auf eine entsprechende Anwendung des § 14 AEntG verweist, deutet sich auch für die Auftraggeberhaftung im Mindestlohngesetz an, dass es sich bei dieser um eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung handelt. 1

Der Wortlaut

Die Auslegung des Wortlauts des § 13 MiLoG ist im Hinblick auf die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung nicht weiterführend. In Ermangelung eigener weiterer Tatbestandsvoraussetzungen des § 13 MiLoG muss auf die Auslegung zu § 14 Satz 1 AEntG zurückgegriffen werden. Diese spricht für die Einordnung der Auftraggeberhaftung als gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. 2

Die Systematik

Aus systematischer Sicht gilt Vergleichbares. § 13 MiLoG ist in einem Gleichlauf zu § 14 Satz 1 AEntG in einem eigenen Abschnitt, der „Zivilrechtlichen Durchsetzung“ verortet. Es kann insofern auf die Argumente zu der Auftraggeberhaftung nach § 14 Satz 1 AEntG zurückgegriffen werden. Auch die systematische Stellung des § 13 MiLoG spricht mithin für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung.

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Einordnung der Auftraggeberhaftung

3

Die Entstehungsgeschichte

207

Dieses Ergebnis wird für die Haftung nach § 13 MiLoG durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift gestützt. Insofern sind die unterschiedlichen Entwürfe für eine Auftraggeberhaftung im Mindestlohngesetz maßgeblich. Zwischenzeitlich wurde erwogen, die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG mit einem Verschuldenserfordernis zu versehen, bei ansonsten zur endgültigen Fassung gleichlautendem Wortlaut, also auch der Anordnung der Haftung wie ein Bürge.729 Ein solches Verschuldenserfordernis ist einer Bürgschaft aber von vornherein fremd. Gleichwohl ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass ein solches im Rahmen der Auftraggeberhaftung möglich sei. Damit hätte sich die Auftraggeberhaftung noch weiter von der Bürgschaft entfernt; von einer gesetzlichen Bürgschaft hätte mithin nicht die Rede sein können. Diese Vorstellung des Gesetzgebers verdeutlicht, dass es sich bei der Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG (und auch nach § 14 AEntG) auch in der endgültigen Fassung nicht um eine gesetzliche Bürgschaft handeln kann, sondern es sich vielmehr um eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung handelt. 4

Sinn und Zweck

Der Normzweck des § 13 MiLoG besteht wie aufgezeigt zum einen in der effektiven Durchsetzung des Mindestlohnes – für den Fall, dass ein Arbeitgeber, der für einen anderen Unternehmer handelt, seinen Arbeitnehmern nicht den Mindestlohn zahlt – und zum anderen in der Prävention vor der Nichtzahlung des Mindestlohnes bzw. dem freigiebigen Beauftragen anderer Unternehmer. Vielmehr sollen Arbeitgeber dazu bewegt werden, eigene Arbeitnehmer zu beschäftigen und für diese den Mindestlohn zu zahlen. Neben diesem Regelungszweck bezüglich der Sachmaterie „Mindestlohngesetz“ versucht der Gesetzgeber (zumindest) durch den Verweis auf § 14 AEntG und die dortige Rechtslage Rechtssicherheit sowie eine klare Regelung zur Haftung des Auftraggebers zu schaffen. Dafür soll die Rechtslage zu § 14 AEntG also „adaptiert“ werden. Diese Zwecke korrespondieren wiederum nicht mit dem Kreditsicherungszweck der Bürgschaft. Der Gesetzgeber offenbart selbst, dass mit der Auftraggeberhaftung Prävention betrieben werden soll. Die unterschiedliche Zwecksetzung deutet deshalb auch auf eine Einordnung der Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG als gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung hin.

729

Bundesregierung, Kabinettfassung der Bundesregierung (Entwurf), http://www.portalsozialpolitik.de/uploads/sopo/pdf/2014/2014-04-02_BMAS_Tarifautonomiestaerkungsgesetz_ Kabinettfassung.pdf (besucht am 09.04.2018),S. 11.

208 III

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung Die Rolle des Auftraggebers für das Arbeitsverhältnis

Schließlich ergeben sich Unterschiede zwischen der Rolle des Auftraggebers für das Arbeitsverhältnis und der Rolle des Bürgen für das Hauptschuldverhältnis730, welche eine unterschiedliche rechtliche Beurteilung ebenfalls rechtfertigen. Der Auftraggeber hat – ebenso wie ein Bürge – keinerlei Einfluss auf die Vertragsbeziehung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer. Der Auftraggeber wird mithin nicht etwa Partei der Vertragsbeziehung. Dies wird insbesondere auch in den Fällen der Kettenhaftung deutlich, da insofern einerseits eine Vielzahl von Auftraggebern als Haftungsadressaten in Betracht kommen und andererseits ein Auftraggeber auch Haftungsadressat werden kann, wenn er keinerlei unmittelbaren Kontakt zu dem Arbeitgeber und damit zu dem Arbeitsverhältnis hat. Für eine Einbeziehung in das Arbeitsverhältnis fehlt es dann bereits an einem tauglichen Anknüpfungspunkt. Es liegt dann kein arbeitsrechtliches Dreiecksverhältnis vor. Für ein solches ist nach Krüger kennzeichnend, „dass vertragliche Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber einerseits und zwischen Arbeitgeber und Drittem andererseits, nicht jedoch zwischen Arbeitnehmer und Drittem bestehen.“731 Im Falle der Auftraggeberhaftung muss – wie dargelegt – nicht zwingend eine vertragliche Beziehung zwischen Arbeitgeber und Auftraggeber als Drittem bestehen. Der Auftraggeber wird aber kraft Gesetzes für eine gesetzliche Pflicht des Arbeitgebers zu dem Vertragsverhältnis hinzugezogen, er handelt also anders als ein Bürge nicht selbstbestimmt. Die sich daraus ergebende Verpflichtung des Auftraggebers kann auch nicht durch die Vertragsparteien Arbeitgeber und Arbeitnehmer erweitert werden, da der Bezugspunkt der Haftung allein in der gesetzlichen Pflicht zur Leistung eines Mindestentgelts bzw. eines Mindestlohns besteht. Anders als ein Bürge entsteht die Auftraggeberhaftung auch nicht zu dem Zweck, das Schuldverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer überhaupt erst entstehen zu lassen. Dies verdeutlicht, dass die Auftraggeberhaftung nicht der Kreditsicherung dient. Denn es kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis nur deswegen eingeht, weil er um die Auftraggeberhaftung weiß. Die Auftraggeberhaftung hat mithin keine wirtschaftliche Bedeutung für das Arbeitsverhältnis. Auch insofern zeigen sich also erhebliche Unterschiede zwischen der Rolle eines Bürgen und der eines Auftraggebers. Die Auftraggeberhaftung als eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung ist auch aufgrund dieser Unterschiede von der

730 731

Vgl. dazu die Ausführungen oben im Dritten Kapitel. A II 4. Krüger, Arbeitgeberähnliche Pflichten des Dritten in arbeitsrechtlichen Dreieckskonstellationen, S. 22.

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Einordnung der Auftraggeberhaftung

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Bürgschaft dogmatisch abzugrenzen. Im Rahmen der Rechtsfigur der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung lassen sich die Auftraggeberhaftungen nach § 14 AEntG und § 13 MiLoG dabei der Fallgruppe der Haftung für originiär fremde Pflichten zuordnen.732 § 13 MiLoG und § 14 AEntG lösen sich damit in größerem Umfang von den Grundzügen der Bürgschaft. IV

Ergebnis

Sowohl die Auslegung von § 14 Satz 1 AEntG als auch die von § 13 MiLoG zeigen, dass es sich bei der Haftung des Auftraggebers um eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung handelt.733 Anders als eine Bürgschaft entsteht die Haftung nach § 14 AEntG bzw. § 13 MiLoG unabhängig von einem entsprechenden Willen der Parteien; ein Vertrag ist nicht erforderlich, ein solcher wird auch nicht fingiert, sondern die Haftung entsteht kraft Gesetzes. Ferner wird bei der Auftraggeberhaftung für die Verpflichtung eines anderen gehaftet und nicht wie bei der Bürgschaft für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten eingestanden. Der Begriff der „gesetzlichen Bürgschaft“, meint er gegebenenfalls auch eine bürgenähnliche Haftung, ist daher ungenau: Mit diesem Begriff wird ein Sicherungsrecht impliziert, was aber nicht existiert. Es handelt sich deshalb nicht um eine gesetzliche Bürgschaft, sondern bloß um eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. Gleichwohl hat sich der Gesetzgeber mit der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung bei § 14 AEntG einer Rechtsfigur bedient, die den zu lösenden Fall gar nicht abschließend abbilden kann. Zwar ist § 14 AEntG eine Vorschrift zum Schutz der Arbeitnehmer. Aber der eigentliche Zweck der Norm hat mit der Kreditsicherung des Arbeitgebers nicht viel zu tun. Dies gilt gleichermaßen für die Auftraggeberhaftung nach § 13 MiLoG. Schließlich sind § 14 AEntG und § 13 MiLoG in die Fallgruppe der Haftung für originär fremde Pflichten einzuordnen, was sich in der Rolle des Auftraggebers für das Arbeitsverhältnis widerspiegelt. Mithin sind die Einflussmöglichkeiten des Auftraggebers auf das Arbeitsverhältnis als gering zu bewerten.734 Dadurch wird der Sanktionscharakter der Auftraggeberhaftung verdeutlicht, aber auch die vom Gesetzgeber intendierte präventive Wirkung unterstrichen.

732 733 734

Vgl. dazu oben unter Drittes Kapitel. B III 2 a) aa) (2). Andere Ansicht zum Beispiel Berndt DStR 2014, S. 1878 (1883): „gesetzlich angeordnete Bürgenhaftung“; vgl. insofern oben unter Drittes Kapitel. Fn. 392, 393. Vgl. dazu oben unter Drittes Kapitel. B III 2 a) bb).

210

Drittes Kapitel. Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung

Die Rechtsfigur der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung stellt sich zwar für die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG und § 13 MiLoG als dogmatisch schwierig dar. Ihre Zielsetzungen werden dadurch aber – was sich an dieser Stelle anhand der Rolle des Auftraggebers für das Arbeitsverhältnis gezeigt hat – unterstützt. Offen bleibt somit die Frage der rechtlichen Folgen dieser Rechtsfigur: Inwiefern sind die Regelungen des Bürgschaftsrechts auf die Auftraggeberhaftung anwendbar?

Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen: Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts auf die Auftraggeberhaftung Die dogmatische Unterscheidung der Auftraggeberhaftungen nach § 14 AEntG und § 13 MiLoG als Form der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung von der Bürgschaft ist schließlich für die Anwendbarkeit der Regelungen des Bürgschaftsrechts auf die Auftraggeberhaftung entscheidend, wie die folgende Untersuchung zeigen wird. Es wird daher im vierten Kapitel zum einen untersucht, ob und wie die Vorschriften des Bürgschaftsrechts (§§ 765 bis 777 BGB) auf die Auftraggeberhaftung anwendbar sind (dazu A). Zum anderen wird untersucht, ob und wie die Vorschriften außerhalb des Bürgschaftsrechts, die jedoch auch eine Regelung zur Bürgschaft treffen, auf die Auftraggeberhaftung anwendbar sind (dazu B). Bei Letzterem geht es um die Folgen eines Schuldner- oder Gläubigerwechsels, § 401 Abs. 1 BGB und § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB.735

735

Kein Gegenstand der Untersuchung sind etwaige Reaktions- bzw. Handlungsmöglichkeiten eines Auftraggebers, die seine etwaige Inanspruchnahme (im Vorfeld) wirtschaftlich begrenzen können. Dazu aber Bayreuther NZA 2015, S. 961 (967 - 969); Bonanni/Otto ArbRB 2014, S. 349 (349 ff.); Grau/Sittard ArbRB 2014, S. 336 (338 - 339); Greiner in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-ArbR, Stand: 46. Edition 01.12.2017, MiLoG § 13, Rdnr. 14 - 17; Harbrecht BauR 1999, S. 1376 (1378 - 1381); Henkel/Jöris/Röder/Schmitz-Witte/Warden/Wolf, Mindestlohn, S. 81 - 83, mit konkreten Mustertexten, vgl. S. 119 - 122; Heuschmid/Hlava NJW 2015, S. 1719 (1721); Hilgenstock, Das Mindestlohngesetz, Rdnr. 194 - 198; Klötzer-Assion/Mahnhold wistra 2015, S. 88 (92); Koschker CB 2015, S. 269 (271 - 272); Kühn in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau NKGA, AEntG § 14, Rdnr. 12 - 14, insbesondere auch mit Hinweis auf ein „Bürgenfrühwarnsystem“; Legerlotz ArbRB 2011, S. 29 (31 - 32); Maschmann in: Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht, C.432 (Mindestlohn), Rdnr. 72 - 78; Mückl in: Mückl/Pötters/Krause Das Mindestlohngesetz in der betrieblichen Praxis, E. Praxisrisiko Auftraggeberhaftung, Rdnr. 739 ff.; Oltmanns/Fuhlrott NZA 2015, S. 392 (396 - 398); Popella ZWE 2015, S. 163 (166 - 167); Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 36 - 37; Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 64 - 69; Sittard in: Henssler/Willemsen/Kalb Arbeitsrecht Kommentar, MiLoG § 13, Rdnr. 11 - 12; Spielberger/Schilling NJW 2014, S. 2897 (2901); Weise NZBau 2000, S. 229 (229 ff.).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 P. A. Tophof, Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung, Juridicum – Schriften zum Arbeitsrecht, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23384-6_4

212 A

Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen Die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts, §§ 765 ff. BGB

Eine Norm ist stets für den von ihr geregelten Fall unmittelbar anwendbar. Darüber hinaus kann die Norm aber auch vom Gesetz selbst an anderer Stelle in Bezug genommen werden oder es kann sich eine Anwendbarkeit aufgrund vergleichbarer Interessenlagen für einen ungeregelten Fall ergeben. In einem ersten Schritt soll daher im Abstrakten untersucht werden, auf welche Art die Vorschriften des Bürgschaftsrechts auf die Auftraggeberhaftung als Form der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung – auch im Vergleich zu dem Kreditauftrag und der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft – anwendbar sind (dazu I). In einem zweiten Schritt wird dann die (konkrete) Anwendbarkeit jeder einzelnen Vorschrift des Bürgschaftsrechts auf die Auftraggeberhaftung untersucht (dazu II). I

Abstrakte Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts

1

Unmittelbare Anwendbarkeit

Die Regelungen des Bürgschaftsrechts sind unmittelbar für eine bestellte Bürgschaft anwendbar. Da die drei Rechtsfiguren der gesetzlichen Bezugnahme auf die Bürgschaft weder bestellte noch gesetzliche Bürgschaften darstellen, scheidet insofern – zunächst einmal – eine unmittelbare Anwendbarkeit der Regelungen des Bürgschaftsrechts aus. a)

Der Kreditauftrag

Eine unmittelbare Anwendbarkeit der Bürgschaftsregelungen ergibt sich jedoch gleichwohl für den Kreditauftrag. Dogmatisch betrachtet, verweist § 778 BGB – ohne selbst eine Bürgschaft darzustellen – auf das Bürgschaftsrecht, indem die Haftung „als Bürge“ angeordnet wird. Dies hat nicht zwangsläufig eine unmittelbare Anwendbarkeit der Regelungen der Bürgschaft zur Folge; vielmehr könnte hier auch eine entsprechende Anwendbarkeit in Betracht kommen. Gleichwohl spricht die vom Gesetzgeber gewählte besondere Regelungstechnik für eine unmittelbare Anwendbarkeit. Die unmittelbare Anwendbarkeit des Rechts der Bürgschaft auf einen Kreditauftrag ergibt sich vor allem aus dessen systematischer Stellung im Recht der Bürgschaft selbst. Der Gesetzgeber hat hier die Anwendung der Bürgschaftsregelungen für das Verhältnis zwischen Auftraggeber und Beauftragtem für die Zeit nach der Leistung des Darlehens oder der Finanzierungshilfe durch den Beauftragten als gesetzliche Folge angeordnet. Von Bedeutung ist überdies die Formulierung der Haftung „als Bürge“. Durch eine unmittelbare Anwendbarkeit des Bürg-

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Die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts, §§ 765 ff. BGB

213

schaftsrechts trägt man dem zur gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung unterschiedlichen Wortlaut Rechnung. Obgleich der Kreditauftrag keine (gesetzliche) Bürgschaft ist, finden die (relevanten) Regelungen des Bürgschaftsrechts unmittelbare Anwendung.736 § 778 BGB ist somit ein besonderer (einzigartiger) Entstehungstatbestand für die unmittelbare Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts. b)

Die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft und die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung

Eine gesetzliche Anordnung zur unmittelbaren Anwendung des Bürgschaftsrechts kann weder der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft noch der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung entnommen werden. Dafür fehlt es einerseits an der Verortung der Tatbestände im Recht der Bürgschaft. Die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft ist darüber hinaus – wie eben der Begriff schon impliziert – keine Bürgschaft, sodass dies ebenfalls die unmittelbare Anwendung sperrt. Bei der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung besteht lediglich die Haftung „wie ein Bürge“. Damit wird ein Unterschied hinsichtlich der Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts im Vergleich zum Kreditauftrag verdeutlicht. Es kann eben gerade nicht von einer unmittelbaren Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts ausgegangen werden. 2

Entsprechende oder analoge Anwendbarkeit

Die Regelungen des Bürgschaftsrechts sind also auf die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft sowie auf die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung nicht unmittelbar anwendbar. Dies schließt indes nicht jegliche Anwendbarkeit aus. Es kommt insofern vielmehr eine entsprechende oder analoge Anwendbarkeit der Bürgschaftsregelungen in Betracht. a)

Dogmatische Unterschiede

Die Begriffe „analog“ und „entsprechend“ werden zum Teil synonym verwendet.737 Dies mag vertretbar sein, spricht man von dem Fall, dass eine Rechtsnorm zur An-

736

737

Vgl. dazu Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 778, Rdnr. 9; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 778, Rdnr. 14; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 778, Rdnr. 25. So zum Beispiel Kohler NJW 1984, S. 2849 (2849 ff.), der im Falle von §§ 994 ff. BGB die Begriffe „analoge Anwendung“ und „entsprechende Anwendung“ synonym verwendet; anders hingegen für diesen Fall Assmann in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand:

214

Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

wendung gelangen soll, ohne dass eine gesetzliche Anordnung vorliegt.738 Die synonyme Verwendung kann indes Verwirrung stiften, denn das Gesetz kennt selbst Fälle, in denen es (ausdrücklich) die Anwendung von bestimmten Vorschriften anordnet, dies unter anderem mit dem Begriff „entsprechend“.739 Die beiden Arten der Anwendung einer gesetzlichen Norm sind daher nach hiesiger Auffassung dogmatisch zu unterscheiden. Es wird dabei wie folgt unterschieden: Die analoge Anwendung bezieht sich auf den Fall, dass eine Rechtsnorm ohne gesetzliche Anordnung zur Anwendung gebracht wird (dazu aa)). Die entsprechende Anwendung bezieht sich hingegen auf den Fall, dass eine Rechtsnorm aufgrund gesetzlicher Anordnung zur Anwendung gebracht wird (dazu bb)). Diese dogmatischen Unterschiede zwischen der analogen und der – nach hiesigem Verständnis – entsprechenden Anwendung einer Rechtsnorm, aber auch deren jeweiligen Voraussetzungen sollen zum Verständnis der weiteren Untersuchung zunächst – in gebotener Kürze – dargestellt werden. aa) Analogieschluss Bei der Analogie handelt es sich um die Erstreckung von Rechtsfolgen einer Norm, die aufgrund ihrer Tatbestandsvoraussetzungen für einen bestimmten Fall gilt, auf einen anderen Fall, für welchen die Norm nicht unmittelbar gilt.740 Die Analogie stellt also eine gesetzesergänzende Rechtsfortbildung dar.741 Die „Erstreckung“ einer Rechtsnorm über ihren Anwendungsbereich hinaus auf eine andere Rechtsnorm ist nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich.742 Der Bundesgerichtshof formuliert dazu exemplarisch: „Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so

738

739 740 741 742

01.10.2017, BGB § 888, Rdnr. 149.1, der zwischen entsprechender und analoger Anwendung differenziert. So Leipold, BGB I: Einführung und Allgemeiner Teil, § 5 Methodische Hinweise zur Anwendung des Gesetzes, Rdnr. 12, der aber ausdrücklich auf die Abgrenzung zur gesetzlichen Anordnung hinweist. Siehe Fußnote 2 bei Leipold, BGB I: Einführung und Allgemeiner Teil, § 5 Methodische Hinweise zur Anwendung des Gesetzes, Rdnr. 12. Reimer, Juristische Methodenlehre, Rdnr. 555. Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 472. Vgl. eingehend Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 475 ff.; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 247 ff.; Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 202 ff.; Rüthers/Fischer/Bork, Rechtstheorie mit Juristischer Methodenlehre, Rdnr. 889 ff.; Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 87 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 55 ff.; vgl. zur historischen Entwicklung des Analogieschlusses insbesondere Langhein, Das Prinzip der Analogie als juristische Methode., jeweils m. w. N.

