Der Lerngegenstand Wortschreibung aus der Sicht von Lehrenden

Etje Schröder untersucht im Kontext der Lehrerprofessionalitätsforschung, wie Grundschullehrkräfte Wortschreibungen erklären und didaktisch modellieren. Die Autorin arbeitet Anforderungen an das orthographiebezogene Lehrerwissen und -handeln heraus und belegt u. a. die Bedeutung des sachkundigen Umgangs mit segmentalen und suprasegmentalen Wortstrukturen aufseiten der Lehrkräfte. Das vielfältige Materialangebot zum Rechtschreiblernen fordert von Lehrpersonen – besonders, wenn es um die Wortschreibung geht – sichere Kenntnisse über die Beziehungen zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort und über die Eigenständigkeit des Schriftsystems auf unterschiedlichen Wortstrukturebenen.


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Etje Schröder

Der Lerngegenstand Wortschreibung aus der Sicht von Lehrenden Fachliche und fachdidaktische Zugriffe von Grundschullehrkräften

Der Lerngegenstand Wortschreibung aus der Sicht von Lehrenden

Etje Schröder

Der Lerngegenstand Wortschreibung aus der Sicht von Lehrenden Fachliche und fachdidaktische Zugriffe von Grundschullehrkräften Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Astrid Müller

Etje Schröder Hamburg, Deutschland Dissertation am Fachbereich 4: Didaktik der sprachlichen und ästhetischen Fächer, Fakultät für Erziehungswissenschaft, Universität Hamburg, 2018 Originaltitel der Dissertation: Der Lerngegenstand Wortschreibung aus der Sicht von Lehrer/innen. Eine qualitative Untersuchung der fachlichen und fachdidaktischen Zugriffe von Grundschullehrkräften

ISBN 978-3-658-24827-7 ISBN 978-3-658-24828-4  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-24828-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Danksagung PS: Bitte nicht auf Rechtschreibfehler achten! Daran, dass Freunde und Bekannte ihre Nachrichten und Geburtstagskarten an mich in den letzten Jahren immer häufiger mit Nachsätzen wie diesem spicken, ist die vorliegende Arbeit vermutlich nicht ganz unschuldig. Wenn auch oft mit einem Augenzwinkern versehen, spiegeln derlei Hinweise ein gewisses Misstrauen gegenüber der deutschen Orthographie wider, dem ich auch in vielen anderen Kontexten begegne. Ich selbst habe schon in meiner eigenen schriftsprachlichen Entwicklung (mit zunehmender Aufmerksamkeit) nach logischen Strukturen, einem nachvollziehbaren System hinter der orthographischen Norm gesucht. Wissenschaftliches ‚Futter‘ bekam dieses Interesse 2008, als ich im Rahmen meines Lehramtsstudiums ein deutschdidaktisches Einführungsseminar bei Prof. Dr. Astrid Müller, meiner späteren Doktormutter, besuchte. Die Schreibung von Wörtern sachstrukturell unter die Lupe zu nehmen und darin wiederum den Kompass für das didaktische Handeln als (angehende) Lehrerin zu finden, erweiterte meinen Blick auf den Gegenstandsbereich. Zugleich weckte es mein Interesse an den Herausforderungen, denen Lehrende und Lernende beim Aufspüren schriftstruktureller Zusammenhänge begegnen. Für die Ermutigung, diesem Interesse empirisch nachzugehen, und für die fachlich wie persönlich großartige Begleitung und verlässliche Unterstützung danke ich Astrid Müller von ganzem Herzen. Ihr klarer Blick auf die Sachstruktur des Lerngegenstands, aber auch auf die noch ungeklärten Fragen schriftstrukturorientierten Lehrens und Lernens haben meiner empirischen Untersuchung immer wieder die Impulse gegeben, die für eine zielführende Bearbeitung unverzichtbar sind. Ebenfalls danken möchte ich Prof. Dr. Susanne Riegler, die neben der Übernahme des Zweitgutachtens auch mit ihren eigenen Forschungsaktivitäten und -beiträgen im Bereich der orthographiedidaktischen Lehrer/-innenforschung und ihren kritisch prüfenden Impulsen einen wertvollen Beitrag zu meiner Arbeit geleistet hat. Prof. Dr. Dagmar Killus hat die Prüfungskommission mit ihrem differenzierten Blick auf die Professionalisierung von Lehrkräften gewinnbringend ergänzt und fruchtbare Anstöße zum ‚Weiterdenken‘ meiner Ergebnisse geliefert. Vielen Dank dafür! Danken möchte ich ferner meinen Kolleg/-innen an der Universität Hamburg und v. a. meinen „Mitbewohner/-innen“ in Raum 123, ohne deren treue und humorvolle Begleitung ich sicherlich sehr viel häufiger verzagt

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Danksagung

wäre. Außerdem verdienen Melanie Bangel und Jochen Heins meinen ganz besonderen Dank und meine große Wertschätzung dafür, dass sie mich von Anfang an mit ihrer wirklich bewundernswerten fachlichen wie forschungsmethodischen Expertise in meinem Vorhaben unterstützt haben. Ein herzliches Dankeschön geht zudem an die Lehrer/-innen, die mir ihre Zeit geliehen haben und bereit waren, ihre eigenen schriftsprachdidaktischen Erfahrungen, Fragen und Zweifel in den Interviews zu teilen. An dieser Stelle sei auch den vielen weiteren Personen gedankt, die für mich die entsprechenden Interviewkontakte hergestellt haben oder auf andere Weise zum Gelingen meiner Untersuchung und ihrer strukturierten Darstellung beigetragen haben. Hervorheben möchte ich hier die tolle Unterstützung durch Dr. Gabriele Hinney, Dr. Jessica Nowak und Janne Christiansen. Zu guter Letzt richtet sich mein Dank an meine Familie und meine wundervollen Freundinnen und Freunde, die mich in den letzten Jahren mit einer Engelsgeduld und den nötigen ‚Ablenkungsmanövern‘ begleitet haben. Eine tiefe Dankbarkeit, die weit über das Entstehen dieser Arbeit hinausgeht, gilt meinen Großeltern, meinen Geschwistern Michael Berkenfeld und Kirsten Schröder und meiner Mutter Helga Schröder.

Geleitwort Fachliches und fachdidaktisches Wissen sowie handlungsleitende Überzeugungen von Lehrkräften sind entscheidende Faktoren für die Gestaltung unterrichtlicher Lehr-Lern-Prozesse. Ihre empirische Untersuchung ist in den letzten Jahren auch in den Fokus deutschdidaktischer Professionsforschung gerückt, wobei sich immer wieder domänenspezifisches Wissen und die Wechselbeziehung zwischen einzelnen Wissensformen als entscheidende Einflussgrößen für erfolgreiches Lehrerhandeln erweisen. Im Hinblick auf das orthographische Lernen zeigen entsprechende Befunde, dass besonders Schülerinnen und Schüler mit weniger günstigen sprachlich-kognitiven Voraussetzungen stark vom fachlichen und fachdidaktischen Wissen ihrer Lehrkräfte abhängig sind. Die vorliegende Studie ordnet sich in diese fachbezogene Professionsforschung ein. Etje Schröder untersucht auf der Basis leitfadengestützter Interviews, welche Zugriffe auf den orthographiedidaktisch hochrelevanten Lerngegenstand Wortschreibung handlungsleitend für Lehrerinnen und Lehrer sind. Im Mittelpunkt der empirischen Erkundung steht dabei das Aufspüren von Zusammenhängen zwischen dem fachlichen und dem fachdidaktischen Gegenstandsverständnis zur Wortschreibung, den Erfahrungen und den Handlungsorientierungen der befragten Lehrkräfte, die nach eigenen Angaben „silbenorientiert“ unterrichten. Der in den Interviews fokussierte Lerngegenstand Wortschreibung impliziert, dass es u. a. um das von den Lehrkräften angenommene Verhältnis zwischen gesprochener und geschriebener Sprache als Basis schriftstrukturellen Lernens geht. Mithilfe einer inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse wurden das Lerngegenstandsverständnis der Lehrkräfte sowie ihre handlungsleitenden Orientierungen erfasst. Die Ergebnisse zeigen, wie unterschiedlich die Vorstellungen der befragten Lehrkräfte zum Lerngegenstand Wortschreibung und ihren diesbezüglichen Möglichkeiten, den orthographischen Lernprozess sachangemessen zu gestalten, sind. Die Fallanalysen bestätigen, dass als ein wesentliches Unterscheidungskriterium zwischen den Lehrkräften die Wahrnehmung und Verbalisierung der Unterschiede bzw. Zusammenhänge zwischen gesprochener und geschriebener Wortform angesetzt werden kann. Als grundlegende Vorstellungsmuster ließen sich zum einen die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung, zum anderen die Orientierung an der Schriftstruktur ermitteln. Die Orientierung der

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Geleitwort

Lehrkräfte an einer schriftinduzierten Lautung versperrt jedoch (trotz vorgeblicher „Silbenorientierung“) vielen Schülerinnen und Schülern den Weg zur Erfassung grundlegender Regularitäten der Wortschreibung und damit zu Rechtschreibsicherheit. Die Untersuchung von Etje Schröder liefert deshalb viele wichtige Anknüpfungspunkte für die Aus- und Fortbildung, um Lehrkräfte bei der Entwicklung sachangemessener Vorstellungen zur Wortschreibung und handlungsleitender Kognitionen zu unterstützen. Prof. Dr. Astrid Müller, Universität Hamburg, im Oktober 2018

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung ............................................................................................. 1 2 Forschung zur professionellen Kompetenz von Lehrenden .......... 9 2.1 Das Experten-Paradigma .............................................................. 10 2.2 Modellierung professioneller Kompetenz ...................................... 13 2.3 Empirische Befunde zur Bedeutung professioneller Kompetenz.. 17 3 Schriftsprachliches Lehren und Lernen in Deutschland .............. 23 3.1 Die Rechtschreibleistungen von Schüler/-innen ........................... 24 3.2 Zur orthographiebezogenen Kompetenz von Lehrkräften ............ 30 3.3 Modellbildungen zum schriftsprachlichen Lehren und Lernen...... 38 3.3.1 Zweiphasige Modelle............................................................. 40 3.3.2 Einphasige Modelle ............................................................... 46 3.3.3 Vergleichende Betrachtung ein- und zweiphasiger Modelle . 50 3.3.4 Didaktische Konzeptionen für die Anregung schriftsprachlicher Lernprozesse .......................................... 53 3.4 Fazit............................................................................................... 58 4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen .......................................................................................... 61 4.1 Zum Zusammenhang phonologischer und graphematischer Wortstrukturen ............................................................................... 61 4.2 Phonologische Grundlagen ........................................................... 69 4.2.1 Der Grundtyp des deutschen phonologischen Wortes ......... 70 4.2.2 Die Vokalopposition als silbenstrukturelles Merkmal ............ 74 4.3 Sprachhistorischer Exkurs: Diachrone Lautveränderungen ......... 87 4.3.1 Die Stärkung des phonologischen Wortes durch Degeminierung ...................................................................... 89 4.3.2 Die Stärkung des phonologischen Wortes durch die Bildung fußinterner Hiatus ............................................... 92 4.4 Zwischenfazit ................................................................................ 94 4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung ............................................................................. 97

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Inhaltsverzeichnis

4.5.1 Das phonographische Prinzip ............................................. 101 4.5.2 Das silbische Prinzip ........................................................... 110 4.5.3 Das morphologische Prinzip................................................ 128 5 Konzeption eines wortstrukturorientierten Schriftsprachunterrichts ................................................................ 133 5.1 Wortstrukturorientiertes Lehren und Lernen in der Grundschule 134 5.1.1 Grundlegende Prämissen.................................................... 135 5.1.2 Systematische Erschließung des Lerngegenstands: vom geschriebenen zum gesprochenen Wort ............................ 138 5.1.3 Abgrenzung eines schreibsilbenorientierten Modells gegenüber einer silbenphonologischen Ausrichtung .......... 146 5.2 Exkurs: Einwände gegenüber (schreib-)silbenorientierten Konzeptionen .............................................................................. 155 5.3 Anforderungen an die Lehrkraft .................................................. 161 6 Zielsetzung und Fragestellung der Studie .................................... 167 6.1 Das Erkenntnisinteresse ............................................................. 168 6.2 Leitfragen der Untersuchung....................................................... 171 7 Anlage der empirischen Untersuchung ........................................ 173 7.1 Begründung des qualitativen Designs ........................................ 173 7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung ....... 175 7.2.1 Begründung des Leitfadens ................................................ 178 7.2.2 Auswahl und sachstrukturelle Analyse des Inputmaterials . 186 7.2.3 Stichprobe: Auswahl der Interviewpartner/-innen ............... 207 7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse 214 7.3.1 Primäre Auswertung: Anlage und Einsatz des Kategoriensystems .............................................................. 217 7.3.2 Sekundäre Auswertung: von gegenstands- und fallbezogenen Auswertungsschritten zur Typenbildung ...... 235

Inhaltsverzeichnis

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8 Darstellung der Ergebnisse............................................................ 263 8.1 Vorstellung der entwickelten Ergebniskategorien ....................... 263 8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen ......................................................................... 271 8.2.1 Einzelfallanalyse L07........................................................... 279 8.2.2 Einzelfallanalyse L11........................................................... 301 8.2.3 Einzelfallanalyse L03........................................................... 328 8.2.4 Einzelfallanalyse L01........................................................... 354 8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster ............................................................................. 382 8.3.1 Typ I: Schlüsselstellung der Vokalquantität ........................ 400 8.3.2 Typ II: Einzelsegmente und -silben als Bezugsgrößen des Wortschreibens ................................................................... 419 8.3.3 Typ III: Silbische Strukturen zur Erschließung von Vokalquantitäten .................................................................. 446 8.3.4 Typ IV: Silbische Strukturen als Basis für Wortschreibungen ............................................................... 467 8.3.5 Ergänzende Analysen zur Typenbildung ............................ 488 8.4 Weiterführende Analysen ............................................................ 498 8.4.1 Das Zusammenwirken von konzeptionellen Positionierungen und didaktischen Handlungsorientierungen der Lehrkräfte............................. 498 8.4.2 Einzelbetrachtung des ‚Sonderfalls‘ L08 ............................. 522 8.4.3 Abschließende Betrachtung ................................................ 530 9 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse.................. 531 10 Ausblick........................................................................................... 551 Literaturverzeichnis ............................................................................ 557 Anhang ................................................................................................. 583

Tabellenverzeichnis

Tab. 1 Silbische Strukturen im phonologischen und graphematischen Zweisilber ............................................................................................... 119 Tab. 2 Orthographische Strukturtypen im Kernbereich des deutschen Wortes (in Anlehnung an Bredel 2015a, S. 275; Hinney 2014, S. 163) ............... 142 Tab. 3 Kontextuierung des Interviews durch Dreiteilung .................................. 176 Tab. 4 Tabellenkopf des Interviewleitfadens .................................................... 181 Tab. 5 Themenblöcke und Frageintentionen im Interviewteil A ....................... 182 Tab. 6 Leitfadengestützte Handlungsanforderungen in den Interviewteilen B und C ...................................................................................................... 183 Tab. 7 Thematisierte Regularitäten in den Inputbeispielen der Interviewteile B und C ................................................................................................... 187 Tab. 8 Schritte des theoretical samplings zur Auswahl der Interviewpartner/-innen der Studie ....................................................... 211 Tab. 9 Angaben der Lehrenden zu den unterrichteten Jahrgängen im Unterrichtsfach Deutsch ........................................................................ 213 Tab. 10 Soziokulturellen Rahmenbedingungen der den Lehrkräften zugeordneten Schulen ........................................................................... 214 Tab. 11 Berufserfahrung der befragten Lehrenden in Jahren ........................... 214 Tab. 12 Kodierleitfaden für gegenstandsnahe Kategorien des Teilsystems A .. 221 Tab. 13 Kodierleitfaden für gegenstandsnahe Kategorien des Teilsystems B... 224 Tab. 14 Kodierleitfaden für gegenstandsnahe Kategorien des Teilsystems C ... 228 Tab. 15 Auszug aus einer Fallübersicht: Zugriffe auf Wortschreibungen des Strukturtyps 3 ........................................................................................ 241 Tab. 16 Die vier Phänomenebenen der Auswertungsphase III .......................... 245 Tab. 17 Materialgrundlage der Typenbildung: Anzahl vorliegender Untersuchungssequenzen ...................................................................... 249 Tab. 18 Arbeitsprotokollbogen für Inputschreibungen des Strukturtyps 3 ....... 255 Tab. 19 Ergebniskategorien Teil I ...................................................................... 266 Tab. 20 Ergebniskategorien Teil II ..................................................................... 268 Tab. 21 Zusammenfassung der Zugriffe auf Wortschreibungen der Strukturtypen 1, 3 und 4 (L07, A und B) ................................................. 290 Tab. 22 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C2 (L07) ....................................... 293 Tab. 23 Arbeitsprotokoll zu den Inputmaterialien C1 und C4 (L07) .................. 295 Tab. 24 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C3 (L07) ....................................... 296

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Tabellenverzeichnis

Tab. 25 Ermittelte Phänomenausprägungen für die Lehrerin L07 auf den Ebenen 1-4 ............................................................................................. 299 Tab. 26 Zusammenfassung der Zugriffe auf Wortschreibungen der Strukturtypen 1, 3 und 4 (L11, A und B) ................................................. 318 Tab. 27 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C2 (L11) ...................................... 320 Tab. 28 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C1 (L11) ....................................... 321 Tab. 29 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C4 (L11) ....................................... 322 Tab. 30 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C3 (L11) ....................................... 324 Tab. 31 Ermittelte Phänomenausprägungen für die Lehrerin L11 auf den Ebenen 1-4 ............................................................................................. 326 Tab. 32 Zusammenfassung der Zugriffe auf Wortschreibungen der Strukturtypen 1, 3 und 4 (L03, A und B) ................................................. 346 Tab. 33 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C2 (L03) ....................................... 348 Tab. 34 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C1 (L03) ....................................... 349 Tab. 35 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C3 (L03) ....................................... 351 Tab. 36 Ermittelte Phänomenausprägungen für die Lehrerin L03 auf den Ebenen 1-4 ............................................................................................. 352 Tab. 37 Zusammenfassung der Zugriffe auf Wortschreibungen der Strukturtypen 1, 3 und 4 (L01, A und B) ................................................. 370 Tab. 38 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C2 (L01) ....................................... 372 Tab. 39 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C1 (L01) ....................................... 375 Tab. 40 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C4 (L01) ....................................... 376 Tab. 41 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C3 (L01) ....................................... 378 Tab. 42 Ermittelte Phänomenausprägungen für die Lehrerin L01 auf den Ebenen 1-4 ............................................................................................. 380 Tab. 43 Strukturtypspezifische Zuordnung der Fälle unter Merkmal 1 ............. 387 Tab. 44 Strukturtypspezifische Zuordnung der Fälle unter Merkmal 2 ............. 389 Tab. 45 Zuordnung der Fälle unter der Merkmalskombination M1-M2 (Strukturtyp 3) ....................................................................................... 390 Tab. 46 Zuordnung der Fälle unter der Merkmalskombination M1-M2 (Strukturtyp 4) ....................................................................................... 391 Tab. 47 Zuordnung der Fälle unter der Merkmalskombination M1/2-M3 (Strukturtyp 3) ....................................................................................... 394 Tab. 48 Zuordnung der Fälle unter der Merkmalskombination M1/2-M3 (Strukturtyp 4) ....................................................................................... 394 Tab. 49 Die ermittelten Typen I, II, III und IV in der Übersicht .......................... 398 Tab. 50 Zusammenfassung der Zugriffe: Typ I .................................................. 407 Tab. 51 Globalere Handlungsorientierungen der Typ-I-Lehrenden ................... 415

Tabellenverzeichnis

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Tab. 52 Allgemeine (‚gegenstandsnahe‘) Bewertungstendenzen im Interviewteil C: Typ I .............................................................................. 417 Tab. 53 Zusammenfassung der Zugriffe: Typ II ................................................. 427 Tab. 54 Globalere Handlungsorientierungen der Typ-II-Lehrenden .................. 442 Tab. 55 Allgemeine (‚gegenstandsnahe‘) Bewertungstendenzen im Interviewteil C: Typ II ............................................................................. 444 Tab. 56 Zusammenfassung der Zugriffe: Typ III ................................................ 454 Tab. 57 Globalere Handlungsorientierungen der Typ-III-Lehrenden ................. 463 Tab. 58 Allgemeine (‚gegenstandsnahe‘) Bewertungstendenzen im Interviewteil C: Typ III ............................................................................ 465 Tab. 59 Zusammenfassung der Zugriffe: Typ IV................................................ 476 Tab. 60 Globalere Handlungsorientierungen der Typ-IV-Lehrenden ................ 486 Tab. 61 Allgemeine (‚gegenstandsnahe‘) Bewertungstendenzen im Interviewteil C: Typ IV ............................................................................ 487 Tab. 62 Auszug aus dem Kodierleitfaden des Teilsystems A: Oberkategorie A.6 ................................................................................. 500 Tab. 63 Konzeptionelle Positionierung der Einzelfälle im ersten Gesprächsbeitrag (Interviewteil A) ........................................................ 501 Tab. 64 Konzeptionelle Positionierung nach Typenzugehörigkeit..................... 502 Tab. 65 Auszug aus dem Kodierleitfaden des Teilsystems A: Oberkategorie A.7 ................................................................................. 504 Tab. 66 Konzeptionelle Abgrenzungskriterien der Einzelfälle (Interviewteil A) 505 Tab. 67 Konzeptionelle Abgrenzungskriterien nach Typenzugehörigkeit (Interviewteil A) ..................................................................................... 506 Tab. 68 Primäres Kennzeichen der konzeptionellen ‚Neuorientierung‘ der Einzelfälle (Interviewteil A) .................................................................... 508 Tab. 69 Formen des erhaltenen silbenstrukturellen Inputs............................... 515 Tab. 70 Berufserfahrung in Jahren nach Typenzugehörigkeit (Interviewteil A, Nachgespräch) ....................................................................................... 516 Tab. 71 Ausbildungshintergrund nach Typenzugehörigkeit.............................. 517 Tab. 72 Erlebte Erfolge der konzeptionellen ‚Neuorientierung‘ ........................ 518 Tab. 73 Soziokulturelle Lernausgangslagen der Schülerschaft ......................... 527 Tab. 74 Arbeitsprotokollbogen für Inputschreibungen des Strukturtyps 4 ....... 593 Tab. 75 Arbeitsprotokollbogen zur Inputschreibung * (Strukturtyp 1) ....................................................................................... 595 Tab. 76 Arbeitsprotokoll * (L07) ..................................................... 597 Tab. 77 Arbeitsprotokoll und * (L07) ....................... 597 Tab. 78 Arbeitsprotokoll * und */* (L07) ...... 598

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Tabellenverzeichnis

Tab. 79 Ergänzend genutzte Oberkategorien der Kategorieteilsysteme .......... 599 Tab. 80 Interviewleitfaden ................................................................................ 601

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Das Modell professioneller Kompetenz von COACTIV (aus: Baumert und Kunter 2011a, S. 32) ......................................................................... 15 Abb. 2 Die häufigsten Fehlerquellen nach Berkling und Reichel (2016, S. 209) .. 26 Abb. 3 Das Schriftspracherwerbsmodell nach U. Frith (1985, S. 311) (hier aus: Augst und Dehn 2013, S. 59).................................................... 41 Abb. 4 Die innere Struktur des phonologischen Wortes...................................... 70 Abb. 5 Ein allgemeines Silbenstrukturmodell nach Maas (2006) ........................ 77 Abb. 6 Reduktionssilbe °S besteht lediglich aus Reduktionsvokal (nach Maas 2006, S. 126) ........................................................................ 78 Abb. 7 a) Diphthong verteilt sich auf Nukleus und Endrand, b) Konsonant belegt Endrand von ‘S (nach Maas 2006, S. 126, 163, 194) .................... 78 Abb. 8 a) Loser, b) fester konsonantischer Anschluss an den Nukleus (nach Maas 2006, S. 220) ........................................................................ 79 Abb. 9 Loser konsonantischer Anschluss in einer zweisilbigen Basisform (nach Maas 2006, S. 203) ........................................................................ 79 Abb. 10 Darstellung der fusionierenden Silben bei festem konsonantischem Anschluss (nach Maas 2002, S. 21) .......................................................... 82 Abb. 11 Darstellung des festen Anschlusses im Konstituentenmodell (nach Maas 2006, S. 223) ........................................................................ 82 Abb. 12 Sanfter und scharfer Silbenschnitt (nach Becker 1998, S. 79)................ 85 Abb. 13 Ambisilbischer Konsonant (nach Becker 1998, S. 71) ............................ 86 Abb. 14 GPK-Regeln nach Eisenberg (2013, S. 291f.) ........................................ 109 Abb. 15 Die innere Struktur des graphematischen Wortes (Primus 2010, S. 13) ............................................................................... 112 Abb. 16 Fester Anschluss (nach Maas 2006) und phonologisches Silbengelenk (nach Becker 1998) ................................................................................ 118 Abb. 17 Graphematisches Silbengelenk/Silbengelenkschreibung..................... 118 Abb. 18 Die vier Silbentypen im Haus-Garage-Modell nach Röber (hier aus: Fuchs und Röber-Siekmeyer 2002, S. 108) ............................................. 148 Abb. 19 Die fünf Strukturtypen im Haus-Garage-Modell nach Bredel (2010)... 151

XVIII

Tabellenverzeichnis

Abb. 20 Modell der fachbezogenen Aspekte professioneller Kompetenz im Bereich Wortschreibung (in Anlehnung an Baumert u. Kunter 2011a) . 163 Abb. 21 Auszug 1 aus Materialbeispiel C1 (Schroedel 2010, S. 14, © Westermann Gruppe) ........................................................................ 198 Abb. 22 Auszug 2 aus Materialbeispiel C1 (Schroedel 2010, S. 14, © Westermann Gruppe) ........................................................................ 199 Abb. 23 Auszug aus Materialbeispiel C2 (Mildenberger 2008, S. 33, © Mildenberger Verlag GmbH) ............................................................. 201 Abb. 24 Materialbeispiel C3 (Klett 2011, S. 17, © Ernst Klett Verlag GmbH) ... 202 Abb. 25 Materialbeispiel C4 (Klett 2009, S. 103, © Ernst Klett Verlag GmbH) . 205 Abb. 26 Auswertungsphase I ............................................................................ 242 Abb. 27 Auswertungsphase II ........................................................................... 244 Abb. 28 Phänomenausprägungen der Ebenen 1 (P1) und 2 (P2) ...................... 273 Abb. 29 Phänomenausprägungen der Ebene 3 (P3) ......................................... 274 Abb. 30 Phänomenausprägungen der Ebene 4 (P4) ......................................... 275 Abb. 31 Die sechs Schritte der Typenbildung im Überblick ............................... 385 Abb. 32 Häuschen C des ABC der Tiere (Kuhn 2014) ......................................... 436 Abb. 33 Formen handlungsleitender und verblassender sachanalytischer Zugriffe .................................................................................................. 541

1

Einleitung

„Also ich würde mir (-) wünschen, dass (--) Lehrer besser (-) sich informieren, (-) das ernster betreiben, (--) also dass man nicht sagt, es gibt eine Kinder- und eine Erwachsenenschrift, so was, finde ich, ist wirklich / das ist, das ist einfach / (-) man ist als Lehrerin (-) Gott. Und wenn man so was erzählt, glauben Kinder das. Und das geht GAR nicht. (--) Also (-) ehrlich (-) sein. Selber die Regeln beherrschen. Sich selber (--) möglichst (--) sämtliche Tipps und Tricks (-) und Eselsbrücken und alles an die Kinder weitergeben und ihnen immer auch vermitteln: Es gibt (--) ganz viel (--) Regelhaftes. Das würde ich mir wünschen, (--) dass äh (-) Lehrer das ernsthafter betreiben und dass das über den Deutschunterricht eben auch hinausgeht. (-) Also dass Schrift (-) immer Schrift ist, egal wo sie auftaucht.“ (L04, A50) „Man ist als Lehrerin (-) Gott“ – aus dieser Feststellung leitet die zitierte Grundschullehrerin L041 zentrale Anforderungen an den Schreibunterricht in der Grundschule ab: Schriftsprachliches Lernen bedarf aus ihrer Perspektive - einer sachkundigen und handlungssicheren Lehrperson, - einer klaren Orientierung an der Systematik des Gegenstands sowie - einer sachangemessenen didaktischen Modellierung und glaubwürdigen Vermittlung dieser Gegenstandssystematik. Die Äußerung der Lehrerin enthält zugleich wesentliche Anknüpfungspunkte an den aktuellen – domänenübergreifenden und -spezifischen – wissenschaftlichen Diskurs zum Lehren und Lernen. Sie lässt sich 1. als generelle ‚Untermauerung‘ der Ausführungen Hatties (2014) lesen, der die Formel Auf die Lehrperson kommt es an! im Zusammenhang mit seiner international breit rezipierten Studie Lernen sichtbar machen (Visible Learning) als zu undifferenziert zurückweist:

1

In der Interviewstudie, die in der vorliegenden Arbeit vorgestellt wird, werden die befragten Lehrer/-innen mit einem Kürzel des Formats Lxx benannt, das sich aus L für Lehrer/-in und einer Ziffer, die sich aus der chronologischen Nummerierung der befragten Lehrenden nach dem Zeitpunkt der Interviews ergibt, zusammensetzt.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Schröder, Der Lerngegenstand Wortschreibung aus der Sicht von Lehrenden, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24828-4_1

2

1 Einleitung

Es ist wichtig, was Lehrpersonen tun – aber am wichtigsten ist, dass sie über eine angemessene Geisteshaltung zu den Auswirkungen ihres Tuns verfügen. Eine angemessene Geisteshaltung zusammen mit angemessenen Handlungen bewirken, dass ein positiver Lerneffekt erzielt wird. […]. Worauf es tatsächlich [Hervorhebungen im Original] ankommt, ist, dass Lehrpersonen über eine Geisteshaltung verfügen, die sie veranlasst, ihre Wirkung auf das Lernen zu evaluieren. (Hattie 2014, S. 17)

L04 legt im angeführten Zitat ihre ‚Geisteshaltung‘ zum schriftsprachlichen Lehren und Lernen offen und reflektiert über die Wirkung ihres unterrichtlichen Handelns. Dabei stellt sie 2. domänenspezifische Bezüge her, indem sie mit dem Verweis auf die Lehrerkompetenz, die Struktur des Lerngegenstands und die darauf bezogene Anlage des Unterrichts drei Komponenten nennt, die gleichfalls den derzeitigen schriftsprachdidaktischen Diskurs bestimmen: So ist das nach wie vor ausgeprägte Forschungsinteresse an den von L04 angeführten Bedingungen schriftsprachlichen Lehrens und Lernens v. a. den wiederholten Warnsignalen zuzuschreiben, die neuere Studien zu den gegenwärtigen Rechtschreibfähigkeiten von Schüler/-innen in Deutschland senden. Da die darin aufgezeigten Schwierigkeiten der Schüler/-innen in nicht unerheblichem Maß Regularitäten der Wortschreibung betreffen, die als gut systematisier- und lernbare Basiskompetenzen gelten, wird die unterrichtliche Vermittlungspraxis der deutschen (Recht-)Schreibung in den letzten Jahren zunehmend infrage gestellt. In den Fokus der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit schriftsprachdidaktischen Vermittlungspraktiken rückt dabei zunächst die Frage nach der Gegenstandsstruktur selbst: Im Kern geht es um das Verhältnis von Sprachsystem und Schriftsystem zueinander. Inwieweit Phonem, Silbe oder Morphem als Bezugsgröße der Wortschreibung angenommen werden, ist Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzungen (Kruse und Reichardt 2015, S. 8).

Worin eine „angemessene Theorie des zu erwerbenden Schriftsystems“ (Bredel 2016, S. 448) besteht und „welche [Hervorhebung im Original] Rechtschreibung Grundschüler brauchen“ (Kruse und Reichardt 2015, S. 8), wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Dabei prägen insbesondere Fragen zum Verhältnis von gesprochenem und geschriebenem Wort und zu den gegenstandsbestimmenden Bezugsgrößen die Debatte: - (Inwiefern) Eignet sich die phonologische Analyse von Wörtern zur Fundierung und Aneignung der deutschen Wortschreibung?

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(Inwiefern) Ist eine Betrachtung des Schriftsystems in seiner eigenen Strukturiertheit am Anfang schriftsprachlicher Lernprozesse zielführend? - Welche Bezugseinheiten – etwa das phonologische und/oder graphematische Einzelsegment, die phonologische und/oder graphematische Silbe – bieten einen sinnvollen (Erst-)Zugang zum deutschen Schriftsystem? Einigkeit besteht unter den Vertreter/-innen des wissenschaftlichen Diskurses in erster Linie darin, dass ein zu offener bzw. ungesteuerter und einseitig angelegter Schriftspracherwerb Lernrisiken birgt. Dabei wird oftmals auf das Konzept Lesen durch Schreiben des Reformpädagogen Jürgen Reichen (1982) verwiesen, das den initialen Zugang zur Schriftsprache über ein lautierendes und – zumindest in der Reinform des Konzeptes – noch gänzlich frei von Instruktion ablaufendes Erstschreiben eröffnet. Diese „Einseitigkeit des Reichen-Konzepts“ (Bartnitzky 2015a, S. 150) wird heute weitgehend abgelehnt; die darin angelegte phonembasierte und lauttabellengestützte Erstorientierung betrachten (und nutzen) hingegen viele Grundschulpädagog/-innen und -didaktiker/-innen weiterhin als zielführende Herangehensweise, „um sich bereits im Anfangsunterricht mit Schrift als System erfolgreich auseinandersetzen zu können“ (Leßmann 2015a, S. 142). Demgegenüber stehen Positionierungen, die nicht nur das Fehlen von schriftstruktureller Instruktion, sondern auch die sachstrukturelle Angemessenheit einer segmentbasierten Schrifttheorie und entsprechender Erwerbsannahmen kritisieren. Die Vertreter/-innen dieser Perspektive beziehen sich maßgeblich auf Erkenntnisse der Graphematik, der grammatischen Teildisziplin, die durch die deskriptive Erfassung der Schriftsystematik offenlegt, dass sich die geschriebene Sprache „sowohl materiell als auch im Gebrauch von der gesprochenen [unterscheidet]“ (Eisenberg 2013, S. 185) und sich wesentlich über segmentübergreifende Strukturen konstituiert. In der Auseinandersetzung mit den schriftgrammatischen Strukturen wird ein großer Bereich regelhafter Schreibungen (Kernbereich) ermittelt, der sich grundlegend über silbische Strukturen des prototypischen (d. h. zweisilbigen, aus Haupt- und Reduktionssilbe bestehenden) deutschen Wortes erfassen lässt und auf dessen Basis sich wiederum systematische, aber nicht „eineindeutig[e]“ (ebd., S. 292) Bezüge zur Lautung ergeben. Auf der Basis dieser schriftlinguistischen Erkenntnisse wurden Wege der didaktischen Neuorientierung abgeleitet (grundlegend: RöberSiekmeyer 1993; Hinney 1997). Mit dem Ziel, ungünstige orthographische Lernverläufe durch eine von vornherein handlungsleitende Konzentration

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auf die Gegenstandssystematik zu vermeiden, wird in diesen Zugängen die Silbe als das geeignetere „Einstiegselement“ (Bredel 2016, S. 449) im Vergleich zum Einzellaut bzw. -buchstaben betrachtet. Die Blickrichtung wird hierbei umgekehrt: Sie erfolgt im Unterschied zu traditionellen Ansätzen vom Wortlesen zum Wortschreiben. Dabei werden – wie auch im eingangs angeführten Zitat der Lehrerin – die besonderen Anforderungen an die Lehrperson betont: Die Strukturen der Rechtschreibung sind nachvollziehbar, weil sie systematisch sind, aber diese Systematik operiert auf den unterschiedlichsten Ebenen und ist deshalb für Novizen nicht von vornherein transparent. Diese Systematik nachvollziehbar zu machen, dafür braucht es als Lehrende Experten, die selbst um die Systematizität wissen und diese mit geeigneten didaktischen Arrangements vermitteln. (Böhm und Mehlem 2015a, S. 182)

Empirische Untersuchungen zu den orthographiebezogenen Wissensbeständen von (angehenden) Lehrenden (u. a. Hofmann 2008; Corvacho del Toro 2013; Jagemann 2015) deuten jedoch auf z. T. gewichtige fachliche und fachdidaktische Schwachstellen im Wissen und Können von Lehrer/-innen hin, die als „Experten für das Lehren und Lernen“ (Bromme 2008, S. 159) im grundschulischen Schriftsprachunterricht tätig sind. Besonders beunruhigend sind diese empirischen Befunde insofern, als nicht nur einige der angeführten domänenspezifischen Studien, sondern auch Untersuchungen aus anderen Fächern sowie fächerübergreifende (Meta-)Studien die Bedeutung der Unterrichtsqualität und der Lehrerkompetenz für gelingende Lernprozesse von (schwächeren) Schüler/-innen nachweisen (vgl. z. B. Baumert und Kunter 2011a+b; Hattie 2014; Helmke 2014). Zudem wird das Fehlen richtungsweisender Wirksamkeitsbelege für unterschiedliche Grundausrichtungen des Schriftsprachunterrichts wie den oben skizzierten u. a. darauf zurückgeführt, dass zu wenig über die konzeptionellen Vorstellungen und kognitiven Leistungsdispositionen der ‚ausführenden‘ Lehrenden bekannt ist. Die Komplexität des Bedingungsgefüges macht auch in diesem Untersuchungsfeld den Bedarf an multiperspektivischen und interdisziplinären Forschungszugängen mehr als deutlich. Die vorliegende Arbeit knüpft an bisherige Erkenntnisse zur orthographiebezogenen Lehrerkompetenz an und soll diese um eine Perspektive ergänzen, die bisher nur ansatzweise berücksichtigt wurde: Ziel ist es, Einblicke in die Schnittstelle zwischen dem Wissen und dem unterrichtlichen Handeln der Lehrenden zu gewinnen. Durch einen qualitativen Zugang

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sollen die Erkenntnisse der vorwiegend quantitativ ausgerichteten Studien zum orthographischen Wissen und Können der Lehrenden dahingehend vertieft werden, dass die Zusammenhänge zwischen Wissen, Erfahrungen und didaktischen Handlungsorientierungen beleuchtet werden. Dabei werden v. a. diejenigen Aspekte in den Blick genommen, die zuvor als zentrale Themen des wissenschaftlichen Diskurses zum schriftsprachlichen Lehren und Lernen in der Grundschule dargestellt wurden: das (angenommene) Verhältnis zwischen gesprochener und geschriebener Sprache und seine Relevanz für schriftsprachliches Lehren und Lernen. Die Untersuchung legt den Fokus auf Lehrende, in deren Schriftsprachunterricht silbenorientierte Zugänge zur Wortschreibung nach eigener Aussage von vornherein eine Rolle spielen. Diese Schwerpunktsetzung ist darin begründet, dass silbenorientierte Konzeptionen als sprachwissenschaftlich begründete Alternative zu den ‚herkömmlichen‘ lautierenden Ansätzen des Schriftsprachunterrichts diskutiert und zunehmend praktisch erprobt werden.2 Noch weitgehend unklar ist jedoch, wie Lehrkräfte silbische Zugriffe auf die Wortschreibung selbst fachlich fundieren und mit didaktischen Anforderungen verknüpfen. Mit dem Ziel, schriftsprachliche Lehr- und Lernprozesse und die Bedeutung der Silbe als Struktureinheit des Wortes aus der Perspektive der Lehrer/-innen heraus zu beleuchten, wurden daher Experteninterviews geführt, in denen sachstrukturelle Vorstellungen und Handlungsorientierungen in didaktischen Anforderungssituationen zur Sprache kommen. Die Untersuchung konzentriert sich auf die Schreibung im Wortinneren, betrachtet also nicht die Groß- und Kleinschreibung am Wortanfang (und auch keine weiteren syntaktisch motivierten Schreibungen). Auf diese Weise sollen Erkenntnisse darüber gewonnen werden, welche Rolle wortgrammatische und speziell silbenstrukturelle Regularitäten für das fachinhaltliche Gegenstandsverständnis der Lehrenden, die didaktische Modellierung und das Verhältnis zwischen beiden Komponenten spielen. Im Untersuchungsfokus stehen somit zum einen die ‚theoretische‘ Basis, die sachanalytische Konstituierung der Wortschreibung, zum anderen die praxisbezogene Anforderung an die Lehrenden, Sachstruktur und Lernervoraussetzungen in der didaktisch-methodischen Aufbereitung des Lerngegenstands Wortschreibung aufeinander zu beziehen.

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Zur kritischen Betrachtung neuerer publizierter Lehrwerke mit beworbener ‚Silbenorientierung‘ siehe u. a. Röber und Olfert (2010); Hinney (2014).

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Zur theoretischen Fundierung des Untersuchungsanliegens wird in Kapitel 2 zunächst die forschungstheoretische Perspektive begründet und das Experten-Paradigma als Forschungsansatz der Lehrerprofessionsforschung vorgestellt sowie in seiner Relevanz für die vorliegende Arbeit beleuchtet. Die folgenden Kapitel 3, 4 und 5 richten den Blick auf den fokussierten Lerngegenstand Wortschreibung. Dabei zeichnen die Ausführungen in Kapitel 3 zunächst den Forschungsstand zum schriftsprachlichen Lehren und Lernen nach. Den Ausgangspunkt dieses Kapitels bilden die vorliegenden Befunde zu den rechtschriftlichen Fähigkeiten von Schüler/-innen in Deutschland, die den didaktischen Handlungs- und weiteren Forschungsbedarf in diesem Feld untermauern (s. 3.1). Die anschließenden Teilkapitel nehmen zentrale Einflussgrößen der schriftsprachbezogenen Vermittlungspraxis in den Blick: zum einen das domänenspezifische Wissen und Können der Lehrperson (3.2), zum anderen die Kenntnisse und Theorien zum Aufbau von Wortschreibungskompetenz und zu daraus abgeleiteten Formen unterrichtlichen Inputs (3.3). 3 Dabei werden Forschungsdesiderate zum Untersuchungsfeld präsentiert, aber auch fachliche und fachdidaktische Fragen an den Lerngegenstand formuliert. Zu ihrer Beantwortung beleuchtet Kapitel 4 die Sachstruktur und Bezugsdisziplinen der Wortschreibung aus sprachwissenschaftlicher Perspektive: Teilkapitel 4.1 zeigt, warum die Auseinandersetzung mit geschriebenen Wörtern auch ein differenziertes Wissen zum System der gesprochenen Sprache erfordert. In der Konsequenz stellt 4.2 die Grundlagen der Phonologie zu den funktionalen lautsprachlichen Einheiten des prototypischen deutschen Wortes vor und zeigt wesentliche Strukturen auf, die sich für die spätere Betrachtung des geschriebenen Wortes als bedeutsam erweisen. Teilkapitel 4.3 liefert einen Exkurs zur historischen Entwicklung von Lautund Schriftsystem. Auf der Basis der Teilkapitel 4.1-4.3 wird ein knappes Zwischenfazit gezogen, das schließlich zur graphematischen Fundierung und den grundlegenden Prinzipien der deutschen Wortschreibung in 4.5 überleitet.

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Im Rahmen dieser empirischen Bestandsaufnahme wird zu erläutern sein, warum im Verständnis der vorliegenden Arbeit die Rede von schriftsprachlichen Lehr- und Lernprozessen zwar grundsätzlich die Beschäftigung mit dem Richtigschreiben umfasst, es ‚traditionelle‘ Annahmen zum Aufbau von schriftsprachlichen Fähigkeiten aber z. T. nötig machen, in der Auseinandersetzung mit regelhaften Wortschreibungen des Deutschen explizit von orthographisch richtigem Schreiben, Rechtschreiblernen und Rechtschreibunterricht zu sprechen.

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Kapitel 5 spannt den Bogen von den sprachwissenschaftlichen Grundlagen zu deren Relevanz für didaktische Anforderungskontexte. Im Teilkapitel 5.1 wird die in der vorliegenden Arbeit eingenommene Perspektive auf schriftsprachliches Lehren und Lernen im Grundschulunterricht vorgestellt, die sich durch die von Beginn an leitende Konzentration auf reguläre, schreibsilbisch begründete Wortstrukturen konstituiert. In 5.2 erfolgt eine Einordnung dieses Unterrichtsansatzes in den wissenschaftlichen Diskurs, 5.3 benennt zum Abschluss der theoretischen Grundlegung der Arbeit die Anforderungen eines wortstrukturorientierten Schriftsprachunterrichts an die Lehrkraft und schafft damit den Übergang zur empirischen Untersuchung. Kapitel 6 präsentiert in Rückbindung an die zuvor dargestellten theoretischen Grundlagen das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit (s. 6.1) sowie die Leitfragen der Untersuchung (s. 6.2). Das qualitative Forschungsdesign, mit dem die Beantwortung der Forschungsfragen angestrebt wird, wird in Kapitel 7 vorgestellt. Im Mittelpunkt steht dabei das methodische Vorgehen der Datenerhebung (s. 7.2) und -auswertung (s. 7.3), bei dessen Darstellung das dreigeteilte Format der Experteninterviews und die darin genutzten Inputmaterialien besondere Beachtung erfahren. Im 8. Kapitel werden schließlich die zentralen Ergebnisse der Datenauswertung präsentiert. Die Ergebnisdarstellung beginnt mit der Vorstellung von analytischen Ergebniskategorien als zentrales Verdienst des komplexen Auswertungsverfahrens (s. 8.1). Ihre Anwendung und Funktionalität für die weiterführende Bearbeitung der Untersuchungsfragen werden anschließend in vier Einzelfallanalysen demonstriert (s. 8.2). In den Einzelfalldokumentationen können zudem zentrale – und fallübergreifend beobachtete – Auffälligkeiten der Lehrerzugriffe auf regelhafte Wortschreibungen des Deutschen in den unterschiedlichen Anforderungskontexten der Interviews festgehalten werden. Da sich diese als aufschlussreiche Unterscheidungsmerkmale zwischen den befragten Lehrenden erweisen, werden im Teilkapitel 8.3 Typen gebildet, die fallübergreifende sachstrukturelle Vorstellungen und handlungsleitende Orientierungsmuster der Lehrenden im Umgang mit Wortschreibungen herausstellen. Kapitel 9 fasst die Ergebnisse vor dem Hintergrund der theoretischen Grundlegung und dem leitenden Erkenntnisinteresse der Arbeit zusammen und diskutiert ihre Relevanz für das Untersuchungsfeld einschließlich der Vermittlungspraxis des Wortschreibens im Grundschulunterricht. Abschließend werden im Kapitel 10 anhand der Untersuchungsergebnisse der Studie weiterführende Forschungsfragen formuliert.

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Forschung zur professionellen Kompetenz von Lehrenden

Die Qualität von Unterrichts- und Lernprozessen empirisch zu untersuchen, stellt mit Blick auf die Vielzahl an Komponenten, die diese Prozesse prägen, ein äußerst komplexes Unterfangen dar. Sollen Rahmenbedingungen lernförderlicher Unterrichtsangebote gegenüber weniger förderlichen Lehr-Lern-Arrangements abgesteckt werden, können Untersuchungen zu den Beziehungen zwischen den Rahmenbedingungen von Unterricht (z. B. Arbeits- und Sozialformen, eingesetzte Lehr-Lern-Medien, Aufgabenstellungen) und erzielten Lernresultaten, aber auch zwischen der spezifischen Lerngegenstandsstruktur und den kognitiven Bewältigungsstrategien der Lernenden aufschlussreiche Erkenntnisse liefern. Wissenschaftliche Untersuchungen dieser Zusammenhänge können jedoch stets nur Annäherungen darstellen, die einzelne Aspekte herausgreifen und Tendenzen ihres Zusammenwirkens mit anderen Teilkomponenten beschreiben. Um zielführende und forschungsmethodisch kontrollierbare Zugänge zum Gegenstandsbereich zu erschließen, werden in der aktuellen Forschung aus der großen Gruppe der Faktoren, die die Lernleistungen von Schüler/-innen beeinflussen, in erster Linie diejenigen in den Blick genommen, die in den ‚greifbaren‘ Wirkungsbereich von Schule und Unterricht fallen (vgl. König 2010, S. 42). Dass in diesem Bemühen die Rolle der Lehrperson zunehmende Beachtung erfährt, erschließt sich sowohl im Hinblick auf das Lernen der Schüler/-innen als auch auf die empirische Zugänglichkeit: Als die Akteurin, die durch ihr planendes und gestaltendes Handeln maßgeblich zur Rahmung des Unterrichtsgeschehens beiträgt, beeinflusst die Lehrkraft die Qualität von Unterricht und Lehr-Lern-Situationen aktiv. Da die Gruppe der Lehrenden darüber hinaus zu den veränderbaren Bedingungsfaktoren von Unterrichtsprozessen zählt (vgl. ebd.) bzw. sogar als die am ehesten zu beeinflussende Wirkungsgröße von Lehr-Lern-Arrangements betrachtet wird (vgl. Hattie 2014, S. 27)4, stellt sie eine probate Un-

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Auf die vertiefende Auseinandersetzung mit den international kontrovers diskutierten Ergebnissen, die Hattie (2009, 2014) in seiner Studie Visible Learning (Lernen sichtbar machen) anhand einer beträchtlichen Zahl von Metaanalysen zur Bedeutung der Lehrperson vorstellt, wird in der vorliegenden Arbeit verzichtet. Die Darstellung empirischer Befunde (s. 0) fokussiert auf neuere fach- bzw. domänenbezogene Studien zur Lehrerexpertise.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Schröder, Der Lerngegenstand Wortschreibung aus der Sicht von Lehrenden, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24828-4_2

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2 Forschung zur professionellen Kompetenz von Lehrenden

tersuchungseinheit für wissenschaftliche Studien dar. Zwar kann grundsätzlich nicht von unidirektionalen Zusammenhängen zwischen dem Lehrerwissen und -handeln und dem Lernerfolg von Schüler/-innen ausgegangen werden, wie u. a. das Angebots-Nutzungs-Modell von Helmke (2014) deutlich macht, indem es die vielschichtigen, reziproken Beziehungen zwischen Lehrperson, Unterricht und dem komplexen System, das das individuelle Lernen des Schülers/der Schülerin bedingt, herausarbeitet. Neuere Untersuchungen der fachbezogenen Leistungsdispositionen und Einstellungen von Lehrenden stützen jedoch die Annahme, dass in der Wirkungskette Lehrer(aus)bildung – Lehrerhandeln – Schülerlernen (vgl. z.B. Lipowsky 2006) wesentliche Gelingensbedingungen von Lehr-Lern-Prozessen angelegt sind. Im Weiteren sollen daher die leitenden Forschungsparadigmen innerhalb der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Professionskomponenten der Lehrperson dargestellt und darauf aufbauend gezeigt werden, warum etwa seit Beginn des 21. Jahrhunderts vor allem kognitive Dispositionen Lehrender im Fokus des empirischen Interesses stehen. In diesem Zusammenhang werden internationale und nationale Befunde zur Bedeutung des Lehrerwissens und -handelns in verschiedenen Unterrichtsfächern vorgestellt und in ihrer Relevanz für das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit bewertet. 2.1 Das Experten-Paradigma Das wissenschaftliche Interesse an der Lehrperson ist kein neues Phänomen: Schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind Forschungsaktivitäten zu den lehrerbezogenen Bedingungsfaktoren von Unterricht auszumachen. Aus historischer Perspektive lassen sich dabei drei zentrale und zeitlich mehr oder minder gut abgrenzbare Forschungs-Paradigmen bestimmen. Während die Lehrerforschung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorrangig auf die Persönlichkeit von Lehrkräften und deren Wirkung auf Lehr-Lern-Prozesse fokussierte (Persönlichkeits-Paradigma), rückten ab ca. 1960 zunehmend Fragestellungen und Untersuchungsformate in den Mittelpunkt, die infolge behavioristischer Einflüsse besonders auf das konkrete Unterrichtsverhalten der Lehrenden ausgerichtet waren (Prozess-Produkt-Paradigma). In dieser Forschungsperspektive, die auch heute noch relevant ist, wurden ausgewählte Faktoren und Momente des Lehrerhandelns (Prozesse) in den Blick genommen und in ihrer Beziehung zu den Zielvorgaben und Lernresultaten des Unterrichts (Produkten) un-

2.1 Das Experten-Paradigma

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tersucht. Zahlreiche der heute anerkannten Merkmale erfolgreichen Unterrichts (vgl. z. B. Meyer 2016) können als das Verdienst dieses Forschungsparadigmas betrachtet werden (vgl. Krauss und Bruckmaier 2014, S. 241). Dennoch gilt das gegenwärtige Interesse der lehrerbezogenen Forschung vor allem der Erfassung kognitiver Wissensstrukturen und deren Entfaltung im professionellen Können der Lehrkraft (Experten-Paradigma). Die zunehmende Konzentration auf das ‚Expertentum‘ von Lehrenden (vgl. u. a. Zlatkin-Troitschanskaia und Kuhn 2010, S. 26; Helmke 2014, S. 110) ist jedoch nicht als eine grundsätzliche Abwendung vom Prozess-ProduktParadigma und dessen Bemühen um möglichst handlungsnahe Forschungsformate zu verstehen. Vielmehr wird im Rahmen des ExpertenParadigmas versucht, kognitive Leistungsdispositionen und unterrichtsbezogene Überzeugungen von Lehrkräften domänen-, stoff- und anforderungsbezogen zu erfassen und auf diese Weise Einsichten in lern- und leistungsrelevante Unterrichtsbedingungen zu gewinnen (vgl. u. a. Krauss und Bruckmaier 2014, S. 242, 251). Im Merkmal der Domänenspezifizität sehen Hill et al. (2005) einen bedeutsamen Vorteil des Experten-Paradigmas gegenüber dem Prozess-Produkt-Paradigma, das im Unterschied zum Expertenansatz die Rolle des unterrichtsfachspezifischen Fach- und Vermittlungswissens vernachlässige und somit einen wichtigen Prädiktor für die Effektivität von Lehr-Lern-Prozessen außer Acht lasse (vgl. ebd., S. 374). Die Autoren können diese These in einer eigenen repräsentativen Studie mit amerikanischen Erst- und Drittklässler/-innen belegen. Auch Untersuchungen aus dem deutschsprachigen Bereich weisen entsprechende Effekte nach. Anders als im Prozess-Produkt-Paradigma wird in diesen Studien auf die Kognitionen der Lehrenden referiert und u. a. untersucht, „wie Stoff- und Vermittlungswissen im Kopf des Lehrers zusammenfinden“ (Neuweg 2014, S. 583). Bevor die entsprechenden empirischen Erkenntnisse zur Bedeutung des Lehrerwissens dargelegt werden, sollen jedoch zunächst die grundlegenden Kennzeichen und Begrifflichkeiten der im Experten-Paradigma angesiedelten Forschungsbemühungen erläutert werden. Wie zuvor erwähnt, fokussiert der Expertenansatz auf die kognitiven Anforderungen und Leistungsdispositionen des Lehrerhandelns, bezieht sich also vorwiegend auf das Wissen von Lehrenden. Leitend ist dabei das auf Bromme (1992) zurückgehende Konzept vom „Lehrer als Experten“ (ebd.). Allgemeine Definitionen von Expertentum bzw. Expertise referieren vordergründig auf Personen, die in einem bestimmen Handlungsfeld herausragende Leistungen erbringen oder sich in Bezug auf berufliche Tätig-

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2 Forschung zur professionellen Kompetenz von Lehrenden

keiten von Laien abheben (vgl. Mulder und Gruber 2011, S. 433). Die Expertise bezieht sich in diesem Verständnis auf domänenspezifische Merkmale und stellt sich als „internale Voraussetzung erfolgreichen Handelns“ (ebd.) dar. Bogner et al. (2014) beschreiben den Experten/die Expertin aus wissenssoziologischer Sicht als eine Person, die über ein besonderes praxiswirksames Wissen verfügt, das sie zur sinnvollen Strukturierung eines bestimmten Handlungsfeldes befähigt und auf dessen Grundlage sie anderen Akteuren des Feldes Handlungsorientierung geben kann (vgl. ebd., S. 13f.). Gerade in der Einordnung des Begriffs in ein soziales Wirkungsgefüge offenbart sich die grundsätzliche Eignung des Konzepts Expertise für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Lehrperson: Sie verfügt in der Regel über ein in der Ausbildung erworbenes fachspezifisches Wissen und verknüpft dieses mit Praxis- und Erfahrungswissen. Für die Untersuchung der Lehrerexpertise ist aus diesem Blickwinkel weniger das Erbringen exzellenter Leistungen entscheidend; das ‚Expertenhafte‘ einer Lehrperson bezieht sich vielmehr auf ihr berufsspezifisches Wissen und Können, das sie im Handlungsfeld des Unterrichts zur Planung und Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen benötigt. So verstanden sind Lehrkräfte Experten ihrer Unterrichtsfächer, ihre Expertise ergibt sich aus der Zugehörigkeit zur Berufsgruppe der Lehrer/-innen (vgl. u. a. Bromme 2008, S. 159). Nach Besser (2014) liegt dem Expertenbegriff Brommes daher ein Verständnis der Lehrerexpertise zugrunde, das sich aus ihrer Profession ergibt (vgl. ebd., S. 18f.). Zwar ist die Ausweisung des Lehrerberufs als Profession in der Fachliteratur nicht unumstritten, Mulder und Gruber (2011) führen aber überzeugende Argumente an, die die Einordnung des Lehrerberufs als Profession grundsätzlich zulassen (u. a. das Vorliegen einer berufsspezifischen Ausbildung, das Verfügen über Entscheidungskompetenz gegenüber einer bestimmten Klientel, aber auch die Existenz entsprechender Forschung; vgl. ebd., S. 429). Die präzise Beschreibung der Lehrerprofessionalität hinsichtlich ihrer einzelnen Anforderungsbereiche kann als zentrales Ziel der Expertiseforschung betrachtet werden. Gleichzeitig offenbart sich in diesem Vorhaben die schwierige Trennung von Expertise-, Professions- und Kompetenzforschung, die sich, wie sich im Weiteren zeigen wird, jedoch grundsätzlich lösen lässt, wenn man sie nicht als konkurrierende Ansätze versteht, sondern als Forschungsebenen, die sich gegenseitig ergänzen (vgl. ebd., S. 436). Dennoch ist eine genauere Absteckung ihrer jeweiligen Forschungsfelder notwendig, um

2.2 Modellierung professioneller Kompetenz

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Ziele, Umsetzung und Erkenntnisse empirischer Studien und auch die Anlage der in dieser Arbeit vorgestellten empirischen Untersuchung einordnen zu können. Mulder und Gruber (2011) fassen die Schwerpunkte der einzelnen Forschungsrichtungen folgendermaßen zusammen: So fokussiert die Professionsforschung auf den Beruf und dessen Entwicklung. Die Kompetenzforschung konzentriert sich wiederum darauf, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten eine Person besitzen muss, um den Lehrberuf gut ausüben zu können. Die Expertiseforschung legt das Hauptaugenmerk auf internale Voraussetzungen erfolgreichen Handelns. (ebd., S. 435)

Die Expertenforschung nimmt also vorwiegend kognitive Dispositionen in ihrer Bedeutung für domänenspezifisches professionelles Handeln in den Blick, die Kompetenzforschung fokussiert auf die konkreten Aufgaben und Anforderungen, die sich der Lehrkraft in der Unterrichtspraxis stellen, und die Professionsforschung ermittelt berufsbezogene Entwicklungen. Nach Neuweg (2014) bildet die Erforschung der wissensbezogenen Lehrerexpertise somit „die Scharnierstelle zwischen Lehrerbildungs- und Lehrerkompetenzforschung“ (ebd., S. 583). Dennoch ist vor allem die sehr enge Beziehung zwischen Expertise- und Kompetenzforschung nicht zu leugnen und spiegelt sich in einer häufig unscharfen Trennung oder auch Vermengung der Termini Kompetenz und Wissen wider (vgl. u. a. Baumert und Kunter 2011a, S. 29; Mulder und Gruber 2011, S. 432). Dies ist jedoch gerade mit Blick auf methodische Erhebungsformate problematisch: Mulder und Gruber (2011) beobachten, dass die Messung von Kompetenzen häufig über den Einsatz von Wissenstests angestrebt und dabei aus ihrer Sicht nicht (ausreichend) berücksichtigt wird, dass die Erfassung von Kompetenzen eine Kontextuierung, d. h. den Einbezug von Anforderungssituationen, verlangt (vgl. ebd., S. 433). Wie mit den teilweise sehr subtilen Unterschieden methodisch, aber auch in Bezug auf die theoretische Modellierung von Lehrerwissen, -kompetenz und -handeln umgegangen wird bzw. werden kann, sollen die folgenden Teilkapitel verdeutlichen.

2.2 Modellierung professioneller Kompetenz Auch die theoretischen Modellierungen, auf denen gegenwärtige empirische Untersuchungen von Lehrermerkmalen fußen, sind mit der konzeptionellen Nähe von Wissen, Kompetenz und Professionalität konfrontiert. Als richtungsweisend für ihre strukturelle und terminologisch trennscharfe

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2 Forschung zur professionellen Kompetenz von Lehrenden

Fundierung können die theoretischen Arbeiten Shulmans (1986) zu den Dimensionen des professionellen Wissens von Lehrpersonen angesehen werden. Aus seiner Klassifikation der unterrichtsrelevanten kognitiven Lehrermerkmale haben sich in der Forschungspraxis vor allem drei Dimensionen durchgesetzt: das auf ein konkretes Unterrichtsfach bezogene Fachwissen (subject matter content knowledge), das fachdidaktische Wissen (pedagogical content knowledge) und das fachübergreifende, allgemeinpädagogische Wissen (general pedagogical knowledge). Ein Modell, das auf diesem dreiteiligen Organisationssystem Shulmans basiert und die Erkenntnisse der Wissensforschung im Zusammenspiel mit den Befunden zur Lehrerkompetenz und -professionalität aufgreift, wird von den Autor/-innen der COACTIV-Studie für den Bereich der Mathematik(didaktik) vorgelegt (s. Abb. 1). Baumert und Kunter (2011a) richten darin das Hauptaugenmerk auf diejenigen Lehrermerkmale, die für die Vermittlung fachspezifischer Lerninhalte relevant sind. Ihr Ziel ist es, ein theoretisches Modell zu entwickeln, das einerseits die Wissensbestände und Aspekte professioneller Kompetenz strukturell fasst, andererseits aber so beweglich ist, dass es ‚Andockstellen‘ für Professionalisierungskonzepte bietet (vgl. ebd., S. 31). Als konzeptionelle Basis der Modellentwicklung dient zunächst das Lehrerwissen, das im weiteren Prozess der Modellentwicklung in das Konzept der Kompetenz, verstanden als Bündel der persönlichen Voraussetzungen zur Bewältigung unterrichtlicher Anforderungssituationen, integriert wird (vgl. ebd.). Wissen wird im COACTIV-Modell somit als eine Komponente von Kompetenz gefasst. Die Autoren führen insgesamt vier Aspekte professioneller Kompetenz an (Professionswissen, Überzeugungen/Werthaltungen/Ziele, Motivationale Orientierungen, Selbstregulation) und berücksichtigen dabei sowohl kognitive als auch nicht-kognitive – also auch affektiv-motivationale – Merkmale. In der vorliegenden Arbeit steht das Professionswissen der Lehrkraft im Fokus und wird im Weiteren besonders ausführlich betrachtet, obgleich auch Überzeugungen und Einstellungen zum Unterrichtsfach und Lerngegenstand in den Blick genommen werden sollen. Das Professionswissen wird im COACTIV-Modell, aufbauend auf Shulmans Wissenstaxonomie (s. oben), weiter aufgeschlüsselt: Von insgesamt fünf Kompetenzbereichen des Professionswissens lassen sich zwei als fachspezifisch bezeichnen: das Fachwissen, also fachinhaltliches Wissen, und das fachdidaktische Wissen. Die anderen drei Bereiche des Professionswissens, pädagogisch-psychologisches, Organisations- und Beratungswissen, sind in erster Linie fachübergreifend bestimmt, weisen aber naturgemäß ebenfalls Berührungspunkte mit dem Unterrichtsfach

2.2 Modellierung professioneller Kompetenz

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auf. In der vorliegenden Arbeit wird das Wissen zum Unterrichtsfach als Kern des Professionswissens verstanden und steht daher in den weiteren Erläuterungen im Mittelpunkt. Die COACTIV-Autor/-innen spezifizieren die angeführten Wissenskategorien, indem sie sie in Wissens- bzw. Kompetenzfacetten 5 untergliedern (s. Abb. 1):

Abb. 1 Das Modell professioneller Kompetenz von COACTIV (aus: Baumert und Kunter 2011a, S. 32)

Das Fachwissen steht hierbei für ein profundes Verständnis der dem Schulstoff zugrunde liegenden mathematischen Begründungszusammenhänge: Dieses Wissen hat sein Fundament in der akademischen Referenzdisziplin, stellt aber selbst einen Wissensbereich eigenen Rechts dar, der durch Curricula definiert und in Rückkopplung mit der Unterrichtspraxis fortgeschrieben wird. (Baumert und Kunter 2011a, S. 37)

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Auch hier ist der Anspruch terminologischer Klarheit m. E. nicht gänzlich erfüllt: Zwar geben die Autor/-innen explizit an, Wissen als Teil von Kompetenz zu verstehen, dennoch erscheint die Vermengung in der grafischen Darstellung schwer fassbar.

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2 Forschung zur professionellen Kompetenz von Lehrenden

Das fachdidaktische Wissen als „ein besonderes unterrichts- und schülerbezogenes fachliches Wissen“ (ebd., S. 38) umfasst Erklärungs- und diagnostisches Wissen, das für den Umgang mit Lehr-Lern-Materialien, für die Auswahl und Formulierung von Lernaufgaben sowie für die fachspezifische Lernbeobachtung und -begleitung relevant ist (vgl. ebd.). In der empirischen Überprüfung des Modells weisen die Autor/-innen nach (s. auch 2.3), dass sich die angenommenen Kategorien Fachwissen und fachdidaktisches Wissen strukturell voneinander abgrenzen lassen, bei hohen Expertiseausprägungen jedoch zunehmend miteinander verschmelzen (vgl. Kunter und Baumert 2011, S. 347). Heinze et al. (2016), die im Rahmen des KiL-Projekts6 den Untersuchungsschwerpunkt auf die Lehrerbildung von angehenden Mathematiklehrkräften legen, kritisieren an Modellen wie dem der COACTIV-Studie, dass das Fachwissen dort hauptsächlich auf die Schulmathematik referiert, nicht aber in ausreichendem Maße auf die akademischen Wissensanteile der Lehrenden eingeht, obwohl diese die universitäre Ausbildung maßgeblich prägen (vgl. ebd., S. 331). Sie empfehlen daher die Aufsplittung des Fachwissens in zwei Konstrukte und nehmen dabei eine Einteilung in (1) akademisches Fachwissen (content knowledge, CK), das aus der bezugswissenschaftlichen, berufsfeldunabhängigen Gegenstandsfundierung hervorgeht, und (2) berufsbezogenes Fachwissen (school-related content knowledge, SRCK) vor, das als Fachwissen im schulischen Kontext auch die Kenntnis „über Zusammenhänge zwischen schulischer und akademischer Mathematik“ (ebd., S. 332) betrifft. Wesentliche Bausteine des SRCK sind ihren Ausführungen zufolge ein curriculares Wissen zur sachstrukturell 7 begründeten Progression der mathematischen Lerninhalte, Wissen zur sinnvollen didaktischen Reduktion mit Blick auf spiralcurriculare Anforderungen sowie das Wissen, das die Lehrkräfte dazu befähigt, Inhalte der Schulmathematik mit der akademischen Grundlegung in Verbindung zu bringen.

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Messung professioneller Kompetenzen in mathematischen und naturwissenschaftlichen Lehramtsstudiengängen In den weiteren Ausführungen der vorliegenden Arbeit wird mit dem Begriff sachstrukturell auf die strukturelle Beschaffenheit eines untersuchten Gegenstands(bereichs) referiert, die sich aus der eingehenden Analyse seiner konstitutiven Merkmale ergibt; die Sachstruktur des jeweiligen Gegenstands wird dabei unabhängig von didaktischen Kontexten bestimmt. Die Bezeichnung sachstrukturell wird gegenüber fachlich präferiert, da sie durch den – zumindest sprachlich assoziierten – stärkeren Gegenstandsbezug besser greifbar erscheint als die umfassende Referenz auf Fachliches.

2.3 Empirische Befunde zur Bedeutung professioneller Kompetenz

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Neben diesem berufsspezifischen Fachwissen legen Heinze et al. (2016) als dritte berufs- und fachbezogene Wissenskomponente das fachdidaktische Wissen fest und folgen hier der inhaltlichen Bestimmung der COACTIV-Autoren (vgl. ebd., S. 336). In zwei empirischen Studien können sie belegen, dass alle drei angenommenen Wissenskategorien valide erfasst werden können und sich das schulische Fachwissen (SRCK) statistisch vom akademischen Wissen (CK) abgrenzen lässt, wobei offen bleibt, inwiefern es an die akademische Grundlegung gebunden ist (vgl. ebd., S. 347). So fruchtbar die Untergliederung des Fachwissens in einen akademischen und einen unterrichtsfachbezogenen Bereich für empirische Fragen der Lehrerbildung sein mag, so fraglich ist aus der Perspektive der vorliegenden Arbeit, ob eine Abgrenzung des berufsbezogenen SRCK von dem fachdidaktischen Wissen tatsächlich gewinnbringend ist, insbesondere dann, wenn Einblicke in die handlungsleitenden Kognitionen von Lehrenden gewonnen werden sollen – Heinze et al. (2016) weisen schließlich selbst auf die fließenden Übergänge zwischen beiden Wissenskategorien hin (vgl. ebd., S. 336). In der vorliegenden Arbeit wird daher die Zweiteilung der fachbezogenen Komponenten des Professionswissens im COACTIVModell beibehalten, das Verständnis der fachdidaktischen Wissensfacetten aber um inhaltliche Bausteine des SRCK nach Heinze et al. (2016) ergänzt (s. Teilkapitel 5.3).

2.3 Empirische Befunde zur Bedeutung professioneller Kompetenz Als Vorläufer der Lehrerprofessionsforschung im deutschsprachigen Raum gelten v. a. empirische Studien aus dem angloamerikanischen Raum. Lipowsky (2006) führt in einem breiten Forschungsüberblick die Befunde zahlreicher Untersuchungen8 an, die die Bedeutung von Unterricht und Lehrperson für die Lernerfolge der Schüler/-innen generell stärken, aber auch einzelne Hinweise dafür liefern, - dass die professionelle Kompetenz von Lehrkräften insofern kompensatorisch wirken kann, als sie insbesondere schwächeren Lernenden zugutekommt und Bildungsbenachteiligungen verringert,

8

Die Studien werden an dieser Stelle nicht einzeln aufgeführt, sondern mit Verweis auf den Forschungsüberblick bei Lipowsky (2006) nur in ihren zentralen Befunden zusammengefasst.

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2 Forschung zur professionellen Kompetenz von Lehrenden

dass sich eine hohe Lehrkompetenz vor allem in den ersten beiden Schuljahren positiv auf die weitere Lernentwicklung der Schüler/-innen auswirkt und - dass vor allem die Ausprägung des fachdidaktischen Wissens der Lehrkraft als Prädiktor für Lehr-Lern-Erfolge gilt (vgl. ebd., S. 49ff.). Neuweg (2014) weist jedoch auch auf methodische Schwächen und z. T. uneinheitliche, z. T. sogar widersprüchliche Befunde dieser Studien hin und kritisiert, dass in vielen Untersuchungen noch Erhebungsformen dominieren würden, die das Lehrerwissen über Ausbildungsdaten und nicht über die tatsächlichen fachspezifischen Wissensbestände der Lehrkräfte erfassen. Auf diese Weise würden weniger die Effekte des Lehrerwissens, sondern vielmehr die Wirksamkeit der Lehrerbildung für Unterrichtsprozesse und Schülerleistungen ermittelt (vgl. ebd., S. 588). Hill et al. (2005) bringen für den Bereich Mathematik jedoch empirische Belege hervor, die auch fachinhaltliche Wissenskomponenten berücksichtigen: Sie untersuchen die mathematischen Leistungen von Erst- (N = 1.190) und Drittklässler/-innen (N = 1.773) in ihrer Beziehung zu ausgewählten Merkmalen der unterrichtenden Lehrer/-innen (in Jahrgang 1 N = 334, in Jahrgang 3 N = 365) (vgl. ebd., S. 380). Dafür werden mithilfe von Unterrichtsprotokollen und Fragebögen Informationen zu den berufsbiographischen Daten der Lehrenden, zum konkreten Unterrichtsverlauf (u. a. Unterrichtszeit, genutzte Instruktionsformen) sowie zum mathematikdidaktischen Wissen erhoben. Den größten Einfluss auf die Schülerleistungen stellen die Autoren unter allen einbezogenen Lehrermerkmalen für das fachdidaktische Wissen fest, wohingegen für das Merkmal Berufserfahrung keine positiven Auswirkungen ermittelt werden. Stattdessen indizieren die Analyseergebnisse von Hill et al., dass das für die Schülerleistung bedeutsame Lehrerwissen domänenspezifisch ist und nicht primär aus allgemeinpädagogischen Kenntnissen hervorgeht (vgl. ebd., S. 396). Ebenso wie die internationalen Untersuchungen beziehen sich die davon angestoßenen deutschen Studien zunächst überwiegend auf den mathematischen Bereich sowie die naturwissenschaftlichen Fächer. Unter den Untersuchungen mit dem Schwerpunkt fachspezifischer Lehrerkompetenzmessung sind vor allem die folgenden zu nennen: - die COACTIV-Studie mit Mathematiklehrer/-innen der 10. Jahrgangsstufe (Haupterhebung 2003/2004); - MT21 und die Nachfolgestudie TEDS-M (2008), eine internationale Vergleichsstudie mit deutscher Beteiligung zur Wirksamkeit der Lehrerausbildung im Fach Mathematik; -

2.3 Empirische Befunde zur Bedeutung professioneller Kompetenz

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die Erweiterungsstudie TEDS-LT (2009-2011) zur Kompetenz angehender Lehrkräfte in den Fächern Deutsch und Englisch. Darüber hinaus wurde im Rahmen des KiL-Projekts, das auf die Entwicklung eines geeigneten Testinstruments zur Erfassung von professionellen Wissensbeständen Lehrender abzielt, das Professionswissen von Lehramtsstudierenden mit mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern erhoben (Erhebung 2013). Die folgenden Darstellungen konzentrieren sich auf Befunde zum Zusammenhang von Lehrerwissen und Schülerleistung und zu den Beziehungen zwischen den einzelnen fachbezogenen Wissenskategorien. In der Fachliteratur zur Bedeutung des Lehrerwissens besteht allgemeines Einvernehmen darüber, dass das domänenspezifische Fachwissen zwar keine hinreichende Bedingung guten Unterrichts, in jedem Fall aber dessen notwendige Voraussetzung darstellt (vgl. zusammenfassend Neuweg 2014, S. 589). Zur genaueren Analyse der Wissenseinflüsse wird in der Regel mindestens zwischen dem Fachwissen, also fachwissenschaftlich fundierten Kenntnissen zur Sachstruktur eines Gegenstandsbereiches, und dem fachdidaktischen Wissen als Vermittlungswissen, das auf schulische Lerngegenstände bezogen ist, unterschieden. Diese Abgrenzung erscheint aus konzeptioneller Sicht plausibel, erweist sich im Hinblick auf die empirische Messbarkeit jedoch als methodische Herausforderung: -

Stellt man den Anspruch, dass Fachwissen nur wirklich verstanden hat, wer es vermitteln kann, dann wird mit der fachdidaktischen Kompetenz im Grunde immer auch zugleich die Tiefe des Verständnisses des Fachwissens gemessen. (Neuweg 2014, S. 591f.)

Wie bereits erwähnt, weisen Autoren des COACTIV-Projekts, dessen Hauptstudie an die nationale PISA-Erhebung 2003/2004 angeschlossen war, die konzeptionelle Unterscheidbarkeit von Fach- und fachdidaktischem Wissen im oben angeführten Kompetenzmodell empirisch nach (s. Teilkapitel 2.2), decken bei höheren Wissensausprägungen aber eine zunehmende Synthese beider Kategorien auf (vgl. Krauss et al. 2011, S. 157f.). Dennoch ermitteln sie direkte Effekte auf das Schülerlernen nur für das fachdidaktische Wissen: Lehrkräfte mit hohem fachdidaktischen Wissen zeichnen sich ihren Ausführungen zufolge durch einen lernförderlichen Umgang mit Aufgaben und eine intensive Betreuung und Unterstützung der Lernenden aus, was sich gegenüber Lehrkräften mit geringem fachdidaktischen Wissen in entsprechend höheren Lernerträgen ihrer Schüler/-innen widerspiegelt (vgl. Kunter und Baumert 2011, S. 347). Dass sich der jeweilige Expertisegrad im Bereich des fachdidaktischen Wissens in

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2 Forschung zur professionellen Kompetenz von Lehrenden

besonderem Maße auf Klassen mit niedrigem Leistungsniveau auswirkt (vgl. ebd.), untermauert die didaktische Relevanz der Befunde. Der fehlende Nachweis einer ähnlichen Wirksamkeit des Fachwissens werten die Autor/-innen nicht als Hinweis auf die geringe(re) Bedeutung von Fachwissen, sondern gehen mit Verweis auf andere qualitative Fallstudien davon aus, dass „das Fachwissen den Entwicklungsraum des fachdidaktischen Wissens und damit auch indirekt die Unterrichtsqualität [definiert]“ (Baumert und Kunter 2011b, S. 185), zumal COACTIV die Ausbildungsabhängigkeit beider fachbezogenen Wissensbereiche nachgewiesen und gezeigt habe, dass „Lücken im Fachwissen kaum durch fachdidaktisches Wissen kompensiert werden können“ (ebd.). Eine empirisch eindeutige Abgrenzung von fachinhaltlichen und fachdidaktischen Wissensbeständen ist anhand der COACTIV-Ergebnisse jedoch nicht möglich. Auch in der Untersuchung Heinzes et al. (2016), die zwar, wie oben dargestellt, sogar empirische Evidenz für drei fachbezogene Wissenskategorien liefert (vgl. ebd., S. 347), kann nicht abschließend geklärt werden, ob das berufsbezogene Fachwissen (SRCK), das gewissermaßen als ‚Zwischenstück‘ zwischen dem akademischen Fachwissen und dem unterrichtsbezogenen fachdidaktischen Wissen angenommen wird, „systematisch und eigenständig erworben werden kann oder ob es notwendigerweise CK [akademisches Fachwissen, Anmerk. E.S.] als kohärente und strukturierte Wissensbasis erfordert“ (ebd.). Besser (2014), der die COACTIV-Daten u. a. hinsichtlich der Frage auswertet, wie sich neben den kognitiven Leistungsdispositionen auch unterrichtsbezogene Überzeugungen von Lehrkräften auf die (wahrgenommene) kognitive Aktivierung der Schüler/-innen im Mathematikunterricht auswirken, sieht sich ebenfalls mit der Komplexität des Zusammenspiels unterschiedlicher Facetten professioneller Handlungskompetenz konfrontiert und formuliert hierzu nur vorsichtige Tendenzen: Während Kunter und Baumert (2011) für Lehrende mit konstruktivistischen Überzeugungen höhere Leistungserträge der von ihnen unterrichteten Schüler/-innen angeben (vgl. ebd., S. 348), weist Besser (2014) zwar negative Auswirkungen transmissiver Überzeugungen auf die von Schüler/-innen wahrgenommene Unterrichtsqualität nach, kann jedoch im Umkehrschluss keine signifikant positiven Effekte für konstruktivistische Überzeugungen feststellen (vgl. ebd., S. 170). Der Autor resümiert, dass Expertise und Überzeugungen als Bedingungsfaktoren von Unterrichtsqualität anzusehen sind, deren Potenzial von Lehrkräften aber augenscheinlich auch bewusst ausgeschöpft werden muss (vgl. ebd., S. 175f.).

2.3 Empirische Befunde zur Bedeutung professioneller Kompetenz

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Um die Aussagekraft der referierten Befunde allgemein, aber vor allem in Bezug auf das in dieser Arbeit fokussierte Erkenntnisinteresse einordnen zu können, sind abschließend einige konzeptionelle und methodische Einschränkungen vorzubringen: In den vorangegangenen Ausführungen zum lehrerwissensbezogenen Forschungsstand wurden Erkenntnisse aus unterschiedlichen – hauptsächlich aus der mathematischen, aber auch aus naturwissenschaftlichen – Domänen angeführt, die, wie auch in anderen Forschungskontexten, nicht ohne Weiteres auf andere Fächer und Fachdidaktiken übertragen werden können (dazu auch Kunter und Baumert 2011, S. 351). Ob bzw. inwiefern ähnliche Zusammenhänge und Effekte für die hier betrachtete Domäne des Richtigschreibens bzw. des Schriftsprachunterrichts gelten, müssen also domänenspezifische Untersuchungen nachweisen (s. dazu 3.2). Zum anderen wurden in den angeführten Studien hauptsächlich kognitive Aspekte des Lehrerwissens und -könnens und weniger emotionale, motivationale Merkmale der Lehrpersonen in den Blick genommen, obwohl in den theoretischen Modellen zur professionellen Kompetenz auch nicht-kognitive Aspekte eine wichtige Rolle spielen (vgl. auch Zlatkin-Troitschanskaia und Kuhn 2010, S. 33). Im Hinblick auf die kognitiven Dispositionen Lehrender wurde wiederum deutlich, dass sich die Untersuchungen in den jeweiligen Definitionen der angenommenen Wissenskategorien, v. a. in der inhaltlichen Bestimmung des Fachwissens (vgl. Heinze et al. 2016, S. 330f.), unterscheiden. Dies wirkt sich zwangsläufig auf die ermittelten Korrelationen aus und muss in dem Versuch, studienübergreifende Aussagen über die didaktische Relevanz von fachlichen und fachdidaktischen Wissensbeständen Lehrender zu generieren, berücksichtigt werden. Zu einer grundsätzlichen Kritik an den gängigen Verfahren der Wissens- bzw. Kompetenzmessung durch standardisierte Wissenstests gelangen Blömeke et al. (2015): Sie weisen darauf hin, dass diese Messverfahren lediglich das Leistungspotenzial, nicht aber die tatsächlich praxiswirksame Kompetenz von Lehrkräften erfassen können.9 Die Autor/-innen plädieren daher für einen frequenteren Einsatz von situationsbezogenen Erhebungsformen, die die professionellen Anforderungen des Unterrichtens stärker berücksichtigen (vgl. auch Lindmeier 2013) und den Blick somit

9

Eine ähnliche Problematik sehen Wiprächtiger-Geppert et al. (2015) in der starken Konzentration auf akademisches Wissen in dem Testinstrument von TEDS-LT und hinterfragen, welche Relevanz die erfragten Inhalte für die tatsächlichen Anforderungen der Unterrichtspraxis besitzen (vgl. ebd., S. 287).

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2 Forschung zur professionellen Kompetenz von Lehrenden

v. a. auf die Lehrerperformanz richten: Mithilfe von Text- oder Videovignetten zu ausgewählten Unterrichtssituationen und entsprechenden Aufforderungen zu pädagogischen und/oder fachlichen Reaktionen lassen sich ihren Ausführungen zufolge handlungsnähere, anforderungsspezifische Leistungsdispositionen Lehrender erfassen (vgl. ebd., S. 310). Diese Herangehensweise als Chance der stoff- und anforderungsnahen Erfassung von Lehrermerkmalen und -zugängen zu spezifischen Lerngegenständen soll in der methodischen Grundlegung der in dieser Arbeit vorzustellenden empirischen Studie aufgegriffen werden. Dabei wird sich auch als untersuchungsrelevant erweisen, dass Blömeke et al. (2015) in der mit videobasierten Assessments arbeitenden TEDS-FU, einer Follow-Up-Studie zu TEDS-M, eine deutlich stabilere Lehrerperformanz im mathematikdidaktischen Bereich feststellen, als dies in Bezug auf domänenunabhängige pädagogische Handlungsmaximen der Fall ist. Es kann somit angenommen werden, dass die Untersuchung fachbezogener Lehrerzugänge aufschlussreiche Einblicke liefert. Dass sich auch im Bereich der deutschdidaktischen Forschung in den letzten Jahren „zunehmend mehr Forschungsarbeiten einer dezidiert fachdidaktischen Perspektive den Lehrenden im Deutschunterricht zuwenden“ (Bräuer und Wieser 2015, S. 9) und dabei unterschiedliche Untersuchungsinteressen verfolgen und unterschiedliche methodische Zugänge wählen, fügt sich stimmig in die skizzierte Entwicklung der lehrerbezogenen Forschung in anderen Domänen ein. Untersucht werden in der empirischen Deutschdidaktik professionelle Vorstellungen und Orientierungen von Lehrenden, ihr Unterrichtshandeln sowie fachlich-didaktische Kompetenzen innerhalb der Literatur-, Lese-, Schreib- und Orthographiedidaktik (für einen Überblick über einige neuere Studien: Bräuer und Wieser 2015 sowie Zimmermann und Peyer 2016). Darüber hinaus sind auch deutschdidaktische Untersuchungen zu empirischen Messverfahren und Erhebungsinstrumenten auszumachen (z. B. Pissarek und Schilcher 2015; Wiprächtiger-Geppert et al. 2015). Im Teilkapitel 3.2 sollen diejenigen empirischen Studien aus der deutschdidaktischen Forschung vorgestellt werden, die ihren Schwerpunkt auf die orthographische bzw. orthographiedidaktische Wissens- und Kompetenzmessung legen und somit Auskunft darüber geben können, inwiefern sich die in diesem Teilkapitel beschriebenen Effekte des Lehrerwissens in anderen Unterrichtsfächern auch in orthographischen Lehr-Lern-Bereichen widerspiegeln.

3

Schriftsprachliches Lehren und Lernen in Deutschland

Im Fokus des empirischen Erkenntnisinteresses der vorliegenden Arbeit stehen die professionellen Zugriffe von Lehrkräften auf die deutsche Wortschreibung und ihre (damit verbundenen) Vorstellungen zum Schriftsprachlernen und -lehren in der Grundschule. Den zentralen Anstoß für das Untersuchungsvorhaben geben jüngere empirische Studien, die Ergebnisse zum aktuellen Stand der Rechtschreibleistungen in Deutschland liefern und dabei mehrheitlich negative Tendenzen aufzeigen. Im orthographiedidaktischen Diskurs stehen daher insbesondere Fragen nach den Ursachen schwacher Rechtschreiberfolge im Fokus: Warum gelingt es vielen Schüler/-innen nicht, im Rahmen ihrer schulischen Ausbildung ausreichende Fähigkeiten zum adäquaten Umgang mit der deutschen Schriftsprache auszubilden? Inwiefern zeichnet sich die schriftsprach- und speziell orthographiedidaktische Vermittlungspraxis im Unterricht dafür verantwortlich? Zur Beantwortung dieser Fragen müssen sich die Vertreter/-innen des wissenschaftlichen Diskurses um eine differenzierte Beschreibung und Deutung der orthographischen Wissens- und Könnensdispositionen von Schriftbenutzer/-innen, aber auch der Rahmenbedingungen des Schriftsprach- einschließlich Orthographielernens (u. a. die Unterrichtspraxis, die ihr zugrunde liegenden didaktischen Konzepte und die vermittelnden Lehrkräfte) bemühen. Mit dieser Zielvorgabe sollen die folgenden Ausführungen einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu den Rechtschreibfähigkeiten von Schüler/-innen sowie der erwachsenen Bevölkerung geben. Daraus ergeben sich wiederum Fragen an die Beschaffenheit des Lerngegenstands Schriftsprache selbst und an die Anlage eines darauf bezogenen Unterrichts. Um die Anforderungsbedingungen und Einflussfaktoren des (Recht-)Schreibunterrichts in der Grundschule zu erfassen und mit dem gegenwärtigen Forschungsstand abzugleichen, stehen im Anschluss an die Bestandsaufnahme der rechtschriftlichen Schülerleistungen zunächst empirische Befunde zum professionellen orthographiebzogenen Wissen und Können der Lehrenden im Fokus, bevor anschließend unterschiedliche konzeptionelle Perspektiven auf das schriftsprachliche (Anfangs-)Lernen vorgestellt und auf der Basis vorliegender Studien zu ihrer Wirksamkeit reflektiert werden. Im Rahmen dieser Darstellungen wird auch zu zeigen sein, wie schriftsprachliches und speziell © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Schröder, Der Lerngegenstand Wortschreibung aus der Sicht von Lehrenden, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24828-4_3

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3 Schriftsprachliches Lehren und Lernen in Deutschland

orthographisches Lernen in der Fachliteratur definiert und gegebenenfalls voneinander abgegrenzt werden und welche Konsequenzen daraus für die weitere Begriffsverwendung in der vorliegenden Arbeit gezogen werden.

3.1 Die Rechtschreibleistungen von Schüler/-innen Um eine umfassende Bestandsaufnahme der jüngsten empirischen Erkenntnisse zu den rechtschriftlichen Leistungen von Schüler/-innen in Deutschland zu erstellen, soll zum einen ein differenzierter Blick auf die zentralen orthographischen Fehlerbereiche, zum anderen auf die orthographische Kompetenzentwicklung innerhalb der schulischen Laufbahn geworfen werden. Dafür kann auf die Ergebnisse von Querschnitt- (z. B. IQBBildungstrend, IGLU-E) und Längsschnittstudien (z. B. NEPS) sowie Analysen von Textkorpora (z. B. Berkling und Reichel 2016) zurückgegriffen werden. Auch Untersuchungen der diachronen orthographischen Kompetenzentwicklung (v. a. Steinig et al. 2009 sowie Steinig und Betzel 2014; Grund 2016) liefern aufschlussreiche Einblicke in Entwicklungstendenzen rechtschriftlicher Fähigkeiten von Schüler/-innen. Auf letztere kann in der vorliegenden Arbeit jedoch nur knapp verwiesen werden. Eine Betrachtung der theoretisch angenommenen und empirisch untersuchten unterrichtlichen Einflüsse auf die skizzierten Entwicklungen schließt sich Teilkapitel 3.3 an.10 Neuere Befunde zur Rechtschreibkompetenz in Deutschland liefern vor allem die Bildungstrends bzw. Ländervergleiche des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), die in regelmäßigen Abständen das Erreichen der Bildungsstandards in der Primarstufe (Jahrgang 4) und der Sekundarstufe I (Jahrgang 9) überprüfen und ländervergleichend erfassen, sowie die leo. –Level-One Studie zu den Lese- und Schreibfähigkeiten der erwerbsfähigen Bevölkerung zwischen 18 und 64 Jahren. Im

10

Die schrift(erwerbs)theoretische Grundlegung der in diesem Kapitel angeführten Studien fällt unterschiedlich aus: So ist die Kompetenzstufenmodellierung in den IQB-Studien (vgl. Böhme et al. 2017, S. 24f.) beispielsweise an den herkömmlichen Erwerbsstufen orientiert (s. 3.3.1), während den NEPS-Untersuchungen (vgl. Blatt et al. 2016) ein graphematisch fundiertes Kompetenzmodell zugrunde liegt (s. 4.5). Die Befunde werden trotz ihrer unterschiedlichen theoretischen Fundierung aufgeführt, da sie in der Referenz auf einen gemeinsamen Bezugspunkt, die orthographische Zielschreibung, unabhängig von den jeweiligen konzeptionellen Ausrichtungen und Gewichtungen allgemeine Tendenzen aufzeigen können.

3.1 Die Rechtschreibleistungen von Schüler/-innen

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IQB-Bildungstrend 2016 mit einer Stichprobe von 28.561 Schüler/-innen im Fach Deutsch erreichen oder übertreffen 53,9% der teilnehmenden Viertklässler/-innen in den Aufgaben zum orthographischen Kompetenzbereich die Anforderungen der KMK-Regelstandards (Kompetenzstufe III); 8,6% erfüllen Leistungen des Optimalstandards (Kompetenzstufe V). 22,1% der getesteten Schüler/-innen erzielen hingegen lediglich Leistungen unter der Kompetenzstufe II (vgl. Weirich et al. 2017, S. 133) und verfehlen damit die Mindesterwartungen, die nach der IQB-Kompetenzmodellierung „das für die 4. Jahrgangsstufe zu erwartende Kompetenzminimum“ (Bremerich-Vos et al. 2017, S. 66) darstellen, mit dem die Schüler/-innen bei entsprechender Unterstützung an der weiterführenden Schule anschlussfähig bleiben sollten. Im Vergleich zum IQB-Ländervergleich 2011 stellen die Autor/-innen für die Orthographieleistungen im Jahr 2016 in allen angeführten Kompetenzstufenbereichen „eine signifikant negative Veränderung“ (Weirich et al. 2017, S. 138) fest und bewerten diese Entwicklungen gegenüber den weiteren untersuchten Kompetenzbereichen im Fach Deutsch (Lesen, Zuhören) als „[v]ergleichsweise stark ausgeprägte negative Trends“ (ebd., S. 139). Die im IQB-Bildungstrend 2015 ermittelten Ergebnisse für Schüler/innen aus Jahrgang 9 im Bereich Orthographie fallen etwas günstiger aus: Etwa 66% erfüllen die KMK-Regelstandards für den Mittleren Schulabschluss, ca. 14% bleiben unter den Mindestanforderungen der Kompetenzstufe II (vgl. Stanat et al. 2016, S. 530). Dabei können im Vergleich zu den Befunden von 2009 keine signifikanten Veränderungen ermittelt werden, obschon die Gruppe der Kompetenzstufe I bundesweit etwas, in einigen Bundesländern auch deutlich kleiner wird (vgl. Hoffmann und Böhme 2016, S. 145). Brisant erscheint die große Diskrepanz zwischen dem höchsten und niedrigsten Kompetenzwert in den Bundesländern: Hier werden Unterschiede ermittelt, die einer Lernzeit von mehr als drei Schuljahren entsprechen (vgl. Stanat et al. 2016, S. 536). In den IQB-Untersuchungen zeigt sich also tendenziell, dass die Rechtschreibkompetenz eines nicht unerheblichen Teils der Schüler/-innen unter den durchschnittlich zu erwartenden Leistungen liegt, im Primarbereich für ca. 22% sogar besorgniserregend gering ausfällt. Zudem belegen die IQB-Erhebungen 2015 statistisch signifikante Kompetenznachteile für Schüler/-innen mit einem Zuwanderungshintergrund (vgl. Haag et

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3 Schriftsprachliches Lehren und Lernen in Deutschland

al. 2016, S. 442) sowie einen nach wie vor engen Zusammenhang zwischen Orthographieleistung und sozialer Herkunft (vgl. Kuhl et al. 2016, S. 418).11 Worin die Hemmnisse und Schwierigkeiten eines gelingenden orthographischen Kompetenzerwerbs bestehen, können u. a. qualitative Fehleranalysen von Schülertextkorpora aufschlüsseln. Berkling und Reichel (2016) ermitteln in zwei Korpora (Korpus 1 (KK): 1.701 Texte von Schüler/innen der Jahrgänge eins bis acht, Korpus 2 (H1): 996 Texte von 88 Zweitoder Drittklässlerinnen) über eine automatisierte Fehlerkategorisierung die häufigsten Fehlerquellen in den Schülertexten: Dazu zählen sowohl in Klasse 2 als auch in Klasse 8 die Großschreibung und die Markierung des Kurzvokals durch Verdopplung des Konsonantengraphems (s. Abb. 2):

Abb. 2 Die häufigsten Fehlerquellen nach Berkling und Reichel (2016, S. 209)

Differenzierte Einblicke in die Schwierigkeitsschwerpunkte einer repräsentativen Stichprobe liefert die Längsschnittstudie NEPS (National Educational Panel Study), die auf Basis eines graphematisch fundierten Rechtschreibtests sowie Auswertungsverfahrens Erkenntnisse zu den orthographischen Teilkompetenzen von Schüler/-innen ab Jahrgang 5 bietet und durch die Anlage als Längsschnitt auch deren Weiterentwicklung innerhalb der Sekundarstufe I erfasst. Blatt et al. (2016) geben für Jahrgang 5 eine durchschnittliche Lösungshäufigkeit der regelhaften Wortschreibungen

11

Auf ähnliche Verhältnisse weisen die Ergebnisse der leo. –Level-One Studie zur Alphabetisierung der erwachsenen deutschsprachigen Bevölkerung hin (dazu ausführlich: Grotlüschen et al. 2012).

3.1 Die Rechtschreibleistungen von Schüler/-innen

27

(Kernbereich) zwischen 78 und 83% an (vgl. ebd., S. 61), verweisen aber jahrgangsübergreifend auf die hohe Leistungsheterogenität bei Wörtern mit , mit Silbengelenk- 12 und Umlautschreibungen sowie mit Dehnungs-, wobei im Einzelfall z. T. die Gebrauchshäufigkeit, z. T. die vorliegende Wortstruktur eine Rolle spielen; Silbengelenkschreibungen werden beispielsweise in den zweisilbigen Prototypen (z. B. Sommertage) häufiger richtig geschrieben als in morphologisch bedingten Schreibungen (z. B. Mannschaft; (vgl. auch Blatt und Frahm 2013, S. 28). Während die Lösungshäufigkeit im Bereich der Umlautschreibungen in Klasse 7 bereits einen hohen Wert aufweist, nimmt sie bei den -, Silbengelenk- und Dehnungs--Schreibungen von Klasse fünf bis Klasse sieben zwar insgesamt zu, ist aber weiterhin sehr heterogen. Noch größere Schwierigkeiten bereitet den meisten Siebtklässler/-innen jedoch die Groß- und Kleinschreibung (vgl. Blatt und Frahm 2013, S. 29ff.). Insgesamt werten Blatt und Frahm (2013) die in Jahrgang 7 weiterhin umfassenden Schwierigkeiten als Ausdruck einer noch unzureichenden kognitiven Durchdringung der zentralen Prinzipien des deutschen Schriftsystems (vgl. ebd., S. 32). Blatt et al. (2016) führen zudem Befunde zu den spezifischen Entwicklungsprofilen der einzelnen Leistungsquartile an. Die starken Rechtschreiber/-innen zeichnen sich demnach durch sichere schriftstrukturelle Kenntnisse aus, die sich u. a. in der Abnahme von Variantenschreibungen, weitgehend richtigen Schreibungen im Kernbereich sowie von Wortbildungen und in Leistungssteigerungen bei der Richtigschreibung ganzer Wörter ausdrücken (vgl. ebd., S. 65). Die schwächeren Rechtschreiber/-innen zeigen hingegen langfristige Probleme bei Wörtern mit regelhafter Markierung von Vokalquantitäten, bei Umlautschreibungen und Wortbildungen und produzieren eine auffällig hohe Anzahl von Variantenschreibungen (vgl. ebd., S. 63, 66). Ihre geringe Lösungssicherheit im Kernbereich kann zudem als Hemmnis für die Ausbildung wortübergreifender Kompetenzen gewertet werden (vgl. ebd.). Mit Blick auf die Befunde zur jahrgangsübergreifenden Kompetenzentwicklung, denen zufolge ein Großteil der untersuchten Schüler/-innen über alle Untersuchungszeitpunkte hinweg in dem Leistungsquartil verbleibt, das im Jahrgang 5 ermittelt wurde (vgl. Prosch

12

entspricht den Markierungen des Kurzvokals durch Verdopplung des Konsonantengraphems bei Berkling und Reichel (2016).

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3 Schriftsprachliches Lehren und Lernen in Deutschland

2016, S. 141),13 erscheint die Schlussfolgerung Blatts et al. (2016) überzeugend: Ein dringlicher Handlungsbedarf für einen effizienteren Rechtschreibunterricht ergibt sich in Bezug auf die weniger erfolgreichen Lernenden. Der herkömmliche Unterricht eröffnet ihnen sichtlich keine ausreichenden Chancen für eine positive Lernentwicklung. (ebd., S. 70)

In diesem Zusammenhang erweist sich überdies eine Feststellung als relevant, die u. a. im Rahmen der Hamburger KESS-Untersuchung getroffen wurde: May (2009) ermittelt hier für die Rechtschreibleistungen Lernender von der 4. bis zur 8. Klasse, dass die Leistungsspanne zwischen starken und schwachen Rechtschreiblernenden im Verlauf der Sekundarstufe weiter zunimmt (vgl. ebd., S. 62ff.). Ein Aspekt, der den öffentlichen Diskurs in den vergangenen Jahren in besonderem Maß prägte, betrifft schließlich die Frage, inwiefern sich die Rechtschreibleistungen im 21. Jahrhundert gegenüber denen im 20. Jahrhundert verändert bzw. verschlechtert haben. Dieser Fragestellung haben sich u. a. Steinig et al. (2009) sowie Steinig und Betzel (2014) angenommen und die Rechtschreibleistungen von Viertklässler/-innen in Texten, die auf der Basis einer identischen Schreibaufgabe verfasst wurden, in den Jahren 1972, 2002 und 2012 miteinander verglichen. Die Autoren ermitteln dabei für eine nicht-repräsentative Stichprobe von N = 274 einen erheblichen Fehleranstieg vom ersten bis zum letzten Messzeitpunkt und beobachten den größten Fehlerzuwachs zur Erhebung im Jahr 2012 auf der Syntaxebene (95%), gefolgt von der graphematischen Markierung der Vokalquantität (38%) (vgl. Steinig und Betzel 2014, S. 366). Ohne an dieser Stelle näher auf das Untersuchungsformat und die forschungsmethodischen Einschränkungen einzugehen, die es bei der Deutung der Ergebnisse zu berücksichtigen gilt, verstärken die Einblicke in die skizzierten diachronen Entwicklungstendenzen die oben dargestellten (negativen) Befunde synchron angelegter Studien.

13

Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt auch schon die Münchner SCHOLASTIK-Studie, eine Längsschnittuntersuchung in den Grundschuljahrgängen (vgl. Schneider et al. 1997). Schneider (2008, S. 149) resümiert: „Anfänglich schwache Rechtschreiber laufen Gefahr, ihre Defizite über die gesamte Schullaufbahn hinweg beizubehalten oder gar noch auszubauen.“

3.1 Die Rechtschreibleistungen von Schüler/-innen

29

Auch wenn in diesem Forschungsüberblick auf Studien unterschiedlichen methodischen Formats und unterschiedlicher gegenstandstheoretischer Annahmen verwiesen wurde, konnten zentrale Tendenzen im Bereich der Rechtschreibung im Allgemeinen und der Wortschreibung im Speziellen erfasst werden. Für die vorliegende Arbeit und die Begründung ihrer empirischen Anlage sind die studienübergreifenden Befunde höchst relevant, da sie zum einen auf eine beachtliche Gruppe Lernender hinweisen, deren rechtschriftlicher Kompetenzerwerb nicht oder nur annähernd das Niveau erreicht, das sie im schulischen Unterricht langfristig anschlussfähig hält und zur erfolgreichen gesellschaftlichen Teilhabe befähigt. Zum anderen heben die Studienergebnisse hervor, dass Schreibungen im Wortinneren den Schüler/-innen weit über die Grundschule hinaus noch Schwierigkeiten bereiten. Die regelhafte Markierung von Vokalquantitäten, allen voran die Doppelkonsonantenschreibung zur Indikation von Vokalkürze, wird in zahlreichen Analysen als besonders fehlerträchtiger Bereich ausgewiesen. Die zentralen Probleme betreffen also bei Weitem nicht nur die wenig systematischen Schreibungen der Peripherie, sondern grundlegende Regularitäten des deutschen Schriftsystems, die nach gegenwärtigem graphematischen Kenntnisstand in großem Maße systematisierbar sind (s. Kapitel 4). Verbunden mit den Beobachtungen, dass die Lernleistungen in der Grundschule richtungsweisend für die weiterführende Rechtschreibentwicklung sind, ist eine Intensivierung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Bedingungsgefüge aus Lerngegenstand, Lernenden und Unterricht (einschließlich der Lehrenden) dringend angezeigt. Im nächsten Teilkapitel werden im Hinblick auf den zuvor geschilderten weiteren Bedarf an vertiefenden Einsichten in die unterrichtlichen Rahmenbedingungen von rechtschriftlichem Lernen zentrale Befunde vorliegender Studien vorgestellt, die sich auf die Bedeutung der Lehrkraft für (gelingende) orthographische Lernprozesse von Schüler/-innen beziehen und dabei entweder ausschließlich das professionelle Wissen und Können von Lehrer/-innen im Bereich der Orthographie oder den Zusammenhang zwischen Schülerleistung und Lehrerwissen untersuchen.14

14

Es lässt sich dabei nicht vermeiden, dass bereits einige Aspekte zur fachlichen Konstituierung des deutschen Schriftsystems und seiner didaktischen Modellierung angeführt werden, auf die erst in späteren Kapiteln der vorliegenden Arbeit näher eingegangen wird. In diesen Fällen werden zum einen Querverweise auf die entsprechenden Kapitel und zum anderen knappe Beispiele zur Veranschaulichung der genannten Aspekte angeführt.

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3 Schriftsprachliches Lehren und Lernen in Deutschland

3.2 Zur orthographiebezogenen Kompetenz von Lehrkräften Die Ausführungen in Kapitel 2 haben das professionelle Wissen und Können von Lehrkräften als beliebtes Untersuchungsfeld fach- und domänenbezogener Studien des 21. Jahrhunderts ausgewiesen. Inckemann (2000) registriert das zunehmende Interesse an der Lehrperson und an Fragen des Zusammenhangs zwischen Strategien der Schüler/-innen beim Schreiben und den methodischen Hilfestellungen der Lehrkräfte auch in der Forschung zum schulischen Schriftspracherwerb15 (vgl. ebd., S. 234). Sie selbst wendet sich in einer Studie den subjektiven Theorien von Lehrenden zu, setzt sich also mit deren Überzeugungen zum schriftsprachlichen Lernen und zu den Bedingungen des eigenen Lehrerhandelns auseinander (vgl. ebd., S. 235). Wie auch in den anderen Fachdidaktiken rücken in den weiteren schriftspracherwerbsbezogenen Studien aber vor allem die domänenspezifischen Wissensdispositionen der Lehrpersonen in den Fokus. Löffler (2004) wirft im Zuge dieser Entwicklung die Frage auf, „über wie viel Wissen Lehrkräfte für den Rechtschreibunterricht verfügen müssen“ (ebd., S. 146), und nimmt in einer eigenen Untersuchung die Auswirkungen von Fortbildungsmaßnahmen auf die Diagnose- und Förderkompetenz von Grundschullehrkräften in den Blick. Unabhängig von dieser Schwerpunktsetzung liefert die fragebogenbasierte Studie aufschlussreiche bzw. vor allem anschlussfähige Erkenntnisse zu den Wissensbeständen der Lehrenden, wobei es Löffler in der Auswertung nicht um den messbaren Wissenszuwachs, sondern um das Fundament geht, auf dem die Lehrenden methodisch-didaktische Entscheidungen fällen. Die Autorin stellt u. a. fest, dass die untersuchten Lehrpersonen zwar über ein implizites Rechtschreibwissen verfügen, das sie bei der Generierung von (Pseudo-)Wortschreibungen regelgerecht anwenden können. Dieses implizite Wissen reicht Löfflers Ermittlungen zufolge aber nicht aus, um schwächeren Lernenden zielführende Hilfestellungen zu bieten sowie die sachstrukturelle Richtigkeit von Lehr-Lern-Materialien sicher zu bewerten (vgl. ebd., S. 149–151). Die Autorin schließt daraus, dass ein explizites rechtschriftliches Wissen der Lehrkraft eine wesentliche Voraussetzung für die effektive Gestaltung orthographischer Lehr-Lern-Prozesse darstellt. Wie sie dieses geforderte explizite Wissen inhaltlich bestimmt, zeigt zugleich die

15

Für eine terminologische Einordnung des Begriffs Schriftspracherwerb siehe 3.3.

3.2 Zur orthographiebezogenen Kompetenz von Lehrkräften

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schrifttheoretische und -erwerbsdidaktische Ausrichtung an, die ihre Auswertung fundiert: Die Autorin fordert von Lehrer/-innen an erster Stelle, „Rechtschreibregeln zu kennen“ (ebd., S. 159). Ihr Gegenstandsverständnis und die daraus abgeleiteten didaktischen Konsequenzen weichen – u. a. auch in der Auswahl des Wortmaterials in den Lehrerfragebögen und einem Experiment mit Pseudowörtern erkennbar – von der fachlichen Grundlegung der vorliegenden Arbeit (s. Kapitel 4) ab; die Ergebnisse weisen jedoch unabhängig von ihrer wissenschaftlichen Grundlegung auf Schwachstellen der orthographischen Kompetenz von Lehrenden hin, die Ansatzpunkte für weitere Forschungsbemühungen aufzeigen. Hofmann (2008) greift den weiterführenden Bedarf an Einsichten in das professionelle Wissen und Können von Grundschullehrer/-innen im Bereich Orthographie auf und führt eine anderthalbjährige Studie in den Grundschuljahrgängen drei und vier durch. Darin erhebt sie zum einen die Rechtschreibleistungen der Schüler/-innen zu drei Messzeitpunkten und führt zum anderen strukturierte Interviews mit den unterrichtenden Lehrer/-innen, um auf diese Weise das komplexe didaktische Bedingungsgefüge zwischen Unterrichtsqualität, Lehrerkompetenz und Lernerleistung zu untersuchen. Das orthographische Sachwissen der Lehrpersonen ermittelt sie über deren Bewertung von ausgewählten Arbeitsmaterialien, das unterrichtsmethodische Wissen16 über die bei der Materialanalyse angeführten Beurteilungskriterien sowie die didaktischen Handlungsempfehlungen und das diagnostische Wissen über die abgegebenen Stellungnahmen zu ausgewählten hypothetischen Unterrichtssituationen. Das ausgewählte Sprachmaterial bezieht sich dabei sowohl auf regelhafte und periphere Schreibungen im Wortinneren (u. a. -Schreibung, Dehnungs-, , x-Laute) als auch auf wortübergreifende Strukturen (Groß- und Kleinschreibung). In der quantitativen Auswertung der Daten ermittelt Hofmann direkte positive Auswirkungen des diagnostischen und unterrichtsmethodischen Lehrerwissens auf die Lernleistungen der Schüler/-innen, wohingegen für das Sachwissen keine direkten Effekte nachgewiesen werden können (vgl.

16

Das unterrichtsmethodische Wissen entspricht zusammen mit dem diagnostischen Wissen der in der vorliegenden Arbeit formulierten Definition des fachdidaktischen Wissens (s. 2.2 und 5.3), das sowohl Erklärungs- und Vermittlungswissen als auch Wissen über Aufgabenpotenziale, gegenstandsbezogene (Fehl-)Konzeptionen von Schüler/-innen sowie förderdiagnostische Handlungsmöglichkeiten umfasst. Hofmann spricht zudem von Sachwissen, das gleichbedeutend mit dem in anderen Studien und auch in der vorliegenden Arbeit angesetzten Fachwissen ist.

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3 Schriftsprachliches Lehren und Lernen in Deutschland

Hofmann 2008, S. 137). Wiprächtiger-Geppert et al. (2015) merken diesbezüglich allerdings zu Recht an, dass das über die Bewertung der Arbeitsblätter erhobene Sachwissen nicht als vollständig gelten muss – in der Interviewsituation können einige Aspekte auch unbewusst ausgespart worden sein (vgl. ebd., S. 292). Interessant ist jedoch Hofmanns Befund, dass sich das Gesamtwissen der Lehrpersonen wiederum unmittelbar auf die ermittelte Gruppe der schwächsten Lerner/-innen auswirkt: „Diese bestand zu 78.6% aus Kindern, deren Lehrperson ein unterdurchschnittliches Gesamtwissen hatte.“ (Hofmann 2008, S. 137) In der spezifischen Analyse der Lehrerantworten im von Hofmann eingesetzten Fragebogen zeigt sich darüber hinaus, dass die Lehrenden allgemein überwiegend auf Übungsformate der Wortbildeinprägung sowie die Nutzung von Rechtschreibregeln setzen. Dies wird auch dann beobachtet, wenn es um die Herleitung regelhafter Schreibungen mit Doppelkonsonantenbuchstaben, und geht. Zugriffe, die der Erschließung silbischer und morphologischer Strukturen dienen (dazu ausführlich: 4.5 und 5.1), werden hingegen selten genannt (vgl. ebd., S. 79). In den Ergebnissen zum Zusammenspiel dieser Unterrichtkomponenten und der erfassten Schülerleistungen sieht Hofmann die Befunde Valtins (1993) bestätigt, dass es den schwachen Rechtschreiber/-innen oftmals nicht gelingt, regelhafte Strukturen in der Schrift selbstständig zu entdecken, und sie deshalb in besonderem Maße auf operativ-strategische Zugänge angewiesen sind (vgl. Hofmann 2008, S. 134). In diesem Zusammenhang erweist sich auch der von ihr beobachtete problematische Umgang der Lehrkräfte mit den vorgelegten Arbeitsblättern als didaktisch relevant: Die Mehrheit der befragten Lehrer/-innen würde sie im Unterricht einsetzen, obwohl alle vorgelegten Materialien gewichtige sachstrukturelle Schwächen aufweisen, d. h. Komponenten des jeweils fokussierten orthographischen Gegenstandsbereichs fachlich inadäquat darstellen (vgl. ebd., S. 112). Während in Hofmanns Studie keine direkten Auswirkungen des Sachbzw. Fachwissens auf die Lernerfolge der Schüler/-innen festgestellt werden konnten, liefert Corvacho del Toro (2013) in einer umfassenden Studie zum Zusammenhang zwischen dem Fachwissen von Lehrkräften und den Rechtschreibleistungen von Grundschüler/-innen profunde Hinweise auf die hohe Bedeutung des fachinhaltlichen Lehrerwissens. Anhand eines Fragebogens mit operativen, Multiple-Choice- und offenen Aufgabenformaten und einer Stichprobe von 44 Lehrer/-innen und 421 Schüler/-innen untersucht die Autorin, wie sich das Fachwissen der Lehrenden in den ers-

3.2 Zur orthographiebezogenen Kompetenz von Lehrkräften

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ten beiden Grundschuljahren auf das orthographische Können der Lernenden auswirkt. In einem Teil der Befragung werden über die qualitative Analyse von Rechtschreibfehlern auch Facetten des fachdidaktischen Wissens angesprochen, die aus forschungsmethodischen Gründen jedoch nur qualitativ ausgewertet werden (vgl. ebd., S. 152). Schon in den gewählten inhaltlichen Anforderungsbereichen des Lehrerfragebogens offenbart sich der konzeptionelle Hintergrund der Forscherin, der bei der Interpretation ihrer Befunde mitgedacht werden muss: Fokussiert wird auf „die alphabetische Phase des Schriftspracherwerbs, um dem Gegenstand der Untersuchung, der Rechtschreibleistung am Ende der zweiten Klasse, gerecht zu werden.“ (ebd., S. 129) Erfragt werden daher beispielsweise Kenntnisse zum Umgang mit Basis- und Orthographemen und damit verbundenen schriftsprachlichen Erwerbsphasen, die in Abschnitt 3.3.1 als Komponenten einer zweiphasigen und segmentbasierten Modellierung des schriftsprachlichen Kompetenzaufbaus vorgestellt werden. Wiprächtiger-Geppert et al. (2015) stellen in Bezug auf diese enge konzeptionelle Rahmung – m. E. mit Recht – infrage, ob es Lehrpersonen mit einer davon abweichenden konzeptionellen Ausbildung prinzipiell gelingen kann, die erwarteten Antworten zu liefern (vgl. ebd., S. 294).17 Dennoch zeigt die Autorin viele Fälle auf, in denen die Lehrenden Zugänge zur Wortschreibung offenbaren, die unabhängig von der spezifischen schriftkonzeptionellen Positionierung als äußerst problematisch eingestuft werden müssen. Die Antworten der Lehrkräfte legen dabei vor allem eine unzulängliche Unterscheidung zwischen lautsprachlichen und schriftsprachlichen Strukturen offen, die sich u. a. in didaktischen Handlungsempfehlungen zum genauen Hinhören und lauttreuen Schreiben von Wörtern zeigen. Prekär sind diese insbesondere dann, wenn Laut- und Schriftstruktur so deutlich wie im Beispiel der phonologischen Auslautverhärtung (z. B. [hʊnt] vs. ) voneinander abweichen, ihre Diskrepanz von den Lehrenden aber nicht wahrgenommen wird (vgl. ebd., S. 175). Corvacho del Toros zentraler Befund, dass sich das Lehrerwissen signifikant auf die Lernchancen der Schüler/-innen auswirkt, erweist sich somit

17

Der gegenstandstheoretische Zugang Corvacho del Toros führt auch dazu, dass die Antworten der Lehrenden in dem Gegenstandsverständnis der vorliegenden Arbeit in vielen Fällen anders bewertet und eingeordnet würden, als die Autorin dies tut. In einer Aufgabe zur Graphemeinteilung des Wortes fernsehen erwartet Corvacho del Toro beispielsweise die Identifikation des als ein Graphem (vgl. ebd., S. 151), während dies aus der im Teilkapitel 4.5 dargestellten graphematischen Perspektive eine silbenstrukturelle Begründung fordern würde.

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3 Schriftsprachliches Lehren und Lernen in Deutschland

trotz der spezifischen Gegenstandskonzipierung als stichhaltig: Werden Lernende von einer Lehrkraft unterrichtet, die über keine differenzierten phonetischen, phonologischen und graphematischen Kenntnisse verfügt, sind sie, wie die Autorin statistisch belegt, in ihrem Rechtschreiberfolg umso stärker von ihren eigenen kognitiven Voraussetzungen abhängig (vgl. ebd., S. 200). Überzeugend ist auch die umgekehrte Deutung Corvacho del Toros: Ist eine Lehrkraft fachlich kompetent, kann ihr umfassendes Wissen „einen kompensatorischen Charakter“ (ebd.) im Umgang mit den Schüler/-innen annehmen, deren kognitive Grundvoraussetzungen für das rechtschriftliche Lernen eher ungünstig sind. Unter Berücksichtigung der genannten forschungsmethodischen Einschränkungen und der spezifischen fachlichen Konstituierung des Gegenstands können die Befunde Hofmanns (2008) und Corvacho del Toros (2013) als richtungsweisend für die weitere Erforschung der orthographiebezogenen Lehrerkompetenz, aber auch der Bedingungen von Lehrerausund -fortbildung gelten. Zugleich verweisen sie auf die empirische Notwendigkeit, das orthographiebezogene Professionswissen stärker hinsichtlich unterrichtsbezogener Anforderungen in den Blick zu nehmen (vgl. auch Riegler und Wiprächtiger-Geppert 2016, S. 200). Der Erfassung des Fachwissens angehender Lehrer/-innen und dessen Beeinflussbarkeit durch universitäre Lehrangebote widmet sich in dieser Konsequenz Jagemann (i. V.). In der explorativen Erprobung eines selbst entwickelten Fragebogens zur Erhebung graphematischer Kenntnisse (Jagemann 2015) untersucht sie das Wissen Lehramtsstudierender des 4. Bachelorsemesters hinsichtlich der „regelhaften und systematischen Strukturen, die sich in der deutschen Wortschreibung zeigen“ 18 (ebd., S. 256) und überprüft gleichzeitig das Verhältnis zwischen dem orthographischen Können der Studierenden und ihrer diesbezüglichen Selbsteinschätzung. Die Untersuchung weist, wie auch die oben angeführten Überprüfungen der Kompetenz bereits berufstätiger Lehrer/-innen, auf zentrale Schwachstellen und auch Brüche innerhalb der Wissensbestände von Studierenden zur deutschen Kernwortschreibung hin. Zum einen deckt Jagemann allgemeine Mängel der orthographischen Selbstkompetenz auf, die den Studierenden selbst aber mehrheitlich nicht umfänglich bewusst

18

Jagemann folgt einer schriftstrukturellen Konzipierung der Wortschreibung als Lerngegenstand, die in den Grundzügen mit der in dieser Arbeit leitenden und in Kapitel 5 dargestellten Modellierung übereinstimmt.

3.2 Zur orthographiebezogenen Kompetenz von Lehrkräften

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sind (vgl. ebd., S. 270), zum anderen stellt sie unterschiedliche Wissensausprägungen für die getesteten graphematischen Phänomene 19 fest: Während die Studierenden recht stabile Kenntnisse zu und im Anfangsrand, zur graphematischen Nichtberücksichtigung der phonologischen Auslautverhärtung, zum silbeninitialen und zur Umlautschreibung erkennen lassen, fallen die Ergebnisse zur Silbengelenkschreibung (untersucht wurden Doppelkonsonantenschreibungen sowie die „Spezialfälle und “, ebd., S. 271) und zu doppelten Konsonantengraphemen an Morphemgrenzen schwächer aus (vgl. ebd., S. 271). Zu einer interessanten Beobachtung gelangt Jagemann überdies, indem sie überprüft, wie sich das Fachwissen in den fachdidaktischen Lerngegenstandszugriffen niederschlägt. Sie beobachtet am Beispiel des silbentrennenden (z. B. in ), dass die Studierenden, die diese -Schreibung phonographisch angemessen interpretieren, also dem keinen Lautwert zuordnen (dazu Abschnitt 4.5.2), im didaktischen Anforderungsbereich aber in erster Linie Handlungsempfehlungen formulieren, die einen lautbezogenen Zugriff (vor allem das (über-)deutliche Sprechen und Hören) anregen. Hier scheinen also das graphematisch-fachliche Wissen und das entsprechende didaktische Konzept gegenläufig zu sein. Ob diese Diskrepanz als Ausdruck einer grundsätzlichen Schwierigkeit der Lehramtsanwärter/-innen gelten kann, fachliches und fachdidaktisches Gegenstandswissen stimmig miteinander zu verknüpfen, oder ob davon auszugehen ist, dass die beschriebene Gruppe von Studierenden sachstrukturelles Wissen und didaktisches Handlungswissen als zwei separate Wissensbereiche behandelt, bleibt für die Autorin offen (vgl. ebd., S. 273). Sie beobachtet im Bereich des ‚stummen ‘ zudem eine Tendenz zur funktionalen Gleichsetzung von Dehnungs- und silbentrennendem (vgl. ebd., S. 272). In der weiterführenden Untersuchung des Studierendenwissens unter Beachtung der universitären Lehreinflüsse stellt Jagemann (2016) darüber hinaus die Vermutung auf, dass die beobachteten Schwierigkeiten, sachstrukturelles Wissen stimmig auf didaktische Handlungsempfehlungen zu übertragen, auch dem Druck der didaktischen Handlungsanforderungen geschuldet sind. Letzterer könne einen ‚Rückfall‘ in die mitunter eigenen schulischen Erfahrungen mit einer schriftinduzierten Rechtschreibsprache und in gegenstandsinadäquate Rückprojektionen

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In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff des Phänomens vermieden und stattdessen von Regularitäten (später auch von orthographischen Strukturtypen, s. Kapitel 5) gesprochen, um das Verständnis der Wortschreibung als gut systematisier- und kognitiv erschließbaren Gegenstand begrifflich zu stützen.

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3 Schriftsprachliches Lehren und Lernen in Deutschland

des Schriftwissens auf die phonologische Repräsentation des Wortes provozieren (vgl. ebd., S. 241). In den vorausgegangen Darstellungen wurde wiederholt auf die in den einzelnen Studien variierenden, z. T. auch problematischen forschungsmethodischen oder sachtheoretischen Rahmenbedingungen der Erhebungs- und Auswertungsverfahren hingewiesen. Wiprächtiger-Geppert et al. (2015) arbeiten vor diesem Hintergrund die komplexen Herausforderungen und Schwierigkeiten bei der empirischen Erfassung orthographiebezogenen Professionswissens ausführlich heraus und formulieren zentrale Ansprüche an ein valides Erhebungsinstrument, die sich in der Forderung nach Konzeptneutralität, nach Unterrichtsnähe und einem fundierten Umgang mit offenen Aufgaben, besonders bei ihrer Überführung in statistische Daten, bündeln lassen (vgl. ebd., S. 297). Unabhängig von den angeführten Einschränkungen vermag die aktuelle Befundlage zum orthographischen und orthographiedidaktischen Lehrerwissen insgesamt grundlegende Tendenzen aufzuzeigen, die die verstärkte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Wissenskontexten von Lehrenden begründen und weitere Anstrengungen bei der Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen einschließlich einer umfassenden Ausbildung dieser Komponente von professioneller Handlungskompetenz rechtfertigen. Auf der anderen Seite zeigt sich auch, dass sowohl in den empirischen Messverfahren als auch in den erhobenen fachinhaltlichen und -didaktischen Daten der Lehrenden konzeptionelle Vorstellungen vom Untersuchungsgegenstand eine Rolle spielen, die methodisch z. T. schwer kontrollierbar sind. Fay (2006) kommt im Rahmen einer eigenen, nicht-repräsentativen Studie zur Verbindung von Lehrerwissen und Schülerleistung zu der Annahme, dass die Erfassung der Lehrermerkmale für die Bestimmung von Gelingensbedingungen orthographischer Lehr-Lern-Prozesse auch eine Auseinandersetzung mit der handlungsleitenden konzeptionellen Ausrichtung des Unterrichts beinhalten sollte (vgl. ebd., S. 177). Dies steht nicht im Widerspruch zur oben genannten Forderung Wiprächtiger-Gepperts et al. (2015), Erhebungsinstrumente des Professionswissens müssten möglichst konzeptunabhängig angelegt sein; vielmehr offenbaren sich in der Zusammenführung der Erkenntnisse zur Bedeutung des Lehrerwissens und zur Wirksamkeit didaktischer Konzeptionen (s. 3.3.4) letztlich die zahlreichen Einflussgrößen unterrichtlicher Praxis, die quantitativ eindeutige Effektzuschreibungen sowie einfache didaktische Handlungsableitungen kaum möglich machen. Auf der anderen Seite demonstrieren die bisherigen Forschungsbefunde aber auch, wie

3.2 Zur orthographiebezogenen Kompetenz von Lehrkräften

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sich quantitative und qualitative Forschung gegenseitig befruchten können. So verfolgt die empirische Studie, die im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit vorgestellt wird, das Ziel, die Forschungsbemühungen der genannten, vorwiegend quantitativ ausgerichteten Untersuchungen (v. a. Hofmann 2008, Corvacho del Toro 2013) fortzuführen und dabei auf zentrale Aspekte zu fokussieren, für die dort weiterer empirischer Klärungsbedarf ermittelt wurde. Für die Untersuchung wird ein qualitatives Interviewdesign gewählt, das es ermöglicht, nah an die handlungsleitenden Kognitionen der Lehrenden zu gelangen, um zentrale Gedankengänge, Vorstellungen und Zugriffe unter Berücksichtigung der individuellen (konzeptionellen) Handlungs- und Entscheidungsrahmen zu erfassen. Welche konkreten Anknüpfungspunkte zu den existierenden Studien genutzt werden, demonstriert Kapitel 7. In den bisherigen Ausführungen zum schriftsprachbezogenen Forschungsstand wurden somit zwei zentrale Komponenten in den Blick genommen, die das Beziehungsgefüge im schulischen Unterricht maßgeblich prägen: die Schüler/-innen auf der einen, die Lehrer/-innen auf der anderen Seite. Der Überblick über die empirische Befundlage zu den rechtschriftlichen Fähigkeiten Lernender in Deutschland, aber auch zum professionellen Wissen und Können der Lehrenden in der betrachteten (Sub-)Domäne konnte nicht nur Schwachstellen aufdecken und weiteren Handlungsbedarf anzeigen, sondern gleichzeitig verdeutlichen, dass eine Auseinandersetzung mit den Leistungsdispositionen von Schüler/-innen und Lehrer/-innen unweigerlich Fragen an den fokussierten Lerngegenstand, seine fachliche Konstituierung und didaktische Modellierung aufwirft. Die bisherigen Ausführungen sollen daher um weitere Darstellungen ergänzt werden, die den Forschungsstand der bestehenden Annahmen zum Zusammenwirken von sachstruktureller Gegenstandskonstitution, also der fachlichen Fundierung des deutschen Schriftsystems, und darauf bezogenen schriftsprachlichen bzw. orthographischen Lehr-Lern-Prozessen wiedergeben. Wie die folgenden Ausführungen demonstrieren, können im schriftsprach- und orthographiedidaktischen Diskurs zwei grundlegende Positionen unterschieden werden: Zum einen liegen Konzeptionen vor, in denen schriftsprachliches (Anfangs-)Lernen und orthographisches Lernen nicht per se zusammengedacht werden, sondern von einer generellen Zweischrittigkeit der Entwicklung schriftsprachlicher Fähigkeiten ausgegangen wird. Dem stehen zum anderen konzeptionelle Vorstellungen gegenüber, nach denen schriftsprachliches Lernen von Beginn an orthographisches Lernen impliziert. Die skizzierten Positionierungen werden im nächsten

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3 Schriftsprachliches Lehren und Lernen in Deutschland

Teilkapitel 3.3 in ihren spezifischen Begründungszusammenhängen erläutert und auf der Basis empirischer und theoretischer Erkenntnisse kritisch reflektiert.

3.3 Modellbildungen zum schriftsprachlichen Lehren und Lernen Grundsätzliche Einigkeit besteht im wissenschaftlichen Diskurs darüber, dass der Aufbau schriftsprachlicher Kompetenzen im Sinne eines konstruktivistisch-kognitivistischen Lernbegriffs an eigenaktive Entdeckungen und kognitive Einsichten des Individuums gebunden ist und sich somit nicht als mechanische Input-Output-Folge von Lerninhalten darstellen lässt (vgl. u. a. Thomé 2006; Naumann 2008; Hinney 2010; Bartnitzky 2015b; Bredel 2015a; Leßmann 2015b). Die Vorstellungen von der unterrichtspraktischen Umsetzung dieser lerntheoretischen Grundausrichtung weichen jedoch – teilweise erheblich – voneinander ab. Diskrepanzen ergeben sich aus den jeweils angelegten Schrifttheorien sowie daraus abgeleiteten schriftsprachdidaktischen Konsequenzen und äußern sich u. a. in divergenten Annahmen zum Zusammenhang von Lese- und Schreiblernprozessen, aber auch zur Rolle unterrichtlicher Instruktion im Bereich des schriftsprachlichen Lernens. Nach wie vor große Beachtung finden im schriftsprachdidaktischen Diskurs die ab etwa Mitte der 1970er Jahre bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts entstandenen Schriftspracherwerbsmodelle, die – vornehmlich mithilfe von Lernbeobachtungen gewonnene – überindividuelle Verlaufsmuster bzw. Phasen festhalten, die Schreibanfänger/-innen in der Auseinandersetzung mit der (deutschen) Schriftsprache typischerweise durchlaufen. Bevor Hintergründe der Entwicklung, schrifttheoretischen Fundierung und didaktischen Tragweite dieser Modelle näher beleuchtet werden, sollen einige knappe terminologische Erläuterungen zum schriftsprachlichen Erwerb und schriftsprachlichen Lernen angeführt werden. In wissenschaftlichen Darstellungen wird der Aufbau der basalen Lese- und Schreibfähigkeiten und -fertigkeiten unter dem Terminus Schriftspracherwerb zusammengefasst. Dass in Analogie zum (früh-)kindlichen Spracherwerb auch beim Aufbau schriftsprachlicher Fähigkeiten von Erwerb gesprochen wird, lässt sich u. a. in Referenz auf die Zweit- und Fremdsprachenforschung begründen: Erwerbsprozesse werden dort grundsätzlich auf die eigenaktiven, ungesteuerten Anteile des Aufbaus von sprachlichem Wissen bezogen und daher zuvorderst dem Bereich der

3.3 Modellbildungen zum schriftsprachlichen Lehren und Lernen

39

Zweitsprachenaneignung zugeordnet. Demgegenüber werden Lernprozesse in der Regel mit institutionell initiierter und somit weitgehend bewusst angestrebter Wissensaneignung verbunden und vor allem für den Fremdsprachenbereich angesetzt (vgl. Riemer und Hufeisen 2010, S. 739). Dass es durchaus zu Überschneidungen beider Bereiche kommt, der Unterricht also auch ‚natürliche‘ Erwerbsprozesse anregen kann, ebenso wie sich Lernende auch außerinstitutionell bewusst mit sprachlichen Strukturen auseinandersetzen können, wird dabei nicht bestritten (vgl. Edmondson und House 2011, S. 11). Die Übertragung dieser Unterscheidungskriterien für Erwerbs- und Lernprozesse (einschließlich ihrer möglichen Überlappungen) auf schriftsprachliche Aneignungsprozesse erscheint aus folgenden Gründen passend: Da viele Lese- und Schreibanfänger/-innen schon vor Schuleintritt erste schriftsprachliche Einsichten gewinnen und auch nach Schuleintritt bisweilen eigene Hypothesen und Strategien bilden und nutzen, die nicht zwingend auf externe Impulse zurückzuführen sind, kann prinzipiell von schriftsprachlichen Erwerbsprozessen ausgegangen werden (vgl. auch Bredel et al. 2011, S. 71f.). Dennoch erschöpft sich der Aufbau schriftsprachlicher Kompetenzen nicht in unbewussten Aneignungsprozessen, sondern ist in der Regel an angeleitete – schulische und außerschulische – Situationen geknüpft, wie die folgenden Teilkapitel zeigen werden. Der Begriff des Schriftspracherwerbs kann daher als globale Bezeichnung für einen umfassenden Gegenstandsbereich genutzt werden, in dem sich Lese- und Schreiblernende mit dem auf unterschiedlichen Ebenen erfahrenen schriftsprachlichem Input auseinandersetzen und dabei (individuelle) Hypothesen und Strategien zum Umgang mit dem deutschen Schriftsystem entwickeln. Zur Bezeichnung des explizit durch unterrichtliche Instruktion gesteuerten Kompetenzaufbaus und dabei zu beobachtender Aneignungsvorgänge erscheint es hingegen treffender, den Begriff der schriftsprachlichen Lernprozesse zu verwenden. Wie bereits angekündigt, sollen im nächsten Teilkapitel zentrale Annahmen der bestehenden Schriftspracherwerbsmodelle vorgestellt werden. Da die Konzentration der vorliegenden Studie auf die Gruppe der Lehrenden bereits ein primäres Forschungsinteresse an den unterrichtlich initiierten Schriftzugängen impliziert, fokussieren die Darstellungen auf diejenigen Phasen und Strategien, die üblicherweise für die ersten Schuljahre anzunehmen sind. Unter dieser Schwerpunktsetzung wird im Kontext der traditionellen Schriftspracherwerbsmodelle auch von zweiphasigen Modellierungen gesprochen, da sie schriftsprachliches (und in der Regel phonembasiertes) Anfangslernen von weiterführenden orthographischen

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3 Schriftsprachliches Lehren und Lernen in Deutschland

Lernprozessen abgrenzen. Im Anschluss an deren Darstellung wird eine ‚Gegenposition‘ zu den herkömmlichen Schriftspracherwerbsannahmen vorgestellt, die dieser Phasierung mit Verweis auf die konstitutiven Strukturen des deutschen Schriftsystems ein einphasiges Modell entgegensetzt, in dem schriftsprachliches Lernen von Beginn an die Beschäftigung mit regelhaften Strukturen der deutschen Schreibung einschließt. 3.3.1

Zweiphasige Modelle

Auch wenn schriftsprachliche Entwicklungsprozesse von Schreib- und Lesenoviz/-innen im deutschsprachigen Bereich schon ab Mitte der 1970er Jahre von Forscher/-innen untersucht wurden (für einen Überblick: Thomé 1999, 2006), können die wissenschaftlichen Theorien und Modellbildungen aus der englischsprachigen Forschung aus heutiger Sicht als Wegbereiter einer umfassenden Auseinandersetzung mit den schriftsprachlichen Erwerbsverläufen im Deutschen angesehen werden. Dabei gelten insbesondere die Modellierungen von Uta Frith (1985), die das Lesen und Schreiben erstmals als sich wechselseitig beeinflussende und im Erwerb voneinander profitierende Domänen darstellt, als richtungsweisend für die entsprechende Erwerbsforschung im Deutschen (vgl. u.a. Ossner 2006, S. 188).20 In Frith‘ Modell (s. Abb. 3) können drei Hauptstufen für beide Anforderungsbereiche zusammengefasst werden: 1. die logographemische Phase/Strategie, in der Kinder Wortbilder als Ganzes erkennen (‚lesen‘) bzw. schriftlich wiedergeben (‚schreiben‘), 2. die alphabetische Phase/Strategie, in der sie auf die Beziehungen zwischen lautlichen und schriftlichen Segmenten aufmerksam werden und diese zu entziffern bzw. zu verschriften lernen, und 3. die orthographische Phase/Strategie, in der

20

Auf die eingeschränkte Vergleichbarkeit von Aneignungsprozessen des englischen und deutschen Schriftsystems soll an dieser Stelle nur knapp verwiesen werden: In der Tat werden die deutschsprachigen Erwerbsmodelle im wissenschaftlichen Diskurs dahingehend kritisiert, dass sie die spezifischen Merkmale des deutschen Schriftsystems bei der Modellierung der einzelnen Entwicklungsschritte und -phasen unzureichend berücksichtigen. Naumann (2014) und Scheele (2006) weisen in diesem Kontext darauf hin, dass die lesebegünstigenden Strukturen des englischsprachigen Schriftsystems vor allem auf Morphemebene lokalisiert sind und englischsprachige Schriftnoviz/-innen daher anfänglich stärker auf Strategien der direkten Wortkennung angewiesen seien als deutschsprachige Lernende, die durch konsistentere Phonem-Graphem-Korrespondenzen einen leichteren Zugang zur alphabetischen Strategie besitzen würden (vgl. z. B. Scheele 2006, S. 58).

3.3 Modellbildungen zum schriftsprachlichen Lehren und Lernen

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sie orthographische Markierungen, die über reine Laut-Buchstaben-Zuordnungen hinausgehen, bei der Worterkennung nutzen und beim Schreiben zunehmend sicher umsetzen.

Abb. 3 Das Schriftspracherwerbsmodell nach U. Frith (1985, S. 311) (hier aus: Augst und Dehn 2013, S. 59)

Die Autorin weist ihre Modellannahmen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung „as yet purely speculative“ (Frith 1985, S. 311) aus, stützt sich dabei aber auf die Modellierung des Leseerwerbs durch Marsh et al. (u. a.1977, 1980), die das sukzessive Auftreten von aufeinander aufbauenden Leseerwerbsstufen im Verlauf der Schulzeit empirisch belegen konnten und darin von weiteren Lernbeobachtungsstudien zu Erstleseprozessen sowie Analysen von Lese- und Schreibfehlern bestärkt wurden (vgl. Frith 1985, S. 305f.). Andererseits deutet Frith in den Erläuterungen ihres eigenen Modells sowohl im Bereich der alphabetischen als auch der orthographischen Strategie auf Einflüsse unterrichtlicher Instruktion hin. So merkt sie in der Begründung der orthographischen Strategie Folgendes an: Whereas for the orthographic strategy there is no catchy Iabel from teacher usage, it is clear that teachers in fact do employ methods to promote orthographic skills as defined in the present context. (ebd., S. 307)

In der wissenschaftlichen Rezeption der Frith’schen Modellierung des Lese- und (Recht-)Schreiberwerbs ist also prinzipiell zu berücksichtigen, dass es sich dabei um ein theoretisches Modell handelt, in dem die Rolle etwaiger unterrichtlicher Einflüsse auf die dargestellten schriftsprachlichen Erwerbsprozesse nicht erfasst ist. Dennoch kann ihr Modell, wie bereits erwähnt, aus heutiger Sicht als das ‚Urmodell‘ für Spezifizierungen und Weiterentwicklungen im deutschsprachigen Forschungsbereich angesehen werden. Zahlreiche deutsche Sprachdidaktiker/-innen erarbeiteten

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3 Schriftsprachliches Lehren und Lernen in Deutschland

mithilfe dieser Vorlage und auf der Basis (vor-)schulischer Schreibprodukte sowie orthographischer Fehleranalysen Entwicklungsmodelle zu den Aneignungsprozessen der deutschen Schriftsprache (vgl. u. a. Thomé 2006, S. 371). Frith‘ Darstellung der wechselseitigen Beziehungen zwischen der Lese- und Schreibentwicklung fand jedoch nur bedingt Zustimmung, sodass viele der heute existierenden Modelle zum deutschen Schriftspracherwerb die Schreibentwicklung (relativ) unabhängig vom Leseerwerb betrachten (u. a. Spitta 1988; Valtin 1988). Auch Thomé (hier in der Darstellung von 2006) plädiert für eine weitgehend getrennte Betrachtung des Lesens und Schreibens sowie der entsprechenden Aneignungsprozesse und stellt ein eigenes Phasenmodell vor, das sich zwar an Frith‘ Dreiteilung orientiert, diese aber mit Konzentration auf den Schreiberwerb z. T. terminologisch abweichend kennzeichnet und für das deutsche Schriftsprachsystem spezifiziert. Da Thomés Modell beispielhaft für viele weitere Phasenmodelle zum Schriftspracherwerb stehen kann und die darin als ‚natürlich‘ aufgezeigten Lernverläufe maßgeblich für die Ableitung didaktischer Konsequenzen genutzt wurden und werden, soll es an dieser Stelle knapp skizziert werden. Thomé nimmt wie Frith drei Hauptphasen an, denen vorschriftliche Aktivitäten und erste Einsichten in die Bedeutungshaltigkeit von Schrift vorausgehen (vgl. Thomé 2006, S. 371). Da er die starke Leseorientierung bei Frith ablehnt, bezeichnet Thomé die Phase der ersten direkten Auseinandersetzung mit geschriebenen Wortbildern nicht als logographemisch, sondern als protoalphabetisch-phonetisch. Über rudimentäre Verschriftungen und Skelettschreibungen erfolgt in diesem Entwicklungsabschnitt eine Annäherung an ein lautgetreues Schreiben: Die Lernenden orientieren sich zunehmend an ihrer eigenen Aussprache und den dabei wahrgenommenen phonetischen Segmenteigenschaften. Die protoalphabetischephonetische Phase dient, wie auch schon ihre Bezeichnung ausdrückt, gewissermaßen als ‚Vorarbeit‘ für die nächste, die alphabetische Entwicklungsphase. Auch hier sind phonetische Merkmale weiterhin verschriftungsleitend, sie weichen aber zunehmend der Konzentration auf bedeutungsrelevante Lauteigenschaften, indem Bezüge zwischen den bedeutungsunterscheidenden phonologischen Segmenten, den Phonemen, und ihren konventionell festgelegten schriftlichen Repräsentanten, den Graphemen, hergestellt werden. Da Korrespondenzanalysen der gesprochenen und geschriebenen Segmente ergeben, dass die meisten Phoneme im Geschriebenen je nach Kontext von verschiedenen Graphemen repräsentiert werden und umgekehrt ein und dasselbe Graphem für unterschiedliche Phoneme stehen kann, unterscheidet Thomé Basisgrapheme

3.3 Modellbildungen zum schriftsprachlichen Lehren und Lernen

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von Orthographemen. In der alphabetischen Phase nehmen Lernende phonologisch orientierte Schreibungen vor, indem sie das für ein bestimmtes Phonem jeweils häufigste Graphem, das Basisgraphem, verschriften, z. B. für /i:/ (vgl. ebd., S. 373). Thomé bezeichnet Schreibungen, die mithilfe von Basisgraphemen verschriftet werden, als unmarkierte Schreibungen. Erst in der dritten Phase, der orthographischen Phase, setzen sich die Lernenden zunehmend mit markierten Schreibungen auseinander, in denen die orthographische Schreibweise von der rein phonembasiert ermittelten Schreibung abweicht. Dazu zählt Thomé u. a. die Nichtberücksichtigung der Auslautverhärtung in der Schrift (z. B. , obwohl [hʊnt]), aber auch weitere markierte Fälle wie die -Schreibung oder die Doppelkonsonantenschreibungen, die sich nicht rein phonembasiert erschließen lassen, sondern an Kontextbedingungen geknüpft sind und mithilfe von Rechtschreibregeln gelernt werden. In der Auseinandersetzung mit diesen Schreibauffälligkeiten entdecken die Lernenden nach und nach die Orthographeme, also die „weiteren Grapheme, die außer dem Basisgraphem für ein Phonem geschrieben werden können“ (ebd., S. 370). Dabei kommt es laut Thomé bei vielen Lernenden zunächst zum übergeneralisierenden Einsatz von Orthographemen „an Positionen, an denen sie unter keinen Umständen oder nur höchst unwahrscheinlich auftreten können“ (Thomé 2006, S. 374). Exemplarisch sind Schreibungen wie * statt , in denen die Umgebung das gewählte Orthographem rein sachstrukturell nicht zulässt („Nach einem Konsonanten steht im Deutschen keine Konsonantenverdopplung“, ebd.). Ebenso treten Thomés Ausführungen zufolge in der orthographischen Phase Übergeneralisierungen auf, die auf eine inadäquate Silben- oder Morphemanalyse („*vergoßen“ oder auch „*vertig“, ebd.) schließen lassen. In der letzten Teilstufe der orthographischen Phase sind derartige Übergeneralisierungen weitgehend überwunden und es werden überwiegend orthographisch korrekte Schreibungen produziert (vgl. ebd., S. 375). Da die angeführte Phasierung überindividuelle Übereinstimmungen in den Entwicklungsverläufen von Schreibanfänger/-innen abbildet, die Lernenden aber dennoch stets individuelle Muster zeigen, versteht Thomé (wie auch die Autor/-innen der weiteren zur deutschen Schriftsprache entwickelten Erwerbsmodelle) die angenommenen Phasen nicht im Sinne einer starren Stufenabfolge. Er geht davon aus, dass die verschiedenen Phasen grundsätzlich auch parallel durchlaufen werden können, wobei in der Regel eine bestimmte Strategie zeitweise dominiert, aber auch nach

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dem Übergang in eine neue Phase noch zur Verfügung steht (vgl. ebd., S. 376). Auch wenn unter den Vertreter/-innen der exemplarisch skizzierten Erwerbsabfolge grundsätzliches Einvernehmen darüber besteht, dass die Erwerbsmodelle „nicht einfach als Legitimation für das Lehren herangezogen werden“ (Augst und Dehn 2013, S. 61) können, stellen sie doch eine wichtige Bezugsgröße existierender didaktischer Konzipierungen schriftsprachlicher Lehr- und Lernprozesse dar. So ist in dem insgesamt eher unübersichtlichen Feld schriftsprachdidaktischer Unterrichtsansätze für die Grundschule (s. dazu Abschnitt 3.3.4) ein starker Zweig auszumachen, in dem die prinzipielle Orientierung an den Erwerbsmodellen mit entsprechenden Annahmen zur Gegenstandsfundierung und Lehr-Lern-Progression einhergeht. Dies zeigt sich primär anhand von folgenden Leitlinien: In den Konzeptionen 1. begründet eine phonembasierte Konstituierung des deutschen Schriftsystems die Vorstellung von den didaktischen Anregungsformen schriftsprachlichen Lernens: Der schulische Schrifteinstieg wird in erster Linie über die Anbahnung der alphabetischen Strategie gestaltet. Die Beschäftigung mit orthographisch richtigen Schreibungen, die sich nicht über die basalen Phonem-GraphemZuordnungen erschließen lassen, sind im Anschluss an die Erarbeitung der grundlegenden Phonem-Graphem-Korrespondenzen vorgesehen; 2. werden das Lesen- und Schreibenlernen als grundsätzlich unabhängig voneinander zu fördernde Komponenten des Schriftsprachlernens betrachtet. Worin diese Leitlinien begründet und wie sie mit aktuellen Forschungsbefunden gestützt werden, soll im Folgenden für die einzelnen Punkte vertiefend erläutert werden. zu 1.) Belege dafür, dass die Untersuchung von Phonem-GraphemKorrespondenzen als gegenstandsbestimmend für die „Architektur der Schrift“ (Naumann 2015, S. 67) angenommen wird, präsentieren Naumann (2014) sowie Thomé et al. (2011) anhand von errechneten Häufigkeiten: Durch Analysen von Textkorpora ermitteln sie – auf der Basis ihres schrifttheoretischen Verständnisses – eindeutige Zuordnungen von Phonemen zu Graphemen. In der Untersuchung von ca. 24.000 Wörtern können laut Thomé und Kolleginnen (2011) „den 100.000 Phonemen genau 100.000 Grapheme zugeordnet werden“ (ebd., S. 54). In der weiteren Aufschlüsselung der Ergebnisse kommen die Autor/-innen zur Einteilung von Basisund Orthographemen (s. oben) und zeigen anhand präziser Berechnungen

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deren prozentualer Verteilung auf, dass in 90% der zu verschriftenden Phoneme die Basisgrapheme greifen, also die jeweils häufigsten unter den prinzipiell mit einem Phonem korrespondierenden Grapheme. Die Autor/-innen leiten daraus ab, dass „es aus fachdidaktischer Sicht vollkommen einsichtig [ist], dass im Anfangsunterricht ausschließlich Basisgrapheme eingeführt werden müssen“ (ebd., S. 62), und erst im weiteren Lernverlauf orthographische Markierungen in den Blick genommen werden. Konzeptionen, die dieser grundlegend segmentbasierten Vorstellung folgen, können nun weiter unterteilt werden: Es ergeben sich (a) Ansätze, die oft mit dem Verweis auf eine stärker lerner- bzw. entwicklungsbezogene Perspektive begründet werden und sich dadurch kennzeichnen, dass die Einsicht der Lernenden in die kulturelle und soziale Dimension von Schrift und die persönliche Erfahrung der kommunikativen Funktion des Schreibens im Vordergrund des Erstschreibunterrichts stehen (vgl. u. a. Bartnitzky 2015a; Leßmann 2015a). Damit verbunden sind häufig Vorstellungen eines primär endogenen Lernens, d. h., die Schüler/-innen erschließen sich den Schriftraum und die Schriftstruktur nach den individuellen Bearbeitungsinteressen und werden erst später ‚expliziter‘ zu den orthographischen Besonderheiten gelenkt (vgl. z. B. Leßmann 2015b, S. 28). (b) Ansätze mit einer stärker gegenstandsbezogenen Perspektive, die darin gekennzeichnet ist, dass die Lernprozesse von der alphabetischen Strategie zum orthographischen Schreiben systematisiert werden und Vorstellungen eines stärker exogenen Lernens leitend sind, d. h., die grundlegende alphabetische Schrifterschließung wird zwar als im Gegenstand selbst angelegt verstanden, bedarf aber, insbesondere im Übergang zur Auseinandersetzung mit orthographischen Markierungen, gezielter sachstrukturorientierter Impulse (vgl. u. a. Thomé 2000, S. 16; Naumann 2006, S. 47). Da in der vorliegenden Arbeit aufgrund des primären Erkenntnisinteresses stärker gegenstandsorientierte didaktische Ansätze in den Blick genommen und empirisch untersucht werden sollen, wird auf die präzisere Darstellung der auf persönliche Schreiberfahrung fokussierten didaktischen Ansätze des Schrifterwerbs – hier prägt gegenwärtig vor allem die Konzeption des Spracherfahrungsansatzes (Brügelmann 1983) die Unterrichtspraxis – verzichtet. Stattdessen liegt der Fokus auf den in (b) zusammengefassten Konzeptionen. Beispielhaft kann hierfür Naumanns Haus der Orthographie (2006) angeführt werden, in dem der Autor die Etappen

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des Schrifterwerbs bildhaft auf die einzelnen Stockwerke eines Hauses überträgt, ausgehend von der primären Phonemorientierung im Erdgeschoss (Schwerpunkt Klasse 1 und 2, vgl. ebd., S. 78) hin zu den nicht mehr rein segmental zu erschließenden orthographischen Mustern im 1. und 2. Obergeschoss. Dass er im Zuge der Kritik an rein einzellautbasierten Zugängen zum Erstschreiben eine modifizierte Version des Modells (2015) vorlegt, wird in der Auseinandersetzung mit den existierenden didaktischen Konzeptionen für den Schriftsprachunterricht vertiefend betrachtet (s. dazu v. a. 5.2). Zu 2.) In der phonembasierten Grundlegung des deutschen Schriftsystems ist, wie zuvor dargestellt, die Vorstellung angelegt, dass das (basale) Wortschreiben von Lernenden über die segmentale Gliederung der Lautung erfolgt und nicht, wie im Folgekapitel 3.3.2 für die einphasigen Modelle beschrieben wird, über die (lesende) Auseinandersetzung mit geschriebenen Wörtern. Zur Stützung der Annahme relativ autonomer Leseund Schreibentwicklungen verweisen die Vertreter/-innen zweiphasiger Modelle auf entsprechende empirische Befunde: Deutschsprachige Studien weisen bislang stärker auf die generelle Unabhängigkeit beider schriftsprachlichen Erwerbsbereiche hin. Dabei wird zur Bestätigung des prinzipiell autonomen Lese- und (Recht-)Schreiberwerbs in erster Linie auf statistische Auswertungen verwiesen, die wiederholt belegen konnten, dass gute Leser/-innen nicht zwingend auch gute Rechtschreiber/-innen sind (vgl. u. a. Hasselhorn et al. 2008; Beck et al. 2009; bezogen auf Rechtschreib-/Lesedefizite: Moll und Landerl 2011). Die empirische Relevanz dieser und weiterer Befunde zur Interaktion der Lese- und Schreibentwicklung soll im kritischen Vergleich der ein- und zweiphasigen Modelle zum schriftsprachlichen Lernen (s. 3.3.3), vor allem aber in den sprachwissenschaftlichen und -didaktischen Ausführungen der Kapitel 4 und 5 sowie schließlich im empirischen Teil der Arbeit aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden. 3.3.2

Einphasige Modelle

Wie im vorigen Teilkapitel angegeben, stehen in der vorliegenden Arbeit diejenigen schriftsprachdidaktischen Konzeptionen im Fokus, die sich maßgeblich über die konstitutiven Merkmale des Gegenstands, hier also über die sachanalytische Fundierung der Wortschreibung, begründen. Für diese Fokussierungen wurden die existierenden schriftsprachdidaktischen Ansätze in solche, die für sich einen stärkeren Lerner- und Entwicklungsbezug beanspruchen, und solche, die vor allem auf eine Systematisierung

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des Lerngegenstands und die daran orientierte didaktische Modellierung abzielen, unterteilt. Die Klassifizierung bildet lediglich konzeptionelle Schwerpunkte ab, spricht also weder den stärker lernerbezogenen Ansätzen die Orientierung am Gegenstand noch den stärker gegenstandsbezogenen die Berücksichtigung der Lernervoraussetzungen ab. Konzeptionen, die dem letztgenannten Schwerpunkt zugeordnet werden, proklamieren in der Regel das Leitprinzip Lernerorientierung durch Gegenstandsorientierung für sich. Ein konzeptioneller Zweig, der sich im Wesentlichen an der Gegenstandsstruktur orientiert und zugleich den Erwerbstheorien der herkömmlichen Phasenmodelle folgt, wurde im Abschnitt 3.3.1 bereits vorgestellt. Im vorliegenden Abschnitt wird ein zweiter konzeptioneller Zweig präsentiert, der ebenfalls maßgeblich an der Sachstruktur des deutschen Schriftsystems orientiert ist, sich aber von den gängigen schriftsprachlichen Erwerbsannahmen abgrenzt, indem er die Trennung von segmentbasierter Erstorientierung und späterem Rechtschreiblernen aufgibt. An die Stelle eines zweischrittigen Erwerbsverständnisses tritt in diesem konzeptionellen Zweig eine einphasige Modellierung, in der das Erstschreiben unmittelbar an Einsichten in regelhafte Strukturen der Wortschreibung geknüpft ist, Lese- und Schreibanfänger/-innen also von Beginn an „eine strukturbasierte Sichtweise auf geschriebene Wörter“ (Bredel 2015a, S. 267) einnehmen können. Womit diese „strukturbasierte Sichtweise“ (ebd.) begründet wird, sollen die anschließenden Darstellungen verdeutlichen. Folgende Leitlinien werden den herkömmlichen Phasenmodellen entgegengesetzt: In den einphasig angelegten Modellen und darauf aufbauenden didaktischen Konzeptionen 1. begründet die Konstituierung des Schriftsystems als grammatisch analysier- und erfassbarer Gegenstand mit eigenständigen und prinzipiell lautunabhängigen Strukturen die Vorstellung von den didaktischen Anregungsformen schriftsprachlichen Lernens: Der schulische Schrifteinstieg fokussiert nicht auf phonologische Einzelsegmente und entsprechende Ableitungen für die Schreibung, sondern bezieht von vornherein suprasegmentale Strukturen in die Analyse und Produktion von Wortschreibungen mit ein (vgl. z. B. Mesch 2015a, S. 110; Riegler 2015, S. 58). Die Beschäftigung mit regelhaften Schreibungen, die in den Erwerbsmodellen zu den orthographischen Besonderheiten gezählt werden, spielen also im Schriftsprachunterricht von Anfang an eine Rolle (vgl. z. B. Hinney 2010, 2014; Bredel et al. 2011);

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2. werden das Lesen- und Schreibenlernen als miteinander zu vernetzende Komponenten des schriftsprachlichen Lernens angesehen und das Lesen für die Analyse von regelhaften Schriftstrukturen und ihre Umsetzung im (Recht-)Schreiben fruchtbar gemacht (vgl. z. B. Bredel et al. 2011; Röber 2015). Wie in der Darstellung der zweiphasigen Modelle sollen die konzeptionellen Begründungszusammenhänge und die empirische Fundierung der dargestellten Orientierungslinien für die angeführten Punkte einzeln erläutert werden: Zu 1.) In Bezugnahme auf die Erkenntnisse der Graphematik zur Organisation des deutschen Schriftsystems im regelhaften Kernbereich (s. Teilkapitel 4.5) werden sowohl eine Ableitbarkeit der Schreibung aus der Lautung als auch die Annahme einer segmental-linearen Organisation des gesprochenen und geschriebenen Wortes zurückgewiesen. Stattdessen verweisen Vertreter/-innen einphasiger Modelle zum einen auf eigenständige innergraphematische Strukturen, zum anderen auf wechselseitige Beziehungen zwischen Wortschreibung und Wortlautung, die gegen eine phonologisch-segmentale Grundlegung des deutschen Schriftsystems und für dessen segmentübergreifende Fundierung sprechen. Sie leiten daraus wiederum zentrale Anforderungen an die Initiierung schriftsprachlicher Lernprozesse von Lese- und Schreibnoviz/-innen ab: Schriftsprachliches (Anfangs-)Lernen ist demnach weder auf phonologische Einzelsegmente auszurichten noch von orthographischem Lernen zu trennen, sondern bedarf einer von Anfang an über den einzelnen Laut und den einzelnen Buchstaben hinausgehenden Wortanalyse. Im Rahmen schriftsprachanalytischer Operationen sollen regelhafte Strukturen von vornherein erforscht und die Funktionalität orthographischer Normierungen in den Blick genommen werden. Annahmen, denen zufolge sich die Zweiteilung schriftsprachlichen Lernens in die alphabetische und die orthographischen Phase bzw. Strategie „aus der Struktur unseres Schriftsystems [ergibt]“ (Thomé 2006, S. 374), werden ausdrücklich zurückgewiesen. Zwar wird ebenso wie bei der oben skizzierten zweiphasigen Modellierung von der Notwendigkeit eines exogenen Lernens ausgegangen, dieses wird inhaltlich jedoch anders gefüllt: Im Fokus der Lehr-Lern-Prozesse stehen vor allem phonographisch-silbische Strukturen im prototypischen zweisilbigen Wort. Grundlegend dafür ist die Annahme, dass die Identifikation von Segmenten, also (in vereinfachter Darstellung) von Einzellauten und -buchstaben, sowohl in der gesprochenen als auch in der geschriebenen Wortrepräsentation erst über ihre Einbettung in silbische Strukturen zielführend

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für die Rezeption und Produktion von Wortschreibungen eingesetzt werden kann. Vertreter/-innen eines solchen Schriftverständnisses, das auf den Erkenntnissen der Graphematik fußt, nehmen daher an, dass der Gegenstand selbst die Voraussetzungen für eine systematische Erschließung der ineinandergreifenden graphematischen Strukturebenen bereitstellt. Zugleich gehen sie davon aus, dass der Aufbau schriftsprachlicher Fähigkeiten der kompetenten Anleitung durch die Lehrkraft und zielführender schriftstrukturorientierter Impulse bedarf (vgl. u. a. Bredel et al. 2011, S. 98; Röber 2015, S. 207). Zu 2.) Auf der Basis des schriftstrukturellen Gegenstandsverständnisses werden die lesebegünstigenden Strukturen des deutschen Schriftsystems hervorgehoben und diese wiederum als Argument dafür betrachtet, den Zusammenhang zwischen dem Lesen und Schreiben auch in den schriftsprachlichen Lernprozessen zu aktivieren. Als eindeutige Indizien für einen Zusammenhang beider Modalitäten werden in erster Linie die von der Graphematik nachgewiesene Strukturiertheit und Transparenz des deutschen Schriftsystems angeführt, die neben ihrer leseunterstützenden Wirkung auch als wesentliche Hilfe für das korrekte (Wort-)Schreiben aufgefasst werden (vgl. u. a. Eisenberg und Fuhrhop 2007). Darüber hinaus werden auch Befunde aus der englischsprachigen Forschung herangezogen, um einen Einfluss der Rechtschreibfähigkeiten auf das Lesen (vgl. u. a. Graham et al. 2002; Berninger et al. 1998) sowie in umgekehrter Richtung auch Effekte vom Lesen zum Schreiben (vgl. Cunningham und Stanovich 1991) empirisch zu stützen. Wie jedoch schon an früherer Stelle herausgestellt wurde, können die Erkenntnisse aus der englischsprachigen Forschung aufgrund der Unterschiedlichkeit der (Schrift-)Sprachsysteme nicht problemlos auf die Bedingungen des schriftsprachlichen Lernens im Deutschen übertragen werden. Die Bewertung bisheriger empirischer Befunde zum Zusammenhang zwischen dem Lesen- und Schreibenlernen erweist sich zudem als schwieriges Unterfangen, da auch die deutschsprachigen Untersuchungen teilweise deutlich voneinander abweichende Schwerpunkte in den Erhebungs- und Auswertungsformen wählen

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und die spezifischen Untersuchungsformate somit bei der Deutung der Ergebnisse zu berücksichtigen sind.21 Auf eine differenzierte Betrachtung des Forschungsstands zum Verhältnis zwischen Lese- und Schreiblernprozessen wird in der vorliegenden Arbeit aufgrund des primären Untersuchungsinteresses an Zugängen zur Wortschreibung verzichtet. Dennoch ist die Perspektive des Lesens nicht zuletzt vor dem Hintergrund der wortgrammatischen Strukturen des deutschen Schriftsystems in die Auseinandersetzung mit den handlungsleitenden Kognitionen der Lehrkräfte einzubeziehen. Wurden die Begründungen ein- und zweiphasiger Modellierungen des schriftsprachlichen Lernens bisher weitgehend getrennt voneinander dargestellt, sollen ihre zentralen Diskrepanzen und Streitpunkte im nächsten Abschnitt kritisch betrachtet und im Hinblick auf das Untersuchungsziel der vorliegenden Arbeit bewertet werden. 3.3.3

Vergleichende Betrachtung ein- und zweiphasiger Modelle

Dreh- und Angelpunkt der andauernden Diskussionen zur Anregung des schriftsprachlichen Lernens im Grundschulunterricht ist die Bewertung dessen, welche Rolle der Einzellaut und der korrespondierende Einzelbuchstabe im Erstschreiben spielen sollten. Dabei werden einerseits empirische Belege präsentiert, die die in den Erwerbsmodellen angegebene Abfolge von der alphabetischen zur orthographischen Strategie stützen, andererseits darauf bezogene forschungsmethodische Einwände erhoben, die sich vor allem auf die fehlende Berücksichtigung der unterrichtlichen Erwerbseinflüsse beziehen. Dass bisher weder die Aussagekraft der empirischen Befunde, die die einzelnen Phasen bestätigen, noch die didaktische Tragweite diesbezüglicher sachstruktureller und methodischer

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Exemplarisch können hier die Untersuchungen von Siekmann (2011) und von Bangel und Müller (2015, 2016) gegenübergestellt werden: Während Siekmann hauptsächlich mit Kunst- und Pseudowörtern (z. B. „Gryffindor“, Siekmann 2011, S. 104) arbeitet und untersucht, wie diese nach dem bewussten und unbewussten Lesen verschriftet werden, nehmen Bangel und Müller in einer Interventionsstudie in Jahrgang 5 regelhafte Schriftstrukturen nativer Wörter in den Blick. Es bestehen also (u. a.) bedeutsame Unterschiede im Untersuchungsformat. Dass Siekmann (2011) keinen Effekt der Leseleistung bzw. -frequenz auf die Speicherung orthographischer Merkmale feststellt (vgl. ebd., S. 155ff.), Bangel und Müller (2016) hingegen positive Auswirkungen eines schriftstrukturorientierten Unterrichts sowohl für das Lesen- als auch Rechtschreibenlernen von Fünftklässler/-innen ermitteln (vgl. ebd., S. 107ff.), ist somit unter Berücksichtigung des jeweiligen Forschungsdesigns zu bewerten.