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Die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts, §§ 765 ff. BGB

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weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen.“743 Es muss mithin eine planwidrige Regelungslücke vorliegen und der ungeregelte und geregelte Sachverhalt müssen wertungsgleich sein.744 Letzteres erfordert, dass die Interessenlage des zu entscheidenden Falles mit dem gesetzlich geregelten Fall hinreichend vergleichbar ist.745 Der Analogieschluss kann dabei unterteilt werden in die Gesetzesanalogie, die Rechtsanalogie, den Schluss vom Kleineren auf das Größere und schließlich den Schluss vom Größeren auf das Kleinere.746 Da es bei der Untersuchung allein um die Frage geht, ob und inwiefern die Vorschriften des Bürgschaftsrechts auf die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft bzw. die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung anwendbar sind, interessiert hier insoweit nur die Gesetzesanalogie. Bei dieser wird eine einzelne Gesetzesvorschrift für einen ungeregelten Lebenssachverhalt herangezogen.747 bb) Entsprechende Anwendung einer Rechtsnorm Wie bereits im Rahmen der Verweisung von § 13 MiLoG auf § 14 AEntG dargestellt748, findet die entsprechende Anwendung einer Rechtsnorm stets aufgrund einer Verweisung des Gesetzes statt. Für eine Analogie fehlt es in diesen Fällen dann bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Zwar hat der Gesetzgeber keine konkreten Regelungen für den zu entscheidenden Fall getroffen, sodass insofern zwar in der Vorschrift selbst eine Regelungslücke vorliegt. Durch den Verweis auf eine andere Vorschrift schließt der Gesetzgeber diese Lücke aber wiederum.749

743 744 745 746 747 748

749

BGH, Urteil vom 13.03.2003 – I ZR 290/00, NJW 2003, S. 1932 (1933). Siehe auch Reimer, Juristische Methodenlehre, Rdnr. 562. Leipold, BGB I: Einführung und Allgemeiner Teil, § 5 Methodische Hinweise zur Anwendung des Gesetzes, Rdnr. 13. Rüthers/Fischer/Bork, Rechtstheorie mit Juristischer Methodenlehre, Rdnr. 891 f.; Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 87. Vgl. Rüthers/Fischer/Bork, Rechtstheorie mit Juristischer Methodenlehre, Rdnr. 892; Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 88 - 90. Vgl. oben unter Zweites Kapitel. B IV 1. Die Doppelung ist hier bewusst gewählt, um die Unterschiede zwischen einem Analogieschluss und der entsprechenden Anwendung an dieser Stelle gegenüber zu stellen. Rüthers/Fischer/Bork, Rechtstheorie mit Juristischer Methodenlehre, Rdnr. 132 sprichen insofern davon, dass es sich bei dem Verweis des Gesetzgebers „also um eine gesetzgeberische Form der Analogie“ handelt.

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Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

Die Verweisung kann, muss aber nicht zwingend durch die explizite Verwendung des Wortes „entsprechend“ geschehen. Die entsprechende Anwendung einer Rechtsnorm kann sich auch aus der Norm heraus von selbst verstehen. In beiden Fällen ist die in Bezug genommene Rechtsnorm allein im Rahmen des Sinnvollen zur Anwendung zu bringen.750 Insofern besteht ein wesentlicher Unterschied zur teleologischen Reduktion: Bei der entsprechenden Anwendbarkeit muss die Anwendbarkeit der Norm – positiv – begründet werden, bei der teleologischen Reduktion ist die Norm qua Gesetz anwendbar und es muss deren Nichtanwendbarkeit – negativ – begründet werden. Hinsichtlich der Art und Weise der Verweisung kann weiterhin zwischen einer Rechtsfolgen- und einer Rechtsgrundverweisung differenziert werden. Bei Ersterer enthält die Verweisungsnorm einen eigenen Tatbestand, die Rechtsfolgen ergeben sich dann aber aus der Zielnorm. Deren etwaige Tatbestandsvoraussetzungen müssen für die Anwendbarkeit der Rechtsfolgen aber nicht mehr erfüllt sein. Bei einer Rechtsgrundverweisung müssen hingegen nicht nur die Tatbestandsvoraussetzungen der Verweisungsnorm erfüllt sein. Es müssen auch die Tatbestandsvoraussetzungen der Zielnorm vorliegen. Die Verweisungsnorm verweist somit auf die gesamte Zielnorm.751 cc) Zwischenergebnis Der Analogieschluss und die entsprechende Anwendung einer Rechtsnorm werden nach hiesigem Verständnis danach unterschieden, ob es sich um die Anwendung einer Vorschrift ohne oder gerade aufgrund gesetzlicher Anordnung handelt. Sowohl bei der Analogie als auch bei der entsprechenden Anwendung einer Rechtsnorm sind im Ergebnis teleologische Erwägungen maßgeblich. Die Vorgehensweise und die Voraussetzungen unterscheiden sich indes, sodass sich zunächst die Frage stellt, auf welche Art und Weise die Vorschriften des Bürgschaftsrechts auf die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft und die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung zur Anwendung gebracht werden können: analog oder entsprechend? b)

Einordnung

Für die Einordnung der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft und der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung im Abstrakten bedarf es damit zunächst der Untersuchung, ob jeweils Regelungslücken vorliegen. Liegen solche vor, der Gesetzgeber spricht aber einen Verweis aus, kommt eine entsprechende Anwendung der Vorschriften des Bürgschaftsrechts in Betracht. Liegen solche vor, ohne dass ein Verweis aus750 751

Reimer, Juristische Methodenlehre, Rdnr. 444. Vgl. dazu Wörlen/Leinhas JA 2006, S. 22 (23).

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gesprochen ist, kommt eine analoge Anwendung der Vorschriften des Bürgschaftsrechts in Betracht. Dafür müssten dann aber über das „Lückenerfordnis“ hinaus die Voraussetzungen des Analogieschlusses vorliegen. aa) Die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft Im Rahmen der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft besteht beispielsweise keine Regelung, die einen Übergang der Hauptforderung auf den in Anspruch genommenen Haftenden vorsieht, wenn dieser auf seine eigene Schuld geleistet hat. Es findet sich aber keine ausdrückliche Verweisung auf das Bürgschaftsrecht, etwa in Form der Anordnung der entsprechenden Anwendung der Bürgschaftsregelungen. Die einschlägigen Vorschriften (§ 128 HGB und § 322 AktG) weisen überdies von ihrem Wortlaut her keinen konkreten Bezug zum Bürgschaftsrecht auf. Die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft ergibt sich allein aus der Auslegung der Normen sowie dem Zusammenspiel verschiedener Normen, die ferner zum Teil speziellere Regelungen als das Bürgschaftsrecht beinhalten. Der Gesetzgeber hat zwar mit dem System der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft eine für den Haftenden mit einem Bürgen vergleichbare Stellung geschaffen, also auf das Bürgschaftsrecht in einer gewissen Weise Bezug genommen. Diese Bezugnahme hat er aber nicht so konkret hergestellt, dass etwa eine entsprechende Anwendung der Vorschriften des Bürgschaftsrechts gewollt sein konnte (daher auch nur Haftung nach Vorbild der Bürgschaft). Eine entsprechende Anwendung ist weder aus der ausdrücklichen Anordnung noch aus den zu beurteilenden Normen selbst heraus zu verstehen. Es kann demnach nicht von einer Rechtsgrundverweisung des Gesetzgebers die Rede sein, aus der eine entsprechende Anwendung der Bürgschaftsregelungen folgte. Vielmehr hat der Gesetzgeber ein System geschaffen, in welchem bereits konkrete Regelungen vorhanden sind, die gleichfalls im Bürgschaftsrecht existieren. Gleichwohl hat der Gesetzgeber in diesem System auch Lücken gelassen. Die Schließung dieser Lücken kann daher – im Abstrakten gesprochen – durch einen Analogieschluss erfolgen, sofern die besonderen Voraussetzungen erfüllt sind. Auf die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft können die Vorschriften der Bürgschaft daher analog anwendbar sein. bb) Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung Die Tatbestände der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung weisen jeweils Lücken hinsichtlich der Haftungsfolgen auf. Diese Lücken werden aber, anders als bei

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Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft, aufgrund eines gesetzlichen Verweises geschlossen: Zwar ordnet der Gesetzgeber nicht ausdrücklich eine „entsprechende“ Anwendung der Vorschriften des Bürgschaftsrechts an. Gleichwohl wird die entsprechende Anwendung der Vorschriften des Bürgschaftsrechts durch die Formulierung „wie ein Bürge“ angeordnet. Die entsprechende Anwendung der Rechtsnormen versteht sich auch von selbst aus der jeweiligen Norm heraus. Eine planwidrige Regelungslücke liegt mithin nicht vor, ein Analogieschluss scheidet daher von vornherein aus. Die Vorschriften des Bürgschaftsrechts sind damit im Abstrakten entsprechend auf die Tatbestände der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung, das heißt im Rahmen des „teleologisch Passenden“752, anzuwenden. Der jeweilige Verweis auf die Vorschriften des Rechts der Bürgschaft kann entweder einen Rechtsfolgenverweis oder einen Rechtsgrundverweis darstellen. Die Tatbestände der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung weisen (grundsätzlich – zu einer vermeintlichen Ausnahme siehe sogleich § 13 MiLoG) eigene Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung der Haftung auf. Der Entstehungstatbestand des § 765 Abs. 1 BGB ist für die Haftungen ohne Bedeutung. Das heißt, dass auf das Recht der Bürgschaft verwiesen wird, dieser Verweis sich aber alleinig auf die Rechtsfolgen der Bürgschaft (als gesamte Rechtsfigur) bezieht, ohne dass die Entstehungsvoraussetzungen einer Bürgschaft vorliegen müssen. Insofern handelt es sich bei den Verweisen um Rechtsfolgenverweise auf die Rechtsfigur der Bürgschaft. Eine vermeintliche Ausnahme könnte jedoch in der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung nach § 13 MiLoG i. V. m. § 14 Satz 1 AEntG gesehen werden. § 13 MiLoG verweist in der Form einer Rechtsgrundverweisung auf § 14 Satz 1 AEntG. § 14 Satz 1 AEntG verweist – wie soeben herausgestellt – in der Form einer Rechtsfolgenverweisung auf das Recht der Bürgschaft. Mithin stellt § 13 MiLoG eine Rechtsgrundverweisung und eine Rechtsfolgenverweisung dar.753 Der Verweis auf das Recht der Bürgschaft bleibt aber ein Rechtsfolgenverweis, sodass § 13 MiLoG im Ergebnis keine Ausnahme zu dem zuvor gebildeten Prinzip darstellt. Das Recht der Bürgschaft ist demnach im Abstrakten entsprechend auf die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung anzuwenden. Die jeweiligen Verweise stellen sich als Rechtsfolgenverweise dar.

752 753

Vgl. Reimer, Juristische Methodenlehre, Rdnr. 444. So auch Forst in: Boecken/Düwell/Diller/Hanau NK-GA, MiLoG § 13, Rdnr. 3.

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Die Rechtsprechung geht wohl, soweit sie sich dazu zu den jeweiligen Tatbeständen überhaupt geäußert hat, von einer unmittelbaren Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts aus.754 Im Schrifttum werden sowohl eine unmittelbare755 als auch eine entsprechende756 Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts auf die Tatbestände der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung vertreten. Dies hängt (wohl) im Wesentlichen mit dem jeweiligen Verständnis von der Rechtsnatur der Tatbestände zusammen. Da aber schon die Rechtsnatur keiner Begründung zugeführt wurde, fehlt eine solche erst recht für die Art der Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts. Eine nähere Auseinandersetzung mit den verschiedenen Stimmen ist daher nicht möglich. 3

Ergebnis

Die Regelungen des Bürgschaftsrechts sind auf den Kreditauftrag unmittelbar anwendbar. Für die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft können die Vorschriften des Bürgschaftsrechts analog anwendbar sein, wenn die besonderen Analogievoraussetzungen jeweils vorliegen. Für die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung können die Vorschriften des Bürgschaftsrechts dahingegen entsprechend anwendbar sein, wenn Sinn und Zweck der jeweiligen Vorschrift auf den jeweiligen Tatbestand der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung übertragbar sind. Damit wird zudem ein „Rangverhältnis“ zwischen den drei Rechtsfiguren deutlich, wenn man auf 754 755

756

So jedenfalls im Ergebnis für § 1a AEntG a. F.: BAG, Beschluss vom 06.11.2002 – 5 AZR 617/01 (A), NZA 2003, S. 490 (492). Im Ergebnis so für § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB u. a.: Harke in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.01.2018, BGB § 566, Rdnr. 73 ff.; Streyl in: Schmidt-Futterer/Blank Mietrecht, BGB § 566, Rdnr. 146; für § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB u. a.: Förster in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.01.2018, BGB § 1251, Rdnr. 12; für § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG u. a.: Wegner in: Ahlberg/Götting BeckOK-UrhR, Stand: 18. Edition 01.04.2017, VerlG § 36, Rdnr. 11; im Ergebnis ausdrücklich für § 98a Abs. 3 AufenthG FunkeKaiser in: Fritz/Vormeier GK-AufenthG, Stand: Mai 2012, AufenthG § 98a, Rdnr. 19; wohl auch Wunderle in: Bergmann/Dienelt Ausländerrecht, AufenthG § 98a, Rdnr. 10; für § 53 Abs. 10 S. 7 BRAO: Römermann/Günther in: Römermann BeckOK-BORA, Stand: 18. Edition 01.12.2017, BRAO § 53, Rdnr. 42; Scharmer in: Hartung/Scharmer BRAO/FAO, BRAO § 53, Rdnr. 163; Schwärzer in: Feuerich/Weyland BRAO, BRAO § 53, Rdnr. 72; Tauchert/Dahns in: Gaier/Wolf/Göcken Anwaltliches Berufsrecht, BRAO § 53, Rdnr. 61; für § 14 Satz 1 AEntG u. a.: Lakies in: Däubler TVG, Anhang 2 zu § 5 TVG: AEntG § 14, Rdnr. 21; Mohr in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 14, Rdnr. 26; und für § 13 MiLoG u. a.: Hilgenstock, Das Mindestlohngesetz, Rdnr. 187; Lakies, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 18; Lelley in: Thüsing MiLoG/AEntG, MiLoG § 13, Rdnr. 17; Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 15; Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 55. So zum Beispiel für § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB, § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB und § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, Vorbemerkungen zu §§ 765 - 778, Rdnr. 126; für § 14 Satz 1 AEntG: Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 34.

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Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

deren Nähe zu den Rechtsfolgen der Bürgschaft blickt: Der Kreditauftrag ist der Bürgschaft am nächsten, gefolgt von der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung. Die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft bildet sozusagen das „Schlusslicht“. II Die entsprechende Anwendung des Bürgschaftsrechts auf die Auftraggeberhaftung Für die Rechtsfigur der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung – und somit für die Auftraggeberhaftungen nach § 14 AEntG und § 13 MiLoG – kommt im Abstrakten eine entsprechende Anwendung der Regelungen des Bürgschaftsrechts in Betracht.757 Welche Regelungen dies im Konkreten sind und inwieweit sie aufgrund teleologischer Erwägungen in dem einen und in dem anderen Fall anzuwenden sind, ist Gegenstand der nun folgenden Untersuchung. Bei jeder Vorschrift stellt sich mithin die Frage, ob der jeweilige Zweck und die Interessenlage auch für die Auftraggeberhaftung anwendbar sind bzw. mit dieser übereinstimmen. 1

Entstehungsvoraussetzungen, §§ 765, 766 BGB

Die Entstehungsvoraussetzungen einer Bürgschaft, die in §§ 765, 766 BGB normiert sind, sind allein auf den Fall einer rechtsgeschäftlichen Entstehung bezogen. Für eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung und somit auch für die Auftraggeberhaftung sind sie nicht anwendbar. Denn aus teleologischer Sicht entspricht es nicht dem Willen des Gesetzgebers, dass es für die Fälle der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung eines gesonderten Vertrages bedarf. Vielmehr soll die Auftraggeberhaftung allein kraft Gesetzes unabhängig vom Willen des Auftraggebers und des Auftragnehmers bzw. Arbeitgebers entstehen.758 Eine Anwendung der §§ 765, 766 BGB würde also den Sinn der gesetzlichen Anordnung vereiteln. Demnach kann auch nicht etwa ein Schriftformerfordernis bezüglich der Auftraggeberhaftung gefordert werden. Denn von dem Schriftformerfordernis wäre, wenn überhaupt, nur die Haftung selbst umfasst und nicht etwa ein hinter der Haftung stehender Vertrag zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Die Warnfunktion der Schriftform ist für den Personenkreis der potentiellen Haftungsverpflichteten somit

757

758

So auch, aber ohne nähere Begründung, für § 14 AEntG Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 34; und für § 13 MiLoG Berndt DStR 2014, S. 1878 (1883); Hlava, in: Husemann/Wietfeld, Zwischen Theorie und Praxis - Herausforderungen des Arbeitsrechts, Anspruch und Wirklichkeit des gesetzlichen Mindestlohns, S. 95 (122); Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 24; andere Ansicht Kühn/Reich BB 2014, S. 2938 (2940), diese gehen wohl von einer unmittelbaren Anwendbarkeit aus; so auch Oltmanns/Fuhlrott NZA 2015, S. 392 (395). Vgl. dazu Zweites Kapitel. A IV 3 b).

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Die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts, §§ 765 ff. BGB

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durch die gesetzliche Anordnung selbst gewahrt. Dies stellt auch nicht etwa eine gänzliche Abkehr zur gesetzlichen Konzipierung der Bürgschaft dar, denn auch im Rahmen einer Bürgschaft gilt das Schriftformerfordernis – wie dargestellt759 – gemäß § 350 HGB nicht, wenn die Bürgschaft auf Seiten des Bürgen ein Handelsgeschäft ist. Da durch die Auftraggeberhaftung nur ein Unternehmer in die Haftung genommen werden kann (und nicht ein Verbraucher), kann man seine Position mit der eines Kaufmanns vergleichen (wenn er nicht sogar Kaufmann ist) – beide Personengruppen sind nicht absolut schutzbedürftig. Insbesondere der Mangel an einer gesonderten schriftlichen Fixierung der Auftraggeberhaftung wird durch die gesetzliche Anordnung der Haftung selbst ausgeglichen. Die §§ 765, 766 BGB sind daher auf die Auftraggeberhaftung nicht anwendbar. 2

Umfang der Bürgschaftsschuld, § 767 BGB

§ 767 BGB konkretisiert die Akzessorietät der Bürgschaft und dient primär dem Schutz des Bürgen, berücksichtigt aber auch die Interessen des Gläubigers.760 Es wird insofern ein Ausgleich zwischen einerseits dem Sicherungsinteresse des Gläubigers und andererseits dem Interesse des Bürgen an der „Kalkulierbarkeit seiner Haftung“ hergestellt.761 a)

§ 767 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB

Gemäß § 767 Abs. 1 Satz 1 BGB ist für die Verpflichtung des Bürgen der jeweilige Bestand der Hauptverbindlichkeit maßgebend. Dies gilt nach Satz 2 insbesondere auch, wenn die Hauptverbindlichkeit durch Verschulden oder Verzug des Hauptschuldners geändert wird. § 767 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB sind dabei, weil sie Ausdruck der Akzessorietät der Bürgschaftsverpflichtung sind, welche auch für die Auftraggeberhaftung gilt, (grundsätzlich) entsprechend anwendbar. Der Auftraggeber soll gerade in Höhe der „Hauptschuld“ haften. Dabei ist der Umfang der Haftung aber durch § 14 Satz 2 AEntG eingeschränkt, wenn danach der Auftraggeber allein auf den Nettolohn und nicht – wie normalerweise bei der Bürgschaft – auf die gesamte Forde-

759 760 761

Vgl. Drittes Kapitel. A II 1 b). Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 767, Rdnr. 2. So Rohe in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 767, Rdnr. 1.