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Gegenargumente eindeutig bewertet werden konnten, wird in den folgenden Ausführungen knapp skizziert. Zur Untermauerung der ontogenetischen und didaktischen Angemessenheit eines einzellautorientierten Fokus im Erstschreibunterricht der Grundschule werden immer wieder Untersuchungen angeführt, die belegen, dass Kinder beim Erlernen der deutschen Schriftsprache zunächst lautorientiert vorgehen – und zwar auch unabhängig davon, ob sie bereits entsprechende unterrichtliche Instruktionen erhalten haben oder nicht (vgl. u. a. Bartnitzky 2015b, S. 151). Auch Bredel et al. (2011), die im Abschnitt 3.3.2 als Befürworterinnen einer einphasigen Modellierung schriftsprachlicher Lernprozesse ausgewiesen wurden, räumen ein, dass sich in der Beobachtung individueller Entwicklungsverläufe überindividuelle Übereinstimmungen zeigen, die sich nicht per se mit institutionellen Einflüssen, also dem jeweils erfahrenen schriftsprachdidaktischen Input, begründen lassen. Die Autorinnen verweisen jedoch andererseits darauf, dass Impulse im Sinne der alphabetischen Strategie auch außer- und vorschulisch erfolgen könnten. Zudem folge der schulische Schriftunterricht in Deutschland ohnehin „im Großen und Ganzen überall denselben Prämissen“ (ebd., S. 98), gestalte also vorwiegend Lehr-Lern-Arrangements zum Aufbau alphabetischer Fähigkeiten. Bredel und Kolleginnen und auch andere Kritiker/-innen zweiphasiger Modelle (vgl. z. B. Böhm und Mehlem 2015b, S. 118; Mesch 2015a, S. 107) monieren daher, dass die Didaktik mit den Entwicklungsmodellen lediglich etwas erkläre, „was sie methodisch selbst verursacht hat“ (Bredel et al. 2011, S. 96). In der Tat lassen einige empirische Studien, die eine sichere Anwendung der alphabetischen Strategie als notwendige Voraussetzung orthographischen Kompetenzaufbaus ausweisen, Zweifel an der methodischen Anlage und empirischen Validität der Ergebnisse zu. Neubauer und Kirchner (2014) präsentieren beispielsweise entsprechende Leistungsmuster, die jedoch hauptsächlich als Reproduktionen der Inputbedingungen verstanden werden müssen: Beide evaluierten Förderprogramme und auch das eingesetzte Verfahren der Leistungserhebung folgen den herkömmlichen erwerbstheoretischen Annahmen und vermögen daher keinen Aufschluss darüber zu geben, ob Lernende bei einer anderen Lerngegenstandspräsentation nicht auch andere Entwicklungsverläufe zeigen würden. Die Annahme einer natürlichen, ungesteuerten Erstorientierung von Schreibnoviz/-innen an Einzellauten und der daraus abzuleitenden Aufgabe des Erstschreibunterrichts, den Ausbau der alphabetischen Strategie

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zu unterstützen, wird jedoch nicht nur auf der Grundlage forschungsmethodischer Problematisierungen, sondern auch aus sachanalytischer Perspektive und damit übereinstimmenden Erfahrungsberichten zu den ersten schriftsprachlichen Aneignungsprozessen von Lernenden infrage gestellt: Allgemeine Beobachtungen zum kindlichen Sprach- und Lexikonerwerb zeigen, dass Kinder sich schon früh maßgeblich an Akzentstrukturen und somit betonten und unbetonten Silben orientieren (vgl. u. a. Penner et al. 2006, S. 80ff.). Diese Orientierung an silbischen Mustern wird auch in schriftsprachlichen Erwerbs- bzw. Lernprozessen beobachtet, wohingegen der einzelne Laut den Lernenden in der Regel nicht voraussetzungslos zugänglich ist. Gründe hierfür werden in erster Linie in der Gegenstandsstruktur des gesprochenen Wortes selbst verortet: So verweist schon Maas (1989) darauf, dass Laute im gesprochenen Wort nur „in der koartikulierten Einheit der Silbe“ (ebd., S. 227) vorzufinden sind, sie Schreibanfänger/-innen also nicht per se und v. a. nicht in klar isolierter phonologischer Gestalt zur Verfügung stehen. In seinen weiteren Analysen ermittelt Maas zudem, dass Untersuchungen subsyllabischer Elemente im Schrifterwerb erst dann möglich sind, wenn silbenstrukturelles Wissen und Schrifteinsicht vorhanden sind (vgl. z. B. Maas 2015, S. 123, 138). Dieser Aspekt erfährt im gegenwärtigen schriftsprachdidaktischen Diskurs zunehmend Beachtung und wird daher in den sprachwissenschaftlichen und -didaktischen Ausführungen der vorliegenden Arbeit tiefergehend betrachtet (s. Kapitel 4 und 5). Insgesamt konnte diese knappe vergleichende Betrachtung von einund zweiphasigen Modellvorstellungen verdeutlichen, dass zentrale Streitpunkte anhand der bisherigen Untersuchungsergebnisse nicht zufriedenstellend gelöst werden können. Empirisch eruierte Entwicklungsmuster stehen überzeugenden schrift(erwerbs)theoretischen und methodischen Einwänden gegenüber, die bisher in keinen allgemeinen Konsens überführt werden konnten und in der Schrifterwerbsforschung, insbesondere im Hinblick auf die Lernbedingungen lernschwächerer Schüler/-innen, weiterhin kontrovers diskutiert werden. Trotz der undurchsichtigen Befundlage werden die skizzierten – ein- oder zweiphasigen – Modellannahmen in den Konzeptionen, die die gegenwärtige Unterrichtspraxis an deutschen Grundschulen lenken, in unterschiedlicher unterrichtsmethodischer Umsetzung aufgegriffen. Klärende Einsichten in die grundsätzliche Anlage schriftsprachlicher Erwerbs- und Lernprozesse erhofft sich die schrift- und orthographiedidaktische Forschung deshalb auch von Studien, die die Wirksamkeit der existierenden schriftsprachdidaktischen Konzeptionen für das (Recht-)Schreibenlernen

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von Grundschüler/-innen überprüfen. Um das Forschungsvorhaben und die schrifttheoretische Verortung der vorliegenden Interviewstudie im Hinblick auf die empirische Befundlage abschließend begründen zu können, sollen Ergebnisse dieser Studien im letzten Abschnitt dieses Forschungsüberblicks präsentiert werden. 3.3.4

Didaktische Konzeptionen für die Anregung schriftsprachlicher Lernprozesse

Die vielen empirischen Hinweise auf teilweise (sehr) schwache Rechtschreibleistungen von Schüler/-innen, aber auch von Teilen der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland tragen maßgeblich dazu bei, dass die Frage nach der zielführenden Anlage orthographischer Lehr-Lern-Prozesse auch nach Jahren intensiver Diskussionen weiterhin den fachlichen Diskurs beherrscht. In den vorangegangenen Ausführungen wurden bereits unterschiedliche konzeptionelle Vorstellungen zur Anregung von schriftsprachlichen und speziell orthographischen Aneignungsprozessen skizziert, die sich aus den jeweiligen Erwerbsannahmen und angelegten Schrifttheorien ergeben. In der Fachliteratur finden sich insgesamt divergente Einteilungen von Konzeptionen zum (Recht-)Schreibenlernen (u. a. bei Hanke 2005; Enders 2007; Weinhold 2009; Huneke 2010; Schründer-Lenzen 2013; Brinkmann 2013; Brügelmann 2013; Hinney 2014). Oftmals gehen diese aus unterschiedlichen Kriterien hervor, die zur Identifizierung eines Unterrichtsansatzes als eigene schriftsprachdidaktische ‚Konzeption‘ herangezogen werden. Huneke (2010) schreibt beispielsweise von einer „erheblichen Spannbreite“ (ebd., S. 316) der Ansätze, die im Orthographieunterricht zur Anwendung kommen, und bestimmt diese dahingehend, „ob und in welcher Weise sie Elemente von unterrichtlicher Instruktion vorsehen, um die ‚innere Regelbildung‘ beim Rechtschreiberwerb zu unterstützen“ (ebd.). Er bezieht sich damit in erster Linie auf Kriterien der instruktiven Rahmung von Lernprozessen, die zwar bestimmte Annahmen zur Struktur des Lerngegenstands implizieren, die Sachstruktur aber nicht als vordergründiges Unterscheidungsmerkmal ausweisen. In anderen Einteilungen ist wiederum eine Vermischung von schrifttheoretisch fundierten Konzeptionen und von eher an der konkreten Methodik orientierten Unterrichtsformaten zu konstatieren. Die Abschnitte 3.3.1 und 3.3.2 haben eine Möglichkeit vorgestellt, die Ansätze anhand ihrer gegenstandsstrukturellen und erwerbsbzw. lerntheoretischen Fundierung zu ordnen. Für die Bearbeitung des hier leitenden Erkenntnisinteresses wird die dort vorgenommene grobe

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Klassifizierung stärker lerner- und stärker gegenstandsbezogener Konzeptionen sowie ein- und zweiphasiger Modellvorstellungen für ausreichend befunden. Werden im Weiteren die existierenden Befunde zur Wirksamkeit schriftsprachdidaktischer Unterrichtskonzeptionen dargestellt, zeigt sich jedoch, dass die Klassifizierungsrichtlinien nicht alle Aspekte, die in den Studien untersucht werden (z. B. das gleichschrittige Vorgehen in Fibellehrgängen gegenüber ‚offeneren‘ Zugängen), greifen können. Die folgenden Ausführungen beziehen daher auch weitere Aspekte ein, die in den einzelnen Studien als konzeptionelle Merkmale untersucht werden. In Referenz auf das primäre Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit (s. Kapitel 6 und 7) werden jedoch nur neuere Studien angeführt, in denen sowohl segmentbasierte als auch (im weitesten Sinn) suprasegmental bzw. silbisch ausgerichtete Unterichtskonzeptionen untersucht und verglichen werden. Eine der aktuellsten dazu vorliegenden Studien ist die längsschnittliche Interventionsstudie (2010-2013) von Hein (2015), in der neben den weiteren schriftsprachbezogenen Kompetenzbereichen auch die rechtschriftlichen Entwicklungsverläufe von Schüler/-innen von Klasse 1 bis 3 erfasst werden. Untersucht werden die orthographischen Lern- und Leistungsverläufe in vier Klassen einer Grundschule mit bildungsnaher Schülerschaft. Dabei erhalten die 20 Lernenden der Interventionsklasse einen sprachsystematischen, d. h. auf zentralen Erkenntnissen der Graphematik basierenden Unterricht, der mit schriftkulturellen Lernangeboten verknüpft wird (-> einphasige Modellierung). Die Auseinandersetzung mit dem Schriftsystem orientiert sich an den graphematischen Erkenntnissen Eisenbergs (2013) und den didaktischen Modellierungen Hinneys (1997) sowie deren Erweiterungen durch Blatt (2010).22 Dabei dient das prototypische zweisilbige Wort als konsequent analyseleitende Referenzgröße schriftanalytischer Operationen (s. auch 4.5), wenngleich z. T. weitere methodische Unterstützungssysteme genutzt werden (vgl. Hein 2015, S. 129– 134). Zur vergleichenden Untersuchung der Lernerfolge werden drei Parallelklassen als Kontrollklassen eingesetzt. Die lehrgangsgebundene Rechtschreibarbeit folgt in diesen Vergleichsgruppen übereinstimmend einer ‚traditionelleren‘ Konzeption des Schriftspracherwerbs, in der die Erarbeitungsrichtung vom gesprochenen zum geschriebenen Wort und damit

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Die schrifttheoretische und -didaktische Positionierung Heins stimmt in der grundsätzlichen Anlage mit der hier leitenden Vorstellung eines schriftsystemorientierten Schriftsprachunterrichts (s. 5.1) überein.

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verbunden eine Zweiteilung schriftkultureller und -systematischer Lernprozesse leitend sind (vgl. ebd., S. 129). Zur Datenerhebung nutzt Hein sowohl quantitative Rechtschreibtests und Verfahren der Lernstandsbeobachtung als auch qualitative Videoanalysen von Unterrichtssequenzen. Sie ermittelt in der umfassenden Auswertung klare Leistungsvorteile der Interventionsklasse: Zum einen zeigen die Schüler/-innen, die einen sprachsystematischen Unterricht erhalten, ihren Auswertungen zufolge deutlichere Lernzuwächse als die Lernenden der Vergleichsklassen, zum anderen ergeben sich in der Auswertung nach Leistungsquartilen in der Interventionsklasse eine besonders stark ausgeprägte Leistungsspitze und ein unbesetztes unterstes Leistungsquartil (vgl. ebd., S. 244f.). In zwei der Kontrollklassen sind hingegen die beiden unteren Quartile relativ stark ausgeprägt, wohingegen die dritte Kontrollklasse vorwiegend Leistungen im oberen Bereich erzielt (vgl. ebd., S. 245). Die qualitative Auswertung der Lernbeobachtungen deutet darauf hin, dass die Schüler/-innen der Leistungsspitze auf der Basis gewonnener Systemeinsichten sprachanalytische Operationen gewinnbringend nutzen, um sich die richtigen Schreibungen von Wörtern herzuleiten. Den schwächeren Lernenden gelingt der zielführende Einsatz von Strategien laut Hein hingegen nicht zwangsläufig (vgl. ebd., S. 246). Aufgrund der sehr schmalen Datenbasis, der forschungsmethodisch nicht unproblematischen Doppelrolle der Autorin als Forscherin und Lehrerin der Interventionsklasse und der sehr begünstigten sozialen Rahmenbedingungen der Untersuchungsgruppe sind die skizzierten Ergebnisse jedoch nur als Tendenzen zu werten, aus denen vorsichtige Hypothesen und weiterführende Untersuchungsbemühungen abgeleitet werden können. Zudem zeigt eine vergleichbar angelegte Studie (Weinhold 2009) Leistungsverläufe auf, die z. T. von den Befunden Heins abweichen. Weinhold (2009) geht in einem Längsschnitt (2003-2007) der Frage nach, inwiefern verschiedene rechtschreibdidaktische Ansätze zu unterschiedlichen, also konzeptspezifischen Entwicklungsverläufen der Rechtschreibleistungen der Schüler/-innen führen. Sie legt den Fokus auf die Silbenanalytische Methode nach Röber (dazu ausführlich: 5.1.3) und zieht zum Vergleich zwei Fibellehrgänge mit unterschiedlich stark strukturiertem Vorgehen sowie den Ansatz Lesen durch Schreiben nach Reichen heran. Es spielen also einerseits die schrifttheoretische Fundierung (segmentbasiert in den Fibellehrgängen und im Vorgehen nach Reichen vs. suprasegmental im Vorgehen nach Röber) und die daran geknüpfte didaktische Gegenstandsmodellierung (zweiphasig nach Reichen vs. einphasig nach Röber), andererseits durch die Einordnung in das Spannungsfeld Offenheit

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vs. Lehrgangsgebundenheit auch eher allgemeinpädagogische Kriterien eine Rolle. Die Ergebnisse fallen insgesamt ernüchternd aus: Weinhold beobachtet lediglich am Anfang der Grundschule unterschiedliche Entwicklungsverläufe von ‚Silben- und Fibelkindern‘23 (vgl. ebd., S. 70), am Ende der zweiten Klasse sind keine quantitativen Leistungsunterschiede zwischen den Konzepten zu erfassen (vgl. ebd., S. 63). Zwar zeigen sich in Klasse 3 phasenweise leichte Vorteile für die silbenorientierte Herangehensweise, diese nivellieren sich aber bis zum Ende der vierten Klasse wieder (vgl. ebd., S. 64). Lediglich im Bereich Lesen fallen die Werte leicht zugunsten der ‚Silbenkinder‘ aus (vgl. ebd., S. 70). Für die in der vorliegenden Arbeit interessierende Auseinandersetzung mit silbenorientierten Ansätzen sind jedoch auch die Erkenntnisse Weinholds nur bedingt aussagekräftig, denn zum einen beschränkt sich die Untersuchung auf ein phonologisches Silbenkonzept (Röber) und unterscheidet sich darin von dem bei Hein (2015) fokussierten Schreibsilbenansatz, zum anderen wird die tatsächliche Konzepttreue bei der Umsetzung der Ansätze durch die Lehrkräfte nicht klar erfasst (vgl. dazu auch kritisch Hinney 2014, S. 149). Weinhold selbst verweist auf einen weiterführenden Forschungsbedarf zur Frage, „welche der Randbedingungen für die erfolgreiche(re) Umsetzung von methodisch-didaktischen Konzepten besonders wichtig sind“ (Weinhold 2009, S. 72). Krauß (2014) liefert wiederum eine Studie, die u. a. zwei Silbenkonzeptionen mit unterschiedlicher Ausrichtung näher untersucht. Über einen Erhebungszeitraum von knapp zwei Jahren vergleicht sie in einem ähnlichen Untersuchungsdesign wie dem der Interventionsstudie von Hein die Leistungen von Grundschüler/-innen einer Versuchsklasse, die einen an der graphematischen Silbe orientierten Unterricht erfahren, mit einer hauptsächlich sprechsilbisch arbeitenden Klasse sowie einer weiteren Klasse mit traditionell segmentorientierter Leselernmethode. Ihre Auswertungen konzentrieren sich auf den Umgang mit Schärfungs- und Dehnungsmarkierungen im Bereich der Wortschreibung. Krauß ermittelt im Bereich der markierten Vokalkürze (Schärfung) Leistungsvorteile beider silbenorientiert unterrichteten Klassen bei Echtwörtern sowie einen zusätzli-

23

Die Leistungen der Kinder, die nach dem Konzept Lesen durch Schreiben unterrichtet wurden, werden in den quantitativen Analysen aufgrund der kleinen Stichprobe nicht erfasst (vgl. Weinhold 2009, S. 59).

3.3 Modellbildungen zum schriftsprachlichen Lehren und Lernen

57

chen Vorsprung der Versuchsklasse (mit Orientierung an der graphematischen Silbe) gegenüber der silbenphonologisch ausgerichteten Untersuchungsklasse bei diktierten prototypisch zweisilbigen Pseudowörtern (vgl. ebd., S. 150). Sie wertet dies, verbunden mit der Beobachtung, dass Schüler/-innen der traditionell unterrichteten Klasse im Unterschied zu den Silbengruppen teilweise auch Markierungen an inadäquaten Wortpositionen vornehmen, als Hinweis, dass die Arbeit mit Silben die Erfassung von Schärfungsmarkierungen grundsätzlich begünstigt. Zudem geht sie davon aus, dass die besondere Beachtung der graphematischen Silbenstrukturen den Transfer von Schrifteinsicht auf unbekanntes Wortmaterial fördert (vgl. ebd., S. 161). Wie bei den beiden zuvor beschriebenen Studien von Hein und Weinhold ist auch in diesem Fall die Stichprobe so klein, dass die Befunde die Wirksamkeit von schrifttheoretischen Konzeptionen nur andeuten können, zumal die ermittelten Leistungsdiskrepanzen zwischen den untersuchten Klassen bei Krauß nur die markierte Vokalkürze betreffen und selbst da z. T. recht klein ausfallen. Inwiefern Krauß‘ gezielte Betrachtung von Ansätzen, die primär auf der phonologischen Silbe fundieren, und solchen, in denen die graphematische Silbe im Fokus steht, auch ein bedeutsames Anliegen der vorliegenden Interviewstudie darstellt, sollen die weiteren Kapitel 4 und 5 sowie der empirische Teil der Arbeit demonstrieren. Weiter zurückliegende Untersuchungen von schriftsprachdidaktischen Unterrichtskonzeptionen, die nicht spezifisch auf silbenorientierte Ansätze, sondern zumeist auf unterschiedliche Offenheits- bzw. Strukturierungsgrade der Unterrichtsformen eingehen (u. a. Hanke 2005; Kirschhock 2004; Schründer-Lenzen und Merkens 2006; Hüttis-Graff 1998; Poerschke 1999) ermitteln, mitunter als Folge uneinheitlicher Definitionen der Ansätze und i. d. R. recht kleiner Stichproben, kaum übereinstimmende Tendenzen. Die Beobachtung Poerschkes (1999), nach der leistungsschwache Schüler/-innen stärker von strukturierten Unterrichtsformen profitieren, erscheint in Referenz auf die skizzierten Befunde zur Rechtschreibkompetenz von Lernenden (s. 3.1) aber grundsätzlich einleuchtend. Brügelmann (2013) hält mit Blick auf die Forschungslage zur Wirksamkeit von didaktischen Konzeptionen fest, dass aufgrund der fehlenden empirischen Beweise der Überlegenheit einer bestimmten Unterrichtskonzeption andere Faktoren, z. B. die Lehrerkompetenz (vgl. auch Fay 2010, S. 165), eine bedeutendere Rolle spielen sollten (vgl. Brügelmann 2013, S. 17). Forschungen, die also weitere Einflussgrößen auf die Gestaltung

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3 Schriftsprachliches Lehren und Lernen in Deutschland

von Lehr-Lern-Prozessen in den Blick nehmen, könnten Hinweise dazu liefern, wie Lehrende auf der Grundlage welcher Entscheidungen die konzeptionellen Leitlinien umsetzen. Auf diese Weise wäre es möglich, die bestehenden Konzeptionen auf ihre ‚Praxistauglichkeit‘ und auf die notwendigen Voraussetzungen seitens der Lehrkräfte hin zu überprüfen, also ihre Potenziale und Grenzen zu eruieren – „und vielleicht auch Bedingungen [zu] benennen, unter denen erstere besonders gut entfaltet und letztere möglichst weitgehend vermieden werden.“ (ebd.)

3.4 Fazit Der Forschungsüberblick dieses Kapitels hat eine in mehrfacher Hinsicht unbefriedigende Befundlage präsentiert: Zum einen wurden beachtenswerte Defizite in den Rechtschreibleistungen von Schüler/-innen und dem orthographiebezogenen fachinhaltlichen und -didaktischen Wissen der Lehrenden in Deutschland festgestellt, zum anderen konnten weder für die theoretische Modellierung noch für die praktische Umsetzung schriftsprachlicher Lehr-Lern-Prozesse empirische Erkenntnisse mit eindeutig richtungsweisender Implikation aufgezeigt werden. Sowohl in der Auseinandersetzung mit den fokussierten Personengruppen (Lernende, Lehrende) als auch mit den Komponenten der konzeptionellen Unterrichtsgestaltung spielten (angenommene) Zusammenhänge zwischen Schreibung und Lautung, segmentalen und suprasegmentalen Strukturen, Lesen und (Recht-)Schreiben sowie Lernen und Unterricht eine Rolle. Als nach wie vor dominierend können Vorstellungen und unterrichtsmethodische Orientierungen identifiziert werden, die, zumindest für den Erstschreibunterricht, die Erarbeitungsrichtung vom gesprochenen zum geschriebenen Wort und die Konzentration auf das einzelne Segment als primäre Richtlinien ansehen. Mit Blick auf die präsentierten Forschungsergebnisse sowie allgemeine Erfahrungswerte ist letztlich nicht von der Hand zu weisen, dass viele Schüler/-innen, die einen an den herkömmlichen (zweiphasigen) Erwerbsannahmen orientierten Unterricht durchlaufen, zu erfolgreichen Rechtschreiber/-innen werden. Ihnen steht, wie Teilkapitel 3.1 zeigen konnte, eine nicht geringe Anzahl von Schüler/-innen gegenüber, denen die Entdeckung schriftspezifischer Strukturen (ohne systematische Anleitung) allem Anschein nach nicht gelingt. Im Hinblick auf diese Gruppe der Lernenden, deren Rechtschreibkompetenz im ungünstigsten Fall langfristig unter dem Regelniveau verharrt, werden zunehmend Forderungen nach didaktischen Veränderungen und mitunter auch nach der

3.4 Fazit

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Überwindung herkömmlicher Erwerbsvorstellungen und Unterrichtsansätze laut. Für das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie erweisen sich in diesem Zusammenhang v. a. folgende zuvor geschilderte Beobachtungen als relevant: 1. Die langfristigen orthographischen Schwierigkeiten der Schüler/-innen in Deutschland betreffen u. a. regelhafte Strukturen im Wortinneren, obwohl diese sich auf der Grundlage schriftlinguistischer Erkenntnisse gut systematisieren lassen und somit auch für Schüler/-innen durchschaubar sein sollten. 2. Der segmentbasierten Erstorientierung im Schriftsprachunterricht und der prinzipiell separaten Betrachtung des Lesen- und Schreibenlernens stehen sachstrukturelle Gegenargumente sowohl aus der Phonologie als auch aus der Graphematik gegenüber. 3. Empirische Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Unterrichtsansätzen, die von vornherein an regelhaften und segmentübergreifenden (v. a. silbischen) Strukturen des deutschen Schriftsystems orientiert sind, liefern zumindest Anhaltspunkte für deren lernförderliches Potenzial. Warum die angeführten Aspekte in der vorliegenden Arbeit als – empirisch zu bestätigende – Argumente für eine zielführendere Orientierung an einer einphasigen Modellierung des schriftsprachlichen Lernens gedeutet werden, sollen die weiteren Kapitel verdeutlichen. Um die untersuchungsleitende schrifttheoretische und -didaktische Positionierung umfassend zu begründen, bedarf es dabei im ersten Schritt einer fundierten Sachanalyse ihres Forschungsgegenstands. Mit diesem Ziel werden in Kapitel 4 Strukturen des deutschen Schriftsystems mit besonderem Blick auf die Wortschreibung einer differenzierten Analyse unterzogen und so der Auseinandersetzung mit wortstrukturorientierten Ansätzen in Kapitel 5 zugänglich gemacht.

4

Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

Im Forschungsüberblick zum schriftsprachlichen Lehren und Lernen in Kapitel 3 wurde deutlich, dass in vielen schrifttheoretischen wie -didaktischen Modellierungen eine Hierarchisierung von gesprochener und geschriebener Sprache vorgenommen und das lautsprachliche System dabei in den meisten Fällen als zentrale Bezugsgröße der geschriebenen Sprache betrachtet wird. Dass die Annahme des lautsprachlichen Primats nicht aus rein didaktischen Erwägungen zur Lehr- und Lernbarkeit des Gegenstands Schriftsprache hervorgegangen ist, sondern auch in der Historiogenese der deutschen Schreibung und ihrer linguistischen Beschreibung nachgezeichnet werden kann, wird in diesem Kapitel zunächst knapp dargestellt, um die im Anschluss vorgenommene eingehende Untersuchung des phonologischen und des graphematischen Wortes zu begründen. 4.1 Zum Zusammenhang phonologischer und graphematischer Wortstrukturen Noch im 19. Jahrhundert wurden systemlinguistische Erkenntnisse zur deutschen Sprache vor allem über die Analyse der geschriebenen Sprache gewonnen; eine Methodik, die bei der Untersuchung historischer Sprachstufen unumgänglich ist, da diese nur in Schriftdokumenten greifbar sind (vgl. Kohrt 1985, S. 43). Das Ziel, die lautsystematischen Merkmale älterer Sprachstufen über die Schriftanalyse zu ermitteln, war dabei mit der Vorstellung verknüpft, dass die geschriebene Sprache das Gesprochene eins zu eins wiedergibt (vgl. ebd.). Zwar wurde eine solche Herangehensweise in der Linguistik ab dem Ende des 19. Jahrhunderts schrittweise durch eine Fokussierung auf die gesprochene Sprache als autonomes System ersetzt und dadurch auch ein Korridor für die Etablierung einer eigenständigen Schriftlinguistik eröffnet, die Annahme einer nachgeordneten Rolle der geschriebenen Sprache und mitunter auch die klare Zurückweisung ihrer Bestimmung als „Forschungsgegenstand eigenen Rechts" (Glück 2016, S. 2) blieben aber, wesentlich befördert durch de Saussure (1916) und Bloomfield (1933), bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts existent (vgl. Neef 2005, S. 4).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Schröder, Der Lerngegenstand Wortschreibung aus der Sicht von Lehrenden, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24828-4_4

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4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

Ein solches Verständnis der geschriebenen Sprache als „sekundäre und minderwertige Ausdrucksform der gesprochenen Sprachform“ (Glück 2016, S. 2) wird in der heutigen Sprachwissenschaft unter dem Begriff der Dependenzhypothese, auch Abhängigkeits- oder Ableitbarkeitshypothese, zusammengefasst (vgl. u. a. Dürscheid 2016; Glück 2016; Enderle 2005; Neef 2005). Obschon Glück (2016, S. 2) die Annahme einer eindeutigen Schriftdependenz als vorwiegend in der älteren Forschung verbreitete und inzwischen überwundene Position ausweist, zeigen Dürscheids Ausführungen (2016, S. 36f.), dass methodische ebenso wie sprachsystematische Argumente für die Dominanz der gesprochenen gegenüber der geschriebenen Sprache auch in der neueren wissenschaftlichen Auseinandersetzung noch eine Rolle spielen. Eine dependenztheoretische Sicht auf das Schriftsystem basiert dabei auf der grundlegenden Vorstellung von Schrift als Visualisierung gesprochener Sprache: Aus den phonologischen Segmenten des gesprochenen Wortes, den Phonemen, sind demnach die Segmente des geschriebenen Wortes, die Grapheme, abzuleiten (vgl. Dürscheid 2016, S. 36). Neben dieser strukturell-funktionalen Annahme führen Verfechter der Dependenzhypothese vor allem historiogenetische Argumente an, um das postulierte Primat der gesprochenen Sprache zu untermauern, und verweisen u. a. darauf, dass der Schriftspracherwerb sowohl in der Soziogenese als auch in der Ontogenese der Aneignung des lautsprachlichen Systems zeitlich nachgeordnet ist, also in beiden Entwicklungsverläufen später erfolgt. Vertreter der Autonomiehypothese als das Gegenstück zur Dependenztheorie fassen die geschriebene Sprachform hingegen dezidiert als Forschungsgegenstand mit einer eigenen, der gesprochenen Sprache gleichrangigen Existenzberechtigung auf. In einer radikalen Interpretation dieser Unabhängigkeitsannahme wird sogar jeglicher Zusammenhang zwischen lautsprachlicher und schriftsprachlicher Repräsentation von Wörtern negiert. Die Mehrheit der Sprachwissenschaftler/-innen nimmt jedoch eine gemäßigtere Position ein (vgl. u. a. Glück 2016, S. 80; ausführlich bei: Enderle 2005) und sieht in einer separaten Auseinandersetzung mit beiden Repräsentationsformen von Sprache die Chance, zu einer differenzierten Beschreibung der konstitutiven Ausdrucksformen eines Sprachsystems zu gelangen, in dem sprech- und schriftsprachliche Repräsentationen medial verschiedene, aber grundsätzlich gleichwertige und eigenständige Realisierungsformen von Sprache darstellen (vgl. Dürscheid 2016, S. 38). Die Gründe für eine autonome Untersuchung von Schriftstrukturen lassen sich primär den folgenden Bereichen zuordnen. Sie betreffen

4.1 Zum Zusammenhang phonologischer und graphematischer Wortstrukturen

63

(a) die Gegenstandsstruktur: Während die gesprochene Sprache ein Lautkontinuum darstellt, dessen Segmente erst „aus dem besagten Kontinuum ‚herauspräpariert‘ werden [müssen]“ (Kohrt 1998, S. 557) bzw. dessen Segmentierbarkeit nach Eisenberg (2013, S. 286) generell zu hinterfragen ist (siehe auch (b)), verfügt das Geschriebene über klar abgrenzbare Einheiten. Schon aufgrund dieser unterschiedlichen ‚Materialität‘ von Laut- und Schriftsprache können, so u. a. Günther (1988), für die Beschreibung und Analyse der phonologischen Einheiten nicht dieselben Untersuchungskriterien angelegt werden wie für die Beschreibung und Analyse graphematischer Einheiten (vgl. Günther 1988, S. 17). Überdies ist nach Eisenberg (2013) zu berücksichtigen, dass die im gesprochenen und geschriebenen Wort kodierten grammatischen Informationen nicht nur medial unterschiedlich repräsentiert werden, sondern ohnehin nicht in jedem Fall identisch miteinander sind: Hilft im Gesprochenen beispielsweise die Prosodie bei der Identifikation der jeweils zutreffenden morphologischen Struktur von trennbaren vs. untrennbaren Verben in ihren infiniten Formen (z. B. ˈumfahren vs. umˈfahren), kann diese Information dem Schriftbild selbst nicht entnommen werden, sondern muss im Geschriebenen aus dem Satzkontext erschlossen werden. Auf der anderen Seite liefert z. B. die morphologisch bedingte Umlautschreibung bei (das) Läuten vs. Leuten eindeutige Hinweise zur schnellen Bedeutungszuweisung, während im Gesprochenen wiederum nur der Satzkontext disambiguierend wirkt. (b) methodische Aspekte: Nach Eisenberg (u. a. 1989, 2013) ist die isolierte Untersuchung von Schriftstrukturen nicht nur möglich, sondern in Anlehnung an die in (a) genannten Differenzierungen methodisch sogar notwendig, um überhaupt Aussagen über den Zusammenhang von gesprochener und geschriebener Sprachform treffen zu können. Er plädiert für eine vom Lautsystem unabhängige Analyse von Schriftstrukturen, „weil nur so feststellbar ist,

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4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

wo Schriftsystem und Lautsystem isomorph sind und wo nicht“ (Eisenberg 1989, S. 59).24 In diesem Zusammenhang wird auch oft darauf verwiesen, dass die Aufmerksamkeit für viele sprachliche Strukturen und das Interesse an ihrer systematischen Untersuchung ohnehin erst durch die Beschäftigung mit der Schrift(grammatik) geweckt werden (vgl. Dürscheid 2016, S. 39) – was sich nicht zuletzt auch im Schriftspracherwerb von Lese- und Schreibanfänger/-innen widerspiegelt (dazu ausführlich: Kapitel 5). Wie bereits angeführt, wird eine extreme Form der Autonomietheorie in der gegenwärtigen Forschung überwiegend abgelehnt. Zahlreiche Sprachwissenschaftler/-innen plädieren für die Annahme einer Schriftautonomie „in schwächerer oder relativer Form“ (Neef und Primus 2001, S. 354) und eine dementsprechend methodisch differenzierte Behandlung der gesprochenen und geschriebenen Sprache (vgl. auch Kohrt 1998, S. 556; zusammenfassend: Dürscheid 2016, S. 41). Die Annahme von relativer Eigenständigkeit der Schrift wird auch als Interdependenzhypothese bezeichnet, die der Schriftsprache zwar den Status eines autonomen und somit nicht der gesprochenen Sprache nachgeordneten Forschungsgegenstandes zuspricht (vgl. Glück 2016, S. 301), gleichzeitig aber (zumindest partiell25) die genetische Dominanz der gesprochenen Sprache ebenso wie die vielfältigen (bidirektionalen) Beziehungen zwischen laut- und schriftsprachlichen Ausdrucksformen auf den verschiedenen Ebenen des Sprachsystems anerkennt (vgl. Nerius und Baudusch 2007, S. 27). Hinney und Menzel (1998) heben zur Untermauerung der Interdependenzannahme zudem hervor, dass sich Schriftsystem und Lautsprache prinzipiell „gemeinsam und nach vergleichbaren Gesetzmäßigkeiten“ (ebd., S. 265) entwickeln; zwar ergeben sich z. T. abweichende sprech- und schriftsprachliche Dynamiken, der Bezug zum Sprachgebrauch spielt bei der Herausbildung der

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Er begründet dies u. a. auch mit dem Hinweis, dass die phonologische Ausdrucksform, die einer Untersuchung der Lautstruktur zugrunde gelegt wird, oftmals bereits (unbewusst) schriftdeterminiert ist. Die Schrift, die hingegen eindeutig in diskrete Einheiten zu unterteilen sei, könne somit eine geeignet(er)e Ausgangsform für eine Untersuchung des Zusammenhangs von Laut- und Schriftsystem bilden: „Eher selten dürfte nämlich die Lautstruktur unsere Schriftwahrnehmung überformen. Viel häufiger überformt die Schriftstruktur den Blick auf das Lautliche." (Eisenberg 2013, S. 286) Nerius und Baudusch (2007) verweisen hierzu auf die federführende Rolle der Schrift bei der Entwicklung einer deutschen Standard- bzw. Einheitssprache (vgl. ebd., S. 23).

4.1 Zum Zusammenhang phonologischer und graphematischer Wortstrukturen

65

heute gültigen orthographisch richtigen Schreibung jedoch stets eine Rolle (vgl. ebd.). Obwohl in der linguistischen Forschung weitgehendes Einvernehmen über die relative Autonomie auf der einen Seite und über die Interdependenz von Laut- und Schriftsystem auf der anderen Seite herrscht, variiert der Umgang mit beiden Sprachformen in den einzelnen Untersuchungen z. T. erheblich. Während Eisenberg (2013) die autonome Schriftanalyse als „methodisches Postulat“ (ebd., S. 286) ausweist, da in seinem Verständnis erst im Erwerb schriftgrammatischen Wissens eine Möglichkeit zur Herstellung von Bezügen zum Gesprochenen besteht, geht es Primus (2000) zunächst ausschließlich um die Erfassung „schriftsystemimmanente[r] Distributionsbeschränkungen“ (vgl. ebd., S. 11); eine Herstellung von Bezügen zur Phonologie ist dabei nicht bzw. nicht primär intendiert. Neef (2005) verortet seine Herangehensweise hingegen explizit auf der dependenztheoretischen Seite, obwohl er die Ableitbarkeit von Schriftstrukturen aus der Lautsprache und die dabei angenommene Abbildfunktion von Schrift zurückweist. Er erkennt Schriftsysteme zwar „als originäre Gegenstände linguistischer Forschung“ (ebd., S. 7) an, betrachtet sie aber weiterhin als sekundäre Zeichensysteme, „die immer einem Sprachsystem nachgeordnet sind“ (ebd.). Für die Wortschreibung legt er dementsprechend fest, „dass phonologische Repräsentationen notwendige Bedingungen für graphematische Repräsentationen sind“ (ebd., S. 15), und begrenzt den Gegenstand der Graphematik auf die Korrespondenz zwischen phonologischen und graphematischen Segmenten (vgl. ebd., S. 8). Mit Blick auf die durch die skizzierten linguistischen Positionen immer wieder aufgeworfene Frage nach den Prämissen einer sachadäquat angelegten Schriftanalyse hebt Eisenberg (2013) das Erfordernis hervor, stets zwischen den jeweils zugrunde gelegten Perspektiven und Untersuchungszielen zu differenzieren (vgl. ebd., S. 286). So unterscheiden sich die Herangehensweise und Zielsetzung der oben angeführten deskriptiven Analyse innergraphematischer Strukturen bei Primus (2000) maßgeblich vom Anliegen funktional-struktureller Untersuchungen zur Beziehung zwischen Laut- und Schriftsystem, wie sie beispielsweise Nerius und Baudusch (2007) vornehmen. Eine Bewertung des gewählten methodischen Zugangs und der erzielten Befunde muss folglich auch vor dem Hintergrund der spezifischen konzeptionellen Ausrichtung und Zielsetzung getroffen werden. Beide Ansätze stellen unter Berücksichtigung der jeweiligen methodisch-konzeptionellen Orientierungsrahmen legitime Herangehensweisen dar, um der relativen Eigenständigkeit und gleichzeitigen In-

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4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

teraktion beider Sprachformen Rechnung zu tragen und umfassende Einblicke in die ihnen zugrunde liegenden Prinzipien zu gewinnen (vgl. auch Kohrt 1998). Als wissenschaftlich überholt können hingegen Zugänge zur Schrift gelten, die die Merkmale und Funktionsweise gesprochener Sprache mit dem Ziel untersuchen, daraus eine Wesensbestimmung des Schriftsystems abzuleiten. Zwar ist mit der Entwicklung des deutschen Schriftsystems zu einer (in ihrer Basis) alphabetischen Schrift im Unterschied zu Wort-, logographischen oder auch Silbenschriften prinzipiell „eine besonders enge strukturelle Beziehung zum Lautsystem“ (Eisenberg 1989, S. 58) verbunden26: Anders als beispielsweise in einem logographischen System wie dem Chinesischen, in dem ein Schriftzeichen i. d. R. ein Morphem abbildet, ist das kleinste bedeutungsunterscheidende Segment einer Alphabetschrift (das Graphem) zunächst nur auf einen Sprachlaut (das Phonem) bezogen (vgl. Eisenberg 2016, S. 62). Das Grundprinzip einer Alphabetschrift besteht also darin, dass sich kleinste schriftliche Repräsentationen kleinsten phonologischen Einheiten zuordnen lassen (vgl. auch Neef 2005, S. 188).27 Dennoch zeigt schon ein Blick auf die Schriftentwicklung, dass eine einseitige Dependenzzuschreibung von Schrift als Abbildung der Eigenschaften phonologischer Segmente unzulässig ist: Wie u. a. Wolfs Untersuchungen (2000) zur Entwicklung von Alphabetschriften im Allgemeinen und des (Frühneuhoch-)Deutschen im Speziellen belegen, bildet das Schriftsystem von Anfang an seine eigene Dynamik aus, in der die Korrespondenz zwischen Graphem und Phonem und somit der Bezug zur Lautung zwar durchgehend gegenstandsbestimmend ist, aber auch „je nach schreibsprachlicher Ebene und/oder je nach Funktiolekt enger oder lockerer sein kann“ (Wolf 2000, S. 1529). Grubmüller (1998) beobachtet zudem, dass die phonographische Korrespondenz auch in den frühen Entwicklungsstufen des deutschen Schriftsystems schon von weiteren Kombinationsregeln sowie durch die Grenzen des zur Verfügung stehenden Grapheminventars ergänzt, überformt und z. T. auch ersetzt wird: „Eine

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Gallmann (1985) definiert die geschriebene Sprache in einem ähnlichen Verständnis als „teilautonomes Subsystem des Systemkomplexes deutsche Sprache […], das besonders enge Beziehungen zum Teilsystem gesprochene Standardsprache [Hervorhebungen im Original] aufweist“ (ebd., S. 9). Die grundlegende Definition bezieht sich auf die kleinsten bedeutungsunterscheidenden Segmente des (Schrift-)Sprachsystems; Systematisierungen phonologisch-graphematischer Beziehungen auf der noch niedrigeren Hierarchieebene der Laut- und Buchstabenmerkmale (vgl. v. a. Primus 2006, 2010) werden hierbei nicht berücksichtigt.

4.1 Zum Zusammenhang phonologischer und graphematischer Wortstrukturen

67

durchgehende […] 1:1-Entsprechung zwischen den Einheiten der geschriebenen und der gesprochenen Sprache hat es deshalb im Dt. zu keinem Zeitpunkt gegeben.“ (ebd., S. 301) Er gibt darüber hinaus an, dass die Wiedergabe der gesprochenen Sprache durch die Schrift historisch ohnehin in einem nur sehr begrenzten Ausmaß intendiert war, wenngleich das ab dem Frühneuhochdeutschen weitgehend gefestigte Phonem- und Grapheminventar immer wieder Bemühungen um eine möglichst eindeutige Zuordnung von Graphemen zu Phonemen unterworfen ist. Diese werden jedoch insbesondere durch regional konkurrierende Schreibvarianten sowie durch den Konflikt zwischen präskriptiver Norm und den in den einzelnen Schreiblandschaften28 etablierten Graphiesystemen behindert (vgl. ebd., S. 305f.). Auf der anderen Seite führen gerade die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Schreibdialekten und das ab dem 16. Jahrhundert zunehmende Interesse an einer „das gesamte Dialektgebiet überdachenden Schriftsprache“ (Szulc 2002, S. 186) zur Ausformung einer einheitlichen deutschen Standardsprache. Die Etablierung einer gesprochenen nhd. Standardsprache erfolgt also nicht auf der Basis überregionaler sprechsprachlicher Normierungen, sondern wird im Wesentlichen von der Schriftlichkeit angetrieben (vgl. Wolf 2000, S. 1537). Hierin zeigt sich eindrücklich, warum der geschriebene Standard als Leitvarietät des Standarddeutschen gelten kann (dazu u. a. Eisenberg 2008) – und es deutet sich an dieser Stelle bereits an, warum das Geschriebene auch als leitende Bezugsgröße des schulischen Schriftspracherwerbs eingesetzt werden kann (s. Kapitel 5). Für die beschriebenen Entwicklungstendenzen der deutschen Schriftsprache zeichnet sich auch die zunehmend rezipientenorientierte Ausrichtung der Schrift und damit ein nach Raibles Befunden (1991, S. 31) wesentliches Merkmal der Diachronie von Alphabetschriften verantwortlich. Das Bemühen um einen leserfreundlichen geschriebenen Standard durch die Aufnahme von grammatischen Informationen wirkt dem Bestreben nach einer möglichst genauen Wiedergabe phonetisch-phonologischer Eigenschaften entgegen. Anstelle einer rein phonetischen Transkription ist die „sukzessive Einführung von Lesehilfen“ (Raible 1991, S. 32), u. a. die Markierung von Wortgrenzen oder auch größerer morphologischer und

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Hier erweisen sich die meißnische Schriftsprache sowie die Graphien der Luthersprache und der Kanzleisprachen als zentrale Einflussgrößen auf die Entwicklung einer einheitlichen Schriftsprache (ausführliche Darstellung bei: Szulc 2002, S. 185ff.).

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4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

syntaktischer Einheiten, für den weiteren Ausbau der geschriebenen Sprache prägend (vgl. ebd., S. 35f.).29 Dieser knappe Exkurs zur Entwicklungsgeschichte der geschriebenen Sprache macht bereits deutlich, dass ein Untersuchungsansatz, der die phonologische Theorie zur entscheidenden Bezugsgröße des Schriftsystems erklärt, ihrem Wesen nicht gerecht werden kann und schon allein historiogenetisch zu kurz greift. In der vorliegenden Arbeit wird daher in Anlehnung an Eisenberg (u. a. 1989, 2013) und Primus (2000) davon ausgegangen, dass das Festhalten an einer einseitigen phonembasierten Untersuchungsrichtung bei der Beschäftigung mit Schriftstrukturen fachlich nicht haltbar ist. Stattdessen soll die zunächst von der Lautung isolierte, binnenstrukturelle Analyse des graphematischen Wortes – und zwar auf den unterschiedlichen Strukturebenen – Einsichten in die spezifische Organisation des geschriebenen Wortes ermöglichen. Darauf aufbauend können dann die rezipientenbezogene Leistung des Schriftsystems und seine Beziehung zum gesprochenen Wort beleuchtet und Gründe dafür aufgezeigt werden, warum die Kodierungen des Schriftsystems teilweise funktional und strukturell von denen des Lautsystems abweichen (vgl. u. a. Eisenberg 1989, S. 59; Eisenberg 2013, S. 286). Mit dem Ziel, den Zusammenhang zwischen Schrift- und Lautanalyse gegenstandsbasiert zu erfassen und somit eine fundierte Grundlage für die Auseinandersetzung mit schrift- bzw. orthographiedidaktischen Vermittlungswegen zu schaffen, werden im Weiteren sowohl die phonologischen Grundlagen des deutschen Wortes als auch dessen graphematische Realisierung dargelegt. Dies erfolgt weitgehend getrennt voneinander, wenngleich stellenweise Bezüge zur jeweils anderen Ausdrucksform hergestellt werden, wenn nämlich dezidiert auf modalitätsspezifische Strukturen in der jeweiligen Sprachform oder aber auf die wechselseitigen Einflüsse zwischen beiden Repräsentationsformen eingegangen wird. Da in der vorliegenden Arbeit die graphematische Perspektive erkenntnis- und untersuchungsleitend ist, wird auf eine breite Untersuchung der in den unterschiedlichen Zweigen

29

Neef (2005) bewertet die Analyse des Zusammenhangs zwischen gesprochener und geschriebener Sprache aus einer solchen rezipienten- bzw. rekodierbezogenen Perspektive als gewissermaßen umgekehrte dependenzielle Sichtweise und fasst die Rekodierbarkeit korrespondierender phonologischer Formen als konstitutives Prinzip der geschriebenen Sprache auf (vgl. ebd., S. 16): Er sieht die Aufgabe der Schriftlinguistik dementsprechend darin, „zu modellieren, wie schriftliche Formen es ermöglichen, den Gehalt sprachsystematischer Formen rekodierbar zu machen“ (ebd., S. 8), blendet dabei aber über lautsprachliche Korrespondenzen hinausgehende schriftgrammatische Strukturen aus, was in Teilkapitel 4.3 kritisch beleuchtet wird.

4.2 Phonologische Grundlagen

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und Entwicklungsstufen der deutschen Phonologie existierenden Untersuchungsansätze und Forschungsdiskurse verzichtet. Stattdessen erfolgt eine begründete Fokussierung auf die Erkenntnisse der suprasegmentalen Phonologie, an die sich eine ausführliche Darstellung der deutschen Wortschreibung aus Sicht der Graphematik anschließt. 4.2 Phonologische Grundlagen Wie zuvor dargestellt, erweist sich das in den herkömmlichen Unterrichtskonzepten zur Vermittlung der Wortschreibung postulierte Primat der mündlichen Sprache als sachstrukturell inadäquat. Sowohl die sprachwissenschaftliche (Lern-)Gegenstandsanalyse als auch entsprechende Erfahrungen aus dem Schriftsprachunterricht sprechen gegen die Eignung der segmentalen Phonologie als primäre Bezugsdisziplin zur Fundierung der Wortschreibung (vgl. u. a. Maas 2006, S. 192). Bei einem differenzierten Blick auf den Gegenstand der neueren Phonologie und ihrer einzelnen Zweige zeigt sich jedoch, dass auch in diesem – traditionell an die Lautsprache gebundenen – Teilgebiet der Linguistik eine Tendenz zur Ablösung von der tradierten Vorrangstellung der gesprochenen Sprache besteht (vgl. Domahs und Primus 2015, S. 126). Die Ablösung drückt sich u. a. in den Bemühungen um eine modalitätsübergreifende Phonologie aus, die den Gegenstand der Phonologie nicht auf grundlegende Merkmale des Lautsystems von Sprache begrenzt, sondern einen übergreifenden Zugriff auf die konstitutiven „Eigenschaften von Sprache als kombinatorisches System“ (ebd., S. 125) einlöst und somit Modalitäten der Schrift-, Laut- und Gebärdensprache umfasst. Zum anderen werden in neueren Ansätzen der Phonologie zunehmend Wege zur Beschreibung des Deutschen und der Funktion seiner lautlichen Einheiten über eine suprasegmentale Lautformanalyse gewählt (vgl. u.a. Maas 2006; Primus 2010). Eine solche Perspektive berücksichtigt, dass „phonetische Eigenschaften der Segmente an ihre silbischen Positionen gebunden sind“ (Maas 2015, S. 120) und der in traditionellen Darstellungen der deutschen Phonologie angenommene sekundäre Status der Silbe dem Gegenstand nicht (hinreichend) gerecht wird (vgl. auch Maas 2006, S. 161). Wie das deutsche Lautsystem ‚sachadäquat‘ dargestellt werden kann und aus welchen Gründen die suprasegmentale Phonologie zur Untersuchung der in der vorliegenden Arbeit zentralen Forschungsfragen und zur Erklärung der deutschen Wortschreibung herange-

70

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

zogen wird, soll im Folgenden anhand ausgewählter Strukturen des zweisilbigen phonologischen Wortes als Prototyp des deutschen Erbwortschatzes dargestellt werden. 4.2.1

Der Grundtyp des deutschen phonologischen Wortes

Die für das vorliegende Forschungsinteresse zentrale Einheit zur Beschreibung der lautsprachlichen Eigenschaften des Deutschen ist das phonologische Wort (ω). Es lässt sich in seiner Gestalt zunächst durch die Übereinstimmung mit morphologischen Grenzen definieren: So kann das Wort grundsätzlich aus einem einzelnen Morphem oder aus einer Morphemkombination (beispielsweise aus Stamm- und Derivations- oder Flexionsmorphem) bestehen (vgl. Nübling et al. 2013, S. 14). Das phonologische Wort ist darüber hinaus – analog zum graphematischen (s. 4.5) – auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen organisiert und gliedert sich, wie in Abb. 4 am Beispiel von Mantel illustriert, in hierarchisch absteigender Rangfolge in - den phonologischen Fuß (F) - die phonologischen (betonten und unbetonten) Silben (σ - deren Konstituenten Anfangsrand (A), Silbenkern (K) und Endrand (E) und - die Segmente (Phone bzw. Phoneme), die kleinsten Bausteine des Wortes (vgl. u. a. Domahs und Primus 2015, S. 126).

Abb. 4 Die innere Struktur des phonologischen Wortes

4.2 Phonologische Grundlagen

71

Diese Struktureinheiten des phonologischen Wortes konstituieren den Gegenstand der suprasegmentalen Phonologie. Für Wörter des deutschen Erbwortschatzes ist dabei grundsätzlich eine einfüßige Struktur anzunehmen: Sie bestehen aus nur einem phonologischen Fuß, der von einer betonten Silbe, die also den Hauptakzent trägt, und ggf. weiteren unbetonten Silben artikuliert wird, z. B. Wunder (vgl. Szczepaniak 2007, S. 33)30. Als häufigste Form und somit Grundtyp des deutschen Wortes gilt der Trochäus, der sich aus einer prominenten bzw. betonten Silbe und einer Reduktionssilbe zusammensetzt (vgl. Maas 2006, S. 126; Nübling et al. 2013, S. 15). Auch Eisenberg (2013) bezeichnet den zweisilbigen trochäischen Fuß als den für die deutsche Sprache „mit Abstand wichtigste[n] Fußtyp“ (ebd., S. 31). In den Darstellungen der traditionellen Phonologie wird die phonologische Silbe überwiegend als lineare Abfolge von Sprachlauten betrachtet – Restle (2003) spricht in diesem Zusammenhang auch von der herkömmlichen Vorstellung der Silbe als „Konkatenation von Lauten“ (ebd., S. 92). Unter anderem die Untersuchungen von Sievers (1885, 1901) und Jespersen (1904), die zum sogenannten Sonoritätskonzept der Silbe (s. unten) führten, wertet Restle (2003, S. 93–95) jedoch als Beweis des reinen Konstruktcharakters solcher ‚Einzellautsilben‘. In neueren Darstellungen wird die phonologische Silbe daher als Einheit mit eigenen Strukturen betrachtet, deren spezifische Eigenschaften sich u. a. aus der genauen Analyse der einzelnen Strukturpositionen innerhalb der Silbe ergeben. Aus suprasegmentaler Perspektive kann die phonologische Silbe zunächst über die Einordnung in das oben dargestellte phonologische Hierarchiemodell definiert werden: Sie bildet – entweder als einzelne Silbe oder als Abfolge von einer betonten und einer oder mehreren unbetonten Silben – einerseits den phonologischen Fuß (die nächsthöhere phonologische Beschreibungsgröße) und überlagert andererseits die phonologischen Einzelsegmente. Da sie als „potenzielle[r] Träger von Wortakzenten“31 (Fuhrhop und Peters 2013, S. 77) die rhythmische Gliederung einer Äußerung wesentlich beeinflusst und sich ihre Eigenschaften nicht aus einer reinen Addition der Merkmale ihrer lautlichen Einzelsegmente ergeben, gilt die phonologische Silbe als prosodische Einheit.

30

Eisenberg (2013, S. 130) setzt den Zweisilber aus betonter und unbetonter Silbe als minimalen Fuß an; Einsilber besitzen demnach keinen Fuß. 31 Ein Wortakzent tritt genau dann auf, wenn die Segmente der betonten Silbe eines Wortes phonetisch verlängert werden (vgl. Becker 2012, S. 59).

72

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

Die für das phonologische Wort bzw. den phonologischen Fuß relevanten silbischen Regularitäten lassen sich u. a. durch die Unterscheidung der im Deutschen zentralen Silbenarten darstellen. Primus (2010, S. 19) zählt dazu - die betonten Vollsilben, - die unbetonten Vollsilben und - die Reduktionssilben. Auf die noch feinere Differenzierung zwischen betonbaren Vollsilben und tatsächlich betonten Hauptsilben bzw. nicht-betonbaren Reduktionssilben und tatsächlich nicht-betonten Nebensilben bei Fuhrhop und Peters (2013, S. 78) wird im Weiteren verzichtet, da vor dem Hintergrund des Forschungsgegenstandes nur konkrete Wörter und Wortformen, 32 die dem trochäischen Grundtyp (bestehend aus der Silbenfolge betont – unbetont) entsprechen, untersucht werden. Aus diesem Grund beschränken sich die weiteren Ausführungen auf die Eigenschaften der betonten Vollsilbe und der Reduktionssilbe der deutschen Sprache nach Primus (2010).33 In der betonten Vollsilbe wird der Silbenkern von einem Vollvokal gebildet, z. B. Liebe [ˈliː.bə]. Für die Besetzung des Silbenkerns der unbetonten Reduktionssilbe kommen hingegen nur ein Reduktionsvokal, nämlich Schwa [ə] oder Tief- bzw. r-Schwa [ɐ], oder alternativ ein silbischer Konsonant34 infrage, z. B. Liebe [ˈliː.bə], lieber [ˈliː.bɐ], lieben [ˈliː.bn̩]. Zu den Konsonanten, die in der unbetonten Silbe die Funktion des Silbenkerns übernehmen können, zählen die Sonoranten [m, n, ŋ, l, ʀ]. Wenn ein

32

33

34

Aus flexionsmorphologischer Perspektive können Wörter als flektierbare grammatische Einheiten, Wortformen als flektierte Formen von Wörtern betrachtet werden (vgl. Fuhrhop und Buchmann 2015, S. 416). In der vorliegenden Arbeit wird bisweilen ein erweitertes Begriffverständnis angelegt und allgemein von Wortformen gesprochen, wenn Wörter unterschiedlicher Struktur (z. B. auch unterschiedlicher Silbenzahl) miteinander verglichen oder die Schreibungen von flektierten oder wortgebildeten Wörtern, die als morphologisch komplexe Wortformen zusammengefasst werden, betrachtet werden. In aktuellen Forschungsbeiträgen variieren die begrifflichen Kennzeichnungen explizit phonologischer und explizit graphematischer Wortstrukturen. Wenn es in den Analysen der vorliegenden Arbeit dezidiert um den Zusammenhang zwischen den prosodischen Wort- und Silbenstrukturen im Gesprochenen und ihren graphematischen Äquivalenten geht, wird auf folgende Kennzeichnungen zurückgegriffen: Auf der phonologischen Untersuchungsebene wird allgemein von Sprechsilben und im Kontext des prototypischen trochäischen Fußes von betonter erster Silbe und unbetonter zweiter Silbe gesprochen; auf graphematischer Untersuchungsebene wird wiederum allgemein auf die Schreibsilbe und im prototypischen graphematischen Fuß auf die (graphematische) Hauptsilbe und (graphematische) Reduktionssilbe verwiesen. Vennemann (1991a, S. 87) spricht auch von nuklearer Konsonanz.

4.2 Phonologische Grundlagen

73

Sonorant anstelle eines Reduktionsvokals in den Silbenkern rückt, wird dieser in der phonetischen Transkription mit einem untergesetzten senkrechten Strich gekennzeichnet (vgl. Fuhrhop und Peters 2013, S. 80). Becker (2012) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass das Schwa in der heutigen standardsprachlichen Aussprache vor einem Sonoranten grundsätzlich wegfällt, z. B. schrei(e)n [ˈʃʀain̩], in der Standardlautung aber weiterhin von Zweisilbigkeit ausgegangen wird, die „eigentlich nur noch durch die Schrift stabilisiert“ (ebd., S. 56) werde. Dieser Aspekt spielt auch für die didaktischen Schriftzugänge eine bedeutsame Rolle und wird daher in Kapitel 5 genauer zu beleuchten sein. Wie in dem hierarchischen Strukturmodell des phonologischen Wortes bereits angezeigt wurde, können auch die Positionen innerhalb der Silbe näher beschrieben werden (s. Abb. 4). Zu den Konstituenten, die die einzelne Silbe hierarchisch strukturieren, zählen der Anfangsrand (auch Onset), der Silbenkern (auch Nukleus) und der silbische Endrand (auch Koda). Wie diese silbeninternen Positionen besetzt werden, ist durch das oben bereits erwähnte Konzept der Sonoritätshierarchie darstellbar: Das Sonoritätsprinzip legt 1. auf der Ebene der Konstituenten fest, welche Phoneme grundsätzlich welche Positionen innerhalb der Silbe einnehmen können, und zeigt 2. auf der Segmentebene an, aus welchen phonetischen Eigenschaften sich die Reihenfolge der Phoneme innerhalb der Silbe und ihren Konstituenten ergibt bzw. welche Abfolgebeschränkungen bestehen. Grundsätzlich gilt, dass der Silbennukleus das Zentrum der Silbe besetzt und somit den Silbengipfel bildet, um den sich der Silbenonset und die Koda gruppieren. Die Besetzung des Silbennukleus ist obligatorisch und kann nur durch ein Vokalphonem, d. h. einen Monophthong oder einen Diphthong (bzw. im Falle der Reduktionssilbe auch durch einen silbischen Konsonanten, s. oben), erfolgen, während die Silbenränder konsonantisch artikuliert werden (vgl. u. a. Maas 2006, S. 188). Wie diese Positionen wiederum segmental ausgefüllt werden, bestimmt die Sonorität, d. h. die Klangfülle der einzelnen Laute. Wie sonor ein Laut ist, ergibt sich aus der Stärke des Hindernisses, das sich dem Luftstrom bei der Artikulation entgegenstellt: „Je stärker das Hindernis, desto weniger sonor der Sprachlaut, desto größer die Konsonantenstärke“ (Becker 2012, S. 61). Die höchste Sonorität besitzen folglich die Vokale, die geringste die Obstruenten, d. h. die Plosive und Frikative. Für den inneren Aufbau der Silbe ergibt sich somit in vereinfachter Darstellung, dass die Sonorität im Silbengipfel am

74

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

höchsten ist, also vom Silbenonset zum Nukleus hin zunimmt, während die Konsonantenstärke umso größer ist, je weiter der Laut vom Silbengipfel entfernt ist (vgl. ebd., S. 61f.; auch Fuhrhop und Peters 2013, S. 90f.). Anders als in der graphematischen Silbe ist der Anfangsrand der betonten phonologischen Silbe obligatorisch zu besetzen (vgl. z. B. gegenüber [ʔaxt]). Erfolgt dies nicht durch die Realisierung eines Konsonanten, wird vor dem ansonsten vokalischen Anlaut ein stimmloser glottaler Verschlusslaut, auch Glottisschlag oder (engl.) glottal stop genannt, gebildet (vgl. u.a. Fuhrhop und Peters 2013, S. 64; Nübling et al. 2013, S. 37). Der phonologische Silbenendrand kann hingegen leer bleiben. Da die (Nicht-)Besetzung dieser Silbenkoda eine wesentliche Bedeutung für viele weitere silbenstrukturelle Merkmale, u. a. für die nachfolgend dargestellte Quantitätenopposition, besitzt, werden der Silbenkern und -endrand in vielen Darstellungen unter dem Begriff des Silbenreims zusammengefasst (vgl. Becker 2012, S. 57). 4.2.2

Die Vokalopposition als silbenstrukturelles Merkmal

Eine phonologische Eigenschaft, die sowohl für das gesprochene als auch für das geschriebene deutsche Wort von Bedeutung ist, betrifft die Vokalquantität bzw. die Opposition von Lang- und Kurzvokalen. Hierzu existieren in der deutschen Phonologie unterschiedliche Positionen, die sich zum einen in der Bewertung dessen unterscheiden, ob der Quantitätenunterschied als solcher überhaupt (noch) ausschlaggebend ist oder ob als Folge des Lautwandels vielmehr der Qualitätsunterschied, nämlich die Gespanntheit bzw. Ungespanntheit von Vokalen, gegenstandsbestimmend ist (letztgenannter Annahme folgt u. a. Eisenberg 2016, S. 68). Zum anderen grenzen sich neuere Darstellungen der deutschen Phonologie insofern von herkömmlichen Beschreibungen ab, als sie die Vokalquantität nicht als segmentales Konzept, also nicht als „Struktureigenschaft eines Segmentes, sondern des Reims bzw. der Silbe“35 (Maas 2006, S. 192) verstehen. Einen entscheidenden Anstoß zur zunehmend präferierten Erklärung der Vokalopposition über suprasegmentale Strukturen lieferte Vennemann

35

Maas (2006) bezieht sich hierbei speziell auf das Konzept von Vokallänge/-kürze und grenzt dieses von qualitativen Vokaleigenschaften ab, die seinen Ausführungen zufolge im Gegensatz zur prosodisch fundierten Längenopposition segmental zu bestimmen sind: „Im phonologischen (‚segmentalen‘) System des Deutschen sind nur qualitative Differenzen / Oppositionen vorgesehen.“ (ebd., S. 192)

4.2 Phonologische Grundlagen

75

(1991b, S. 218), der auf die enge Bindung der Vokallänge und -kürze an prosodische, über das einzelne phonologische Segment hinausgehende Erscheinungsformen wie die Offen- und Geschlossenheit der Silbe und die Ambisilbizität verweist. Becker (1998, 2002) knüpft an diese Erkenntnis an und legt ein phonologisches Strukturmodell vor, das den Unterschied der Stammvokale in Wörtern wie Miete – Mitte nicht als segmentales Merkmal, sondern über ihre „Einbettung in die Silbenstruktur“ (Becker 2002, S. 89) begründet. In gleicher Weise argumentiert Maas (2015, S. 120): „Ohne den silbischen Zusammenhang anzugeben, machen phonetische Beschreibungen der deutschen ‚Laute‘ wenig Sinn.“ Das skizzierte Phänomenverständnis geht gleichzeitig mit einer veränderten Sicht auf das Vokalsystem des Deutschen einher, die sich z. T. sogar in der Neubestimmung seines vokalischen Phoneminventars äußert, das auch für die an späterer Stelle dieser Arbeit relevanten Phonem-Graphem-Korrespondenzen von Bedeutung ist: Sowohl Becker (1998, 2002, 2012) als auch Primus (2010) gehen von nur einer statt zwei Vokalreihen aus: Demnach besitzen Wörter wie Miete – Mitte oder Bett – Beet eine identische Phonemfolge, unterscheiden sich aber in ihrer Silbenstruktur (vgl. u. a. Becker 2002, S. 89).36 Maas (2006) verweist im Hinblick auf das Vokalinventar ebenfalls auf die schlüssige Zusammenfassung der komplementär verteilten gespannten und ungespannten Vokale zu jeweils einem Phonem (z. B. [i] und [ɪ] zu /i/ oder [e] und [ɛ] zu /e/), vgl. ebd., S. 167), nutzt für die Lautanalyse aber weiterhin differenzierende Transkriptionszeichen. Unter den konkreten Beschreibungsansätzen, die von einer suprasegmentalen Grundlegung der Vokalquantitäten bzw. -qualitäten ausgehen, können in der Phonologie zwei Konzepte als federführend bestimmt werden: zum einen die Erklärung über die Anschlusskorrelation in betonten Silben (u. a. Maas 2006), zum anderen die Begründung anhand des sanften oder scharfen Silbenschnitts (u. a. Becker 1998). Diese Konzepte sollen im Folgenden am Beispiel des besonderen phonologischen Phänomens erläutert werden, das je nach linguistischer Betrachtungsweise als fester konsonantischer Anschluss an einen Kurzvokal oder als ambisilbischer Konsonant bzw. phonologisches Silbengelenk beschrieben wird und

36

Eisenberg (2013) bleibt in seinen graphematischen Analysen trotz Anerkennung der phonologischen wie graphematischen Berechtigung einer solchen Einteilung mit Verweis auf „darstellungstechnische Vorteile“ (ebd., S. 128) bei zwei Vokalreihen.

76

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

– um es zunächst konzeptunabhängig zu formulieren – „Formen mit Kurzvokal in der prominenten Silbe und folgendem einfachen medialen Konsonanten“ (Maas 2006, S. 195) betrifft. Das Konzept der Anschlusskorrelation nach Maas (1999/2006) wird dabei besonders eingehend dargestellt, da es eines der später ausführlich beschriebenen schriftdidaktischen Konzepte für den Grundschulunterricht fundiert (s. 5.1.3) und im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit eine bedeutsame Rolle spielt. 4.2.2.1

Die Anschlusskorrelation nach Maas (1999/2006)

Das Konzept der Anschlusskorrelation nach Maas (1999/2006) kann in Anknüpfung an die Arbeiten von Jespersen (1913), Sievers (1876) und Trubetzkoy (1939) als Gegenstück zu den traditionellen Darstellungen der deutschen Phonologie betrachtet werden, die den Vokalismus des Deutschen primär über Unterschiede in der Vokalquantität (Vokaldauer) von Sprachlauten bestimmen. In Abgrenzung zu einer solchen Auffassung37 setzt das Konzept der Anschlusskorrelation bei der Struktur des Silbenreims in der prominenten38 Silbe an und zeigt, wie die Ausbaustruktur des Reims und die spezifische Form des silbenübergreifenden Kontakts die wesentlichen Bedingungen für die Länge oder Kürze von Vokalen schaffen (vgl. Maas 2006, S. 161). Analysegröße ist also nicht das phonetische Merkmal der Vokaldauer, sondern das nur suprasegmental-silbenstrukturell erfassbare Anschlussverhältnis zwischen Vokal und Folgeelement. Dass „die Länge des Vokals keine Struktureigenschaft eines Segments, sondern des Reims bzw. der Silbe“ (Maas 2006, S. 192) ist, zeigt sich Maas zufolge bereits darin, dass im Deutschen auf einen Langvokal, abgesehen von morphologisch komplexen Wortformen, maximal ein Konsonant folgen kann. Eine rein segmentale Klassifizierung kann in diesem Argumentationszusammenhang lediglich für qualitative Oppositionen, d. h.

37

38

Eine quantitätsbezogene Erklärung birgt laut Maas (2006, S. 161) durch das Zusammenwirken von Vokalquantität und -qualität das Problem einer strukturell schwer fassbaren Komplexität; Maas verweist zudem auf die gegenüber anderen Sprachen vergleichsweise geringe phonetische Ausprägung von Quantitätenkontrasten im Deutschen. In den Ausführungen zum Konzept der Anschlusskorrelation nach Maas (2006) werden die von Maas genutzten Bezeichnungen für die Struktureinheiten des deutschen Wortes verwendet, die z. T. von den in den weiteren Teilen der vorliegenden Arbeit grundsätzlich gebrauchten Begriffen abweichen; die Bezeichnung prominente Silbe steht in diesem Teilkapitel daher synonym für die ansonsten als betonte Silbe benannte Einheit.

77

4.2 Phonologische Grundlagen

Gespanntheitskontraste der Vokale, gelten, die zwar in einem wechselwirksamen Verhältnis zur Vokalquantität stehen (die gespannten Vokale werden in der Regel lang, die ungespannten kurz artikuliert), letztere aber – u. a. aufgrund der Problematik des [ɛ:] als „‚ungespannter‘ Langvokal“ (ebd., S. 169) – nicht eindeutig bestimmen. Stattdessen ist zu ihrer hinreichenden Bestimmung, so Maas‘ Schlussfolgerung, die Untersuchung der prosodischen Strukturmerkmale erforderlich (vgl. ebd.). Im Fokus steht hierbei die prominente Silbe, denn nur in der betonten Silbe treten die im Weiteren kontrastierten Anschlussformen auf (vgl. ebd., S. 172). Die prosodische Analyse der Lautstrukturen bezieht sich dabei auf den Silbennukleus der prominenten Silbe und dessen Anschlussverhältnis zu dem jeweiligen Folgeelement bzw. den jeweiligen Folgeelementen. So kann der vokalische Nukleus entweder in einem losen Anschlussverhältnis zum Folgeelement stehen oder aber einen festen Anschluss an dieses aufweisen. Inwiefern das jeweilige Anschlussverhältnis mit den spezifischen quantitativen und qualitativen Eigenschaften der Vokale zusammenhängt, soll nun mithilfe des von Maas (2006) genutzten Silbenstrukturmodells genauer beleuchtet werden. Dieses Modell (Abb. 5) bildet die Konstituentenstruktur der phonologischen Silbe ab, anhand derer auch ihre steigend-fallende Sonoritätskontur erfasst werden kann. Die Silbe (S) unterteilt sich in der prominenten wie in der reduzierten Silbe in den Anfangsrand (A) und den silbischen Reim (R), der wiederum in Nukleus (N) und Endrand (E) verzweigt ist. S

A A

Konstituentenstruktur

R N

E Sonoritätskontur

Abb. 5 Ein allgemeines Silbenstrukturmodell nach Maas (2006)

Da die Struktur des deutschen phonologischen Wortes der Zuweisung von Akzenten unterworfen ist, unterliegen die Konstituenten- und Sonoritätskonturen der prominenten Silbe (im Weiteren ‘S) und der Reduktionssilbe (im Weiteren °S), die als Abfolge ‘S ↔ °S das trochäische Basismuster bilden (vgl. ebd., S. 124), jeweils spezifischen Gesetzmäßigkeiten: Anders als in der prominenten Silbe ist die Belegung von Anfangs- und Endrand

78

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

in der Reduktionssilbe nicht erforderlich, °S kann somit potenziell auch nur aus dem (reduzierten oder konsonantischen) Silbennukleus bestehen, während Anfangs- und konsonantischer Endrand fehlen (s. Abb. 6). Für die prominente Silbe ‘S gilt hingegen, dass sowohl der Anfangsrand (entweder konsonantisch oder durch einen glottalen Verschluss) als auch die den Reim bildenden Konstituenten Nukleus und Endrand belegt werden müssen. Das Besondere in der von Maas genutzten Darstellung des Reims ist nun, dass der obligatorische vokalische Nukleus „qualitativ auch den ganzen Reim belegen kann“ (ebd., S. 124), sich also auf den Endrand ausdehnen kann39 (s. auch Rehe in Abb. 6). Andere Optionen der Belegung des Endrands der prominenten Silbe bestehen in diesem Modell in dessen Besetzung durch den zweiten vokalischen Teil eines Diphthongs (s. laufen in Abb. 7a) oder durch einen Konsonanten (s. landen in Abb. 7b).

Abb. 6 Reduktionssilbe °S besteht lediglich aus Reduktionsvokal (nach Maas 2006, S. 126)

Abb. 7 a) Diphthong verteilt sich auf Nukleus und Endrand, b) Konsonant belegt Endrand von ‘S (nach Maas 2006, S. 126, 163, 194)

39

Vokalquantität wird in diesem Modell daher nur über den verzweigenden Reim dargestellt (vgl. Maas 2006, S. 164).

4.2 Phonologische Grundlagen

79

Abb. 8 a) Loser, b) fester40 konsonantischer Anschluss an den Nukleus (nach Maas 2006, S. 220)

Abb. 9 Loser konsonantischer Anschluss in einer zweisilbigen Basisform (nach Maas 2006, S. 203)

Um die Anschlussverhältnisse zwischen Vokal und Folgeelement(en) in einsilbigen Wörtern41 zu verdeutlichen, greift Maas (2006) z. T. auf einen ebenfalls verzweigenden Endrand zurück: Bei einem losen konsonantischen Anschluss (s. Tag in Abb. 8a) an den Nukleus der prominenten Silbe ist im Endrand lediglich ein Konsonant vorzufinden, sodass der Vokal (auch Diphthong) die Positionen von N und E‘‘, also der ersten Position des verzweigten Endrands, einnimmt. Ein fester Anschluss in der einsilbigen Wortform verlangt hingegen die konsonantische Belegung beider Positionen des Endrands (Abb. 8b, Tank).

40

41

Bei Einsilbern wie stramm, die einen festen Anschluss aufweisen, auf den Nukleus aber lediglich ein konsonantisches Element folgt, entfällt die Verzweigung des Endrands: Er wird vollständig von dem Konsonanten besetzt (vgl. Maas 2006, S. 181, 206). Gleiches gilt für morphologisch komplexe Formen wie (er) malte: Hier werden N und E‘‘ vokalisch artikuliert.

80

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

Wie bereits angeführt, gilt die einfüßige trochäische Wortform aus einer prominenten und einer reduzierten Silbe als Grundtyp des Deutschen und steht daher im Fokus der vorliegenden Arbeit. Aus diesem Grund konzentrieren sich die weiteren Ausführungen auf die Anschlussverhältnisse in dieser zweisilbigen kanonischen Struktur. Dabei wird in allen folgenden Darstellungen die Explizitlautung abgebildet, d. h. stets der Reduktionsvokal [ə] wiedergegeben, auch wenn dieser in der standardsprachlichen Realisierung der unbetonten Silbe häufig von konsonantischen Silbenkernen ersetzt wird. Anders als in den betrachteten einsilbigen Wortformen (sowie bei flektierten zweisilbigen Formen, z. B. wohnte) ist in Maas‘ Modell die Verzweigung des Endrandes in den zweisilbigen Grundformen nicht nötig: Hier ist der Reim entweder komplett vokalisch belegt (d. h., der Endrand wird vokalisch artikuliert, s. fegen in Abb. 9) oder der Vokal ist auf den Nukleus begrenzt und wird vom folgenden konsonantischen Endrand ‚abgeschnitten‘ (s. landen in Abb. 8b). Die Untersuchung der ein- und zweisilbigen Formen führt schließlich zu einer grundlegenden Unterscheidung der beiden Anschlussformen: a. loser Anschluss: Der auf den Nukleus der prominenten Silbe folgende Endrand ist mit maximal einem Konsonanten belegt (s. fegen, aber auch Tag, (er) malte). b. fester Anschluss: Der Vokal der prominenten Silbe bindet das konsonantische Folgeelement fest an sich und „erlaubt dann noch maximal einen weiteren Konsonanten im Endrand“ (Maas 2006, S. 193, s. landen, aber auch Tank, stramm). Auf dieser Grundlage lässt sich nun auch die oben angeführte Korrelation von Anschlussverhältnissen mit qualitativ segmentalen Vokaleigenschaften beschreiben: Ungespannte Vokale tauchen i. d. R. nur in prominenten Silben mit festem konsonantischen Anschluss und somit nie im Wortauslaut auf (entspricht b.), gespannte werden hingegen nur bei losem Anschluss artikuliert (entspricht a., vgl. Maas 2002, S. 24). 42 An den Gespanntheitskontrast ist wiederum das Quantitätsmerkmal, also die Dauer der vokalischen Sprachlaute, geknüpft: „Die ungespannten Vokale dauern in der Regel nur halb so lang (oder noch weniger) als die gespannten.“ (Maas 2006, S. 169) Dies hängt damit zusammen, dass der Vokal bei einer

42

Lose Anschlussverhältnisse identifiziert Maas (2002, 2006) sowohl in offenen als auch geschlossenen Silben, z.B. mahnen vs. mahnten (vgl. Maas 2002, S. 24). Er bezieht sich in seinen Analysen also sowohl auf Grund- als auch flektierte, d. h. morphosyntaktisch bedingte Formen.

4.2 Phonologische Grundlagen

81

an den losen Anschluss geknüpften gespannten Artikulation vollständig realisiert werden kann. Maas beschreibt dies als allmähliches ‚Austrudeln‘ des Vokals, wohingegen der Vokal bei Formen mit festem Anschluss „vom Konsonanten gewissermaßen […] abgeschnitten“ (ebd., S. 172) und dadurch in der Regel auch kürzer artikuliert wird als der gespannte Vokal.43 Für das hier interessierende Phänomen, d. h. diejenigen zweisilbigen Wortformen, bei denen auf einen kurz artikulierten Vokalkern nur ein medialer Konsonant folgt, z. B. [ˈraṭə] Ratte oder [ˈvɪṣən] Wissen, ergibt sich nun (zunächst) eine Irritation: Silbifizierungen wie *[rat.ə] für Ratte, *[halt.ən] für halten, also Formen mit konsonantisch besetztem Endrand in der prominenten Silbe und nacktem Anfangsrand der Reduktionssilbe, sind phonologisch nicht zulässig, da sie gegen das Prinzip der Onset-Maximierung verstoßen (vgl. Fuhrhop und Peters 2013, S. 94f.). Nach Maas (2006, S. 195) ist das mediale [t] im Beispielwort Ratte in phonetischer Hinsicht zudem eindeutig dem Anfangsrand der Reduktionssilbe zuzuordnen, dies widerspricht jedoch den phonotaktischen Gesetzmäßigkeiten, nach denen offene betonte Silben mit Kurzvokal wie in *[ra.tə] irregulär sind (s. 4.2.1, vgl. Becker 2002, S. 90). Diese Problematik führt somit zu der Frage, ob derartige Wortformen überhaupt sachlogisch erfasst werden können. Den bisherigen Ausführungen zur Anschlusskorrelation folgend wäre die Herstellung eines festen konsonantischen Anschlusses erforderlich – was sich bei nur einem einzigen zur Verfügung stehenden Konsonanten zwischen den Nuklei der prominenten und Reduktionssilbe jedoch als schwierig erweist. Maas löst diesen besonderen Fall, indem er – in Referenz auf das Konzept der Sonoritäts- (urspr. Schall-) und Drucksilbe nach Sievers (1876) – bei Formen wie Ratte von fusionierenden Silbenstrukturen ausgeht (vgl. Maas 2002, S. 25), aufgrund derer die lautlichen Verhältnisse nicht räumlich-zeitlich, etwa durch eine klare Silbensegmentierung oder die Lokalisierung der Silbengrenze im einzelnen wortmedialen Konsonanten, „sondern durch unterschiedliche Grade der Bindung zwischen Segmenten“ (ebd.) abzubilden sind: Der Vokal der prominenten Silbe wird in fusionierenden Silbenstrukturen an den Anfangsrand der Folgesilbe (der Reduktionssilbe) gebunden, der feste Anschluss entsteht also dadurch, dass die Reduktionssilbe „in die Kontur der prominenten Silbe eingeschlossen [wird]“ (Maas 2006, S. 198), was Maas anhand einer Spiral-

43

In dieser Erklärung ist eine grundsätzliche Nähe zu bzw. Anbindung an das anschließend dargestellte Silbenschnittkonzept von Becker (u. a. 1998) erkennbar.

82

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

Symbolisierung (Abb. 10), aber auch im Strukturmodell mithilfe eines nach links gerichteten Pfeils für festen konsonantischen Anschluss (Abb. 11, Bsp. Ratte) darstellt:

Abb. 10 Darstellung der fusionierenden Silben bei festem konsonantischem Anschluss (nach Maas 2002, S. 21)

Abb. 11 Darstellung des festen Anschlusses im Konstituentenmodell (nach Maas 2006, S. 223)

Er spricht sich mit Verweis auf die herausgearbeiteten Anschlusstypen explizit gegen die konzeptionelle Annahme von ambisilbischen Konsonanten in Formen wie Ratte aus, da es sich bei diesen wortmedialen Konsonanten „zweifellos um einfache Konsonanten [handelt], die als Anfangsrand der zweiten (unbetonten) Silbe dienen“ (Maas 2006, S. 197). Der Begriff von Ambisilbizität beziehe sich zwar auf silbische Strukturen, erkläre das Phänomen durch die „Lokalisierung in einem Konsonanten“ (ebd.) aber wiederum als eine segmentale Eigenschaft. Entscheidend sei letztlich jedoch nicht die räumliche Zuordnung des Konsonanten, sondern dessen prosodische und somit suprasegmentale Bindung an den vorangegangenen vokalischen Nukleus der prominenten Silbe, die durch das Konzept von ambisilbischen Konsonanten nicht entsprechend abgebildet werde. In Abschnitt 5.1.3 soll u. a. ein Vermittlungskonzept des Rechtschreibunterrichts vorgestellt werden, das auf den Arbeiten von Maas fußt und zur Erklärung von Wortschreibungen mit den dargestellten Anschlusskategorien arbeitet.

4.2 Phonologische Grundlagen

4.2.2.2

83

Der Silbenschnittkontrast nach Becker (1998)

Auch Becker (1998) plädiert für eine prosodische Erfassung der Vokalopposition, bei der sich das Quantitätsmerkmal aus der jeweiligen Einbettung des Vokals in die vorliegende Silbenstruktur und somit für alle Vokale auf einheitliche Weise erschließen lässt (vgl. ebd., S. 48): Da erstens die Argumente für eine segmentale Beschreibung der Vokalopposition äußerst dürftig sind, zweitens die Zentralisierung der ungespannten Vokale auch sehr gut als Folge ihrer Position in der Silbenstruktur beschreibbar ist und drittens die prosodischen Eigenschaften der Vokalklassen sich gut mit einer prosodischen Beschreibung der Opposition verbinden, ist diese einer segmentalen Beschreibung vorzuziehen. (ebd., S. 56)

Als leitende Bezugsgröße dieser prosodischen Beschreibung wird in dem von Becker verfolgten Ansatz der sogenannte Silbenschnitt herangezogen. Im Rahmen dieses Ansatzes wird die Vokalopposition über die in der Silbenstruktur angelegten Artikulationsbedingungen des jeweiligen Vokals erklärt. Dabei gilt (a) der scharfe Silbenschnitt als „artikulatorische Maßnahme“ (Becker 2012, S. 86) zur Herstellung von Vokalkürze: Der Vokal wird bereits zu Beginn des Artikulationsvorgangs ‚abgeschnitten‘, also nicht vollständig realisiert. Dem gegenüber steht (b) ein sanfter Silbenschnitt, bei dem das Artikulationsprogramm des Vokals vollständig ablaufen kann und somit ein Langvokal realisiert wird (vgl. ebd.).44 Diese Unterscheidung nutzt auch Maas zur Begründung der Anschlusskorrelation, wie im vorangegangen Teilkapitel deutlich geworden ist. Beckers Modellierung des Silbenschnittkontrasts, die er in erster Linie auf die Ausführungen von Vennemann (1990 und später) stützt, weicht hauptsächlich in der strukturellen Fundierung vom Maas’schen Anschlusskonzept ab, weist aber grundsätzlich viele Parallelen auf. Im Folgenden sollen daher nur einige deutliche Unterschiede zu Maas‘ Ansatz beleuchtet werden.

44

Becker (2009, S. 64) verweist darauf, dass sich die Beschreibungen von Ambisilbizität auf die norddeutsch geprägte Standardlautung beziehen.

84

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

Das Erfordernis einer prosodischen Analyse von zentralen Vokaleigenschaften führt Becker (1998, S. 70) auf die typologische Unterscheidung von Quantitäts- und Silbenschnittsprachen zurück45 und hebt so die Notwendigkeit einer segmentübergreifenden Beschreibung der Vokalopposition im Deutschen hervor. In seinem Verständnis können die vokalischen Quantitätsmerkmale nur über den Silbenschnittgegensatz, d. h. über die oben angeführten Koartikulationsverhältnisse zwischen Vokal und Folgekonsonant in der akzentuierten Silbe, und nicht über eine universale, akzentunabhängige Analyse der Vokale erfasst werden (vgl. ebd., S. 61ff.). Die Besonderheit des Silbenschnittkonzeptes nach Becker (1998) besteht darin, dass er zur Beschreibung der silbenstrukturellen Bedingungen von scharfem vs. sanftem Schnitt den Begriff der Kernsilbe einführt und mithilfe dieser Struktureinheit die artikulatorisch-akustischen Vokaleigenschaften begründet. In seinem Silbenstrukturmodell untergliedert sich die Tonsilbe46 in den Anfangsrand (AR), die Kernsilbe (KS) und – optional – den Endrand (ER). Im Gegensatz zu Maas (2006) arbeitet Becker nicht mit einem (sich verzweigenden) Silbenreim, sondern gliedert die Kernsilbe in die Konstituenten Nukleus (N) und – hierin besteht die spezifische Eigenart des Modells – die Implosionsposition (I), deren Belegung ebenso wie die des Nukleus obligatorisch und für den Silbenschnittkontrast ausschlaggebend ist. Generell sind drei Optionen der Kernsilbenbelegung möglich: (a) Der Vokal belegt sowohl die Nukleus- als auch Implosionsposition und wird folglich lang artikuliert (s. Tag in Abb. 12). (b) Im Falle eines Diphthongs besetzt der Kernvokal den Nukleus und der Randvokal die Implosionsposition (z. B. Teig). (c) Der Vokal belegt den Nukleus, der Folgekonsonant die Implosionsposition, sodass der Vokal kurz gesprochen wird (vgl. Becker 1998, S. 74, s. Tank in Abb. 12).

45

46

Vennemann (1995, S. 188) unterscheidet silbenbasierte Quantitätssprachen, in denen die Längenopposition in allen Silben realisiert werden kann und damit eine silbensprachliche Eigenschaft vorliegt, von akzentbasierten Quantitätssprachen, in denen die Längenopposition nur in akzentuierten Silben realisiert werden kann und somit eine wortsprachliche Eigenschaft vorliegt. Beckers Begriff der Silbenschnittsprachen bezieht sich auf die Typologie der akzentbasierten Quantitätsspache. Becker bezeichnet die bei Maas als prominente Silbe ausgewiesene betonte Silbe als Tonsilbe. Unter der Annahme, dass die Vokalopposition nur in betonten Silben vorliegt, referiert der Begriff auf die „hauptbetonten Silben oder solch[e] mit morphologischem Nebenakzent (‚Nebentonsilben‘)“ (Becker 1998, S. 163).

4.2 Phonologische Grundlagen

85

In diesen Erscheinungsformen der Kernsilbe ist schließlich auch die strukturelle Opposition zwischen sanftem und scharfem Silbenschnitt angelegt: „Scharfer und sanfter Schnitt unterscheiden sich dadurch, daß bei sanftem Schnitt der Nukleusvokal mit der Implosion assoziiert wird, also auch die Implosionsposition einnimmt, und bei scharfem Schnitt nicht“ (ebd. Becker 1998, S. 78).

Abb. 12 Sanfter und scharfer Silbenschnitt (nach Becker 1998, S. 79)

Verglichen mit Maas‘ Strukturierung der Beispielwörter im Konstituentenmodell unterscheidet sich Beckers Modell nur in einem strukturellen Detail davon: Während Maas von einem verzweigenden Silbenreim ausgeht und darin den Endrand als die für die Anschlusskorrelation maßgebliche Position ausweist, argumentiert Becker mit der verzweigenden Kernsilbe. Ihre Konstituenten, der Nukleus und die Implosionsposition, sind – analog zu den Positionen des Silbenreims bei Maas – obligatorisch zu besetzen. Dies kann, ebenfalls ähnlich wie im Maas’schen Silbenreim, entweder rein vokalisch oder in der Kombination aus Vokal und Konsonant erfolgen. Ein subtiler Unterschied zwischen Beckers und Maas‘ Modellierung ergibt sich auch aus der Untersuchung mehrsilbiger Wortformen: Hier zeigt sich, dass die Einführung der Kernsilbe bei Becker vor allem der Differenzierung zwischen betonter und unbetonter Silbe dient – in der Reduktionssilbe entfällt die Implosionsposition aufgrund der nur in betonten Silben realisierten Vokalopposition, die Kernsilbe umfasst hier also nur den Nukleus (vgl. Becker 1998, S. 80). Als das entscheidende Unterscheidungskriterium der beiden Konzepte erweist sich schließlich ihre jeweilige Bewertung von Ambisilbizität: Anders als Maas (s. oben) führt Becker (1998) Argumente für die Existenz ambisilbischer Konsonanten an: „Wenn die Implosionsposition nicht wie in kalt mit einem [konsonantischen, Anm. E.S.] Segment assoziiert wird oder wie in Beet nach links mit dem Nukleusvokal, so wird sie nach rechts mit

86

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

der ersten Position des Anfangsrandes der folgenden Silbe assoziiert, diese ist dann ambisyllabisch.“ (ebd., S. 81)

Abb. 13 Ambisilbischer Konsonant (nach Becker 1998, S. 71)

Ein Konsonant im Anfangsrand der unbetonten Silbe ist nach Beckers Verständnis dann ambisilbisch, wenn er unmittelbar auf den kurz artikulierten Vokal einer Tonsilbe folgt. Da ein Kurzvokal in der Tonsilbe an den scharfen Silbenschnitt gebunden ist und letzterer wiederum eine konsonantische Besetzung der Implosionsposition erfordert (vgl. ebd., S. 71), füllt ein ambisilbischer Konsonant in Beckers Modell gleichzeitig die Implosionsposition der Tonsilbe und den Anfangsrand der unbetonten Silbe aus (s. Ratte in Abb. 13). Diese Strukturannahme begründet er, ähnlich wie Maas (s. oben), mit dem Verweis auf den phonotaktisch nicht zugelassenen Silbenkontakt „*K. V [*kom.a]“ (Becker 2002, S. 90). Darüber hinaus führt Becker weitere Argumente für die Annahme von Ambisilbizität an, die sich aus silbenstrukturellen Beschränkungen lautsprachlicher Strukturen ergeben: In Ebbe gehört das /b/ nicht ganz zur ersten Silbe, denn ein stimmhafter Obstruent muss mit einem Anfangsrand verbunden sein; in zerre müsste das /r/ vokalisiert sein, wenn es ganz zur ersten Silbe gehörte. In Enge gehört das /ŋ/ nicht ganz zur zweiten Silbe, denn /ŋ/ darf nicht allein im Anfangsrand stehen (in Tonsilben muss es mit der Implosionsposition verbunden sein). (ebd., S. 90)

Er verweist in diesem Zusammenhang explizit darauf, dass ambisilbische Konsonanten nicht als Geminaten artikuliert werden (vgl. ebd., S. 91), und stimmt in dieser Bewertung mit Maas (2006, S. 196f.) überein. Die abweichende Beurteilung von Ambisilbizität entsteht durch unterschiedliche primäre Bezugspunkte: Für Maas ist das Anschlussverhältnis, nämlich die enge Bindung zwischen Vokal und Folgekonsonanten ausschlaggebend,

4.3 Sprachhistorischer Exkurs: Diachrone Lautveränderungen

87

für Becker der scharfe Silbenschnitt, der durch einen phonotaktisch notwendigen ambisilbischen Konsonanten realisiert wird (vgl. Becker 2012, S. 58).

4.3 Sprachhistorischer Exkurs: Diachrone Lautveränderungen Wesentliche Eigenschaften der Phonologie einer Sprache und ihrer hier interessierenden spezifischen Struktureinheiten lassen sich durch ihre typologische Klassifikation und den Nachvollzug ihrer historischen Entwicklung nicht nur näher beschreiben, sondern auch phänomenübergreifend erklären (vgl. Szczepaniak 2012, S. 86). Während die Erste und Zweite Lautverschiebung (auch als germanische und (alt-)hochdeutsche Lautverschiebung bezeichnet) mit den verbundenen konsonantischen Fortisierungs- und Lenisierungsprozessen wesentlich zur Herausbildung des (Alt-)Hochdeutschen und zur Abgrenzung vom Niederdeutschen sowie von den übrigen germanischen Sprachen beitrugen, stellen alle späteren Lautveränderungen sukzessive Modifikationen des Hochdeutschen bis zu seiner heute gültigen Form dar (für einen Überblick: Szulc 1987). Unter den zahlreichen lautlichen Veränderungen vom Althochdeutschen über das Mittel- und Frühneuhochdeutsche bis hin zum Gegenwartsdeutschen interessiert im Weiteren v. a. eine phänomenübergreifende Entwicklung, die auch für die Untersuchung des heute wirksamen graphematischen Systems relevant ist: der phonologisch-typologische Wandel von einer Silben- zu einer Wortsprache. Was diese Entwicklung auszeichnet, soll in diesem Kapitel anhand einzelner Phänomene nachgezeichnet werden, die bereits mit Blick auf die Strukturen der deutschen Wortschreibung und die methodische Anlage der Leitfadeninterviews, insbesondere der anwendungsbezogenen Interviewteile B und C, ausgewählt wurden. Basierend auf den Arbeiten von Auer (1993, 2001) kann der phonologisch-typologische Wandel von einer Silbensprache im Althochdeutschen (ca. 500*/750-1050)47 zu einer Wortsprache im Neuhochdeutschen (ab ca. 1650) als ein zentrales Prinzip des deutschen Sprachwandels bezeichnet

47

500* ist hier mit * markiert, da der Beginn des Althochdeutschen in den gängigen Darstellungen zwar auf das Jahr 500 datiert wird, es allerdings erst um 750 schriftlich bezeugt ist (vgl. Nübling et al. 2013, S. 5f.).

88

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

werden (vgl. Szczepaniak 2012, S. 86). Seit der Ausprägung des Mittelhochdeutschen, d. h. ab ca. 1050,48 „unterliegt das phonologische Wort einer ständigen Optimierung, während die phonologische Silbe nach und nach verschlechtert wurde“ (Nübling et al. 2013, S. 21). Die phonologischen Optimierungs- bzw. Verschlechterungsprozesse von Wort und Silbe werden im Weiteren über die Beschreibung der grundlegenden Eigenschaften von Silben- und Wortsprachen nachgezeichnet. Als zentrales Unterscheidungsmerkmal dieser beiden Prototypen phonologischer Sprachsysteme erweist sich das Komplexitätsgefälle der Silbenstrukturen: Silbensprachen verfügen in der Regel über „eine einfache Silbenstruktur, die von der Position im Wort unabhängig ist“ (Szczepaniak 2012, S. 87). Im Gegensatz dazu sind in Wortsprachen komplexere Silbenstrukturen vorzufinden, die vor allem auf den dort realisierten deutlichen Wortakzent zurückzuführen sind, der in Silbensprachen entweder gänzlich fehlen kann oder nur schwach artikuliert wird (vgl. Auer 2001, S. 1396). Wie sich in nachfolgenden Darstellungen noch zeigen wird, gelten in Wortsprachen für betonte (akzentuierte) Silben andere Gesetzmäßigkeiten als für unbetonte (nicht-akzentuierte), was sich u. a. auch auf die Konstituierung des Vokalsystems auswirkt: Im Gegensatz zum flexiblen Einsatz der Vokalphoneme in Silbensprachen – hier kann grundsätzlich jedes Vokalphonem in jeder Silbe auftreten – führen die prosodischen Strukturen, d. h. die spezifischen Eigenschaften von betonten und unbetonten Silben, in Wortsprachen dazu, dass für die Besetzung des Vokalkerns in der Vollsilbe und der Reduktionssilbe kein einheitliches Vokalinventar genutzt werden kann (vgl. Auer 2001, S. 1396); es entsteht vielmehr ein asymmetrisches Verhältnis, da für die betonte Silbe das volle Inventar, für die unbetonte in der Regel nur Schwa zur Verfügung steht. Zudem erweist sich das für die betonten Silben geltende Vokalsystem insofern als komplex, als es an silbenstrukturelle Bedingungen und dabei insbesondere an die Silbenkoda gebunden ist, die in Akzentsilben eine deutlich höhere Komplexität als in den sonstigen Silben aufweist (vgl. auch Becker 2002, S. 88f.). Szczepaniak (2012) fasst die Eigenschaften von Wortsprachen wie folgt zusammen: „Die wortpositionsabhängige Ausdifferenzierung sowohl der Silbenstruktur als auch des Vokal- und Konsonanteninventars profilieren das phonologische Wort, das auch durch einen dynamischen, phonetisch deutlich realisierten Wortakzent markiert wird." (ebd., S. 87)

48

Die Zeitangaben zu den einzelnen Sprachstufen des Deutschen nach Nübling et al. (2013, S. 6).

4.3 Sprachhistorischer Exkurs: Diachrone Lautveränderungen

89

Die angesprochenen Aspekte des Lautwandels sollen in diesem Kapitel anhand zweier ausgewählter silbenstruktureller Entwicklungen veranschaulicht werden, die jeweils die wortmediale Position betreffen: zum einen anhand der im Spätalthochdeutschen einsetzenden Degeminierung von langen Konsonanten im Wortinneren, zum anderen am Beispiel der Hiatusentstehung am Silbenübergang. 4.3.1

Die Stärkung des phonologischen Wortes durch Degeminierung

In Silbensprachen wie dem Italienischen werden Geminaten, also „lange Konsonanten im Wortinneren“ (Nübling et al. 2013, S. 20) und nicht, wie häufig angenommen, tatsächlich doppelt artikulierte Konsonanten, standardsprachlich realisiert, z. B. ital. not.te ˈNachtˈ. Dieses lautsprachliche Phänomen, das in Silbensprachen der deutlich artikulierten Silbenstruktur dient (vgl. Auer 2001, S. 1397), ist im Neuhochdeutschen im Gegensatz zum Italienischen oder auch zum Finnischen nicht vorzufinden und somit geeignet, die bereits angesprochene Entwicklung des Deutschen von einer Silben- zu einer Wortsprache zu veranschaulichen: Bereits im Spätalthochdeutschen setzt ein Prozess ein, der Geminaten zunehmend zugunsten einer Realisierung als ambisilbische Konsonanten49 verdrängt. Letztere werden im Gegensatz zu Geminaten kurz artikuliert, dabei aber sowohl zur Silbenkoda der ersten als auch zum Silbenonset der Folgesilbe gezählt, daher die Bezeichnung ambisilbisch (vgl. Szczepaniak 2007, S. 49). Eisenberg (1989) prägte hierfür den treffenden Begriff des Silbengelenks, der dessen silbenverbindende Funktion veranschaulicht. Die erste Tendenz zur Degeminierung zeigt sich sprachhistorischen Untersuchungen zufolge darin, dass die Auftretenskontexte der Geminate im Spätalthochdeutschen erstmals auf die Position nach einem Kurzvokal beschränkt werden, während ihre Realisierung zuvor grundsätzlich auch nach Langvokalen möglich war (vgl. Simmler 1976, S. 61). Dass sich diese Entwicklung im Mittelhochdeutschen fortsetzt, spiegelt sich u. a. auch in Tendenzen der mhd. Graphie wider: „In Verbindung mit der vor Konsonantenhäufungen eintretenden Kürzung von Langvokalen wird die einmal phonologisch relevante Geminata zu einem graphischen Mittel zur Kennzeichnung der Kürze des vorhergehenden Vokals.“ (ebd., S. 66) Dies kann

49

Die in diesem Kapitel vorgenommene Darstellung der sprachhistorischen Prozesse folgt dem Konzept der Ambisilbizität nach Becker (s. 4.2.2.2).

90

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

heute, so u. a. Nübling et al. (2013, S. 36), als Indiz dafür gesehen werden, dass bereits in dieser Zeit einfache Konsonanten ambisilbisch artikuliert wurden. Der Trend zur Ambisilbifizierung lässt sich zudem in enger Abhängigkeit von phonotaktischen Beschränkungen erklären, die sich im Zuge von Lautwandelprozessen vom Mittel- zum (Früh-)Neuhochdeutschen durchsetzten: Die sich schon im 12. Jahrhundert anbahnende Dehnung von Vokalen in offenen Tonsilben50 und das daraus resultierende Verbot kurzer offener Tonsilben veranlassten Sprecher/-innen dazu, „Vokalkürze durch Koartikulation mit dem Folgekonsonanten herzustellen.“ (Becker 1998, S. 72) Der Prozess der Ambisilbifizierung nach Kurzvokal erstreckt sich folglich über einen recht langen Zeitraum und findet nach heutigem Forschungsstand im Frühneuhochdeutschen (ca. 1350-1650) seinen vollständigen Abschluss (vgl. Nübling et al. 2013, S. 35). Letztlich ist in diesem sprachhistorischen Prozess die in der deutschen Gegenwartssprache festgelegte Position ambisilbischer Konsonanten „an der Grenze zwischen betonter und unbetonter Silbe“ (Szczepaniak 2007, S. 49) begründet. Die durch die Ambisilbizität ‚verwischte‘ Silbengrenze liefert darüber hinaus auch die Begründung dafür, dass die Ersetzung von Geminaten durch ambisilbische Konsonanten als eine Verschlechterung der phonologischen Silbe auf der einen und als Optimierung des phonologischen Wortes auf der anderen Seite gewertet wird: Eine klare Silbensegmentierung ist bei ambisilbischen Konsonanten nicht (mehr) möglich, da sie als intersilbische Bindeglieder eine enge Verzahnung beider Silben herstellen und auf diese Weise die Einheit des phonologischen Wortes stärken (vgl. Nübling et al. 2013, S. 36). Der Versuch, Wörter mit ambisilbischen Konsonanten zu silbifizieren, mündet also zwangsläufig in der Realisierung von ‚verdoppelten‘ bzw. langen Konsonanten, d.h. Geminaten. Morpheminterne Geminaten sind in der deutschen Gegenwartssprache jedoch, wie bereits dargestellt wurde, nicht zulässig (vgl. ebd., S. 20). Die Ablösung der Gemination durch konsonantische Ambisilbizität fügt der phonologischen Silbe somit eine klare Schwächung zu. Auf der Ebene der Schrift findet dieser phonologische Prozess, darauf deutet u. a. Günthers diachroner Vergleich von Bibeldrucken (vgl. Günther 1999) hin, bereits Anfang des 17. Jahrhunderts Berücksichtigung: Hier wird die Geminate jedoch nicht wie im Gesprochenen aufgelöst, sondern zur Kennzeichnung des ambisilbischen Konsonanten bzw. des Silbengelenks nach Kurzvokal funktional genutzt, nämlich durch den Einsatz von

50

s. Fußnote 46.

4.3 Sprachhistorischer Exkurs: Diachrone Lautveränderungen

91

Doppelkonsonantenbuchstaben (z. B. Himmel, kommen, sollen), obgleich diese zunächst nur in zweisilbigen Formen und noch nicht in komplexeren Wortformen mit morphologisch vererbten Silbengelenkschreibungen (z. B. solt statt sollt) Anwendung finden (vgl. ebd., S. 173f.). Auch beobachtet Günther eine z. T. fortwährende Nutzung von Doppelkonsonantenbuchstaben ohne Bezug zur silbisch bedingten Vokalquantität (z. B. lieffen, vgl. ebd.). Dennoch zeichnet sich in dem Gebrauch der graphischen Doppelkonsonanz ein zunehmend gefestigtes System ab.51 Wolf (2000, S. 1533) weist in seinen Untersuchungen zur Geminatenschreibung des Frühneuhochdeutschen darauf hin, dass die graphische Geminate in distinkter Funktion, d. h. zur Markierung von vorangehender Vokalkürze, zunächst nur für die Sonorantengrapheme und partiell für bzw. gilt und dies auch nur in zwischenvokalischer Position. Die Doppelungen der (weiteren) Obstruentengrapheme können in dieser Zeit zumeist als Variantenschreibungen der einfachen Graphien angesehen werden (z. B. auff, volck, vgl. Günther 1999, S. 174). Sie fügen sich in die bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts zu beobachtende Variationsbreite von Schreibungen ein, die sich u. a. in der beliebten Verwendung von Konsonantendopplungen und -häufungen mit rein stilistischer Funktion ausdrückte (vgl. Wolf 2000, S. 1528, 1533). Ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und somit zu einem Zeitpunkt, an dem sich die phonologische Ambisilbifizierung von ursprünglich lang artikulierten Konsonanten (Geminaten) etabliert, vollzieht sich in der Schrift ein Prozess des Variantenabbaus, der auch mit der von Orthographietheoretikern geforderten Reduktion der Geminatenschreibungen ohne „phonetische Ursachen“ (ebd., S. 1528) einhergeht. Auch wenn sich die Doppelkonsonanz von Sonoranten- und Obstruentengraphemen im Geschriebenen erst nach und nach systematisiert, kann der Fortbestand der schriftlichen Repräsentation von ambisilbischen Konsonanten durch Doppelkonsonantenbuchstaben im gegenwärtigen Schriftsystem mit Blick auf ihre Entstehungszeit als Markierung einer „Epochenverankerung“ (Eroms 1997, S. 228) betrachtet werden.

51

Günther (ebd., S. 174) verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Grammatiker diese Systematik der Doppelkonsonanz erst Mitte des 18. Jahrhunderts, also mit deutlicher Verzögerung, entdecken.

92

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

4.3.2

Die Stärkung des phonologischen Wortes durch die Bildung fußinterner Hiatus

Eine ähnliche Wirkung wie die Ambisilbifizierung von ursprünglich langen Konsonanten in wortmedialer Position erzielt auch die Hiatusbildung im Frühneuhochdeutschen (vgl. Szczepaniak 2007, S. 261). Während im Althochdeutschen hiatustilgende Konsonanten (in erster Linie [w, h, j, r]) der Vermeidung eines direkten Aufeinandertreffens vokalischer Silbenkerne in der Wortmitte dienten (z. B. mhd. bûwen > frühnhd. bauen, vgl. ebd., S. 258), wurde diese Hiatüberbrückung ab dem Mittelhochdeutschen zur Optimierung des phonologischen Wortes schrittweise aufgegeben (vgl. auch Mausser 1933, S. 556). Unter anderem können ab der Mitte des 12. Jahrhunderts einsetzende Schwächungsprozesse des Hauchlautes [h] in wortmedialer Position nachgewiesen werden: Die Tilgung des /h/ in intervokalischer Position führt zur Bildung von fußinternen Hiaten, die die Kohäsion des Fußes erhöhen. Die Struktur des phonologischen Fußes wird besser hervorgehoben, weil die Sonorität in seinem Inneren trotz der weiterhin bestehenden Silbengrenze nicht gesenkt wird. (vgl. Szczepaniak 2007, S. 211)

Das ursprünglich aus dem urgermanischen Fortis-Spiranten [x] entstandene [h] konnte sich im Mittel- und Frühneuhochdeutschen nur im Anlaut vor Vokal, nicht aber in wortmedialer Position zwischen Vokalen (also inlautend) halten (vgl. Szulc 2002, S. 174).52 Auch dieser Wegfall des intervokalischen Hauchlautes [h] stellt eine Entwicklung zuungunsten der wortinternen Silbengrenzen dar und verdeutlicht, warum seit dem Mittelhochdeutschen verstärkt die Strukturen der einfüßigen phonologischen Wörter in den Blick geraten (vgl. auch Szczepaniak 2007, S. 249). Dies gilt auch für die Verteilung des Hauchlautes [h] im heutigen phonologischen System des Deutschen: Da [h] nicht

52

Ausnahmen stellen einige onomatopoetische Formen wie mhd. ahī, ahā, fnhd. ahi, aha (bzw. die heutige Interjektion aha) dar, in denen das [h] auch inlautend realisiert wurde/wird ( vgl. Szulc 2002, S. 174). In Analogie zum Schwund des phonologisch inlautenden [h] entfällt im Frühneuhochdeutschen auch der bis zum Mittelhochdeutschen im Auslaut erhaltene Fortis-Spirant [x], z.B. mhd. schuoch : schuohes führt zu „fnhd. ⟨schu(o)ch⟩ : ⟨schu(o)s⟩ > ⟨schu(o)⟩ : ⟨schu(o)s⟩“ (Szulc 2002, S. 174). Hill (2013, S. 128) begründet diese Entwicklung morphologisch: Da mhd. schuoch die Pluralform mhd. schuohe bildete, deren inlautendes h im Fnhd. der Hiatusbildung weichen musste, handele es sich bei der Elision im Auslaut der einsilbigen Form um eine folgerichtige Angleichung.

4.3 Sprachhistorischer Exkurs: Diachrone Lautveränderungen

93

im Anfangsrand der unbetonten Silbe stehen kann, erklärt sich sein Auftreten „nicht silben-, sondern wortbezogen, da es auf die Stammsilbe beschränkt ist, die gewöhnlich am Anfang eines (einfüßigen) phonologischen Wortes steht wie in haben [Hervorhebung im Original]" (Szczepaniak 2012, S. 86f.). Gleichermaßen deutet sich in der beschriebenen Hiatusentstehung ab dem Mittelhochdeutschen bereits an, weshalb sich seit dem Frühneuhochdeutschen in der Schrift eine zunehmende Nutzung des Graphems als ein rein „graphisches Silbenanfangssignal“ (ebd., S. 211f.) beobachten lässt: Dadurch, dass es seit dem Frühneuhochdeutschen inlautend kein phonologisches Äquivalent mehr besitzt, kann es „als Dehnungszeichen und bei Zweisilbigkeit auch als ‚Silbentrenner‘“ (Szulc 2002, S. 174) genutzt werden. Dies zeigt sich nach Hill (2013) insbesondere in den Flexionsformen starker Verben wie nhd. sehen: Während die konjugierten Verbformen im Mittelhochdeutschen noch mit einem artikulierten intervokalischen [h] gebildet wurden (mhd. sihest, sehet, sehent), ist das h in den neuhochdeutschen Formen (nhd. siehst, seht, sehen) nur noch in der graphematischen, nicht aber in der phonologischen Repräsentationsform enthalten. Gleichzeitig verweisen die angeführten neuhochdeutschen Formen auf den Schwund von unbetontem e vor -t und -st, der die Einsilbigkeit von siehst, sieht bedingt (vgl. ebd., S. 127f.). In Bezug auf die heutige Verwendung des Graphems in wortmedialer Position ist die funktionale Unterscheidung seines Einsatzes zur (a) (additiven) graphischen Markierung von Vokaldehnung oder (b) zur graphischen Markierung der Silbengrenze entscheidend. Für die Kennzeichnung von Vokaldehnung (entspricht (a)) können aus sprachhistorischer Perspektive generell vier Markierungtypen bestimmt werden: die Schreibung von Doppelvokalen, das Dehnungs-, das Dehnungs- oder eine Kombination aus diesen einzelnen Formen (vgl. Eroms 1997, S. 225). Maas (1989) verweist zudem auf ältere Texte aus dem ‚hansischen Drittel‘, einem regionalen Unterbündnis der mittelalterlichen Hanse: Dort wurde seinen Ausführungen zufolge im Unterschied zum Dehnungs- des niederdeutschen/niederländischen Kulturraums das zur Anzeige von Dehnung genutzt (vgl. Maas 1989, S. 15). Mit Ausnahme der -Schreibung konnte sich im System der Schrift das Dehnungs- als „das eigentliche Längenzeichen“ (ebd.) durchsetzen, wohingegen das Dehnungs- „nur in Ortsnamen des Nordwestens (Soest, Coesfeld)“ (Eroms 1997, S. 225) erhalten geblieben ist (ähnlich auch das Dehnungs- etwa in Troisdorf oder das in niederdeutschen Namen, z. B. Bockel). Der Fall, in dem das Graphem an der Stelle eines intervokalisch verstummten Lautes steht, i. e. das silbeninitiale (siehe (b)), wird für

94

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

Abschnitt 4.5.2.2 von Bedeutung sein und dort unter synchronen Gesichtspunkten aufgegriffen. Dass Dehnungs- und silbentrennendes in vielen gegenwärtigen Darstellungen des deutschen Schriftsystems unterschiedslos als Dehnungszeichen ausgewiesen werden, erscheint zumindest aus sprachhistorischer Perspektive vertretbar: Da die phonologische Hiatusbildung und die graphematische Nutzung des als Silbengrenzenmarkierer mit dem Prozess der Vokaldehnung in offenen Tonsilben einhergingen, steht das zwangsläufig nach Langvokal und zeigt somit indirekt, aber letztlich nicht in primärer Funktion, auch Vokallänge bzw. -dehnung an (vgl. u. a. Kohrt 1989, S. 192f.; Primus 2000, S. 29–31). 4.4 Zwischenfazit Die vorangegangenen Ausführungen haben sich dezidiert mit Fragen des Zusammenhangs von geschriebener und gesprochener Sprache beschäftigt. Dabei konnte zunächst festgehalten werden, dass sich Laut- und Schriftsprache einerseits sowohl in diachroner als auch in synchroner Betrachtungsweise materiell und sachstrukturell unterscheiden, sie andererseits wechselseitig aufeinander bezogen sind. Es wurde deutlich, dass diese Beziehung erstens nicht trivial im Sinne einer klaren Hierarchisierung bzw. der Ableitung der einen Sprachform aus der anderen ist, sondern dass beide unterschiedlich auf Sprachwandelprozesse reagieren und auf spezifische Weise (grammatische) Informationen kodieren. Es hat sich zweitens gezeigt, dass unterschiedliche methodische und konzeptionelle Untersuchungsansätze und auch unterschiedliche Bewertungen des Verhältnisses von Strukturen der geschriebenen Sprache zu den anderen Ebenen des Sprachsystems bzw. der Grammatik möglich sind. Drittens konnte dargelegt werden, dass die lange Zeit als primäre Referenzdisziplin herangezogene segmentale Phonologie nicht nur wenig geeignet ist, um die Strukturen geschriebener Sprache differenziert zu beschreiben, sondern auch zahlreiche Eigenschaften des gesprochenen Wortes nicht adäquat erfassen kann, da sich diese nur durch die Analyse des segmentübergreifenden Umfelds, d. h. auf suprasegmentaler Ebene, ermitteln lassen. Im sprachhistorischen Exkurs wurde viertens deutlich, dass die deutsche Orthographie kein statisches, sondern ein funktional „gewachsenes System“ (Eroms 1997, S. 233) ist, das u. a. (!) auch sprachhistorische Entwicklungen sichtbar macht und speichert: Die Betrachtung des historischen Prinzips als ein Zugang zur deutschen Wortschreibung erweist sich aus

4.4 Zwischenfazit

95

linguistischer Perspektive nicht nur als fruchtbarer, sondern auch notwendiger Teilschritt, wenn man dem Wesen der Wortschreibung „in ihrem historischen Gewordensein“ (ebd., S. 232) umfassend gerecht werden möchte.53 Auf der Basis dieser Darstellungen soll der Blick nun dezidiert auf den fokussierten Gegenstandsbereich der vorliegenden Arbeit, d. h. die grundlegenden Strukturen der deutschen Wortschreibung, gerichtet werden. Für die schrifttheoretische Grundlegung der weiteren Ausführungen sind folgende Erkenntnisse leitend: 1. In der Annahme relativer Eigenständigkeit der geschriebenen Sprache und gleichzeitiger Anerkennung ihres interdependenten Verhältnisses zur gesprochenen Sprache wird davon ausgegangen, dass sich der strukturelle Zusammenhang, aber auch funktionale Unterschiede beider Sprachformen erst dann fundiert erfassen lassen, wenn zu den autonomen Strukturen beider Sprachformen differenzierte Befunde vorliegen. Aus diesem Grund sollen die internen Strukturen des graphematischen Wortes in ihrer Spezifizität erfasst und hinsichtlich der für die Schriftsystematik konstitutiven Regularitäten untersucht werden, bevor anschließend die (interdependenten) Bezüge zur Lautung herausgestellt werden. Das graphematische Wort wird in der vorliegenden Arbeit als „eine Graphemkette zwischen zwei Spatien […], die intern keine weiteren Spatien enthält“ (Fuhrhop und Buchmann 2015, S. 415), definiert.54 Wie in Kapitel 4.2 (s. Fußnote 33, S. 74) bereits angedeutet, erweist sich eine terminologisch eindeutige Differenzierung

53

54

Auch eine dezidierte Untersuchung der Schreibentwicklung (dazu u. a. Scheuringer 1996; Nerius 2000) zeigt, dass die Schriftnorm des Deutschen nicht aus einer einmaligen externen (staatlichen) Setzung hervorgegangen ist, sondern sich in weiten Teilen aus dem Gebrauch heraus entwickelt hat. Das graphematische Wort ist anhand dieses visuellen Definitionsmerkmals wesentlich einfacher zu bestimmen als das phonologische Wort, das im Lautkontinuum einer Äußerung nicht unmittelbar identifiziert werden kann (s. Kapitel 4.1 und 4.2.1), und korrespondiert grundsätzlich mit morphologischen und v. a. syntaktischen Wortgrenzen (vgl. Evertz 2016, S. 394). Beziehen sich die weiteren Ausführungen zur Begründung der Wortschreibung auf phonetisch-phonologische Merkmale des gesprochenen Wortes, so wird in diesen Fällen vom lautsprachlichen Korrelat oder der phonologischen Repräsention des jeweils betrachteten geschriebenen Wortes gesprochen. Der Begriff des phonologischen Wortes ist in diesem Kontext zu vermeiden, da er nicht als lautsprachliches Äquivalent des graphematischen Wortes angesetzt werden kann, sondern grundsätzlich abweichend definiert ist – Komposita bilden beispielsweise mehrere phonologische Wörter, während sie im Geschriebenen eine Einheit darstellen (vgl. Fuhrhop und Buchmann 2015, S. 416).

96

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

zwischen graphematischen und phonologischen Wortstrukturen als schwierig. Im Folgenden sollen Bezüge auf dezidiert graphematische Strukturen sprachlich möglichst klar markiert werden, etwa, indem die graphematischen Äquivalente der betonten und unbetonten phonologischen Silben des trochäischen Prototyps als graphematische Hauptsilbe und graphematische Reduktionssilbe gekennzeichnet werden; es lässt sich dennoch nicht gänzlich vermeiden, zur Beschreibung graphematischer Strukturen auf phonologische Begriffe (z. B. auch Vokallänge und -gespanntheit usw.) zurückzugreifen; im Untersuchungsfokus stehen stets ihre graphematischen Äquivalente (vgl. auch Eisenberg 2013, S. 299). 2. Unter Berücksichtigung der phonologisch-typologischen Entwicklung des Deutschen zu einer Wortsprache, in der sich Wörter nicht als linear aufgebaute Segmentfolgen begreifen lassen, sondern als Repräsentationen komplexer Strukturen mit grammatischen Informationsgehalt auf mehreren Ebenen, sollen die in der Sprachwissenschaft lange Zeit vernachlässigten suprasegmentalen, insbesondere die silbenstrukturellen Merkmale des graphematischen Wortes in den Blick genommen werden. Ihre Analyse erfolgt aber stets unter Beachtung der weiteren grammatischen Teilsysteme, die für die Wortschreibung relevant sind. Dies erweist sich auch insofern als bedeutsam, als sich die im sprachhistorischen Wandel des Deutschen vollzogene Stärkung des Wortes unmittelbar auf die Struktureinheiten auswirkt, die zur Begründung der deutschen Wortschreibung herangezogen werden: Da die Einzelsilbe als zunehmend geschwächt ausgewiesen wurde, ist sie allein nicht geeignet, um graphematische Regularitäten zu erklären; sie verliert damit jedoch nicht ihre Bedeutung an sich – entscheidend ist vielmehr, dass ihre Analyse innerhalb der gesamten (trochäischen) Wort- bzw. Fußstruktur stattfindet. 3. Im Hinblick auf das für jede/n Schriftbenutzer/-in relevante Wissen um die richtige Wortschreibung, die Orthographie, wird das hinter dieser konventionellen Setzung wirksame System betrachtet und in seiner Funktionalität ausgewertet. Dies geschieht – in Anlehnung an die richtungsweisenden schriftgrammatischen Arbeiten von Maas (u. a. 1989) und Eisenberg (u. a. 1989) und die darauf basierenden neueren Erkenntnisse der Graphematik – unter der Annahme, dass ein solches System tatsächlich existiert und kognitiv (und nicht etwa akustisch-perzeptiv) zu erschließen ist.

4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung

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4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung Wir schreiben also nicht Laute, […] wir schreiben in grammatischen Strukturen. (Maas 1989, S. 13) Ausgangspunkt der weiteren Ausführungen ist die Zuordnung des deutschen Schriftsystems zum Typ der Alphabetschriften, auch Buchstabenoder Graphemschriften (s. 4.1). Im Unterschied zu anderen Schriftsystemen basiert eine Alphabetschrift auf der regelhaften Korrespondenz zwischen phonologischen und graphematischen Segmenten. Dennoch, darauf wurde bereits verwiesen, stellt die Verschriftung nativer Wörter „keineswegs einfach nur eine Abbildung des Lautsystems“ (Fuhrhop und Peters 2013, S. 180) dar; vielmehr werden die jeweiligen Zielschreibungen über die Beachtung unterschiedlicher Schreibprinzipien generiert (vgl. ebd., S. 181). Verantwortlich zeichnet sich dafür die aus dem strukturellen und quantitativen Vergleich unterschiedlicher Schriftsysteme gewonnene Einschätzung des Deutschen als „relativ tiefes System“ (Dürscheid 2016, S. 142), in dem die basalen Phonem-Graphem-Korrespondenzen eng mit silbenstrukturellen und morphologischen Regularitäten verknüpft sind.55 Geschriebene Sprache ist demnach weitaus mehr als die visuelle Wiedergabe phonologischer Segmente; sie kodiert, wie Maas (1989) formuliert, „grammatische Strukturen“ (ebd., S. 13), die systematisch beschrieben werden können. Dieser Aufgabe, also der deskriptiven Erfassung der schriftgrammatischen Strukturen, widmet sich die Graphematik. In der Sprachwissenschaft wird letztere ähnlich wie die Grammatik (vgl. Bußmann 2002, S. 259) als Terminus für unterschiedliche Gegenstandsbereiche verwendet. Für diese Arbeit sind zwei davon zentral: 1. Die Graphematik soll verstanden werden als Teildisziplin der Grammatik, genauer: als Wissen bzw. Lehre vom Schriftsystem (vgl. u.a. Fuhrhop und Peters 2013, S. 180). 2. Die Graphematik soll als Begriff mit dem strukturellen System assoziiert werden, das der geschriebenen Sprache zugrunde liegt

55

Der Parameter der Tiefe für die Charakterisierung von Schriftsystemen geht auf Meisenburg (1996) zurück und wurde insbesondere für den Vergleich der romanischen Schriftsysteme entwickelt.

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4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

und dessen Regularitäten über die (lautunabhängige) Schriftanalyse beschrieben werden können.56 In Abgrenzung zu Neef (2005), der das Schriftsystem mit seinen Komponenten Graphematik und Orthographie als auf ein Sprachsystem bezogenes, aber nicht in die Grammatik des Sprachsystems integriertes System versteht (vgl. ebd., S. 5), wird die Graphematik (und mit ihr die Orthographie) hier in Orientierung an Eisenberg (2013) als ein grammatisches Teilsystem neben den weiteren Teilsystemen Phonetik, Phonologie, Morphologie und Syntax aufgefasst (vgl. ebd., S. 5; auch Fuhrhop und Peters 2013, S. 186). Die Beschreibung dieses graphematischen Systems wird dabei wiederum als Aufgabengebiet der eigenständigen schriftgrammatischen Disziplin betrachtet (siehe 1.), die sich mit den Graphemen eines Sprachsystems und der Frage befasst, „nach welchen Regeln die Grapheme zu größeren Einheiten kombiniert werden“ (Eisenberg 2016, S. 66). Im Bemühen um eine möglichst eindeutige Terminologie wird der Begriff Graphematik im Weiteren zur Bezeichnung dieser grammatischen Disziplin (siehe 1.) gebraucht und im Rekurs auf die Graphematik als regelhaftes System (siehe 2.) der Begriff des Schriftsystems verwendet. Die Strukturen des Schriftsystems werden fernerhin als graphematische Strukturen ausgewiesen, da mit dieser Kennzeichnung auf ein entscheidendes Merkmal der Graphematik hinsichtlich ihrer methodischen Herangehensweise verwiesen wird: Sie setzt bei der Untersuchung des Schriftsystems auf der Schriftebene an, ermittelt schriftsprachliche Strukturen also (zunächst) lautunabhängig (vgl. auch Günther 1988, S. 64), um mit der Blickrichtung vom Geschriebenen zum Gesprochenen die dem Lesen und Schreiben zugrunde liegenden Regularitäten der Schrift binnenstrukturell zu erfassen. Anders als bei Neef (2005) ist der Gegenstand der Graphematik in dem hier vertretenen Verständnis nicht auf phonographische Bezüge, d. h. die Phonem-Graphem-Korrespondenzen des deutschen Schriftsystems, begrenzt, sondern nimmt sämtliche grammatische Informationen, die in der Schrift kodiert sind (z. B. auch morphologische), in den Blick. Auf diese Weise wird berücksichtigt, „dass sprachliche Einheiten immer gleichzeitig morphologisch, phonologisch bzw. orthographisch und jenseits von Wortformen auch syntaktisch strukturiert sind“ (Eisenberg 2013, S. 4).

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Diese Einteilung wird in Analogie zu Bußmanns Differenzierung der grammatischen Gegenstandsbereiche vorgenommen (vgl. Bußmann 2002, S. 259).

4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung

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Insgesamt geht es der Graphematik folglich um die Beschreibung schriftgrammatischer Regularitäten, die das im Schreibgebrauch angewandte graphematische System bestimmen. Neben der Beschäftigung mit der Systematik, die die Wortschreibung begründet, ist ein/e Schreiber/-in immer auch mit den festgelegten Konventionen richtigen Schreibens konfrontiert. Aus diesem Grund muss zwischen Schriftsystem einerseits und Schriftnorm andererseits bzw. den jeweils damit befassten Disziplinen Graphematik und Orthographie unterschieden werden. Die Orthographie bezieht sich im Unterschied zur Graphematik nicht auf die Beschreibung des Schriftsystems, sondern auf dessen Normierung. Sie legt fest, welche Schreibungen im Schriftsystem einer Sprache als richtig zu gelten haben (vgl. Dürscheid 2016, S. 129). In ähnlicher Weise wie die Graphematik wird die Orthographie sowohl als Terminus für eine mit der Schriftnormierung befasste Disziplin als auch als Begriff für die normierten Schreibungen selbst verwendet (vgl. Nerius und Baudusch 2007, S. 31). In den weiteren Darstellungen stehen letztere im Fokus, da es für die Untersuchung der zentralen Fragestellung von Belang ist, inwieweit die orthographisch normierten Schreibungen mit den Erkenntnissen der Graphematik zum Schriftsystem übereinstimmen, ob sich die Strukturen der konventionell festgelegten Schreibungen als „ein Ergebnis sprachpolitischer Akte“ 57 (ebd. Böhm und Mehlem 2015b, S. 114) also schriftsystematisch begründen lassen. Welche Prinzipien für das deutsche Schriftsystem als grundlegend angenommen werden, variiert in den sprachwissenschaftlichen Darstellungen im Hinblick auf ihre Anzahl, Gewichtung, Hierarchisierung und Beziehung zueinander (eine Auswahl im Überblick bei: Nerius und Baudusch 2007, S. 96f.). Die jeweilige Einteilung wird dabei in der Regel von den herangezogenen Bezugsdisziplinen und einbezogenen Teilbereichen des Sprachsystems, aber auch von der diachronen oder synchronen Betrachtungsweise bestimmt. Im Weiteren folge ich Eisenberg (2013, 2016) und gehe bei synchroner Beschreibung des Gegenstands von drei leitenden Prinzipien der Wortschreibung aus. Sie ergeben sich aus dem Verständnis der Graphematik als Teilbereich der Grammatik und beziehen sich neben

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Orthographische Normen sind jedoch grundsätzlich nicht als statische Verfügungen zu verstehen, sondern lassen gebrauchs- und funktionsorientierte Veränderungen zu. Aus der Perspektive Eisenbergs (2013) besteht das Erfordernis jeder Normüberarbeitung grundsätzlich in einer sorgfältigen graphematischen Analyse der bisher gültigen orthographischen Strukturen sowie einer differenzierten Beachtung des herrschenden Schreibusus (vgl. ebd., S. 287).

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4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

den autonomen graphematischen Strukturen auf die weiteren Teilsysteme der Wortgrammatik: die Phonologie und Morphologie (vgl. Eisenberg 2013, S. 4). Die Phonetik, die sich mit den materiellen Merkmalen lautsprachlicher Äußerungen beschäftigt, wird zwar als konstitutiver Bereich der Grammatik angesehen, spielt bei der Ermittlung von Schreibprinzipien jedoch eine untergeordnete Rolle, da phonetische Kontraste ohne distinktive Funktion graphematisch nicht wiedergegeben werden (vgl. Primus 2000, S. 12). Nachfolgend werden daher das phonographische, das silbische und das morphologische Prinzip nach Eisenberg (2013 und 2016) vorgestellt. Anders als in vielen anderen gegenwärtigen sprachwissenschaftlichen und sprachdidaktischen Einteilungen von Schriftprinzipien (z. B. Nerius und Baudusch 2007, S. 95; Thomé 2014, S. 24) werden silbische Strukturen in einem eigenständigen Prinzip zusammengefasst, sind also mit dem phonographischen und morphologischen Prinzip gleichgestellt. Das u. a. für die Groß- und Kleinschreibung sowie Getrennt- und Zusammenschreibung relevante syntaktische Prinzip wird mit Verweis auf den Forschungsgegenstand der Arbeit, die Schreibung im Wortinneren, nicht weiter ausgeführt. Historisch und auch ästhetisch bedingte Schreibungen werden zwar zur (diachronen) Erklärung einiger im Schriftsystem vorliegender Strukturen angeführt (s. 4.3), sind jedoch prinzipiell nicht generalisierbar und können für die konkrete Umsetzung von Schrift kaum systematisiert werden (vgl. auch Nerius und Baudusch 2007, S. 98), sodass sie hier nicht als Schreibprinzipien ausgewiesen werden. Betrachtet werden sollen lediglich die systematischen Beziehungen, die die deutsche Wortschreibung fundieren. Insofern beschränkt sich die Darstellung auch auf den nativen Wortschatz und blendet Fremdwortschreibungen aus. Ebenso gehen die folgenden Ausführungen nicht näher auf die niedrigste Strukturebene des deutschen Wortes, die Ebene der Buchstabenmerkmale, ein. Zwar existieren auch hierfür aufschlussreiche Zugänge (u. a. Primus 2006, 2010; Fuhrhop und Buchmann 2009),58 die verdeutlichen, dass schon in den Formen dieser

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Primus (2006, 2010) legt ein Konzept der Formanalyse von Buchstaben vor, das über die Systematisierung von Buchstabenmerkmalen phonologisch-graphematische Beziehungen und deren klassifizierbaren Zusammenhänge aufzeigt. Fuhrhop und Buchmann (2009) entwickeln basierend auf Primus‘ Ausführungen ein graphematisches Silbenbaugesetz, das analog zur Sonoritätshierarchie der phonologischen Silbe besteht und das Längenmerkmal von Buchstaben als die zentrale Eigenschaft herausstellt, anhand derer der strukturelle Aufbau der graphematischen Silbe beschrieben werden kann.

4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung

101

kleinsten Elemente schriftspezifische Merkmale und erste Zusammenhänge zwischen phonologischen und graphematischen Strukturen sichtbar werden; für das in der vorliegenden Arbeit primär auf didaktische Kontexte bezogene Erkenntnisinteresse erweisen sich Formanalysen dieser Art jedoch als nachgeordnete Perspektive auf den Gegenstandsbereich. In Analogie zu dem oben angeführten Strukturmodell des phonologischen Wortes (s. Abb. 4, S. 72), in dem die phonologischen Segmente (und nicht etwa die ihnen zugeordneten distinktiven phonetischen Merkmale) die unterste Hierarchieebene bilden, werden daher in den folgenden Erläuterungen zum deutschen Schriftsystem die Grapheme als kleinste (bedeutungsunterscheidende) Einheiten des graphematischen Wortes (s. 4.5, S. 114) betrachtet. In den Folgekapiteln sollen die in dieser Arbeit als grundlegend angesetzten Prinzipien der Wortschreibung ausführlich dargestellt werden.

4.5.1

Das phonographische Prinzip

Für Alphabetschriften ist die Zuordnung von lautlichen zu schriftlichen Repräsentationen grundlegend. Die Herleitung laut- und schriftsprachlicher Korrespondenzen kann grundsätzlich aus zwei Richtungen erfolgen: (a) aus Kodier- bzw. Schreibrichtung oder (b) aus Rekodier- bzw. Leserichtung. Leitet man nach (a) aus einer phonologischen Wortrepräsentation ihre graphematische Korrespondenzform ab, so ist man zunächst mit der oben (s. 4.1) angeführten unterschiedlichen Materialität von gesprochener und geschriebener Sprache konfrontiert: Im Unterschied zu den schriftlichen Wortrepräsentationen, in denen sich die einzelnen graphischen Segmente mühelos visuell erfassen lassen (auch wenn hierbei die Differenzierung von Buchstaben und Graphemen relevant ist, s. unten), stellt das Gesprochene ein Lautkontinuum dar, verfügt also über keine diskreten Elemente (vgl. Günther 1988, S. 13–17). Möchte man nun über die Zerlegung des gesprochenen Wortes in dessen einzelne Segmente die korrespondierenden schriftlichen Segmente ableiten, so stellt diese Isolierung lautlicher Segmente im Grunde genommen eine Idealisierung dar – sie ist schließlich nicht in der ‚Natur‘ der Lautsprache angelegt, sondern erfordert bereits differenziertes Sprachwissen, auch über die weiteren wirksamen Schreibprinzipien (vgl. Fuhrhop und Peters 2013, S. 180f.). Eine lautsprachlich initiierte Herangehensweise muss folglich damit umgehen können, dass Wörter keine reinen Lautketten darstellen.

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4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

Folgt man hingegen nach (b) einer Blickrichtung vom Geschriebenen zum Lautlichen, so müssen auf der Basis von Buchstaben- bzw. Graphemketten entsprechende lautsprachliche Repräsentationen mit kontinuierlichen Elementen erzeugt werden. Genau darin besteht eine wesentliche Aufgabe des lauten Lesens. Auch hierfür sind weiterführende Kenntnisse zu den in der Schrift wirksamen Prinzipien erforderlich. Wie genau nun aber dieser Teilbereich des Schriftsystems, der die phonologisch-graphematischen Korrespondenzen betrifft, organisiert ist, wird in der Linguistik unterschiedlich dargestellt. Dabei deuten oft schon die unterschiedlichen Termini für die ‚alphabetschriftliche‘ Basis der deutschen Wortschreibung auf eine unterschiedliche konzeptionelle Grundlegung hin, die vor allem in der Berücksichtigung und Gewichtung von segmentaler oder/und suprasegmentaler Ebene divergieren: Bei Nerius und Baudusch (2007) steht das phonematische Prinzip als leitender Begriff dafür, dass „Buchstaben oder Buchstabengruppen (Grapheme) einzelne Laute oder Lautgruppen (Phoneme oder Phonemverbindungen) repräsentieren“ (ebd., S. 100). Primus‘ Bezeichnung des phonographischen Prinzips schließt hingegen grundsätzlich alle Struktureinheiten ein, die das Wort phonologisch und graphematisch in analoger Weise organisieren, betrifft also nicht nur die lautlich-schriftlichen Korrespondenzen auf Segmentebene, sondern auch alle weiteren suprasegmentalen Ebenen (vgl. Primus 2010, S. 19). Eisenberg (2013) nutzt eine feinere begriffliche Unterscheidung, mit der die Einflüsse der einzelnen in der Wortschreibung wirksamen Teilsysteme differenziert betrachtet werden können: Das, was Primus (2010) unter dem phonographischen Prinzip zusammenfasst, weil nicht nur Segmente, sondern auch „Silbenstrukturen und alle weiteren suprasegmentalen Ebenen zur Phonologie gehören“ (ebd., S. 19), bezeichnet er im Sinne eines übergeordneten Prinzips als phonologische Schreibungen (vgl. Eisenberg 2013, S. 305). Schreibungen von Wortstämmen und Affixen, die sich aus Graphem-Phonem-Korrespondenzen ergeben, d. h. aus segmentalen Zuordnungen abgeleitet werden, gelten als Teilbereich der phonologischen Schreibungen und werden als phonographische Schreibungen klassifiziert bzw. dem phonographischen Prinzip (Eisenberg 2016, S. 66) zugeordnet. Phonographisch ist eine Schreibung demnach immer dann, wenn Wörter unter der Anwendung der Graphem-PhonemKorrespondenzregeln richtig geschrieben werden können. Als zweites Subprinzip der phonologischen Schreibungen bezeichnet Eisenberg (2016) das silbische Prinzip (s. 4.5.2) und damit Schreibungen, die auf suprasegmentaler Ebene organisiert sind (vgl. ebd., S. 71). Für das Unter-

4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung

103

suchungsinteresse der vorliegenden Arbeit erscheint die Verwendung dieser Einteilung Eisenbergs sinnvoll, da sowohl die einzelne Betrachtung der beiden hierarchieniedrigsten Struktureinheiten als auch ihr Zusammenwirken als diejenigen Ebenen, auf denen lautliche Strukturen in schriftliche übersetzt werden können (und umgekehrt), bedeutsam sind.59 Das phonographische Prinzip, verstanden als basales, aber nicht alleiniges Prinzip des deutschen Schriftsystems (vgl. u. a. Fuhrhop und Peters 2013, S. 209), beschreibt also, wie die kleinsten Einheiten des phonologischen und graphematischen Wortes aufeinander bezogen sind.60 Um diese Zuordnungen präzise zu erfassen, müssen die dabei relevanten Struktureinheiten begrifflich eindeutig gefasst und voneinander abgegrenzt werden. Auf der phonologischen Seite gilt dies in erster Linie für das Phon und das Phonem, auf der graphematischen für den Buchstaben, auch Graph, und das Graphem. Sollen gesprochene Wortformen in eine phonetische Umschrift übertragen werden, müssen die Lautkontinua dafür in ihre Segmente zerlegt werden. Für eine präzise Wiedergabe der akustisch-artikulatorischen Eigenschaften dieser Segmente wird in der phonetischen Transkription (nach dem Internationalen Phonetischen Alphabet) auf Phone referiert. Phone bezeichnen die konkrete artikulatorische Realisierung eines lautlichen Segments und werden in Transkriptionen durch eckige Klammern [ ] gekennzeichnet. Demgegenüber ist von Phonemen die Rede, wenn es nicht um die rein materiellen Eigenschaften von Lauten geht, sondern um die Funktion dieser phonetischen Laute zur (Bedeutungs-)Unterscheidung von Wörtern und Wortformen einer Sprache (vgl. Fuhrhop und Peters 2013, S. 38): Phoneme werden in den meisten Darstellungen dementspre-

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Zur Bezeichnung des mit den segmentalen phonologisch-graphematischen Korrespondenzen befassten Subprinzips wird der Terminus phonographisch gegenüber phonematisch präferiert, da letzterer mitunter den (fehlleitenden) Eindruck vermittelt, die zur Erfassung der bezeichneten Korrespondenz einzig mögliche Analyserichtung sei die phonembasierte. Ein solches Verständnis, d. h. die unidirektionale Ableitung von Graphemen aus Phonemen, wurde oben mit Verweis auf die komplexe Beziehung zwischen gesprochenen und geschriebenen Strukturen der deutschen Sprache ausdrücklich zurückgewiesen. An dieser Stelle soll der Bezug zu den kleinsten bedeutungsdistinktiven Einheiten der Sprachformen hergestellt werden, sodass die von Primus (2006) angegebene unterste Hierarchieebene, die Buchstabenmerkmale, außer Acht gelassen wird.

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4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

chend als kleinste distinktive Einheiten der gesprochenen Sprache ausgewiesen und als solche üblicherweise zwischen Schrägstrichen / /61 notiert (vgl. z. B. Fuhrhop und Peters 2013, S. 39). Dabei gelten die unterschiedlichen artikulatorischen Realisierungen eines Phonems (z. B. kann das Phonem /ʀ/62 in der konkreten phonetischen Realisierung variierend als Frikativ [ʁ] oder als alveolar oder uvular produzierter Vibrant [r] bzw. [ʀ] auftreten) als dessen Allophone (vgl. Eisenberg 2006, S. 87). Der Terminus Phon verweist also allgemein auf das kleinste Segment eines Lautkontinuums, der Terminus Allophon stellt hingegen bereits einen Bezug zum bedeutungsdistinktiven Phonem her und weist einen Laut als eine phonetische Variante eines Phonems aus (vgl. ebd.). Im Geschriebenen ist auf der Segmentebene ebenfalls mit einem Begriffspaar umzugehen: Analog zum Phon und Phonem im Gesprochenen werden hier der Buchstabe und das Graphem unterschieden. Dabei erscheint der Buchstabe „als die kleinste, im gedruckten Text durch Lücken (Leerschritte) abgegrenzte Einheit“ (Nerius und Baudusch 2007, S. 104), die sich aus der rein visuellen und damit noch funktionsunabhängigen Segmentierung eines geschriebenen Wortes ergibt und zwischen senkrechten Strichen | | dargestellt wird, während das Graphem, notiert in spitzen Klammern < >, als kleinste distinkte Einheit der geschriebenen Sprache bereits in bedeutungsunterscheidender Funktion auftritt (vgl. z. B. Fuhrhop und Peters 2013, S. 202). Das Buchstabeninventar des deutschen Schriftsystems ergibt sich aus der Gesamtheit der Buchstaben des deutschen Alphabets und wird ergänzt durch die Umlautbuchstaben |ä, ö, ü| sowie |ß|; unterschieden werden zudem die Minuskeln und Majuskeln. Ihre funktionale Bedeutung erhalten die Buchstaben erst dadurch, dass sie das graphetische Repertoire zur Realisierung der Grapheme stellen; besonders ist hier, dass manche

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In Orientierung an Eisenberg (2013) werden in dieser Arbeit lautliche Realisierungen von Wörtern und Wortformen und ihren Segmenten grundsätzlich in eckigen Klammern wiedergegeben; Schrägstriche werden nur dann verwendet, wenn explizit auf den Phonemstatus referiert wird (vgl. ebd., S. 82). (Aus diesem Grund werden in den phonologischen Umschriften gespannte Vokale auch mit Längenzeichen gekennzeichnet, dazu auch Eisenberg 2013, S. 291). Zur Begründung, warum das anlautende r trotz statistisch häufigerer Realisierung als Frikativ [ʁ] phonologisch meist als Vibrant [ʀ] angesetzt wird, vgl. Eisenberg 2013, S. 85. Eisenberg verweist darauf, „dass sich die r-Laute insgesamt eher wie Sonoranten verhalten.“ (ebd.)

4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung

105

Grapheme auch erst durch die Kombination mehrerer Buchstaben repräsentiert werden,63 so z. B. . Mehrgliedrige Grapheme solcherart werden von Fuhrhop und Peters (2013, S. 204) sowie Eisenberg (2013, S. 290) als komplexe Grapheme, von Nerius und Baudusch (2007, S. 106) als zusammengesetzte Grapheme und von Neef (2005, S. 41) als feste Buchstabenverbindungen bezeichnet. Welche Buchstaben(kombinationen) Graphemstatus besitzen, wird von ihnen und allgemein in der Forschung jedoch sehr unterschiedlich bewertet. Auch hier erweist sich die jeweilige Untersuchungsperspektive als ausschlaggebend. In der Regel wird zur Herleitung des Grapheminventars unabhängig von der wissenschaftlichen Positionierung auf die Methode der Minimalpaaranalyse zurückgegriffen, d. h., analog zur Phonembestimmung werden die bedeutungsunterscheidenden Segmente des graphematischen Wortes durch Substitution (z. B. , ) ermittelt. Ob diese Substitutionsanalysen innergraphematisch oder in Bezug auf die phonologischen Äquivalente, die Phoneme, erfolgt, ist dabei entscheidend für die Anlage des aus der Untersuchung hervorgehenden Inventars. So werten Fuhrhop und Peters (2013) das beispielsweise als ein komplexes Graphem, da keine Wortform gefunden werden kann, in der das |h| als graphetischer Bestandteil von durch einen anderen (konsonantischen) Buchstaben ersetzt werden kann (z. B. lachen -> *laclen). Beim können nach Fuhrhop und Peters hingegen beide Bestandteile, d. h., sowohl |s| als auch |ch| substituiert werden, wie es z. B. von Masche zu manche der Fall ist. Die Autor/-innen argumentieren hier über die innergraphematische Kombinatorik, nicht über die Korrespondenz zu phonologischen Segmenten. Auch Eisenberg (2013) geht von einer zum Phonembestand analogen, aber prinzipiell davon unabhängigen Ermittlung des Grapheminventars aus (vgl. ebd., S. 306) und betrachtet das mit /ʃ/ korrespondierende als Graphemfolge. In der abweichenden Bewertung von Nerius und Baudusch (2007) existieren zusammengesetzte Grapheme nur, wenn sie über die Beziehung zur phonologischen Ebene ermittelt werden. Alle auf diese Weise identifizierten Grapheme bezeichnen sie genauer als Phonographeme (vgl. ebd., S. 107), zu denen nicht nur , und , sondern auch beispielsweise als Phonographem für /a:/ gezählt werden (notiert in der Form , vgl. ebd., S. 109). Zu ähnlichen Einteilungen

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In der Phonologie ist dies m. E. nur der Fall, wenn Affrikaten als Monophoneme aus zwei phonetischen Bestandteilen bzw. Phonen gewertet werden.

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4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

gelangt Thomé (2014), der neben Graphemen, die aus nur einem Buchstaben bestehen, auch zusammengesetzte Grapheme wie und Doppelkonsonanten-Grapheme wie annimmt (vgl. u. a. ebd., S. 23; basierend auf: Thomé et al. 2011, siehe auch Abschnitt. 3.1.4). An dieser Stelle soll nicht näher auf die spezifische Methodik zur Bestimmung des Grapheminventars eingegangen werden, mit Verweis auf die nachfolgenden Ausführungen zum deutschen Schriftsystem aber die für die vorliegende Arbeit relevante Position benannt und begründet werden: In Orientierung an den bereits erläuterten Annahmen zum Schriftsystem und in grundlegendem Bezug auf die graphematischen Arbeiten von Eisenberg wird ein (weitgehend) lautunabhängiges, über die Buchstabenkombinatorik ermitteltes Grapheminventar angesetzt, aus dem sich anschließend einfache Korrespondenzen zum Phoneminventar herstellen lassen, die die Wirkweise des phonographischen Prinzips des deutschen Schriftsystems begründen. Dabei zeigt sich, dass sich zwar viele eindeutige Korrespondenzen identifizieren lassen, in denen genau ein Graphem und ein Phonem aufeinander bezogen sind, es hier aber auch zahlreiche Fälle gibt, in denen diese Eindeutigkeit aufgehoben bzw. an spezifische Kontexte gebunden ist. Eisenberg (2013) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen eineindeutigen und eindeutigen respektive zwischen kontextfreien (unmarkierten) und kontextgebundenen (markierten) Korrespondenzen (vgl. ebd., S. 291f.). In Übereinstimmung mit dem dahinter stehenden Leitgedanken sollen im Folgenden die primären Korrespondenzregeln für Grapheme und Phoneme dargestellt werden, die angeben, „welches Segment des Geschriebenen einem bestimmten Phonem im Normalfall entspricht“ (Eisenberg 2016, S. 68). Im Anschluss an diese phonographische Grundlegung werden die weiteren, kontextgebundenen Zuordnungen beleuchtet. In diesem Schritt kann schließlich auch begründet werden, warum in der vorliegenden Arbeit nur von primären Phonem-GraphemKorrespondenzen ausgegangen wird und Zeichenfolgen wie oder nicht als einzelne Grapheme, sondern als suprasegmentale Kodierungen aufgefasst werden. Es wird von einem Phoneminventar ausgegangen, das sich nach Eisenberg (2013, S. 289) aus 20 Konsonant- und 16 Vokalphonemen zusammensetzt, darunter acht gespannte (und unter Betonung lange) sowie sieben ungespannte (und unter Betonung kurze) betonbare und das nichtbetonbare Schwa [ə]. Der Phonemstatus des Reduktionsvokals [ə] ist in der Phonologie umstritten (dazu ausführlich: Fuhrhop und Peters 2013, S. 57–60). In seiner Fähigkeit zur Besetzung des Silbenkerns und der damit verbundenen Sicherung der regelhaften Betonungsstruktur von nativen

4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung

107

Wörtern wird [ə] hier als distinktive phonologische Einheit aufgefasst, auch wenn es als Reduktionsvokal von dem Verhalten der Vollvokale abweicht und in der Standardlautung sogar ausfallen kann. In dieser Einordnung zeigt sich bereits eine deutliche Überlappung mit silbisch-prosodischen Aspekten, sodass das Schwa unter dem silbischen Prinzip erneut beleuchtet wird. Das Grapheminventar des deutschen Schriftsystems verfügt nach Eisenbergs Bestimmungen über 21 Konsonantengrapheme und neun Vokalgrapheme64. Während die Anzahl der konsonantischen kleinsten bedeutungsunterscheidenden Segmente auf graphematischer Ebene die Anzahl der Konsonantphoneme aufgrund von und als unmarkierte und markierte Schreibung für /f/ nur um ein Segment übertrifft, stehen im vokalischen Bereich den 16 Vokalphonemen und nur acht Vokalgrapheme ( wird als Graphemfolge betrachtet, vgl. Eisenberg 2013, S. 292) gegenüber (vgl. ebd., S. 290). Schon hier, d .h. in der noch separaten Untersuchung beider Segmentsysteme, kündigt sich an, dass eine 1:1-Zuordnung von Phonemen und Graphemen nicht möglich ist. Im Graphembestand tauchen, wie auch Abb. 14 zeigt (s. unten), einige erwartbare konsonantische Buchstaben des Alphabets nicht auf: |c| findet sich nur in der Verbindung mit |h| zum Graphem ; und fehlen gänzlich, da sie in Schreibungen des nativen Wortschatzes nicht oder nur als markierte Schreibungen vorkommen. Letzteres ist bei der Fall: steht in seltenen Fällen anstelle von , z. B. in . Eisenberg (2013) zählt sie daher nicht zum Kernbestand, sondern ordnet sie in seinen Ausführungen von 2006 allenfalls einem „erweiterten Grapheminventar“ (Eisenberg 2006, S. 307) zu. Auf der Basis der ermittelten Phonem- und Grapheminventare lassen sich schließlich ihre gegenseitigen Bezüge untersuchen. Hierbei sind prinzipiell beide Untersuchungsrichtungen möglich: von den Phonemen zu den korrespondierenden Graphemen oder von den Graphemen zu den korrespondierenden Phonemen. Eisenberg (2013, S. 291) wählt die Phonemebene als Ausgangpunkt. Das Ziel einer solchen Korrespondenzanalyse besteht grundsätzlich darin, regelhafte Zuordnungen zu identifizieren, die

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Um die anschließende Darstellung der Korrespondenzen zwischen phonologischen und graphematischen Segmenten begrifflich klar zu strukturieren, wird bei der Bestimmung der Graphemklassen auf die phonologisch basierten Bezeichnungen Konsonant und Vokal zurückgegriffen. Dennoch ist das angeführte Grapheminventar nicht als phonembasierter, sondern innergraphematisch ermittelter Zeichenbestand aufzufassen (dazu auch: Primus 2000, S. 17; Eisenberg 2016, S. 67f.).

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4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

unabhängig vom jeweiligen Vorkommenskontext gelten, d. h., allgemein kontextfrei sind. Bei den konsonantischen Segmenten gelingt eine solche eindeutige Zuordnung fast ausnahmslos: Abgesehen von [k, v, t, s], die auch in den Phonemfolgen /kv/, /ts/ (auch als Affrikate bewertet) und /ks/ auftreten und für die die Grapheme , und gesondert angegeben werden (s. (2) in Abb. 14), können alle Einzelphoneme kontextfrei auf Einzelgrapheme bezogen werden (s. (1) in Abb. 14). Eisenberg (2013, S. 291) bezeichnet diese Beziehung als eineindeutig (auch transparent/monofunktional). Eineindeutigkeit ist bei den betonbaren Vokalen hingegen nicht gegeben. Zwar können auch hier einfachen Phonemen mit Ausnahme von einfache Grapheme zugeordnet werden, den Paaren der gespannten und ungespannten Vokalphoneme steht jedoch (mit Ausnahme von [i:/ɪ] und dem Sonderfall [ᴂ]65) jeweils nur ein Graphem gegenüber, d. h. dem /e/ in Esel und dem /ɛ/ in Eltern wird dasselbe Graphem zugeordnet, ebenso verhält es sich bei den weiteren Vokalen (s. (3) in Abb. 14).

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Dieses Phonem wird phonetisch-phonologisch unterschiedlich klassifiziert, wie u. a. die Bestimmung von [ԑ:] als ungespannter Langvokal bei Maas (2006) in 4.2.2 deutlich macht. Da es in der vorliegenden Arbeit keine untersuchungsrelevante Rolle spielt, wird die Einordnung Eisenbergs unkommentiert übernommen.

4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung

109

Abb. 14 GPK-Regeln nach Eisenberg (2013, S. 291f.)

Im Abschnitt 4.2.2 wurde dargelegt, dass einige Phonolog/-innen nur noch von einer Vokalreihe anstelle von zweien ausgehen, da sie die Vokalopposition nicht als segmentales Merkmal, sondern als suprasegmentales, silbenstrukturell bedingtes Phänomen betrachten. Für eine solche Sichtweise sprechen auch in der hier eingenommenen graphematischen Perspektive einige zentrale Erkenntnisse zum Schriftsystem, die zeigen, dass das Schriftsystem von weiteren, nämlich Silben-, Fuß- und Wortstrukturen organisiert wird (vgl. Primus 2010, S. 12, zu Details siehe weiter unten).