222

Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

rung haftet. Maßgebend für die Berechnung des Nettolohns ist aber der Bruttolohn, also die Hauptverbindlichkeit.762 b)

§ 767 Abs. 1 Satz 3 BGB

Fraglich ist aber bei der Auftraggeberhaftung, ob die Regelung des § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB Anwendung findet. Danach wird die Verpflichtung des Bürgen durch ein Rechtsgeschäft, das der Hauptschuldner nach der Übernahme der Bürgschaft vornimmt, nicht erweitert.763 Hierbei handelt es sich um ein „Verbot der Fremddisposition“, das heißt, der Hauptschuldner soll nicht zum Nachteil des Bürgen über den Umfang der Haftung disponieren können.764 Denn insofern handelt es sich rechtlich betrachtet um eine neue Verbindlichkeit, für die sich der Bürge gerade nicht verpflichtet hat. Vielmehr müsste er sich durch einen weiteren Bürgschaftsvertrag erneut verpflichten.765 Bei der Auftraggeberhaftung entsteht in dem jeweils relevanten Zeitpunkt – namentlich der Beauftragung des anderen Unternehmers – eine Haftung für jegliche in Bezug genommenen Verpflichtungen des originären Schuldners. Dabei kommt es indes nicht darauf an, dass die Verpflichtungen schon in dem relevanten Zeitpunkt bestanden. Der originäre Schuldner kann also vielmehr seine eigenen Verpflichtungen auch nach dem Entstehen der Haftung mit Wirkung für die Haftung erweitern, beispielsweise durch die Weitergabe der Werk- oder Dienstleistung an einen weiteren Unternehmer. Für die Auftraggeberhaftung findet § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB somit keine entsprechende Anwendung. Der Gesetzgeber eröffnet demnach mit der Auftraggeberhaftung die Möglichkeit einer „einseitigen Leistungsbestimmung“ durch den Auftragnehmer, die im vertraglichen Bereich grundsätzlich nach billigem Ermessen zu treffen ist (vgl. § 315 BGB). Im Rahmen der Auftraggeberhaftung ist der Auftragnehmer nicht an ein billiges Ermessen gebunden. Vielmehr ist er an die durch das Gesetz gesteckten Grenzen gebunden: Entscheidend ist mithin, dass der Einsatz eigener Arbeitnehmer durch den Auftragnehmer oder die Einschaltung weiterer Nachunternehmer der Erbringung der vom Auftraggeber beauftragten Werk- oder Dienstleistung dient. Etwaige vertragliche Ab762

763 764 765

Zum Haftungsumfang bei § 14 AEntG vgl. Seifert in: Kempen/Zachert TVG, Anhang 1 zu § 5: AEntG § 14, Rdnr. 12; zum Haftungsumfang bei § 13 MiLoG vgl. zum Beispiel Lakies, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 23 - 27, jeweils m. w. N. Vgl. zu verschiedenen Erweiterungsmöglichkeiten eingehend Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 139 - 145. Vgl. Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 767, Rdnr. 38; Madaus in: Gsell/ Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 767, Rdnr. 39 ff. Vgl. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 371.

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reden zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, die beispielsweise eine Höchstzahl an einzusetzenden Arbeitnehmern oder ein Verbot der Beauftragung weiterer Unternehmer vorsehen, haben gegebenenfalls Auswirkungen auf vertragliche Regressansprüche des Auftraggebers gegen den Auftragnehmer oder können etwaige Vertragsstrafen des Auftragnehmers auslösen. Für die gesetzlich angeordnete Auftraggeberhaftung haben sie indes keine Auswirkungen: Einerseits würden sie den Zweck der Haftung vereiteln. Andererseits ist die vertragliche Beziehung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer unerheblich; es kommt – wie dargelegt – allein auf die Beauftragung mit einer Werk- oder Dienstleistung an.766 Das Verbot der Fremddisposition des § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB greift demnach für die Auftraggeberhaftung nicht. c)

§ 767 Abs. 2 BGB

Gemäß § 767 Abs. 2 BGB haftet der Bürge für die dem Gläubiger von dem Hauptschuldner zu ersetzenden Kosten der Kündigung und der Rechtsverfolgung.767 Hierbei handelt es sich um Nebenforderungen, für die der Bürge aus seiner Einstandspflicht selbst grundsätzlich nicht haftet. Die ausnahmsweise Haftung für diese Nebenforderungen ergibt sich erst aus der Normierung in § 767 Abs. 2 BGB.768 Aus § 14 AEntG und § 13 MiLoG ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Auftraggeber für derartige Kosten des von der Haftung begünstigten Arbeitnehmers ausgenommen sein soll. Insbesondere der Zweck der effektiven Durchsetzung des Mindestentgelts bzw. des Mindestlohns spricht für eine entsprechende Anwendung des § 767 Abs. 2 BGB. d)

Zwischenergebnis

§ 767 BGB ist damit mit Ausnahme von Absatz 1 Satz 3 auf die Auftraggeberhaftung entsprechend anwendbar. 3

Einreden und Einwendungen, §§ 768 und 770 BGB sowie §§ 771 bis 773 BGB

Die §§ 768 und 770 BGB sowie §§ 771 bis 773 BGB regeln die dem Bürgen zustehenden Einreden und Einwendungen. Bürgschaftsbezogene Einwendungen bzw. Einwendungen bezogen auf die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung kön766 767

768

Vgl. dazu oben für § 14 AEntG unter Zweites Kapitel. A IV 3 und für § 13 MiLoG unter Zweites Kapitel. B IV 2 c). Zu Einzelheiten vgl. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKommBGB Band 6, BGB § 767, Rdnr. 8 - 9; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 767, Rdnr. 27 - 29. Vgl. dazu Drittes Kapitel. A II 2 a) aa).

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Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

nen durch den Auftraggeber daneben nur insofern geltend gemacht werden, als es um die Entstehungsvoraussetzungen des § 14 Satz 1 AEntG bzw. des § 13 MiLoG geht.769 Etwa eine Sittenwidrigkeit, eine Anfechtung oder ein Wegfall der Geschäftsgrundlage können bezogen auf die Auftraggeberhaftung aufgrund ihrer gesetzlichen Entstehung nicht geltend gemacht werden.770 Denn entscheidend ist insofern, dass die Auftraggeberhaftung kraft Gesetzes entsteht, also unabhängig von einer etwaigen Willenserklärung des Auftraggebers, sodass diesem auch nicht die Möglichkeit eröffnet sein kann, die Wirksamkeit einer Willenserklärung anzugreifen. a)

§ 768 BGB

Nach § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Bürge die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen.771 Der Bürge kann sich nach Satz 2 im Falle des Versterbens des Hauptschuldners nicht darauf berufen, dass der Erbe für die Verbindlichkeit nur beschränkt haftet. Nach § 768 Abs. 2 BGB verliert der Bürge eine Einrede nicht dadurch, dass der Hauptschuldner auf sie verzichtet. Diese Vorschrift gründet in der akzessorischen Natur der Bürgschaft.772 Sie dient nicht nur dem Schutz des Bürgen, sie erweitert überdies auch die Akzessorietät der Bürgschaft in Bezug auf die Einreden des Hauptschuldners.773 Das heißt, dass der Gläubiger seinen Anspruch gegenüber

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770

771 772 773

Als eigene Einrede des Auftraggebers kommt beispielsweise die Einrede der unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB in Betracht durch kollusives Zusammenwirken von Auftragnehmer und Arbeitnehmer, vgl. zu § 14 AEntG Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, ArbeitnehmerEntsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 48; vgl. zu § 13 MiLoG Oltmanns/Fuhlrott NZA 2015, S. 392 (395); Riechert/Nimmerjahn, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 50; in diesem Fall ist die Inanspruchnahme des Auftraggebers ausgeschlossen. Vgl. zur Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft Horn, Bürgschaften und Garantien, Rdnr. 172 ff.; Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 182 - 188; Looschelders, Schuldrecht Besonderer Teil, Rdnr. 957 - 960; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rdnr. 172 - 213; Schmolke JuS 2009, S. 585 (587ff.); vgl. zur Anfechtung des Bürgschaftsvertrages Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 174 - 178; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rdnr. 214 - 217; vgl. zum Wegfall der Geschäftsgrundlage Horn, Bürgschaften und Garantien, Rdnr. 219 ff.; Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 179; Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rdnr. 218 - 235. Vgl. zu verschiedenen Beispielen von Einreden Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 147 - 151. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 369. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 768, Rdnr. 1; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 768, Rdnr. 1; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 768, Rdnr. 2; Rohe in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 768, Rdnr. 1 mit Verweis auf BGH NJW 2016, 3158 (3160).

A

Die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts, §§ 765 ff. BGB

225

dem Bürgen nur in dem Umfang durchsetzen können soll, wie er es auch gegenüber dem Hauptschuldner könnte.774 Auf die Auftraggeberhaftung ist dieser Zweck ebenfalls anwendbar. Die entsprechende Anwendbarkeit des § 768 BGB verhindert überdies auch nicht die Wirksamkeit der Haftung. Der Gläubiger wird nicht schlechter gestellt, da er bei der Inanspruchnahme des eigentlichen Schuldners ebenfalls mit diesen Einreden rechnen muss. § 768 BGB ist demnach auf die Auftraggeberhaftung entsprechend anwendbar. b)

§ 770 BGB

Nach § 770 Abs. 1 BGB kann der Bürge überdies die Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange dem Hauptschuldner das Recht zusteht, das seiner Verbindlichkeit zugrunde liegende Rechtsgeschäft anzufechten. Dabei ist weitgehend anerkannt, dass diese Norm analog auf sonstige Gestaltungsrechte des Hauptschuldners anzuwenden ist.775 Zu diesen Gestaltungsrechten zählen unter anderem das Widerrufsrecht, das Rücktrittsrecht und die Kündigung.776 Eine dem § 768 Abs. 2 BGB vergleichbare Vorschrift sieht § 770 BGB nicht vor; § 768 Abs. 2 BGB ist auch nicht analog anwendbar. Ein Verzicht des Hauptschuldners wirkt sich also auch für den Bürgen – negativ – aus.777 Nach § 770 Abs. 2 BGB kann der Bürge schließlich die Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange sich der Gläubiger durch Aufrechnung gegen eine Forderung des Hauptschuldners befriedigen kann.

774

775

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777

Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 768, Rdnr. 1; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 768, Rdnr. 2. Vgl. dazu BGH, Urteil vom 10.01.2006 – VI ZR 169/05, NJW 2006, S. 845 (846); Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 770, Rdnr. 6; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 770, Rdnr. 20; Zetzsche in: Erman BGB, BGB § 770, Rdnr. 7; andere Ansicht Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 265; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 770, Rdnr. 8 - 13 jeweils m. w. N. Vgl. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 770, Rdnr. 6; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 770, Rdnr. 20ff.; Prütting in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdiger/Junker jurisPK-BGB, Band 2, Stand: 01.12.2016, BGB § 770, Rdnr. 3; Zetzsche in: Erman BGB, BGB § 770, Rdnr. 7. Vgl. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 770, Rdnr. 6; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 770, Rdnr. 7; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 770, Rdnr. 18; Prütting in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdiger/Junker jurisPK-BGB, Band 2, Stand: 01.12.2016, BGB § 770, Rdnr. 2; Sprau in: Palandt, BGB § 770, Rdnr. 1; Stadler in: Jauernig BGB, BGB § 770, Rdnr. 4; Staudinger in: Schulze Hk-BGB, BGB § 770, Rdnr. 3; Zetzsche in: Erman BGB, BGB § 770, Rdnr. 1.

226

Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

Auch § 770 Abs. 1 BGB stellt eine Erweiterung des Akzessorietätsgrundsatzes dar – in diesem Falle jedoch hinsichtlich Gestaltungsrechten des Hauptschuldners.778 § 770 Abs. 2 BGB hingegen ist eine Erweiterung des § 771 BGB und ist damit eine Ausprägung des Grundsatzes der Subsidiarität; § 770 Abs. 2 BGB gilt dabei auch für den selbstschuldnerischen Bürgen.779 Grundsätzlich wird man eine entsprechende Anwendung des § 770 BGB auf die Auftraggeberhaftung bejahen können. Eine Ausnahme ist für diese jedoch insofern zu machen, als es um die Wirksamkeit des Rechtsverhältnisses zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer geht. Bei diesem kommt es nur darauf an, dass eine Werk- oder Dienstleistung vereinbart wurde. Auf die rechtliche Wirksamkeit des Vertragsverhältnisses zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber kommt es gerade nicht an.780 Der Auftraggeber kann sich also auf eine etwaige Unwirksamkeit bei seiner Inanspruchnahme insofern nicht berufen. c)

§§ 771 bis 773 BGB

Die §§ 771 bis 773 BGB regeln einen Teil des Grundsatzes der Subsidiarität der Bürgschaft, namentlich die Einrede der Vorausklage.781 Nach § 771 Satz 1 BGB kann der Bürge die Befriedigung des Gläubigers verweigern, solange nicht der Gläubiger erfolglos eine Zwangsvollstreckung gegen den Hauptschuldner ohne Erfolg versucht hat. § 772 BGB regelt dabei den Umfang der Vollstreckungs- und Verwertungspflicht des Gläubigers. § 773 BGB normiert Fälle, in denen die Einrede der Vorausklage gesetzlich ausgeschlossen ist. Die Einrede der Vorausklage ist mithin nicht zwingendes Merkmal einer Bürgschaft782, sondern steht vielmehr zur Disposition der Parteien.

778

779

780 781

782

Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 770, Rdnr. 1 - 2; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 770, Rdnr. 1; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 770, Rdnr. 1. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 770, Rdnr. 2; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 770, Rdnr. 1; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 770, Rdnr. 1. Bayreuther NZA 2015, S. 961 (964); Mohr in: Thüsing MiLoG/AEntG, AEntG § 14, Rdnr. 20; Ulber, Arbeitnehmerentsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 10 Vgl. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 771, Rdnr. 1; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 771, Rdnr. 1; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, Vorbemerkungen zu §§ 765 - 778, Rdnr. 17; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 771, Rdnr. 1, 2; Zetzsche in: Erman BGB, BGB § 771, Rdnr. 1. Vgl. dazu eingehend Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKommBGB Band 5/2, BGB § 771, Rdnr. 1; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, Vorbemerkungen zu §§ 765 - 778, Rdnr. 23; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 765, Rdnr. 26; vgl. auch oben unter Drittes Kapitel. A II 2 c).

A

Die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts, §§ 765 ff. BGB

227

aa) Grundsätzlich: Entsprechende Anwendung auf die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung Diese Besonderheit des Bürgschaftsrechts ist grundsätzlich auch auf die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung übertragbar. Ausgenommen sind denknotwendigerweise die Haftungstatbestände, in denen das Gesetz die Haftung „wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat“ oder „wie ein selbstschuldnerischer Bürge“ angeordnet hat. Für die Auftraggeberhaftung kommt somit wegen der Anordnung der Haftung „wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat“ die Einrede der Vorausklage für den Auftraggeber nicht in Betracht. bb) Ausnahme: Trotzdem vorherige Inanspruchnahme des Schuldners? Gleichwohl stellt sich die Frage, ob der Gläubiger (der Arbeitnehmer bzw. die gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien) ohne Weiteres, das heißt, unmittelbar, den Haftenden (den Auftraggeber) in Anspruch nehmen kann. In konsequenter Anwendung des Wortlauts des § 14 Satz 1 AEntG würde dies bedeuten, dass der jeweilige Gläubiger den Auftraggeber wie einen weiteren Schuldner in Anspruch nehmen könnte. Er müsste sich zuvor nicht in irgendeiner Weise an den originären Schuldner halten. Dies entspricht insoweit auch der Rechtsfolge bei einem Ausschluss der Einrede der Vorausklage gemäß § 773 BGB im Bürgschaftsrecht.783 Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Bürge dieses Risiko bewusst und aus freien Stücken, also freiwillig eingegangen ist, wenn er insbesondere auf die Einrede gemäß § 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB verzichtet hat. Auch in den Fällen des § 773 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 BGB784 verwirklichen sich die Risiken, die der Bürge freiwillig eingegangen ist, da es entweder um die Nichterreichbarkeit des Hauptschuldners geht (Nummer 2)785 oder der Ausfall des Hauptschuldners offensichtlich ist (Nummer 3)786 oder sinnlose Vollstreckungsversuche erspart werden sollen (Nummer 4)787. Fraglich ist, ob dieses Ergebnis im Einklang mit dem Zweck der Auftraggeberhaftung steht. Die Auftraggeberhaftung stellt trotz des Ausschlusses der Einrede der

783

784 785 786 787

Vgl. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 773, Rdnr. 1; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 773, Rdnr. 5; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 773, Rdnr. 18; Rohe in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 773, Rdnr. 2. Vgl. dazu Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 374 - 375. Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 773, Rdnr. 8. Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 773, Rdnr. 10. Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 773, Rdnr. 14.

228

Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

Vorausklage aufgrund der gesetzgeberischen Konzipierung im Innenverhältnis eine subsidiäre Haftung gegenüber der des eigentlichen, originären Schuldner dar: Der Auftraggeber soll also gerade nicht als „weiterer Schuldner“ neben dem originären Schuldner stehen788 – wie etwa im Falle eines Schuldbeitritts. Die wirtschaftliche Last der Haftung soll dabei schlussendlich grundsätzlich nicht den Auftraggeber treffen.789 Der jeweils Anspruchsberechtigte soll aber für die Inanspruchnahme des Haftenden nicht erst die Hürde des § 771 Satz 1 i. V. m. § 772 Abs. 1 BGB – es handelt sich regelmäßig um Geldforderungen, für die bei der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung gehaftet wird – nehmen müssen. Er müsste dann nämlich zunächst die Zwangsvollstreckung gegen den originären Schuldner versuchen, und nur, wenn diese erfolglos ist, könnte er den Haftenden in Anspruch nehmen. Dabei kann eine Zwangsvollstreckung insbesondere erfolglos sein, wenn der originäre Schuldner insolvent ist (zum Beispiel wegen Zahlungsunfähigkeit, § 17 Abs. 1 InsO), eine Vollstreckung in die beweglichen Sachen des Hauptschuldners also schon nicht zulässig ist, § 89 Abs. 1 InsO. Ist die Einrede der Vorausklage aber ausgeschlossen, kann – im Falle der Bürgschaft – der Bürge sofort in Anspruch genommen werden – sei es zum Beispiel aufgrund vorübergehender Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsunwilligkeit des Hauptschuldners oder weil der Gläubiger den Hauptschuldner schlicht nicht in Anspruch nehmen möchte –, wobei sich der Bürge aber grundsätzlich auf seine Einreden und Einwendungen aus dem eigenen Verhältnis zum Gläubiger als auch aus dem Verhältnis von Hauptschuldner und Gläubiger vor seiner Inanspruchnahme berufen kann, vorausgesetzt es handelt sich nicht um eine Bürgschaft auf erstes Anfordern790. Die Inanspruchnahme des Bürgen steht mithin im Belieben des Gläubigers. Dieses Ergebnis erscheint aber nicht auf die Auftraggeberhaftung übertragbar, denn insbesondere steht dabei nicht die Kreditsicherung des originären Schuldners im Vordergrund. Vielmehr soll der Anspruchsberechtigte abgesichert werden. Daher kann es nicht in dessen Belieben stehen, wen er in Anspruch nimmt. Die jeweilige Haftung kann für ihn zum Teil sogar ein unerwarteter Vorteil sein, den er dann aber nicht willkürlich ausnutzen darf. Auch ein Vergleich mit § 421 Satz 1 BGB spricht dafür, dass der Anspruchsberechtigte nicht nach seinem Belieben den originären Schuldner oder den Auftraggeber in Anspruch nehmen können soll. Denn bei einer Gesamtschuldnerschaft steht es gerade im Belieben des Gläubigers, welchen der Schuldner er in Anspruch nehmen möchte.

788 789 790

So formuliert es gleichwohl Lakies, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 23. Vgl. dazu oben zur gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung unter Drittes Kapitel. B III 3 a). Vgl. zu den Besonderheiten bei der Bürgschaft auf erstes Anfordern Looschelders, Schuldrecht Besonderer Teil, Rdnr. 974.

A

Die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts, §§ 765 ff. BGB

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Auftraggeber und originärer Schuldner sind aber – wie sich im Rahmen des Regressanspruchs nach § 774 BGB zeigen wird – keine Gesamtschuldner. Dieses Recht aus der Gesamtschuldnerschaft darf daher nicht einfach auf den Fall von Auftraggeber und originärem Schuldner ohne gesetzliche Verankerung übertragen werden. Denn insofern – was sich auch noch zeigen wird – fehlen die Schutzmechanismen für den in Anspruch genommenen Auftraggeber bzw. originären Schuldner, wie sie die Gesamtschuldnerschaft vorsieht. Eine Inanspruchnahme des Auftraggebers erscheint daher, um Wertungswidersprüche zu vermeiden und dem gesetzgeberischen Willen Ausdruck zu verleihen, erst gerechtfertigt, wenn der originäre Schuldner nicht zahlen kann oder will. Das heißt im Umkehrschluss, dass der Anspruchsberechtigte zwar nicht erst die Zwangsvollstreckung gegen den originären Schuldner bemühen muss. Gleichwohl kann verlangt werden, dass – im Wege einer teleologischen Reduktion791 des Tatbestandes – der Anspruchsberechtigte zunächst den originären Schuldner ernsthaft zur Leistung auffordern muss. Dieser Aufforderung bedarf es auch dann, wenn die Forderung fällig ist, da ansonsten wieder eine beliebige Auswahl durch den Anspruchsberechtigten möglich wäre. Eine solche Aufforderung könnte zum Beispiel in einer Mahnung liegen, da eine solche die an den Schuldner gerichtete Aufforderung des Gläubigers ist, die Leistung zu bewirken.792 Auch wenn die Einrede der Vorausklage bei der Auftraggeberhaftung ausgeschlossen ist, muss der Anspruchsberechtigte aufgrund teleologischer Erwägungen zunächst den originären Schuldner (erneut) ernsthaft zur Leistung auffordern, bevor er den Haftenden in Anspruch nehmen darf.793 Dieses Erfordernis hat mit dem Rechtsgedanken der §§ 771 bis 773 BGB aber gleichwohl einen Anknüpfungspunkt im Bürgschaftsrecht. Die dann aber unterschiedliche Behandlung der Auftraggeberhaftung und einer „normalen“ selbstschuldnerischen Bürgschaft ist überdies insofern gerechtfertigt, als ein Bürge die selbstschuldnerische Bürgschaft selbstbestimmt eingeht, ein Auftraggeber die Haftung nach § 14 AEntG oder § 13 MiLoG jedoch nicht.794

791 792 793

794

Vgl. zu den Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion Zweites Kapitel. A IV 4. Vgl. dazu Grüneberg in: Palandt, BGB § 286, Rdnr. 16; Löwisch/Feldmann in: Staudinger, Neubearbeitung 2014, Stand: 25.03.2015, BGB § 286, Rdnr. 29, jeweils m. w. N. Andere Ansicht wohl die herrschende Meinung (in der Regel ohne nähere Begründung), so zum Beispiel Dörfler, Die Nettolohnhaftung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz, S. 23; Reinfelder in: Düwell/Schubert Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 26; Schubert/Jerchel/Düwell, Das neue Mindestlohngesetz, Rdnr. 231, jeweils m. w. N. Vgl. oben unter Zweites Kapitel. A IV 3 b).

230

Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

cc) Rückausnahme: Herausforderung der Haftung Von dieser Ausnahme ist wiederum eine Rückausnahme zu machen und zu fragen, ob der Haftungsinhaber den Auftraggeber unmittelbar, das heißt, ohne vorherige Leistungsaufforderung an den originären Schuldner, in Anspruch nehmen darf. Die Inanspruchnahme des Auftraggebers ist bei unzulässiger Rechtsausübung durch Auftragnehmer und Arbeitnehmer nach § 242 BGB ausgeschlossen, wenn Auftragnehmer und Arbeitnehmer kollusiv zusammenwirken, um die Haftung des Auftraggebers herauszufordern.795 Umgekehrt kann sich der Auftraggeber dann auch nicht auf das Erfordernis der ernsthaften Leistungsaufforderung des Arbeitgebers durch den Arbeitnehmer berufen, wenn ihm selbst der Vorwurf einer unzulässigen Rechtsausübung nach § 242 BGB – in Form eines unredlichen bzw. missbilligten früheren Verhaltens – zu machen ist.796 Daher ist eine Berufung des Auftraggebers auf die vorherige Leistungsaufforderung dann nicht gerechtfertigt, wenn der Auftraggeber „sehenden Auges“ seine Inanspruchnahme provoziert. Das ist dann der Fall, wenn er wissentlich dem Auftragnehmer für die Werk- oder Dienstleistung eine Vergütung in einer Höhe entrichtet, mit der der Auftragnehmer seine Verpflichtung zur Leistung des Mindestentgelts bzw. des Mindestlohns nicht erfüllen kann.797 Dies muss sogar dann gelten, wenn der Auftragnehmer diese Vergütung von sich aus so, also zu niedrig, ansetzt. Denn die Auftraggeberhaftung trifft allein Unternehmer, denen eine Kenntnis von dem ArbeitnehmerEntsendegesetz und dem Mindestlohngesetz unterstellt werden kann. In diesem Fall ist der Arbeitnehmer darauf angewiesen, den Auftraggeber unmittelbar in Anspruch nehmen zu können. Der Auftraggeber ist aufgrund seines eigenen „Verschuldens“ auch nicht mehr schutzwürdig. Das unredliche frühere Verhalten des Auftraggebers rechtfertigt somit die unmittelbare Inanspruchnahme. Selbst wenn der einzelne Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber einen Lohn in Höhe des Mindestlohns erhalten sollte, der Arbeitgeber also ein VerlUStGeschäft macht, kann dies diese Rückausnahme nicht außer Kraft setzen. Denn dieser Umstand ist zunächst einmal etwas Internes zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, worauf der Auftraggeber keinen Einfluss hat und wovon er auch keine Kenntnis hat. Zudem wird

795 796

797

Vgl. oben unter Viertes Kapitel. A II 3 Fn. 786. Vgl. zu dieser Fallgruppe der unzulässigen Rechtsausübung Mansel in: Jauernig BGB, BGB § 242, Rdnr. 44 - 47; Schubert in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Krüger MünchKomm-BGB Band 2, BGB § 242, Rdnr. 250 - 308 jeweils m. w. N. Wenn der Auftraggeber an einen Auftragnehmer für eine Arbeitsstunde eines Arbeitnehmers des Auftragnehmers beispielsweise nur einen Betrag in Höhe des Mindestlohns leistet, kann der Auftragnehmer – ohne eigenen Verlust zu machen – schon nicht mehr einen Stundenlohn in Höhe des Mindestlohns an seine Arbeitnehmer zahlen. Denn zu dem Bruttolohn des Arbeitnehmers kommen weitere Sozialversicherungsabgaben für den Arbeitgeber.

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Die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts, §§ 765 ff. BGB

231

der Auftraggeber bei der Leistung durch den Arbeitgeber auch nicht mehr in Anspruch genommen werden können. 4

Mitbürgschaft, § 769 BGB

§ 769 BGB regelt das Verhältnis von Mitbürgen. Diese haften, wenn sie sich für dieselbe Verbindlichkeit verbürgen, als Gesamtschuldner, auch wenn sie die Bürgschaft nicht gemeinschaftlich übernehmen. Sie können sich nicht auf eine anteilige Haftung gemäß § 420 BGB berufen.798 § 769 BGB stellt mithin eine gesetzliche Anordnung der Gesamtschuld dar.799 Für die Untersuchung der entsprechenden Anwendbarkeit auf die Auftraggeberhaftung sind insofern zwei Konstellationen zu unterscheiden: a)

Gemeinschaftliche Haftung

Einerseits kann es sein, dass der Tatbestand des § 14 AEntG bzw. § 13 MiLoG von mehreren natürlichen oder juristischen Personen gleichzeitig, also gemeinsam erfüllt wird. Dies könnte der Fall sein, wenn mehrere gemeinsam eine Werk- oder Dienstleistung in Auftrag geben. In diesem Fall würden sie die Haftung „gemeinschaftlich übernehmen“, was mit einem gemeinschaftlichen Vertragsschluss im Sinne des § 427 BGB vergleichbar ist. In diesem Fall ist § 769 BGB entsprechend anwendbar, mit der Folge einer Gesamtschuldnerschaft der verschiedenen natürlichen und juristischen Personen. Leistet mithin einer der Gesamtschuldner auf die Auftraggeberhaftung, so kann er einerseits gemäß § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB Ausgleich verlangen. Dabei sind die Gesamtschuldner zu gleichen Anteilen verpflichtet. Ein anderes Haftungsverhältnis ist weder bestimmt noch aus den Umständen ersichtlich, da sie gleichermaßen die Ursache für die Haftung gesetzt haben. Gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB geht darüber hinaus im Falle der Befriedigung durch einen Gesamtschuldner die Forderung des Gläubigers gegen die übrigen Schuldner auf ihn über, vorausgesetzt, er kann Ausgleich verlangen, was aber bereits bejaht wurde.800

798 799

800

Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 88. Vgl. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 769, Rdnr. 1; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 769, Rdnr. 1; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 769, Rdnr. 2. Vgl. zu den Ausgleichsansprüchen Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 89.

232 b)

Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen Kettenhaftung

aa) Situation der Kettenhaftung Andererseits sind die Konstellationen der sogenannten „Kettenhaftung“ vorstellbar. Dabei erfüllen mehrere Personen einen Tatbestand der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung nacheinander. Dabei wird dann beispielsweise ein Unternehmer, der einen Tatbestand der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung erfüllt, durch einen anderen Unternehmer beauftragt, der durch die Beauftragung seinerseits den Tatbestand einer gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung erfüllt. Dadurch erhält der Gläubiger neben dem originären Schuldner nicht nur einen, sondern zwei Haftende. Die Haftung wird also gerade nicht „gemeinschaftlich übernommen“, was jedoch für § 769 BGB nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut ausreicht. § 14 Satz 1 AEntG legt die Kettenhaftung im Wortlaut an: Der beauftragende Unternehmer (der Auftragnehmer) haftet nicht nur für die Verpflichtung des beauftragten Unternehmers, sondern auch für die eines Nachunternehmers oder eines von dem Unternehmer oder einem Nachunternehmer beauftragten Verleihers. Demnach können mehrere Unternehmer für die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung des Mindestentgelts nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz aus § 14 Satz 1 AEntG haften. Dieses Ergebnis ist über § 13 MiLoG auch auf die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns aus dem Mindestlohngesetz übertragbar. Auch hier können Haftungsketten entstehen. bb) Rechtsfolgen der Kettenhaftung Für die Betrachtung der Folgen der Kettenhaftung wird vorausgesetzt, dass jeder in der Haftungskette die Tatbestandsvoraussetzung der Auftraggeberhaftung erfüllt. Nur dann nämlich entsteht überhaupt die Kettenhaftung und stellt sich die Frage, in welcher Form die einzelnen Glieder der Haftungskette zueinander stehen und im Außensowie Innenverhältnis in Anspruch genommen werden können. Zunächst erscheint eine entsprechende Anwendung des § 769 BGB sachgerecht: Aus Sicht des Gläubigers ist dann entsprechend §§ 769, 421 BGB jedes Glied gegenüber dem Gläubiger zur Bewirkung der ganzen Leistung verpflichtet, der Gläubiger aber nur einmal zur Forderung der Leistung berechtigt. Aus Sicht eines Haftenden kann die entsprechende Anwendung des § 769 BGB auch unsachgerecht erscheinen, wenn er nämlich gar nicht die konkrete Ursache für die Haftung gesetzt hat. Erfüllt beispielsweise ein Verleiher seine in § 14 Satz 1 AEntG bzw. § 13 MiLoG genannten Pflicht zur Zahlung des Mindestentgelts bzw.

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Die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts, §§ 765 ff. BGB

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Mindestlohns nicht und wurde dieser Verleiher von einem Unternehmer beauftragt, der wiederum von einem Generalunternehmer beauftragt wurde, so hat die unmittelbar „falsche“ Wahl allein der Unternehmer und nicht der Generalunternehmer getroffen; eine vertragliche Beziehung, die gegebenenfalls umfänglichere Schadensersatzansprüche beinhaltet, besteht auch nur zwischen Unternehmer und Verleiher. Dem Generalunternehmer ist alleinig vorzuwerfen, dass er jemanden beauftragt hat, der eine „falsche“ Wahl getroffen hat. Diese Wahl liegt aber nicht mehr in dem Machtbereich des Generalunternehmers, da der Unternehmer nicht notwendigerweise weisungsgebunden ist. Fraglich ist daher, ob die grundsätzliche Rechtsfolge des § 769 BGB entsprechend sachgerecht ist: Die Haftenden wären nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB im Zweifel zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet. Bezogen auf das Beispiel lässt sich wie folgt argumentieren: Die Auftraggeberhaftung will nicht nur den Mindestentgelt- bzw. Mindestlohnanspruch der Arbeitnehmer effektiv durchsetzen. Sie will zudem präventiv darauf einwirken, dass Unternehmer bloß seriöse andere Unternehmer mit der Erbringung von Werk- oder Dienstleistungen beauftragen. Den „Gesetzesverstoß“801, das heißt, die Auswahl eines Unternehmers, der das Mindestentgelt bzw. den Mindestlohn an seine Arbeitnehmer nicht zahlt, begeht am Ende nur der „letzte“ Auftraggeber. Alle vorherigen Auftraggeber haben eine richtige Auswahl getroffen (ausgenommen die Auswahl eines Unternehmers, der einen „falschen“ Unternehmer auswählt; dies soll von § 14 Satz 1 AEntG bzw. § 13 MiLoG aber nicht geschützt werden, denn insofern wurde nur eine mittelbar wirkende Ursache für den Gesetzesverstoß gesetzt). Es gibt somit im Rahmen des § 14 Satz 1 AEntG bzw. § 13 MiLoG keinen Anhaltspunkt, auch denjenigen Auftraggeber endgültig haften zu lassen, der eine richtige Auswahl getroffen hat. Das Risiko wurde schließlich unmittelbar allein von dem letztagierenden Auftraggeber gesetzt. Darüber hinaus ist anerkannt, dass die Bestimmung im Sinne des § 426 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BGB – jedenfalls im Bereich des vertraglichen Ausgleichsmaßstabs – auch konkludent erfolgen kann, also aus den Umständen zu entnehmen ist.802 Die fehlende ausdrückliche Bestimmung ist somit kein Hinderungsgrund für die Annahme einer abweichenden Haftungsverteilung. Die besseren Argumente sprechen damit im Ergebnis für eine zu § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB abweichende Haftungsverteilung: Im Innenverhältnis der haftenden Auf801 802

Vgl. Lakies, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 16. Vgl. BGH, Urteil vom 10.11.1983 – IX ZR 34/82, NJW 1984, S. 482 (482); Bydlinski in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Krüger MünchKomm-BGB Band 2, BGB § 426, Rdnr. 15; Gehrlein in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 426, Rdnr. 6; Kreße in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 426, Rdnr. 49; Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 91; Looschelders in: Staudinger, Neubearbeitung 2017, BGB § 426, Rdnr. 52, jeweils m. w. N.

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Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

traggeber haftet allein der Auftraggeber, der den Unternehmer beauftragt hat, der den Mindestlohn an seine Arbeitnehmer nicht gezahlt hat.803 Sofern dann ein Auftraggeber in Anspruch genommen wird, der im Innenverhältnis nicht haftet, muss dieser in einem Prozess die somit zu § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB abweichende Haftungsverteilung darlegen und beweisen.804 Abstrakt gesprochen bedeutet dies Folgendes: § 769 BGB ist auf die Auftraggeberhaftung entsprechend anwendbar. Es entsteht dann eine Gesamtschuld zwischen den einzelnen Haftungssubjekten. Im Außenverhältnis kann der Haftungsbegünstigte von jedem Auftraggeber fordern, aber natürlich nur einmal (vgl. § 421 Satz 1 BGB). Im Innenverhältnis der Auftraggeber richtet sich die Verteilung aber nicht nach der gesetzlichen Zweifelsregelung des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB, sondern es trifft grundsätzlich allein den Letztverantwortlichen die Haftung.805 5

Regressanspruch, § 774 BGB

Nach § 774 Abs. 1 Satz 1 BGB geht die Forderung des Gläubigers gegen den Hauptschuldner auf den Bürgen über, soweit dieser den Gläubiger befriedigt. Dies gilt auch dann, wenn die Forderung nach § 400 BGB wegen Unpfändbarkeit grundsätzlich nicht abgetreten werden kann, da Sinn und Zweck des § 400 BGB bei der Befriedigung des Gläubigers einer Übertragung nicht mehr widersprechen.806 Der Übergang tritt zugunsten eines jeden Bürgen ein, auch eines selbstschuldnerischen Bürgen.807 Er kann indes nicht zum Nachteil des Gläubigers geltend gemacht werden, § 774 Abs. 1 Satz 2

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804 805

806 807

Der Anspruch nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB umfasst nicht nur einen Rückgriffsanspruch, sondern bereits vor einem etwaigen Rückgriff einen Mitwirkungs- bzw. Befreiungsanspruch der Gesamtgläubiger untereinander, vgl. etwa Bydlinski in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Krüger MünchKomm-BGB Band 2, BGB § 426, Rdnr. 12. Vgl. zur Situation bei mehreren Bürgen Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 312. Im Ergebnis so auch Heukenkamp, Gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland und Frankreich, S. 405 - 407, die aber eine Kürzung des Anspruchs analog § 254 BGB zulässt, wenn dem Anspruchsberechtigten auch ein Auswahlverschulden trifft; Dörfler, Die Nettolohnhaftung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz, S. 26, der dem Wortlaut des § 1a AEntG a. F. eine Rangfolge entnimmt, nach derer nur eine Inanspruchnahme nach unten und nicht nach oben möglich sei, also nur nachgelagerte Auftraggeber mithaften; Lakies in: Däubler TVG, Anhang 2 zu § 5 TVG: AEntG § 14, S. 19; oder Seifert in: Kempen/Zachert TVG, Anhang 1 zu § 5: AEntG § 14, Rdnr. 16; andere Ansicht „anteiliger Ausgleichsanspruch“: Bissels/Falter DB 2015, S. 65 (67); Heuschmid/Hlava NJW 2015, S. 1719 (1721); Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, ArbeitnehmerEntsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 35, nach denen grundsätzlich alle Auftraggeber zu gleichen Teilen haften. So auch Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 281 m. w. N. Vgl. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 376.

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Die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts, §§ 765 ff. BGB

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BGB.808 § 774 Abs. 2 BGB beschränkt diesen Übergang bei mehreren Bürgen, die gemäß § 769 als Gesamtschuldner haften, durch den Verweis auf § 426 BGB auf den ausgleichspflichtigen Teil.809 Durch § 774 BGB soll die Funktion der Bürgschaft gesichert werden. Die Bürgschaft zielt als sichernder Vertrag darauf ab, dass am Ende grundsätzlich nicht der Bürge, sondern der Hauptschuldner die Last der Verbindlichkeit tragen soll.810 Neben einem etwaigen Aufwendungsersatzanspruch aus dem Innenverhältnis dient § 774 Abs. 1 BGB der zusätzlichen Absicherung des Bürgenregresses. Indem nach §§ 401, 412 BGB Neben- und Vorzugsrechte auf den Bürgen übergehen811, hat § 774 Abs. 1 BGB vor allem eine Bedeutung bei dem Bestehen solcher Rechte. Auch ein von dem Gläubiger gegen den Hauptschuldner erwirkter Titel kann auf den Bürgen gemäß § 727 Abs. 1 ZPO umgeschrieben werden. Gleichwohl kann er auch ansonsten bedeutsam sein, wenn das Vorliegen eines Aufwendungsersatzanspruchs aus dem Innenverhältnis umstritten ist. In diesem Fall bietet § 774 Abs. 1 BGB einen klaren Anspruch des Bürgen. Der Bürge muss in diesem Fall gegenüber dem Hauptschuldner nicht etwa die Voraussetzungen eines Aufwendungsersatzanspruchs nach § 670 BGB darlegen und beweisen.812 § 774 BGB erleichtert damit den Regress des Bürgen gegen den Hauptschuldner („Effektivierung des Rückgriffs des Bürgen“813) – auch beim Bestehen etwaiger Aufwendungsersatzansprüche aus dem Innenverhältnis.814 Durch die Auftraggeberhaftung entsteht eine eigene Schuld des Haftenden, die zwar nicht deckungsgleich mit der des originären Schuldners ist, aber nahezu inhaltsgleich. Im Falle der Befriedigung des Anspruchsberechtigten durch den Auftraggeber leistet der Auftraggeber also auf eine eigene Schuld, die Schuld des originären

808 809

810

811

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813 814

Vgl. dazu Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 286 - 291. Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 774, Rdnr. 43; Madaus in: Gsell/Krüger/ Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 774, Rdnr. 64; Prütting in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdiger/Junker jurisPK-BGB, Band 2, Stand: 01.12.2016, BGB § 774, Rdnr. 15; Rohe in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 774, Rdnr. 12. Vgl. insofern die treffende Formulierung im österreichischen Recht zur Bürgschaft in § 1346 Abs. 1 Satz 2 ABGB: „Hier bleibt der erste Schuldner noch immer der Hauptschuldner, und der Bürge kommt nur als Nachschuldner hinzu.“ Vgl. Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 284 - 285; sowie Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 376. Vgl. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 774, Rdnr. 1; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 774, Rdnr. 2. So Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 774, Rdnr. 1 m. w. N. Vgl. zum Vorstehenden insgesamt Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 774, Rdnr. 2 m. w. N.