110

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

Dafür, dass ebenso wie in Eisenbergs Darstellung auch in dieser Arbeit mit der traditionellen Einteilung von zwei Vokalsystemen gearbeitet wird, zeichnen sich weniger die fachlichen Grundlagen als deren Bezüge zur Sprachdidaktik, die im Fokus des formulierten Erkenntnisinteresses stehen, verantwortlich (s. dazu Kapitel 5). Nicht von der Hand zu weisen ist jedoch, dass schon in der Darstellung der Korrespondenzen zwischen Phonemen und Graphemen nicht immer klar zwischen segmentalen und suprasegmentalen Eigenschaften getrennt wird. Dies wird auch darin deutlich, dass Eisenberg (2013) – mit eigenem Unbehagen – auch GraphemPhonem-Korrespondenzen für die Diphthonge aufstellt, obwohl er letztere nicht zum Phoneminventar zählt und zudem nur die Schreibdiphthonge mit |a| als phonographisch gelten können, während die mit |e| gebildeten, also und , keinen direkten Bezug zu den korrespondierenden Lautdiphthongen [ᴐi] und [ai] zulassen (vgl. Fuhrhop und Peters 2013, S. 222f.).66 Da in didaktischen Kontexten aber immer wieder als phonographische Zuordnungen präsentiert werden, werden sie hier nach Eisenberg (2013) dem Kernbestand der GPK-Regeln hinzugefügt. 4.5.2

Das silbische Prinzip

In den bisherigen Ausführungen wurde deutlich, dass sich die Funktionsweise der deutschen Wortschreibung durch eine segmentale Analyse nicht adäquat beschreiben lässt. In der Annahme, dass einerseits das graphematische und das phonologische Wort grundsätzlich in analoger Weise organisiert sind, andererseits aber beide autonome Binnenstrukturen aufweisen, wird im Folgenden die graphematische Silbe, auch Schreibsilbe, sowohl innergraphematisch als auch in ihren Bezügen zur phonologischen Silbe, auch Sprechsilbe, untersucht. Auf dieser Strukturebene stellt sich die phonologische Isolierung der fokussierten Einheit einfacher als auf der Segmentebene dar: Während das gesprochene Wort nicht voraussetzungslos in Einzelsegmente zerlegbar ist, ist die Sprechsilbe als artikulatorisch-auditive Basiseinheit, gekennzeichnet durch die Koartikulation ihrer Segmente sowie durch prosodische

66

In diesem Kontext erweist sich die Bewertung der Schreibdiphthonge als innergraphematische Struktur, die sich aus den Gesetzmäßigkeiten der Buchstabenkombinatorik ergibt (vgl. dazu u. a. Eisenberg 2013, S. 298f.; Fuhrhop und Buchmann 2009, S. 141), als sachstrukturell überzeugend.

4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung

111

Informationen, den meisten Sprecher/-innen intuitiv zugänglich (vgl. Eisenberg 2013, S. 296; empirisch u. a. Huneke 2002). Indessen gilt es im geschriebenen Wort, „dem Auge die Einzelsilbe und die Silbenfolge von Wortformen effektiv zugänglich zu machen“ (Eisenberg 2013, S. 296). Auf einen möglichen Zugang zur graphematischen Silbe wurde im Vorangegangenen bereits knapp verwiesen: Fuhrhop und Buchmann (2009) stellen in der Untersuchung der Längenmerkmale von Buchstaben fest, dass die Schreibsilbe bereits über graphetische Merkmale, d. h. über Eigenschaften der Buchstabengestalt, strukturiert ist. Doch nicht nur aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit – in Abweichung von sprachwissenschaftlichen Positionen, die Silben wie z. B. Neef (2005) als „rein phonische Gebilde […], die als solche nicht in der Schreibung erscheinen können“ (ebd., S. 129) verstehen – von der Existenz graphematischer Silben ausgegangen; ein wesentliches Argument für die differenzierte Beschäftigung mit der Silbe als Struktureinheit des geschriebenen Wortes wird in der derzeitigen graphematischen Forschung auch darin gesehen, dass sie Erklärungsansätze für genau die Aspekte liefert, die vom phonographischen Prinzip nicht ‚eineindeutig‘ erfasst werden, nämlich - für die graphematische Kodierung von Vokalkontrasten in der betonten Silbe (Opposition von gespannten, langen und ungespannten, kurzen Vokalen einschließlich phonologischer Ambisilbizität); - für die graphematischen Diphthonge und weitere innergraphematische Strukturen (z. B. und am Silbenübergang, verkürzte Silbenanfangsränder); - für prosodische Markierungen (einschließlich Reduktionsvokalen). Wie und in welcher Funktion Silben und Fußstrukturen auch im Geschriebenen ‚optisch‘ in Erscheinung treten, ist im Weiteren darzulegen. Silbenstrukturelle Analysen von Wortschreibungen beziehen sich auf das graphematische Äquivalent von Voll- und Reduktionssilben des Gesprochenen (vgl. Eisenberg 2013, S. 299–301). In der prototypischen wortphonologischen Struktur des Deutschen offenbart sich in Eisenbergs Analysen „eine einfache Grundfunktion der verschiedenen graphematischen Mittel, aus denen dann weitere Funktionen etwa für den Einsilber und für morphologisch komplexe Wortformen ableitbar sind.“ (ebd., S. 299) Das, was er als prototypischen Zweisilber untersucht, kann in der Strukturhierarchie des graphematischen Wortes dem graphematischen Fuß zugeordnet werden. Diese Struktureinheit bezeichnet grundsätzlich die Gruppierung von einer prominenten und einer oder mehreren nicht-prominenten graphematischen Silben (vgl. Fuhrhop und Peters 2013, S. 229); als Prototyp im Deutschen kann in Übereinstimmung mit Eisenberg (s. 2013, S. 232) ein

112

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

zweisilbiger trochäischer Fuß angenommen werden. Obwohl im Geschriebenen das Wort die deutlichere Kontur aufweist, sind auch im graphematischen Fuß für den Leser relevante Informationen markiert. Die Wirkungsweise des silbischen Prinzips bezieht sich daher sowohl auf die einzelne graphematische Silbe mit ihren Konstituenten als auch auf die nächsthöhere Ebene, den graphematischen Fuß, in dem die prosodischen Eigenschaften der einzelnen Silben kodiert sind. Eine Auseinandersetzung mit silbischen Strukturen steht folglich nicht im Widerspruch zum typologischen Wandel des Deutschen von einer Silben- zur Wortsprache (s. Teilkapitel 4.3). Zur Verdeutlichung sind die Einheiten des graphematischen Wortes, die für die Darstellung des silbischen Prinzips zentral sind, im nachfolgend abgebildeten Strukturmodell des graphematischen Wortes nach Primus (2010) durch Einrahmung graphisch hervorgehoben (s. Abb. 15):

Abb. 15 Die innere Struktur des graphematischen Wortes (Primus 2010, S. 13)

Die abgebildete Konstituentenstruktur des graphematischen Wortes verdeutlicht zudem, dass die Identifikation einer Buchstaben- bzw. Graphemfolge allein nicht ausreicht, um diese unmittelbar in die korrespondierende phonologische Zielstruktur zu übersetzen; es müssen vielmehr „der Graphemstatus und die Position des Graphems in der Silbe ermittelt werden, um von dort aus zusammen mit der kanonischen Akzentzuweisung zur Fußstruktur und damit zum graphematischen Wort […] zu gelangen“ (Bredel 2016, S. 449).

4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung

113

Für die Analyse schreibsilbischer Strukturen erweisen sich zunächst einfache67 Wörter der offenen, flektierenden Wortklassen Substantiv, Adjektiv und Verb als geeignete Untersuchungsgegenstände, da sie im Vergleich zu den Adverbien und geschlossenen Klassen in der Regel gut systematisierbare Akzentstrukturen aufweisen (vgl. Eisenberg 2013, S. 134). Da das silbische Prinzip den phonologischen Schreibungen zugeordnet wurde, sollen im Folgenden die schreibsilbenstrukturelle Eigenständigkeit auf der einen Seite und ihre funktionale Vernetzung mit der Sprechsilbe (bzw. phonologischen Fußstrukturen) auf der anderen Seite stets klar markiert werden. Den angeführten Strukturmodellen zum phonologischen und graphematischen Wort entsprechend wird davon ausgegangen, dass Sprech- und Schreibsilbe grundsätzlich nach dem gleichen Strukturschema aufgebaut sind, also in beiden suprasegmentalen Repräsentationsformen die silbischen Konstituenten Anfangsrand, Kern, Endrand eine Rolle spielen (vgl. auch Primus 2010, S. 17). In der nachfolgenden Darstellung werden zunächst die wesentlichen Merkmale und Unterschiede von Sprech- und Schreibsilbe skizziert, um davon ausgehend zeigen zu können, mit welchen grundlegenden Mitteln die graphematische Silbe zu einer systematisch erfassbaren Organisation geschriebener Wörter beiträgt. Auch wenn Fuhrhop und Buchmann (2009) in ihren Untersuchungen zur Längenhierarchie der Buchstaben nachweisen können, dass die Anordnung der Segmente in der geschriebenen Silbe in ähnlicher Weise wie in der gesprochenen Silbe distributiv begrenzt ist, zeigt sich, insbesondere wenn man den Blickwinkel auf den graphematischen Fuß ausweitet, dass die Schreibsilbe insgesamt stärker reglementiert ist als die Sprechsilbe (vgl. Eisenberg 2016, S. 71) und dadurch auch den Geltungsbereich des phonographischen Prinzips eingrenzt. Wesentliche Unterschiede zwischen graphematischer und phonologischer Silbe sind schon in der unterschiedlichen Natur gesprochener und geschriebener Sprache angelegt: Da die geschriebene Sprache anders als die gesprochene räumlich stabil ist, kann in der Schreibsilbe das Bestre-

67

im Zusammenspiel mit dem morphologischen Prinzip auch morphologisch komplexe, s. Abschnitt 4.5.3.

114

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

ben nach möglichst konstanten Formen, vor allem nach einer Längenausgeglichenheit68 sowie der konstanten Kennzeichnung von Silbenkernen, registriert werden. Prägnante Beispiele für die konstant zu haltende räumliche Ausdehnung der Schreibsilbe sind die Graphemmuster und im silbischen Anfangsrand von Schreibungen wie oder . Sie treten in diesen Wörtern regelhaft auf, obwohl graphematische Anfangsränder grundsätzlich phonographisch geschrieben werden (vgl. Eisenberg 2016, S. 72) und in Rückgriff auf das phonographische Prinzip ein als Korrespondenz zum Frikativ [ʃ] an erster Stelle des Anfangsrandes zu erwarten wäre. Die Graphemmuster und verdeutlichen, wie phonologische und graphematische Strukturen zwar in wechselseitiger Beziehung zueinander stehen können, jedoch keineswegs identisch organisiert sind: Die phonologische Inputbedingung ist hierbei das [ʃ], das in der Sprechsilbe der einzige Konsonant ist, dem im Anfangsrand deutscher Wörter zwei weitere Obstruenten folgen können, im Wort sprechen beispielsweise [p] und [ʀ]. In geschriebenen Wörtern würden, da dem Phonem [ʃ] primär die Graphemfolge zugeordnet wird, in bestimmten Fällen bei rein phonographischer Umsetzung jedoch Schreibungen mit fünf aufeinanderfolgenden Konsonantenbuchstaben im Anfangsrand entstehen: *. Diese ‚Überlänge‘ wird im Geschriebenen vermieden, indem innergraphematisch eine Verkürzung des Anfangsrandes vorgenommen wird: wird durch ersetzt (vgl. ebd.). Formkonstanz erweist sich aber auch in der konsequenten Verschriftung vokalischer Silbenkerne als wesentliches Merkmal der Schreibsilbe. In der graphematischen Silbe, und zwar sowohl in der graphematischen Haupt- als auch in der graphematischen Reduktionssilbe, ist der Vokalkern obligatorisch zu besetzen, wohingegen er in der phonologischen Reduktionssilbe ausfallen kann, wenn ein silbischer Sonorant seine Position einnimmt (s. Abschnitt 4.2.1). Demgegenüber ist der Anfangsrand der betonten Sprechsilbe obligatorisch zu besetzen – entweder konsonantisch oder mit einem glottalen Verschlusslaut –, während die graphematische Silbe auch ‚nackt‘, d. h. mit einem Vokalgraphem beginnen kann. Umgekehrt verhält es sich wiederum am Anfang der reduzierten Silbe: Ihr Anfangsrand kann im phonologischen Fuß ‚nackt‘ bleiben (s. Hiatusbildung, 4.3.2),

68

Hier ist in Abgrenzung von der Merkmalshierarchie der vertikalen Buchstabenlänge innerhalb der Silbe eine horizontale Längenausgeglichenheit der Silbe gemeint, d. h., die Anzahl der aufeinanderfolgenden Segmente ist mit dem Ziel räumlicher Kompaktheit begrenzt.

4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung

115

in der graphematischen Reduktionssilbe ist er hingegen in der Regel bedeckt, was die besondere Rolle des silbeninitialen erklärt (s. 4.5.2.2). Unterschiede zwischen phonologischer und graphematischer Silbe, die im silbischen Prinzip aufgegriffen und systematisiert werden, betreffen auch weitere Strukturen am Übergang von Haupt- und Reduktionssilben. Dabei fällt vor allem die graphematische Repräsentation der vokalischen Opposition, d. h. der Gespanntheits- und Längenkontraste, ins Gewicht. Wie in der Darstellung der phonologischen Silbe schon deutlich wurde, handelt es sich hierbei nicht um ein rein segmentales Merkmal. Zwar sind in der Sprechsilbe anders als in der Schreibsilbe schon im vokalischen Segment Lautkontraste wahrnehmbar, diese ergeben sich in Anlehnung an die Darstellungen von Maas (2006) und Becker (1998) jedoch erst durch die Einbettung dieser Segmente in suprasegmentale Strukturen. Für die Schreibsilbe, die auf ein begrenztes Grapheminventar ohne spezifische Zeichen für Gespanntheit oder Ungespanntheit zurückgreifen muss, ergibt sich die Orientierung an silbischen bzw. Fußstrukturen daher zwangsläufig: Um vokalische (bedeutungsrelevante) Kontraste darstellen zu können, müssen systematische Wechselbeziehungen zwischen Silbenkern und -endrand analysiert und genutzt werden (vgl. Eisenberg 2016, S. 73). Als Ausgangspunkt für die Erklärung der spezifischen graphematischen Regularitäten, die unten differenziert untersucht werden, dient die binäre Grundstruktur der Schreibsilbe in prototypischen graphematischen Zweisilbern: Ist die graphematische Hauptsilbe offen, d. h., sie endet mit einem Vokalgraphem und ihr Endrand ist nicht besetzt, zeigt dies in der Regel Vokallänge und -gespanntheit im Gesprochenen an, z. B. [ˈhɑ:zə]; ist die graphematische Hauptsilbe geschlossen, d. h., sie endet mit einem oder zwei Konsonantengraphemen, korrespondiert dies mit Vokalkürze und -ungespanntheit in der gesprochenen (betonten) Silbe, z. B. [ˈman.təl]. Diese regelhafte Struktur gilt lediglich für den Prototyp des deutschen Wortes. Wie nun die besonderen Fälle der Vokalopposition, die im Teilkapitel 4.2.2 für das phonologische Wort beleuchtet wurden, graphematisch aufgegriffen und auf der Basis dieser silbischen Grundstruktur erklärt werden, soll im Folgenden am Beispiel der Silbengelenkschreibung, an der Verwendung des in wortmedialer Position und an der -Schreibung demonstriert werden. Der konzeptionelle Ausgangspunkt ist in allen Darstellungen die zweisilbige Basiseinheit, aus der sich die Schreibungen von einsilbigen und komplexen Wortformen ergeben.

116 4.5.2.1

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

Die Silbengelenkschreibung

In der Sprachwissenschaft ist die Erklärung der „Formen mit Kurzvokal in der prominenten Silbe und folgendem einfachen medialen Konsonanten“ (Maas 2006, S. 195) sowohl in Bezug auf die phonologische Ausgangsbedingung als auch auf ihre graphematische Kennzeichnung umstritten. Im Abschnitt 4.2.2 wurden zwei Ansätze der Phonologie erläutert, die das Phänomen zwar übereinstimmend als suprasegmentale Struktur erfassen, dabei aber unterschiedliche Erklärungsschwerpunkte setzen: die enge Bindung zwischen Vokal und Folgekonsonant auf der einen Seite (nach Maas), die Ambisilbizität auf der anderen Seite (nach Becker). Unabhängig von der spezifischen phonetischen und phonologischen Interpretation dieses Phänomens ist in dieser Arbeit die Einordnung als silbenstrukturell bedingte Erscheinung entscheidend, denn die Schrift ist, wie bereits aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet wurde, in besonderem Maße auf suprasegmentale Markierungen angewiesen. Diese Notwendigkeit zeigt sich mitunter auch in den Grenzen, an die Neef (2005) mit seinem segmentorientierten graphematischen Ansatz stößt: Im Rahmen der von ihm vorgenommenen Korrespondenzanalyse ist in Fällen wie fast gegenüber fasst lediglich „eine Überführung von graphematischen Repräsentationen in phonologische Repräsentationen“ (ebd., S. 130) möglich, die anzeigt, dass ein verdoppeltes die gleiche Korrespondenz herstellen kann wie ein einfaches. Nicht möglich ist dagegen eine umgekehrte Herangehensweise, die ausgehend von der phonologischen Repräsentation [fast] zur jeweils angezeigten graphematischen Repräsentation ( oder ) führt. Durch seinen Verzicht auf die Arbeit mit der Schreibsilbe aus ‚ökonomischen‘ Gründen (vgl. ebd., S. 46) büßt Neef aus der hier vertretenen Perspektive die Systematisierung und kognitive Zugänglichkeit zentraler Schriftstrukturen ein, die im Weiteren vorgestellt werden. Mit Verweis auf die sprachhistorische Entwicklung und die phono- sowie graphotaktischen Gesetzmäßigkeiten am Silbenschnitt bzw. -übergang, aber auch auf die später genauer zu thematisierenden didaktischen Implikationen wird den nachfolgenden Darstellungen in dieser Arbeit das Konzept der Ambisilbizität zugrunde gelegt. In diesem Verständnis tritt der intervokalische Konsonant im gesprochenen Wort als Silbengelenk auf. Schreibungen, die diesen phonologischen Gelenkkonsonanten graphematisch repräsentieren, werden folgerichtig als Silbengelenkschreibungen bezeichnet. Es zeigt sich in dieser Begriffsverwendung, warum auch das silbische Prinzip den phonologischen Schreibungen zugeordnet wird: Der verwendete Terminus stellt einen klaren Bezug zum korrespondierenden

4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung

117

phonologischen Konsonanten her, der in ambisilbischer Funktion zwei Silben miteinander verbindet. Maas (2006), der bereits als Gegner der Ambisilbizitätsannahme ausgewiesen wurde, bemängelt an diesem Zugang, dass er „nur das Problem mit einem silbenstrukturellen Verweis benennt, es aber mit der Lokalisierung in einem Konsonanten auf die segmentale Ebene verschiebt“ (ebd., S. 197). Für eine tatsächlich suprasegmentale Erfassung des Phänomens sind aus seiner Perspektive die Anschlussverhältnisse zwischen Vokal und Konsonanten konstitutiv. Bevor auf diese Kritik und die Konsequenzen unterschiedlicher phonologischer Bewertungen für die Erklärung ihrer graphematischen Repräsentation näher eingegangen wird, soll zunächst demonstriert werden, warum sich das Konzept der Silbengelenkschreibung auf der Basis der bisher angeführten Einflussgrößen der Wortschreibung als gegenstandsadäquater Zugang erweist. Unabhängig davon, ob man das phonologische Phänomen über den Bindungsgrad zwischen dem Vokal der Vollsilbe und dem Konsonanten der Folgesilbe oder über den beiden Silben zugeordneten ambisilbischen Konsonanten erklärt, tritt hier die spezifische Materialität des gesprochenen Wortes hervor. Da das phonologische Wort aus kontinuierlichen Elementen besteht, kann es allein über die Koartikulation bestimmte Bindungsverhältnisse zwischen den Silben herstellen. Die graphematische Silbe fordert hingegen klare segmentale Zuordnungen an den Silbenrändern, um prosodische Zielstrukturen visuell zu repräsentieren. Sie macht sich hierbei wiederum die eigene Materialität zunutze: Als Einheit, die sich aus diskreten Segmenten zusammensetzt, kann sie eben diese Segmente zielführend einsetzen. Dies geschieht in Orientierung am binären Grundschema der Schreibsilbe: Die Repräsentation eines gespannten und lang artikulierten Vokals in der betonten Silbe geht mit einer offenen Schreibsilbe, die eines ungespannten, kurzen Vokals mit einer geschlossenen Schreibsilbe einher. In den hier betrachteten „Formen mit Kurzvokal in der prominenten Silbe und folgendem einfachen medialen Konsonanten“ (Maas 2006, S. 195, s. oben) ist in der geschriebenen Repräsentation folglich eine geschlossene graphematische Hauptsilbe herzustellen, was häufig über die Verdopplung des phonographisch angezeigten Konsonantengraphems erfolgt. Es zeigt sich also ein grundlegender Unterschied zwischen den phonologischen und den graphematischen Silbenstrukturen, denn während in der phonologischen Wortform ein medialer Konsonant für die Umsetzung der Zielstruktur sorgt (dafür erneut die Modellierungen nach Maas und Becker: Abb. 16), entspricht diesem im graphematischen Wort „nicht ein Segment, sondern eine Segmentfolge“ (Eisenberg 2009, S. 76), die sich auf graphematische Haupt- und Reduktionssilbe verteilt. Auch

118

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

dann, wenn man einen „Gelenkkonsonanten als Inputbedingung“ (Primus 2000, S. 18) annimmt, impliziert dieser Bezug eine Berücksichtigung silbischer Positionen innerhalb des phonologischen Fußes. Die von Maas kritisierte ‚Verschiebung auf die segmentale Ebene‘ (s. 4.2.2) findet daher m. E. nicht statt, wie auch die Einordnung des graphematischen Silbengelenks in ein entsprechendes Strukturmodell veranschaulicht (Abb. 17). Ein Vergleich der phonologischen Modellierungen mit der graphematischen Repräsentation kann dabei verdeutlichen, wie die Schrift die besondere phonologische Inputbedingung mit ihren ‚eigenen Mitteln‘ löst.69

Abb. 16 Fester Anschluss (nach Maas 2006) und phonologisches Silbengelenk (nach Becker 1998)

Abb. 17 Graphematisches Silbengelenk/Silbengelenkschreibung

Weshalb sich die Silbengelenkschreibung gewissermaßen ‚folgerichtig‘ aus der binären Grundstruktur der Schreibsilbe ergibt, kann auch durch die vergleichende Untersuchung des Silbenübergangs in den ‚unmarkierten‘

69

In der Darstellung der graphematischen Silbe und ihrer Konstituenten wird bewusst auf Beckers Einteilung in Anfangsrand und Kernsilbe verzichtet, da die strukturelle Untersuchung graphematischer Wörter hier auf trochäische Basisformen beschränkt ist und somit Unterscheidungen von Implosionsposition und Endrand entbehrlich macht.

4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung

119

Schreibungen von offenen und geschlossenen Hauptsilben herausgestellt werden (s. Tab. 1). Die Verdopplung des intervokalischen Konsonantengraphems sorgt in Orientierung an dem Grundschema der unmarkierten Schreibungen offener und geschlossener Silben dafür, dass die Hauptsilbe geschlossen, der Vokal im Gesprochenen also kurz und gespannt gelesen, und der Anfangsrand der zweiten Silbe bedeckt wird. Durch die klare Zuordnung der verdoppelten Segmente können die Formen Schalen und Schallen eindeutig voneinander unterschieden werden. Die ‚Linearisierung‘ des phonologischen Silbengelenks im Geschriebenen (vgl. Fuhrhop und Peters 2013, S. 226) ist jedoch keinesfalls als Indikation einer ebenfalls doppelten Realisierung des zugeordneten Konsonantphonems im gesprochenen Wort zu verstehen (s. 4.2.2), sondern dient einzig der Markierung der Ambisilbizität und damit einhergehenden Ungespanntheit und Kürze des vorangehenden Vokals (vgl. Eisenberg 2016, S. 77). Tab. 1 Silbische Strukturen im phonologischen und graphematischen Zweisilber Graphematische Silbengrenze

die Hasen das Hasten70 das Hassen

Phonologische Silbengrenze die [ˈhɑ:.zən] das [ˈhas.tən] das [ˈhaṣən]

die Schale(n) das Schalten das Schallen

die [ˈʃɑ:.lən] das [ˈʃal.tən] das [ˈʃaỊən]

die Scha.len das Schal.ten das Schal.len

Zweisilbige Grundform

die Ha.sen das Has.ten das Has.sen

In einigen Fällen liegt jedoch auch eine Silbengelenkschreibung vor, ohne dass ein doppeltes Konsonantengraphem auftritt. Dies gilt zum einen für , das in intervokalischer Position für den velaren Nasal [ŋ] steht (z. B. [ˈʀɪŋən] – ) und graphematisch problemlos auf die Silben verteilt ̣ werden kann. Zum anderen verweist auch die Graphemfolge eindeutig auf das Vorliegen eines Silbengelenks, denn sie korrespondiert zwar genauso wie das phonographische mit der phonologischen Affrikate

70

Um den Analysefokus auf die Schreibung im Wortinneren zu richten, werden in der Tabelle alle Formen in Großschreibung aufgeführt und die Verben zu diesem Zweck als Konversionen angegeben.

120

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

[t͡s]71, steht im Geschriebenen aber nur in Silbengelenkposition (bzw. markiert eine morphologisch vererbte Silbengelenkschreibung). In einen ähnlichen Begründungszusammenhang ist auch die Silbengelenkschreibung einzuordnen: Wie beim / kommt es in der graphematischen Repräsentation des phonologisches Silbengelenks [̣ḳ] zu keiner Verdopplung, sondern zu einer Wiedergabe mit . Eisenberg erklärt diese Abweichung von der üblichen Konsonantenverdopplung mit Verweis auf die weiteren Verschriftungsmöglichkeiten von [k], z. B. der Haken, das Wachsen: „Die Schreibung ⟨ck⟩ stellt dabei den visuellen Bezug zwischen ⟨k⟩ auf der einen und ⟨ch⟩ auf der anderen Seite her.“ (Eisenberg 2016, S. 78) Neben diesen ‚besonderen‘ Silbengelenkschreibungen fällt die Markierung des Silbengelenks in einigen Fällen auch gänzlich weg: Stehen das komplexe Graphem oder die Graphemfolge in Silbengelenkposition, werden sie nicht veroppelt; es bleibt bei Formen wie statt * und statt * (vgl. ebd.). Das entscheidende Begründungsmerkmal der Silbengelenkschreibung nach Eisenberg ist der Zugang über die zweisilbige trochäische Basisform: Die Erklärung der doppelten Konsonantengrapheme sowie der Graphemfolgen , und ist daher fest an die Position zwischen dem graphematischen Vokalkern der Hauptsilbe und dem graphematischen Reduktionsvokal gebunden. Aufgrund dieses steten Bezugs auf den kanonischen Zweisilber sieht Eisenberg die Funktion der Silbengelenkschreibung nicht primär in der Indikation von Vokalkürze, sondern in der Anzeige eines phonologischen Silbengelenks, und vermag so auch zu begründen, warum Wörter wie ab, am, in, man, um usw. im Geschriebenen nicht mit Doppelkonsonanz markiert werden: Da in diesen Formen kein phonologisches Silbengelenk vorliegt oder – wie im nächsten Kapitel noch erläutert wird – keine verwandte Form mit Silbengelenk existiert, ist auch keine Verdopplung des Konsonantengraphems bzw. keine Silbengelenkschreibung indiziert (vgl. Eisenberg 2016, S. 77; auch Primus 2010, S. 22). Andere einsilbige Funktionswörter wie wenn, dann, statt usw.

71

Ob [ts] als monophonematische Affrikate [t͡s] oder als Phonemfolge /ts/ bewertet wird, ist in der Phonologie umstritten (für einen knappen Überblick s. z. B. Becker 2012, S. 70ff.; Fuhrhop und Peters 2013, S. 69f.; Maas 2006, S. 185ff.). Hier wird, Eisenberg (2013) folgend, von einem monophonematischen Status ausgegangen, der u. a. historisch begründet werden kann ([ʦ] ist in der Zweiten Lautverschiebung aus einem Einzelkonsonanten hervorgegangen, vgl. z.B. Altmann und Ziegenhain 2010, S. 78), sich aber auch über die graphematische Unterscheidung von und und entsprechende didaktische Strukturierungen erklären lässt (dazu Teilkapitel 5.1).

4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung

121

sind in Eisenbergs Konzeption nicht oder nur bedingt (z. T. sprachhistorisch, z. T. in distinktiver Funktion bei Homonymen) systematisierbar (vgl. Primus 2000, S. 18; Eisenberg 2016, S. 77). Auch Maas, dessen Arbeiten neben denen von Eisenberg für die heutige graphematische Forschung richtungsweisend sind, misst dem Konzept der Schreibsilbe und den in ihr wirksamen Silbenpositionen eine zentrale Bedeutung für die Generierung und Rekodierung von Schreibungen bei. Aus seiner abweichenden Deutung der phonologischen Inputbedingung der hier betrachteten graphematischen Regularität, die Maas unter dem Begriff der Schärfungsschreibungen zusammenfasst, resultiert jedoch auch eine andere (schreib-)silbenstrukturelle Argumentation. Da für Maas die Bindungsgrade zwischen den Konstituenten der phonologischen Silbe(n) für ihre Kennzeichnung in der Schrift verantwortlich sind, beziehen sich seine Erklärungen sowohl auf einsilbige als auch zweisilbige Wortformen. In der Schrift ergeben sich davon ausgehend unmarkierte und markierte Schreibungen. Zu den unmarkierten Fällen, die auf der graphematischen Ebene keine besondere Kennzeichnung verlangen, zählt er phonologisch offene Silben, in denen der Vokal aufgrund eines heterosyllabisch lose angeschlossenen Konsonanten gespannt artikuliert wird (z. B. schö.ne), sowie phonologisch geschlossene Silben, in denen der Vokal aufgrund eines festen konsonantischen Anschlusses innerhalb der Silbe (tautosyllabisch) ungespannt artikuliert wird (z. B. Dunst). Markierte Verbindungen ergeben sich demgegenüber, wenn (a) ein loser Anschluss mit gespanntem Vokal in geschlossener Silbe vorliegt, der Konsonant also tautosyllabisch, d. h. innerhalb der prominenten Silbe, lose angeschlossen ist: In Schreibungen wie Wahl wird ein zur Markierung des losen Anschlusses eingefügt (Dehnungsschreibung). (b) ein fester Anschluss mit ungespanntem Vokal in offener Silbe vorliegt, die Reduktionssilbe also in die prominente Silbe integriert werden muss, damit ein heterosyllabischer fester Anschluss hergestellt wird: In Schreibungen wie Betten wird ein zusätzliches eingeführt, damit der feste Anschluss realisiert werden kann (Schärfungsschreibung; vgl. Maas 2015, S. 132). Ähnlich wie bei Eisenberg vererbt sich die Schärfungsschreibung im Fall (b) auch in Maas‘ Konzept an die einsilbige Grundform, z. B. Betten > Bett. Im Fall (a) bindet Maas seine Erklärungen hingegen nicht an eine kanonische zweisilbige Fußstruktur, sondern argumentiert in umgekehrter Weise: Da der tautosyllabische lose Anschluss nach seiner Argumentation in einsilbigen Formen einer Markierung bedarf, wird hier das eingefügt

122

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

und in anderen verwandten (mehrsilbigen) Formen wie Wahlen beibehalten. Würde die Form Wahlen nach den Anschlussverhältnissen zwischen dem Vokal der prominenten Silbe und dem Folgekonsonant untersucht, hätte dies allerdings zur Folge, dass sich die Dehnungsschreibung erübrigen würde, schließlich ist der konsonantische Anfangsrand der Reduktionssilbe in dieser Form (heterosyllabisch) lose an den Vokal der vorangehenden offenen Silbe angeschlossen. Dass in vielen solcher Fälle tatsächlich keine orthographische Dehnungsmarkierung angezeigt ist (z. B. Plan – planen, Strom – strömen), führt Maas (2015, S. 133) auf durch normative Eingriffe erwirkte Destabilisierungen des Systems zurück. Während die phonologische Grundlegung des Maas’schen Konzeptes stimmig und auch für die Herleitung von Schärfungsschreibungen in zweisilbigen Wörtern geeignet erscheint, birgt die verschränkte Bezugnahme auf ein- und zweisilbige Wörter zur Fundierung der Regularität einige Stolpersteine, die sich besonders im Anwendungs- und speziell im didaktischen Bezug zeigen (dazu ausführlich: Abschnitt 5.1.3). Maas‘ Konzept hat jedoch ebenso wie der Eisenberg’sche Ansatz den Vorteil, die Schärfungsschreibung nicht rein segmentbezogen einzuordnen, wie es demgegenüber die amtliche Regelung vornimmt. Letztere bindet diese Schreibungen einzig an die Vokalkürze im Wortstamm. So lautet §2 des amtlichen Regelwerks: Folgt im Wortstamm auf einen betonten kurzen Vokal nur ein einzelner Konsonant, so kennzeichnet man die Kürze des Vokals durch Verdopplung des Konsonantenbuchstabens. (Rat für deutsche Rechtschreibung 2006, S. 17)

Ein solcher segmentbasierter Ansatz72 hat den Vorteil, auch eine Reihe von Fremdwortschreibungen wie kaputt, Galopp, Prämisse sowie die in Maas‘ und Eisenbergs Ansatz herausfallenden Funktionswörter denn, dann, wenn, wann zu erfassen. Er produziert auf der anderen Seite aber nicht nur in der Fremdwortschreibung, sondern auch in Wörtern „mit unklarem Wortaufbau oder mit Bestandteilen, die nicht selbständig vorkommen“ (Rat für deutsche Rechtschreibung 2006, S. 19), z. B. Brombeere, Himbeere, und den unmarkierten Wörtern mit grammatischer Funktion (ab, am, an, dran, bis usw.) eine ganze Menge an Ausnahmen, die Eisenberg und Maas mit ihren Konzepten wiederum zu fassen wissen.

72

Neef (2005) verweist zu Recht darauf, dass die häufige Bezeichnung dieses Ansatzes als „akzentbasiert“ zur Unterscheidung vom silbenbasierten Ansatz inadäquat ist, da auch in der silbenbezogenen Betrachtung die betonte (akzentuierte) Silbe im Fokus steht (vgl. ebd., S. 126).

4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung

123

Dass die vorliegende Arbeit das Konzept Eisenbergs als untersuchungsleitenden Ansatz auswählt, wird zum einen mit der sachanalytisch überzeugenden Modellierung, zum anderen aber auch gerade mit Blick auf die didaktische Vermittlung graphematischer Strukturen begründet: Der Kernbereich der Silbengelenkschreibung kann durch den konsequenten Bezug auf den zweisilbigen Trochäus als Grundtyp des deutschen Wortes als vollständig reguläre phonologische Schreibung erfasst werden. Einsilbige Funktionswörter mit Kurzvokal wie in, an, um usw. kommen in diesem Verständnis regelhaft ohne Doppelkonsonantenschreibungen aus – sie besitzen schließlich keine Korrespondenz zu einem phonologischen Gelenkkonsonanten (und können auch in keine entsprechende zweisilbige Wortform überführt werden). Alle weiteren nativen Wörter, die über doppelte Konsonantenbuchstaben und andere mit Silbengelenkschreibungen assoziierte Graphemfolgen (, , ) verfügen, aber nicht (direkt) auf ein phonologisches Silbengelenk verweisen (z. B. Bett, er kannte, Gong), werden im Zusammenwirken mit dem morphologischen Prinzip plausibel. In den Fällen, in denen eine phonologische Analyse keine eindeutige Korrespondenz nach der Bedingung Wenn Kurzvokal, dann Doppelkonsonantenschreibung (oder , , ) zulässt, ist eine umgekehrte, nämlich graphematisch basierte und somit dem Lesen dienliche Betrachtung hingegen zuverlässig: Wenn Doppelkonsonantenschreibung (oder , , ), dann definitiv Kurzvokal (vgl. Primus 2000, S. 18). Die Silbengelenkschreibung wird daher in der vorliegenden Arbeit nur im prototypischen trochäischen Zweisilber als phonologisch motivierte Markierung verstanden, in anderen Fällen gilt sie als morphologisch ‚vererbt‘, wie das nachfolgende Kapitel zeigen wird. Dieser Zugang wird gerade im Hinblick auf seine sprachdidaktische Modellierung gegenüber den existierenden Alternativen als leichter zugänglich und als für die Lernenden (be-)greifbarer, strukturgebender Ansatz betrachtet. Gleichzeitig demonstrieren die graphematischen Systematisierungen der Silbengelenkschreibung, warum eine Gleichsetzung des silbischen Prinzips mit der Worttrennung am Zeilenende als unzureichend bzw. sogar fehlleitend eingeschätzt wird: Während die Worttrennung 1. als orthographische Norm konventionell festgelegt ist (z. B. ren-nen, blit-zen, aber backen) und 2. sich an der phonologischen Silbe orientiert, erfasst das silbische Prinzip 1. das hinter den Schreibungen liegende System und 2. die spezifischen Strukturen der Schreibsilbe, auf deren Basis nicht ‚eineindeutige‘ Korrespondenzen zur Sprechsilbe hergestellt werden. Einer Beschränkung des silbischen Prinzips auf die Worttrennung am Zeilenende,

124

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

wie sie unter anderem Nerius und Baudusch (2007, S. 130) empfehlen, wird daher nicht zugestimmt. 4.5.2.2

Zum Phänomen der ‚Dehnung‘ und der besonderen Rolle des in Wortschreibungen

In vielen Darstellungen des Schriftsystems werden Systematisierungsversuche der sogenannten Dehnungsschreibungen vorgenommen. Auch in den sprachhistorischen Ausführungen (s. 4.3) sowie in den zuvor skizzierten graphematischen Modellierungen von Maas spielten diese eine Rolle. Dabei wurde offenkundig, dass die Wortschreibung in diesem Bereich nur bedingt Systematisierungen zulässt. So kann heute lediglich die Schreibung als systematische Markierung von Vokaldehnung, richtiger: von Vokalgespanntheit und -länge (s. unten), betrachtet werden. Als einziges der Vokalgrapheme73 kodiert das in korrespondierender betonter Silbe segmental Gespanntheit und Länge, erfordert von Lesenden also keine suprasegmentale Analyse, um die phonologische Zielstruktur zu erfassen. Auf der anderen Seite zeigt sich auch beim wie bei allen weiteren zur Dehnungsklasse gezählten Schreibungen die eigentliche Redundanz der Markierung: Im prototypischen graphematischen Fuß steht ohnehin stets am Ende der offenen Hauptsilbe, die verlässlich auf Gespanntheit und Länge hinweist (vgl. Eisenberg 2013, S. 305). Eine Erleichterung stellt jedoch bei der Rezeption morphologisch komplexer Wortformen (du liebst, lieblich, Diebstahl) und der darin enthaltenen Wortstämme dar: Da direkt auf Vokalgespanntheit verweist, muss kein Umweg über die zweisilbige Grundstruktur vorgenommen werden. Warum das i in der Schrift diese Sonderbehandlung erfährt, wird unterschiedlich erklärt. Elspaß (2005) führt mit Blick auf die Schriftgeschichte an, dass bis zur II. Orthographischen Konferenz Anfang des 20. Jahrhunderts kontrovers über die Beibehaltung versus Abschaffung des |e| als Dehnungszeichen nach |i| diskutiert wurde. Dass es sich letztlich durchgesetzt hat, kann u. a. merkmalsbezogen begründet werden: Fuhrhop und Buchmann (2009) weisen den Buchstabenkörper des |i| als nicht-idealen Silbenkern aus, der in offener Silbe durch |e| gestärkt wird, während ihm in geschlossener Silbe stets ein Konsonant folgt (vgl. ebd., S. 140ff.). Festgehalten werden kann für das ,

73

An dieser Stelle wird auf die bei Eisenberg (2013) ausgewiesene Behandlung des als Graphemfolge (s. Abschnitt 4.5.1) verzichtet.

4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung

125

1. dass es die regelhafte Markierung des [i:] in offenen betonten Silben darstellt; 2. dass es deshalb keine weitere Dehnungsmarkierung durch erhält; 3. dass es auch in nichtflektierbaren und pronominalen Formen auftritt (z. B. nie, hier, wie, die, sie); 4. dass sich die Ausnahmen (a) lexikalisch (z. B. Bibel, Biber, Fibel, Tiger sowie Fremdwortschreibungen), (b) strukturell ( steht nicht am graphematischen Wortanfang, daher: Igel, aber auch: ihren, ihnen und die paradigmatisch verbundenen ihr, ihm, ihn), (c) grammatisch (nicht in eine zweisilbige Form überführbare Pronomina: wir, dir, mir) klassifizieren lassen (vgl. Eisenberg 2013, S. 304f.). Für die weiteren Vokalgrapheme existiert eine Längenmarkierung durch |e| nicht, sie können lediglich durch das so bezeichnete Dehnungs- und – mit Ausnahme von ebenso wie – durch ihre Verdoppelung eine zusätzliche Kennzeichnung von Gespanntheit und Länge erhalten. Die Vokalverdoppelungen fallen quantitativ kaum ins Gewicht und lassen sich hinsichtlich ihrer teilsystematischen Vorkommensbedingungen schnell erfassen: Sie stehen hauptsächlich vor und damit vor Graphemen, die häufig komplexe Endränder bilden und dementsprechend auch häufig nach ungespannt artikulierten Vokalen auftreten, sodass Vokaldopplungen in Wörtern wie Beere, Saal, Boot die Vokalgespanntheit hervorheben. tritt in nativen Wörtern zudem in einsilbigen Wörtern mit offener Silbe auf (z. B. Fee, Tee), erhält in zweisilbigen Formen jedoch aufgrund seiner substantivischen Grundformflexion und dem Bestreben um Einheitlichkeit weder ein silbeninitiales zur Markierung der Silbengrenze noch ein zusätzliches Reduktions- (vgl. Eisenberg 2013, S. 303f.). Da man für das Auftreten von Vokalverdoppelungen jedoch nur die erforderlichen Strukturbedingungen benennen, nicht aber Aussagen dazu treffen kann, wann verbindlich auftreten, werden sie hier nicht zum Kernbereich der Wortschreibung gezählt. Häufiger findet sich in deutschen Wortschreibungen die Markierung von Vokalgespanntheit und -länge durch ein ‚stummes‘ , das Dehnungs- (s. auch 4.3.2). Wie bereits dargestellt wurde, dient es genau genommen nicht der Dehnung – die Vokale der Wortformen, in denen das Dehnungs- auftritt, würden aufgrund ihrer Position in offenen betonten

126

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

Silben auch ohne Markierung gespannt und lang ausgesprochen–,74 sondern es zeigt dem Leser die Quantität und Qualität des vorangehenden Vokals additiv an. Im Zuge der schrifthistorischen Entwicklung und orthographischen Normierungsprozesse steht es in der gegenwärtigen Orthographie nur noch vor den Graphemen , die auf der phonologischen Wortebene mit den Sonoranten korrespondieren. Auch das Dehnungs- tritt folglich vor Graphemen auf, die ansonsten in vielen einsilbigen Wortformen komplexe Endränder mit ungespanntem vorangehenden Vokal bilden (z. B. , , aber auch (du) ; vgl. Eisenberg 2013, S. 303). Da „das Dehnungs-h nur in ungefähr jedem zweiten der möglichen Fälle steht“ (ebd.), sich aber durchaus Tendenzen seiner Distribution ermitteln lassen (es tritt vor allem in Verben auf und steht in Korrelation zur Silbenlänge, betrifft also den Gewichtsausgleich der Schreibsilbe, vgl. ebd., S. 303, 305), wird es in dieser Arbeit am Übergang vom Kern- zum Peripheriebereich der deutschen Wortschreibung lokalisiert. In den Kernbereich kann wiederum ein anderer Typ des ‚stummen ‘ eingeordnet werden: Das silbeninitiale , in anderen Darstellungen auch als silbentrennendes bezeichnet, das zwischen dem Vokalgraphem der Hauptsilbe und dem der Reduktionssilbe steht, lässt eine weitreichende Systematisierung zu. Ist die Hauptsilbe offen, d. h., die erste Schreibsilbe eines prototypischen Zweisilbers endet mit einem Vokalgraphem, wird im Anfangsrand der graphematischen Reduktionssilbe ein eingefügt, da die Reduktionssilbe anderenfalls nackt, nämlich unmittelbar mit beginnen würde, z. B. , . Das silbeninitiale steht in flektierenden Wörtern offener Wortklassen nach allen Vokalgraphemen, nicht jedoch nach den Schreibdiphthongen und . Der Schreibdiphthong kann hingegen mit einem nachfolgenden silbeninitialen kombinieren, z. B. , (vgl. Eisenberg 2013, S. 301). Die phonologische Hiatusrealisierung bleibt jedoch in anderen Wörtern mit auch in der graphematischen Repräsentation erhalten, z. B. , . Eisenberg (2016, S. 76) formuliert hierzu die Beobachtung, „dass das silbeninitiale dann nicht auftritt, wenn die Grundform einsilbig ist wie in Schrei – schreien“. Bei Wortschreibungen

74

Kohrt (1989, S. 192) führt den Begriff der „Dehnung“ auf die diachrone Lautlehre zurück und verweist in diesem Zusammenhang auf dessen irreführende Verwendung in Untersuchungen des Schriftsystems.

4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung

127

wie oder ohne einsilbige Grundform bleibt die Erklärung des ausbleibenden offen. In den Fällen des regelhaften Vorkommens des silbeninitialen offenbart sich aber erneut die notwendige Unterscheidung zwischen der phonologischen und der graphematischen Silbe: Wie die Auseinandersetzung mit dem phonologischen Wort demonstriert hat, kann der phonologische Anfangsrand der Reduktionssilbe leer bleiben, die unbetonte Sprechsilbe fordert keine glottale Artikulation und auch keine Behauchung vor dem Reduktionsvokal (vgl. Maas 2006, S. 245). Ein [h] kann darüber hinaus im deutschen Trochäus grundsätzlich weder im Silbenendrand der betonten Silbe noch vor dem Reduktionsvokal stehen (vgl. Becker 2012, S. 59, 105). Im Geschriebenen werden hingegen, wie Primus (2000) aufzeigt, Markierungen zur Stärkung der Silben- und Wortstruktur eingesetzt. In diesem Zusammenhang weist sie dem silbentinitialen eine silbenkopfoptimierende Funktion zu: Es dient nicht nur der graphematischen Silbenstrukturoptimierung durch die geforderte Besetzung des Anfangsrandes vor dem Reduktions- der unbetonten Silbe, sondern auch der Wortstrukturoptimierung, indem es die diachrone Trochäusbildung graphematisch konserviert und die dadurch entstandene Reduktionssilbe „schützt“ (ebd., S. 29). Eisenberg (2013) bezeichnet dies als „klassifikatorischen Aspekt“ (ebd., S. 301) der -Schreibung, da mit der Besetzung des graphematischen Anfangsrandes der Reduktionssilbe durch , z. B. in , der reguläre Silbenaufbau analog zu Wörtern wie gewahrt wird und visuell schnell erfasst werden kann (vgl. ebd., S. 302). Zum anderen lässt sich das silbeninitiale sequentiell fundieren und fungiert in einem solchen Verständnis als Markierer der Silbengrenze, indem es das direkte Aufeinandertreffen bestimmter Vokalgrapheme verhindert. Der von Karg (2015, S. 58) formulierte Vorschlag, die Schreibung des silbeninitialen aus sequentieller Perspektive auch in der Funktion eines Silbengelenks zu präsentieren, erscheint in Bezug auf das hier leitende Verständnis der Silbengelenkschreibung irreführend, da letztere eine – zwar nicht segmentale, aber dennoch schreibrelevante – phonologische Korrespondenz besitzt, während das silbeninitiale rein innergraphematisch begründet werden kann. Neef (2005) bezeichnet die lautliche Korrespondenz des als „ein phonologisches Nichts“ oder auch als „Nullkorrespondenz“ (ebd., S. 73), was unabhängig von seinem abweichenden graphematischen Verständnis treffend erscheint. Primus (2000) und auch Kohrt (1989) sprechen sich grundsätzlich gegen die Annahme und entsprechende terminologische Kennzeichnung einer silbentrennenden Funktion aus, zum einen weil „die die Silbengrenze

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4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

ohnehin an derselben intervokalischen Stelle verläuft“ (Primus 2000, S. 28), zum anderen weil sie insofern fehlleitend wirken kann, als sie eine direkte Verbindung zwischen graphematischen Elementen und phonologischen Erscheinungen suggeriert (vgl. Kohrt 1989, S. 192). Vor allem das letztgenannte Argument erscheint gerechtfertigt, denn im Unterschied zum Dehnungs- ermöglicht die Position, in der das silbeninitiale auftritt, tatsächlich die Artikulation eines korrespondierenden [h]. Zwar gibt Becker (2012) mit Blick auf die phonologischen Distributionsbeschränkungen des [h] an, dass das daher gar „nicht als phonographisches Zeichen missverstanden werden kann“ (ebd., S. 105), dennoch wird die prinzipielle ‚Artikulierbarkeit‘ des intervokalischen sowohl in der linguistischen als auch in der schriftdidaktischen Auseinandersetzung immer wieder thematisiert (vgl. Neef und Primus 2001, S. 366). Mit Verweis auf die angeführten phonologischen und graphematischen Grundlagen muss die tatsächliche Artikulation des in Wörtern wie Ruhe, flehen usw. in einer synchronen Gegenstandsanalyse jedoch als Überlautung, die weder mit der standardlautlichen noch mit der explizitlautlichen Realisierung übereinstimmt, interpretiert werden (vgl. u. a. Maas 2006, S. 240; Becker 2012, S. 106; Eisenberg 2013, S. 301). Dafür, dass das silbeninitiale insbesondere in schulischen Kontexten häufig in großer Nähe (z. T. sogar gänzlich ohne Unterscheidung) zum Dehnungs- präsentiert wird, lassen sich sowohl synchrone als auch diachrone Ansatzpunkte finden: Zum einen sind beide -Graphien ausnahmslos an offene Silben und damit an Vokalgespanntheit und -länge gebunden, weshalb sie in der Regel zu den Dehnungsgraphien gezählt werden (vgl. Eisenberg 2013, S. 301), zum anderen hat sich „in vielen Fällen ein ‚Dehnungs-h‘ aus einem früheren ‚silbentrennenden h‘ heraus entwickelt“ (Kohrt 1989, S. 193; vgl. auch Stricker et al. 2016, S. 10f.). Weshalb eine Differenzierung zwischen beiden -Schreibungen dennoch funktional ist, soll in Kapitel 5 zur Verbindung von Sprachwissenschaft und -didaktik aufgezeigt werden. 4.5.3

Das morphologische Prinzip

Da die phonographischen und silbischen Schreibungen stets über den Grundtyp des deutschen Wortes, den trochäischen Zweisilber, erklärt wurden, haben sich die bisherigen Aussagen zum Schriftsystem durchgängig auf morphologisch einfache Wörter bezogen. Es wurde demonstriert, dass die Schreibung zweisilbiger Wörter in vielen Fällen auf das Zusammenwirken beider phonologischer Subprinzipien angewiesen ist.

4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung

129

Die wechselseitigen Beziehungen zwischen den Prinzipien zeigen sich auch dann, wenn es um die Schreibung von Stammmorphemen in flektierten Formen, Komposita oder Derivaten geht. In diesen Fällen wird das morphologische Prinzip wirksam, indem es dafür sorgt, dass bedeutungsrelevante morphologische Informationen ebenso wie die phonologischen graphematisch kodiert werden. Wesentlich für die hier eingenommene Perspektive auf das Schriftsystem ist, dass die phonologischen Schreibungen auch im morphologischen Teilbereich den „Dreh- und Angelpunkt für die Wortschreibung“ (Eisenberg 2013, S. 310) darstellen und die Referenz auf die zweisilbigen „Explizitformen“ (ebd.) auch hier analyseleitend ist. Dies lässt sich an zentralen graphematischen Regularitäten, die mit Ausnahme der Nichtberücksichtigung der Auslautverhärtung in der Schrift schon im Bereich der silbischen Schreibungen in den Blick genommen wurden, verdeutlichen. Grundsätzlich gilt, dass die phonographischsilbisch ermittelten Schreibungen der zweisilbigen Explizitformen die Stammschreibung fundieren: „Die geschriebene morphologische Einheit behält ihre Gestalt unter fast allen Bedingungen, ihre Segmentfolge ist stabil.“ (ebd.) Aus dieser Grundlegung ergibt sich, dass es beispielsweise bei Schreibungen von Derivaten wie anders als im Gesprochenen zu keiner Reduktion an der Morphemgrenze kommt – sowohl das des Präfixes als auch das im Anfangsrand des Verbs bleiben erhalten (vgl. auch Günther 1988, S. 88). Ebenso werden markierte, vorwiegend silbenstrukturell hergeleitete Schreibungen wie die Silbengelenkschreibung, das silbeninitiale und auch das Dehnungs- an morphologisch komplexe Formen vererbt, selbst wenn sich die jeweilige Wortstruktur gegenüber der zweisilbigen Form grundlegend verändert und die Markierungen mitunter redundant erscheinen lässt. So repräsentiert die Silbengelenkschreibung in (du) schwimmst erstens keinen phonologischen Gelenkkonsonanten und erscheint zweitens aus Leserperspektive nicht notwendig, um die Zielstruktur zu erfassen, schließlich wäre auch ohne verdoppeltes Konsonantengraphem, also als *, mit ungespanntem, kurzem Vokal zu assoziieren. Das morphologische Prinzip bzw. die damit bezeichnete Morphemkonstanz des graphematischen Wortes macht jedoch deutlich, dass gerade in der Konstanthaltung der Formen eines morphologischen Paradigmas eine immense Hilfe für den Rekodierprozess besteht. Indem die aus dem Zweisilber gewonnenen Markierungen des graphematischen Wortstamms in (fast) allen Flexionsformen und Wortbildungen erhalten bleiben, ist eine schnelle und eindeutige Bedeutungszuweisung beim Lesen möglich. Beispielsweise kann die präteritale

130

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

Form (sie) starrten im Wissen um die silbischen und morphologischen Beziehungen im Geschriebenen semantisch schnell erfasst und eine Verwechselung mit (sie) starten ausgeschlossen werden: Da eine Silbengelenkschreibung in der zweisilbigen Grundform nur intervokalisch steht, muss das auf folgende als Indikator morphologischer Komplexität identifiziert werden. Aus dieser Gliederung ergibt sich für (sie) der graphematisch konstante Stamm starr, wohingegen (sie) mit dem Stammmorphem start verknüpft werden muss. Diese morphologische Transparenz gilt auch für die weiteren silbisch hergeleiteten Schreibungen: Das silbeninitiale , das in der zweisilbigen Form stets im Anfangsrand der unbetonten Silbe auftritt (z. B. ), markiert gleichzeitig das Ende des Wortstamms (z. B. geh) und taucht auch in Formen auf, in denen es nicht in intervokalischer Position steht und somit graphotaktisch nicht erforderlich wäre (z. B. du ). Wird das aufgrund dieses Positionswechsels als nun vorliegendes Dehnungs- interpretiert, ist dies einer systematischen Erfassung graphematischer Strukturen nicht zuträglich (vgl. dazu auch schon Kohrt 1989, S. 194). Stattdessen kann das morphologisch vererbte silbeninitiale als zuverlässiger Morphemgrenzen-Markierer bezeichnet werden: Es zeigt dem Leser die Grenze des Stammmorphems an und schafft auf diese Weise einen unmittelbaren Zugang zur Stammbedeutung. Die leseunterstützende Funktion des silbeninitialen zeigt sich daher sowohl auf der silbischen Ebene, auf der es für eine visuell eindeutige Erfassung der trochäischen Wortform sorgt, als auch auf der morphologischen Ebene durch das visuelle Abstecken des Morphemrands. Diese rekodierförderliche Leistung wird jedoch vor allem durch das Ineinandergreifen beider Ebenen erzielt. Zudem können anhand des silbeninitialen auch die Grenzen einer synchronen Gegenstandsanalyse veranschaulicht werden, wenn etwa Schreibungen wie ziehen – zog auf historisch bedingte Abweichungen von der Morphemkonstanz (hier durch paradigmatischen vokalischen und konsonantischen Wechsel) verweisen oder in Wörtern wie Draht der paradigmatische Zusammenhang zu drehen morphologisch nicht mehr transparent ist (vgl. z. B. Günther 1988, S. 89, 92). Wie eng das morphologische Prinzip mit den phonologischen (Sub-) Prinzipien verknüpft ist und wie relevant sich auch auf der morphologischen Ebene die Unterschiede zwischen phonologischen und graphematischen Strukturen erweisen, kann an einem weiteren graphematisch bedeutsamen Phänomen, der Auslautverhärtung im phonologischen Wortauslaut bzw. Morphemrand und ihrer Nichtberücksichtigung in der Schrift ([valt] gegenüber ), verdeutlicht werden. Im Beispielwort Wald

4.5 Graphematische Grundlagen: die Prinzipien der deutschen Wortschreibung

131

ergibt sich die Stammschreibung durch den Bezug auf eine zweisilbige Flexionsform, z. B. des Waldes oder die Wälder. Die phonologische Fortisierung des stimmhaften [d] in der flektierten zweisilbigen Form zu [t] in der einsilbigen Grundform Wald wird also graphematisch nicht wiedergegeben, sondern konsequent geschrieben. Da hier zur Schreibbegründung einer einsilbigen substantivischen Grundform ebenso wie in den oben beschriebenen silbenstrukturellen Regularitäten auf die prototypische zweisilbige Fußstruktur zurückgegriffen werden muss, bezeichnet Eisenberg (2013) diese Form der Morphemkonstanz als prosodisch determiniert (vgl. ebd., S. 311) – sie fundiert in der trochäischen Basisform und der darin angelegten phonographischen Schreibung mit . Für den Bereich dieser prosodisch determinierten Explizitformen kann festgehalten werden, dass sich die phonographisch-silbischen Schreibungen, u. a. die des Silbengelenks und der -Schreibungen, mit wenigen Ausnahmen durchsetzen (vgl. ebd.).75 Wird in flektierten Formen wie du fasst oder du musst zur Vereinfachung auf eine Darstellung der aufgrund der Silbengelenkschreibung im Zweisilber und des Flexionssuffixes erwartbaren drei verzichtet, so wertet man dies nicht als Auslassung der vererbten Silbengelenkschreibung, sondern des Flexionselements (vgl. Günther 1988, S. 89). Silbische Schreibungen werden hingegen nicht vererbt, wenn sich in Ablautreihen wie bitten – bat – gebeten durch die unterschiedliche konsonantische Umgebung quantitative Vokalveränderungen ergeben. Das Schriftsystem bezieht seine morphologisch konstanten Schreibungen jedoch nicht ausschließlich aus den zweisilbigen Explizitformen – und dies wird oft als Argument für die sprachwissenschaftlich wie -didaktisch vorzuziehende Arbeit mit dem Wortstamm anstelle des trochäischen Zweisilbers gewertet –, sondern ist zum Teil auch rein morphologisch determiniert, wenn es „lautliche Unterschiede zwischen Stammformen, die morphologisch relevant sind“ (Eisenberg 2013, S. 314), betrifft: Schreibungen mit Umlautgraphemen (z. B. die Ställe) und dem Schreibdiphthong (z. B. die Bäume) gehen häufig auf eine einsilbige substantivische Grundform (der Stall, der Baum) zurück, die Eisenberg daher als „morphologisch determinierte Explizitform“ (ebd.) ausweist: Geschrieben wird beispielsweise aufgrund von , aufgrund von

75

Zur Diachronie der graphematischen Nicht-Berücksichtigung der Auslautverhärtung s. Ruge (2004).

132

4 Phonologische und graphematische Wortstrukturen im Deutschen

76. Die im phonologischen Wort auftretenden lautlichen Veränderungen werden im geschriebenen Wort zur Kennzeichnung morphologischer Transparenz nicht berücksichtigt. Die korrekte Schreibung des Silbenkerns ergibt sich in diesem Fall also im Unterschied zu den bisher angeführten Regularitäten in umgekehrter Richtung: von der einsilbigen Grundform (und Stammschreibung) zur zweisilbigen Flexionsform.

76

– andererseits aber auch aufgrund von .

5

Konzeption eines wortstrukturorientierten Schriftsprachunterrichts

Im vorangegangenen Kapitel wurde die Wortschreibung als Fachgegenstand präsentiert, der von unterschiedlichen grammatischen Teilsystemen beeinflusst wird und sich durch gleichermaßen komplexe wie systematisierbare Strukturen auszeichnet. Durch die umfassende Beschäftigung mit diachronen und synchronen Merkmalen des Gegenstands wurde zum einen die Bedeutsamkeit einer fundierten Sachanalyse der Wortschreibung für ihre Modellierung als Lerngestand sichtbar, zum anderen konnten auch mögliche Ansatzpunkte und Bezugsgrößen für entsprechende didaktische Zugänge aufgezeigt werden. In diesem Kapitel werden zunächst grundlegende Prämissen eines Unterrichts, der an die in Kapitel 4 dargestellte sachanalytische Fundierung der Wortschreibung anknüpft, erläutert. Anschließend können mögliche (methodische) Herangehensweisen in einem an den grundlegenden Wortstrukturen orientierten Schriftsprachunterricht präsentiert werden. Die Darstellungen konzentrieren sich dabei auf einen konzeptionellen Zugang, der am geschriebenen Wort ansetzt und Lernenden über schriftsprachanalytische Operationen am prototypischen graphematischen Zweisilber die Funktionalität von Schriftstrukturen für das Lesen und für die Entwicklung von Handlungssicherheit im Schreiben aufzeigt. Gleichzeitig entsprechen die im Folgenden erläuterten konzeptionellen Richtlinien und Umsetzungsformen schriftsprachlicher Lehr-Lern-Prozesse der Perspektive, die für die Auseinandersetzung mit den erhobenen Interviewdaten in der vorliegenden Arbeit leitend ist: Die von den befragten Lehrenden beschriebenen Zugänge zur Wortschreibung werden vor dem Hintergrund der folgenden schriftsprachdidaktischen Leitlinien eingeordnet und reflektiert. Ein Zusammenhang zwischen dieser wissenschaftlichen Positionierung und der empirischen Untersuchung wird zudem in der Anlage der Datenerhebung sichtbar. So setzt sich die Untersuchungsgruppe aus Lehrenden zusammen, die sich entweder sehr klar über eine auf die Silbenstruktur deutscher Wörter ausgerichtete Handlungsorientierung positionieren oder die nach eigener Auskunft auf eine rein segmentbasierte

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Schröder, Der Lerngegenstand Wortschreibung aus der Sicht von Lehrenden, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24828-4_5

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5 Konzeption eines wortstrukturorientierten Schriftsprachunterrichts

Erstorientierung im schriftsprachlichen Unterricht verzichten (dazu ausführlich: Kapitel 7.2.3).77 Um nun in der Auswertung der Daten möglichst differenziert beschreiben zu können, worin die Lehrenden die spezifische Leistung suprasegmentaler Strukturen sehen und wie sie diese im konkreten Handlungsbezug aufgreifen, soll in diesem Kapitel gezeigt werden, welche konzeptionellen Richtlinien für einen Unterricht gelten können, der die Wortschreibung von vornherein als suprasegmental strukturierten Lerngegenstand präsentiert. Verdeutlicht werden kann dabei auch, wie die sprachwissenschaftliche Bestimmung der Gegenstandsstruktur (Wortschreibung als Fachgegenstand) in der Gestaltung schriftsprachlicher Lehr-Lern-Prozesse (Wortschreibung als Lerngegenstand) aufgegriffen werden kann. Im Fokus stehen daher weniger konkrete Mittel der methodischen Gestaltung als vielmehr Aspekte der grundsätzlichen Herangehensweise. 5.1 Wortstrukturorientiertes Lehren und Lernen in der Grundschule In den Ausführungen zu laut- und schriftsprachlichen Strukturen im deutschen Wort wurden die jeweils eigenständige Organisation des Laut- und Schriftsystems und ihre systematischen interdependenten Bezüge dargestellt (s. Kapitel 4). Dabei wurde vor allem deutlich, dass sich aus der prototypischen graphematischen Fußstruktur und dem Aufbau von graphematischer Haupt- und Reduktionssilbe grundlegende Einsichten in regelhafte Strukturen der deutschen Wortschreibung und in deren funktionalen Bezüge zur Wortlautung gewinnen lassen. Zugleich konnte gezeigt werden, dass der in den traditionellen Modellierungen des Schriftspracherwerbs leitenden Vorstellung einer grundsätzlich segmentbasierten Erschließung der Schreibung von Wörtern nicht nur aus graphematischer, sondern auch aus phonologischer Sicht gewichtige Einwände gegenüberstehen (s. u. a.

77

Dass in den folgenden Ausführungen auf einen schreibsilbenorientierten Zugang zur Wortschreibung fokussiert wird, läuft dem Auswahlkriterium der Stichprobe – einer ‚im weitesten Sinn‘ silbenorientierten Herangehensweise ohne erforderliche Bindung an eine konzeptionelle Vorstellung – und der konzeptionell offenen Auswertung der Daten nicht zuwider. Vielmehr sollen durch die folgenden Darstellungen exemplarisch didaktisch-methodische Zugänge zum Lerngegenstand unter Berücksichtigung der auch im Unterricht relevanten Unterschiede laut- und schriftsprachlicher Strukturen aufgezeigt werden.

5.1 Wortstrukturorientiertes Lehren und Lernen in der Grundschule

135

4.1 und 4.2). Zentral für den hier fokussierten didaktischen Untersuchungskontext ist dabei die Erkenntnis, dass eine Isolierung von lautsprachlichen Segmenten im gesprochenen Wort nicht natürlich angelegt und eine naturgemäße Gliederung des Lautstroms durch Schreibnoviz/-innen somit nicht zu erwarten ist (vgl. Maas 2015, S. 123). Didaktische Empfehlungen, die nahelegen, das anfängliche, lautorientierte Schreiben vom orthographischen Schreiben abzugrenzen und somit – in der zugespitzten Formulierung Bredels – den „Erwerb eines grammatikfreien Schriftkonzepts“ (Bredel 2015a, S. 256) anzuregen, erscheinen daher sachstrukturell wenig überzeugend. Im Weiteren soll gezeigt werden, welche Zugänge zum deutschen Schriftsystem einer traditionell segmentbasierten Erstorientierung und dem anschließenden Aufbau kasuistischen Regelwissens entgegengesetzt werden können. Leitend ist dabei die Vorstellung eines einphasig angelegten Schriftsprachlernens, in dem das Wort von vornherein als „Einheit der kognitiven Bearbeitung der Äußerung“ (Maas 1989, S. 139) präsentiert wird und schriftsprachliches Lernen somit immer orthographisches Lernen einschließt (vgl. auch Bredel et al. 2011, S. 98).78 5.1.1

Grundlegende Prämissen

Die Basis der hier näher vorgestellten schriftstrukturbezogenen Konzipierung des (Recht-)Schreibenlernens stellt Hinneys Neubestimmung von Lerninhalten für den Rechtschreibunterricht (1997) dar, die sie auf dem sprachwissenschaftlichen Fundament der graphematischen Erkenntnisse Eisenbergs entwickelt. Grundlegend für Hinneys schriftsprachdidaktischen Modellierungen und alle darauf bezogenen Weiterentwicklungen auch anderer Autor/-innen ist eine kognitionspsychologische Sicht auf das Lernen. Kognitives Lernen erfordert Lerngelegenheiten, in denen Einsichten in die Strukturen des Lerngegenstands gewonnen und unterschiedliche Wissensformen erworben werden können. Schriftsprachlernen im Allgemeinen und Orthographielernen im Speziellen sind in diesem Verständnis auf die Aneignung deklarativen, prozeduralen, problemlöseorientierten und

78

Da die formal-analytische Auseinandersetzung mit den Strukturen der Wortschreibung im Mittelpunkt der folgenden Darstellungen steht, wird terminologisch bisweilen spezifisch auf rechtschriftliches oder orthographisches Lernen verwiesen; dies erfolgt jedoch stets vor dem Hintergrund eines übergreifenden Verständnisses des schriftsprachlichen Lernens, in dem Schreiben und Rechtschreiben nicht getrennt voneinander gedacht werden.

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5 Konzeption eines wortstrukturorientierten Schriftsprachunterrichts

metakognitiven Schriftwissens ausgerichtet (vgl. Hinney 1997, S. 51). Daran geknüpft sind auf der anderen Seite auch Lernarrangements, in denen sich Schüler/-innen eigenaktiv und experimentierend mit den Schriftstrukturen des Deutschen auseinandersetzen. Formen des operativen Untersuchens von Wortschreibungen sowie des Aufstellens, Anwendens und Prüfens entsprechender Schreibhypothesen prägen somit die im Weiteren leitende kognitivistisch-konstruktivistische Auffassung von schriftsprachlichem Lernen. Wie dieses Lernen mit dem Ziel orthographischer Kompetenz aufgebaut werden kann, stellt Hinney (1997) in einem Modell zum Wissenserwerb dar, in dem sie die aufeinander aufbauenden kognitiven Anforderungen des Wissenserwerbs, der Wissenskompilierung und der Wissensoptimierung an die Sprachverarbeitungsprozesse der Analyse, Integration und Automation und deren steter metakognitiver Kontrolle bindet (vgl. ebd., S. 51). Vertreter/-innen eines an den Erkenntnissen der Graphematik orientierten Schriftsprachunterrichts betrachten dabei insbesondere den Aufbau von schriftstrukturellem (deklarativem) Wissen sowie die Initiierung metasprachlicher Aktivitäten als zentrale Maßgabe orthographischer Lernprozesse (Böhm und Mehlem 2015a, S. 183). Kompetente (Recht-)Schreiber/-innen zeichnen sich in diesem Verständnis nicht nur durch orthographisch richtige Schreibungen, sondern auch durch die Steuerung des eigenen Schreib(lern)prozesses aus (vgl. Hinney 2011, S. 204). Bei rechtschreibschwächeren Lernenden werden demgegenüber immer wieder Schwierigkeiten mit dem eigenständigen Aufbau schriftstruktureller Erkenntnisse und der Überwachung des eigenen Schreibprozesses beobachtet (s. auch Kapitel 3). Insbesondere diese Lernergruppe ist, so Hinney (2011, S. 204), auf einen gut angeleiteten sprachanalytischen und -reflektierenden Schriftzugang angewiesen. Wenn das Schriftsystem als ein Gegenstand präsentiert werden soll, der „durch kognitive Arbeit“ (Röber 2015, S. 185) zu erschließen ist, ist damit also in der Regel auch die Vorstellung eines stärker instruktionalen, wissensvermittelnden Charakters von Unterricht verbunden (vgl. ebd.; auch Böhm und Mehlem 2015, S. 113). Eine solche Perspektive auf rechtschriftliche Lehr-Lern-Prozesse hebt sich daher in der Bewertung unterrichtlicher Instruktion von den gegenwärtigen stärker lernerbezogenen Konzeptionen ab, die die Rolle des Unterrichts – und der Lehrkraft – primär in der Lernbegleitung sehen (s. 3.3.1). Die größere Präsenz der Lehrkraft wird in der hier leitenden Konzipierung schriftsprachlichen Lernens nicht als Widerspruch zu der oben formulierten Forderung nach selbstständiger Schrifterkundigung der Lernenden

5.1 Wortstrukturorientiertes Lehren und Lernen in der Grundschule

137

aufgefasst: Mit Blick auf die in Teilkapitel 4.5 dargelegten schriftgrammatischen Strukturzüge erweist sich die Wortschreibung als geeigneter Lerngegenstand, um ein einsichtsvolles und operatives Lernen anzuregen. Wenn Böhm und Mehlem (2015) in diesem Zusammenhang von der „Ausnutzung des kognitiven Potenzials von Schrift“ (ebd., S. 113) als eine wesentliche Aufgabe und Chance der Didaktik sprechen, impliziert dies die grundsätzliche Absage an einen segmentbasierten Einstieg in die Schrift: Sollen Lernerorientierung und sprachwissenschaftliche Fundierung stimmig zusammenwirken, muss die Wortschreibung von vornherein als Träger grammatischer, segmentübergreifender – und vor allem prosodischer – Informationen dargeboten werden (vgl. ebd.; Bredel et al. 2011, S. 109; Mesch 2015a, S. 105). Der Aufbau orthographischer Kompetenz auf Wortebene ist in diesem Verständnis an die Entwicklung der Fähigkeit gebunden, „einer geschriebenen Form phonologische, prosodische, morphologische und syntaktische Informationen zu entnehmen, sowie umgekehrt (…) phonetische, prosodische, morphologische und syntaktische Strukturen zu verschriften“ (Bredel 2015a, S. 259). Entsprechende Lernprozesse können durch sprachanalytische Tätigkeiten, d. h. vor allem durch auf formale Sprachaspekte gerichtete Lernaktivitäten, angeregt werden. Dabei stehen stets die Funktionalität von Schriftstrukturen und somit v. a. die Perspektive der Leser/-innen als die Adressat/-innen von Geschriebenem im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand: In der systematischen Erschließung graphematischer Strukturen sowie in deren Anwendung im selbstständigen Schreiben können Lernende dazu befähigt werden, den eigenen Schriftgebrauch mit Blick auf die (gedachte) Leserschaft zu steuern und zu überwachen. In welchem Verhältnis ‚formaler‘ Orthographieunterricht und freies Schreiben zur Erfahrung der kulturellen Dimension von Schrift zueinander stehen sollten, wird von den Vertreter/-innen schriftstrukturorientierter Konzeptionen unterschiedlich bewertet. So spricht sich Riegler (2015) beispielsweise für das Nebeneinander von systematischer Gegenstandserschließung und freier Schreiberprobung aus, während das freie Experimentieren mit Schriftstrukturen für Röber (2015) zwar ein Baustein des Anfangsunterrichts, nicht aber dessen Zentrum sein sollte. Letzteres ist in ihrer Vorstellung dem angeleiteten Systemerwerb vorbehalten (vgl. ebd., S. 212). Da empirische Aussagen zur zielführenden Gewichtung freier Schreibsituationen und der analytischen Auseinandersetzung mit Schreibungen nach wie vor fehlen, wird die Anlage der in der vorliegenden Arbeit

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5 Konzeption eines wortstrukturorientierten Schriftsprachunterrichts

vorgestellten empirischen Studie auch in dieser Hinsicht als aufschlussreich betrachtet: Durch die Befragung der Lehrenden kann die Rolle beider Bausteine, also schriftsprachanalytischer Operationen und freier Schreiberfahrung, unter den für sie relevanten Gesichtspunkten beleuchtet werden. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die grundsätzliche Annahme, dass beide genannten Erarbeitungsformen der Auseinandersetzung mit der Wortschreibung dienen und somit ihren berechtigten Platz im Unterricht besitzen (vgl. auch Bredel 2015b, S. 38), sofern sie nicht in einem (traditionellen) Nacheinander von Erstschreiben und Systemeinsicht münden. Wie Einsichten in die Systematik der Schrift im Unterricht angestoßen werden können und welche Konsequenzen sich daraus für die Auswahl der Lerninhalte und Unterrichtsmaterialien ergeben, führt der nächste Abschnitt 5.1.2 aus. 5.1.2

Systematische Erschließung des Lerngegenstands: vom geschriebenen zum gesprochenen Wort Ausgangspunkt der Analysen sind immer die geschriebenen [Hervorhebung im Original] Wörter, so daß zunächst in einer ‚Rückwärtsanalyse‘ die schriftsystematischen Zusammenhänge aufgedeckt werden sollen. (Hinney 1997, S. 132)

Auf der Grundlage der dargestellten Prinzipien der deutschen Wortschreibung einschließlich ihrer Bezüge zum lautsprachlichen System und ihrer Zugänglichkeit für Schriftanfänger/-innen kann eine didaktische Initiierung von graphematischen Lernprozessen, die am geschriebenen Wort ansetzt, als zielführender Zugang zur Schrift betrachtet werden (vgl. Hinney 1997, S. 105). Soll die Funktionalität graphematischer Strukturen für das laute und leise Lesen erfasst werden, muss ihre Leistung zum einen für das Geschriebene selbst, zum anderen in ihrem Zusammenwirken mit dem gesprochenen Wort differenziert untersucht werden können. Nicht nur die feine Segmentierung des gesprochenen Wortes, auch dessen standardsprachlichen Abweichungen vom geschriebenen Wort werden erst in der Untersuchung schriftsprachlicher Muster zugänglich (vgl. Müller 2017, S. 20). Aus diesem Grund können stichhaltige sach- und lernerbezogene Argumente für die – im Verhältnis zu herkömmlichen Ansätzen – umgekehrte Blickrichtung vom Lesen zum Schreiben sowie vom graphematischen Wort zu dessen lautsprachlicher Repräsentation angeführt werden (vgl. auch Bredel 2015a, S. 274). Sie werden im Folgenden dargestellt.

5.1 Wortstrukturorientiertes Lehren und Lernen in der Grundschule

139

Möchte ein/e Schriftanfänger/-in ein prototypisches deutsches Wort wie Wurzel verschriften, ohne sich vorher bereits mit grammatischen Mustern der Wortschreibung beschäftigt zu haben, kann er oder sie allein über die standardlautliche Repräsentation des Wortes [ˈvʊɐʦl̩ ] zu keiner orthographisch adäquaten Verschriftung gelangen: Er oder sie wird zur Wiedergabe des vokalisiert artikulierten der Zielschreibung vermutlich ein der lautlichen Korrespondenz [ɐ] möglichst naheliegendes Graphem, das , wählen, während die standardsprachliche Auslassung des Reduktionsvokals in der unbetonten Silbe voraussichtlich auch zu einem Ausbleiben des Reduktions- im geschriebenen Wort führt. Zu erwarten wären die Schreibvarianten * oder *. Um die funktionalen typischen Muster und besonderen Markierungen der Schrift zu verstehen und im Hinblick auf ihre Bedeutung für das gesprochene Wort auswerten zu können, ist eine Unterscheidung zwischen der Explizitlautung, auf die die geschriebene Sprache bezogen ist, und der bereits erworbenen gesprochenen Sprachform erforderlich (zu den lautsprachlichen Varietäten s. 7.2.2). Die Explizitlautung ist jedoch genauso wie die Unterteilung des Lautstroms in Einzelsegmente ohne schriftsprachliche Kenntnisse nicht zugänglich, stellt also ebenfalls nicht die Voraussetzung, sondern das Ziel der Schriftbegegnung dar. Von einem schriftsystematischen Unterricht verlangt diese Zielsetzung daher ein umfangreiches Angebot an Lernmöglichkeiten, sich mit den prototypischen Strukturen des Geschriebenen auseinanderzusetzen, um so explizitlautliche Muster über sprachanalytische Tätigkeiten zu erarbeiten und die Wortschreibung in ihrer pragmatischen Funktion als Lesehilfe zu erfahren (vgl. Hinney 2010, S. 73). In einem solchen Verständnis kann das (Recht-)Schreibenlernen nach Röber (2015) treffend als „Anwendung des beim Lesenlernen erworbenen sprachlichen Wissens“ (ebd., S. 204) definiert werden. Für eine Annäherung an die konkrete unterrichtspraktische Umsetzung des beschriebenen konzeptionellen Rahmens sind die in Abschnitt 4.4.2 dargelegten Grundlagen der Wortschreibung fundamental: Dort wurde gezeigt, dass die Strukturen des prototypischen graphematischen Zweisilbers größtenteils silbenbezogen erklärt werden können und prosodische Muster des phonologischen Wortes, die das Kind bereits im mündlichen Spracherwerb zu nutzen lernt, repräsentieren. Aus diesem Grund werden schriftsprachdidaktische Konzeptionen für den Grundschulunterricht, die primär an den sprachwissenschaftlichen Erkenntnissen ausgerichtet sind, oftmals als silbenbasierte (z. B. Bredel 2015a), silbenanalytische (Röber 2009) oder silbenorientierte (Riegler 2015) Modelle bezeichnet, wenngleich dies nicht immer in bewusster bzw. begrifflich einheitlicher

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5 Konzeption eines wortstrukturorientierten Schriftsprachunterrichts

Unterscheidung geschieht.79 Der vorliegenden Arbeit wird ein Ansatz zugrunde gelegt, der die Schreibsilbe zur primären Bezugsgröße der Schrifteinsicht erklärt (vgl. u. a. Hinney 2010; Bredel et al. 2011; Bredel 2015a). Die Hervorhebung der Silbe schließt die Beschäftigung mit den weiteren graphematischen Struktureinheiten jedoch nicht aus; vielmehr stellt die Schreibsilbe im kanonischen graphematischen Fuß im hier angelegten Gegenstandsverständnis die zentrale Referenzgröße bei der sukzessiven Erschließung des Schriftsystems dar. Der ausgewiesene Silbenbezug des Ansatzes steht also genau genommen stellvertretend für ein übergreifendes schriftstrukturelles Konzept. Worin sich diese Perspektive von anderen silbenbezogenen Konzeptionen unterscheidet, wird im Anschluss an die didaktische Systematisierung von Lernprozessen zur Erschließung der Kernwortschreibung demonstriert. Das für die Anregung zielführender Struktureinsichten geeignete Sprachmaterial kann aus der sprachwissenschaftlichen Grundlegung der deutschen Wortschreibung (s. 4.4) unmittelbar abgeleitet werden: Systematische Lernprozesse werden anhand prototypischer Wörter des Kernbereichs, d. h. anhand von prototypischen graphematischen Zweisilbern aus dem elementaren, regelhaften Bereich der Wortschreibung, initiiert (vgl. Hinney 1997, S. 138). Hinney (1997) prägte für die systemorientierte Auswahl des Wortmaterials den Begriff des Schlüsselwortes als Bezugsgröße der Analyse von geschriebenen Wörtern und der Generierung eigener Wortschreibungen (vgl. ebd., S. 133). Der Arbeit mit Schlüsselwörtern, also Inhaltswörtern (Substantive, Adjektive, Verben) mit zweisilbiger prototypischer Struktur, kann insofern großes didaktisches Potenzial beigemessen werden, als sich anhand der Basisstruktur deutscher Wörter die Grundfunktion zahlreicher graphematischer Regularitäten erfassen lässt. Überdies wird angenommen, dass das Operieren mit den geschriebenen Prototypen dazu beiträgt, das Bewusstsein für die phonologischen Akzentstrukturen des Deutschen und die ebenfalls prosodisch bedingte Vokalop-

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Riegler (2015, S. 61) grenzt ihr eigenes silbenorientiertes Konzept insofern von den silbenbasierten Modellen, etwa von Röber (2009) und Bredel (2009), ab, als die PhonemGraphem-Korrespondenzen in ihrem Verständnis eine zulässige Beschreibungsebene für den schriftsprachlichen Anfangsunterricht darstellen, während dies bei den silbenbasierten Konzepten abgelehnt werde.