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Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

Schuldners bleibt bestehen. Der originäre Schuldner wird nur mittelbar durch den Auftraggeber befreit.815 Insofern könnte also die Forderung des Anspruchsberechtigten gegen den originären Schuldner entsprechend § 774 Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Auftraggeber übergehen. Erforderlich ist jedoch, dass die durch § 774 BGB zum Ausdruck kommende Privilegierung des Bürgen auch für den Haftenden der Auftraggeberhaftung gerechtfertigt ist. Eine dem § 774 BGB vergleichbare Privilegierung kennt von Gesetzes wegen auch die Gesamtschuldnerschaft in § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB, wonach die Forderung des Gläubigers gegen die übrigen Schuldner auf einen der Gesamtschuldner übergeht, soweit dieser den Gläubiger befriedigt und von den übrigen Schuldnern Ausgleich verlangen kann. Die Regelung des § 426 BGB will insgesamt eine sachgerechte Aufteilung der Last der Schuld unter den Gesamtschuldnern gewährleisten, welche sich nach der internen Verteilung richtet, im Zweifel zu gleichen Anteilen (§ 426 Abs. 1 Satz 1 BGB).816 Dieser Aspekt greift für die Auftraggeberhaftung indes nicht, da es bei dieser in Ermangelung mehrerer „gleicher“ Schuldner nicht um die sachgerechte Aufteilung einer Schuld geht. Nach herrschender Auffassung ist das Verhältnis zwischen Bürge und Hauptschuldner kein Gesamtschuldverhältnis, da unter anderem der Bürge mit seiner Leistung nicht die Hauptschuld und der Hauptschuldner mit seiner Leistung nicht die Bürgenschuld erfüllt.817 Wenn schon dieses Verhältnis kein Gesamtschuldverhältnis begründet, kann erst recht das Verhältnis von Haftendem zum originären Schuldner kein solches darstellen.818 Demnach greift die Privilegierung des § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB auch aus diesem Grund nicht (entsprechend). Erwägungen zu § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB können daher für die Auftraggeberhaftung nicht nutzbar gemacht werden. Die Frage bleibt demnach, ob die Privilegierung des Bürgen nach § 774 BGB auch für den Auftraggeber gerechtfertigt ist, die maßgeblichen Erwägungen zu § 774 BGB also übertragbar sind. § 14 AEntG (i. V. m. § 13 MiLoG) bezweckt vor allem die effektive Durchsetzung der jeweiligen Pflicht zur Leistung des Mindestentgelts bzw. des Mindestlohns. Daneben haben die Normen präventiven Charakter.819 Die Absicherung des einzelnen Arbeitnehmers steht nicht im Vordergrund. Zum Teil wird die Ansicht 815 816

817 818 819

So wird im Falle der Bürgschaft der Schuldner auch nur mittelbar durch die Erfüllung der Bürgschaftsschuld befreit Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 280. Bydlinski in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Krüger MünchKomm-BGB Band 2, BGB § 426, Rdnr. 1; Kreße in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 426, Rdnr. 47: § 426 als „Hilfsregel“ m. w. N.; Looschelders in: Staudinger, Neubearbeitung 2017, BGB § 426, Rdnr. 1. Zum Meinungsstand insgesamt Bydlinski in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Krüger MünchKomm-BGB Band 2, BGB § 421, Rdnr. 33, vgl. auch oben unter Drittes Kapitel. A II 2 a) cc). So zu § 1a AEntG a. F. ausdrücklich Deckers NZA 2008, S. 321 (321). Vgl. oben unter Zweites Kapitel. A II und Zweites Kapitel. B II.

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Die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts, §§ 765 ff. BGB

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vertreten, der jeweilige Auftraggeber profitierte davon, dass er nicht selbst einen Arbeitnehmer beschäftigen müsse, er könnte sich sonst eigenen Pflichten entziehen.820 Andererseits ermöglicht die Beauftragung anderer Unternehmen zum Teil erst die Beschäftigung von Arbeitnehmern dort. Ferner kann der Auftraggeber gegebenenfalls die beauftragte Werk- oder Dienstleistung gar nicht selbst erbringen, weil ihm dazu etwa das notwendige Know-how oder gar das Recht821 fehlt. Im Ergebnis wird man daher wohl keinen unmittelbaren Vorteil des Auftraggebers durch die Beauftragung eines anderen Unternehmers identifizieren können. Daher ist eine Privilegierung bereits gerechtfertigt. Zudem ist nicht ersichtlich, dass der Auftraggeber von Gesetzes wegen schlussendlich für die Verpflichtungen des originären Schuldners haften soll. Unabhängig von dem Bestehen etwaiger vertraglicher Regressansprüche erscheint es daher sachgerecht, dem Auftraggeber auch einen gesetzlichen Regressanspruch zuzusprechen. Dass ein solch gesetzlicher Regressanspruch insbesondere in der Insolvenz des originären Schuldners ins Leere laufen kann, ist dabei für die Frage der Existenz eines solchen Regressanspruchs nicht von Belang. Im Ergebnis ist § 774 BGB also entsprechend auf die Auftraggeberhaftung anwendbar.822 Dies muss selbst für den Fall gelten, dass der Auftraggeber an den Auftragnehmer eine Vergütung gezahlt hat, mit der der Auftragnehmer seiner Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns nicht nachkommen kann. Denn insofern trifft den Auftragnehmer das Risiko, eine entsprechende Vergütung anzusetzen, bzw. auch das Risiko, wenn der Auftraggeber eine entsprechende Vergütung in zulässiger Weise mindert, beispielsweise gemäß §§ 634 Nr. 3, 638 BGB. Schließlich ist der Forderungsübergang aber im Falle von mehreren Auftraggebern nach Maßgabe des soeben dargestellten Innenverhältnisses zu bestimmen, wie es auch in § 774 Abs. 2 BGB angelegt ist. 6

Anspruch des Bürgen auf Befreiung, § 775 BGB

Hat sich der Bürge im Auftrag des Hauptschuldners verbürgt oder stehen ihm nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag wegen der Übernahme der Bürgschaft die Rechte eines Beauftragten gegen den Hauptschuldner zu, so kann er gemäß § 775 Abs. 1 BGB von diesem Befreiung von der Bürgschaft verlangen, wenn sich die Vermögensverhältnisse des Hauptschuldners wesentlich verschlechtert haben (Nummer 1), wenn die Rechtsverfolgung gegen den Hauptschuldner infolge einer nach der Übernahme der Bürgschaft eingetretenen Änderung des Wohnsitzes, der gewerbli820 821 822

Vgl. Franzen in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt Erfurter Kommentar, MiLoG § 13, Rdnr. 2; Lakies, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 2. Zu denken ist insofern etwa an fehlende Patentrechte des Auftraggebers. Im Ergebnis auch bspw. Dörfler, Die Nettolohnhaftung nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz, S. 25.

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Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

chen Niederlassung oder des Aufenthaltsorts des Hauptschuldners wesentlich erschwert ist (Nummer 2), wenn der Hauptschuldner mit der Erfüllung seiner Verbindlichkeit im Verzug ist (Nummer 3) oder wenn der Gläubiger gegen den Bürgen ein vollstreckbares Urteil auf Erfüllung erwirkt hat (Nummer 4).823 § 775 BGB stellt im Ergebnis keine Schutzvorschrift des Bürgen dar. Vielmehr beschränkt die Vorschrift ein bestehendes Recht des Bürgen: Aus dem Bürgschaftsvertrag selbst hat der Bürge keinen Anspruch gegen den Hauptschuldner auf Befreiung.824 Wenn sich der Bürge aber im Auftrag des Hauptschuldners verbürgt hat, kann er nach §§ 670, 257 Satz 1 BGB von dem Hauptschuldner die Befreiung von seiner Verbindlichkeit verlangen. Dieser Anspruch wird gemäß § 270 Abs. 1 BGB sofort fällig. Dieses Recht wird durch die verschiedenen Fälle des § 775 Abs. 1 BGB aber eingeschränkt, da der Bürge nur bei Vorliegen der dortigen zusätzlichen Voraussetzungen Befreiung vom Hauptschuldner verlangen kann und nicht wie eigentlich vorgesehen sofort. Dabei ist ein gemeinsamer Zweck der verschiedenen Fälle nicht erkennbar; vielmehr verfolgen sie eigenständige, voneinander unabhängige Ziele.825 Auch dem Bürgen, der sich nicht im Auftrag des Hauptschuldners verbürgt hat, sondern im Rahmen einer Geschäftsführung ohne Auftrag die Bürgschaft eingegangen ist, steht ein solcher Befreiungsanspruch zu826, der wiederum nach Maßgabe des § 775 BGB zu beschränken ist. Insgesamt lässt sich der Vorschrift des § 775 BGB entnehmen, dass der Gesetzgeber einen bestehenden Freistellungsanspruch einschränken möchte. Denn der sofortige Befreiungsanspruch des Bürgen gegen den Hauptschuldner würde die Position des Gläubigers gegenüber dem Bürgen verschlechtern, da der Gläubiger – jedenfalls im Zeitpunkt der Bürgschaftsentstehung – einen tatsächlichen eigenständigen Schuldner hinter dem Hauptschuldner sieht. Wenn der Bürge aber sofort seine Befreiung vom Hauptschuldner verlangen könnte, könnte dies die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Hauptschuldners zu Lasten des Gläubigers verringern. Es ist daher sachgerecht, die Einschränkung des § 775 BGB auf jegliche und nicht nur die genannten Freistel-

823 824 825

826

Zu den einzelnen Befreiungsfällen vgl. eingehend Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 315 - 319. Vgl. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 378. Vgl. zum Vorstehenden insgesamt Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 6, BGB § 775, Rdnr. 1; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 775, Rdnr. 2, jeweils m. w. N. Vgl. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 378.

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Die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts, §§ 765 ff. BGB

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lungsansprüche zu erstrecken.827 Da § 775 BGB den Schutz des Gläubigers bezweckt, kann die Vorschrift durch Vereinbarung zwischen Gläubiger und Bürgen abbedungen werden.828 § 775 BGB ist auf die Auftraggeberhaftung im Ergebnis entsprechend anwendbar. Voraussetzung ist aber, dass ein Freistellungsanspruch des Haftenden gegenüber dem originären Schuldner besteht. Auch bei der Auftraggeberhaftung ist der Auftraggeber die Haftung nicht im Auftrag des originären Schuldners eingegangen. Ihm stehen ebenfalls nicht die Rechte eines Beauftragten nach den Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag wegen der Übernahme der Haftung gegenüber dem originären Schuldner zu. Beides wird aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung gesperrt. Insofern fehlt es wohl an dem Erfordernis eines „fremden“ Geschäfts, welches der Haftende wahrnimmt. Die Leistung durch den Haftenden auf die eigene Schuld und eben nicht auf die Schuld des originären Schuldners schließt demnach auch den Fall eines „Auch-fremden-Geschäfts“ aus.829. Aber entsprechend der umfänglichen Begrenzung jeglicher Freistellungsansprüche durch § 775 Abs. 1 BGB kann auch für die Auftraggeberhaftung diese Tatbestandsvoraussetzung nicht entscheidend sein. Sofern der Haftende einen Freistellungsanspruch gegen den originären Schuldner hat, ist dieser in entsprechender Anwendung des § 775 BGB zu beschränken. Eine entsprechende Anwendung scheidet indes aus, wenn keinerlei Freistellungsansprüche des Haftenden gegenüber dem originären Schuldner bestehen. Denn in diesem Fall würde eine entsprechende Anwendung des § 775 BGB dem Haftenden einen Freistellungsanspruch gewähren, anstatt einen bestehenden Freistellungsanspruch zu beschränken. Dies wäre mit dem Zweck der Norm, der nur die Beschränkung eines bestehenden Anspruchs verfolgt, unvereinbar. § 775 BGB ist demnach bei Bestehen eines Freistellungsanspruchs entsprechend auf die Auftraggeberhaftung anwendbar. 7

Aufgabe einer Sicherheit, § 776 BGB

Gibt der Gläubiger ein mit der Forderung verbundenes Vorzugsrecht, eine für die Forderung bestehende Hypothek oder Schiffshypothek, ein für sie bestehendes Pfandrecht oder das Recht gegen einen Mitbürgen auf, so wird der Bürge insoweit gemäß § 776

827

828 829

Dafür spricht auch, dass § 775 BGB auch anderen Normen des Auftragsrechts verdrängt, die mit der Risikoverteilung bei der Bürgschaft nicht konform sind, vgl. Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/ Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 775, Rdnr. 3. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 378. Vgl. zu der Fallgruppe eingehend Thole in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.03.2017, BGB § 677, Rdnr. 101 - 103; Thole NJW 2010, S. 1243 (1243 ff.).

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Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

Satz 1 BGB frei, als er aus dem aufgegebenen Recht nach § 774 hätte Ersatz erlangen können. Dies gilt nach § 776 Satz 2 BGB auch dann, wenn das aufgegebene Recht erst nach der Übernahme der Bürgschaft entstanden ist. § 776 BGB ist darüber hinaus auf weitere Rechte, aus denen der Bürge einen Vorteil im Falle seiner Leistung erlangen könnte, analog anzuwenden.830 § 776 BGB verdeutlicht, dass der Gläubiger gegenüber dem Bürgen grundsätzlich keine Diligenzpflicht hat, das heißt, dass die Rechte des Bürgen durch ein Verhalten seinerseits abhängig sind.831 Das Gesetz macht von diesem Grundsatz mit § 776 BGB eine Ausnahme. Dabei verfolgt die Vorschrift zwei Zwecke: Einerseits soll der Bürge vor der Beschneidung seiner Regressmöglichkeiten geschützt werden, andererseits soll dem Hauptschuldner gleichwohl erlaubt sein, Sicherheiten aufzugeben.832 Diese Zwecke müssten demnach auch für die Auftraggeberhaftung eingreifen. Einerseits ließe sich in Anlehnung an die Argumentation zur entsprechenden Anwendung des § 774 BGB anführen, dass, wenn bereits § 774 BGB anwendbar ist, § 776 BGB erst recht anwendbar sein muss, da es in beiden Normen um Sicherungsrechte für die in Rede stehende Forderung geht. Andererseits ist hier die Interessenlage eine andere: Geht es bei § 774 BGB allein darum, ob auf den leistenden Haftenden die anderen Sicherungsrechte übergehen, stellt sich bei § 776 BGB die Frage, ob die Auftraggeberhaftung untergeht, wenn der Gläubiger auf eine für die Forderung bestellte Sicherheit verzichtet. Gegen die entsprechende Anwendung des § 776 BGB sprechen insofern zwei Argumente: Zum einen entsteht die Auftraggeberhaftung aufgrund gesetzlicher Anordnung und nicht aufgrund eines Rechtsgeschäfts zwischen den Parteien. Die Auftraggeberhaftung sieht selbst aber keine Möglichkeit vor, dass der Haftende frei wird. Zum anderen käme § 776 BGB einem Verzicht auf die Haftung gleich. Ein solcher Verzicht steht aber vor oder bei Vertragsschluss im Widerspruch zu § 14 AEntG, weil dadurch Arbeitnehmerrechte beschränkt würden.833 Aber auch ein nachträglicher Verzicht, der sich aus dem Automatismus des § 776 BGB ergäbe, erscheint im Widerspruch zu den

830

831 832

833

Vgl. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 776, Rdnr. 2, der aber von einer „entsprechenden Geltung“ spricht; ebenso Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rdnr. 237. Vgl. Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, Band II, B. Motive der 1. Kommission, S. 379. Habersack in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Habersack MünchKomm-BGB Band 5/2, BGB § 776, Rdnr. 1; Horn in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, BGB § 776, Rdnr. 1; Madaus in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 776, Rdnr. 2; Schmolke JuS 2009, S. 784 (784). Für § 14 Satz 1 AEntG wird ein Verzicht bei oder vor Vertragsschluss ausdrücklich als unwirksam angesehen, vgl. für viele Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 51.

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Die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts, §§ 765 ff. BGB

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Zwecken der Regelungen zu stehen, weil dies zu einem ungewollten Anspruchsuntergang für den (zu schützenden) Anspruchsberechtigten führen könnte. Eine entsprechende Anwendung des § 776 BGB könnte daher auch als Umgehungstatbestand der jeweiligen Tatbestände genutzt werden. Die Aufgabe einer Sicherheit gemäß § 776 BGB ist daher auf die Auftraggeberhaftung nicht entsprechend anwendbar. 8

Bürgschaft auf Zeit, § 777 BGB

Schließlich ist noch die Frage nach der entsprechenden Anwendung des § 777 BGB offen: Hat sich der Bürge für eine bestehende Verbindlichkeit auf bestimmte Zeit verbürgt, so wird er gemäß § 777 Abs. 1 Satz 1 BGB nach dem Ablauf der bestimmten Zeit frei, wenn nicht der Gläubiger die Einziehung der Forderung unverzüglich nach Maßgabe des § 772 BGB betreibt, das Verfahren ohne wesentliche Verzögerung fortsetzt und unverzüglich nach der Beendigung des Verfahrens dem Bürgen anzeigt834, dass er ihn in Anspruch nehme. Die Bürgschaft auf Zeit beinhaltet somit eine Zeitbestimmung in der Form eines Endtermins im Sinne der §§ 163, 158 Abs. 2 BGB.835 Eine zeitliche Begrenzung kennt die Auftraggeberhaftung aber nicht. Überdies ist die Regelung der Bürgschaft auf Zeit mit der Konzeption der Auftraggeberhaftung nicht vereinbar. Dem Zweck der Auftraggeberhaftung würde es nicht gerecht werden, wenn die Haftung nur temporär gälte. In Betracht kommt, wenn überhaupt, eine gegenständliche Begrenzung der Haftung, die – wo rechtlich überhaupt zulässig – vertraglich zwischen dem Haftenden und dem Gläubiger vereinbart werden müsste. § 777 BGB ist demnach auf die Auftraggeberhaftung nicht entsprechend anwendbar. 9

Zwischenergebnis

Die Vorschriften des Bürgschaftsrechts finden im Abstrakten auf die Auftraggeberhaftung entsprechende Anwendung, soweit sich nicht aus dem Wortlaut oder dem Telos des § 14 AEntG bzw. § 13 MiLoG ein anderes ergibt. Im Konkreten bedeutet dies für die Anwendbarkeit der Regelungen des Bürgschaftsrechts Folgendes:

834 835

Vgl. zur Anzeige der Inanspruchnahme eingehend Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 23. Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 22; Abzugrenzen ist die Bürgschaft auf Zeit dabei von einer gegenständlich beschränkten Bürgschaft, vgl. Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 25.

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Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

Die §§ 765 und 766 BGB sind auf die Auftraggeberhaftung nicht anwendbar. § 767 BGB ist, mit Ausnahme des § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB, entsprechend anwendbar. § 768 BGB ist ebenfalls entsprechend anwendbar. § 770 BGB ist, einschließlich der analogen Anwendung auf Gestaltungsrechte, grundsätzlich entsprechend anwendbar, es sei denn, es wird eine etwaige rechtliche Unwirksamkeit des Vertragsverhältnisses zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer geltend gemacht. Die §§ 771 bis 773 BGB sind zwar nicht entsprechend anwendbar, weil im Rahmen der Auftraggeberhaftung die Einrede der Vorausklage ausgeschlossen ist. Gleichwohl muss der Gläubiger aus teleologischen Gründen den originären Schuldner grundsätzlich zur Leistung ernsthaft auffordern (vergleichbar einer Mahnung im Sinne des § 286 Abs. 1 BGB), bevor er den Auftraggeber in Anspruch nehmen darf. § 769 BGB ist bei gemeinschaftlicher Haftung sowie im Falle der Kettenhaftung entsprechend anwendbar, wobei sich für das Innenverhältnis eine alleinige Haftung des zuletzt handelnden Unternehmers ergibt. § 774 BGB ist wiederum entsprechend auf die Auftraggeberhaftung anwendbar; Besonderheiten ergeben sich dann auch für die Regelung bei mehreren Auftraggebern. § 775 BGB ist bei Bestehen eines Freistellungsanspruchs entsprechend anzuwenden. § 776 und § 777 BGB sind schließlich auf die Auftraggeberhaftung nicht entsprechend anwendbar. Mithin sind zunächst einmal die Vorschriften des Bürgschaftsrechts auf die Auftraggeberhaftung anwendbar, die auch auf eine rechtsgeschäftlich entstandene „normale“ selbstschuldnerische Bürgschaft anwendbar sind. Ausnahmen bilden insofern § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB und § 776 BGB, die aufgrund des Zweckes der Auftraggeberhaftung im Vergleich zu einer selbstschuldnerischen Bürgschaft nicht anzuwenden sind. Das Erfordernis einer ernsthaften Leistungsaufforderung durch den Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber kompensiert einen Mangel der Auftraggeberhaftung gegenüber der Bürgschaft: die fehlende Selbstbestimmung des Auftraggebers. Abstrakt betrachtet finden die Bürgschaftsregelungen im Ergebnis keine Anwendung, wenn es um die rechtsgeschäftliche Entstehung geht oder die Wirksamkeit der Auftraggeberhaftung eingeschränkt würde. Unabhängig davon führt die fehlende Selbstbestimmung des Auftraggebers indes zu einer zusätzlichen Regelung, deren Rechtsgedanke aber wiederum dem Bürgschaftsrecht zu entnehmen ist. Ein davon wiederum abstrahiertes System, nach welchem sich die Anwendbarkeit der Vorschriften des Bürgschaftsrechts richtet, kann darüber hinaus nicht ausgemacht werden. III

Ergebnis

Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung begründet die entsprechende Anwendung der Regelungen des Bürgschaftsrechts. Für die Auftraggeberhaftung wurde dabei im Speziellen gezeigt, dass es sich hierbei nicht um eine umfängliche entspre-

A

Die Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts, §§ 765 ff. BGB

243

chende Anwendbarkeit der Bürgschaftsregelungen handelt. Vielmehr muss aufgrund des jeweiligen Zweckes der Vorschrift und des Zweckes der Auftraggeberhaftung die entsprechende Anwendung der Vorschrift untersucht werden. Damit verdeutlicht die nur eingeschränkte entsprechende Anwendbarkeit der Bürgschaftsregelungen erneut die Notwendigkeit der dogmatischen Unterscheidung von Bürgschaft und Auftraggeberhaftung als Form der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung.

244 B

Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen Änderungen auf Seiten des Gläubigers oder des Schuldners

Der Bestand einer Bürgschaft ist nicht allein in den Vorschriften der §§ 765 ff. BGB geregelt. Die rechtlichen Folgen eines Wechsels auf Seiten des Gläubigers oder des Hauptschuldners der Hauptforderung sind im Recht der Bürgschaft vielmehr nicht bedacht. Gleichwohl schließt eine bestellte Bürgschaft einen Gläubiger- oder Schuldnerwechsel für das Hauptschuldverhältnis (Valutaverhältnis) nicht aus. Für den Fall einer (rechtsgeschäftlich) bestellten Bürgschaft bestimmt das Gesetz aber an anderer Stelle – namentlich bei der Übertragung einer Forderung (§§ 398 ff. BGB) bzw. bei der Schuldübernahme (§§ 414 ff. BGB) – die Rechtsfolgen eines solchen Wechsels auf Gläubiger- oder Schuldnerseite: Einerseits gehen im Falle des Gläubigerwechsels gemäß § 401 Abs. 1 BGB mit der abgetretenen Forderung die Hypotheken, Schiffshypotheken oder Pfandrechte, die für sie bestehen, sowie die Rechte aus einer für sie bestellten Bürgschaft auf den neuen Gläubiger über. Andererseits erlöschen im Falle des Schuldnerwechsels gemäß § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB infolge der Schuldübernahme die für die Forderung bestellten Bürgschaften und Pfandrechte. Bei § 401 Abs. 1 BGB und § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt es sich um Vorschriften, die zwar nicht im Bürgschaftsrecht selbst normiert sind, dennoch eine wesentliche Bedeutung für die rechtsgeschäftlich bestellte Bürgschaft aufweisen. Daher sind sie auch für die Auftraggeberhaftung als Form der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung von Interesse. Es stellt sich demnach auch für § 401 BGB und § 418 BGB gleichermaßen die Frage, ob diese entsprechend auf die Auftraggeberhaftung anwendbar sind, welche Folgen sich also aus einem Gläubiger- bzw. Schuldnerwechsel der Hauptforderung für die Auftraggeberhaftung ergeben. I

Gläubigerwechsel (Übergang der Hauptforderung)

Ein Gläubigerwechsel ist auf drei verschiedene Arten möglich: Neben der rechtsgeschäftlichen Übertragung einer Forderung nach § 398 BGB in Form der Abtretung bestehen auch Tatbestände des gesetzlichen Forderungsübergangs (vgl. § 412 BGB). Zudem kann eine Forderung auch durch staatlichen Hoheitsakt übertragen werden; dies ist der Fall, wenn sich ein Gläubiger eine gepfändete Forderung an Zahlungs statt überweisen lässt (§§ 835 Abs. 1 Var. 1, Abs. 2, Abs. 3, 829 Abs. 2, Abs. 3 ZPO). Eine solche Überweisung an Zahlungs statt entfaltet die Wirkung einer Abtretung der Forderung.836

836

Vgl. etwa BGH, Urteil vom 19.12.2012 – VII ZB 50/11, NJW 2013, S. 539 (539); Busche in: Staudinger, Neubearbeitung 2017, BGB § 401, Rdnr. 51; Lieder in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 401, Rdnr. 9; Riedel in: Vorwerk/Wolf BeckOK-

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Änderungen auf Seiten des Gläubigers oder des Schuldners

1

Der gesetzlich geregelte Fall: Die bestellte Bürgschaft

245

Nach § 401 Abs. 1 BGB gehen mit der abgetretenen Forderung die Hypotheken, Schiffshypotheken oder Pfandrechte, die für sie bestehen, sowie die Rechte aus einer für sie bestellten Bürgschaft auf den neuen Gläubiger über.837 Diese Norm ist für den gesetzlichen Forderungsübergang nach § 412 BGB entsprechend anwendbar. Im Falle der Überweisung an Zahlungs statt, die die Wirkung einer Abtretung hat, ist § 401 BGB ebenfalls anwendbar.838 § 401 BGB trägt dem Umstand Rechnung, dass die genannten Neben- und Vorzugsrechte aufgrund des § 399 Var. 1 BGB nicht selbständig übertragbar sind und dennoch auf den neuen Gläubiger übergehen können. Es wird mithin ein Gleichlauf von Haupt- und Nebenrecht hergestellt839 bzw. Haupt- und Nebenrechte sollen zusammengehalten werden840. Der Wortlaut des § 401 Abs. 1 BGB weist dabei eine Besonderheit auf: Das Gesetz spricht einerseits von den Hypotheken, Schiffshypotheken oder Pfandrechten, die für die abgetretene Forderung bestehen. Andererseits spricht es – nur – von den Rechten aus einer für die abgetretene Forderung bestellten Bürgschaft. Der Gesetzgeber differenziert hier also vom Wortlaut her zwischen den verschiedenen Sicherungsrechten. Doch welche Bedeutung hat diese Differenzierung? Eine Hypothek entsteht gemäß § 1113 Abs. 1 BGB dadurch, dass ein Grundstück in der Weise belastet wird, dass an denjenigen, zu dessen Gunsten die Belastung erfolgt, eine bestimmte Geldsumme zur Befriedigung wegen einer ihm zustehenden Forderung aus dem Grundstück zu zahlen ist. Das Gesetz geht mithin von der Entstehung der Hypothek durch Rechtsgeschäft aus.841 Daneben kann eine Hypothek aber auch in der Form der sogenannten Zwangshypothek durch Hoheitsakt entstehen (vgl. zum Bei-

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ZPO, Stand: 25. Edition 15.06.2017, ZPO § 835, Rdnr. 13; Rosch in: Herberger/Martinek/ Rüßmann/Weth/Würdiger/Junker jurisPK-BGB, Band 2, Stand: 01.12.2016, BGB § 401, Rdnr. 3; Roth/Kieninger in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Krüger MünchKomm-BGB Band 2, BGB § 401, Rdnr. 1; Smid in: Krüger/Rauscher MünchKomm-ZPO Band 2, ZPO § 835, Rdnr. 24; Westermann in: Erman BGB, BGB § 401, Rdnr. 1. Reinicke/Tiedtke, Bürgschaftsrecht, Rdnr. 126. Busche in: Staudinger, Neubearbeitung 2017, BGB § 401, Rdnr. 51; Lieder in: Gsell/Krüger/ Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 401, Rdnr. 9; Roth/Kieninger in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Krüger MünchKomm-BGB Band 2, BGB § 401, Rdnr. 1. So Lieder in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 401, Rdnr. 2. So Westermann in: Erman BGB, BGB § 401, Rdnr. 1. Vgl. Kern in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.07.2017, BGB § 1113, Rdnr. 11.1; Lieder in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Gaier MünchKomm-BGB Band 7, BGB § 1113, Rdnr. 85; Wenzel in: Erman BGB, BGB § 1113, Rdnr. 14.

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Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

spiel §§ 866, 867 ZPO)842 oder ausnahmsweise auch kraft Gesetzes (vgl. zum Beispiel § 1287 Satz 2 BGB)843. Ein Pfandrecht an beweglichen Sachen entsteht gemäß § 1204 Abs. 1 BGB dadurch, dass eine bewegliche Sache zur Sicherung einer Forderung in der Weise belastet wird, dass der Gläubiger berechtigt ist, Befriedigung aus der Sache zu suchen. Gegenstand des Pfandrechts kann auch ein Recht sein (§ 1273 Abs. 1 BGB); die Vorschriften über das Pfandrecht an beweglichen Sachen finden grundsätzlich entsprechende Anwendung (§ 1273 Abs. 2 BGB). Das Gesetz geht also auch beim Pfandrecht von der Entstehung durch Rechtsgeschäft aus. Es kennt aber wiederum die Entstehung durch Hoheitsakt beim sogenannten Pfändungspfandrecht (vgl. §§ 803 Abs. 1 Satz 1, 804 Abs. 1 ZPO)844 oder kraft Gesetzes, wie auch § 1257 BGB verdeutlicht (vgl. als Beispiel den bereits genannten § 647 BGB)845. Damit lässt sich festhalten, dass sowohl bei der Hypothek als auch beim Pfandrecht jeweils die Entstehung durch Rechtsgeschäft, Hoheitsakt oder kraft Gesetzes möglich ist. Die Verwendung des Begriffs bestehen in Bezug auf die Hypothek und das Pfandrecht deutet daher bei § 401 BGB darauf hin, dass diese Norm solche Hypotheken und Pfandrechte erfasst, die sowohl durch Rechtsgeschäft als auch durch Hoheitsakt oder kraft Gesetzes entstanden sind. Der Begriff bestellt wird dahingegen nur den Fall einer Entstehung durch Rechtsgeschäft erfassen können. Einerseits kann ein durch Hoheitsakt oder Rechtsgeschäft entstandenes Sicherungsrecht wohl nicht als bestellt bezeichnet werden – insbesondere in Anbetracht der Gegenüberstellung von „bestehen“ und „bestellten“. Andererseits wird dies auch durch § 1257 BGB verdeutlicht. Dort heißt es: „Die Vorschriften über das durch Rechtsgeschäft bestellte Pfandrecht finden auf ein kraft Gesetzes entstandenes Pfandrecht entsprechende Anwendung.“ Der Gesetzgeber differenziert also zwischen „bestellten“ und „bestehenden“ Sicherungsrechten. „Bestellt“ soll dabei ausschließlich die Fälle einer rechtsgeschäftlichen Entstehung des Sicherungsrechts erfassen. „Bestehend“ erfasst hingegen die Fälle sowohl der rechtsgeschäftlichen als auch gesetzlichen Entstehung und der Entstehung durch Hoheitsakt.

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Vgl. Kern in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.07.2017, BGB § 1113, Rdnr. 11.2; Lieder in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Gaier MünchKomm-BGB Band 7, BGB § 1113, Rdnr. 92; Wenzel in: Erman BGB, BGB § 1113, Rdnr. 19. Vgl. Kern in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.07.2017, BGB § 1113, Rdnr. 11.3; Lieder in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Gaier MünchKomm-BGB Band 7, BGB § 1113, Rdnr. 90; Wenzel in: Erman BGB, BGB § 1113, Rdnr. 20. Vgl. dazu Förster in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.01.2018, BGB § 1204, Rdnr. 29 m. w. N. Vgl. Förster in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.01.2018, BGB § 1204, Rdnr. 28 m. w. N.

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Änderungen auf Seiten des Gläubigers oder des Schuldners

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Damit erfasst § 401 Abs. 1 BGB von seinem Wortlaut in Bezug auf die Rechte aus einer Bürgschaft nur solche, die für die abgetretene Forderung aus einer für sie durch Rechtsgeschäft bestellten Bürgschaft bestehen. Rechte aus einer etwaigen (vermeintlichen) gesetzlichen Bürgschaft sind vom Wortlaut des § 401 Abs. 1 BGB nicht erfasst. Dies ist in Übereinstimmung mit dem bisherigen Forschungsergebnis auch zutreffend geregelt, denn eine gesetzliche Bürgschaft existiert nicht. Ob der Gesetzgeber dies in der Form bedacht hat, als er sich für die Formulierung bestellten Bürgschaft entschieden hat, lässt sich indes nicht nachvollziehen.846 Die Rechte aus einer rechtsgeschäftlich entstandenen Bürgschaft gehen also im Falle der Abtretung, des gesetzlichen Forderungsübergangs oder der Überweisung an Zahlungs statt nach bzw. entsprechend § 401 BGB auf den neuen Gläubiger über.847 2

Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung in Form der Auftraggeberhaftung

Sowohl Mindestentgeltansprüche als auch Mindestlohnansprüche können grundsätzlich – durch Rechtsgeschäft, kraft Gesetzes oder durch staatlichen Hoheitsakt – übertragen werden. Insbesondere besteht insofern kein Ausschluss nach § 399 BGB.848 Probleme können sich freilich für die rechtsgeschäftliche Abtretung nach § 398 Satz 1 BGB ergeben, soweit die Mindestentgeltforderung oder die Mindestlohnforderung der Pfändung nicht unterworfen ist. In diesem Fall ordnet § 400 BGB im Interesse des Gläubigers einen Ausschluss der Abtretung an.849 Gemäß § 850 Abs. 1 ZPO kann Arbeitseinkommen, das in Geld zahlbar ist, nur nach Maßgabe der §§ 850a bis 850i ZPO gepfändet werden. Arbeitseinkommen ist gemäß § 850c Abs. 1 Satz 1 ZPO unpfändbar, wenn es nicht mehr als EUR 52,19 täglich zuzüglich der Erhöhungen nach § 850c Abs. 1 Satz 2, Abs. 2. Satz 1 ZPO beträgt. Bei einem Mindestlohn von derzeit EUR 8,84 ist das Arbeitsentgelt also jedenfalls zu einem gewissen Teil nicht pfändbar, wenn der Arbeitnehmer nur Mindestlohn verdient. Möglicherweise kann sogar ein gänzlicher Ausschluss der Pfändbarkeit vorliegen, wenn der unpfändbare Betrag zu erhöhen

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Insofern hilft auch der Ansatz von Heukenkamp nicht weiter, da einerseits die Materialien zu § 401 BGB keinen Hinweis zu der Differenzierung liefern, andererseits eine Auslegung des Wortes „bestellt“ als „angeordnet“ den Vergleich zum Wort „bestehen“ nicht hinlänglich bedenkt, vgl. Heukenkamp, Gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland und Frankreich, S. 386 f. Lambsdorff/Skora, Handbuch des Bürgschaftsrechts, Rdnr. 349. Bayreuther in: Thüsing MiLoG/AEntG, MiLoG § 1, Rdnr. 5: „Einfordern kann ihn [den Mindestlohn] indes alleine der Arbeitnehmer; eine Abtretung nach § 398 BGB ist freilich möglich.“ m. w. N. Vgl. zum Normzweck des § 400 BGB Lieder in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 400, Rdnr. 2; Roth/Kieninger in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/ Krüger MünchKomm-BGB Band 2, BGB § 400, Rdnr. 1 - 2.

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Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

ist.850 Dann ist jedenfalls eine Abtretung des Mindestentgelt- bzw. des Mindestlohnanspruchs nicht möglich.851 § 400 BGB ist über § 412 BGB ebenfalls auf die Übertragung einer Forderung kraft Gesetzes entsprechend anwendbar. Somit gilt der Ausschluss grundsätzlich auch bei einem gesetzlichen Forderungsübergang. § 400 BGB findet ausnahmsweise jedoch dann keine Anwendung, wenn die Forderung auf denjenigen übergehen soll, der gesetzlich zur Erbringung einer Leistung anstelle der Forderung verpflichtet ist. In diesem Fall ist § 400 BGB teleologisch zu reduzieren.852 Sofern beispielsweise die Bundesagentur für Arbeit Insolvenzgeld an einen Arbeitnehmer zahlt, greift § 400 BGB entsprechend für den gesetzlich angeordneten Forderungsübergang gemäß § 169 Satz 1 SGB III nicht ein, weil der Arbeitnehmer ein Äquivalent für seine Lohnforderung erhalten hat und er nicht mehr über § 400 BGB entsprechend schutzwürdig ist.853 Vorausgesetzt, die Mindestentgelt- oder Mindestlohnforderung ist demnach übertragbar, stellt sich die Frage, ob § 401 BGB auf die Auftraggeberhaftung als Form der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung anwendbar ist – dies ist in Rechtsprechung und Schrifttum insbesondere mit Blick auf § 14 Satz 1 AEntG umstritten. Vom Wortlaut erfasst § 401 BGB die Auftraggeberhaftung jedenfalls nicht. a)

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Falle der Insolvenzgeldzahlung zu § 14 AEntG

Für die Rechtsprechung ist insoweit das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 8. Dezember 2010 maßgebend.854 Diesem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Bundesagentur für Arbeit zahlte an die Arbeitnehmer eines insolventen Arbeitgebers Insolvenzgeld gemäß §§ 165 ff. SGB III. Die Arbeitnehmer hatten aufgrund der Beauftragung ihres Arbeitgebers mit einer Werk- oder Dienstleistung durch einen anderen Unternehmer einen Anspruch gegen den anderen Unternehmer aus der gesetzlich

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Vgl. auch die Begründung, Allgemeiner Teil, Wesentlicher Inhalt des Entwurfs, Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns, BT-Drs. 18/1558, S. 28: „Ein Arbeitsentgelt von brutto 8,50 Euro je Zeitstunde ermöglicht es einem alleinstehenden Vollzeitbeschäftigten, bei durchschnittlicher Wochenarbeitszeit ein Monatseinkommen oberhalb der Pfändungsfreigrenze gemäß § 850c Absatz 1 Satz 1 ZPO zu erzielen.“ Eine Ausnahme ist lediglich dann zu machen, wenn der Zedent vom Zessionar eine funktionsäquivalente Gegenleistung erhält, vgl. dazu Lieder in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 400, Rdnr. 20 - 22. So Lieder in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 400, Rdnr. 13 m. w. N. Vgl. insofern auch den Fall der Befriedigung durch einen Bürgen oben unter Viertes Kapitel. A II 5. BAG, Urteil vom 08.12.2010 – 5 AZR 95/10, NZA 2011, S. 514.

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Änderungen auf Seiten des Gläubigers oder des Schuldners

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angeordneten bürgenähnlichen Haftung des § 14 Satz 1 AEntG.855 Diesen Anspruch wollte sich die Bundesagentur für Arbeit zu eigen machen und den Auftraggeber aus abgetretenem Recht in Anspruch nehmen. Die Grundlage dafür sah die Bundesagentur für Arbeit in § 169 SGB III. Gemäß § 169 Satz 1 SGB III gehen nämlich – bereits mit dem Antrag auf Insolvenzgeld – Ansprüche auf Arbeitsentgelt, die einen Anspruch auf Insolvenzgeld begründen, auf die Bundesagentur als zuständige Behörde im Sinne des § 327 Abs. 1 Satz 1 SGB III über. Eventuelle Sicherungsrechte gehen gemäß § 412 BGB entsprechend § 401 BGB mit über.856 Ein solches Sicherungsrecht war nach Ansicht der Bundesagentur für Arbeit die Haftung des Auftraggebers nach (damals) § 1a AEntG a. F. aa) Das Bundesarbeitsgericht: Keine analoge Anwendbarkeit des § 401 BGB – Kein Übergang der Auftraggeberhaftung Das Bundesarbeitsgericht verneinte den Übergang der Auftraggeberhaftung nach § 412, 401 Abs. 1 BGB, die Bundesagentur für Arbeit durfte also den Auftraggeber nicht nach § 1a AEntG a. F. in Anspruch nehmen. Nach Ansicht der Richter handelt es sich bei der Haftung nicht um eine „bestellte Bürgschaft“ im Sinne des § 401 Abs. 1 BGB, sondern um eine gesetzlich angeordnete Bürgenhaftung, sodass eine direkte Anwendung der Norm ausscheidet. Aber auch eine analoge Anwendung des § 401 Abs. 1 BGB, welche nach allgemeiner Ansicht auf nicht ausdrücklich genannte Nebenrechte grundsätzlich möglich ist857, verneinte das Gericht, da die Auftraggeberhaftung kein Nebenrecht zum Mindestentgeltanspruch des Arbeitnehmers sei. Dies begründete das Gericht wie folgt: Die Durchsetzung des Mindestentgeltanspruchs sei mit Zahlung des Insolvenzgeldes nicht mehr erforderlich, da der Arbeitnehmer befriedigt sei. Zudem sei die Haftung kein bloßes Hilfsrecht, sondern verschaffte dem Arbeitnehmer einen weiteren Schuldner. Ferner verfolge die Haftung präventive Zwecke, namentlich die sorgfältige Auswahl eines Nachunternehmers sowie die Verhinderung von „Schmutzkonkurrenz“, was den Nebenrechten in § 401 Abs. 1 BGB fremd sei. 855 856 857

Im zur Entscheidung stehenden Fall war noch die Vorgängerregelung des § 1a AEntG a. F. anwendbar. Vgl. dazu Plössner in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching BeckOK-SozR, Stand: 47. Edition 01.12.2017, SGB III § 169, Rdnr. 3. Vgl. BGH, Beschluss vom 09.02.2012 – VII ZB 117/09, NJW-RR 2012, S. 434 (435); Busche in: Staudinger, Neubearbeitung 2017, BGB § 401, Rdnr. 28; Lieder in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 401, Rdnr. 31 ff.; Rohe in: Bamberger/Roth/Hau/ Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 401, Rdnr. 5; Roth/Kieninger in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Krüger MünchKomm-BGB Band 2, BGB § 401, Rdnr. 7 - 13; Westermann in: Erman BGB, BGB § 401, Rdnr. 2.