5.1 Wortstrukturorientiertes Lehren und Lernen in der Grundschule

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position, die vielen Schüler/-innen mit ungünstigen sprachlichen Voraussetzungen nachweislich Schwierigkeiten bereitet (vgl. dazu auch Röber 2012, S. 41), zu stärken (vgl. Hinney 2010, S. 80).80 In der Auseinandersetzung mit dem prototypischen graphematischen Fuß81 des deutschen Wortes lassen sich grundlegende orthographische Strukturtypen ermitteln, die sich über den Aufbau der graphematischen Hauptsilbe und, damit vernüpft, über die Besetzung des graphematischen Anfangsrandes der Reduktionssilbe unterscheiden lassen. Die im Folgenden vorgestellte Einteilung (Tab. 2) basiert auf der von Eisenberg (u. a. 1989, 2005) ermittelten binären Grundstruktur der graphematischen Hauptsilbe und ihren Bezügen zur phonologischen betonten Silbe (s. 4.4.2). Zur Erfassung der Strukturtypen 3, 4 und 5 sind zudem der Übergang zur Reduktionssilbe und die Besetzung deren Anfangsrandes miteinzubeziehen.

80

81

Eine Fokussierung der sprachanalytischen Tätigkeiten auf die prototypischen Inhaltswörter schließt die unterrichtliche Thematisierung der Schreibung von gebrauchshäufigen Funktionswörtern sowie weiteren frequent gebrauchten oder persönlich bedeutsamen Wörtern in dem hier präsentierten konzeptionellen Ansatz nicht aus; zum Aufbau eines Systemverständnisses im Kernbereich der Wortschreibung ist die strukturierte Auswahl des Analysematerials jedoch notwendig. Da der graphematische Fuß die nächsthöhere Einheit der Silbe darstellt und er in seiner kanonischen Struktur, bestehend aus graphematischer Haupt- und Reduktionssilbe, auf die korrespondierenden prosodischen Muster im Gesprochenen verweist, wird er im Weiteren als Terminus zur Untersuchung der (interdependenten) Beziehungen zwischen geschriebenem und gesprochenem Wort genutzt: Aufgrund seiner strukturellen Nähe zur Silbe bzw. v. a. zum Zusammenwirken von Haupt- und Reduktionssilbe können orthographische Muster anhand des graphematischen Fußes gezielt hergeleitet werden. Verweise auf den prototypischen graphematischen Fuß und das prototypische graphematische Wort beziehen sich grundsätzlich auf dieselbe Untersuchungsstruktur, die Referenz auf die Struktureinheit des Fußes soll lediglich die Relevanz intra- und intersilbischer Strukturen für die Wortschreibung und -lautung begrifflich hervorheben.

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5 Konzeption eines wortstrukturorientierten Schriftsprachunterrichts

Tab. 2 Orthographische Strukturtypen im Kernbereich des deutschen Wortes (in Anlehnung an Bredel 2015a, S. 275; Hinney 2014, S. 163) Schlüsselwörter

Morphol. Ableitungen beim Simplex bzw. Einsilber

Morphologisch komplexe Wörter: Derivate, Komposita

Strukturtyp 1 (ST 1) Graphematisch offene Hauptsilbe Silbennukleus: alle Vokalgrapheme und Schreibdiphthonge sowie die Graphemfolge Strukturtyp 2 (ST 2) Graphematisch geschlossene Hauptsilbe

malen reisen lieben

Konsonantisch besetzter Endrand, Besonderheit: vokalisiert artikuliertes Strukturtyp 3 (ST 3) Graphematisch geschlossene Hauptsilbe zur Notation eines phon. Silbengelenks

Felder Gurke Turnen

Doppelte Konsonantengrapheme, auch und , Besonderheit: und werden nicht verdoppelt

er malt (malen) sie reist (reisen) er liebt (lieben)

Feld (Felder) er turnt (turnen)

Brille, Kette packen, kratzen Tische, Fächer

er packt (packen) sie kratzt (kratzen) Tisch (Tische) Fach (Fächer)

Malschule (malen, Schule), verreist (reisen) Liebling (lieben)

Feldgurke (Felder, Gurke) Turnhemd (turnen, Hemden)

Brillenkettchen (Brille, Kette) bepackt (packen) aufgekratzt (kratzen) Schreibtischfach (Tische, Fächer + schreiben)

Strukturtyp 4 (ST 4) Graphematisch offene Hauptsilbe mit graphematischer Hiatusüberbrückung in der Reduktionssilbe silbeninitiales nach allen Vokalgraphemen, sowie z.T. Diphthong

drehen ziehen leihen

Übergang zum Peripheriebereich:additive graphematische Anzeige von phonologischer Vokallänge und -gespanntheit (Anfangsrand der Reduktionssilbe kons. besetzt durch ): Dehnungs-

Lehrer, lehren

er dreht (drehen) sie zieht (fliehen) du leihst (leihen)

drehbar (drehen) abziehbar (ziehen)

er lehrt (lehren)

Lehrling (lehren)

Verleih (leihen)

5.1 Wortstrukturorientiertes Lehren und Lernen in der Grundschule

143

In der tabellarischen Übersicht sind alle für die deutsche Kernwortschreibung relevanten orthographischen Basistypen 82 angeführt. Ihre Erarbeitung kann als die zentrale Aufgabe und Zielvorgabe des (Recht-)Schreibunterrichts in der Grundschule definiert werden. Die Nummerierung der orthographischen Strukturtypen gibt dabei bereits Aufschluss über eine sinnvolle Abfolge der Systemeinsichten im Lernprozess: Ausgehend von Schlüsselwörtern der Strukturtypen 1 und 2 können regelhafte Merkmale der gelesenen Schlüsselwörter (z. B. das in der zweiten Schreibsilbe jedes Schlüsselwortes) und die binäre Grundstruktur der Schreibsilbe erfasst werden. Anschließend sind morphologisch bedingte Schreibungen dieser Strukturtypen, d. h. flektierte Formen (er malt), Einsilber (das Feld) oder Wortbildungen (der Liebling), sowie morphologisch einfache und komplexe Schreibungen der weiteren orthographischen Strukturtypen 3 und 4 zu betrachten. Zur Thematisierung der Silbengelenkschreibung bzw. des orthographischen Strukturtyps 3 legt Hinney eine Kontrastierung mit Strukturtyp 2 nahe: Durch das operative Vergleichen von Schlüsselwörtern wie hasten (ST 2) und hassen (ST 3) oder schalten (ST 2) und schallen (ST 3) kann erkannt werden, dass in beiden Fällen eine geschlossene Schreibsilbe vorliegt, die auf Vokalungespanntheit und -kürze hinweist. In der Auseinandersetzung mit der korrespondierenden gesprochenen Wortstruktur werden die Lernenden zwangsläufig auf die besondere phonologische Inputbedingung des Strukturtyps 3 aufmerksam: das phonologische Silbengelenk, das als einfacher wortmedialer Konsonant die Vokalkürze und -gespanntheit im gesprochenen Wort erwirkt. Eine zusätzliche Kontrastierung von Schlüsselwörtern des Strukturtyps 3 mit denen des Strukturtyps 1 wäre ebenfalls denkbar, um Doppelkonsonantenschreibungen sowie und in ihrer besonderen Funktion zur Kodierung eines Silbengelenks und somit als schriftspezifische Lösung darzustellen.

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In den weiteren Ausführungen und insbesondere in den Darstellungen des empirischen Teils der vorliegenden Arbeit werden die betrachteten Regularitäten der Wortschreibung mithilfe dieser orthographischen Strukturtypen klassifiziert. Denkbar wäre auch die Bezeichnung als graphematische Strukturtypen, schließlich beschreiben die Strukturtypen zentrale schriftgrammatische Regularitäten des prototypischen Wortes. Da sie aber als graphematische Rekonstruktion und Systematisierung orthographischer Normen im Kernbereich der deutschen Wortschreibung gelten können (vgl. Fuhrhop und Buchmann 2015, S. 414), System und Norm hier also übereinstimmen, wird die Bezeichnung als orthographische Strukturtypen zur Untermauerung dieser Übereinstimmung bevorzugt.

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5 Konzeption eines wortstrukturorientierten Schriftsprachunterrichts

Eine ähnliche Betrachtungsweise wird für die Auseinandersetzung mit Schreibungen des Strukturtyps 4 nahegelegt: Hierbei steht in wortstrukturorientierten Konzeptionen die leseunterstützende Funktion des silbeninitialen im Fokus – das eingefügte in Wortschreibungen wie besitzt kein phonologisches Äquivalent [h], es unterstützt die Gliederung des Wortes beim Lesen. Überlautierende silbenrhythmische Hilfestellungen werden daher ebenso wie eine globale Interpretation des silbeninitialen als Dehnungs- abgelehnt, da sie den Blick auf die Funktionalität und Systematizität des silbeninitialen versperren.83 Da die Erarbeitung des Dehnungs-, wie zuvor gezeigt, nur bedingt systematisch erfolgen kann, wird sie in den systemorientierten schriftsprachdidaktischen Konzeptionen in der Regel erst zum unterrichtlichen Untersuchungsgegenstand, wenn der Umgang mit Wortschreibungen der orthographischen Strukturtypen 1 bis 4 sowie mit entsprechenden morphologischen Schreibungen gefestigt wurde. Differenzierte Angaben zur Anregung systematischer Einsichten in das deutsche Schriftsystem liefern u. a. Bredel et al. (2011), Hinney (2014) sowie Müller (2014, 2017). Zur Unterstützung der schriftsprachanalytischen Erschließung der deutschen Kernwortschreibung werden in vielen orthographiedidaktischen Fachbeiträgen Strategien und Hilfswerkzeuge präsentiert und diskutiert, die Schüler/-innen bei der Produktion, Überprüfung und Begründung von Schreibungen, aber auch bei der Problemlösung im Umgang mit Schreibzweifeln Orientierung geben. In der hier vorgestellten wortstrukturorientierten Perspektive auf schriftsprachliche Lernprozesse wird davon ausgegangen, dass der kognitive Erwerb eines zielführenden Schriftwissens vor allem auf sprachanalytische Operationen am geschriebenen Wort angewiesen ist. Im Vordergrund stehen daher Unterstützungsformen, die die eigenständigen Strukturen des geschriebenen Wortes sichtbar und in ihrer komplexen Beziehung zum Gesprochenen analysierbar machen. Als Beispiele hierfür werden farbliche Hervorhebungen schreibsilbischer Konstituenten (v. a. der graphematischen Vokalkerne) in geschriebenen Wörtern, die Unterlegung von Schlüsselwörtern mit Silbenbögen zur Analyse des Schreibsilbenaufbaus sowie das Eintragen von Schlüsselwörtern in

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Zudem weisen Böhm und Mehlem (2015b) überzeugend darauf hin, dass eine solche Zusammenfassung beider stummen -Typen als Dehnungsmarkierungen die „lmnrRegel“ (ebd., S. 187) des Dehnungs-, mit der dessen Auftreten immerhin einzugrenzen ist, aufheben und in Schreibungen wie eine zweifache Dehnungsmarkierung evozieren würde (vgl. ebd.).

5.1 Wortstrukturorientiertes Lehren und Lernen in der Grundschule

145

Strukturmodelle wie das Haus-Garage-Modell von Bredel (2010; s. dazu Abschnitt 5.1.3) genannt. Zudem werden schriftanalytische Operationen/Strategien zur Herleitung, Überprüfung und Begründung von Wortschreibungen empfohlen (vgl. z. B. Schröder 2014). Darüber hinaus können prinzipiell auch silbenrhythmische Wortstrukturierungen den Analyseprozess (zusätzlich) unterstützen, sofern sie der Sachstruktur der Wortschreibung nicht zuwiderlaufen, sondern unter Berücksichtigung der Unterschiede und Wechselbezüge zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort eingesetzt werden. Aufforderungen zu einer Lentosprechweise, Pilot- oder Rechtschreibsprache, wie sie in vielen aktuellen Sprachbüchern zu finden sind, müssen als fehlleitend abgelehnt werden, da sie in der Regel von einer schriftinduzierten Wortlautung ausgehen, die weder der Standard- noch der Explizitlautung entspricht; Bredel (2015a) bezeichnet diese fehlleitende Vorstellung als „Schriftbias“ (ebd., S. 263). Aus dem Anspruch einer sachadäquaten Gegenstandspräsentation resultiert auch die grundsätzlich kritische Haltung zum Einsatz von einzellautbezogenen Hilfestellungen wie den in herkömmlichen Unterrichtskonzeptionen häufig genutzten (An-)Lauttabellen oder auch Lautgebärden, ohne deren positive Effekte auf die Schreibmotivation sowie die Bedeutung sprechmotorischer Zugänge generell infrage zu stellen. Da der Umgang mit diesen Instrumenten eine Fokussierung auf das einzelne Segment fordert und das Wortschreiben zwangsläufig als Prozess darstellt, in dem die geschriebenen Zeichen einseitig aus der Lautung abgeleitet werden und das gesprochene Wort wiederum als eine lineare Laut- bzw. Buchstabenkette präsentiert wird, sind die angeführten Vorbehalte gegenüber diesen Hilfswerkszeugen aus gegenstandsstrukturellen und lernprozessebezogenen Blickwinkeln groß. Riegler (u. a. 2015) präsentiert mit dem Ziel einer sachstrukturell stimmigen Verknüpfung von Systemeinsicht und schriftkultureller Schreiberfahrung eine modifizierte, silbenbezogene Lauttabelle, in der die segmentalen Phonem-Graphem-Korrespondenzen ausgehend von der phonologischen Silbe ermittelt werden können. Ihr Silbenbogen ordnet die Einzelgrapheme dabei entsprechend ihrer phonologischen Repräsentanten in der sprechsilbischen Sonoritätshierarchie an und verfolgt damit die Intention, auch die anfänglichen freien Schreibversuche von Lernenden ausgehend von prosodischen Strukturen zu gestalten (vgl. ebd., S. 60f.). Indem die Lernenden sich bei der Verschriftung der einzelnen Silben „jeweils von links nach rechts den Bogen entlang“ (ebd., S. 63) arbeiten, können die graphematisch relevanten Strukturpositionen in der Silbe von Anfang an

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5 Konzeption eines wortstrukturorientierten Schriftsprachunterrichts

berücksichtigt werden und Anhaltspunkte für die weitere Auseinandersetzung mit den oben angeführten graphematischen Strukturtypen liefern. Der Silbenbogen erscheint aufgrund seiner klaren Orientierung an den regelhaften Strukturen der nativen Wortschreibung als lohnenswerter Vorstoß zur bisher kaum gelösten Frage, wie persönlicher Schriftgebrauch und formaler Systemerwerb methodisch miteinander kombiniert werden können. Gleichzeitig impliziert sein zielführender Einsatz durch die Lernenden eine sorgfältige Anleitung durch die Lehrkraft: Wesentliche Muster und Strukturpositionen der Haupt- und Reduktionssilbe im geschriebenen Wort bzw. prototypischen graphematischen Fuß müssen gemeinsam besprochen werden, damit die phonologische wie graphematische Relevanz prosodischer Muster auch beim ‚Silbe-für-Silbe-Verschriften‘ im Blick behalten wird; anderenfalls besteht m. E. das Risiko eines Rückfalls in ein rein lautorientiertes Vorgehen. Inwiefern sich der Silbenbogen in der Unterrichtspraxis als ein geeigneteres Hilfswerkzeug als die üblichen (An-)Lauttabellen erweist, wird in seiner praktischen Anwendung zu prüfen sein. Dabei erscheint auch die Beschäftigung mit der Frage, inwiefern eine Verknüpfung zwischen der grundsätzlichen Orientierung am geschriebenen Wort und seinen schreibsilbischen Strukturen und der im Silbenbogen angelegten Orientierung an der Sprechsilbe gewinnbringend umgesetzt werden kann, als ein bedeutsames Untersuchungsanliegen. Dass in der Auseinandersetzung mit Sprechsilbenstrukturen im prototypischen Wort auf der einen und Schreibsilbenstrukturen auf der anderen Seite generell unterschiedliche Erarbeitungsschwerpunkte angelegt sind, wird im nächsten Abschnitt erläutert: Dort sollen zwei an der Silbenstruktur orientierte Modelle vorgestellt und reflektiert werden, die entweder die graphematische oder die phonologische Silbe als primäre Bezugsgröße der Erarbeitung von Kernwortschreibungen im Grundschulunterricht einsetzen. 5.1.3

Abgrenzung eines schreibsilbenorientierten Modells gegenüber einer silbenphonologischen Ausrichtung

Unter den didaktischen Modellen zum Orthographielernen, die eine lautbezogene Ausrichtung im Grundschulunterricht dezidiert ablehnen und stattdessen auf silbenstrukturelle Begründungszusammenhänge der deutschen Wortschreibung fokussieren, bestimmen insbesondere zwei Konzeptionen mit ähnlicher fachlicher Grundlegung, aber unterschiedlicher didaktischer Herangehensweise den gegenwärtigen Diskurs: zum einen die

5.1 Wortstrukturorientiertes Lehren und Lernen in der Grundschule

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silbenphonologische (auch silbenanalytische) Modellierung der Wortschreibung nach Röber (v. a. 2009), zum anderen die schreibsilbenbezogenen Weiterentwicklungen des grundlegenden Werks von Hinney (1997). Die Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen beider zu den ‚Silben-Konzeptionen‘ gezählten Ansätze sollen in diesem Kapitel an zwei didaktischen Strukturmodellen der Wortschreibung, dem phonologisch orientierten Haus-Garage-Modell nach Röber (2009) und dessen graphematischer Modifikation nach Bredel (2010), veranschaulicht werden. In beiden Zugängen ist eine sprachanalytische Perspektive auf den Lerngegenstand erwerbsbestimmend: Die Wortschreibung wird als Gegenstand verstanden, der sich vor allem durch die Untersuchung silbischer Strukturen in prototypischem Wortmaterial erschließen lässt. Eine enge Verbindung der Lese- und Schreibkompetenz sowie die Bestimmung des Wortlesens zum Ausgangspunkt für Systemeinsicht und Wissenserwerb sind für beide Ansätze konstitutiv (vgl. u. a. Bredel 2015a; Röber 2015). Während Röber jedoch aus der prosodischen Fundierung der Wortschreibung eine silbenphonologische Gegenstandsannäherung modelliert, stellt Bredel (2010) eine an graphematischen Fuß- und Silbenstrukturen orientierte Konzeption vor. Im Folgenden werden zunächst die jeweilige fachliche Fundierung und anschließend die genaue Anlage der Haus-GarageModelle beider Autorinnen beleuchtet. Bei Röber (2009) bieten der Silbenreim der betonten Sprechsilbe sowie die darin wirksamen Anschlussverhältnisse zwischen betontem Vokal und Folgekonsonant den leitenden Zugang zur Wortschreibung. Die Autorin orientiert sich im Wesentlichen an den sprachwissenschaftlichen Arbeiten Utz Maas‘ (s. 4.2.2.1) und leitet daraus vier trochäische Wortmuster bzw. vier Typen der betonten Silbe ab, die auch die Umsetzung einer systematischen Lernprogression bestimmen: - Silbentyp 1: Wörter wie [ˈhyː.tə] - mit offener betonter Silbe (ohne Konsonant im Endrand) und Langvokal - Silbentyp 2: Wörter wie [ˈhʏf.tə] - mit geschlossener betonter Silbe (mit Konsonant im Endrand) und Kurzvokal - Silbentyp 3: Wörter wie [ˈhʏtə] - mit offener betonter Silbe, aber Kurzvokal durch festen Anschluss des Konsonanten der Folgesilbe - Silbentyp 4: Wörter wie [ˈhyːn.çn̩] - mit geschlossener betonter Silbe, aber Langvokal durch losen Anschluss des Folgekonsonanten (vgl. Röber 2009, S. 43–45).

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5 Konzeption eines wortstrukturorientierten Schriftsprachunterrichts

Zur Verdeutlichung dieser Strukturen im schulischen Unterricht legt Röber (2009) ein Strukturmodell vor, das den phonologischen Wortaufbau veranschaulicht: Haus und Garage symbolisieren darin die betonte und die unbetonte Silbe und sind in je zwei Zimmer für den Anfangsrand und den Silbenreim untergliedert, anhand derer sich die Anschlussverhältnisse im Silbenreim erfassen lassen. Für die angeführten Silbentypen Röbers stehen daher vier Haus-Garagen-Varianten zur Verfügung, wie Abb. 18 demonstriert.

Abb. 18 Die vier Silbentypen im Haus-Garage-Modell nach Röber (hier aus: Fuchs und Röber-Siekmeyer 2002, S. 108)

In der Wortgestalt des Silbentyps 1 (Hü.te) sind die offene Silbe und der damit verbundene Langvokal dadurch visualisiert, dass das entsprechende Vokalgraphem das gesamte Zimmer des Silbenreims einnimmt, während letzteres beim Silbentyp 2 (Hüf.te) von Vokal- und Konsonantengraphem geteilt wird und somit den festen Anschluss im Silbenreim visualisiert. Das Fusionieren der betonten und unbetonten Silbe, durch das eine enge Bindung zwischen Vokal der betonten Silbe und konsonantischem Anfangsrand der Reduktionssilbe hergestellt wird, ist im Fall des Silbentyps 3 optisch mithilfe einer in das Haus integrierten Garage wiedergegeben. Die besondere lautliche Repräsentation der Wortgestalt des Typs IV erfährt auch grafisch eine besondere Behandlung: Hier wird die Geschlossenheit der Sprechsilbe bei gleichzeitig vorliegendem Langvokal durch einen zusätzlichen Nebenraum für Konsonanten (l, m, n und r im Fall der graphematischen Vokaldehnung) visualisiert, um damit anzuzeigen, dass

5.1 Wortstrukturorientiertes Lehren und Lernen in der Grundschule

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der Vokal trotz konsonantischer Schließung lang artikuliert und dies im geschriebenen Wort wiederum mithilfe eines dem Vokal beigefügten angezeigt wird (vgl. Röber 2009, S. 162, 165). Diese bildhafte Aufbereitung stimmt im Wesentlichen mit den silbenphonologischen Strukturierungen Maas‘ überein, wenngleich Röber im didaktischen Kontext im Unterschied zu Maas mit den Begriffen der Länge bzw. Kürze von Vokalen arbeitet und einige didaktische Reduktionen (z. B. keine begriffliche Unterteilung des Silbenreims) vornimmt. Dennoch stellt auch sie die Bindungsverhältnisse im Silbenreim und nicht die Erfassung von Vokallänge und -kürze in den Mittelpunkt der Erarbeitung der unterschiedlichen Wortstrukturen (vgl. auch Röber 2012, S. 41). Für die konkrete Progression des Rechtschreiblernens sieht Röber (2015) einen Beginn bei trochäischen Zweisilbern des Silbentyps 1 sowie entsprechenden Einsilbern mit Langvokal (Hü.te, Hut) vor, bevor zu den graphematisch unmarkierten Trochäen und Einsilbern mit Kurzvokal (Hun.de, bunt) sowie den trochäischen Schärfungswörtern (Bälle, schnelle) übergegangen wird. In jedem Erarbeitungsschritt sollen vergleichende Untersuchungen zu den zuvor bearbeiteten Strukturen angestellt werden. Sondermarkierungen wie das Dehnungs- in Häuschen 4, aber auch das silbeninitiale (das sich in Haustyp 1 eintragen lässt, vgl. Röber 2009, S. 167) und das vokalisierte können im Anschluss thematisiert werden (vgl. Röber 2015, S. 214). Leitend ist dabei stets der Bezug zur phonologischen Wortstruktur. Im Unterschied zu den herkömmlichen schriftsprachdidaktischen Ansätzen und erwähnten ‚naiven‘ Silbenkonzepten wird dabei jedoch weder die phonologische Silbe als lineare Lautkette dargestellt noch die Schreibsilbe als mit der Sprechsilbe deckungsgleiche Einheit präsentiert, sondern ein differenzierter Blick auf die tatsächliche Lerngegenstandsstruktur ermöglicht. Besonders eindrücklich ist dies in der Visualisierung der Schärfungsschreibung: Durch die ‚verschiebbare‘ Garage kann einer phonologischen Fehlinterpretation der graphematisch verdoppelten Konsonanten – etwa als Indikation eines ebenfalls zweifach zu realisierenden Konsonantphonems – vorgebeugt werden (vgl. auch Bredel 2015a, S. 269). Röbers Modellierung erscheint insofern als aussichtsreicher Ansatz für eine systematische und gegenstandsadäquate Erschließung der Wortschreibung. Kritisch gesehen werden können jedoch die zunächst rein sprechsilbenspezifische Ausrichtung und der hohe Anspruch, der sich daraus einerseits für die Übertragung der phonologischen Einsichten auf die geschriebene Ebene, andererseits für den Umgang mit morphologisch bedingten Schreibungen ergibt (vgl. u. a. Bredel 2015a, S. 270). Zwar greift Röber in

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5 Konzeption eines wortstrukturorientierten Schriftsprachunterrichts

der Regel auf den trochäischen Basistyp des deutschen Wortes zurück, bestimmt mit dem Silbentyp 4 jedoch ein morphologisch komplexes Wort – das Derivat Hühnchen – als Analysegröße (vgl. Hinney 2014, S. 161). Da die ausgebildete Fähigkeit zur Wahrnehmung phonologischer Akzentstrukturen nicht für alle Lernenden vorausgesetzt werden kann, müssen darüber hinaus sprachrhythmische Übungen im Unterricht einen festen Platz erhalten, damit die Schüler/-innen die einzelnen phonologischen Wortmuster sicher beherrschen und als Grundlage für das Schreiben nutzen können (vgl. ebd., S. 160). Inwiefern es Schüler/-innen gelingt, ausgehend von der phonologischen Silbe die Komplexität der Beziehung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache in adäquater Weise zu erschließen und die Einsicht im eigenen Umgang mit der deutschen Schriftsprache umzusetzen, stellt ebenfalls einen Untersuchungsaspekt dar, der in der Auseinandersetzung mit den Lehrerinterviews (s. unten) aufgegriffen werden soll. Da auf der Grundlage der sprachwissenschaftlichen Darstellungen von Utz Maas‘ und deren didaktischen Modellierungen durch Röber ein Schreib- und Leselehrgang entwickelt wurde, den einige der in der vorliegenden Studie befragten Lehrenden als ein elementares Planungs- und Arbeitsinstrument ihres Schriftsprachunterrichts bezeichnen, wird am Ende dieses Abschnitts eine knappe Vorstellung der konzeptionellen Anlage dieses Lehrgangs vorgenommen. Auf eine differenzierte Reflexion und Evaluation der konkreten unterrichtsmethodischen Umsetzung in den Lehr-Lern-Materialien wird an dieser Stelle verzichtet, da das Untersuchungsinteresse nach wie vor den von den Lehrenden formulierten Zugriffen auf die Wortschreibung gilt, die zwar mit dem Lehrgangskonzept korrelieren können, aber dennoch in erster Linie die für die Lehrenden handlungsleitenden Vorstellungen wiedergeben. Ein Modell, das die zuvor genannten besonderen Herausforderungen und z. T. Schwierigkeiten in Röbers Modell über eine Orientierung an der Schreibsilbe zu überwinden versucht, ist die Haus-Garagen-Struktur nach Bredel (2010), die die Basisstruktur des prototypischen graphematischen Zweisilbers darstellt und darin sowohl schreibsilbische als auch morphologische 84 Strukturen erkennbar macht. Dabei wird im Unterschied zu

84

Die graue Unterlegung der drei Zimmer des Hause und des ersten Zimmers der Garage visualisiert den Wortstamm, der durch den „Trick mit dem Knick“ (Bredel 2010) ermittelt werden kann,

5.1 Wortstrukturorientiertes Lehren und Lernen in der Grundschule

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Röbers Modell nur eine Hausstruktur für alle fünf Wortmuster (einschließlich des Dehnungs-) verwendet, wie Abb. 19 – zur Vergleichbarkeit unter Verwendung gleicher Beispielwörter wie im Röber’schen Modell, wo dies möglich ist – zeigt:

Abb. 19 Die fünf Strukturtypen im Haus-Garage-Modell nach Bredel (2010)

Im Unterschied zu Röbers Darstellung ist in Haus und Garage ein drittes Zimmer für den Silbenendrand eingerichtet; der Silbenreim wird zwar angedeutet, indem der Übergang vom zweiten zum dritten Zimmer nicht vollständig geschlossen ist, Bredels Modell ist jedoch grundsätzlich auf die spezifische Untersuchung des graphematischen Endrandes der Hauptsilbe ausgerichtet. Ausgehend vom geschriebenen Schlüsselwort sollen die Eigenschaften der einzelnen Strukturtypen erfasst und ihre Bezüge zur Sprechsilbe bzw. zum phonologischen Fuß entdeckt werden. Der Vorteil dieser Blickrichtung besteht laut Hinney (2014, S. 161) darin, dass die Lernenden von Beginn an erkennen können, dass die Sprech- und Schreibsilbe zwar funktional aufeinander bezogen, aber in ihren Strukturen nicht kongruent sind. Überdies wird in der Orientierung des Modells am zweisilbigen graphematischen Fuß eine Chance gesehen, den Kindern,

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denen die Wahrnehmung prosodischer Merkmale und unterschiedlicher Akzentstrukturen – u. a. als Folge einer anderen Herkunftssprache – schwerfällt, diese phonologischen Strukturen über das geschriebene Wort zugänglich zu machen (vgl. Bredel 2012, S. 132). Auch Röber misst dem Ansatz beim Geschriebenen trotz der abweichenden Akzentsetzung in ihrem eigenen Modell dieses Potenzial bei: „Dort, wo sie [die Lernenden, Anmerk. E.S.] keine Unterschiede hören, können sie sie sehen.“ (Röber 2012, S. 41) Hein (2015) liefert in ihrer Interventionsklasse erste empirische Hinweise dafür, dass sich der Lernweg von der Schrift- zur Lautanalyse in diesen Fällen für viele Lernende tatsächlich als fruchtbar erweist (vgl. ebd., S. 246). Didaktisch riskant erscheint dies mit Blick auf Bredels Modell jedoch im Fall der visualisierten Silbengelenkschreibung, denn unter fehlender Anleitung durch die kompetente Lehrkraft könnte die Verteilung der verdoppelten Konsonanten (und auch der Einzelgrapheme von ) auf den Endrand des Hauses und Anfangsrand der Garage eine Fehldeutung als phonologische Geminate evozieren (vgl. auch Bredel 2015a, S. 276). Ungünstig ist zudem die Darstellung von Wörtern mit Dehnungs-: Die Belegung des Hauptsilbenendrandes durch ein Konsonantengraphem führt zu einer Schließung der graphematischen Silbe und suggeriert ohne entsprechendes Wissens das Vorliegen eines kurz zu artikulierenden Vokals im Gesprochenen. In diesem Teilkapitel wurden zwei silbenstrukturelle Ansätze für den Rechtschreiberwerb durch Systemeinsicht vorgestellt und hinsichtlich ihrer gegenstands- und erwerbstheoretischen Chancen und Grenzen knapp beleuchtet. Welche Rolle die Instrumente in der Unterrichtspraxis spielen, soll im empirischen Teil dieser Arbeit untersucht werden. Die Beschränkung auf die beiden vorgestellten Modelle erfolgt zuvorderst aus pragmatischen Gründen: Wie in Kapitel 3 angedeutet, finden die stärker sprachwissenschaftlich fundierten rechtschreibdidaktischen Ansätze nur allmählich Eingang in die schulische Praxis, obschon die neueren Sprachbücher zunehmend alternative schriftsprachdidaktische Modellbildungen aufgreifen. Zwar beziehen sich die Darstellungen in diesen aktuelleren Lehr-Lern-Materialien für den Regelunterricht oftmals nur fragmentarisch auf silbenstrukturelle Erklärungsansätze, sie lassen dabei aber in den meisten Fällen eine konzeptionelle Orientierung an den beiden skizzierten Modellen erkennen, weshalb letztere hier näher vorgestellt wurden. Grundsätzlich wäre mindestens ein weiteres Konzept, das sich an prosodischen Strukturen orientiert, zu nennen: Der Schweizer Sprachwissenschaftler Zvi Penner stellt ein sprachrhythmisch ausgerichtetes

5.1 Wortstrukturorientiertes Lehren und Lernen in der Grundschule

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Modell vor, in dem die Graphem-Phonem-Korrespondenzen zwar mehr Gewicht erhalten als in den Ansätzen Röbers und Bredels, das Erkennen von Strukturen, die vom phonographischen Prinzip abweichen, jedoch zur systematischen Erschließung der Wortschreibung genutzt wird (für einen Überblick: Bredel 2015a, S. 270–274). Da dieser Ansatz jedoch insbesondere für die Arbeit in der Sprachförderung und -therapie gedacht ist und insgesamt einen abweichenden sprachwissenschaftlichen Zugang erkennen lässt, soll das Modell Penners an dieser Stelle nicht näher erläutert werden.

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5 Konzeption eines wortstrukturorientierten Schriftsprachunterrichts

Das Lehrgangskonzept des ABC der Tiere im Überblick: „ABC der Tiere ist ein analytischer Silbenlehrgang. Das Lesen und das Schreiben erfolgt in Silben.“ (Kuhn 2014, S. 10) Der im Mildenberger Verlag herausgegebene und von Klaus Kuhn entwickelte Leseund Schreiblehrgang ABC der Tiere – Lesen in Silben (erste Ausgabe im Jahr 2000) basiert auf den sprachwissenschaftlichen Arbeiten von Utz Maas und stellt die „Silbenmethode mit Silbentrenner“ (ebd.) ins Zentrum des Lesen- und Schreibenlernens. Durch die zweifarbige Markierung der Silben in Wörtern (sie repräsentieren die Sprechsilben der Wörter) sollen die Lese- und Schreibanfänger/-innen zum einen die zu lesenden Wörter unmittelbar in ihrer Silbengliederung erfassen, zum anderen die silbischen Strukturmerkmale für das Schreiben nutzen lernen. Die leitende Erarbeitungsrichtung verläuft hierbei „vom Lesen zum Schreiben“ (ebd.). Der Lehrgang gibt dafür eine klare Progression vor, die sich an den angenommenen grundlegenden Silbentypen des Deutschen (s. unten) orientiert und auf deren Basis zunächst Leseregeln präsentiert, die anschließend beim ebenfalls zweifarbigen Wortschreiben in Schreibregeln überführt werden (vgl. ebd., S.18f.). Auf ein lautierendes Schreiben bzw. das freie Schreiben von Texten im Erstschreibunterricht wird im Rahmen des Lehrgangs verzichtet.

Lernprogression nach Silbentypen: Als Standardmodell der Silben im Deutschen werden auf der 1. Stufe Konsonant-Vokal-Folgen (im Lehrgangsvokabular als „Starter-Klinger-Silben“ bezeichnet, z. B. Tu-) und auf der 2. Stufe Konsonant-Vokal-Konsonant-Folgen (bzw. „Starter-Klinger-Stopper-Silben“, z. B. Kin-) angesetzt (vgl. ebd., S. 18f.) und in der Lehrgangsprogression aufgegriffen. Durch lautes Lesen sollen die entsprechenden Silben von vornherein in der korrekten Artikulation erfasst und automatisiert werden (Nutzung von ‚Leseregeln‘ zur Vokallänge und -gespanntheit sowie Vokalkürze und -ungespanntheit), sodass sie schließlich auch beim Schreiben von Wörtern (als ‚Schreibregeln‘) umgesetzt werden können (vgl. ebd., S. 15).

Orthographie: Ausgehend von den erarbeiteten Leseregeln zu den grundlegenden Silbentypen (offen/geschlossen) und mithilfe des Trainingsprogramms Kontrastpaare (z. B. Rate – Ratte), das der Unterstützung der auditiven Differenzierung von Vokalquantitäten und -qualitäten dient, sollen die Schüler/-innen schließlich dazu befähigt werden, die Besonderheiten der Doppelkonsonantenschreibung (einschließlich ) zu erfassen. Das ABC der Tiere nutzt zur Veranschaulichung der drei für das erste und zweite Schuljahr zentralen Silbentypen das Häuschenmodell nach Röber (s. oben) „in abgewandelter Architektur“ (Kuhn 2014, S. 19) und stellt die beim Sprechen nicht klar wahrnehmbare Silbengrenze in Wörtern mit Doppelkonsonanten durch eine angebaute Garage dar (vgl. ebd, S. 21).

vgl. Kuhn (2014, S. 19ff.); hier aus: http://www.abc-der-tiere.de/eltern/silbenmethode/rechtschreibung/drei-haeuschentypen/ (Mildenberger Verlag GmbH) (Letzter Zugriff: 08.09.2018)

5.2 Exkurs: Einwände gegenüber (schreib-)silbenorientierten Konzeptionen

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5.2 Exkurs: Einwände gegenüber (schreib-)silbenorientierten Konzeptionen Das Fazit zu den bisher bekannten Effekten unterschiedlicher schriftsprachdidaktischer Ansätze für die rechtschriftliche Lernleistung von Schüler/-innen (s. Kapitel 3) fiel ernüchternd aus: Keine der bestehenden Konzeptionen konnte bisher als langfristig wirksamer als andere ausgezeichnet werden. Unter anderem aufgrund dieser für die Didaktik unbefriedigenden Befundlage diskutieren die Vertreter-/innen unterschiedlicher Positionen zum Schriftsprach- und Rechtschreiberwerb die Anlage und methodische Gestaltung des schriftbezogenen Unterrichts weiterhin kontrovers. So gibt es auch im Hinblick auf die hier vorgestellte Konzipierung schriftsprachlicher Lehr-Lern-Prozesse, die auf Systemeinsicht abzielen und dabei zunächst die Untersuchung schreibsilbischer Strukturen in den Mittelpunkt stellen, zahlreiche Einwände und Vorbehalte von Sprachdidaktiker/-innen. Allen voran steht Naumanns Befund aus statistischen Korpusanalysen (Naumann 2015), denen zufolge die Arbeit mit silbischen Strukturen beim Schreiben im Unterschied zum Lesen wenig Sicherheit bietet. Zu dieser Schlussfolgerung gelangt der Autor, indem er das Sprachmaterial eines Textkorpus‘ hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, mit der entweder aus dem geschriebenen Wort auf seine Aussprache (Lesesicherheit) oder aus dem gesprochenen Wort auf die Schreibung (Schreibsicherheit) geschlossen werden kann, untersucht. Er überprüft dies jeweils für die einzelnen Struktureinheiten Phonem/Graphem, Silbe, Morphem und auch wortübergreifende, syntaktische Strukturen und ermittelt dabei, dass in Schreibrichtung „die Konsistenz schon phonembezogen sehr hoch [ist] und der Silbenbezug nur einen quantitativ geringen zusätzlichen Beitrag [liefert]“ (Naumann 2014, S. 103). Die von Naumann vorgebrachten Argumente gegen einen besonderen rechtschriftlichen Nutzen der Silbe legen weitere Aspekte offen, die die Kritik an der Silbenfokussierung im Erstschreib- bzw. generell im Grundschulunterricht prägen. Corvacho del Toro (2015) bemängelt, dass Verfechter/-innen silbenbasierter Ansätze die Einheit der Silbe gegen die des Phonems auszuspielen versuchten, obwohl z. B. die Doppelkonsonantenschreibung zwingend an die Wahrnehmung von Vokalquantität als segmentales Merkmal gebunden sei und deutlich mache, dass „der silbenanalytische Ansatz ohne Unterscheidung von Phonemen (segmentale Phonologie) nicht auskommt“ (ebd., S. 83). Dieser Aspekt, d. h. die Funktion und Gewichtung der Phoneme/Grapheme gegenüber der (Schreib-)Silbe, aber

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5 Konzeption eines wortstrukturorientierten Schriftsprachunterrichts

auch die Einschätzung, ob ein gesonderter Phonembezug eine notwendige Bedingung des (anfänglichen) Schriftspracherwerbs ist oder nicht,85 kann tatsächlich als wesentlicher Streitpunkt und empirisch wie konzeptionell noch kaum weiter aufgeschlüsselte didaktische Herausforderung bezeichnet werden. Es besteht daher die Hoffnung, durch die gezielte Auseinandersetzung mit den Erfahrungen der Lehrkräfte im empirischen Teil dieser Arbeit zur Schließung dieser Lücke beitragen zu können. Neben der Kritik am ‚Entweder-Oder‘ des Phonem- vs. Silbenbezugs, d. h. einer Kritik, die sich auf die beiden untersten Strukturebenen des Wortes bezieht, weisen andere Vertreter/-innen des wissenschaftliche Diskurses wiederum auf ein problematisches Mit- oder Nebeneinander des silbischen und morphologischen Prinzips im Unterricht hin. Laut Leßmann (2015b) können die beiden Prinzipien „als konkurrierende gesehen werden“ (ebd., S. 25). Die Autorin begründet die mögliche Konkurrenz aus mehreren Perspektiven: Zum einen leitet sie aus den traditionellen Phaseneinteilungen des Schriftspracherwerbs (s. 3.186) ab, dass Einsichten in silbische Strukturen im Unterschied zu alphabetischen, morphematischen und syntaktischen nicht ‚naturwüchsig‘ erfolgen, sondern extern initiiert werden müssen (vgl. ebd., S. 26). Dies läuft ihrem Anspruch an den Unterricht, nämlich „an die eigenen Fragen und Zweifel und das interne, implizite Wissen des Kindes“ (ebd.) anzuknüpfen, entgegen. Zum anderen sprechen aus ihrer Sicht die hohen kognitiven Anforderungen, die eine Erarbeitung des silbischen Prinzips erfordere, gegen dessen starke Bedeutung im Schriftsprachunterricht – oder zumindest im Anfangsunterricht, wie Leßmann selbst ergänzt (vgl. ebd., S. 29). Die Einheit des Morphems sei aufgrund seiner Bedeutungshaltigkeit leichter zu erfassen, während eine Zergliederung des Wortes in Silben den Zugang zur Semantik blockieren könne (vgl. ebd., S. 25). Auch Bartnitzky (2015b, 2015a) hält die Verknüpfung von Morphem und Silbe, wie sie im oben dargestellten Konzept des Schriftsprachunterrichts vorgesehen ist, aus der Perspektive der Lernenden für nicht leistbar (vgl. ebd., S. 41) und schrifttheoretisch nicht vertretbar.87 Auch betrachtet er die Arbeit mit der Silbe wie Leßmann als kognitiv

85 86

87

u. a. Naumann (2008, S. 147) plädiert dafür. Leßmann folgt hier allerdings einer Dreiteilung in eine alphabetische, morphematische und orthographische Strategie. Er spricht von einer „didaktischen Unverträglichkeit beider wortgrammatischen Konzepte“ (ebd., S. 146).

5.2 Exkurs: Einwände gegenüber (schreib-)silbenorientierten Konzeptionen

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herausfordernd, während ein auditiver Zugang „sinnlicher und kindgemäßer“ (ebd., S. 148) sei.88 Die Vorwürfe der angeführten Autor/-innen können beispielhaft für die vor allem didaktisch-methodische Skepsis gegenüber einer stärkeren Rolle der Silbe im Anfangsunterricht stehen und beziehen sich zusammenfassend auf - die empfundene Unvereinbarkeit silbenbasierter oder – allgemeiner – linguistisch basierter Ansätze mit einer schülerorientierten Didaktik (vgl. z. B. Bartnitzky 2015a, S. 146, 152; Leßmann 2015b, S. 29), d. h., die Autor/-innen halten eine Passung zwischen der hoch komplexen Gegenstandsstruktur und den Lernenden als Schriftanfänger/-innen auf diese Weise für nicht erfüllbar; - die externe, strikte Lenkung, ggf. sogar in Form unterrichtlicher Gleichschrittigkeit, die eine Erfassung silbischer Strukturen erfordere (vgl. Bartnitzky 2015a, S. 145; Leßmann 2015a, S. 137) und somit auch das Potenzial freier Schreibsituationen ausbremse (vgl. Bartnitzky 2015a, S. 145); - die damit verbundene starke Präsenz der Lehrperson und die hohen Anforderungen an das professionelle Wissen (vgl. u. a. Leßmann 2015b, S. 29); - das durch den Strukturbezug stark eingeschränkte Wortmaterial (prototypische zweisilbige Trochäen), das die Bedeutung der Arbeit mit persönlich bedeutsamen Wörtern in den Hintergrund dränge (vgl. u. a. Leßmann 2015b, S. 30); - die von den ‚Silben-Verfechter/-innen‘ vermittelte Ablehnung eines initialen/separaten Phonembezugs (vgl. Corvacho del Toro 2015, S. 83; Thomé 2014, S. 23f.). Darüber hinaus geraten auch immer wieder silbische Erklärungsansätze zu bestimmten graphematischen Regularitäten in die Kritik, die – aus Sicht der Kritiker/-innen – Lernenden unter Umständen eine gegenstandsinadäquate Sicht auf das Schriftsystem vermitteln, indem sie systemunangemessene Rückschlüsse auf die lautliche Realisierung provozieren. Corvacho del Toro (2015) sieht diese potenzielle Fehlleitung z. B. in Annahme eines silbeninitialen in Wortschreibungen wie : Sie plädiert für die von Thomé begründete globale Einordnung des als Längezeichen

88

In den Bewertungen Leßmanns und Bartnitzkys spiegelt sich der in Kapitel 3 nur erwähnte rechtschreibdidaktische Ansatz wider, der vereinfacht als stärker entwicklungs/lernerbezogen bezeichnet wurde.

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(Orthographem), da die silbische Erklärung des als graphematische Hiatusüberbrückung zu der Annahme verleiten könne, das besitze im Gesprochenen ein lautliches Äquivalent [h] (vgl. ebd., S. 83). Ähnliche Einwände werden gegenüber einer schreibsilbischen Betrachtung von Doppelkonsonantengraphemen (in Silbengelenkposition) geäußert (dazu u. a. Corvacho del Toro 2013, S. 85). Darauf, dass in einigen diesbezüglichen Darstellungen auch kritisiert wird, die Vertreter/-innen silbenbasierter bzw. -orientierter Ansätze würden der Silbengelenkschreibung phonologisch tatsächlich eine Geminate (vgl. z. B. Bartnitzky 2015b, S. 46) sowie dem silbeninitialen das Phonem [h] zuschreiben, soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden, da diese Vorstellung m. E. in keinem der wissenschaftlich fundierten Ansätze besteht. Für die Auseinandersetzung mit Lehr-Lern-Materialien, die sich die Arbeit nach einem – häufig unabhängig von der spezifischen Konzeption so bezeichneten – silbenanalytischen Ansatz auf die Fahnen schreiben, sollte dieser Einwand jedoch im Hinterkopf behalten werden. Die folgenden Ausführungen können und sollen die vorgebrachten Kritikpunkte nicht gänzlich widerlegen. Sie dienen vielmehr dazu, das dieser Arbeit und somit auch den Auswertungen zugrunde liegende schrifttheoretische und -didaktische Verständnis der Wortschreibung zu schärfen, gegebenenfalls missverständliche oder auch -verstandene Aspekte aufzudecken und zugleich die Fokussierung auf ausgewählte Untersuchungsbereiche im empirischen Teil der Arbeit zu begründen. Von zentraler Bedeutung ist für die hier eingenommene Perspektive auf den Lerngegenstand Wortschreibung das in 4.4.2 beschriebene Zusammenwirken des phonographischen, silbischen und morphologischen Prinzips. Es wird davon ausgegangen, dass sich phonographische, silbische und morphologische Strukturen gegenseitig überformen. Durch die differenzierte Untersuchung dieser Bezugsgrößen der Wortschreibung können, wie die sprachwissenschaftlichen Darstellungen gezeigt haben, ihre spezifischen Wirkungsbereiche genauer beschrieben und in der Interaktion mit den anderen Struktureinheiten und -ebenen präzise erfasst werden. Naumann (2014) führt nun aber, wie oben dargestellt, statistische Befunde an, die die Angemessenheit einer solchen, von vornherein suprasegmental angelegten Lerngegenstandsdarstellung zumindest für das Schreiben infrage stellen. In der Einordnung seiner Befunde muss generell berücksichtigt werden, dass Naumanns Analyseergebnisse an die Schrifttheorie, die seine Auswertung begründet, und an die von ihm vorgenommene Deutung der Beziehung zwischen der Lese- und Rechtschreibent-

5.2 Exkurs: Einwände gegenüber (schreib-)silbenorientierten Konzeptionen

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wicklung gebunden sind. Der Autor geht dabei von einem primären Phonembezug der geschriebenen Sprache aus. In Schreibrichtung zählt er lediglich die Verdopplung von Konsonantengraphemen sowie den Umgang mit der phonologischen Auslautverhärtung in einsilbigen Formen zu den silbischen Zügen, wohingegen in der vorliegenden Arbeit zahlreiche weitere Regularitäten dieser silbischen Ebene zugeordnet werden (u. a. die -Schreibung in bzw. nach offenen Silben, die -Schreibung, das Reduktions-, , ). Naumann verortet letztere hingegen, soweit dies ersichtlich ist, teils auf der Phonem-Graphem-Ebene, teils auf der Morphemebene („als einzeln einzuprägende Morpheme“, Naumann 2015, S. 70). Welche sprachanalytischen Operationen im Rahmen der PhonemGraphem-Zuordnungen bereits ‚mitgedacht‘ werden, ist nicht klar zu erfassen. Da sich der Autor auf ein anderes (umfassenderes) Phonem- und Grapheminventar bezieht, als in dieser Arbeit angesetzt wird, ist davon auszugehen, dass er vieles (bspw. die Schreibung des vokalisierten r) zum Phonem-Graphem-Bereich zählt, was hier silbisch begründet würde (zu einer vergleichbaren Einschätzung gelangen Böhm und Mehlem 2015b, S. 187). Ähnliches gilt für die von ihm beobachtete Inkonsistenz (schreib-)silbischer Strukturen (vgl. ebd., S. 75): In Kapitel 4 konnte demonstriert werden, dass sich über die prototypische deutsche Wortstruktur und die systematisierbaren orthographischen Strukturtypen ein großer Teil deutscher Wortschreibungen regelhaft erfassen lässt. Für die Deutung der Befunde Naumanns ist weiterhin relevant, dass der Autor das Lesen- und Rechtschreibenlernen weitgehend getrennt voneinander betrachtet werden (bzw. verweist der Autor in seinem Beitrag von 2015 darauf, dass die Entwicklung nach dem ersten Schriftkontakt und dem Aufbau „phonologischer Aufmerksamkeit“ (ebd., S. 79) auseinanderdriftet): Während die Analyse des Silbenreims für Vokalgraphemlesungen als fruchtbar ausgewiesen wird, wertet der Autor ihren Beitrag zur Schreibung von Vokalgraphemen als weniger bedeutsam, weil diese „nur in einem kleinen Teil der Fälle“ (ebd., S. 71) markiert würden. Diese Deutung steht der oben dargestellten Vorstellung eines Schriftsprachunterrichts entgegen, der in der gut strukturierten Beschaffenheit des Lerngegenstands das Potenzial sieht, diese Systematik für beiderlei Lernprozesse fruchtbar zu machen, indem aus der Leserichtung die auch für das Wortschreiben relevanten graphematischen Strukturen entdeckt werden. In einem Lerngegenstandsverständnis, das auf dem in Kapitel 4 dargelegten sprachwissenschaftlichen Fundament aufbaut, sind darüber hinaus weder Phonem/Graphem und (Schreib-)Silbe noch (Schreib-)Silbe und Morphem als ‚Konkurrenten‘ zu betrachten. Welche Rolle die kleinsten

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Einheiten der Schrift und besonders die kleinsten Einheiten der gesprochenen Sprache, deren Isolierung voraussetzungsreich ist, im Anfangsunterricht spielen sollten, ist auch in den schriftstrukturbezogenen Ansätzen noch nicht endgültig geklärt (vgl. dazu u. a. die Ausführungen Rieglers 2015, S. 60f.). Konsens besteht aber darin, dass eine gründliche Analyse des Lerngegenstands zum einen notwendig ist, zum anderen aufzeigt, dass die Interdependenz (1) zwischen lautsprachlichen und schriftsprachlichen Repräsentationen und (2) zwischen Segmenten und suprasegmentalen Strukturen den Gegenstand bestimmt und somit auch das Lernen der Schüler/-innen fundieren sollte. Dies hat nicht zur Folge, dass Lernende alle drei Prinzipien und damit verbundenen Schreibregularitäten ‚auf einmal‘ lernen und beherrschen müssen, wohl aber können sie im Rahmen einer schriftsystemorientierten Anlage der Lehr-Lern-Prozesse „von Anfang an Entdeckungen auf allen Ebenen des Schriftsystems (z. B. Wortgrenzen, die schon grammatisch motiviert sind) machen“ (Böhm und Mehlem 2015a, S. 183f.). Eine von vornherein sachstrukturell korrekte Präsentation des Lerngegenstands erscheint dabei unabdingbar für ein langfristiges, kognitivistisch-konstruktivistisch angelegtes Rechtschreiblernen. Aus diesem Grund wird die Beschäftigung mit den Merkmalen des prototypischen (graphematischen) Fußes des deutschen Wortes und den damit verbundenen silbischen Strukturen als von Beginn an wichtiger Lerninhalt erachtet. Dies ist in der Tat nur durch eine explizite Anleitung durch die Lehrkräfte zu erreichen; formale Orthographieinstruktion ist aber einerseits auch bei der Entdeckung von Phonem-Graphem-Korrespondenzen nötig, zum anderen können die Impulse der Lehrenden bestenfalls so gesetzt werden, dass sie – gerade auch bei den Lernenden, denen das autonome Entdecken von Regelhaftigkeiten nachweislich selten gelingt (vgl. u. a. Röber 2015, S. 207) – die Schüler/-innen zum eigenaktiven Untersuchen und Prüfen von Wortschreibungen anregen. Der nächste Abschnitt 5.3 geht näher auf diese Anforderungen an die Lehrkraft ein. In besonderer Weise scheint eine sorgfältige Vorstrukturierung des Lerngegenstands auch für den Umgang mit heterogenen Lernergruppen zu gelten: Ein sachgerechter Umgang mit Heterogenität im Unterricht fordert, wenn man z. B. von dem aus der Mathematikdidaktik stammenden Konzept der ‚natürlichen‘ Differenzierung ausgeht, Formen der Differenzierung, die „in der Sache inhärent angelegt“ (Krauthausen und Scherer 2010, S. 5), also in der Gegenstandsstruktur fundiert sind (vgl. auch Krauthausen und Scherer 2014). Sie bedürfen einer fachlichen Rahmung durch die (kompetente) Lehrkraft, da

5.3 Anforderungen an die Lehrkraft

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sich rein quantitative oder qualitative Differenzierungsformen als nur bedingt fruchtbar erweisen (vgl. Krauthausen und Scherer 2010, S. 4). Die strukturellen Gegebenheiten der Wortschreibung sollten Formen der Differenzierung also maßgeblich prägen.

5.3 Anforderungen an die Lehrkraft Die in diesem Kapitel beleuchteten Rahmenbedingungen eines an grundlegenden Strukturen der deutschen Kernwortschreibung orientierten Schiftsprachunterrichts offenbaren dessen besonderen Anforderungen an die Lehrkraft, die maßgeblich für die Gestaltung von schriftsprachbezogenen Lernangeboten und somit für schülerseitige Lernfortschritte verantwortlich ist. Aus verschiedenen Blickwinkeln wurde demonstriert, dass ein ausreichendes Angebot an Lerngelegenheiten, die einen entdeckenden Schriftzugang ermöglichen, eine wesentliche Voraussetzung für langfristig erfolgreiches Schriftsprach- und speziell Rechtschreiblernen darstellt und eng an eine sorgfältige und fachlich kompetente Vorstrukturierung des Lerngegenstands gebunden ist. Verstanden als Zielvorgabe für unterrichtliche Planungsprozesse ergeben sich daraus vielschichtige Wissens- und Könnensanforderungen an die Gruppe der Lehrenden, die im Fokus des empirischen Erkenntnisinteresses dieser Arbeit steht. In Orientierung an den Ausführungen des zweiten Kapitels ist eine differenzierte Bestimmung der professionellen Anforderungen, die ein schriftsystembezogener Unterricht an die einzelne Lehrkraft stellt, forschungstheoretisch wie -praktisch zwingend erforderlich und soll im Weiteren erfüllt werden. Mit Blick auf die komplexen Ausführungen der vorangegangenen Kapitel 3-5 zum hier interessierenden Lerngegenstand Wortschreibung zeichnet sich bereits ab, welcher hohe Anspruch hinter der Forderung steht, Lehrende sollten „Experten für das Lehren und Lernen“ (Bromme 2008, S. 108) sein. Unabhängig von den beschriebenen schrifttheoretischen und -didaktischen Streitpunkten fordern Sprachwissenschaftler/-innen und Sprachdidaktiker/-innen von Lehrpersonen ein profundes fachliches, fachdidaktisches und diagnostisches Wissen, das sich in Anlehnung an das COACTIV-Modell zur professionellen Lehrerkompetenz für den Bereich der Wortschreibung aufschlüsseln lässt. Trotz der z. T. unterschiedlichen quantitativen Befunde Corvacho del Toros (2013) und Hofmanns (2008) zur Bedeutsamkeit des schriftsprachlichen Fachwissens gegenüber dem

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entsprechenden didaktischen Wissen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein tiefes sachstrukturelles Verständnis des Lerngegenstands das Fundament unterrichtspraktischer und diagnostischer Professionalität darstellt (vgl. auch Baumert und Kunter 2011b, S. 185). Aus diesem Grund werden aus den vorangegangenen Kapiteln die in der folgenden Grafik (s. Abb. 20) angegebenen Aspekte als notwendige fach- bzw. domänenbezogenen Wissensbestände und Überzeugungen einer kompetenten Lehrkraft im wortstrukturorientierten Schriftsprachunterricht abgeleitet.

5.3 Anforderungen an die Lehrkraft

163

Abb. 20 Modell der fachbezogenen Aspekte professioneller Kompetenz im Bereich Wortschreibung (in Anlehnung an Baumert und Kunter 2011a)

164

5 Konzeption eines wortstrukturorientierten Schriftsprachunterrichts

Die Übersicht beschränkt sich in Referenz auf das Modell von Baumert und Kunter (2011a) auf die unterrichtsfachbezogenen Kompetenzbereiche des Professionswissens sowie entsprechende Werthaltungen und Überzeugungen, was in den Ausführungen zur methodischen Anlage der empirischen Untersuchung näher begründet wird. Für das in der vorliegenden Arbeit leitende schrifttheoretische und -didaktische Konzept werden die im Folgenden erläuterten Wissensaspekte und Einstellungen als Merkmale einer kompetenten Lehrkraft betrachtet. Im Bereich der domänenspezifischen Fachinhalte verfügt die sachkundige Lehrperson über ein differenziertes sachstrukturelles Fundament, das sich aus dem Wissen über die grammatischen Referenzdisziplinen und insbesondere über phonologische und graphematische Strukturen ergibt (vgl. auch Riegler und Wiprächtiger-Geppert 2016, S. 205): Die Lehrperson weiß sowohl um die modalitätsspezifischen Strukturen als auch um die komplexe Beziehung zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort. In diesem Zusammenhang gilt es auch, zwischen Explizit-, Standard- und Umgangs- bzw. dialektaler Lautung unterscheiden zu können (vgl. Röber und Olfert 2010, S. 13). In ihrem globalen Verständnis des Lerngegenstands erkennt die Lehrperson die Zweckmäßigkeit graphematischer Strukturen des deutschen Schriftsystems für das Lesen. Dieses fachliche Gegenstandsverständnis stellt die sachstrukturelle Basis der didaktischen Wissensbestände dar: Im Wissen um die lesebegünstigende Leistung regelhafter Schriftstrukturen wählt die Lehrkraft geeignetes Wortmaterial, zielführende sprachanalytische Zugänge und Hilfestellungen für den sukzessiven, systemorientierten Kompetenzerwerb. Gleiches gilt für die eingesetzten Formen der Lernstandsbeobachtung und instrumentellen Diagnostik sowie für die Auswahl von Lehr-Lern-Materialien, die auf entsprechenden schriftstrukturellen Konzeptionen basieren. Diese Elemente des Professionswissens finden sich auch in den fachbzw. domänenbezogenen Werthaltungen und Überzeugungen wieder, sodass in Anlehnung an die Erläuterungen der COACTIV-Autor/-innen – trotz bewusster Trennung im Modell – von fließenden Übergängen zu den Wissensbeständen ausgegangen wird (vgl. Baumert und Kunter 2011a, S. 41). Die Gestaltung eines systemorientierten Rechtschreibunterrichts ist prinzipiell an die Überzeugung gebunden, die Systematik der Wortschreibung als Fundament aller zu initiierenden Lehr-Lern-Prozesse zu betrachten. Dies impliziert in der Regel auch eine Vorstellung von der eigenen Rolle als Lehrperson, die über eine reine Lernbegleitung hinausgeht (vgl. auch Röber 2009, S. 171). In der Reflexion des eigenen Aufgabenbereichs sind die Lehrenden zudem dazu aufgerufen – und hier wird wieder der Bogen

5.3 Anforderungen an die Lehrkraft

165

zu den professionellen Wissensbeständen gespannt –, als bereits schriftkundige Person den eigenen „schriftlastigen Blick als blinden Fleck [zu] erkennen“ (Hinney 2014, S. 149). Da Untersuchungen zeigen (für den Bereich des Orthographieunterrichts z. B. die qualitative Interviewstudie von Bernasconi et al. 2011), dass das Lehrwerk89 für viele Lehrende ein bedeutsames – mitunter sogar das zentrale – Mittel der didaktischen Unterrichtsplanung und -gestaltung darstellt (vgl. u. a. ebd., S. 498), ist der Fähigkeit zur Auswahl sachadäquater Lehr-Lern-Materialien besonderes Gewicht beizumessen. Auch aus der hier eingenommenen Untersuchungsperspektive erscheint die differenzierte Erfassung von Aspekten der Materialverwendung bedeutsam, schließlich können Lehrmaterialien und -medien als Schnittstelle zwischen den gegenstandsbezogenen Lernprozessen und didaktischen Lehr-LernKonzeptionen, zwischen den didaktisch handelnden Lehrenden und dem domänenspezifischen Diskurs und letztlich zwischen den Lehrenden und den Schüler/-innen verstanden werden (vgl. Ballis und Peyer 2012, S. 8). Für Lehrende, die einen schriftstrukturorientierten (Recht-)Schreibunterricht gestalten möchten, besteht eine wesentliche Aufgabe darin, das auf dem Schulbuchmarkt angebotene Lehr-Lern-Material kritisch hinsichtlich des zugrunde liegenden Gegenstandsverständnisses und der darauf bezogenen Lernprogression zu überprüfen (vgl. auch Riegler und Wiprächtiger-Geppert 2016, S. 205). Dabei müssen vor allem diejenigen Materialien identifiziert werden, die zwar einen Strukturbezug vorgeben, diesen aber nur fragmentarisch oder gar nicht erfüllen. Auch in diesem Zusammenhang spielen die Fähigkeiten der Lehrkräfte, prototypisches von peripherem Wortmaterial zu unterscheiden, die Unterschiede zwischen Sprech- und Schreibsilbe zu erkennen und die Leistung verschiedener Strategien und Hilfestellungen hinsichtlich ihrer Funktionalität und Sachangemessenheit auszuwerten. Dies betrifft vor allem die Überprüfung des Silbenbezugs, der gegenwärtig in vielen Sprachbüchern als leitend ausgewiesen wird, dabei aber häufig nur oberflächlich bzw. nicht sachangemessen auf silbische Strukturen eingeht (dazu u. a. Röber und Olfert 2010; Hinney 2014). Lehrende müssen daher bewerten können, welches Silben-

89

In allen weiteren Ausführungen stehen die Begriffe Lehrwerk und Lehrgang vereinfachend für Lehr-Lern-Materialien, die auf dem Schulbuchmarkt in einem festen Verbund (etwa als Sprachbuch oder Arbeitsheft, aber auch als Kombination verschiedener Hauptund Begleitmaterialien) angeboten werden. Die mitunter problematische Fokussierung des Begriffs auf das Lehren wird dabei in Kauf genommen.

166

5 Konzeption eines wortstrukturorientierten Schriftsprachunterrichts

verständnis in der didaktischen Aufbereitung leitend ist: Wird hauptsächlich zum unterstützenden Silbenschwingen und -klatschen beim Schreiben aufgefordert, ohne dass prosodische Strukturen sowie Unterschiede zwischen der Sprech- und Schreibsilbe thematisiert werden, ist von einem Silbenkonzept auszugehen, das weiterhin auf Einzellaute und ihre lineare Abfolge im Wort fokussiert (vgl. auch Hinney 2014, S. 152).

6

Zielsetzung und Fragestellung der Studie

Die ausführliche Darstellung des schriftsprachdidaktischen Forschungsstandes und der auf die deutsche Wortschreibung bezogenen sprachwissenschaftlichen Grundlagen haben sowohl die vielschichtige Struktur des Lerngegenstands als auch die multidimensionalen Ansprüche an einen mit dem deutschen Schriftsystem befassten Unterricht aufgezeigt. Schwache rechtschriftliche Leistungen von Schüler/-innen und die damit verknüpfte breite Skepsis gegenüber der gegenwärtigen Praxis des Schriftsprachunterrichts in der Grundschule untermauern den Bedarf an empirischer Prüfung und u. U. an Nachbesserungen oder sogar an einer Reorganisation der didaktischen Leitlinien und unterrichtsmethodischen Zugänge. Es konnte gezeigt werden, dass die Befunde empirischer Wirksamkeitsstudien zu den existierenden schriftsprachdidaktischen Unterrichtsansätzen allein wenig richtungsweisend sind, sondern vermutlich erst eine differenziertere Untersuchung der komplexen Rahmenbedingungen von schriftsprachlichen Lehr-Lern-Prozessen konkretere, praxisrelevante Auskünfte bietet. Da der Einfluss der Lehrenden auf das Lernen der Schüler/-innen inzwischen umfassend belegt ist, erscheint die Gruppe der Lehrkräfte auch für den hier interessierenden Forschungsbereich, d. h. Lehr- und Lernzugänge zur (orthographisch richtigen) Wortschreibung in der Grundschule, als geeignete Untersuchungseinheit. Die eingehende Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand Wortschreibung aus fachlicher und fachdidaktischer Sicht konnte bereits eine Vorstellung von der Bedeutsamkeit des Lehrerwissens für die Gestaltung eines an der Wortstruktur orientierten Lese- und Schreibunterrichts vermitteln (s. Kapitel 4 und 5). Zugleich wurde der nach wie vor bestehende Bedarf an wissenschaftlichen Einsichten in das Verhältnis von fachlichen Wissensbeständen und didaktischen Zugriffen auf die Orthographie und in die entsprechende Anlage der Lehrer(aus)bildung deutlich, zumal die bisherigen Untersuchungen des rechtschreibbezogenen Lehrerwissens auf fachliche Schwächen, Stolpersteine sowie Brüche in der fachlichen und fachdidaktischen Lerngegenstandspräsentation hingewiesen haben. Aus diesem Grund stehen die Lehrenden in der hier vorgestellten empirischen Studie im Fokus. Welches spezifische Erkenntnisinteresse mit dieser Schwerpunktsetzung verbunden ist und welche Fragestellung sich für das Untersuchungsanliegen ergibt, soll im Weiteren vorgestellt werden.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Schröder, Der Lerngegenstand Wortschreibung aus der Sicht von Lehrenden, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24828-4_6

168

6 Zielsetzung und Fragestellung der Studie

6.1 Das Erkenntnisinteresse In der Auseinandersetzung mit Lehrer/-innen, die schriftsprachliche und somit orthographische Lernprozesse von Grundschüler/-innen initiieren und begleiten, interessiert vor allem ihr sachanalytischer Zugriff auf den Lerngegenstand Wortschreibung und dessen Zusammenspiel mit ihren didaktischen Handlungsorientierungen. Der empirische Zugang erschließt sich anhand der zuvor skizzierten Forschungsbefunde: 1. Fokus Grundschule: Unterschiedliche Studien heben die wegweisende Bedeutung des Schriftsprachunterrichts in den ersten Grundschuljahren für die langfristige Entwicklung rechtschriftlicher Kompetenzen hervor. Aus diesem Grund werden die Zugänge von Grundschullehrer/-innen zum Lerngegenstand als aufschlussreicher Untersuchungsgegenstand erachtet und in den Mittelpunkt der Interviewstudie gestellt. 2. Fokus Wortschreibung im Kernbereich: Die Darstellung der graphematischen Strukturen nativer Wörter in Kapitel 4.5 hat demonstriert, dass ein Großteil der Schreibungen auf Wortebene systematisch organisiert ist und sich regelhaft erschließen lässt. Dennoch zeigen Untersuchungen der Schülerfähigkeiten in diesem Bereich, dass sich die langfristigen orthographischen Schwierigkeiten Lernender nicht auf periphere Schreibungen beschränken, sondern in nicht unerheblichem Ausmaß regelhafte Strukturen im Wortinneren betreffen und wiederum die Ausbildung weiterführender (wortübergreifender) orthographischer Kompetenzen hemmen. Ebenso wurden Mängel des Lehrerwissens und auf kasuistisches Regellernen fokussierte didaktische Handlungsorientierungen Lehrender im regelhaften Bereich der Wortschreibung beobachtet, sodass sich ein tiefergehender Klärungsbedarf an den Zugängen zum graphematischen Kernbereich (auch hinsichtlich des Verständnisses von System und Norm) offenbart. 3. Fokus Silbe I – Gegenstandsanalyse: Die Silbe wurde als in der Phonologie und Graphematik lange Zeit vernachlässigte Struktureinheit des deutschen Wortes ausgewiesen, auf die in den neueren wissenschaftlichen Darstellungen jedoch deutlich größeres Gewicht gelegt wird und die auch in didaktischen Kontexten zunehmend von Bedeutung ist. Die konzeptionellen Vorstellungen von der Leistung der Silbe und die existierenden didaktischen ‚Silbenkonzepte‘ unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihrer fachlichen Fundierung und didaktischen Ausrichtung (s. u. a. 5.1.3 und

6.1 Das Erkenntnisinteresse

169

5.2) und sind mit dem Ziel unterrichtspraktischer Einblicke differenzierter zu erfassen, als dies in bisherigen Untersuchungen der Fall war. Erste vorsichtige Tendenzen für bisweilen bessere Unterrichtserfolge durch silbenorientierte Ansätze wurden in Abschnitt 3.3.4 aufgezeigt. 4. Fokus Silbe II – konzeptionelle Zugriffe: Das Fazit zur empirischen Überprüfung von schriftsprach- bzw. rechtschreibdidaktischen Ansätzen hat die eingeschränkte Aussagekraft rein konzeptionsbezogener Untersuchungen hervorgehoben, gleichzeitig wurde aber auch die Erhebung von orthographiebezogener Lehrerkompetenz ohne Einbezug der für die Lehrenden leitenden konzeptionellen Ausrichtung problematisiert. Aus diesem Grund wird es als sinnvoll erachtet, die individuellen professionellen Zugriffe auf die Wortschreibung unter Berücksichtigung der jeweils handlungsrelevanten konzeptionellen Orientierungspunkte zu erfassen. Mit Blick auf den vorangegangenen Punkt 3 wurden für die vorliegende Studie Lehrkräfte ausgewählt, in deren Unterricht die Silbe nach Selbstauskunft eine wichtige Rolle spielt (s. dazu ausführlich 7.2.3). 5. Fokus Wortschreibung als Lerngegenstand: Aus der umfassenden Beschäftigung mit der Sachstruktur der Wortschreibung wurden Prämissen für die didaktische Initiierung von orthographischen Lehr-Lern-Prozessen abgeleitet, die sich u. a. in der Annahme eines einphasigen Schriftsprachlernens, der aufeinander zu beziehenden Lese- und Rechtschreibentwicklung und der stärker vermittelnden Rolle der Lehrkraft von herkömmlichen Zugängen abheben. Ob oder inwiefern ein solches Verständnis des Lerngegenstands Recht- bzw. Wortschreibung mit Aspekten der Punkte 2-4 einhergeht, wurde m. W. bisher nicht tiefgehend untersucht. Dass das primäre Untersuchungsinteresse dem Wortschreibenlernen gilt, ist an dieser Stelle im Hinblick auf die weiteren zu entwickelnden Schreibfähigkeiten, allen voran das Textschreiben, einzuordnen: Die Konzentration auf Lernprozesse des orthographisch richtigen Wortschreibens soll kulturell-soziale Funktionen des Schriftgebrauchs in ihrer Bedeutung für das Schriftsprachlernen weder ausblenden noch die kommunikative Schreiberfahrung als einen der Entwicklung orthographischer Kompetenzen nachgestellten oder allgemein davon zu trennenden Bereich ausweisen (s. auch Kapitel 5). Vielmehr gilt es, das Verhältnis zwischen dem

170

6 Zielsetzung und Fragestellung der Studie

Richtigschreiben und dem Textschreiben in den von den Lehrenden ausgedrückten Vorstellungen des Erwerbsgegenstands Schriftsprache zu durchleuchten und aus wissenschaftlicher wie unterrichtspraktischer Perspektive zu prüfen. Für die in dieser Arbeit vorgestellte empirische Studie wurde ein Untersuchungsdesign entwickelt, das die angeführten Schwerpunkte und den entsprechenden Klärungsbedarf aufzugreifen vermag. Übergeordnetes Ziel ist es, Lehr- und Lern-Prozesse im Bereich der deutschen Wortschreibung unter den Gesichtspunkten zu beleuchten, die die befragten Lehrkräfte als handlungsrelevant ausweisen, und somit möglichst praxisnahe Erkenntnisse zu gewinnen. Dabei wird der Fokus v. a. auf diejenigen Komponenten gelegt, die die sachstrukturellen Zugriffe auf die Wortschreibung und die didaktisch-methodischen Handlungsorientierungen der Lehrer/-innen, aber auch ihre domänenspezifischen Überzeugungen und erfahrungsbezogenen Einstellungen zum Lerngegenstand beeinflussen. Auf diese Weise kann die Untersuchung auch Aufschluss darüber geben, ob sich die Fragen, die die deutschdidaktische Diskussion v. a. im Hinblick auf die konzeptionelle Anlage von Schriftsprach- und – bzw. einschließlich – Rechtschreibunterricht gegenwärtig prägen, auch den Lehrenden in der Unterrichtspraxis stellen und inwiefern sie sie für sich zu lösen wissen. Wie angeführt konzentriert sich die Interviewstudie auf einen Teilbereich der Rechtschreibung: die Wortschreibung im Kernbereich. Auf einer ‚globaleren‘ Ebene soll die Untersuchung letztlich einen Beitrag zur Weiterentwicklung von didaktischen Zugängen zur deutschen Wortschreibung leisten und die potenziell förderlichen gegenüber hemmenden Rahmenbedingungen schriftsprachlicher Lehr-Lern-Prozesse identifizieren. Indem die fachlichen Voraussetzungen, didaktischen Orientierungen und Bedarfe von Lehrenden 1. unter praxisrelevanten Gesichtspunkten und 2. in Hinblick auf eine silbenorientierte Lerngegenstandsmodellierung ermittelt werden, knüpft die Studie an die Befunde der bisherigen orthographiedidaktischen Studien (s. 3.2) an, um Hinweise dafür zu generieren, in welche Richtung didaktisch ‚weitergedacht‘ werden muss, d. h., welche Forschungslücken ggf. geschlossen und welche didaktischen Unterstützungssysteme realisiert werden müssen, um die Voraussetzungen für gelingende Lehr-Lern-Prozesse zu schaffen. Welche Leitfragen die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem beschriebenen Forschungsanliegen steuern, wird im nächsten Kapitel erläutert.

6.2 Leitfragen der Untersuchung

171

6.2 Leitfragen der Untersuchung In der Arbeit interessiert den vorangegangenen Darstellungen zufolge vor allem, welchen sachanalytischen Zugang zur deutschen Wortschreibung die interviewten Lehrpersonen offenbaren und wie das Zusammenspiel zwischen dem jeweiligen Gegenstandsverständnis und den didaktischen Handlungsorientierungen beschrieben werden kann. Unter dieser Fragestellung sollen differenzierte Einblicke in das Wechselverhältnis des grundlegenden fachlichen Gegenstandsverständnisses, der handlungsbezogenen Zugriffe auf den Lerngegenstand und der reflexiven Betrachtungen (v. a. der evaluativen Auseinandersetzung mit Erfahrungen und Einstellungen) gewonnen werden. Die angesprochenen Komponenten können in Anlehnung an Lindmeier (2013) in dem Begriff der handlungsleitenden Kognitionen gebündelt werden. Im Kapitel zur methodologischen Grundlegung der Arbeit wird zu begründen sein, warum dieser Terminus und die im spezifischen Gegenstandsbezug genutzte Bezeichnung der handlungsleitenden Zugriffe in der vorliegenden Studie gegenüber dem Wissensbegriff präferiert werden (s. Kapitel 7). In Referenz auf die vorab bestimmten Untersuchungsschwerpunkte und das nachfolgend erläuterte qualitative Design soll in der Studie folgenden deskriptiven Fragen nachgegangen werden: 1. Welcher sachanalytische Zugriff auf den Lerngegenstand Wortschreibung ist in den Beschreibungen und Reflexionen der Lehrpersonen sowie in ihrem Umgang mit Schülerschreibungen und Lehr-Lern-Materialien erkennbar? 2. Welche didaktischen Handlungsorientierungen a. in Form von methodischen Handlungsempfehlungen (z. B. Hilfestellungen und Übungs- sowie Untersuchungsformen) b. in Bezug auf die Begründung der eigenen konzeptionellen Ausrichtung formulieren sie? 3. Welche Beziehungen werden zwischen sachanalytischem Zugriff (1.) und didaktischen Handlungsorientierungen (2.) sichtbar? Erst aus der zunächst rein deskriptiven Arbeit mit dem Datenmaterial ergeben sich weiterführende Fragen, die sich der Ermittlung übergreifender (auch ‚latenter‘) Strukturen und Begründungszusammenhänge annähern (s. 7.3). Aus der theoretischen Fundierung der Arbeit und den formulierten Anforderungen an die professionelle Kompetenz Lehrender im Bereich der

172

6 Zielsetzung und Fragestellung der Studie

Wortschreibung (s. 5.3) können vorab aber zumindest hypothetische Fragebereiche für die Feinanalyse der Daten abgeleitet werden: Hypothetischer Fragebereich 1: Zugriffe auf die Wortschreibung und Überzeugungen im Hinblick auf System und Norm → Überwiegt die Vorstellung eines sukzessiven Regelaufbaus (Fokus orthographische Norm) oder die Vorstellung systematischer Schrifteinsicht (Fokus Schriftsystem)? → (Inwiefern) Spielt die Unterscheidung zwischen regelhaften und peripheren Wortschreibungen eine Rolle? Hypothetischer Fragebereich 2: Vorstellungen zum Zusammenhang zwischen phonologischer und graphematischer Wortstruktur → Welches Verständnis vom Zusammenhang zwischen Laut- und Schriftanalyse bestimmt die didaktische Handlungsorientierung? → Welche Vorstellungen zum Zusammenhang der Lese- und Rechtschreibentwicklung bestimmen die didaktische Handlungsorientierung? Hypothetischer Fragebereich 3: Zugriffe auf die Struktur- und Vermittlungseinheit Silbe → Welche gegenstandsstrukturelle Vorstellung liegt der unterrichtlichen Silbenorientierung zugrunde (segmentale/prosodische Merkmale)? → Welche Bezugsebene (Ebene der Lautung/Schreibung) bestimmt den silbenbezogenen didaktischen Zugang zur Wortschreibung? Hypothetischer Fragebereich 4: Vorstellungen von der Rolle der Lehrkraft - Welche Vorstellungen vom Verhältnis zwischen Instruktion und Lernbegleitung sind handlungsleitend? - Welche Ansprüche an das eigene Wissen und didaktische Unterstützungssysteme werden formuliert? Das nächste Kapitel stellt die grundlegende Anlage der Studie vor und begründet, warum das gewählte Design zur Beantwortung der leitenden Forschungsfragen und auch zur Bearbeitung der hypothetischen Fragebereiche als geeignet erachtet wird.