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Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

Schließlich erwog das Gericht, dass es sowieso keiner Sicherung der Mindestentgeltansprüche der Arbeitnehmer, die Insolvenzgeld erhalten haben, mehr bedürfe, da deren Mindestlohnanspruch mit Erhalt des Insolvenzgeldes erfüllt sei. Die Bundesagentur für Arbeit solle durch die Auftraggeberhaftung auch nicht entlastet werden. Es bestünde zudem unter bestimmten Umstände die Haftung des Auftraggebers für die Umlage des Nachunternehmers zur Insolvenzgeldfinanzierung.858 bb) Rezeption in der Literatur Diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wurde in der Literatur zustimmend859, aber auch ablehnend aufgenommen. Für Erstaunen sorgte die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts unter anderem deswegen, weil das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2005860 selbst entschieden hatte, dass sich die Bundesagentur für Arbeit im Falle der Insolvenzgeldzahlung wegen des Übergangs der Arbeitsentgeltansprüche mit dem Generalunternehmer oder anderen Nachunternehmern solvente Schuldner erhalte, bei denen sie sich schadlos halten könne.861 Dieser Ansicht folgte ein erheblicher Teil der Literatur.862 Bereits zur Berufungsentscheidung863 – zu dem von dem Bundesarbeitsgericht zu entscheidenden Fall im Jahr 2010 – hat sich Temming für einen Übergang der Auftraggeberhaftung auf die Bundesagentur für Arbeit ausgesprochen. Er begründet dies mit einer „Vorrangigkeit der Bürgenhaftung“ und einer „damit einhergehenden Subsidiarität des Insolvenzgeldes“. Im Ergebnis habe der Auftraggeber aufgrund der gesetzgeberischen Entscheidung in § 14 AEntG – verschuldensunabhängige Haftung, Ausschluss der Einrede der Vorausklage – einzuspringen, wenn der Nachunternehmer zu wenig leiste, und damit erst recht, wenn er aufgrund der Insolvenz gar nicht leiste. Schließlich sei ein ganz anderer Anspruch teleologisch zu begrenzen: Nimmt ein insolvenzgeldberechtigter Arbeitnehmer einen Auftraggeber gemäß § 14 AEntG in An-

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Vgl. zum Vorstehenden BAG, Urteil vom 08.12.2010 – 5 AZR 95/10, NZA 2011, S. 514 (516). So unter anderem Berkowsky NZI 2011, S. 360 (362 - 364); Plagemann EWiR 2011, S. 361 (362). BAG, Urteil vom 12.01.2005 – 5 AZR 617/01, NZA 2005, S. 627 (631) m.V.a.; Rieble/Lessner ZfA 2002, S. 29 (77), die sich aber explizit nicht zu einem Übergang der Haftung äußern. Vgl. dazu Berkowsky NZI 2011, S. 360 (363), der auf die Frage eines Konflikts des Bundesarbeitsgerichts mit früherer Rechtsprechung eingeht; aber auch Temming jurisPR-ArbR 10/2010 Anm 6, der bereits in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Würrtemberg vom 18. Januar 2010 - 4 Sa 14/09 (Berufungsentscheidung zur hier diskutieren Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts) einen Konflikt zur früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sieht. Vgl. zu der dem Bundesarbeitsgericht folgenden Literatur die Zusammenstellung bei Temming jurisPR-ArbR 10/2010 Anm 6. LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.01.2010 – 4 Sa 14/09, juris.

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Änderungen auf Seiten des Gläubigers oder des Schuldners

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spruch, so dürfe der Anspruch auf das Insolvenzgeld gerade nicht auf den Auftraggeber gemäß § 170 SGB III übergehen.864 Boemke beispielsweise konstatiert hingegen, dass der „richtige Ansatzpunkt für die Definition des unselbstständigen Sicherungsrecht nicht dessen Zielsetzung, sondern die Frage der Abhängigkeit des Rechts von der ihr zugrundliegenden Forderung [ist]“. Für den Fall der Auftraggeberhaftung bejaht er die Rechtsnatur als unselbständiges Sicherungsrecht und kommt somit zu dem Schluss, dass der Haftungsanspruch auf Grund des § 401 BGB übergehen kann.865 Balzer sieht die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vor dem Hintergrund der Frage, welcher Sicherungsgeber endgültig haften soll, als nachvollziehbar an. Er kritisiert aber die Beweggründe des Bundesarbeitsgerichts, sofern es um die Haftung des Auftraggebers in der Insolvenz des originären Schuldners geht. Denn „wenn und solange der Hauptunternehmer sicher sein kann, in der Insolvenz des Nachunternehmers für den Insolvenzzeitraum von Lohnforderungen entlastet zu sein, besteht für ihn gerade kein Anlass zu erhöhter Sorgfalt bei der Auswahl von Nachunternehmern.“866 Auch noch sieben Jahre später stößt die Entscheidung auf Kritik. So vertritt Heukenkamp im Gegensatz zum Bundesarbeitsgericht sogar eine unmittelbare Anwendbarkeit des § 401 BGB auf die Auftraggeberhaftung. Dies begründet sie damit, dass unter dem Begriff „bestellt“ im Sinne des § 401 Abs. 1 BGB auch „gesetzlich angeordnet“ verstanden werden könne, was sie etymologisch versucht zu erklären.867 Schließlich sind für sie auch teleologische Erwägungen tragend.868 Auch andere Stimmen in der Literatur vertreten schließlich eine Anwendbarkeit der §§ 412, 401 BGB auf die Auftraggeberhaftung.869 Die Begründungen laufen dabei in gleichen bzw. ähnlichen Bahnen wie die bereits dargestellten Argumentationen. b)

Eigener Ansatz: Der Übergang der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung

Ungeachtet der Frage, ob und inwieweit die „Hauptforderung“, für die die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung besteht, überhaupt abtretbar ist870, stellt sich die

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869

Temming jurisPR-ArbR 10/2010 Anm 6. Boemke jurisPR-ArbR 22/2011 Anm. 5. Balzer jurisPR-SozR 14/2011 Anm. 3 Heukenkamp, Gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland und Frankreich, S. 387 - 388. Heukenkamp, Gesetzlicher Mindestlohn in Deutschland und Frankreich, S. 388 - 389; im Ergebnis so auch, aber ohne nähere Begründung, zum Beispiel Koberski/Asshoff/Winkler/Eustrup, Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG § 14, Rdnr. 37. So auch Lakies, Mindestlohngesetz, MiLoG § 13, Rdnr. 20; Lakies in: Däubler TVG, Anhang 2 zu § 5 TVG: AEntG § 14, Rdnr. 23.

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Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

Frage, ob und bejahendenfalls auf welche Weise § 401 Abs. 1 BGB für die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung anwendbar ist. aa) Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung als unselbständiges Nebenrecht? Ohne Zweifel wird man feststellen können, dass eine eigenständige Übertragung der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung ausscheidet, da die Haftung jedenfalls akzessorisch ist und unselbständig sein dürfte. Eine eigenständige Übertragung scheitert mithin an § 399 Var. 1 BGB. Die in § 401 Abs. 1 BGB genannten Nebenrechte sind ebenfalls unselbständig, es bedarf zu ihrer Übertragbarkeit daher der Regelung dieser Norm. Das Bundesarbeitsgericht liegt insofern aber richtig, dass es sich bei der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung nicht um eine „bestellte Bürgschaft“ handelt. § 401 Abs. 1 BGB ist demnach nicht unmittelbar anwendbar. In Anlehnung an die hier vertretene Ansicht könnte aber eine entsprechende Anwendung des § 401 Abs. 1 BGB angezeigt sein, wenn teleologische Erwägungen dies zulassen und überhaupt ein Bedürfnis nach § 401 Abs. 1 BGB bestünde. Das Bundesarbeitsgericht liegt bereits mit der dogmatischen Konstruktion eines Analogieschlusses nicht richtig. Aber auch die Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts sind nicht haltbar. Das Gericht setzt sich allein mit dem Fall des Übergangs der Mindestentgeltansprüche auf die Bundesagentur für Arbeit nach § 169 Satz 1 SGB III auseinander und verneint dann die (analoge) Anwendung des § 401 Abs. 1 BGB mit Gründen, die sich auch allein auf den Fall der Insolvenzgeldzahlung bzw. die Bundesagentur für Arbeit beziehen. Damit betrachtet das Gericht nicht die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung als solche, sondern argumentiert allein mit Blick auf den neuen Gläubiger, welchem sie den Übergang der Haftung nicht zubilligen will. Konsequenterweise müsste das Bundesarbeitsgericht aber in jedem Fall der Übertragung – also rechtsgeschäftliche Abtretung, gesetzlicher Forderungsübergang oder Überweisung an Zahlungs statt – die (analoge) Anwendung des § 401 Abs. 1 BGB verneinen, obgleich in anderen Konstellationen als der Insolvenzgeldzahlung beispielsweise die Durchsetzung des Mindestentgeltanspruchs und die präventiven Zwe-

870

Da es sich beispielsweise im Rahmen von § 14 Satz 1 AEntG bei der Hauptforderung um eine Lohnforderung handelt, ist insoweit der Pfändungsschutz nach §§ 850 ff. ZPO mit der Folge der (teilweisen) Unpfändbarkeit der Lohnforderung und damit der Ausschluss der Abtretbarkeit nach § 400 BGB zu beachten, vgl. oben untern Viertes Kapitel. B I 2.

B

Änderungen auf Seiten des Gläubigers oder des Schuldners

253

cke weiterhin relevant sein können.871 Die Begründung des Bundesarbeitsgerichts ist damit dogmatisch fragwürdig. Insofern ist auch Boemkes Kritik zuzustimmen, denn auf die Zielsetzung der Auftraggeberhaftung kann es für die Frage der Anwendbarkeit des § 401 Abs. 1 BGB nicht allein ankommen. Auch das Argument, dass dem Arbeitnehmer ein weiterer Schuldner verschafft würde, verfängt nicht. Denn die Stellung des Haftenden ist vergleichbar mit der eines Bürgen: Beide stehen nicht neben, sondern hinter dem originären Schuldner. Sie sind zwar quasi Schuldner der Hauptforderung, haben aber eine eigenständige Stellung. Ein selbstschuldnerischer Bürge kann eben ohne die Einrede der Vorausklage in Anspruch genommen werden und steht dann wie ein weiterer Schuldner dar, er ist es aber im Ergebnis nicht. Auch bei der selbstschuldnerischen Bürgschaft wird eine Bürgschaft im Sinne des § 401 Abs. 1 BGB angenommen. Das Argument zu den präventiven Zwecken der Auftraggeberhaftung ist ebenfalls nicht haltbar. Denn auch eine Bürgschaft kann aus Sicht des Gläubigers „präventive“ Zwecke haben. Der Gläubiger könnte durch eine Bürgschaft – neben dem Wissen um die Sicherung seines Anspruchs durch den Zugriff auf das Vermögen des Bürgen – auch die Erwartung bzw. Hoffnung haben, dass der Bürge auf den Schuldner zur Leistung einwirkt. Wenn überhaupt kommt in Anlehnung an die entsprechende Anwendbarkeit des Bürgschaftsrechts auf die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung eine entsprechende Anwendung des § 401 Abs. 1 BGB in Betracht. Eine entsprechende Anwendung des § 401 Abs. 1 BGB auf die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung würde indes voraussetzen, dass aus teleologischer Sicht eine Vergleichbarkeit bestünde. Eine rechtsgeschäftliche Bürgschaft und die Hauptforderung stellen eine wirtschaftliche Einheit dar. Dies ist bei der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung ebenfalls der Fall. Darüber hinaus stellen die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung und die „Hauptforderung“ aber auch eine rechtliche Einheit dar, sie sind – anders als die Bürgschaft und die Hauptschuld – untrennbar miteinander verbunden. Das könnte jedoch bedeuten, dass es der gesetzlichen Anordnung der Übertragung der Haftung gar nicht bedarf. bb) Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung als unselbständiger Forderungsbestandteil § 401 BGB findet auf unselbständige Forderungsbestandteile keine Anwendung. Dabei handelt es sich um Bestandteile der Forderung, die dem Gläubiger als solchem zu-

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So zum Beispiel im Falle der Pfändung des Arbeitslohns.

254

Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

stehen und sich lediglich aus der funktionellen Entwicklung des Forderungsrechts ergeben.872 Solche stellen keine übertragbaren Rechtspositionen dar. Die Forderung und der unselbständige Forderungsbestandteil stellen eine rechtliche Einheit dar, welche nicht aufgelöst werden kann. Daher stehen unselbständige Forderungsbestandteile a priori dem jeweiligen Inhaber der Forderung zu.873 Dazu zählen beispielsweise Schadensersatzansprüche, deren Rechtsgrund bereits vor der Abtretung gelegt wurde, die sich aber erst nach Abtretung realisieren lassen, oder der sogenannte Aufwertungsanspruch.874 Bei der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung handelt es sich um einen solchen unselbständigen Forderungsbestandteil. Zwar unterscheidet sich die gesetzlich angeordnete bürgenähnlichen Haftung etwa von einem Schadensersatzanspruch dadurch, dass nicht nur der Rechtsgrund bereits vor der Abtretung gelegt ist, sondern sich der Anspruch auch schon vor der Abtretung gegebenenfalls realisieren lässt. Doch ergibt sich die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung gleichwohl lediglich aus der funktionellen Entwicklung des Forderungsrechts. Denn es sind durchweg Fälle erfasst, in denen für einen Anspruch zu einem späteren Zeitpunkt die Haftung hinzutritt. Für den Anspruch kann also zu einem Zeitpunkt eine gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung bestehen, zu einem anderen Zeitpunkt nicht. Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung entstünde dann auch bei dem jeweiligen Forderungsinhaber ohne dessen Zutun. Es kann daher keinen Unterschied für die Abtretung der Hauptforderung machen, ob der Anspruch aus der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung besteht oder nicht. Vielmehr entsteht die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung allein aus der funktionellen Entwicklung des Forderungsrechts. Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung und die Hauptforderung bilden daher eine rechtliche Einheit. Dies zeigt sich auch darin, dass die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung nur kraft Gesetzes entstehen kann und nicht rechtsgeschäftlich gesondert vereinbart werden kann.

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Busche in: Staudinger, Neubearbeitung 2017, BGB § 401, Rdnr. 9; Lieder in: Gsell/Krüger/ Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 401, Rdnr. 61; Rosch in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdiger/Junker jurisPK-BGB, Band 2, Stand: 01.12.2016, BGB § 401, Rdnr. 17. Busche in: Staudinger, Neubearbeitung 2017, BGB § 401, Rdnr. 9; Lieder in: Gsell/Krüger/ Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 401, Rdnr. 61; Rosch in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdiger/Junker jurisPK-BGB, Band 2, Stand: 01.12.2016, BGB § 401, Rdnr. 17. Vgl. Busche in: Staudinger, Neubearbeitung 2017, BGB § 401, Rdnr. 9; Lieder in: Gsell/Krüger/ Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 401, Rdnr. 61.

B

Änderungen auf Seiten des Gläubigers oder des Schuldners

255

Auch wenn es sich bei der Auftraggeberhaftung um einen Fall der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung und um eine Bezugnahme auf die Bürgschaft handelt, ist die unterschiedliche Behandlung von Bürgschaft und Auftraggeberhaftung hinsichtlich der Regelung des § 401 Abs. 1 BGB auch mit Blick auf Sinn und Zweck gerechtfertigt: Die Bürgschaft zielt gerade auf die Kreditsicherung des Schuldners ab, wohingegen die Auftraggeberhaftung eher präventive und sanktionierende Ziele verfolgt. Deswegen stellt die Auftraggeberhaftung auch kein Neben- bzw. Vorzugsrecht im Sinne des § 401 Abs. 1 BGB dar. Insofern ist dem Bundesarbeitsgericht also in einem Argument zuzustimmen. Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung fällt daher, anders als eine Bürgschaft, nicht unter § 401 Abs. 1 BGB, sondern steht vielmehr a priori dem jeweiligen Gläubiger der Hauptforderung zu. Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung ist untrennbar mit der jeweiligen Schuld verbunden und folgt ihr deshalb von selbst. c)

Ergebnis

Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung steht demnach im Falle der rechtsgeschäftlichen Abtretung, des gesetzlichen Forderungsübergangs oder auch der Überweisung an Zahlungs statt dem jeweiligen Gläubiger der Hauptforderung zu, da sie einen unselbständigen Forderungsbestandteil darstellt. § 401 Abs. 1 BGB ist insofern gar nicht anwendbar, weil dessen Regelungsgehalt für die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung nicht erforderlich ist. Auch hieran zeigt sich erneut, dass die Differenzierung zwischen der Bürgschaft und der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung für die rechtliche Beurteilung der Folgen notwendig ist. Das Bundesarbeitsgericht hätte demnach für die Haftung des Auftraggebers feststellen müssen, dass die Bundesagentur für Arbeit auch Anspruchsberechtigte aus der Auftraggeberhaftung ist. Selbst wenn dies nicht gewollt sein sollte, könnte hier unter Umständen dogmatisch eine teleologische Restriktion angelegt werden für den Fall, dass der Sicherungszweck durch die Zahlung des Insolvenzgeldes nicht mehr verwirklicht werden könnte. II

Schuldnerwechsel

In den §§ 414 ff. BGB ist die Schuldübernahme normiert. Dadurch kann die Schuld durch einen Dritten in der Weise übernommen werden, dass der Dritte an die Stelle des bisherigen Schuldners tritt. Dies kann entweder gemäß § 414 BGB durch Vertrag zwischen dem Dritten und dem Gläubiger erfolgen oder gemäß § 415 Abs. 1 Satz 1 BGB zwischen dem Dritten und dem Schuldner vereinbart werden, sofern der Gläubi-

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Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

ger der Schuldübernahme zustimmt (unter den Voraussetzungen des § 414 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 und Abs. 3 BGB). 1

Der gesetzlich geregelte Fall: Die bestellte Bürgschaft

§ 418 Abs. 1 Satz 1 BGB regelt für diesen Fall, dass infolge der Schuldübernahme die für die Forderung bestellten Bürgschaften und Pfandrechte erlöschen. Das Gleiche tritt nach § 418 Abs. 1 Satz 3 BGB ein, wenn für die Forderung eine Hypothek oder Schiffshypothek besteht und der Gläubiger auf diese verzichtet. Die Sicherungs- und Vorzugsrechte erlöschen jedoch dann nicht, wenn der Bürge oder derjenige, welchem der verhaftete Gegenstand zur Zeit der Schuldübernahme gehört, in diese einwilligt (§ 418 Abs. 1 Satz 3 BGB). § 418 Abs. 1 BGB bezweckt mithin den Schutz des Sicherungsgebers, der (auch) im Hinblick auf die Person des Schuldners die Sicherheit bestellt hat.875 § 418 Abs. 1 BGB nimmt die Differenzierung zwischen „bestehenden“ und „bestellten“ Sicherungsrechten, die auch schon § 401 Abs. 1 BGB vorgenommen hat, erneut auf. Dabei unterscheiden sich die beiden Normen aber: Spricht § 401 Abs. 1 BGB von „bestehenden Pfandrechten“ und „bestellten Bürgschaften“, erfasst § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB lediglich „bestellte Bürgschaften und Pfandrechte“. In entsprechender Auslegung zu § 401 Abs. 1 BGB bedeutet dies nach hiesigem Verständnis, dass § 418 Abs. 1 BGB einerseits rechtsgeschäftlich entstandene, also bestellte Bürgschaften und Pfandrechte, und andererseits rechtsgeschäftliche, gesetzlich sowie durch Hoheitsakt entstandene, also bestehende Hypotheken und Schiffshypotheken, erfasst, nicht aber gesetzlich oder durch Hoheitsakt entstandene Pfandrechten oder Bürgschaften (die so nach hiesiger Auffassung nicht existieren). Gleichwohl wird auch die Einbeziehung von gesetzlich entstandenen Pfandrechten bei § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB vertreten: Insofern soll § 1257 BGB für eine „generelle Anwendung [des § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB] auf alle kraft Gesetzes entstandenen Pfandrechte“ sprechen.876 Sofern der Sicherungsgeber für ein Pfandrecht jedoch unabhängig von seinem Willen einstehen muss, er sich die Person des Schuldners also „nicht aussuchen“ konnte, weil das Pfandrecht gesetzlich entsteht, bestünde auch kein Schutzbedürfnis für den Sicherungsgeber. In Ermangelung dieses Schutzbedürfnisses 875

876

Vgl. Bydlinski in: Säcker/Rixecker/Oetker/Limperg/Krüger MünchKomm-BGB Band 2, BGB § 418, Rdnr. 1; Heinig in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 418, Rdnr. 1; Rieble in: Staudinger, Neubearbeitung 2017, BGB § 418, Rdnr. 1, 2; Rohe in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 418, Rdnr. 1; Rosch in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdiger/Junker jurisPK-BGB, Band 2, Stand: 01.12.2016, BGB § 418, Rdnr. 1; Röthel in: Erman BGB, BGB § 418, Rdnr. 1. Vgl. Heinig in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 418, Rdnr. 10 m. w. N.