7

Anlage der empirischen Untersuchung

Aus der Darstellung der leitenden Forschungsfragen in enger Verzahnung mit der sprachwissenschaftlichen und -didaktischen Grundlegung der vorliegenden Arbeit konnten bereits wesentliche Anforderungen an die intendierte empirische Untersuchung abgeleitet werden. Das gewählte qualitative Forschungsdesign soll in diesem Kapitel vorgestellt und begründet werden (7.1), bevor anschließend das Experteninterview als Erhebungsinstrument und die weiteren Rahmenbedingungen der empirischen Datenerhebung präsentiert (s. 7.2) sowie in Teilkapitel 7.3 das Verfahren der Datenauswertung – unter Berücksichtigung der besonderen Interviewanlage – dargestellt werden. 7.1 Begründung des qualitativen Designs Für die Bearbeitung der zentralen Fragestellung bieten sich vor allem qualitative Forschungszugänge an, denn die Schwachstellen bisheriger Studien zur orthographiebezogenen Expertise von Lehrenden betreffen in erster Linie Aspekte, an die quantitativ angelegte Untersuchungen nur schwer herankommen: Aussagen über praxisrelevante kognitive Leistungsdispositionen und handlungsleitende Orientierungen im Bereich der Wortschreibung sowie eindeutige Befunde zur Bedeutung der konzeptionellen Ausrichtung der Lehrenden konnten bisher kaum getroffen werden oder unterlagen stets spezifischen forschungsmethodischen und gegenstandstheoretischen Rahmungen, aus denen sich kaum allgemeinere Tendenzen ableiten lassen. Sollen, wie in Kapitel 6 angeführt, „Lehr- und Lern-Prozesse im Bereich der deutschen Wortschreibung unter den Gesichtspunkten, die die befragten Lehrkräfte als handlungsrelevant ausweisen“ (s. 6.1), beleuchtet werden, so bieten die Grundprinzipien der qualitativen Forschung dafür einen fruchtbaren Nährboden: Damit erfasst werden kann, welche kognitiven Wissenskomponenten für die Lehrkräfte tatsächlich handlungsleitend sind und wie diese auch mit den erfahrenen Herausforderungen, Schwierigkeiten und Unterstützungsbedarfen zusammenhängen, muss ein Erhebungsformat gewählt werden, das 1. eine Kommunikationssituation gestaltet, in der die Untersuchungspersonen ihre fachlichen und didaktischen Leitlinien und Erfahrungen selbstbestimmt äußern und strukturieren können und an der © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Schröder, Der Lerngegenstand Wortschreibung aus der Sicht von Lehrenden, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24828-4_7

174

7 Anlage der empirischen Untersuchung

die Forschungsperson durch den Einbezug in einen Diskurs oder durch teilnehmende Beobachtung partizipiert (Prinzip der Kommunikativität); 2. einen „offenen Äußerungsraum“ (Helfferich 2011, S. 24) schafft, in dem die Lehrkräfte das für sie selbst Bedeutsame ausdrücken können (Prinzip der Offenheit); 3. das kein ‚Konzept-Korsett‘ schnürt, etwa indem die Art der Datenermittlung bereits eine spezifische Sicht auf den Untersuchungsgegenstand voraussetzt90, sondern auch die Formulierung anderer, ‚fremder‘ Bedeutungssysteme zulässt (Prinzip der Fremdheit); 4. im engen Zusammenspiel mit den zuvor genannten Prinzipien einen reflektierten Umgang mit den Vorannahmen und der konkreten Einflussnahme und Steuerung der forschenden Person ermöglicht (Prinzip der Reflexivität; zu den einzelnen Prinzipien qualitativer Forschung vgl. u. a. Lamnek 2010; Helfferich 2011). Da sich das hier vorgestellte Forschungsprojekt dem Desiderat annimmt, tiefergehende Einblicke in die handlungsleitenden Kognitionen der Lehrenden in ihren Begründungszusammenhängen zu gewinnen, wurde ein verbaler Zugang in Form des qualitativen Interviews ausgewählt. Ein solches Interviewverfahren vermag zum einen die grundlegenden Prinzipien qualitativer Sozialforschung zu erfüllen (s. oben) und kann zum anderen die interessierenden Informationen auf direktem Weg, d. h. im unmittelbaren Dialog mit den Befragten als Träger ebendieser Informationen (s. Begriff des Experten/der Expertin in Teilkapitel 7.2), ermitteln. Zudem ermöglicht es die Beschreibung und Analyse der Gesprächsbeiträge vor dem Hintergrund bestehender Konzepte und fachlicher Annahmen zum fokussierten Untersuchungsgegenstand (vgl. Lamnek 2010, S. 304). Aus dem leitenden Erkenntnisinteresse heraus, aber auch aufgrund der Schwierigkeiten, die sich in den existierenden Untersuchungen zum orthographiebezogenen Lehrerwissen auftaten, wurde eine bewusste Entscheidung gegen reine Wissenstest und standardisierte Erhebungsverfahren getroffen. Corvacho del Toro (2013) konnte in ihrer Untersuchung den fachdidaktischen Teil ihrer Fragebogenerhebung beispielsweise nur begrenzt mit in die Auswertung einfließen lassen, da das dort gewählte offene Antwortformat zu Mehrdeutigkeiten führte, sodass das diagnostische und förderdiagnostische Wissen nicht quantitativ bestimmt werden konnte (vgl.

90

Dies kritisieren beispielsweise Wiprächtiger-Geppert et al. (2015) an der Studie Covacho del Toros (vgl. ebd., S. 294; s. auch Kapitel 3.2).

7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung

175

ebd., S. 152f.). Die grundsätzliche Offenheit qualitativer Interviews und die darin möglichen Nach- oder Ergänzungsfragen können hingegen klarere Auskünfte erzielen und bieten gleichzeitig Möglichkeiten, sich der in den quantitativen Untersuchungen offen gebliebenen Fragen anzunehmen: Vermitteln die genannten Studien zur orthographischen und orthographiedidaktischen Lehrerkompetenz (v. a. Hofmann 2008; Corvacho del Toro 2013) tendenziell ein Bild von Orientierungs- und/oder Konzeptlosigkeit der Lehrenden, kann im mündlichen Gespräch näher darauf eingegangen werden, welche Komponenten (z. B. Wissensbestände, Erfahrungen, lernprozessbezogene Einstellungen) das Lehrerhandeln in welcher Form steuern. Mit dieser Zielsetzung erklärt sich auch, warum das Interview noch handlungsnäheren Erhebungsformen wie etwa der teilnehmenden Unterrichtsbeobachtung vorgezogen wird. Letztere wird zwar dem forschungsmethodischen Anspruch, Erhebungsformate mit situationsbezogenen Kontexten zu wählen, umfassender gerecht, sie kann die dem Handeln zugrunde liegenden Überlegungen und Wissensbestände jedoch nicht oder nur indirekt zugänglich machen. Eine Methodenintegration bzw. Triangulation der Daten, wie sie beispielsweise durch die Kombination eines Interviewverfahrens mit additiven Unterrichtsbeobachtungen sowie Schülerbefragungen denkbar wäre, stellt aus forschungsmethodischer Sicht ein aussichtsreiches Vorhaben dar, kann in dieser Studie, die als Einzelprojekt ausgelegt ist, jedoch ressourcenbedingt nicht geleistet werden. Stattdessen wurde versucht, durch die Realisierung verschiedener Formen der Kontextuierung, die im folgenden Teilkapitel näher vorgestellt und begründet werden, die im Rahmen des Interviews größtmögliche Praxis- und Anforderungsnähe herzustellen.

7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung Durch die Verortung der Studie im Forschungsansatz des Experten-Paradigmas ist die Auswahl von empirischen Zugängen bereits auf solche begrenzt, in denen die Untersuchungspersonen in ihrer Rolle als Expert/-innen in einem bestimmten Wirkungsbereich angesprochen werden. Wie die Begründung der qualitativen Ausrichtung der Untersuchung im vorangegangen Kapitel herausgestellt hat, besteht ein besonderes Interesse an den praxisnahen Handlungsorientierungen im Schriftsprachunterricht in ihrem Zusammenhang mit dem fachlichen Lerngegenstandsverständnis der Wortschreibung und den anforderungsbezogenen Erfahrungen der befragten Lehrenden. Als erhebungsmethodischer Zugang bietet sich hierfür das

176

7 Anlage der empirischen Untersuchung

Experteninterview an, das mit dem Ziel der Systematisierung sprachlicher Daten „auf praxisbasiertes Handlungs- und Erfahrungswissen des Experten“ (Lamnek 2010, S. 665) ausgerichtet ist. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass die Studie bewusst nicht auf eine explizite Erhebung des Lehrerwissens abzielt und aus den demonstrierten Lerngegenstandszugriffen der Lehrkräfte somit lediglich vorsichtige Rückschlüsse auf die entsprechenden Wissensbestände gezogen werden können. Das besondere Potenzial des relativ offen angelegten Interviews besteht allerdings genau darin, das individuelle Lerngegenstandsverständnis der Lehrenden im Rahmen der für sie bedeutsamen unterrichtsbezogenen ‚Relevanzsysteme‘ zu erfassen. Experteninterviews sind vor allem dann als Erhebungsinstrument geeignet, wenn bereits ein relativ klar definiertes Forschungsinteresse vorliegt und sich daraus präzise beschreibbare Fragebereiche ergeben (vgl. ebd.). Diese Bedingung kann in der vorliegenden Studie mit Verweis auf die Ausführungen in Kapitel 6 als erfüllt gelten. Durch die Konzentration auf konkrete Wirkungsbereiche wird diese Form des qualitativen Interviews in der Regel mithilfe eines vorab entwickelten Leitfadens geführt, der die zentralen Fragebereiche aufgreift und die Konzentration auf die interessierenden kognitiven Dispositionen in der Befragungssituation sicherstellt. Um den Praxisbezug in den Gesprächen sicherzustellen, setzen sich Interviews jeweils aus einem offenen Teil A, in dem die Lehrkräfte zu Beschreibungen und Reflexionen ihres eigenen Unterrichts angeregt werden, einem Teil B zu ihrem Umgang mit fehlerhaften Schülerschreibungen und einem Teil C zur Bewertung von Auszügen aus aktuellen Lehr-Lern-Materialien zusammen (s. Tab. 3). Tab. 3 Kontextuierung des Interviews durch Dreiteilung Interviewabschnitte

Primär angesprochene Komponenten professioneller Kompetenz

Teil A: Beschreibung und Reflexion des eigenen Unterrichts

Domänenbezogene Aspekte des Professionswissens und Überzeugungen/Werthaltungen

Teil B: Erklärung von und Umgang mit fehlerhaften Schülerschreibungen

Fachinhaltliches und -didaktisches Wissen zur Wortschreibung, insb. zu schriftbezogenen Denkwegen von Schüler/-innen und Erklärungsansätzen

Teil C: Untersuchung und Bewertung ausgewählter Unterrichtsmaterialien

Fachinhaltliches und -didaktisches Wissen zur Wortschreibung, insb. zu Potenzialen und Grenzen von Lehr-Lern-Materialien

7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung

177

Durch den Einsatz von Inputmaterialien als Stimuli, also den Fall- bzw. Schreibbeispielen in Teil B und den Lehr-Lern-Materialien in Teil C, soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die Selbstauskünfte der Lehrkräfte allein „keine direkten Schlüsse auf das tatsächliche Handeln zu[lassen]“ (Sturm und Lindauer 2014, S. 126). Mithilfe dieser Form der Kontextuierung sind zumindest Annäherungen an ein handlungsnahes Lerngegenstandsverständnis (vgl. u. a. Winkler 2011, S. 11; WiprächtigerGeppert et al. 2015, S. 291) und an die Berücksichtigung der kognitiven und situierten Perspektive bei der Evaluation von didaktischem Wissen (vgl. u. a. Depaepe et al. 2013) möglich, wobei nach Mandl und Huber (1983) Folgendes zu berücksichtigen ist: Auch wenn die Verbalisation von handlungsrelevanten Kognitionen uns nicht notwendig die wirklichen, objektiven Gründe einer Handlung liefert, deckt sie doch die subjektive Sicht des Handlungszusammenhangs auf und erschließt uns daher die Orientierung des Lehrers in vergleichbaren Situationen. (ebd., S. 101)

Die Erfassung der sprachlich ausgedrückten Bedeutungssysteme Lehrender besitzt demnach zumindest prognostischen Wert im Hinblick auf die im Schriftsprachunterricht handlungsleitenden Richtlinien. Die in der Forschung zur Lehrerkompetenz fächerübergreifend zu beobachtende Tendenz, den Situations- und Anforderungsbezug in empirischen Untersuchungen professioneller Kompetenz stärker zu berücksichtigen (vgl. dazu auch Seidel und Prenzel 2008, S. 202), wird somit auch in dieser Studie aufgegriffen. Im Unterschied zu vielen neueren Untersuchungsansätzen, die besonders auf die spontanen Entscheidungen bzw. die Performanz von Lehrkräften in Bezug auf eine konkrete Lehr-Lern-Situation abzielen und dafür vielfach mit Video-Vignetten arbeiten (vgl. z. B. Seidel und Prenzel 2008; Lindmeier et al. 2013), ist das Interviewdesign stärker reflexiv ausgerichtet. Die befragten Lehrer/-innen werden dazu angehalten, vorgelegte Fallbeispiele und Lehr-Lern-Materialien zu beschreiben, zu erklären und zu evaluieren sowie eigene Handlungsempfehlungen zu generieren, ohne dass sie dabei mit dem Ziel möglichst unmittelbarer Reaktionen unter Zeitdruck stehen. Fokussiert wird also nicht auf die realitätsadäquate Performanz; vielmehr sollen über die Äußerungen der Lehrkräfte Rückschlüsse auf ihre fachspezifischen Wissensbestände, handlungsbezogenen Zugriffe und Reflexionen getroffen werden. Da die Offenheit des Interviews eine Absage an die direkte Messung und vergleichende Bewertung von Wissensbeständen impliziert, können die zu erhebenden Interviewdaten in der hier vorgestellten Studie lediglich auf die situativ gezeigten fach-

178

7 Anlage der empirischen Untersuchung

lichen und fachdidaktischen Lerngegenstandszugriffe der Lehrkräfte referieren. Mithilfe der Dreiteilung des Interviews werden die in 5.3 erläuterten Facetten des professionellen Wissens im Bereich der Wortschreibung (s. Abb. 20, S. 165) zwar dezidiert angesteuert, die entsprechenden verbalen Reaktionen der befragten Lehrer/-innen sind aber angesichts der offenen Erhebungssituation nur als situative Hinweise auf die in den Wissensfacetten erfassten Aspekte orthographischer bzw. orthographiedidaktischer Kompetenz zu interpretieren. Es wird jedoch angenommen, dass sich in den Äußerungen der Lehrpersonen zumindest punktuell klare Rückschlüsse auf die vorhandenen rechtschriftlichen Wissensbestände treffen lassen. Möglicherweise können im Rahmen der Interviews auch nähere Informationen zur Beziehung zwischen den auf Fachwissen und fachdidaktisches Wissen bezogenen Zugriffen gewonnen werden, die zwar in bestehenden Studien zum Lehrerwissen gemeinhin als empirisch trennbar ausgewiesen werden, dabei aber weiterhin offen bleibt, inwiefern insbesondere das fachdidaktische Wissen auf eine fachlich differenzierte Grundlegung angewiesen ist (s. auch Teilkapitel 2.3). Die Äußerungen der Gesprächspartner/-innen sind in der hier vorgestellten Untersuchung allerdings nicht auf wissensbasierte Komponenten der Professionskompetenz beschränkt, sondern können sich generell auch auf weitere kognitive Kompetenzaspekte wie etwa lehr-lern-prozessbezogene Einstellungen im Schriftsprachunterricht beziehen. 7.2.1

Begründung des Leitfadens

Przyborski und Wohlrab-Sahr (2014) und auch Helfferich (2011) geben grundlegende Hinweise zu Fragetypen und -techniken, die für die Leitfadenerstellung und Interviewführung in der hier vorgestellten Studie genutzt wurden und im Folgenden an den final eingesetzten Leitfragen veranschaulicht werden. Die empfohlene informierende Einführung im Vorgespräch des Interviews, in der die Lehrer/-innen in ihrer Rolle als Expert/-innen angesprochen und über den thematischen Schwerpunkt sowie das spezifische Interesse, aber auch den Bedarf an Einsichten in ihre Expertise in Kenntnis gesetzt werden (vgl. Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, S. 122), wird folgendermaßen gelöst: Die Interviewpartner/-innen werden überwiegend

7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung

179

(d. h. in 15 Fällen)91 als „Lehrkräfte, die nach neueren rechtschreibdidaktischen Ansätzen arbeiten“, angesprochen und das Interesse an ihren Zugängen zur Wortschreibung, an der dabei wahrgenommenen Rolle der Silbe, ihren Orientierungen, Erfahrungen und Unterstützungsbedarfen im Unterricht formuliert. In drei Fällen (L07, L08, L09) wird eine abweichende Ansprache gewählt, da diese Lehrende ihre eigene Arbeitsweise und konzeptionelle Ausrichtung im (Recht-)Schreibunterricht bereits im Vorfeld als nicht klar benennbare Mischung unterschiedlicher Ansätze ausweisen und sich in Bezug auf ihre Eignung als Interviewpartner/-innen verunsichert zeigen. Um etwaige Hemmungen abzubauen und die Lehrenden dazu zu ermutigen, dennoch ihre persönliche Sichtweise auf den Lerngegenstand und damit verbundene Vermittlungspraktiken und -erfahrungen zu schildern, wird ihnen in diesen Fällen ein – gegenüber dem oben angeführten Auswahlkriterium – erweitertes Erkenntnisinteresse präsentiert: L07, L08 und L09 erhalten die Information, dass sich die Befragung an Lehrende richtet, die nach neueren Ansätzen arbeiten oder die Elemente neuerer Ansätze in ihr eigenes Vorgehen integrieren, sodass generell Lehrkräfte mit unterschiedlichen Lerngegenstandszugängen und konzeptionellen Vorstellungen zu Wort kommen. Auf diese Weise sollen sich auch diese Gesprächspartner/-innen in ihrem domänenspezifischen Handlungs- und Erfahrungswissen, aber auch ihren Bedürfnissen nach weiterer Unterstützung wertgeschätzt fühlen und gleichzeitig über das Untersuchungsanliegen informiert werden, ohne dass die gelieferte Information bereits eine konzeptionelle Lenkung ihrer Antworten im Interview erwirkt. Dieser Gefahr wird mit dem zusätzlichen Hinweis, dass es nicht um das Testen ihres Wissens, sondern um Einsichten in die tatsächlich praxisrelevanten Zugriffe und Erfahrungen einschließlich eigener oder extern bedingter Schwierigkeiten geht, entgegengewirkt. Dass das den Lehrenden genannte Auswahlkriterium der Untersuchungsgruppe in den einzelnen Interviews, wie beschrieben, z. T. variiert, kann grundsätzlich als leichte Lenkung betrachtet werden. Diese ließ sich aus Gründen der methodischen Stichprobenziehung nicht verhindern, kann aber in ihren inhaltlichen Auswirkungen als äußerst gering eingestuft

91

Die Stichprobe der Untersuchung wurde mithilfe des theoretical samplings generiert, siehe dazu ausführlich Abschnitt 7.2.3.

180

7 Anlage der empirischen Untersuchung

werden: In der kategorienbasierten vergleichenden Analyse 92 der Gesprächstexte, die in der größeren Gruppe mit der Information (1) ‚neuere rechtschreibdidaktische Ansätze‘ erhoben wurden, und derjenigen der kleinen Gruppe mit der Information (2) ‚unterschiedliche Zugänge‘ lassen sich keine markanten Unterschiede der Interviewverläufe und der gewählten inhaltlichen Schwerpunkte feststellen. Sowohl in den ersten Redebeiträgen, also den unmittelbaren Reaktionen auf die einführende Information, als auch in den spezifischen Äußerungen zur eigenen konzeptionellen Ausrichtung werden in beiden Gruppen zum einen ähnliche Muster, zum anderen stets auch individuelle Schwerpunkte sichtbar. Für den inhaltlichen Einstieg in das Interview nach der kurzen Erläuterung des Forschungsanliegens wird in der forschungsmethodischen Fachliteratur der Einsatz eines Stimulus bzw. einer offenen Frage, „die der Expertin die Möglichkeit gibt, einen Sachverhalt selbst strukturiert darzustellen“ (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, S. 123), empfohlen. Durch die im Experteninterview angelegte Konzentration auf kognitive Wissensbestände und Gegenstandsvorstellungen regt ein solcher Einstieg zunächst eine Reaktion an, deren sprachliche Darstellung in erster Linie im Modus des Beschreibens und weniger im Modus des Erzählens, das für das narrative Interview typisch ist, erfolgt (vgl. ebd.). In der hier beschriebenen Interviewstudie werden folgende offene Einstiegsfragen eingesetzt, auf die die Befragten frei reagieren können: „Wie sieht Ihr Rechtschreibunterricht aus? Was ist Ihnen da wichtig?“ Gerade in diesem ersten initiierten Redebeitrag der Gesprächspartner/-innen erweist sich die für das Experteninterview empfohlene zurückhaltende, abwartende Interviewführung durch die Forscherin insofern als bedeutsam, als so ein erster, ungelenkter Eindruck davon gewonnen werden kann, was den Lehrer/-innen unmittelbar wichtig erscheint. Eine weitere Stimulierung sollte erst dann vorgenommen werden, wenn der Redebeitrag, gegebenenfalls auch nach einigen ermutigenden Gesten zur Aufrechterhaltung der Äußerung, eindeutig als beendet erkannt werden kann (vgl. Lamnek 2010, S. 324ff.). Dass im Interview spezifisch nach dem Rechtschreibunterricht gefragt wird, obwohl in der theoretischen Grundlegung der vorliegenden Arbeit

92

Hierfür konnte u. a. der in der verwendeten QDA-Software verfügbare Code-Matrix-Browser, eine Funktion, mit der Verbindungen zwischen den Fällen hinsichtlich der jeweils aktivierten Kategorien (quantitativ) ermittelt und visuell ausgedrückt werden, gewinnbringend eingesetzt werden.

181

7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung

eine Zweiteilung von Schriftsprach- und Rechtschreibentwicklung ausdrücklich abgelehnt wurde (s. Kapitel 5), ist folgendermaßen zu begründen: Da die Zweiteilung der von den klassischen Entwicklungsmodellen proklamierten Sicht auf das Schreibenlernen entspricht, soll die begriffliche Konzentration auf das Orthographielernen eine konzeptionelle Stellungnahme provozieren und Aufschluss darüber erzielen, ob die Lehrenden das Rechtschreiblernen als dem Erstschreiben nachgeordneten Schritt oder aber als darin integrierte Anforderung betrachten. Darüber hinaus ist die Formulierung nötig, um das in erster Linie gegenstandsstrukturelle Interesse am ‚formalen‘ Schriftsprachlernen gegenüber eher motivationalen und kulturell-sozialen Aspekten der Schriftbegegnung auszudrücken. Im weiteren Gesprächsverlauf werden an geeigneten Stellen immanente Nachfragen zu den Ausführungen der Lehrer/-innen gestellt, die entweder ergänzende Fragen zu bestimmten Sachverhalten oder auch Aufforderungen zum beispielhaften Schildern konkreter Unterrichtsituationen darstellen, sodass der Wechsel in den Darstellungsmodus des Erzählens durchaus möglich ist und inhaltlich aufschlussreich sein kann – insbesondere verknüpft mit dem Ziel, Einblicke in verhaltensnähere Zugriffe zu erhalten. Alle interessierenden Fragebereiche, die nicht unmittelbar von den Lehrenden selbst und auch nicht durch die immanenten Nachfragen aufgegriffen werden, können nach Przyborski und Wohlrab-Sahr (2014) danach als „exmanente Fragen“ (ebd., S. 124) eingebracht werden und sollten zu einem globaleren, abschließenden Frageteil führen, in dem die Befragten zur Formulierung eigener Einschätzungen, Schlussfolgerungen und Prognosen im Gegenstandsbereich ermutigt werden (vgl. ebd.). Um diese Richtlinien in der Entwicklung eines flexibel einsetzbaren Leitfadens zu befolgen, wurden zum einen in Bezug auf die leitende Fragestellung grobe Themenblöcke bestimmt, zum anderen in Anlehnung an (Helfferich 2011, S. 186) eine tabellarische Übersicht für Leit- und Ergänzungsfragen erstellt (s. Tab. 4)93: Tab. 4 Tabellenkopf des Interviewleitfadens Leitfrage, Erzählaufforderung

Check – Wurde das erwähnt?

Konkrete Fragen/ Ergänzungsfragen

Aufrechterhaltungs-/Steuerungsfragen

Die nachfolgende Übersicht stellt die Themenblöcke in Interviewteil A und damit intendierte Auskünfte in komprimierter Form dar (s. Tab. 5).

93

Der vollständige Interviewleitfaden ist Anhang F zu entnehmen.

182

7 Anlage der empirischen Untersuchung

Tab. 5 Themenblöcke und Frageintentionen im Interviewteil A Thematischer Schwerpunkt Gestaltung des Anfangsunterrichts bzw. Erstschreibens

Primäre Anforderung Beschreibung, z. T. Erzählung

Auswahl der Lerninhalte

Beschreibung, z. T. Erzählung

Rolle der Silbe

Beschreibung, z. T. Erzählung Beschreibung und Erklärung

Erarbeitung von Doppelkonsonantengraphemen Formen der Diagnostik/ Lernstandserhebung Materialeinsatz und -auswahl Komplexität des Lerngegenstands Wortschreibung Anforderungen an die Lehrer/-innen

Beschreibung

Grenzen, Schwierigkeiten, Unterstützungsbedarfe

Beschreibung und Reflexion/ Evaluation Evaluation

Stärken der eigenen konzeptionellen Ausrichtung Aus- und Fortbildungssituation Wünsche/Forderungen für die allgemeine Orthographiedidaktik

Beschreibung, Reflexion Reflexion/ Evaluation Reflexion

(primär) intendierte Auskunft erwerbstheoretische Annahmen, Bezugsgröße(n) des Schrifteinstiegs (gesprochene/ geschriebene Sprache, Struktureinheiten), Rolle der Lehrkraft Vorstellungen von der Lernprogression, didaktische Orientierungspunkte/-größen (z.B. Sprachbücher), Verständnis von System und Norm Sachstrukturelle und vermittlungsbezogene Zugriffe auf die Silbe Sachstrukturelle und vermittlungsbezogene Zugriffe auf phonologische und graphematische Repräsentation des Wortes förderdiagnostische Zugriffe

Evaluation

Rolle von und Ansprüche an LehrLern-Materialien, Auswahlkriterien Einstellung zum Lerngegenstand, v. a. in Bezug auf System und Norm Annahmen zur orthographischen Lehrerkompetenz – Ansprüche, Herausforderungen, Schwächen Wahrnehmung des eigenen professionellen Handelns, der didaktischen Rahmenbedingungen konzeptionelle Positionierung, Bewusstheitsgrad der eigenen Handlungsorientierung, Wahrnehmung der orthographiedidaktischen Diskussion Wahrnehmung der Professionalität

Schlussfolgerung, Prognosen

Gewichtung der formulierten Orientierungspunkte o. Ä.

Die Frageintentionen spiegeln letztlich die in Kapitel 5.3 angeführten fachbezogenen Aspekte der professionellen Kompetenz im Bereich Wortschreibung wider, wenngleich sich einzelne Fragen teilweise auf ausgewählte Wissensfacetten konzentrieren. Eine eindeutige Zuordnung der Fragen zu den Komponenten Fachwissen, fachdidaktisches Wissen, epistemologische Überzeugungen und subjektive Theorien ist aufgrund der

7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung

183

prinzipiellen Offenheit der Interviews für die individuelle Gesprächsgestaltung nicht gegeben. Je nachdem, wie ausführlich und gegenstandsnah die Lehrenden auf die Leitfragen eingehen, werden von der Forscherin Techniken des Paraphrasierens und auch des vorsichtigen Interpretierens der Redebeiträge angewendet, um möglichst dichte und präzise, aber auch nach wie vor der individuellen Sicht der Lehrenden entsprechende Darstellungen zu erzielen (vgl. Lamnek 2010, S. 319, 362). Um die fachlichen und fachdidaktischen Zugriffe, aber auch die Grundeinstellungen zu orthographischen Lehr-Lern-Prozessen in Bezug auf konkrete Praxisanforderungen zu erfassen, wurde der relativ offene Interviewteil A, der vor allem auf Beschreibungen und Reflexionen des Unterrichts angelegt ist, um inputbasierte weitere Frageimpulse ergänzt. Dafür wurden, wie beschrieben, zum einen Fehlschreibungen von Schüler/-innen, zum anderen Materialauszüge als Gesprächsgrundlage in das Interview integriert, die sich in den jeweiligen Handlungsanforderungen unterscheiden: Tab. 6 Leitfadengestützte Handlungsanforderungen in den Interviewteilen B und C Handlungsanforderungen in Interviewteil B - Fehlerbeschreibung („Was fällt Ihnen auf?) - Fehlerinterpretation, i.d.R. inkl. Erklärung der missachteten Regularität („Wie erklären Sie sich diese Auffälligkeiten?) - Generierung von Handlungsoptionen („Wie würden Sie mit dem Schüler arbeiten?“) und Stimuli („Welche Hilfestellung/welchen Tipp würden Sie dem Schüler geben?) → Schwerpunkt: Fehlerdiagnosen stellen, eigene ‚Problemlösestrategien‘ einbringen

in Interviewteil C Analyse von Lehr-Lern-Materialien (Auszüge) Evaluation von Handlungsvorschlägen („Wie finden Sie das Material? Was finden Sie gut, was nicht bzw. problematisch?) eigene Positionierung („Würden Sie das Material einsetzen? Wenn ja, worauf würden Sie achten?“) Generierung von Handlungsalternativen („Wie würden Sie stattdessen vorgehen?) und alternativen Stimuli („Welche Hilfestellung wäre nötig?“) →

Schwerpunkt: Handlungsvorschläge auf Grundlage eigener Erfahrungen und Lerngegenstandskonzepte bewerten

Im Interviewteil B werden die Lehrkräfte gebeten, die für sie relevanten Auffälligkeiten der Schülerschreibung und -äußerung aus ihrer Sicht zu erklären und anschließend zu beschreiben, wie sie mit dem Schüler/der Schülerin an diesem konkreten Fehlerschwerpunkt weiterarbeiten würden.

184

7 Anlage der empirischen Untersuchung

Im dritten Interviewteil geht es schließlich um die Analyse und Evaluation von Materialauszügen und darin vorgesehenen Lerngegenstandszugängen. Der Einbezug von Lehr-Lern-Materialien erweist sich auch mit Blick auf dazu vorliegende empirische Befunde als lohnenswert: Studien belegen, dass Lehrbücher und Arbeitshefte zum Richtigschreiben für einen Großteil der Lehrkräfte ein elementares Instrument der Unterrichtsplanung und -gestaltung darstellen (vgl. z. B. Hofmann 2008; Bernasconi et al. 2011). Es zeigt sich auf der anderen Seite jedoch auch, dass „Lehrkräfte nicht immer die ‚didaktische Kodierung‘ [erfassen]“ (Ballis und Wilczek 2008, S. 139), die einem Schulbuch zugrunde liegt. Hofmann (2008) vermutet im Hinblick auf den problematischen Umgang der von ihr interviewten Lehrer/-innen mit vorgelegten Arbeitsblättern, dass die Lehrenden der Qualität der Schulbücher grundsätzlich vertrauen und deren kritische Prüfung daher häufig unterlassen (vgl. ebd., S. 138). Die überlegte Auswahl von Unterrichtsmaterialien wurde in den Ausführungen der Teilkapitel 5.1 und 5.3 jedoch als eine bedeutsame Voraussetzung sachstrukturell angemessener und lernerorientierter Lehr-LernProzesse in der Domäne Richtig schreiben ausgewiesen. Aus diesem Grund wurden als Input in der hier vorgestellten Interviewstudie Aufgaben und Erklärungen aus Lehr-Lern-Materialien ausgewählt, die sich in ihrer konzeptionellen und methodischen Ausrichtung unterscheiden. Mit der Aufforderung an die Lehrkräfte, die im Material angelegten Zugriffe auf den jeweiligen Lerngegenstand aus ihrer Sicht zu bewerten, wird einerseits bezweckt, ihre Orientierungspunkte und Bewertungskriterien im Umgang mit Unterrichtsmaterialien zur Wortschreibung zu erfassen, andererseits sollen aber auch vertiefende Einblicke in ihre eigene schriftkonzeptionelle Ausrichtung und handlungsleitenden Kognitionen gewonnen werden. Dafür werden Einzelaufgaben, Aufgabensequenzen oder Tipps bzw. Hilfestellungen für das Wortschreiben vorgelegt, die sich – ähnlich wie in Interviewteil B – auf grundlegende Regularitäten der Wortschreibung beziehen. Zudem wurden Materialausschnitte gewählt, in denen der jeweilige konzeptionelle Blick auf den Lerngegenstand auch ohne Kenntnis des zugehörigen Lehrwerks bzw. der dem ausgewählten Abschnitt vorangegangenen Lerninhalte erkennbar ist. Jeder Materialausschnitt lässt sich fachinhaltlich und fachdidaktisch in einem oder mehreren Punkten kritisieren, etwa hinsichtlich der sachstrukturellen Richtigkeit, des verwendeten Wortmaterials oder der lerngegenstandsbezogenen Hilfestellungen. Dass es sich bei den vorgelegten Auszügen sowohl um Lernaufgaben und Hilfestellungen für die Grundschule als auch für die frühe Sekundarstufe I han-

7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung

185

delt, ist mit dem verfolgten Erkenntnisinteresse zu begründen: Die Untersuchung konzentriert sich auf die Stellungnahmen der Lehrkräfte zu den (wahrgenommenen) konzeptionellen Zugängen, die das jeweilige Material über die sachstrukturelle Präsentation des Lerngegenstands erkennen lässt. Hierfür ist die fokussierte Jahrgangsstufe zunächst nebensächlich. Da die Materialbewertung aber auch Aufschluss darüber geben soll, welche Vorstellung die Lehrenden über die Verknüpfung von fachlicher Grundlegung und didaktischer Modellierung und über die dementsprechende Lernprogression besitzen, wird die variierende Auswahl der adressierten Jahrgangsstufen als fruchtbarer Impuls für tiefergehende Einblicke in die Lehrerkognitionen erachtet. Auf diese Weise kann im günstigen Fall erkannt werden, ob die untersuchten Lehrpersonen selbst über ein umfassendes Konzept von Rechtschreibunterricht und systematisch aufeinander aufbauenden orthographischen Lernprozessen verfügen. Während die leitfadengestützte Datenerhebung grundsätzlich an den Anspruch möglichst großer Offenheit gegenüber den individuellen Gegenstandszugängen und für die Expert/-innen relevanten Themen geknüpft ist (vgl. Lamnek 2010, S. 310) und die vorab formulierten Fragen im Interviewteil A in der Reihenfolge und auch in dem Explizitheitsgrad ihres Auftretens variieren können, sind die drei Interviewteile stets in der Reihenfolge A -> B -> C einzubringen, denn nur so ist eine Vergleichbarkeit der einzelnen Interviews gewährleistet. Zudem wird so der Einfluss der graduell abweichenden Handlungsanforderungen auf die beobachtbaren handlungsbezogenen Orientierungsmuster berücksichtigt: von der relativ freien Beschreibung und Strukturierung der grundsätzlichen Handlungsorientierungen in A über die Formulierung kontextgebundener eigener Handlungsansätze in B bis zum Abgleich fremder und eigener (ebenfalls kontextgebundener) Handlungsansätze in C. Das Potenzial dieser Abfolge soll im nächsten Abschnitt über die spezifische Begründung der ausgewählten Inputbeispiele verdeutlicht werden (s. 7.2.2). Am Ende jedes Interviews wurden darüber hinaus einige berufliche Rahmendaten der Lehrenden (Dauer der aktiven Lehrtätigkeit, unterrichtete Schulform(en), Lehrerfahrung im Unterrichtsfach Deutsch, Angaben zur aktuellen Lehrtätigkeit, Zeit und Ort des Studiums, besuchte Fortbildungen) erfragt.

186 7.2.2

7 Anlage der empirischen Untersuchung

Auswahl und sachstrukturelle Analyse des Inputmaterials

Die Auswahl der Inputmaterialien, die in den Interviewteilen B und C vorgelegt wurden (s. Anhang A), erfolgte in Orientierung an den für das Forschungsinteresse besonders relevanten Regularitäten der deutschen Wortschreibung. Dabei wurden vorab Auswahlkriterien für die Inputbeispiele in beiden Interviewteilen festgelegt: Sie sollten sich grundsätzlich auf Regularitäten der Wortschreibung beziehen, - die Schüler/-innen erwiesenermaßen (langfristig) Probleme bereiten (v. a. die Silbengelenkschreibung bzw. Markierung von Vokalkürze, aber auch die -Schreibung sowie morphologisch vererbte Schreibungen dieser Regularitäten, s. 3.1); - deren Erklärung (aufseiten der Lehrkräfte) differenzierte Kenntnisse zum laut- und schriftsystematischen Zusammenhang und die Verknüpfung von Sachanalyse und didaktischen Zugängen zum Lerngegenstand erfordert und Lehrkräften empirischen Befunden zufolge mitunter Schwierigkeiten bereitet (s. 3.2); - die systematisch erklärbar sind (auch aus historischer Sicht: Die ausgewählten Regularitäten betreffen Wortstrukturen, die ihren ursprünglichen Lautbezug z. T. verloren haben, s. 4.3), sich in der Verknüpfung des phonographischen, silbischen und morphologischen Prinzips (s. 4.5) erschließen lassen und keine Konzentration auf Rechtschreibregeln erfordern (vgl. auch die Beobachtung Hofmanns 2008 dazu in Kapitel 3.2); - die sich über zweisilbige Schlüsselwörter und die Untersuchung der silbischen Konstituenten – sowohl bezogen auf die phonologische als auch graphematische Silbe – herleiten lassen (s. Kapitel 5). In Interviewteil C zeichnen sich die ausgewählten Materialausschnitte zudem dadurch aus, dass ihnen unterschiedliche Silbenkonzepte zugrunde liegen, die fachlich und fachdidaktisch voneinander abweichende Zugriffe auf die Silben- und Wortschreibung und auch unterschiedliche Erarbeitungsrichtungen (Material C1, C3, C4: Ausgangspunkt gesprochenes Wort, Material C2: Ausgangspunkt geschriebenes Wort) offenbaren. Eine detaillierte Beschreibung und Analyse der Inputschreibungen und -materialien wird nachfolgend vorgenommen. Vorab sollen noch einige Hinweise zu den forschungsmethodischen Gründen der Auswahl und Anordnung der Inputbeispiele in den Teilen B und C gegeben werden.

7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung

187

Das Gesamt aller Inputbeispiele umfasst folgende Regularitäten (jeweils in zweisilbiger Grundform und in morphologisch vererbter Form): Silbengelenkschreibungen (einschließlich und ), -Schreibungen, Schreibungen mit , Schreibungen mit silbeninitialem . Ihr jeweiliges Vorkommen verteilt sich folgendermaßen: Tab. 7 Thematisierte Regularitäten in den Inputbeispielen der Interviewteile B und C Regularität

Interviewteil B94 1. B1: schaffen (Grundform) 2. B2a: Frühstücksei (vererbt)

Interviewteil C 1. C1: Langvokal in offener Silbe vs. Kurzvokal bei Doppelkonsonantengraphemen (Grundform) 2. C4: (Grundform und vererbt)

-Schreibung (Strukturtyp 1) = insg. 2 explizite Impulse

1. B2b: Gießkanne (vererbt)

1. C2: vs. (Grundform)

silbeninitiales (Strukturtyp 4) = insg. 2 explizite Impulse

1. B2a Frühstücksei (vererbt) 2. B3: blühen und verblüht (Grundform und vererbt, B3)

-

Silbengelenkschreibung (+ gesondert erfragt in Teil A; Strukturtyp 3) = insg. 5 explizite Impulse

(-Schreibung

1. B2b: Gießkanne (vererbt)

-)

Mit Ausnahme der -Schreibung treten alle Regularitäten 1. sowohl in einer zweisilbigen Grundform als auch in einer morphologisch vererbten Form und 2. mindestens zweimal auf, d. h. entweder in zwei nicht direkt aufeinanderfolgenden Inputbeispielen innerhalb eines Interviewteils (z. B. das silbeninitiale in B2a und B3 in Interviewteil B) oder sowohl in den Inputschreibungen als auch in den Inputmaterialauszügen (z. B. die Silbengelenkschreibung in B1, B2a, C1 und C4 in beiden Interviewteilen). Durch diese ‚Mehrfachthematisierung‘ sollten zum einen möglichst tiefe Einblicke in die fachlichen und fachdidaktischen Zugriffe auf die Schreibungen sichergestellt, zum anderen aber auch beobachtet werden können, ob die Lehrkräfte stets gleiche/ähnliche und somit vermutlich recht stabile bzw. stringente Erklärungs- und Vermittlungsansätze formulieren

94

In der Tabelle sind für Interviewteil B jeweils die Zielschreibungen angegeben.

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7 Anlage der empirischen Untersuchung

oder ihre fachlichen und fachdidaktischen Präsentationen der Regularität situationsbezogen variieren. Dadurch dass in den Interviewteilen unterschiedliche Handlungsaufforderungen gestellt werden und manche Regularitäten sowohl in B als auch in C (, Silbengelenkschreibung) thematisiert werden, sollte darüber hinaus erfasst werden, ob oder inwiefern sich die fachlich-didaktischen Einschätzungen, Erklärungsansätze und Handlungsanregungen je nach Anforderungskontext unterscheiden, schließlich konnte u. a. Jagemann (2015, 2016) hier z. T. deutliche Unterschiede bei angehenden Lehrkräften feststellen (s. 3.2). Aufgrund des begrenzten zeitlichen Rahmens der Interviews wurden nicht alle Regularitäten in beiden Interviewteilen B und C aufgegriffen. Im Interviewteil B wurden den Lehrkräften Fehlschreibungen von Schüler/-innen aus Jahrgang 5 präsentiert, die hinsichtlich ihrer orthographischen Auffälligkeiten, der angenommenen lerngegenstandsbezogenen Fehlkonzeptionen und möglicher Ansatzpunkte für die weitere Arbeit mit dem/der Lernenden kommentiert werden sollten. Die ausgewählten Schreibungen sind in ihrer Zielstruktur ausnahmslos dem Kernbereich der deutschen Wortschreibung zuzuordnen. Ihre systematische Begründung verlangt teilweise den Bezug auf innergraphematische, lesebegünstigende Regularitäten (silbeninitiales ), teilweise auch die Thematisierung der Funktionalität graphematischer Markierungen für phonologische Repräsentationen (Silbengelenkschreibung, , ). Dabei sind phonographische, silbische und morphologische Komponenten der Schreibung zu erfassen und aufeinander zu beziehen. Dass die Schreibungen aus der frühen Sekundarstufe 1 stammen und somit nicht aus der in der vorliegenden Studie fokussierten Grundschule, stellt keinen methodischen Bruch dar: Die Schreibungen sind zum Zeitpunkt direkt nach dem Übergang von der Grund- in die weiterführende Schule produziert worden, spiegeln also die Resultate der Grundschularbeit wider. Ihre Untersuchung kann zum einen unabhängig von der Schulform Aufschluss über das fachliche Verständnis des Lerngegenstands, das den Vorstellungen der Lehrpersonen zur didaktischen Modellierung zugrunde liegt, geben und zum anderen Denkanstöße liefern, was in der Grundschule aus Sicht der Lehrenden hätte anders laufen müssen, damit die Schüler/-innen in der Sekundarstufe die gezeigten Schwierigkeiten bereits überwunden hätten. Die Schülerschreibungen werden im Folgenden vorwiegend hinsichtlich ihrer fehlerhaften Stellen und der anzunehmenden Fehlkonzeptionen im Bereich der Wortschreibung analysiert. Die bereits gelungenen Markierungen werden nicht explizit aufgeführt, auch wenn sie ohne Zweifel

7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung

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ebenso aufschlussreiche wie förderrelevante Einblicke in die Lerngegenstandszugriffe der Schüler/-innen liefern und in der Förderdiagnostik stets eine zentrale Rolle spielen (sollten). An dieser Stelle stehen dennoch die Schwierigkeiten der Schüler/-innen im Fokus, da ihre Beschreibung und Bewertung durch die Lehrenden sowohl konzeptionelle Vorstellungen zum Lerngegenstand als auch Annahmen zu den orthographischen Denkwegen von Schüler/-innen und entsprechende förderdiagnostische Schlussfolgerungen besonders gut sichtbar machen können. Die Analyseperspektive ist durch die in Kapitel 4 und 5 vorgenommene sachstrukturelle und didaktische Positionierung bestimmt, es werden jedoch grundsätzlich auch weitere aus fachlicher Sicht zulässige Erklärungsansätze mitangeführt. 1. Schülerschreibung: oder *? Im ersten eingebrachten Beispiel handelt es sich um eine Schülerschreibung des Wortes schaffen und dazu geäußerte Schreibzweifel: Ein Schüler der 5. Klasse verwendet in einem Text die richtige Schreibung schaffen, äußert im Gespräch aber Zweifel an der korrekten Schreibung: Man könnte es auch mit einem schreiben, man hört es einfach nicht in dem Wort, dass es mit Doppel- ist.

Der Schüler identifiziert die potenziell zu markierende Stelle im Wort, kann aber nicht auf ein entsprechendes deklaratives Wissen, zielführende Problemlösestrategien oder auch erworbene Einsichten in die Funktionalität doppelter Konsonantengrapheme zurückgreifen. Da er eine Schreibung mit doppeltem in Betracht zieht, obwohl dies für ihn nicht hörbar ist, scheint ihm grundsätzlich bewusst zu sein, dass die Schreibung von Wörtern keine 1:1-Zuordnung der geschriebenen Segmente zum gesprochenen Wort verlangt. Dennoch – oder gerade deshalb – stellt der Bezug zum gesprochenen Wort für ihn die zentrale Schwierigkeit dar, die sein Zweifeln begründet. Denkbar sind v. a. zwei Ursachen seiner Unsicherheit: Entweder betrifft seine Schwierigkeit phonetisch-phonologische Merkmale des Wortes oder sie berührt Fragen der Funktionalität von graphematischen Strukturen für die lautsprachliche Wortrepräsentation. Im ersten Fall kann davon ausgegangen werden, dass dem Schüler die Wahrnehmung der Vokalopposition schwerfällt, ihm also die auditive Erfassung prosodischer Strukturen und darin wirksamer unterschiedlicher Vokalquantitäten und -qualitäten (s. 4.2.2) nicht sicher gelingt. Da die auditive Wahrnehmung vielen Lernenden, insbesondere denen mit Zweitsprachhintergrund (vgl. Röber 2012), Probleme bereitet, ist diese Deutung grundsätzlich nicht unwahrscheinlich. Im anderen Fall (möglicherweise auch in Verknüpfung mit dem ersten Fall) ist anzunehmen, dass der Schüler noch keine Einsicht

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7 Anlage der empirischen Untersuchung

in das Zusammenwirken der schriftsystematischen Prinzipien (s. 4.5) gewonnen hat, sondern lediglich auf phonographisch-segmentale Erklärungsansätze zurückgreifen kann. Letztere können ihm bei der Entscheidung zwischen den Schreibungen * und nicht weiterhelfen, da dafür nur die phonologisch nicht zulässige Realisierung einer konsonantischen Geminate im gesprochenen Wort infrage käme. Auch diese Vermutung zur Begründung der Fehlschreibung des Schülers erscheint insofern plausibel, als in den Ausführungen zum schriftsprachdidaktischen Forschungsstand in Kapitel 3 gezeigt wurde, dass die segmentale, phonembasierte Perspektive auf die Wortschreibung oftmals die primär vermittelte Strategie im Schriftsprachunterricht der Grundschule darstellt. Begründet werden kann die Zielschreibung jedoch nur mit einer Analyse des suprasegmentalen Umfeldes, obgleich weiterhin eine segmentbezogene Erklärung im Sinne der amtlichen Regelung („Folgt im Wortstamm auf einen betonten kurzen Vokal nur ein einzelner Konsonant, so kennzeichnet man die Kürze des Vokals durch Verdopplung des Konsonantenbuchstabens“, Rat für deutsche Rechtschreibung 2006, S. 17) möglich ist. Die alternative und hier präferierte Systematisierung der Regularität bezieht sich hingegen auf die silbenstrukturelle Untersuchung des graphematischen Prototyps und die Deutung der Doppelkonsonantenschreibung als geschriebene Repräsentation eines phonologischen Silbengelenks. In diesem Zugang verlangt die Herleitung der Schreibung von schaffen eine Analyse des Endrands der Hauptsilbe, der Schüler müsste also aus der Gegenüberstellung von * mit leerem graphematischen Silbenendrand (offene Schreibsilbe) und mit belegtem graphematischen Endrand (geschlossene Schreibsilbe) die Unterschiede in der jeweiligen phonologischen Korrespondenz (klare Segmentierbarkeit der Silben und langer, gespannter Vokal der betonten Silbe bei [ˈʃɑː.fən] – * vs. Vokalkürze und -gespanntheit durch Silbengelenk bei [ˈʃaf ̣ən] – ) ableiten. Wichtig ist bei der Erarbeitung der Zusammenhänge aus der Richtung des geschriebenen Wortes, die Silbengelenkschreibung von vornherein als schriftspezifische Markierung des phonologischen Silbengelenks aufzufassen, die nicht für eine Realisierung von zwei Konsonantenphonemen steht. Didaktisch kann dies insbesondere über den Vergleich mit Wörtern des Silbentyps 2 (z. B. has-ten gegenüber hassen) angeregt werden, weitere Ansatzpunkte werden in Teilkapitel 5.1 dargestellt. Ausdrücklich abzulehnen sind Vermittlungsansätze, die die Silbengelenkschreibung über

7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung

191

eine deutliche Aussprache der verdoppelten Konsonantengrapheme erklären und somit eine nicht sachangemessene Überlautung (hier: *[ˈʃaf.fən]) in den Mittelpunkt der Erarbeitung stellen. 2. Schülerbeispiel: * und * Im zweiten Beispiel werden zwei Fehlschreibungen präsentiert, die eine Schülerin im Rahmen der Hamburger Schreibprobe in Klasse 5 produziert hat. Es handelt sich dabei um Komposita, deren korrekte Schreibung zunächst eine morphologische Analyse der einzelnen Bestandteile erfordert, auf deren Grundlage die graphematischen Markierungen ermittelt werden können. Im ersten Beispielwort ist zur sachstrukturellen Erklärung eine Gliederung in die einzelnen Morpheme sinnvoll: *. Es ergeben sich drei Stammmorpheme (in der Zielform früh, stück, ei) und das Fugenmorphem -s-. Für die Untersuchung der Schülerschreibung sind nun die Stämme * und * genauer zu betrachten, in denen zum einen das morphologisch vererbte silbeninitiale , zum anderen die morphologisch vererbte Silbengelenkschreibung fehlen. Ohne Genaueres zu den Umständen der Schreibung und auch Schreibzweifeln der Schülerin zu wissen, ist anzunehmen, dass sie die Verschriftung ohne eine differenziertere Untersuchung der (silbischen und morphologischen) Wortstruktur, möglicherweise sogar rein phonographisch vorgenommen hat. Aus der Perspektive eines an systematischen Wortstrukturen orientierten Unterrichts müssen diese Formen jedoch zunächst in eine prototypische zweisilbige Form überführt werden, die in Teilkapitel 5.1 als Schlüsselwort bezeichnet wurde. Dieser Schritt wird häufig über die Strategie Verlängern angeregt. Die Verlängerung der ersten Stammform der Schülerschreibung * führt beispielsweise zu * oder *. In diesen zweisilbigen Formen wird deutlich, dass durch die offene graphematische Hauptsilbe die graphematischen Vokalkerne beider Silben unmittelbar aufeinandertreffen (sequentieller Aspekt nach Eisenberg 2013) und der Anfangsrand der graphematischen Reduktionssilbe zudem nackt ist, was in der zweiten Schreibsilbe grundsätzlich zu vermeiden ist (klassifikatorischer Aspekt nach Eisenberg 2013, s. 4.5.2). An dieser Stelle muss also die Notwendigkeit der graphematischen Hiatusüberbrückung mithilfe des silbeninitialen erkannt werden. Dabei ist eine Form der Überlautung, in der das intervokalische auch phonologisch als [h] realisiert wird, in Referenz auf die phonologischen Ausführungen in Kapitel 4.2 sachunangemessen und didaktisch nur dann additiv unterstützend, wenn der phonologische Hiat bereits erkannt und die graphematische Überbrückung durch bekannt ist. Den funktionalen Nutzen des silbeninitialen als Lesehilfe verzerrt

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7 Anlage der empirischen Untersuchung

bzw. verfehlt ein solcher Zugang jedoch deutlich. Die Identifikation des eingefügten in der Zielschreibung als Dehnungsmarkierung (Dehnungs-) ist mit Verweis auf die in Kapitel 5 angeführten Gründe der guten Systematisierbarkeit des silbeninitialen im Gegensatz zum Dehnungs- gleichermaßen abzulehnen. Um auch das zweite Stammmorphem stück richtig zu schreiben, ist ebenfalls die Verlängerung zum zweisilbigen Schlüsselwort ratsam, obgleich, wie im ersten Schülerbeispiel auch, die amtliche Regelung, die die Schreibung über den Wortstamm erklärt, greift. Ohne sichere morphologische Kenntnisse könnte allerdings leicht das der Morphemfuge in Frühstücksei bzw. * als zweiter auf den Vokal des Stamms folgender Konsonant identifiziert werden, was eine Verdopplung bzw. den Einsatz von überflüssig machen würde und somit eine mögliche Erklärung für die fehlende Markierung in der Schülerschreibung darstellt. Eine Orientierung an der zweisilbigen Form bietet in dieser Hinsicht eine verlässlichere Erarbeitungsgröße. Die zweisilbige Zielform – [ˈʃtʏḳə] kann beispielsweise durch die Gegenüberstellung der Schreibvarianten * und erkannt und graphematisch umgesetzt werden. Hierfür bieten sich die im Schülerbeispiel 1 angedeuteten Hilfestellungen an. Denkbar wäre grundsätzlich auch der auf Maas‘ Konzipierung fußende silbenphonologische Zugang (s. 5.1.3): Aus der Erfassung der besonderen Artikulationsverhältnisse in Stücke – phonologisch offene Silbe mit heterosyllabischem festen Anschluss (die Reduktionssilbe wird in die prominente Silbe integriert) – wird die graphematische Markierung durch doppelte Konsonantengrapheme bzw. in diesem Fall abgeleitet. Dass die graphematische Repräsentation von [k] in der Position eines phonologischen Silbengelenks nicht , sondern ist, muss in Form von deklarativem Wissen zur Verfügung stehen oder erworben werden. Da die Fehlschreibung aber auch keine Markierung mit * aufweist, ist davon auszugehen, dass die Schwierigkeiten auf grundlegenderen Unsicherheiten beruhen als lediglich auf fehlendem Wissen über die Besonderheit des . Im letzten Schritt der Schreibgenerierung muss schließlich das Prinzip der Morphemkonstanz aktiviert werden, nach dem sich das auf morphologisch verwandte Formen überträgt, auch wenn es dort nicht in Silbengelenkposition auftritt, daher .

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Im zweiten Kompositum ist ebenfalls eine morphologische Gliederung vorzunehmen: *Gis|kanne bzw. *Gis|kann|e 95 . Da richtig verschriftet wurde, konzentriert sich die Analyse auf das erste Stammmorphem */gieß und die darin graphematisch markierungsrelevanten Stellen, an denen die Komplexität der Beziehung zwischen phonologischen und graphematischen Strukturen besonders deutlich hervortritt: Zur korrekten Verschriftung des Vokalgraphems ist eine Analyse des Gesprochenen tatsächlich ausreichend – vorausgesetzt die auditive Wahrnehmung der Vokaleigenschaften gelingt: Da i der einzige Vokal ist, dessen gespannte und lange Artikulationsform graphematisch segmental als kodiert wird, reicht die auditive Erfassung von Vokalgespanntheit und -länge bereits aus, um zur richtigen Schreibung zu gelangen. In der Maas’schen Konzipierung entspricht dies der Identifikation des gespannten Vokals durch tautosyllabischen losen Anschluss (s. 4.2.2.1) der im Geschriebenen durch das markiert wird. Auf der anderen Seite kann die -Schreibung bei entsprechendem deklarativen graphematischen Strukturwissen ebenso zielführend ohne direkten Bezug zur Lautung hergeleitet werden: Durch die Verlängerung des Stammmorphems zu einer zweisilbigen Form, im Paradigma der Fehlschreibung bleibend: *96, ergibt sich eine offene Schreibsilbe, die im Fall von i die regelhafte Markierung durch verlangt. Zur Ermittlung der zielgerechten -Schreibung stellt die Verlängerung des Stamms zum zweisilbigen Schlüsselwort nicht nur eine notwendige, sondern eine hinreichende Bedingung dar: Hier ist die phonologische Unterscheidung zwischen dem stimmhaften [z] und dem stimmlosen [s] Voraussetzung, um eine erfolgreiche Schreibentscheidung zwischen und zu fällen. Die Identifikation der offenen ersten Schreibsilbe und der korrespondierenden Vokalgespanntheit und -länge hilft zunächst nur dabei, die dritte Variante der s-Schreibung, die Silbengelenkschreibung mit stimmloser phonologischer Korrespondenz auszuschließen. Da wort- und silben-

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Eisenberg (2013) ordnet das -e in Feminina wie die Kanne, die Treppe der Konstituentenkategorie Pseudoaffix bzw. morphologischer Rest zu, da es in Derivaten wie Känn+chen, Trepp+chen wegfällt und sich die Stammformen kann bzw. känn und trepp ergeben (vgl. ebd., S. 209). Zur Begründung der Zielschreibung ist diese Segmentierung jedoch nicht erforderlich. Die Silbengliederung kann auf der Grundlage graphematischen Wissens zu den Strukturen der Haupt- und Reduktionssilbe nur in dieser Form vorgenommen werden, da der Anfangsrand der geschriebenen Reduktionssilbe regehalft zu besetzen ist und somit nicht dem Endrand der Hauptsilbe zugeordnet werden kann.

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7 Anlage der empirischen Untersuchung

initial als [z] realisiert wird, wort-, silben- und morphemauslautend aber genauso wie auch als [s] auftritt, ist die Zweisilberbildung notwendig, um die unterschiedliche phonologische Entsprechung beider Grapheme in silbeninitialer Position zu erfassen. Eine innergraphematische Analyse des Zweisilbers reicht in diesem Fall nicht aus. Da die Schülerin weder das noch das verschriftet hat, ist zu vermuten, dass sie zur Herleitung der Schreibung nicht auf die zweisilbige Grundform gießen, sondern auf die im Kompositum unmittelbar vorliegende Stammform zurückgegriffen hat. Anhand der phonologischen Realisierung des Wortstamms gieß – [giːs] und seiner segmentalen Durchgliederung ist jedoch, wie gezeigt, keine strukturell begründete Entscheidung für oder möglich. Das hingegen könnte auch im Stammmorphem ermittelt werden – möglicherweise hat die Schülerin die phonologische Gespanntheit und Länge des Vokals nicht erkannt (oder lediglich nicht berücksichtigt) oder aber ihr ist die regelhafte Repräsentation von [iː] durch die Graphemfolge nicht bekannt. Die letztgenannte Erklärung ist insofern nicht abwegig, als in manchen Grundschulfibeln, -sprachbüchern und -lernmedien des Anfangsunterrichts tatsächlich nicht als regelhafte Korrespondenz für [iː] dargestellt wird. Auch wenn die Markierung des insofern besonders ist, als ihre Begründung nicht notwendigerweise an eine suprasegmentale Analyse gebunden ist, erweist sich die morphologische und silbenstrukturelle Untersuchung des Beispielworts Gießkanne insgesamt als notwendige Bedingung für die Generierung der Zielschreibung. Insbesondere Schüler/-innen, denen die auditive Differenzierung von Vokalmerkmalen schwerfällt, kann die Arbeit mit dem (geschriebenen) zweisilbigen Schlüsselwort Unterstützung bieten, um die Unterschiede (zunächst) zu sehen und (dann) zu hören (dazu erneut der Verweis auf 5.1). Andererseits demonstriert gerade die Auseinandersetzung mit dieser Fehlschreibung die große didaktische Herausforderung eines transparenten, systematischen und zielführenden Umgangs mit den Wechselbeziehungen zwischen gesprochenen und geschriebenen Wörtern. Inwiefern graphematisches Strukturwissen bei der Generierung von Wortschreibungen, deren korrespondierende phonologische Gestalt von Schüler/-innen nicht sicher erfasst wird, tatsächlich hilfreich ist, ist nur mithilfe von Praxiserfahrungen von Lernenden und – in dieser Arbeit im Fokus – Lehrenden festzustellen. 3. Schülerbeispiel: * und * In dem dritten Input des Interviewteils B geht es erneut um Schreibungen mit silbeninitialem . Anders als in Beispiel 2a (*) liegen

7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung

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hier allerdings zwei Wortformen vor, in denen das einmal intervokalisch (in der morphologisch einfachen Grundform blühen) und einmal morphologisch vererbt (in der morphologisch komplexen Wortform die verblühten Obstbäume) auftritt. Der Schüler schreibt in einem Lückendiktat jedoch beide Formen ohne : * für blühen und * für die verblühten Obstbäume. Den interviewten Lehrenden wurde zusätzlich folgender Hinweis zur geäußerten Unsicherheit des Schülers vorgelegt: Er äußert sich zur Schreibung von *verblüten auf Nachfrage folgendermaßen: Da habe ich auch die Befürchtung, dass da ein reinkommt. Er gibt an, dass dieses vor oder nach dem kommen könnte, und erklärt: Ein hört man nicht so oft (…) eigentlich gar nicht. (…) zur Verlängerung oder so? Keine Ahnung.

Der Schüler deutet hier ein Bewusstsein für die Existenz eines ‚stummen ‘ und – in dem fragenden Nachsatz „zur Verlängerung oder so?“ – mitunter sogar die Vorstellung eines Dehnungs- an, drückt aber grundsätzliche Ratlosigkeit aus. In der Überlegung, das könne vor oder nach dem kommen, nimmt er möglicherweise auf Fremdwortschreibungen mit , z. B. , Bezug, führt dies aber nicht weiter aus. Problemlösestrategien und Einsichten in die Funktionalität der wortinternen -Schreibung scheinen ihm nicht (sicher) zur Verfügung zu stehen. Da er zudem * in der zweisilbigen Grundform ohne die regelhafte graphematische Markierung mit silbeninitialem verschriftet, erhärtet sich der Verdacht, dass der Schüler bisher keine systematischen Einsichten in die Verwendungszusammenhänge des ‚stummen ‘ gewonnen hat und nicht zwischen dem Dehnungs-, also einer additiven, wenig regelhaften Markierung von Vokallänge und -gespanntheit, und silbeninitialem differenziert. Darüber hinaus nimmt er in der dokumentierten Situation keine morphologische Gliederung der komplexen Wortform verblühten vor und stellt dabei auch keinen Bezug zur vorher verschrifteten Form * her. Es findet somit allem Anschein nach weder eine Auseinandersetzung mit silbischen noch mit morphologischen Strukturen des Wortes statt. Aus graphematischer Perspektive ist letztere zur Generierung der graphematisch und orthographisch vorgesehenen Schreibung aber zwingend nötig. Um sowohl blühen als auch verblühten, also eine flektierte Form des Derivats verblühen, korrekt zu verschriften, muss über die Analyse des zweisilbigen Schlüsselworts und seiner silbischen Strukturen das einzufügende silbeninitiale ermittelt und schließlich mit dem Wissen um morphologische Konstanz verknüpft werden: Der Schüler müsste

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7 Anlage der empirischen Untersuchung

* zunächst als wortgebildete und zudem flektierte Form identifizieren und * als Stammmorphem von * erkennen. Dies stellt eine hoch komplexe Anforderung dar, die durch die vom System abweichende Schreibung von zusätzlich irritiert wird. Neef und Primus (2001) weisen in ihrer umfassenden Auseinandersetzung mit dem Graphem auf Schreibungen wie oder hin, „deren Graphie über die entsprechenden verbalen Grundformen erklärbar ist“ (ebd., S. 361), die aber „in einer synchron nicht vorhersagbaren Weise mit Blüte oder Glut [kontrastieren], bei denen unter denselben lexikalischen Bedingungen die Übertragung unterbleibt“ (ebd.). Die Besprechung dieses dritten Schülerbeispiels wird daher als besonders auskunftsreicher Teil des Interviews mit den Lehrenden eingeschätzt, da in diesem Fall sowohl Zusammenhänge zwischen gesprochenen und geschriebenen Wörtern als auch zwischen graphematischem System und orthographischer Norm thematisiert werden können, die zentrale Aspekte der formulierten Fragestellung der Arbeit berühren. Für den Interviewteil C wurden in Orientierung an den zentralen Regularitäten der deutschen Wortschreibung Auszüge aus Lehr-Lern-Materialien (Sprach- und Lesebücher, Arbeitshefte zum (Richtig-)Schreiben oder zur Sprachförderung) ausgewählt und den Lehrenden zur Bewertung vorgelegt. Im Folgenden soll zu allen vier eingesetzten Materialauszügen eine knappe Analyse durchgeführt werden, die sich primär auf die erkennbare schriftkonzeptionelle Ausrichtung und die didaktisch-methodischen Umsetzungsformen des jeweiligen Materials bezieht. Analyseleitend ist die Frage danach, welchen Blick das jeweilige Material auf den Lerngegenstand Wortschreibung eröffnet. Dazu werden aus den Lernaufgaben und Handlungsanregungen, die das Material angibt, Rückschlüsse auf die schrifttheoretische Grundlegung gezogen. Mit Verweis auf die Prämissen eines schriftstrukturorientierten Rechtschreibunterrichts, die in Kapitel 5 erläutert wurden und die die gegenstandstheoretische Position der vorliegenden Arbeit begründen, konzentriert sich die Materialanalyse auf - das Potenzial, das das Material für die Anregung von schriftstrukturellen Einsichten besitzt, - die strukturellen Merkmale des verwendeten Wortmaterials, - die primäre Bezugsgröße, die zur Erklärung von Schreibungen herangezogen wird (gesprochenes/geschriebenes Wort), - die angebotenen Strategien und Hilfestellungen. Darüber hinaus werden in Orientierung an Kiper et al. (2010) sowie Maier et al. (2010) punktuell auch die Art des vorausgesetzten und/oder bereit-

7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung

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gestellten Wissens (deklaratives, prozedurales, Problemlöse-, metagkognitives Wissen), die angeregten kognitiven Prozesse (z. B. Reproduktion, naher/weiter Transfer, kreative Problemlösung), der Grad der Offenheit der Aufgabenstellung sowie die sprachlogische Komplexität der Aufgabenstellung(en) in den Blick genommen. Insgesamt konzentriert sich die Analyse jedoch auf die sachstrukturelle Präsentation des Lerngegenstands und diesbezügliche problematische Gestaltungsaspekte. Dies erfolgt stets in dem Bewusstsein, dass die Materialanalyse „nur das objektive Potenzial der Aufgaben aus Sicht einer Expertin bzw. eines Experten“ (Maier et al. 2014, S. 37) und nicht die tatsächlich unterrichtliche Wirksamkeit bestimmen kann. Die Analyse bezieht sich lediglich auf Materialausschnitte und Einzelaufgaben, sodass ein klassifizierendes Analyseverfahren (vgl. Kiper et al. 2010, S. 148) eingesetzt wird, mit dem ausgewählte Gestaltungsmerkmale systematisch und mit Bezug auf die oben angeführten Analysekategorien untersucht werden können. Da die Bewertung der Materialien in den geführten Interviews in erster Linie der Erhebung fachlicher und fachdidaktischer Lerngegenstandszugänge der Lehrkräfte dient und nicht der Gesamtbeurteilung eines Materials, wird also nur eine Mikroanalyse der Aufgaben bzw. Aufgabensequenzen angestrebt und deren Einbettung in größere Zusammenhänge durch eine Meso- (Kapitel) und Makroanalyse (Schulbuch) vernachlässigt. In einigen Fällen führt dies unweigerlich zu einer verkürzten Darstellung der Konzeption des zugehörigen Lehrwerks, die mit Verweis auf die Zielsetzung der Analyse aber in Kauf genommen werden kann.

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7 Anlage der empirischen Untersuchung

1. Materialbeispiel: Rechtschreib-Werkstatt – Langer Selbstlaut – kurzer Selbstlaut (Schroedel Verlag 2010: Pusteblume. Arbeistheft 4, hrgs. von W. Menzel, S. 14)

Abb. 21 Auszug 1 aus Materialbeispiel C1 (Schroedel 2010, S. 14, © Westermann Gruppe)

Die Überschrift des ersten Beispielmaterials, Langer Selbstlaut – kurzer Selbstlaut, kündigt die Erfassung der Vokalquantität als primären Lerninhalt an und greift die Thematik unmittelbar in einer Erklärung auf, die den konkreten Aufgaben vorangestellt ist: Lang- und Kurzvokal werden über die Artikulation der gesprochenen Silbe erklärt. Dafür werden die Begriffe der offenen und geschlossenen Silbe eingeführt, die wiederum über die Wahrnehmung des offenen oder geschlossenen Mundes bestimmt werden. Die primäre Bezugsgröße der Erklärung ist demnach das gesprochene Wort bzw. die gesprochene „erste Silbe des Wortes“ (s. Erklärungstext) und lässt eine silbenphonologische Fundierung des Materials erwarten. Da mit graben und grabbeln (graben: langer, gespannter Vollvokal in der ersten Silbe durch losen konsonantischen Anschluss bzw. sanften Silbenschnitt vs. grabbeln: kurzer, ungespannter Vollvokal in der ersten Silbe mit festem konsonantischen Anschluss bzw. scharfem Silbenschnitt durch ambisilbischen Konsonanten, s. Abschnitt 4.2.2) zwei unterschiedliche Strukturtypen des deutschen Wortes zur Erklärung herangezogen werden (s. auch 5.1), müssten die prosodischen Artikulationsbedingungen am Übergang zwischen Voll- und Reduktionssilbe betrachtet werden – die Erklärung des Materials nimmt

7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung

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jedoch nur die erste Silbe in den Blick. Problematisch ist dies vor allem in Bezug auf das Wort grabbeln: Hier gibt die Erklärung an, dass die betonte Sprechsilbe im Unterschied zur ersten Silbe im Wort graben einen konsonantischen Abschluss besitzt, was prinzipiell in den phonologischen Varianten [ˈgʀaḅəln], *[ˈgʀab.əln] oder *[ˈgʀab.bəln] umgesetzt werden kann. Die letzten beiden lautsprachlichen Repräsentationen sind phonotaktisch nicht zulässig, die erste repräsentiert zwar ein phonologisches Silbengelenk, vernachlässigt aber, dass der Gelenkkonsonant zu beiden Silben gezählt wird. Das Material wählt daher entweder (a) eine stark verkürzte (und mitunter fehlleitende) Darstellung des ambisilbischen Konsonanten oder (b) eine fachlich inadäquate Darstellung der phonetischen Artikulationsbedingungen. Wie in Kapitel 4.2.2.1 angeführt, kann – nach Maas (2006) sogar: muss – der intersilbische konsonantische Laut phonetisch der zweiten Silbe zugeordnet werden. In der suprasegmentalen Phonologie wird das Phänomen daher nicht über das einzelne Segment in der Silbe, sondern über die enge Bindung zwischen dem Vokal der betonten und dem Konsonanten der unbetonten Silbe erklärt. Im untersuchten Unterrichtsmaterial erhärtet sich in den auf die Erklärung folgenden Aufgabenstellungen hingegen der Verdacht, dass dem Material eine fachlich inadäquate phonologische Vorstellung zugrunde liegt, die die Artikulation einer Geminate provoziert:



Abb. 22 Auszug 2 aus Materialbeispiel C1 (Schroedel 2010, S. 14, © Westermann Gruppe)

Wofür die Erklärung und Bearbeitung der Aufgaben letztlich dienen, wird nicht explizit benannt: In keinem Abschnitt der Seite wird die Schreibung der Wörter als expliziter Lerngegenstand ausgewiesen, eine Verortung auf der Ebene des gesprochenen oder geschriebenen Wortes wird nicht vorgenommen, sodass auch nicht klar ist, ob die Rede von dem „langen a“ oder von der Silbe, die „mit einem b“ endet, auf Phoneme oder Grapheme bezogen ist. Eine bewusste Differenzierung zwischen dem gesprochenen

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7 Anlage der empirischen Untersuchung

und geschriebenen Wort, die vor allem die Unterschiede am Silbenübergang (im Gesprochenen: einfaches konsonantisches Phonem, im Geschriebenen: doppelte Konsonantengrapheme) hervorhebt, findet nicht statt; ebenso wenig wird die Verdopplung des Konsonantengraphems im Geschriebenen unter funktionalen Aspekten beleuchtet, obwohl die sinnvolle Vorgabe ausschließlich prototypischer trochäischer Wörter dies nahelegen würde. Durch die angebotenen Hilfestellungen des Silbensprechens und des Untergliederns der geschriebenen Wörter mithilfe von Trennstrichen wird stattdessen eine schriftinduzierte Aussprache provoziert, die eine Gleichsetzung von gesprochener und geschriebener Sprache im Sinne der Abbildtheorie (s. 4.1) suggeriert. Wenngleich die erkennbare Zielsetzung der Materialseite nicht dezidiert auf die Wortschreibung ausgerichtet ist (und sie vermutlich der Wiederholung von Lerninhalten dient), sind zielführende schriftstrukturelle Einsichten im Rahmen ihrer Bearbeitung nicht zu erwarten. Die Darstellung birgt vielmehr Risiken eines fachlich verkürzten bzw. inadäquaten und didaktisch fehlleitenden Zugangs. Die angeregten kognitiven Aktivitäten beschränken sich zudem auf reproduktive Anforderungen (Wörter aussprechen) und nur minimalen Transfer (gesprochene Wörter verschriften).

7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung

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2. Materialbeispiel: i oder ie in zweisilbigen Wörtern (Mildenberger Verlag 2008: ABC der Tiere 2. Spracharbeitsheft Teil B, hrsg. von K. Kuhn, S. 33) Im Unterschied zum ersten Materialbeispiel bewegen sich die Erklärung und Aufgabenstellung des zweiten Beispiels ausschließlich auf der Ebene des geschriebenen Wortes.

Abb. 23 Auszug aus Materialbeispiel C2 (Mildenberger 2008, S. 33, © Mildenberger Verlag GmbH)

In dem Arbeitsheft für den 2. Grundschuljahrgang wird die Schreibung von oder über ihre Position in der ersten Schreibsilbe des Wortes erklärt: Folgt dem Vokalgraphem der ersten Silbe noch „ein weiterer Buchstabe“ (s. Materialauszug), wird geschrieben, anderenfalls . Es wird weder mit den Begriffen offene und geschlossene Silbe gearbeitet, noch werden Bezüge zur gesprochenen Silbe (einschließlich Vokalquantität und Vokalqualität) hergestellt. Stattdessen werden die angegebenen Wörter, die ausschließlich prototypische graphematische Zweisilber sind, rein strukturell untersucht. Als visuelle Strukturierungshilfe dient dabei die farblich unterschiedliche Markierung der ersten und zweiten Silbe. Im abgebildeten Tafelbild werden zwei Beispielwörter (Spiegel, Winter) zusätzlich mit Silbenbögen unterlegt, die verdeutlichen können, ob nach dem Vokalgraphem ‚(k)ein weiterer Buchstabe folgt‘. Aus graphematischer Sicht

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7 Anlage der empirischen Untersuchung

erscheint die Vorgehensweise bzw. der Ansatz am geschriebenen zweisilbigen Wort grundsätzlich sinnvoll: Das wird regelhaft an die offene graphematische Silbe, das an die geschlossene graphematische Silbe gebunden und kann so auf die gleiche Weise wie die anderen Vokalgrapheme, die die Vokalquantität ausschließlich suprasegmental kodieren, erarbeitet werden. Einsichten in die schriftimmanenten Regularitäten der /-Schreibung sind somit möglich. Auf der anderen Seite ist die Formulierung der Regeln durch den Verzicht auf die Begriffe offene/geschlossene Silbe sowie durch die fehlende Ausweisung des ‚weiteren Buchstaben‘ als Konsonantenbuchstaben sprachlogisch anspruchsvoll. Zudem spielt auf dieser Seite die Funktionalität der Unterscheidung von und in ihrer Beziehung zum gesprochenen Wort (noch) keine Rolle. Die Materialseite lässt demnach im Hinblick auf die funktionale Begründung Erklärungsspielraum. In Bezug auf ihren methodischen Zugang zeigt sich, dass sprachanalytische Operationen durch die Vorgabe der Regeln nur im Transfer (Übertragung und Anwendung der Regeln auf weitere Wörter zur Generierung der richtigen Wortschreibung) erfolgen, eigene Entdeckungen werden hingegen nicht angeregt; auch die Silbengrenzen sind bereits vorgegeben, sodass die Transferanforderungen aufgrund des bereitgestellten deklarativen Regelwissens relativ gering sind. 3. Materialbeispiel: Robotersprache (Klett 2011: deutsch.kombi plus 1. Arbeitsheft zur Sprachförderung (Klasse 5), hrsg. von S. Utheß, S. 17) Der dritte vorlegten Materialausschnitt präsentiert einen Merkkasten, der in einem Arbeitsheft zur Sprachförderung in Klasse 5 allgemeine Tipps zum Richtigschreiben gibt: Als Leitlinie gilt das Zerlegen von Wörtern in Silben, das auf unterschiedliche Weise, auditiv oder visuell, unterstützt werden kann.