B

Änderungen auf Seiten des Gläubigers oder des Schuldners

257

fände § 418 BGB auf ein gesetzlich entstandenes Pfandrecht dann keine Anwendung, so zum Beispiel beim Werkunternehmerpfandrecht nach § 647 BGB.877 Sofern der Sicherungsgeber wieder Einfluss auf die Person des Schuldners hat, soll § 418 BGB gleichwohl bei einem gesetzlich entstandenen Pfandrecht Anwendung finden. Dies sei zum Beispiel bei § 566 Abs. 2 BGB der Fall, da der Vermieter sich die Person des Schuldners aussuchen könne, der Verkauf der Immobilie stünde ihm frei.878 Gegen die Einbeziehung von gesetzlich entstandenen Pfandrechten spricht indes einerseits die systematische Stellung des § 1257 BGB im Sachenrecht: Zwar finden gemäß § 1257 BGB die Vorschriften über das durch Rechtsgeschäft bestellte Pfandrecht auf ein kraft Gesetzes entstandenes Pfandrecht entsprechende Anwendung. Die Norm bezieht sich aufgrund ihrer Stellung aber allein auf die Vorschriften über rechtsgeschäftlich bestellte Pfandrechte gemäß §§ 1204 ff. BGB.879 Auch die Differenzierung nach der Einflussmöglichkeit des Sicherungsgebers auf die Person des Schuldners überzeugt nicht: Gleichviel, um welches gesetzliche Pfandrecht es sich handelt, hat der Sicherungsgeber stets eine „Auswahlmöglichkeit“ in Bezug auf den Schuldner. Denn der Sicherungsgeber muss an dem dem gesetzlichen Pfandrecht vorhergehenden Rechtsgeschäft selbst mitwirken. Dabei ist die Wahl des Schuldners für das vorherige Rechtsgeschäft ausschlaggebend für das gesetzliche Pfandrecht. Obgleich das Pfandrecht gesetzlich entsteht, wird der künftige Sicherungsgeber auch mit Blick auf diese Sicherheit bei dem Abschluss des vorherigen Rechtsgeschäfts agieren. Mithin bestünde immer ein Schutzbedürfnis für den Sicherungsgeber, § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB wäre bei jedem gesetzlich entstandenen Pfandrecht anwendbar. Andererseits hätte der Gesetzgeber die Pfandrechte ebenfalls unter § 418 Abs. 1 Satz 2 BGB fassen können (mit oder ohne Anordnung eines ausdrücklichen Verzichtserfordernisses auf Seiten des Gläubigers). Dann unterliegen auch gesetzlich entstandene Pfandrechte dem § 418 BGB. § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB verdeutlicht nochmals, dass der Begriff „bestellt“ alleinig die rechtsgeschäftliche Entstehung eines Sicherungsrechts erfasst. Im Ergebnis ist § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB nach hiesigem Verständnis also allein auf rechtsgeschäftlich entstandene Pfandrechte und Bürgschaften sowie bestehende Hypotheken und Schiffshypotheken anwendbar, was durch den Wortlaut der Norm deutlich wird. § 1257 BGB

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Vgl. Heinig in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 418, Rdnr. 10; Rohe in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck BeckOK-BGB, Stand: 44. Edition 01.11.2017, BGB § 418, Rdnr. 2. So Heinig in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.11.2017, BGB § 418, Rdnr. 10 m. w. N.; andere Ansicht Rieble in: Staudinger, Neubearbeitung 2017, BGB § 418, Rdnr. 19, der stets eine analoge Anwendung des § 418 BGB erwägt, m. w. N. Vgl. dazu Förster in: Gsell/Krüger/Lorenz/Mayer BeckOGK-BGB, Stand: 01.01.2018, BGB § 1257, Rdnr. 2.

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Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

kann nicht zu einer Anwendbarkeit der Norm auf gesetzlich entstandene Pfandrechte führen. 2

Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung in Form der Auftraggeberhaftung

§ 418 Abs. 1 Satz 1 BGB ist von seinem Wortlaut her auf die Auftraggeberhaftung mithin nicht anwendbar, denn es handelt sich bei dieser nicht um eine bestellte Bürgschaft. Es könnte aber eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf die Auftraggeberhaftung in Betracht kommen, da der Gesetzgeber mit der Formulierung „wie ein Bürge“ eine umfassende Bezugnahme auf Regelungen des Bürgschaftsrechts und damit verbundene Regelungen getroffen hat. Ein Schutzbedürfnis des Auftraggebers – vergleichbar dem eines Bürgen – kann man dadurch bejahen, dass er sich unmittelbar oder jedenfalls mittelbar die Person des Schuldners aussucht. Dies spricht für eine entsprechende Anwendbarkeit des § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Auftraggeberhaftung. Es könnten aber Sinn und Zweck der Auftraggeberhaftung – vornehmlich der Schutz des Gläubigers der Hauptforderung, also des jeweiligen Arbeitnehmers – überwiegen, was eine Nichtanwendbarkeit der Vorschrift bedeutete. Bei der Schuldübernahme muss der Gläubiger jedoch entweder nach § 414 BGB oder nach § 415 Abs. 1 Satz 1 BGB beteiligt werden. Er ist also eigener Herr über seinen Anspruch. Ein Arbeitnehmer kann sich aus diesem Grunde selbst schützen. Dies spricht mithin nicht gegen eine entsprechende Anwendung. Die Anwendung des § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB führt aber zu einem Automatismus: Die Auftraggeberhaftung ginge unter. Ein solch automatischer Untergang, ohne dass explizit auf den Haftungsanspruch verzichtet wird, könnte aber mit der Auftraggeberhaftung unvereinbar sein. Hier gilt jedoch erneut: Der Gläubiger ist Herr des Anspruchs aufgrund seiner notwendigen Beteiligung. Im Rahmen der Beteiligung wird man aber – zu seinem besonderen Schutz als Arbeitnehmer – fordern können, dass ein ausdrücklicher Hinweis auf die Rechtsfolge des § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB entsprechend erfolgen muss. Gegen die Anwendbarkeit des § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB spricht auch nicht, dass es sich bei der Auftraggeberhaftung als Form der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung um einen unselbständigen Forderungsbestandteil der Hauptforderung handelt. Denn auf einen unselbständigen Forderungsbestandteil muss der Gläubiger nicht bestehen, sondern kann auch auf ihn verzichten. Ferner spricht auch die Differenzierung zwischen „bestellt“ und „bestehen“nicht gegen die entsprechende Anwendbarkeit. Die Differenzierung ist – wie bereits bei

B

Änderungen auf Seiten des Gläubigers oder des Schuldners

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§ 401 Abs. 1 BGB dargelegt – im Falle der Bürgschaft zwingend, denn das Gesetz kennt nur die rechtsgeschäftlich entstandene, also bestellte Bürgschaft und keine gesetzliche Bürgschaft. Nimmt der Gesetzgeber aber nun mit der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung auf die Bürgschaft Bezug, kann an dem Erfordernis der „Bestellung“ insofern nicht festgehalten werden, auch weil es sich bei der Auftraggeberhaftung gerade nicht um ein Neben- bzw. Vorzugsrecht handelt. Die Nichteinbeziehung hingegen von gesetzlichen Pfandrechten ist aber aufgrund der eindeutigen Regelung und im Vergleich von § 401 Abs. 1 BGB zu § 418 Abs. 1 BGB gleichwohl konsequent, da es sich insofern um einen expliziten Ausschluss seitens des Gesetzgebers handelt. Im Ergebnis kann daher festgestellt werden, dass im Falle der Schuldübernahme die Auftraggeberhaftung entsprechend § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB untergeht: Die Auftraggeberhaftung ist zwar ein unselbständiger Forderungsbestandteil der Hauptforderung und unterliegt dem Wortlaut des § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht. Der Auftraggeber ist aber, weil er sich den Schuldner der Hauptforderung selbst bzw. jedenfalls mittelbar ausgesucht hat, vergleichbar einem Bürgen schutzwürdig. Der Gläubiger der Hauptforderung bzw. der Auftraggeberhaftung ist weniger schutzwürdig, da er an dem Prozess des Schuldnerwechsels beteiligt wird – und nach hiesiger Auffassung als Ausgleich auf die Rechtsfolge des § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB hingewiesen werden muss. III

Ergebnis

Der Gesetzgeber hat im Falle eines Gläubiger- bzw. Schuldnerwechsels bei der Bürgschaft Rechtsfolgen für deren Bestand festgelegt, die für die Auftraggeberhaftung unterschiedlich anzuwenden sind: Nach § 401 Abs. 1 BGB gehen mit der abgetretenen Forderung die Rechte aus einer für sie bestellten Bürgschaft auf den neuen Gläubiger über. Im Falle des Gläubigerwechsels bedarf es für den Übergang der Auftraggeberhaftung als Form der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung keiner gesonderten Anordnung – wie sie etwa § 401 BGB vornimmt –, da diese qua ihrer Rechtsnatur als unselbständiger Forderungsbestandteil dem jeweiligen Gläubiger der Forderung zusteht. Denn diese ist aufgrund ihrer wirtschaftlichen und rechtlichen Einheit mit der Hauptschuld derart eng mit ihr verbunden, dass sie nicht aufgespalten werden kann. Das bedeutet, dass dem jeweiligen Inhaber der Hauptschuld auch der Anspruch aus der Haftung zusteht. Nach § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB erlöschen infolge der Schuldübernahme die für die Forderung bestellten Bürgschaften. Sinn und Zweck des Erlöschens von Sicherungsrechten gemäß § 418 BGB sind auf die Auftraggeberhaftung übertragbar, weil der Haftende schutzbedürftig ist. § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB ist mithin entsprechend an-

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Viertes Kapitel. Die rechtlichen Folgen

wendbar, sofern der Gläubiger der Hauptforderung auf die Rechtsfolgen einer Schuldübernahme, an der er beteiligt ist, hingewiesen wird.

Fünftes Kapitel. Forschungsergebnisse Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit lassen sich wie folgt zusammenfassen: Unterschiede von § 14 AEntG und § 13 MiLoG Die Auftraggeberhaftung im Mindestlohngesetz verweist auf die Auftraggeberhaftung im Arbeitnehmer-Entsendegesetz in Form einer Rechtsgrundverweisung. Gleichwohl bestehen zum Teil Unterschiede bei der Anwendung des § 14 AEntG – je nachdem, ob die Auftraggeberhaftung für die Verpflichtung zur Zahlung eines Mindestentgelts nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz oder eines Mindestlohns nach dem Mindestlohngesetz greift. Unterschiede ergeben sich darüber hinaus im Besonderen bei der prozessualen Durchsetzung der beiden Ansprüche, die vornehmlich aus einem mangelnden Verweis in § 13 MiLoG auf § 15 AEntG resultieren. Keine gesetzliche Bürgschaft Die Bürgschaft im Sinne der §§ 765 ff. BGB kann allein durch ein Rechtsgeschäft entstehen. Ein gesetzlicher Entstehungstatbestand einer Bürgschaft existiert nicht, demgemäß existiert auch keine gesetzliche Bürgschaft. Drei Rechtsfiguren, bei denen auf die Bürgschaft Bezug genommen wird Gleichwohl hat der Gesetzgeber die Bürgschaft, die einzige im Gesetz geregelte Personalsicherheit, als Ausgangspunkt für drei weitere Rechtsfiguren gewählt: Dabei handelt es sich um Rechtsfiguren, die eine Haftung in Form einer persönlichen Haftung und damit – jedenfalls in zwei Fällen – in Form einer Personalsicherheit darstellen. Die Rechtsfiguren unterscheiden sich bereits durch die Art und Weise, wie der Gesetzgeber jeweils auf die Bürgschaft Bezug genommen hat. Als diese drei Rechtsfiguren konnten der Kreditauftrag, die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft und die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung identifiziert werden. Der Kreditauftrag Bei dem Kreditauftrag handelt es sich um einen Auftrag im Sinne der §§ 662 ff. BGB. Auf diesen Auftrag sind aber die Regelungen des Bürgschaftsrechts aufgrund gesetzlicher Anordnung und der Verortung im Recht der Bürgschaft unmittelbar anwendbar. Dies gilt jedoch lediglich im Verhältnis zwischen Auftraggeber und Beauftragtem nach der Gewährung des Kredits durch den Beauftragten. Durch die unmittelbar (par© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 P. A. Tophof, Die Rechtsnatur der Auftraggeberhaftung, Juridicum – Schriften zum Arbeitsrecht, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23384-6_5

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Fünftes Kapitel. Forschungsergebnisse

tielle) Anwendung des Bürgschaftsrechts werden Regelungen des Auftragsrechts, die eigentlich das Verhältnis zwischen Auftraggeber und Beauftragtem regeln, zugunsten des Beauftragten und zu Lasten des Auftraggebers verdrängt: Die Haftung als Bürge ist für den Auftraggeber eine strengere als beispielsweise seine Pflicht zum Ersatz der Aufwendungen des Beauftragten gemäß § 670 BGB. Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft stellt sich beim Kreditauftrag also als eine Verschärfung einer bestehenden „Haftung“ dar. Die Bezugnahme begründet kein neues Rechtsverhältnis zwischen Auftraggeber und Beauftragtem, es verändert nur ihr bestehendes Haftungs- bzw. Rechtsverhältnis. Die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft Die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft nimmt von ihrem Wortlaut her keinen Bezug auf die Bürgschaft. Die Bezugnahme auf die Bürgschaft ergibt sich hier aus der Haftungskonzeption. Diese Haftungskonzeption ist an die Konzipierung der Bürgschaft angelehnt. Die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft hat somit eine eigene Rechtsnatur. Das Recht der Bürgschaft kann aufgrund der vergleichbaren Konzipierung und der damit einhergehenden vergleichbaren Interessenlage zur Füllung von Lücken im jeweiligen Haftungssystem der faktischen Bürgschaften herangezogen werden – es kommt dann eine analoge Anwendung der jeweiligen Normen in Betracht. Die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft stellt bei der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft ebenfalls keine Begründung eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Haftendem und dem Anspruchsbegünstigten dar. Vielmehr hat der Gesetzgeber die Haftung an die Bürgschaft aufgrund derer besonderen Eigenschaften angelehnt. Durch die gesetzliche Bezugnahme auf die Bürgschaft kann das System der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft ergänzt werden. Zu der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft gehören § 128 Satz 1 HGB und § 322 Abs. 1 Satz 1 AktG. Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung Daneben existiert als dritte Rechtsfigur die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung. Diese ist dadurch im Gesetz gekennzeichnet, dass die Haftung „wie ein Bürge“, der gegebenenfalls auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat, angeordnet ist. Die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung unterscheidet sich von einer Bürgschaft bereits in der Entstehung, aber auch (zum Teil) im Haftungsobjekt: Bei der Bürgschaft wird für die Erfüllung einer Verpflichtung eingestanden, bei der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung kann beispielsweise auch für den Ersatz von

Fünftes Kapitel. Forschungsergebnisse

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Schäden, die durch die Nichterfüllung einer Verpflichtung durch einen Dritten entstehen, oder unmittelbar für eine Verpflichtung gehaftet werden. Zudem dient die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung nicht zwingend der Kreditsicherung des originären Schuldners: Teilweise soll der Gläubiger der Forderung geschützt werden, teilweise soll der Haftende sanktioniert werden oder durch die Haftung zur Kontrolle des originären Schuldners angehalten werden. Die gesetzliche Bezugnahme dient hier der Begründung eines Rechtsverhältnisses zwischen dem Haftenden und dem Anspruchsberechtigten. Für die Ausgestaltung der Haftung ist insoweit auf das Bürgschaftsrecht – in entsprechender Anwendung – zurückzugreifen. Zu der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung zählen unter anderem § 566 Abs. 2 Satz 1 BGB, § 1251 Abs. 2 Satz 2 BGB. § 36 Abs. 2 Satz 2 VerlG, § 98a Abs. 3 AufenthG, § 28e Abs. 2 Satz 1, Abs. 2a Satz 1, Abs. 3a Satz 1 SGB IV, § 53 Abs. 10 Satz 7 BRAO und § 159 Abs. 6 Satz 4 BauGB. Weiterentwicklung der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung Die Haftungstatbestände des Kreditauftrags und der Haftung nach Vorbild der Bürgschaft haben sich inhaltlich nicht weiterentwickelt. Die Tatbestände der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung verdeutlichen aber eine Weiterentwicklung dieser Rechtsfigur durch den Gesetzgeber. War die Rechtsfigur ursprünglich bloß bei der Haftung für einen zu ersetzenden Schaden angeordnet, ist sie heutzutage auch bei der Haftung für eine Verpflichtung bzw. deren Erfüllung angeordnet. Damit ging auch ein Zuwachs der Fallgruppen einher: Anfänglich war die Haftung für den Wechsel des ursprünglichen Vertragspartners gedacht. Heutzutage wird auch die Haftung für originär fremde Pflichten angeordnet bzw. der Haftungsadressat in die gesetzliche Beziehung von zwei Parteien einbezogen. Einordnung der Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG und § 13 MiLoG Die Auftraggeberhaftungen nach § 14 AEntG und § 13 MiLoG stellen Tatbestände der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung dar. Sie sind darüber hinaus als Haftung für originär fremde Pflichten zu qualifizieren. Anwendung des Bürgschaftsrechts Das Bürgschaftsrecht findet auf den Kreditauftrag unmittelbar Anwendung. Auf die Haftung nach Vorbild der Bürgschaft kommt eine analoge Anwendung der Vorschrif-

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ten in Betracht. Auf die gesetzlich angeordnete bürgenähnliche Haftung finden die Vorschriften des Bürgschaftsrechts schließlich entsprechende Anwendung. Dabei wurde für § 14 AEntG und § 13 MiLoG gezeigt, dass die Vorschriften nicht vollumfänglich entsprechend anwendbar sind, sondern für jede Vorschrift deren Anwendbarkeit gesondert zu prüfen und begründen ist. (Keine) Anwendung von § 401 Abs. 1 BGB bzw. § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB auf die Auftraggeberhaftung Die enge wirtschaftliche und rechtliche Verbundenheit der Auftraggeberhaftung mit der jeweiligen Hauptschuld erfordert keine Regelung wie die des § 401 Abs. 1 BGB. Die Auftraggeberhaftung nach § 14 AEntG bzw. § 13 MiLoG steht vielmehr als unselbständiger Forderungsbestandteil dem jeweiligen Gläubiger der Hauptschuld zu. § 401 Abs. 1 BGB ist daher nicht (entsprechend) anzuwenden. Die enge Verbundenheit steht naturgemäß einem alleinigen Erlöschen der jeweiligen Haftung ohne gleichzeitigem Erlöschen der Hauptschuld nicht im Wege. § 418 Abs. 1 Satz 1 BGB ist im Falle der Schuldübernahme auf die Auftraggeberhaftung entsprechend anwendbar, sofern der Gläubiger der Hauptforderung auf die Rechtsfolgen der Vorschrift bei einer Schuldübernahme hingewiesen wird. Ausblick: Handeln des Gesetzgebers Diese Weiterentwicklung ist von dem Gesetzgeber bei der etwaigen Einführung neuer Haftungstatbestände der gesetzlich angeordneten bürgenähnlichen Haftung zu beachten. Denn je nachdem, wie der Gesetzgeber die Rechtsfigur einsetzt, ergeben sich unterschiedliche Folgen hinsichtlich der Anwendbarkeit der Regelungen des Bürgschaftsrechts. Insgesamt sollte der Gesetzgeber aber recht behutsam mit dieser Rechtsfigur umgehen, da ihre Folgen zum Teil strenger als die der rechtsgeschäftlich entstandenen und damit freiwillig, selbstbestimmt eingegangenen Bürgschaft sind. Hinsichtlich der Auftraggeberhaftungen nach § 14 Satz 1 AEntG und § 13 MiLoG gab es zwar in der vergangenen Legislaturperiode Impulse zur Veränderung aus der Mitte des Bundestages, wie unter anderem die dargestellten Anfragen zeigen. Eine konkrete Veränderung seitens der neuen Regierungskoalition ist mit Blick auf den Koalitionsvertrag vom 7. Februar 2018 aber nicht zu erwarten.880 Abzuwarten bleibt aber, 880

Vgl. Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2018/03/2018-03-14-koalitionsvertrag. pdf?__blob=publicationFile&v=2 (besucht am 09.04.2018).

Fünftes Kapitel. Forschungsergebnisse

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ob es zu der durch die Europäische Kommission anvisierten Überarbeitung der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern881 kommen wird und welche etwaigen Änderungen diese im Hinblick auf die Auftraggeberhaftung mit sich bringen wird. Hierbei könnte es vor allem zu Änderungen der Höhe des Haftungsgegenstandes kommen, sollten für entsandte Arbeitnehmer nicht nur die Mindestlohnsätze gelten, sondern die gleichen Vergütungsvorschriften wie im Aufnahmemitgliedstaat. Die Koalitionsparteien einerseits streben insofern eine „zügig[e] und möglichst mit weiteren Verbesserungen“ versehene Revision der Entsenderichtlinie an.882 Die Verhandlungsführerinnen des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission andererseits haben sich am 27. Februar 2018 „auf eine gemeinsame Haltung bezüglich der Eckpunkte einer möglichen Einigung über die Überarbeitung der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern verständigen“ können.883 Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten.

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Vgl. MEMO/16/467 vom 8. März 2016, aktualisiert am 24. Oktober 2017 der Europäischen Kommission, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-16-467_de.htm (besucht am 09.04.2018). Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, https://www.bundesregierung.de/ Content/DE/_Anlagen/2018/03/2018-03-14-koalitionsvertrag.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (besucht am 09.04.2018), Zeilen 167 - 169. Vgl. STATEMENT/18/1405 vom 28. Februar 2018 der Europäischen Kommission, „Gemeinsame Erklärung zur Überarbeitung der Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern“, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_STATEMENT-18-1405_de.htm (besucht am 09.04.2018); vgl. auch Redaktion FD-ArbR FD-ArbR 2018, 402879.

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