Abb. 24 Materialbeispiel C3 (Klett 2011, S. 17, © Ernst Klett Verlag GmbH)

7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung

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Die Leistung der Hilfestellung wird klar benannt: In langen, schwierigen Wörtern, insbesondere bei doppelten Buchstaben, sollen Schüler/-innen über die sprechsilbische Gliederung der Wörter „hören, wie sie geschrieben werden“ (s. Merktext). Intendiert ist also nicht nur eine Wortzerlegung zur Unterstützung des Wortschreibens (etwa beim Abschreiben), sondern eine Silbengliederung zur Erschließung der richtigen Schreibung über die auditive Wahrnehmung. Die primäre Bezugsgröße stellt das gesprochene Wort dar, von dem auf die richtige Schreibung geschlossen werden soll. Auch hier deutet sich, ähnlich wie im ersten Beispielmaterial, ein dependenztheoretisches Verständnis der Beziehung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache an. Problematisch erweist sich dies in mehrfacher Hinsicht: - Das Prinzip der ‚Hörbarkeit‘ ist mit Verweis auf die sprachwissenschaftlichen Grundlagen (s. Kapitel 4) grundsätzlich kritisch zu betrachten: Ein adäquater Umgang mit den phonologisch-graphematischen Bezügen ist voraussetzungsreich. Er erfordert differenzierte Kenntnisse zu den autonomen Strukturen beider Sprachformen, also zum gesprochenen Wort ebenso wie zum geschriebenen. Erst dann können die Interdependenzen erfasst und angewendet werden. - Insbesondere bei komplexen Wörtern und Wörtern aus dem Peripheriebereich, die häufig zu den „langen und schwierigen Wörtern“ (s. Merktext) zählen, sind viele graphematische Markierungen nicht ‚hörbar‘, sondern verlangen eine morphologische Analyse oder eine separate Beschäftigung mit Fremdwortschreibungen. - Der Einwand zu den peripheren Schreibungen betrifft auch das im Merktext angegebene Beispielwort Robotersprache, ein Kompositum, dessen erster Bestandteil Roboter in mehrerer Hinsicht eindeutig vom deutschen Prototyp abweicht: Als dreisilbige Form ist er zwar erstsilbenbetont und verfügt über einen reduzierten Vokal in der letzten Silbe, zumindest in der zweiten Silbe und u. U. – je nach Aussprachevarietät – auch in der ersten Silbe wird der Vokal aber kurz und ungespannt gesprochen. Dies würde auf Ambisilbizität bzw. festen Anschluss hindeuten, ist graphematisch aber nicht entsprechend (etwa *) gekennzeichnet. - Auf der anderen Seite ist der Tipp, deutlich zu sprechen, gerade im Hinblick auf „Buchstabenverdopplungen“ (s. Merktext) wenig zielführend: Weder doppelte Vokalgrapheme noch doppelte Konsonantengrapheme (als Silbengelenkschreibung oder an Morphemgrenzen) können auditiv erfasst werden, sondern erfordern

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umfangreiche schriftstrukturelle Kenntnisse (s. auch Materialbeispiel 1). Eine Silbengliederung führt hier entweder zu einer künstlichen, schriftinduzierten Aussprache, indem das Material die „Schrift zur Analysebasis der Lautsprache" (Bredel 2015a, S. 257) macht, oder sie ist ohne weiteres graphematisches Strukturwissen erfolglos. - Die Anwendung einer Robotersprache unterstützt ebenfalls eine gegenstandsinadäquate Artikulation und lädt zu einer Aufhebung der prosodischen Wortstrukturen zugunsten einer monotonen Gleichbetonung aller Silben ein. Wo sich die orthographisch relevanten Stellen eines geschriebenen Wortes befinden, kann so nicht entdeckt bzw. berücksichtigt werden. - Das Unterlegen der Wörter mit Silbenbögen kann helfen, Schreibungen zu überprüfen, etwa um vergessene Grapheme zu identifizieren; ohne eine Auseinandersetzung mit den Positionen innerhalb der Schreibsilbe und ihre Bedeutung für die Sprechsilbe wird jedoch auch diese Hilfestellung nicht gewinnbringend genutzt werden können. (Das Aufschreiben mithilfe von Trennstrichen kann überdies für Verwirrung sorgen, indem es das grundlegende System der Wortschreibung mit der Norm zur Worttrennung am Zeilenende vermischt.) In den kritisierten Aspekten, die sich aus einer fachlich problematischen Gegenstandspräsentation ergeben, zeigt sich, dass das Material ein erhebliches Risiko birgt, Schüler/-innen zu graphematischen und orthographischen Fehlkonzeptionen zu führen. Zielführend genutzt werden können die Anregungen nur, wenn bereits schriftstrukturelle Einsichten gewonnen wurden – in diesem Fall kann die Silbengliederung als zusätzliche Schreibhilfe wirken. Anderenfalls ist zu erwarten, dass die Tipps zu einem unangemessenen Gegenstandsverständnis führen und wenig ‚echte‘ Hilfe bieten. Da das Material sich insbesondere an schwache Lernende in der Sprachförderung richtet, diese aber, wie in Teilkapitel 5.1 betont wurde, in besonderem Maße auf ein gut strukturiertes und sachstrukturell angemessenes Lernangebot angewiesen ist, das den Lautbezug der Schrift gerade nicht als (vermeintlich) einfachsten Zugang in den Vordergrund stellt, widerspricht die Anregung zur Robotersprache somit sowohl den gegenstandsstrukturellen als auch lernerorientierten Annahmen, die in der vorliegenden Arbeit konzeptionell leitend sind.

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4. Materialbeispiel: Verlängern und Silbensprechen bei (Klett 2009: deutsch.kombi plus 2. Sprach- und Lesebuch für die 6. Klasse, hrgs. von S. Utheß, S. 103)

Abb. 25 Materialbeispiel C4 (Klett 2009, S. 103, © Ernst Klett Verlag GmbH)

Das letzte Materialbeispiel stammt aus einem Sprach- und Lesebuch für Jahrgang 6 und bietet, ähnlich wie das dritte Beispiel, Strategien zur Generierung richtiger Wortschreibungen an, hier allerdings mit dem Schwerpunkt auf der -Schreibung. Das Verlängern von Wörtern stellt dabei den ersten Schritt dar, an den sich das Silbensprechen anschließt, um das „hörbar“ (s. Aufgabentext) zu machen: „Bli? -> Blit-ze“. Die primäre Bezugsgröße ist auch in diesem Material das gesprochene Wort und auch hier erscheint die phonologische Fundierung nur oberflächlich: Die ‚phonologische Inputbedingung‘ der -Schreibung wird nicht silbenstrukturell, sondern segmental interpretiert und dabei allem Anschein nach nicht als Affrikate in Silbengelenkposition aufgefasst, sondern als Phonemfolge aus /t/ und /s/, deren Einzelphoneme sich jeweils auf den Endrand der ersten und den Anfangsrand der zweiten Silbe verteilen. Der mono- oder biphonematische Status von /ts/ ist in der Phonologie umstritten (s. Fußnote 71, S. 122), sodass eine Betrachtung als Phonemfolge fachlich nicht eindeutig zurückgewiesen werden kann, wohl aber ist eine kritische Bewertung des Zugangs hinsichtlich seines didaktischen Potenzials zur Erklärung der Wortschreibung angezeigt. Im untersuchten Materialauszug wird, wie beschrieben, nicht auf die Funktion der -Schreibung als Indikator einer geschlossenen graphematischen Hauptsilbe und eines korrespondierenden phonologischen Silbengelenks eingegangen, sondern eine Ableitung aus dem Gesprochenen vorgenommen. Da das Material keinen expliziten Hinweis dazu gibt, an welcher Stelle die -Schreibung im Wort überhaupt auftreten kann

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(z. B. in- und auslautend), ist unklar, wie die unterschiedlichen Schreibentscheidungen etwa bei [ˈʦiː.ən] – ziehen, [ˈtʀiː.ʦən] – triezen und [ˈblɪʦ̣ ə] – Blitze begründet würden, schließlich ist auch die phonologische Repräsentanz von in wortinitialer Position nicht ohne plosiven Anteil zu artikulieren, sondern korrespondiert ebenfalls mit [ʦ]. Zwar wird der erste Teil von [ʦ], wenn es als Geminate gesprochen wird, tatsächlich ausschließlich vom plosiven Bestandteil artikuliert, z. B. [blɪt.ʦə] (vgl. z. B. Becker 2012, S. 107). Wie jedoch bereits mehrfach aufgezeigt wurde, kommen Geminaten in der deutschen Standardsprache nicht mehr vor. Darüber hinaus erweist sich die sprechsilbische Wortgliederung als äußerst unsicherer Zugang, schließlich wäre es für Schüler/-innen ohne Weiteres möglich, das Wort triezen auch als *[tʀiːt.ʦən] zu artikulieren. Eine Fokussierung auf die konsonantische Artikulation am Silbenübergang erscheint daher nicht geeignet, um die Schreibentscheidung zwischen und zu unterstützen. Die fragwürdige Konzeption des Materials zeigt sich noch deutlicher darin, dass die angegebenen Beispielwörter höchst problematisch ausfallen: Einige von ihnen liegen bereits in zweisilbiger Form vor (schmatzen, kitzeln, motzen, Mütze) und machen das Verlängern obsolet; andere hingegen sind komplexe Wörter (zuletzt, plötzlich), deren Struktur morphologisch nicht (mehr) transparent ist und die nicht zielführend gegliedert und verlängert werden können (eine Verlängerung zu letzte stellt keinen Zugewinn für die (vermeintliche) Hörbarkeit dar). Zudem erscheint die Sortierung nach atz, etz, itz, otz, utz, ötz, ütz willkürlich, da sie keine grammatischen Einheiten der Schrift darstellen, an denen weiterführende systematische Entdeckungen gemacht werden können. Im Materialbeispiel 4 überwiegen daher insgesamt die kritischen Aspekte, die folgenschwere Fehlannahmen zum Lerngegenstand nach sich ziehen können. Die Operation des Verlängerns ist zwar für die Erschließung von Silbengelenkschreibungen einschließlich sinnvoll, nicht jedoch mit der Intention, die phonologische Repräsentation [ʦ] – unabhängig davon, ob man sie mono- oder biphonematisch wertet – in ihre plosiven und frikativen Anteile zu zerlegen und auf diese Weise die richtige Schreibung zu erklären. Dass die Silbengelenkschreibung in allen drei Interviewteilen explizit thematisiert wurde und somit gegenüber den anderen Regularitäten ein besonderes Gewicht erhält, begründet sich vor allem mit dem spezifischen Verhältnis zwischen phonologischen und graphematischen Strukturen, das sie auszeichnet und dadurch auch unterschiedliche sachangemessene Erklärungsansätze zulässt (siehe 4.5.2.1).

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Die mehrfache Thematisierung des silbeninitialen ist hingegen gerade auf ihre aus fachlicher Sicht ausschließlich graphematische Begründung zurückzuführen. Indem in B3 auch ein Kommentar des Schülers zu seiner (Fehl-)Schreibung angegeben wurde, der zum einen die (vermisste) ‚Hörbarkeit‘ des , zum anderen die mögliche Dehnungsfunktion andeutet, sollten die Lehrkräfte implizit zur eigenen Positionierung bzw. Erklärung der funktional-strukturellen Merkmale und didaktischen Zugänglichkeit der -Schreibung aufgefordert werden. Generell wurden sowohl in Interviewteil B als auch C Beispiele vorgelegt, die auch – explizit oder implizit – auf die (vermeintliche) ‚Hörbarkeit‘ von graphematischen Strukturen anspielen (so z. B. die Schülerkommentare in B1 und B3 und die Materialauszüge in C3 und C4) und Stellungnahmen zur fachlichen Richtigkeit sowie didaktischen Angemessenheit provozieren. Insbesondere das Inputbeispiel C3 (Robotersprache) lässt, gewissermaßen unter dem ‚Deckmantel‘ der Silbe, einen relativ offensichtlichen Bezug auf die Abbildtheorie (s. 4.1) und das lautliche Einzelsegment erkennen. 7.2.3

Stichprobe: Auswahl der Interviewpartner/-innen

Die Auswahl eines geeigneten Verfahrens zur Bestimmung der Untersuchungsgruppe wird von dem bereits zum Beginn der Projektplanung formulierten Erkenntnisinteresse und den daraus hervorgehenden Forschungsfragen gelenkt: Zum einen sollen vertiefende Einblicke in die Wissensbestände und didaktischen Handlungsorientierungen der Lehrenden zum Lerngegenstand Wortschreibung gewonnen, zum anderen der Blick auf den Bereich der Wortschreibung gerichtet werden, der sich nach den Erkenntnissen der Graphematik regelhaft erschließen lässt. Wie die Ausführungen in den Kapiteln 4 und 5 verdeutlicht haben, sind die schriftgrammatischen Regularitäten der deutschen Kernwortschreibung grundlegend über kanonische zweisilbige Fußstrukturen zu erfassen. Vor diesem fachlichen Hintergrund wird davon ausgegangen, dass auch der Aufbau von Wortschreibungskompetenz im Grundschulunterricht wesentlich an den regelhaften Wortstrukturen orientiert sein und sich auf größere Bezugseinheiten als den Einzellaut bzw. -buchstaben beziehen sollte. Wie darüber hinaus gezeigt wurde, kann dabei der (graphematischen) Silbe eine besondere Rolle zugewiesen werden. Ein zentrales Untersuchungsanliegen der angestrebten Interviewstudie besteht deshalb darin, Lehrende hinsichtlich ihres Zugangs zu den regelhaften Strukturen der Wortschreibung

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7 Anlage der empirischen Untersuchung

im Allgemeinen und zu ihren silbischen Strukturzügen im Speziellen zu befragen. Mit dieser Zielsetzung wird ein besonderes Untersuchungsinteresse an Lehrkräften festgehalten, die neben der aktiven Lehrtätigkeit in der Grundschule (s. dazu die Begründung der Zielsetzung und Fragestellung in Kapitel 6) auch das Kriterium einer Vorstellung vom schriftsprachlichen Lehren und Lernen erfüllen, in der die Silbe als geeignetes „Einstiegselement“ (Bredel 2016, S. 449) betrachtet wird. Mit der Silbenorientierung der Lehrenden ist zwar ein grundlegendes Kriterium für die Generierung des Samples, d. h. die Auswahl der Untersuchungspersonen, bestimmt; konkrete Zugänge zum Feld sind auf diese Weise jedoch noch nicht klar definiert. Um ein an der Fragestellung orientiertes und gleichzeitig methodisch transparentes Vorgehen der Stichprobengenerierung sicherzustellen, erwies sich im Planungsprozess schließlich das theoretical Sampling, eine aus der Grounded Theory-Methodologie hervorgehende Herangehensweise, als geeignet: Hierbei werden die interessierenden Untersuchungspersonen/-gruppen durch parallel ablaufende Erhebungs-, Kodier- und Analyseprozesse der Daten sukzessive bestimmt, um „eine aus den Daten hervorgehende Theorie [zu] konzeptualisieren und [zu] formulieren“ (Glaser und Strauss 2010, S. 62). Auch wenn in der vorliegenden Arbeit schon zu Beginn der Untersuchungsplanung eine präzise Fragestellung vorlag und eine erst im Prozess der Datenerhebung zu entwickelnde Theorie daher nicht der Zielsetzung der Interviewstudie entsprach, wurde die Stichprobengenerierung nach dem Prinzip des theoretical samplings als zielführend angesehen: Durch die enge Verknüpfung von Datenerhebung und -analyse sowie die damit einhergehende sukzessive Auswahl weiterer Gesprächspartner/-innen innerhalb des festgesteckten Anforderungsprofils kann eine breite und theoretisch gesättigte Datengrundlage erwirkt werden. Folgenden Ansprüchen, die die Methodologie der Grounded Theory begründen, wird dabei eine untersuchungsrelevante Bedeutung beigemessen: - Die „theoretische Sensibilität“ (ebd.) der Forschenden für die in den Daten liegenden – und nicht etwa von Vorannahmen gelenkten – Inhalte ist auch im Untersuchungsfeld der orthographischen Lehrerkompetenz aufrechtzuerhalten, um den befragten Untersuchungspersonen nicht bereits ein ‚Konzept-Korsett‘ aufzuzwängen (s. Kapitel 3), sondern Einblicke in die tatsächlich handlungsleitenden Orientierungen der Lehrenden zu gewinnen. - Eine (flexible) Orientierung am Prinzip der Minimierung und Maximierung „der Unterschiede und Ähnlichkeiten der für die untersuchten Kategorien relevanten Daten“ (ebd., S. 70) bietet einen

7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung

209

fruchtbaren Ansatz dafür, eine inhaltlich möglichst breite Datengrundlage innerhalb des abgesteckten Untersuchungsbereichs zu ermitteln und dabei gleichzeitig im Prozess der Datenerhebung selbst wahrzunehmen, wann die Datengrundlage theoretisch gesättigt ist, d. h. keine weiteren Merkmalsausprägungen mehr zu erwarten sind (vgl. ebd.). Anhand dieser Richtlinien der Stichprobengenerierung wurde die Untersuchungsgruppe der hier vorgestellten Interviewstudie ermittelt. Ihr vorgeschaltet war eine Pilotierungsphase, in der Interviews mit vier Lehrenden geführt wurden, um - die Anlage des dreigeteilten Interviewdesigns und den Aufbau des Interviewleitfadens auf ihre praktische Eignung hin zu überprüfen und ggf. zu modifizieren; - eine begründete Auswahl der Inputbeispiele in den Interviewteilen B (Fehlschreibungen) und C (Materialauszüge) zu treffen – in den Pilotierungsinterviews wurden zu diesem Zweck ein deutlich größere Zahl an Inputschreibungen und -materialien als die letztendlich ausgewählten Beispiele (s. 7.2.2) vorgelegt; - die Rückkopplung der erhobenen Interviewdaten an die leitende Fragestellung der Studie zu überprüfen. Darüber hinaus wurde auch die intendierte Konzentration auf Lehrende der Grundschule durch die Pilotierung abgesichert, indem zwei Gespräche gezielt mit Lehrerinnen geführt wurden, die zwar über Grundschulerfahrung verfügten, zum Zeitpunkt der Interviews aber in der Sekundarstufe I tätig waren und somit eine ‚erweiterte‘ Perspektive auf den Lerngegenstand präsentieren konnten (etwa durch Auskünfte und Überzeugungen zum Aufbau der Wortschreibungskompetenz über die Grundschule hinaus). In der anschließenden Analyse der Daten konnte jedoch festgestellt werden, dass durch die schulformübergreifende Perspektive ein so breites Spektrum an Inhalten abgedeckt wurde, dass eine Fokussierung auf das leitende Untersuchungsinteresse bei einer Berücksichtigung von sowohl Grundschul- als auch Sekundarstufenperspektiven als äußerst schwierig eingeschätzt wurde. Aus diesem Grund wurde die Hauptuntersuchung auf Grundschullehrende begrenzt. Um keine auf das Bundesland Hamburg97 begrenzte und somit u. U. durch behördliche Rahmenbedingungen einseitig geprägte Bestandsauf-

97

Hier ist die vorliegende Studie primär verortet.

210

7 Anlage der empirischen Untersuchung

nahme zu generieren, sondern zumindest Tendenzen für den norddeutschen Bereich aufzeigen zu können, wurde als zusätzliche Stichprobenanforderung festgelegt, neben Grundschullehrer/-innen in Hamburg auch eine kleine Gruppe von Lehrenden aus den Bundesländern Schleswig-Holstein und Niedersachen zu befragen. Der initiale Feldzugang, d. h. die Kontaktaufnahme mit potenziellen Interviewpartner/-innen, erfolgte in der Pilotierung ebenso wie in der Hauptuntersuchung über universitäre Kontakte zu Lehrenden (etwa über Kooperationsprojekte mit Schulen), die aufgrund ihres sprachwissenschaftlichen Hintergrundes (nachgewiesen durch den Besuch entsprechender universitärer Veranstaltungen) einen silbenorientierten und einphasig modellierten Zugang zur Wortschreibung als leitende Prämissen ihres Schriftsprachunterrichts in der Grundschule ausgaben. Da sich der Zugang zu Lehrer/-innen dieser Ausrichtung im Feld aber grundsätzlich als sehr mühsam erwies, wurde schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt das sogenannte Schneeballverfahren (vgl. z. B. Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, S. 184) zur weiteren Erschließung des Feldes eingesetzt: Mithilfe von Empfehlungen der befragten Lehrer/-innen wurden weitere Interviewpartner/-innen für die Studie gewonnen. Durch die bereits parallel zu den ersten Interviews vorgenommene Kodierung und Analyse der ersten erhobenen Daten konnten zudem Anhaltspunkte für die weitere Suche geeigneter Gesprächspartner/-innen ermittelt werden: Nach einer Konzentration auf Lehrpersonen, die ihre didaktische Ausrichtung wesentlich mit der durchlaufenen sprachwissenschaftlichen Ausbildung begründeten, wurden Lehrkräfte hinzugezogen, für die aufgrund des verwendeten Lehrgangs eine leitende Silbenorientierung angenommen und somit „ähnliche und zugleich wichtige, in die vorherige Datenerhebung nicht eingegangene Unterschiede“ (Glaser und Strauss 2010, S. 71) erwartet werden konnten (entspricht dem Prinzip der Minimierung der Unterschiede). Entsprechende Interviewanfragen wurden an Schulleitungen und Lehrende gesendet, für die Angaben zum Einsatz eines explizit als ‚Silbenfibel‘ ausgewiesenen oder silbenorientiert arbeitenden Lehrwerks vorlagen; Interviewzusagen wurden jedoch ausschließlich von Lehrenden erhalten, deren Unterricht sich am Schreib- und Leselehrgang ABC der Tiere orientiert. Nach dem ‚Schneeballprinzip‘ konnten hier zahlreiche Interviewkontakte hergestellt und genutzt werden, bis eine theoretische Sättigung der Daten erreicht war, sich die Zugriffe und Orientierungsmuster der Lehrenden, die mit dem genannten Lehrgang arbeiteten, also wiederholten und keine neuen Aspekte mehr hinzukamen.

7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung

211

Parallel hierzu wurde eine Maximierung der Unterschiede von für das Erkenntnisinteresse relevanten Daten angestrebt: Befragt wurden dabei gezielt Lehrkräfte, die nach Selbstauskunft zwar nach wie vor zweiphasigen Modellen schriftsprachlichen Lernens mit einzellautbasierter Erstorientierung folgen, dabei aber um eine systematische Rahmung der Lernprozesse bemüht sind, indem sie von vornherein die Auseinandersetzung mit orthographisch richtigen Wortschreibungen unter Einbezug der Silbe anregen. Der Feldzugang wurde hier ebenfalls über die Kontaktaufnahme mit Schulleitungen und Landesinstituten, auch Vertreter/-innen niedersächsischer und schleswig-holsteinischer Universitäten sowie mithilfe von Empfehlungen der bereits befragten Lehrenden geschaffen. Die folgende Übersicht (s. Tab. 8) fasst die wesentlichen Schritte der Sample-Entwicklung noch einmal zusammen. Tab. 8 Schritte des theoretical samplings zur Auswahl der Interviewpartner/-innen der Studie

Schritte zur Bestimmung der Untersuchungsgruppe 1. Befragung von Lehrenden mit einer durch die Inhalte der sprachwissenschaftlichen und -didaktischen Ausbildung geprägten einphasigen schriftsprachdidaktischen Ausrichtung 2. Befragung von Lehrenden mit einer durch das eingesetzte silbenorientiert arbeitende Lehrwerk geprägten schriftsprachdidaktischen Ausrichtung 3. Befragung von Lehrenden mit einer grundsätzlich zweiphasigen Vorstellung schriftsprachlichen Lernens, aber gleichzeitigem Bemühen um die Anregung eines Bewusstseins für regelhafte Wortstrukturen unter Einbezug der Silbe Durch die dreischrittige Stichprobengenerierung sollte ein Sample sichergestellt werden, das groß genug ist, um „kontrastierende Fälle zu finden“ (Przyborski und Wohlrab-Sahr 2014, S. 187), die die angestrebte Breite der Daten und somit tiefgehende Einblicke in die Zugriffe von Lehrenden auf regelhafte und schreibsilbisch begründbare Strukturen der Wortschreibung gewährleisten. Befragt wurden im Verlauf des theoretical samplings insgesamt 20 Grundschullehrkräfte, von denen zwei aus der für die Studie geeigneten Untersuchungsgruppe ausgeschlossen wurden, da sie die Orientierung an regelhaften Wort- und Silbenstrukturen in den Interviews nicht als für sie leitende Lerninhalte der ersten Grundschuljahre präsentierten.

212

7 Anlage der empirischen Untersuchung

Die Mehrheit der für die endgültige Stichprobe von N = 18 ausgewählten Fälle war zum Zeitpunkt der Interviews an Grundschulen in Hamburg tätig (n = 13); aus den oben genannten Gründen wurde eine kleine Gruppe von Lehrenden in Schleswig-Holstein (n = 3) und Niedersachsen (n = 2) hinzugezogen. In die Studie wurden also letztlich 18 aktive Grundschullehrkräfte in Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen, darunter sowohl Fachlehrkräfte (n = 13) als auch fachfremd unterrichtende Lehrende (n = 5), einbezogen,98 die sich auf insgesamt zwölf Schulen verteilten. Aufgrund der dargestellten Vorgehensweisen erstreckte sich die Datenerhebung über einen recht großen Zeitraum von Mai 2014 bis Februar 2015. Die individuelle Dauer der Interviews variierte dabei zwischen 01:15 und 02:30 Stunden. Alle Gespräche wurden videographiert99 und vollständig transkribiert (zu den Konventionen der Transkriptionen s. Anhang B). In welchen Klassenstufen der Grundschule die befragten Lehrpersonen zum Zeitpunkt der Interviews gerade eingesetzt waren, wurde als zweitrangig erachtet, da zur Erfüllung der ‚Profilanforderungen‘ die nachgewiesene Lehrerfahrung im Schriftsprachunterricht der Jahrgänge 1 und 2 als wichtigste Grundvoraussetzung betrachtet wurde. Dennoch führt die folgende Übersicht für alle befragten Lehrenden die zum Zeitpunkt der Interviews unterrichteten Jahrgänge zur Information tabellarisch auf.

98

99

Der IQB-Ländervergleich 2011 ermittelte für Hamburg einen Anteil von 34% fachfremd unterrichtenden Deutschlehrkräften an Grundschulen (vgl. Richter et al. 2012, S. 240). Dies erwies sich insofern als hilfreich, als mithilfe der Bildaufnahmen insbesondere in den Interviewteilen B und C, in denen sich die Lehrenden mit den vorgelegten Inputmaterialien beschäftigten, eindeutig erfasst werden konnte, worauf sich die Äußerungen spezifisch bezogen. Zudem konnten Mimik und Gestik unterstützend zur Analyse der verbalen Daten hinzugezogen werden.

7.2 Die Datenerhebung: Experteninterview mit Kontextuierung

213

Tab. 9 Angaben der Lehrenden zu den unterrichteten Jahrgängen im Unterrichtsfach Deutsch Lehrperson L01 L02 L03 L04 L05 L06 L07 L08 L09 L10 L11 L12 L13 L14 L15 L16 L17 L18

zum Zeitpunkt des Interviews unterrichtete Jahrgänge im Fach Deutsch 1 2 3 4 X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X X

Als zufällige Variablen der Sample-Zusammensetzung wurden die jeweiligen soziokulturellen Rahmenbedingungen der Schulen, an denen die befragten Lehrenden zum Zeitpunkt der Untersuchung tätig waren, und ihre individuelle Berufserfahrung erfasst. Hierbei konnte für die in Hamburg unterrichtenden Lehrenden auf zugewiesene Sozialindizes der jeweiligen Schulen zurückgegriffen werden, die im Auftrag der Hamburger Behörde für Schule und Berufsbildung auf der Basis schriftlicher Befragungen von Schüler/-innen und Eltern sowie regionaler Strukturdaten für die soziokulturellen Rahmenbedingungen der Schulen errechnet werden (ausführlich dazu: Schulte et al. 2014). Für die fünf Lehrerinnen, die in Niedersachsen und Schleswig-Holstein arbeiten, mussten entsprechende Angaben den persönlichen Einschätzungen der Lehrerinnen bzw. der Schulleitungen entnommen werden, da es in diesen Bundesländern keinen vergleichbaren Index gibt. Tab. 10 und Tab. 11 geben die quantitative Verteilung der Lehrenden in den entsprechenden Variablen wieder. Dabei fällt zum einen auf, dass eine deutliche Mehrheit der Untersuchungspersonen Schulen mit (eher) ungünstigen soziokulturellen Rahmenbedingungen zugeordnet ist (s. Tab. 10); zum anderen zeigt sich, dass die Hälfte der Stichprobe über eine über

214

7 Anlage der empirischen Untersuchung

10-jährige Berufserfahrung im Unterrichtsfach Deutsch verfügt (s. Tab. 11). Tab. 10 Soziokulturellen Rahmenbedingungen der den Lehrkräften zugeordneten Schulen Soziokulturelle Rahmenbedingungen der Schülerschaft (eher) günstig Durchschnittlich (eher) ungünstig

Anzahl der befragten Lehrer/-innen 5 3 10

Tab. 11 Berufserfahrung der befragten Lehrenden in Jahren Berufserfahrung der Lehrenden in Jahren > 10 Jahre 4-10 Jahre < 4 Jahre

Anzahl der befragten Lehrer/-innen 9 5 4

Anhand der vorausgehenden Ausführungen wurden die zentralen Vorgehensweisen und Begründungszusammenhänge des methodischen Designs der Studie und der Datenerhebung vollständig erfasst. Das nächste Teilkapitel 7.3 legt offen, auf welche Weise mit den erhobenen Daten gearbeitet wurde und worin die maßgeblichen Herausforderungen der Datenauswertung bestanden. 7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse Mit der Festlegung der leitenden Fragestellung und des Forschungsdesigns wurden bereits zentrale Anforderungen an das Auswertungsverfahren zum zielführenden Umgang mit den Interviewtexten bestimmt: Als Resultat der Durchführung von Experteninterviews liegen umfangreiche verbale Daten vor, die die Auswahl eines Verfahrens indizieren, das die differenzierte und systematische Erfassung von Textbedeutungen ermöglicht. Das spezifische Interesse an dem von den befragten Lehrenden explizierten sachstrukturellen Verständnis der Wortschreibung und darauf bezogenen didaktischen Handlungsorientierungen auf der einen Seite (s. Leitfragen 1 und 2 in 6.2) und den dabei beobachtbaren Zusammenhängen auf der anderen Seite (s. Leitfrage 3) schließt den Anspruch an das Analyseverfahren ein, sowohl ‚manifeste‘ als auch ‚latente‘ Bedeutungsaspekte der Textdaten zugänglich zu machen. Es musste also ein analytischer Zugang ausgewählt werden, der zum einen die systematische Bearbeitung der

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

215

spezifischen Forschungsfragen ermöglicht, zum anderen aber ausreichend flexibel umsetzbar ist, um dem besonderen dreigeteilten Design der Interviews gerecht zu werden. Innerhalb des Methodenspektrums qualitativer Forschung wurden inhaltsanalytische Zugänge als „Verfahren zur systematisch-intersubjektiven Beschreibung der Bedeutung bzw. des Bedeutungspotenzials von Texten“ (Schreier und Groeben 1999, S. 44) ausgewählt, da sowohl deren methodologische Grundlegung als auch das darin leitende methodische Instrumentarium für die strukturierte Bedeutungserschließung der vorliegenden Textbasis geeignet erschien. In den weiteren Ausführungen soll die Entscheidung für die Auswertungsmethode zunächst begründet und anschließend in ihrer konkreten Anwendung unter Beachtung der Gütekriterien qualitativer Forschung dargestellt werden. Inhaltsanalytische Verfahren dienen der planvollen und methodisch fundierten Textverarbeitung. Die Zielsetzung einer qualitativ ausgerichteten Inhaltsanalyse unterscheidet sich von ihrem quantitativen Gegenmodell v. a. darin, dass es ihr besonders um die Herausarbeitung der „‘latente[n]‘ Bedeutungsaspekte (wie sie in den Inferenzen auf Autor, Kommunikation, Situation und Rezipient etc. zum Ausdruck kommen)“ (Groeben und Rustemeyer 2002, S. 242) geht, sie also auch die Erfassung nicht direkt explizierter Äußerungsgehalte ermöglicht. Groeben und Rustemeyer (2002) merken in diesem Zusammenhang allerdings relativierend an, dass auch die quantitative Inhaltsanalyse nicht einzig auf die explizit verbalisierten Inhalte untersuchter Äußerungen fokussieren kann, sondern auch nur eine „‘Abbildung‘ der gemeinten Bedeutung“ (ebd., S. 242) erzielt. Die Autor/-innen befinden daher eine Unterscheidung zwischen inferenzengen und -weiten Zugängen, d. h. den Grad der Weite von Schlussfolgerungen, die im Rahmen der Textverarbeitung getroffen werden, als angemesseneres Unterscheidungskriterium als die primäre Referenz auf ‚manifeste‘ versus ‚latente‘ Informationen. Formen der qualitativen Inhaltsanalyse wird demgemäß ein (eher) inferenzweites Vorgehen zugewiesen, das sich durch eine interpretative Bearbeitung der Textdaten auszeichnet (vgl. auch Heins 2016, S. 309). Durch die ganzheitlich ausgerichtete Texterschließung wird eine grundsätzlich flexiblere Handhabung des Verfahrens hervorgehoben, die eine stärkere Berücksichtigung des spezifischen Untersuchungsgegenstands beinhaltet, als dies in quantitativen Inhaltsanalysen möglich ist. Dennoch gilt auch für qualitative inhaltsanalytische Herangehensweisen der Anspruch einer transparenten Vorgehenssystematik: Anzustreben ist,

216

7 Anlage der empirischen Untersuchung

so Groeben und Rustemeyer (2002), eine gegenseitige „Passung von Gegenstand und Regelsystem“ (ebd., S. 246). In den angeführten Potenzialen und Anforderungsdimensionen qualitativer Inhaltsanalysen spiegeln sich zentrale Merkmale wider, die zuvor auch für die Auswertung der in der vorliegenden Arbeit zu untersuchenden Interviewdaten als bedeutsam ausgewiesen wurden: Zum einen sollten transparente Zugänge zu einer systematischen Bearbeitung der Forschungsfragen gefunden werden, zum anderen eine ausreichend flexible Gestaltung der Auswertungsprozesse möglich sein, um die spezifische Anlage des Erhebungsinstruments fruchtbar zu machen (s. oben). Folgende konstituierende Merkmale der qualitativen Inhaltsanalyse100 sollen in den weiteren Abschnitten des vorliegenden Kapitels anhand der hier leitenden Zielsetzung veranschaulicht werden und dabei die Eignung des Verfahrens für die vorgestellte Untersuchung begründen: 1. die „Kategorienorientierung des Verfahrens“ (vgl. Schreier 2014, Absatz 4): Im Mittelpunkt der qualitativen Inhaltsanalyse stehen die Erstellung und Anwendung eines Kategoriensystems, das eine strukturierende und zugleich textreduzierende Aufbereitung der Daten ermöglicht (vgl. ebd.). Groeben und Rustemeyer (2002, S. 239) bezeichnen die Entwicklung des Kategoriensystems als das „eigentliche Herzstück einer Inhaltsanalyse“ und fordern in diesem Zusammenhang eine ebenso nachvollziehbare wie methodisch nachprüfbare Darstellung der Kategoriengenerierung (vgl. ebd., S. 246). 2. die regelgeleitete Vorgehensweise: „Das Vorgehen ist systematisch, regelgeleitet, an den Gütekriterien der Validität und der Reliabilität orientiert.“ (Schreier 2014, Absatz 4). Auch bei der interpretativen Erschließung von Bedeutungsinhalten sind die Gütekriterien qualitativer Forschung zu erfüllen. In inhaltsanalytischen Zugängen sind diese in erster Linie an den Nachweis von InterkodierÜbereinstimmungen, d. h. an den Nachweis einer weitgehend identischen Anwendung des Kategoriensystems durch mindestens zwei Kodierer/-innen, zu erfüllen (vgl. u. a. Schreier und Groeben 1999, S. 50). Alternativ wird auch auf die Möglichkeit einer In-

100

Schreier (2014, Absatz 4), hebt hervor, dass es die qualitative Inhaltsanalyse nicht gebe, sondern in der Forschungsliteratur zahlreiche Definitionen einschließlich variierender Merkmalsbestimmungen existieren würden, aus denen jedoch grundlegende ‚gemeinsame‘ Eigenschaften abstrahiert werden könnten.

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

217

trakodier-Übereinstimmung verwiesen: Zur Kontrolle einer einheitlichen Kategorienanwendung „ordnet eine Codiererin bzw. ein Codierer die Textsegmente den Kategorien zu zwei verschiedenen Zeitpunkten zu, z. B. im Abstand von einer Woche“ (Hussy et al. 2013, S. 258). 3. die strukturierte Aufbereitung der Daten zur weiterführenden Bearbeitung: Mit der Entwicklung des Kategoriensystems ist das elementare ‚Werkzeug‘ zur inhaltsanalytischen Aufbereitung der Daten, „der Weg zum Ziel“ (Heins 2016, S. 309), nicht jedoch das Ziel der Datenbearbeitung selbst bestimmt, wie Heins (2016) überzeugend darlegt und mit Verweis auf Schreier (2006, S. 435) das Erfordernis einer „sekundären Auswertung“ aufzeigt: In dieser sekundären Auswertungsphase sind die strukturierten Daten in Rückkopplung an die spezifischen Forschungsfragen weiter zu verarbeiten; da hier das konkrete Erkenntnisinteresse besonders stark hervortritt, sind die Untersuchungsschritte dieser sekundären Analyse durch eine relative Offenheit und methodische Variabilität gekennzeichnet. In Anknüpfung an die zuvor erläuterten Aspekte werden in den nächsten Abschnitten zunächst die Erstellung und Anwendung des Kategoriensystems in der vorliegenden Studie als Komponenten der primären Auswertung vorgestellt und anschließend die weiterführende Arbeit damit in der sekundären Auswertung beleuchtet. Im Zuge der Erläuterungen können zudem weitere Begründungszusammenhänge der Methodenentscheidungen, etwa auch zur ausgewählten Variante qualitativer Inhaltsanalysen und zur Abgrenzung von anderen potenziellen methodischen Zugängen, aufgezeigt werden. 7.3.1

Primäre Auswertung: Anlage und Einsatz des Kategoriensystems

In der Forschungsliteratur zu inhaltsanalytischen Verfahren werden, wie zuvor schon angedeutet, zahlreiche Varianten qualitativer Inhaltsanalysen angeführt und in ihrer jeweiligen spezifischen Anlage begründet. Schreier (2014) liefert einen breiten Überblick über die existierenden Formen und arbeitet in der reflektierten Auseinandersetzung zwei Basisformen heraus, mit denen sich die vielen einzelnen Variationen bündeln lassen: die strukturierende Inhaltsanalyse und die Inhaltsanalyse mittels Extraktion (vgl. ebd., Absatz 48).

218

7 Anlage der empirischen Untersuchung

Zur systematischen Beschreibung und Untersuchung der Interviewtexte wird in der vorliegenden Untersuchung ein strukturierendes Verfahren ausgewählt, denn obwohl schon zu Untersuchungsbeginn ein relativ enges, aus dem bisherigen wissenschaftlichen Kenntnisstand abgeleitetes Erkenntnisinteresse vorliegt (s. Kapitel 6), soll der initiale Zugang zu den Daten nicht von vornherein theoriegeleitet erfolgen: Anders als in der qualitativen Inhaltsanalyse mittels Extraktion besteht das primäre Untersuchungsanliegen nicht in der „Rekonstruktion von Kausalzusammenhängen“ (Schreier 2014, Absatz 45), sondern in der – zumindest im ersten Auswertungsschritt – beschreibenden Erfassung der Lehrerperspektive auf den Gegenstandsbereich der Untersuchung. Unter dieser Zielsetzung musste den insgesamt relativ frei gestalteten Gesprächsverläufen (trotz Rahmung durch den Interviewleitfaden) und den besonderen Herausforderungen der Interviewdreiteilung begegnet werden. Nach der ersten intensiven Auseinandersetzung mit dem Textmaterial wurde deshalb die Arbeit mit Kategorien, die die Verbaldaten unter inhaltlichen Gesichtspunkten aufschlüsseln, als sinnvolle Herangehensweise betrachtet und die inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2014) für die zielgerichtete Strukturierung der Daten ausgewählt. In dieser Verfahrensvariante gilt es, die Orientierung „am Text selbst“ (ebd., S. 73) im gesamten Forschungsprozess aufrechtzuerhalten und daran „ausgewählte inhaltliche Aspekte zu identifizieren, zu konzeptualisieren und das Material im Hinblick auf solche Aspekte systematisch zu beschreiben“ (Schreier 2014, Absatz 8). Aufgrund des steten Textbezugs werden die für die Datenstrukturierung eingesetzten Kategorien zumindest in Teilen induktiv, also ausgehend vom spezifischen Datenmaterial, entwickelt. In der vorliegenden Arbeit wurde das auswertungsleitende Kategoriensystem im Rahmen einer deduktiv-induktiven Kategorienbildung gewonnen: Der Interviewleitfaden diente dabei als Grundlage für die Bestimmung von ersten (groben) Hauptkategorien. Diese leitfadengenerierten (vorläufigen) Hauptkategorien wurden in fünf ausgewählten Interviewtexten mithilfe von QDA-Software den passenden Textstellen zugeordnet und daraus wiederum induktiv, also vom kodierten Material ausgehend, Subkategorien gebildet. Parallel zu diesem subsummierenden Vorgehen wurden mit dem Ziel der Kategorienabsicherung zwei Einzelfälle unter Rückgriff auf Arbeitstechniken der Grounded Theory-Methodologie mithilfe von In-Vivo-Codes vollständig durchgearbeitet und durch das offene Kodieren eigene Haupt- und Subkategorien generiert, die schließlich mit dem deduktiv-induktiv entwickelten Kategorien-

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

219

system abgeglichen wurden. Als Ergebnis dieser zweigleisigen Kategorienentwicklung liegen nun drei Teilkategoriensysteme für die einzelnen Interviewteile vor. Die auf die einzelnen Interviewteile A, B und C ‚spezialisierten‘ Kategorieninventare wurden als gleichermaßen notwendig wie fruchtbar betrachtet, da sie die unterschiedlichen Kontextanforderungen – offenes Beschreiben und Reflektieren in A, Diagnostizieren in B, Bewerten in C – differenziert erfassen können. Durch den für alle Interviewteile gültigen Untersuchungsgegenstand, d. h. das übergreifende Interesse an den Lehrerzugriffen auf regelhafte Wortschreibungen, konnten aber gleichzeitig Kategorien generiert werden, die sich interviewteilübergreifend aufeinander beziehen lassen. Auf diese Weise wurden die Voraussetzungen zur Beantwortung der Leitfragen geschaffen: Mithilfe der entwickelten Kategorien können das formulierte Lerngegenstandverständnis und didaktischen Orientierungen der Lehrenden deskriptiv erfasst werden; gleichzeitig ist mit ihnen aber auch eine Untersuchung der Zusammenhänge zwischen den Interviewteilen und somit zwischen variierenden Kontextanforderungen möglich. Wie sich zeigen wird, können dabei und insbesondere in der sekundären Auswertung der Daten Elemente der dokumentarischen Methode gewinnbringend in die inhaltsanalytische Arbeit integriert werden. Dieses Verfahren der rekonstruktiven Sozialforschung zielt durch die Erschließung zusammenwirkender Orientierungen und Erfahrungen auf empirische Zugänge zur Handlungspraxis der Untersuchungspersonen ab (vgl. u. a. Nohl 2017, S. 4; grundlegend: Bohnsack 2005) und kann in der vorliegenden Untersuchung punktuell hinzugezogen werden, um die ‚latenten‘ Äußerungsgehalte fallspezifisch und -übergreifend herauszustellen (s. dazu 7.3.2). 7.3.1.1

Vorstellung der drei Teilkategoriensysteme

Im Weiteren sollen die drei Teilkategoriensysteme für die Interviewteile A, B und C anhand von ausgewählten Oberkategorien vorgestellt und ihre Anwendung im Kodierprozess erläutert werden. Die Auswahl der Oberkategorien erfolgt in enger Anbindung an die leitenden Forschungsfragen der Arbeit: Im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses stehen die sachanalytischen Zugriffe der Lehrenden auf die Wortschreibung und ihre darauf bezogenen didaktischen Handlungsorientierungen, d. h., es sollen zum einen – sofern erkennbar – ihr Verständnis der Wortschreibung als Fachgegenstand, zum anderen ihre Vorstellung vom Umgang mit der Wortschreibung

220

7 Anlage der empirischen Untersuchung

als Lerngegenstand erfasst werden. Aus diesem Grund werden im Folgenden aus dem gesamten Kategoriensystem diejenigen ‚gegenstandsnahen‘ Oberkategorien herausgegriffen, die 1. einen (unmittelbaren) Bezug zur Sachstruktur und zur daran orientierten didaktischen Modellierung der Wortschreibung im Kernbereich besitzen und 2. in allen drei Teilsystemen A, B und C in gleicher oder ähnlicher Form vorliegen, sodass sich die Redebeiträge zu gleichen bzw. ähnlichen Inhalten in A, B und C miteinander vergleichen lassen. Für den Interviewteil A werden vor diesem Hintergrund die Oberkategorien A.1 Erklärungen von Wortschreibungen, A.2 schriftsprachbezogene Hilfestellungen und A.3 Wortmaterial vorgestellt, da davon ausgegangen wird, dass die entsprechenden Kodierungen differenzierte Einblicke in die zentralen Aspekte der leitenden Fragestellung ermöglichen, also Auskünfte zum handlungsleitenden Verständnis der Wortschreibung liefern. Mit gleicher Intention werden für den Interviewteil B die Oberkategorien B.1 Einnahme der Schülerperspektive/vermutete Schwierigkeiten, B.2 Erklärungen und anzuregende Einsichten in die Wortschreibung zur Fehlerüberwindung und B.3 empfohlene schriftsprachbezogene Hilfestellungen beleuchtet und die Kodierregeln erläutert. Wie zuvor erläutert, wurden die Ober- und Unterkategorien aus zwei Erarbeitungsrichtungen generiert: Zum einen wurden die aus dem Interviewleitfaden abgeleiteten vorläufigen Hauptkategorien durch die Strategie des Subsummierens am Textmaterial selbst präzisiert und untergliedert, zum anderen wurden sie durch offenes Kodieren abgesichert. Auf diesem Weg wurde die deduktiv bestimmte und noch sehr globale Hauptkategorie Zugriffe auf den Lerngegenstand im Interviewteil A (s. oben) beispielsweise in die eben angegebenen Oberkategorien A.1-A.3 aufgegliedert, wie Tab. 12 verdeutlicht.

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

Tab. 12 Kodierleitfaden für gegenstandsnahe Kategorien des Teilsystems A

221

222

7 Anlage der empirischen Untersuchung

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

223

In dem herausfordernden Bemühen, die Oberkategorien und insbesondere die erste Oberkategorie A.1 Erklärungen von Wortschreibungen zur differenzierten Beschreibung der Lerngegenstandszugriffe weiter zu untergliedern, erwies sich eine Arbeit mit inhaltlichen Kategorien, die zunächst einer Strukturierung der umfangreichen Interviewtexte unter rein thematischen Gesichtspunkten dienen, als angemessen. So wurden beispielsweise Erklärungen von Wortschreibungen allgemein durch ihre primären Bezugsgrößen (Phonem-Graphem- bzw. Graphem-Phonem-Korrespondenzen, Fuß/Silbe(nstruktur), Morphem, orthographische Konvention) gekennzeichnet, ohne dass dabei das konkret bearbeitete Wortmaterial angegeben oder bereits analytische Einordnungen vorgenommen wurden (abgesehen von den gegebenenfalls ergänzenden Informationen dazu, ob zur Erklärung der Schreibung eine Überlautung produziert wurde oder nicht). Vertiefende, über die deskriptive Erfassung hinausgehende Untersuchungen der inhaltlich strukturierten Daten wurden in die sekundäre Auswertung ausgegliedert. Im Teilkategoriensystem für den Interviewteil B sind die Oberkategorien B.2 (Erklärungen und anzuregende Einsichten in die Wortschreibung zur Fehlerüberwindung) und B.3 (empfohlene schriftsprachbezogene Hilfestellungen) deckungsgleich mit den Oberkategorie A.1 und A.2 des Interviewteils A. Aufgrund des von den Schülerbeispielen aktivierten spezifischen Anforderungskontextes tritt eine weitere Oberkategorie hinzu, die nur für den Interviewteil B angesetzt wird: Kodiert wird hier neben den bereits genannten Hauptthemen, auf welcher Ebene die Lehrenden die jeweiligen Schwierigkeiten der Lernenden verorten. Die Ausprägungen wurden induktiv, also ausgehend von den differenziert durchgearbeiteten Interviewtexten, generiert. Auf ihrer Grundlage soll erfasst werden können, welche Überlegungen zu den Denkwegen und Fehlkonzeptionen der Schüler/-innen sowie zu deren verfügbaren Problemlösestrategien die Bearbeitung der Fehlschreibungen durch die Lehrer/-innen beeinflussen. Gleichzeitig geben sie Einblicke in die individuelle sachstrukturelle Vorstellung, die die jeweils untersuchte Lehrperson von der besprochenen Schreibung besitzt. Folgende Kodierleitlinien gelten für die inhaltlich-strukturierende Auswertung im zweiten Interviewteil (Tab. 13):

zu : „[[Der Schüler]] hat es nicht als kurz erkannt, würde ich mal denken.“ (L16, B1)

zu : „Nicht klar ist ihm offensichtlich, dass wir die Silbe schließen müssen nach dem , damit eben der Vokal kurz gesprochen wird.“ (L01, B1)

„*, da haben wir gleich mehrere Sachen, also früh::, da ist halt nicht darüber nachgedacht worden, dass es von Frühe [[spricht [h]]] kommt.“ (L04, B2a)

„Ist also irgendwie in dem Sinne nicht, ja, automatisiert oder dieses Merkwort eben nicht gemerkt, dass früh halt mit einem Dehnungs- geschrieben wird.“ (L13, B2a)

B.1.3 fehlende Differenzierung von Vokalquantitäten …. die Schülerschwierigkeiten in einer fehlenden Wahrnehmung und/oder Berücksichtigung der Vokalquantitäten und ihrer Konsequenzen für die Schreibung begründet sind.

B.1.4 fehlender Bezug auf Fuß- und/oder Silbenstrukturen … die Schülerschwierigkeiten in einem fehlenden Bezug auf die zweisilbige Fuß- und/oder die jeweilige Silbenstruktur begründet sind.

B.1.5 fehlender Bezug auf Morphemstruktur/-konstanz … die Schülerschwierigkeiten in einer unterlassenen morphologischen Wortgliederung bzw. Nichtberücksichtigung der Morphemkonstanz begründet sind.

B.1.6 fehlender Bezug auf orthographische Konvention Lehrkraft vermutet, dass die Schülerschwierigkeiten in einem fehlenden Bezug auf eine orthographische Konvention begründet sind.

zu *: „Letztendlich ist sie tatsächlich noch beinahe auf so einer alphabetischen Ebene.“ (L01, B2a) „Bei dem ersten, wo es um die Schreibung von schaffen geht, würde ich einfach davon ausgehen, dass diesem Schüler nicht so ganz klar ist, diese unterschiedliche Qualität von dem a, langes a, kurzes a oder wie man es dann auch nennt, dass das etwas damit zu tun hat, welcher Mitlaut oder wie viele Mitlaute dahinter kommen.“ (L02, B1)

Ankerbeispiele

zu *: „Das habe ich in der Klasse hier auch, dass eben Kinder beim Reden halt schon die Buchstaben verschlucken ((…)) und ja, wir haben also einige, die also diese verkürzte Sprache sprechen und dann eben auch Schwierigkeiten haben, das umzusetzen, weil sie es eben vor sich selber auch anders sprechen.“ (L15, B3)





B.1.2 ungenaue/falsche Aussprache oder auditive Wahrnehmung … die Schülerschwierigkeiten in einer unsauberen/falschen Aussprache oder auditiven Wahrnehmung des Wortes begründet sind.

B.1.1 einzelsegmentales Vorgehen (Bezugsgröße: Lautung)/fehlendes Bewusstsein über suprasegmentale Strukturen … die Schülerschwierigkeiten in einem rein phonographischen Vorgehen und/oder einem fehlenden bzw. nicht ausreichenden Bewusstsein über suprasegmentale Strukturen der Wortschreibung begründet sind.

Unterkategorie und Definition: Die Lehrkraft vermutet, dass…

Oberkategorie B.1 Einnahme der Schülerperspektive/vermutete Schwierigkeiten: Lehrkraft stellt Vermutungen zu den der Fehlschreibung zugrunde liegenden Überlegungen, Schwierigkeiten oder fehlenden Einsichten des/der Lernenden an.

Teilsystem B: Zugriffe auf die Wortschreibung im Umgang mit Fehlschreibungen

224 7 Anlage der empirischen Untersuchung

Tab. 13 Kodierleitfaden für gegenstandsnahe Kategorien des Teilsystems B

„frühstücken, (--) würde ich sagen, ist in erster Linie ein Merkwort.“ (L06, B2a)

„Also bei dem schaf.fen/[ˈʃaf.fɛn] würde ich das schwingen mit dem (-) gemeinsam. Ich glaube, dann hört er das raus.“ (L14, B1) „Man kann immer sozusagen den Tipp geben, Silbenbögen zu malen, das gibt einem so eine Struktur.“ (L10, B2b) „Und bei stück, da würde ich die Mehrzahl bilden, dass ich ein zweisilbiges Wort erhalte, Stücke.“ (L17, B2a) „So, und wenn du es nicht hörst, doof, aber dann lerne es auswendig halt, ne?“ (L12, B3)

B.3.1 sprechrhythmisch/auditiv: s. A.2.1

B.3.2 visuell strukturierend: s. A.2.2

B.3.3 (schrift-)sprachanalytische Operation: s. A.2.3

B.3.4 Merkhilfen, Merkwort, Merksatz s. A.2.4

Oberkategorie B.3 Empfohlene schriftsprachbezogene Hilfestellungen: Lehrkraft führt Hilfestellungen und Hilfswerkzeuge an, die dem Schüler/der Schülerin bei der Richtigschreibung des jeweiligen Wortes helfen könnten.

B.2.4 orthographische Konvention: s. A.1.5

„Das hat ja ZWEI Funktionen, das ist ja einmal zur Verlängerung und einmal silbentrennend und dann hört man das ja sehr WOHL. Man hört es ja auch im Anlaut.“ (L04, B3) (mit Überlautung) „Da es [ˈblyːən] heißt und der erste Raum besetzt sein muss, müssen wir einen Buchstaben nehmen, der stimmlos ist. So als Joker.“ (L03, B3) (ohne Überlautung)

„Und dann eben auf die Morphemkonstanz verweisen, ne, dass das eben eine Familie ist und die sich ähnlich sehen und deshalb auch alle Wörter bis auf Blüte ((lacht)) / also, dass das dann eben da auch wieder auftaucht.“ (L01, B3)





B.2.3 Morphem(konstanz): s. A.1.4

B.2.1 Fuß/Silbe(nstruktur): s. A.1.3

„* ist es wirklich das / (na ja), da sind wir jetzt gerade dran, dass, wenn ich ein langes [yː] höre, das eigentlich immer das mit einem [h] [[spricht Laut]] noch verbindet, ne?“ (L15, B2a)

B.2.2 Differenzierung von Vokalquantitäten: s. A.1.2

„blühen/[blyːhɛn] / ich glaube, das ist ein hörbares .“ (L14, B3) (mit Überlautung) „Da lernen sie einfach, dass ein langes [iː] eigentlich immer, also IMMER, sagt man dann einfach erst mal, mit verschriftlicht wird.“ (L08, B2b) ()

• •

B.2.1 Phonem-GraphemKorrespondenzen (mit Überlautung, ohne Überlautung/): s. A.1.1

Oberkategorie B.2 Empfohlene Erklärungen und anzuregende Einsichten zur Fehlerüberwindung: Lehrkraft führt Erklärungsansätze und notwendige Einsichten in die Wortschreibung an, die dem Schüler/die Schülerin bei der Richtigschreibung des jeweiligen Wortes helfen würden.

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

225

226

7 Anlage der empirischen Untersuchung

Durch die besondere Handlungsanforderung im Interviewteil C – die Lehrer/-innen sind hier aufgefordert, Herangehensweisen in Lehr-Lern-Materialien zu bewerten – ergeben sich dort besondere Kodierregelungen. Im Prozess der Kategorienentwicklung zeigte sich, dass eine für die Fragestellung aufschlussreiche Datenaufbereitung nicht nur Kategorien für die jeweiligen Aspekte der Lernmaterialien, auf die sich die Bewertungen der Lehrenden beziehen (≙ C.1 Bewertungsgegenstände), festzuhalten hat, sondern auch Angaben dazu erfordert, vor welchem Bewertungshintergrund die Auseinandersetzung erfolgt. In der primären Auswertung der entsprechenden Interviewsequenzen in C müssen daher stets zwei Oberkategorien gleichzeitig zugewiesen werden: Es wird zum einen berücksichtigt, auf welche konkreten Bewertungsgegenstände sich die Lehrenden in der Evaluation des jeweiligen Materialauszugs beziehen (z. B. auf den Erklärungsansatz, formale Gestaltungselemente oder den Aufbau), zum anderen erfasst, unter welchem Kriterium die Bewertung vorgenommen wird (z. B. unter dem Bewertungskriterium der fachlichen Richtigkeit der (Lern-)Gegenstandsdarstellung oder des Adressatenbezugs im Material). Die Darstellung der Kodierrichtlinien im dritten Interviewteil C fokussiert dabei auf die Bewertungsgegenstände, die mit den im Teilsystem A betrachteten Oberkategorien A.1-3 kongruent sind: C.2 Erklärungen von Wortschreibungen, C.3 schriftsprachbezogene Hilfestellungen und C.4 Wortmaterial (s. Tab. 14). Anders als in den Teilsystemen A und B, in denen ausschließlich inhaltliche Kategorien genutzt werden, führt die im Interviewteil C geforderte Handlungsanforderung des Bewertens zur Implementierung von evaluativen Kategorien auf einer zweiten Untergliederungsebene. Folgende Ausprägungen sind dabei zu kodieren: Die Lehrpersonen reagieren auf den vorgelegten Materialauszug bzw. daraus ausgewählte Komponenten - zustimmend: Die Lehrperson bewertet das Material bzw. den ausgewählten Bewertungsgegenstand positiv: Sie nennt ausschließlich positive Merkmale und/oder gibt an, dass ihr Vorgehen im eigenen Unterricht dem des Materialauszugs entspricht oder sie im eigenen Unterricht mit dem Material arbeiten würde. - eher zustimmend: Die Lehrperson bewertet das Material bzw. den ausgewählten Bewertungsgegenstand überwiegend positiv, regt aber Veränderungen/Reduktionen/Ergänzungen an und/oder führt Einschränkungen hinsichtlich des Einsatzes an; die genannten positiven Aspekte überwiegen aber insgesamt gegenüber den negativen.

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

-

-

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ablehnend: Die Lehrperson bewertet das Material bzw. den ausgewählten Bewertungsgegenstand negativ: Sie nennt ausschließlich negative Merkmale und/oder gibt an, dass sie im eigenen Unterricht nicht mit dem Material arbeiten würde. eher ablehnend: Die Lehrperson bewertet das Material bzw. den ausgewählten Bewertungsgegenstand überwiegend negativ, gewinnt ihm aber positive Aspekte ab: Sie nennt alternative Herangehensweisen, in denen einzelne Aspekte des Materials in modifizierter Art aufgegriffen werden. Die genannten negativen Bewertungsaspekte überwiegen insgesamt gegenüber den positiven. unsicher/nicht eindeutig: Die Lehrperson wägt zwischen positiven und negativen Aspekten ab oder führt nur oberflächliche Überlegungen an, ohne zu einem eindeutigen Urteil zu gelangen. Positive und negative Aspekte werden in einem etwa gleichen Verhältnis genannt oder es lassen sich generell keine bewertenden Äußerungen erkennen.

Durch die von Fall zu Fall variierende Auseinandersetzung mit den Materialauszügen können die evaluativen Kategorien lediglich Tendenzen abbilden; ihre Zuordnung erfordert zudem oftmals größere Kodiereinheiten als in den anderen Interviewteilen (s. dazu unten).

228

7 Anlage der empirischen Untersuchung

Tab. 14 Kodierleitfaden für gegenstandsnahe Kategorien des Teilsystems C

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

229

230

7 Anlage der empirischen Untersuchung

Die in den drei tabellarischen Übersichten zu den Teilkategoriensystemen dargestellten Kodierrichtlinien beziehen sich, wie bereits erwähnt, lediglich auf eine Auswahl, die besonders eng am primären Erkenntnisziel der vorliegenden Arbeit orientiert ist. Für alle drei Interviewteile, insbesondere für den offenen Gesprächsteil A, wurden weitere Kategorien entwickelt, die zum Teil bereits im Leitfaden angelegt waren, zum Teil aber auch induktiv aus den Einzelfallbearbeitungen erschlossen wurden. Die sekundäre Auswertung bezieht sich im Wesentlichen auf die vorgestellten Oberkategorien und die ihnen zugeordneten Unterkategorien. In den späteren Auswertungsschritten werden jedoch punktuell weitere Kategorien hinzugezogen, für die ein (eher) weiter Gegenstandsbezug angenommen wird (z. B. konzeptionelle Positionierung). Diese werden hier nicht einzeln vorgestellt, sondern im Auswertungsverlauf zum Zeitpunkt ihres Einbezugs präsentiert und erläutert. 7.3.1.2

Anwendung und qualitative Güte der Kategorien

Um ein transparentes Arbeiten mit den vorgestellten Kodierleitfäden zu gewährleisten, sind die mithilfe der Kategorien inhaltsanalytisch zu bearbeitenden Untersuchungseinheiten klar zu definieren (vgl. u. a. Groeben und Rustemeyer 2002, S. 253). Aufgrund variierender Einteilungen und Definitionen in den wissenschaftlichen Beiträgen zur qualitativen Inhaltsanalyse ist dabei eine eindeutige begriffliche Verortung vorzunehmen, die wiederum in Abhängigkeit von der Forschungsfrage und der ausgewählten Variante der qualitativen Inhaltsanalyse inhaltlich spezifiziert werden muss. In der vorliegenden Arbeit sind sowohl die Prozesse der primären als auch der sekundären Auswertung an den Ausführungen und begrifflichen Strukturierungen Kuckartz‘ (2014) orientiert. In den weiterführenden Analysen des Datenmaterials sind daher die Auswahleinheit als „Grundeinheit einer qualitativen Inhaltsanalyse“ (ebd., S. 46), die Analyseeinheit, also die für die Analyse ausgewählten Teile einer Auswahleinheit, die Kodiereinheit als die „Verbindung von Textstelle und Kategorie“ (Kuckartz 2014, S. 48) sowie die Kontexteinheit als größtmögliche Einheit, die zur angemessenen Kategorisierung einer Kodiereinheit hinzugezogen wird, genauer zu definieren. Dabei muss insbesondere dem dreigeteilten Format der Interviewtexte Rechnung getragen werden, da ein Teilziel der Studie darin besteht, die Zugriffe der Lehrenden auch vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Kontextanforderungen in den einzelnen Interviewteilen zu betrachten.

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

231

Die Auswahleinheit umfasst 18 von insgesamt 20 vorliegenden Interviewtexten. Zwei der erhobenen Interviews scheiden aus der inhaltsanalytischen Bearbeitung aus, da sie, wie sich erst im Prozess der Datenerhebung nach dem Prinzip des theoretical samplings herausstellte, zentrale Anforderungskriterien an die Stichprobe nicht erfüllen. Die Analyseeinheit ist, abgesehen von den Interviewstellen, in denen Unterbrechungen durch dritte Personen auftreten und die aufgrund der fehlenden inhaltlichen Relevanz nicht inhaltsanalytisch bearbeitet werden, mit der Auswahleinheit identisch, d. h. alle Interviewtranskripte werden vollständig kodiert. Die mithilfe der Kategorien erfassten Textstellen bilden schließlich die einzelnen Kodiereinheiten. Sie werden in der vorliegenden Arbeit nach inhaltlichen Kriterien bestimmt und können grundsätzlich als thematische Sequenzen, die mit einer Kategorie erfasst werden, definiert werden. Die Größe einer Kodiereinheit variiert je nach Äußerungskontext und kann auch einen oder mehrere Sprecherwechsel umfassen; sie endet dort, wo die für die jeweilige Kategorie festgelegten Merkmale nicht weiter aktiviert werden. Durch die z. T. große inhaltliche Nähe zwischen den Oberkategorien, wie sie beispielsweise häufig zwischen den Oberkategorien A.1 Erklärungen von Wortschreibungen und A.2 schriftsprachbezogene Hilfestellungen entsteht, können sich die einzelnen Kodiereinheiten überschneiden oder sind in seltenen Fällen sogar für zwei Kategorien identisch. Wie sich im Weiteren zeigen wird, erweisen sich gerade diese Überschneidungen als aufschlussreiche Analysesequenzen. An dieser Stelle genügt es, für die Definition der Kodiereinheiten festzuhalten, dass sie durch die Definitionen der untersuchungsrelevanten Kategorien inhaltlich bestimmt sind. Im Interviewteil C erfordert die Zuweisung der angeführten evaluativen Kategorien teilweise größere Kodiereinheiten als die Zuordnung der inhaltlichen Kategorien; die Besonderheit ist im Anwendungsfall jedoch in der Regel problemlos zu lösen: Die Kodiereinheit umfasst in evaluativen Kodiervorgängen alle positiven und negativen Äußerungen, die zum jeweiligen Bewertungsgegenstand getroffen werden. Welche Textstellen zur eindeutigen Kategorienzuweisung hinzugezogen werden dürfen, wird von der Kontexteinheit definiert: In der vorliegenden Studie werden die Kategorisierungen – nicht zuletzt aufgrund der drei kategorialen Teilsysteme – separat für die Interviewteile A, B und C vorgenommen, sodass sich die Kontexteinheit stets auf den jeweils untersuchten Interviewteil beschränkt. Um beispielsweise eine Kodierung in Interviewteil A vorzunehmen, dürfen also lediglich Textstellen aus dem Interviewteil A hinzugezogen werden, nicht jedoch Textstellen aus dem Inter-

232

7 Anlage der empirischen Untersuchung

viewteil B oder C. Es ist dabei grundsätzlich möglich, innerhalb eines Interviewteils sowohl vorangegangene als auch nachfolgende Interviewsequenzen einzubeziehen, wenngleich hier insbesondere im Interviewteil B einige auf den jeweiligen Untersuchungsgegenstand bezogene Voraussetzungen bestehen, die auch in der sekundären Auswertung eine bedeutsame Rolle spielen und aus diesem Grund im Abschnitt 7.3.2.3 erläutert werden. Die eindeutige Bestimmung der Kontexteinheit erweist sich in der vorliegenden Studie insofern als besonders bedeutsam, als die Stellung einer Äußerung im Interview aufgrund der kontextdifferenten Dreiteilung des Erhebungsverfahrens äußerst relevant für die leitende Fragestellung ist: Zu unterscheiden ist beispielsweise, ob eine didaktische Handlungsorientierung im Umgang mit Wortschreibungen im offenen und weitgehend frei zu gestaltenden Interviewteil A geäußert wird oder aus der Aufforderung zur Begründung der eigenen Herangehensweise im Interviewteil B (Umgang mit Fehlschreibungen) hervorgegangen ist. Auch in der qualitativen Inhaltsanalyse ist somit eine Beachtung von Sequenzzusammenhängen gleichermaßen möglich wie bedeutsam (vgl. dazu u. a. Bucher und Fritz 1989, S. 136–138). Im Zusammenhang mit den vorab definierten Untersuchungseinheiten können einige weitere Hinweise zu den Kriterien, die die inhaltsanalytische Literatur z. T. als Anforderungen an die erstellten Kategorien formuliert, geliefert werden: Das Merkmal der Erschöpfung, d. h. der Anspruch, dass keine Stelle in den Textdaten ‚unkodiert‘, also ohne zugeordnete Kategorie, bleibt, wurde durch das deduktiv-induktive Vorgehen sowie ggf. durch die Einrichtung von ‚Restkategorien‘ (vgl. Schreier und Groeben 1999, S. 48) erfüllt. Gleiches gilt für die Saturiertheit der Kategorien: Es wurden ausschließlich Kategorien gebildet, denen im gesamten untersuchten Material auch mindestens eine Textstelle zugeordnet werden konnte; ‚leere‘ Kategorien wurden durch das deduktiv-induktive Vorgehen entfernt. Bewusst aufgegeben101 wurde im Bereich der inhaltlichen Kategorien – für die evaluativen Einschätzungen kann dies naturgemäß nicht gelten – der Anspruch der Exklusion, „dass die einzelnen Kategorien sich gegenseitig ausschließen müssen“ (Groeben und Rustemeyer 2002, S. 248), denn die Anlage der Studie impliziert, dass sich in den Äußerungen der Lehrenden

101

Groeben und Rustemeyer (2002, S. 254) weisen diese Entscheidung im Hinblick auf die Relevanz der spezifischen Fragestellung grundsätzlich als legitim, z. T. sogar notwendig aus.

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

233

beispielweise Erklärungen von Wortschreibungen und angeregte schriftsprachliche Hilfestellungen gleichzeitig identifizieren lassen. Im Interviewteil C ist eine parallele Zuordnung der beiden Oberkategorien C.1. und C.2 sogar explizit gefordert. Wurden in den grundlegenden Erläuterungen zu den Merkmalen inhaltsanalytischer Verfahren die Interpretativität und relative Flexibilität der Datenaufbereitung hervorgehoben, impliziert dies keine prinzipielle Loslösung von den Anforderungen der klassischen Gütekriterien Validität, Objektivität und Reliabilität. Auch für eine interpretative und induktiv geleitete Texterschließung ist eine „Nachprüfbarkeit im Sinne methodischer Kontrollierbarkeit“ (Groeben und Rustemeyer 2002, S. 247) zu gewährleisten, wenngleich diese aufgrund der Anlage des Auswertungsverfahrens in der Regel auf die methodische Absicherung des Kategoriensystems und darauf basierender Kodierprozesse begrenzt ist (vgl. u. a. Heins 2016, S. 313). Überprüfungen dessen, wie zuverlässig die Zuordnung von Kategorien in wiederholten Kodierprozessen zu gleichen Ergebnissen führt, sind daher in erster Linie an das Kriterium der Intersubjektivität der Texterschließung gebunden und implizieren gewissermaßen ein Zusammenfallen von Reliabilität und Objektivität (vgl. Schreier und Groeben 1999, S. 50). In der vorliegenden Arbeit wurde die Reliabilität des Kategoriensystems auf folgende Weise abgesichert: Zum einen wurden nach der Kategorienentwicklung einschließlich mehrerer Überarbeitungsschleifen Probekodierungen durchgeführt und in zwei Arbeitsgruppen besprochen sowie zur Optimierung und Präzisierung der Kategoriensysteme zumindest Teile des Textmaterials von mehreren Kodierer/-innen kodiert. Durch den Einsatz hauptsächlich inhaltlicher Kategorien konnten dabei weitgehende Übereinstimmungen erzielt werden; Schwierigkeiten zeigten sich vorwiegend im Interviewteil C (s. unten). Zum anderen wurde die Kategorienreliabilität über die Intrakodier-Übereinstimmung, d. h. durch die „Wiederholung des Kategorisierungsvorgangs beim selben Kodierer [also der Verfasserin der Arbeit, Anm. E. S.] überprüft“ (Groeben und Rustemeyer, S. 247). Zwischen den Kodierzeitpunkten lagen ca. sechs Wochen, um ‚Erinnerungseffekte‘ auszuschließen. Für die Teilsysteme A und B wurden dabei zufriedenstellende Übereinstimmungen erzielt, wohingegen sich in der Kodierung der stets gemeinsam zuzuordnenden Kategorien C.1 Bewertungskriterien und C.2 Bewertungsgegenstände im Interviewteil C z. T. Unstimmigkeiten offenbarten. Aus diesem Grund wurden die Kodierregeln für diesen Teil präzisiert und erneut in einer Arbeitsgruppe geprüft.

234

7 Anlage der empirischen Untersuchung

Eine Bearbeitung größerer Datenmengen durch mehrere Kodierer/-innen und die Berechnung eines Übereinstimmungskoeffizienten (vgl. dazu u. a. Schreier und Groeben 1999, S. 49) konnte v. a. aufgrund begrenzter (finanzieller) Mittel, die der vorliegenden Studie zur Verfügung standen, aber auch aufgrund der Komplexität des dreigeteilten Kodierverfahrens einschließlich der dafür notwendigen fundierten Kenntnisse zum Gegenstandsbereich nicht umgesetzt werden. Die Validität des Kategoriensystems ist im Vergleich zur Intersubjektivität der Kodierprozesse relativ leicht zu kontrollieren: Durch die deduktivinduktiv gewonnenen Kategorien werden die Textdaten im Hinblick auf die relevanten Bedeutungsaspekte inhaltlich beschrieben; die deskriptiv angelegten Kategorien sollten somit „als inhaltsvalide gelten“ (ebd., S. 51). Als schwieriger erweist sich die Validitätskontrolle in der weiterführenden, sekundären Analyse der Daten, denn dort sollen anhand der strukturierten Daten tiefergehende Zusammenhänge zwischen den sachanalytischen Vorstellungen und konkreten Handlungsorientierungen der Lehrenden untersucht und Schlüsse bezüglich der Begründungshintergründe ihrer handlungsleitenden Kognitionen getroffen werden. Schreier und Groeben geben hierzu in Referenz auf Groeben (1987) Folgendes zu bedenken: Gerade weil Texte interindividuell unterschiedlich rezipiert und verstanden werden können, stellen sie stets nur Wirkungspotenziale für eine Rezipientin oder einen Rezipienten dar. Mittels der Inhaltsanalyse kann eben dieses Wirkungspotenzial eines Textes beschrieben werden, nicht jedoch die Wirkung selbst (Groeben 1987). (Schreier und Groeben 1999, S. 51)

Dieser Aspekt wurde bereits in der Begründung des Erhebungsinstruments der vorliegenden Studie problematisiert (s. 7.2) und ist in allen Schritten der Datenauswertung und -interpretation ‚mitzudenken‘. Gleichzeitig offenbart sich darin der Anspruch an die sekundäre Auswertung, auch dort alle auf der inhaltsanalytisch aufbereiteten Textbasis getroffenen Schlussfolgerungen in ihrer methodischen Herleitung offenzulegen. Nachdem im Vorangegangenen die Teilschritte der primären Auswertung – die Entwicklung des Kategoriensystems, die Festlegung der Einheiten im Kodierprozess, die Probe- und Hauptkodierung – dargelegt wurden, widmen sich die folgenden Ausführungen dem, was Kuckartz (2014, S. 93) als „die eigentliche Auswertung“ bezeichnet und was im Vorangegangen als sekundäre Auswertung der Daten angekündigt wurde. Darin soll das nicht mehr rein deskriptive Vorgehen methodisch fundiert und die einzelnen Teilprozesse offengelegt werden.

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

7.3.2

235

Sekundäre Auswertung: von gegenstands- und fallbezogenen Auswertungsschritten zur Typenbildung

In seiner differenzierten Aufbereitung der Fachliteratur zum Auswertungsverfahren der qualitativen Inhaltsanalyse hebt Heins (2016) hervor, dass die kategorienbasierte Auswertung des Datenmaterials dort zwar einen hoch bedeutsamen und differenziert zu dokumentierenden Auswertungsschritt darstellt, die Datenanalyse in ihr aber bei Weitem nicht ausgeschöpft ist (s. oben). Das vollständig kodierte Datenmaterial stellt vielmehr die Ausgangsbasis für eine vertiefende Weiterarbeit mit den kodierten Interviewsequenzen dar, die Schreier (2006, S. 435) als „sekundäre Auswertung“ bezeichnet und die, wie zuvor angeführt, auch von Kuckartz (2014) als entscheidender Schritt des Auswertungsverfahrens ausgewiesen wird. Die sekundäre Auswertung knüpft an die Ergebnisse der primären Auswertung an: Sie nutzt das kategorienbasiert systematisierte und strukturierte Datenmaterial, um Antworten auf die Forschungsfrage zu finden (vgl. Heins 2016, S. 311). Wie die sekundäre Auswertung im Detail angelegt ist, ergibt sich stets nur im konkreten Bezug auf die spezifische Forschungsanlage und -zielsetzung. In vielen Darstellungen der Fachliteratur bleiben die Empfehlungen zum Vorgehen in der sekundären Datenanalyse daher recht vage oder präsentieren nur allgemeine Annäherungsformen, aus denen im Forschungsprozess je nach Fragestellung ausgewählt werden muss und deren zielgenaue Umsetzung forschungsmethodisch zu präzisieren ist. Heins (2016) weist in diesem Zusammenhang auf das große Potenzial hin, das die prinzipielle Offenheit der qualitativen Inhaltsanalyse für unterschiedliche Forschungsanliegen und individuelle Auswertungswege birgt, knüpft dieses aber zugleich an die Gewährleistung der qualitativen Güte des Vorgehens durch dessen präzise Darstellung: Welche Form der sekundären Auswertung zielführend ist, kann abermals nur anhand einer konkreten Fragestellung entschieden werden. Was aber mit Entschiedenheit zu betonen ist: Die QIA ermöglicht mehr als ein einfaches Auszählen von Kodierhäufigkeiten. Sie kennt auch in diesem Punkt kaum Grenzen, wenn die entwickelten sekundären Auswertungsschritte transparent gemacht werden und ein systematisches und regelgeleitetes Vorgehen ermöglicht werden. (Heins 2016, S. 312)

Wie die sekundäre Auswertung in der vorliegenden Arbeit angelegt ist und welche spezifischen Abläufe unter Rückbezug auf die zentrale Fragestellung gewählt werden, wird in diesem Kapitel vorgestellt. Das Ziel der sekundären Datenanalyse besteht in der vorliegenden Untersuchung vor allem darin, anhand der zuvor erfolgten kategorienbasierten Strukturierung

236

7 Anlage der empirischen Untersuchung

des Datenmaterials besonders ‚wirkmächtige‘, d.h. besonders auffällige und/oder häufig auftretende Strategien und Zugriffe der Lehrkräfte zu identifizieren und – sofern die Daten dies zulassen – Fälle mit ähnlichen Merkmalsausprägungen zu gruppieren, die inhaltsanalytische Arbeit also mit einem typenbildenden Verfahren zu verknüpfen (vgl. dazu u. a. Schreier 2014, Absatz 34). Auskunft darüber, welche Themen und Subthemen zur Klärung der zentralen Fragestellung besonders in den Blick zu nehmen sind, liefert die primäre Auswertung: In der Kodierung des gesamten Datenmaterials, d. h. aller in die Analyse einbezogenen Fälle und somit der Auswahleinheiten der Studie (vgl. Kuckartz 2014, S. 46), treten bereits besonders ergiebige Untersuchungsaspekte hervor, die die in Teilkapitel 6.2 vorgestellten Leitfragen der Studie schärfen und die inhaltliche Rahmung für die sekundäre Auswertung liefern können. Die verfeinerten Forschungsfragen werden im nächsten Teilkapitel vorgestellt. 7.3.2.1

Rekurs auf die Forschungsfragen

Die Kodierung des gesamten Datenmaterials im Rahmen der primären Auswertung geht bereits mit einer akribischen Auseinandersetzung mit den Interviewinhalten einher. So kann zum einen überprüft werden, ob sich die angenommenen Themenbereiche der Feinanalyse, die vorab aus der theoretischen Grundlegung des Forschungsprojekts abgeleitet wurden (vgl. dazu die hypothetischen Fragebereiche in Kapitel 6.2), in den erhobenen Interviewdaten tatsächlich als untersuchungsrelevant erweisen; zum anderen können auch andere, nicht antizipierte Untersuchungsaspekte ermittelt werden. Die Datenaufbereitung im Rahmen der primären Auswertung stellt dabei, wie die nachfolgenden Kapitel demonstrieren, besonders aufschlussreiche inhaltliche Komponenten heraus, die allerdings nicht nur rein inhaltlich betrachtet, sondern auch unter kontextbezogenen Gesichtspunkten analysiert werden. Das dreigeteilte Design des Erhebungsinstruments dient im Wesentlichen dazu, die Zugriffe auf die Wortschreibung als Fachund Lerngegenstand in unterschiedlichen Anwendungskontexten zugänglich zu machen und dadurch vertiefende Einsichten in die handlungsleitenden Kognitionen der Lehrenden zu erhalten. In der Kodierung der gesamten Datenbasis deutete sich bereits an, dass sich die Untersuchung der deskriptiven Leitfragen 1 und 2 der Interviewstudie (s. 6.2), d. h. die Analyse des sachstrukturellen Gegenstandsverständnisses und der didaktischen Handlungsorientierungen von Leh-

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

237

renden, maßgeblich um die Beziehung zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort drehen wird: Die Auseinandersetzung mit den individuellen Zugriffen der Lehrkräfte auf die Wortschreibung ist nach den Erkenntnissen aus der primären Auswertung fallübergreifend an die Frage geknüpft, welches Verständnis von der komplexen Beziehung zwischen Schreibung und Lautung für die befragten Lehrkräfte handlungsleitend ist und welche Bedeutung sie den Struktureinheiten des deutschen Wortes darin beimessen: Welche Rolle spielen die Segmente, also die Phoneme und Grapheme, als kleinste Bausteine102 des Wortes? Welche Leistung wird der Silbe als Größe, die dem Segment hierarchisch übergeordnet ist, beigemessen? Erste Einblicke können mithilfe der freien Ausführungen im offenen Interviewteil A gewonnen werden, tiefergehende Erkenntnisse bieten jedoch erst die weiteren Interviewteile B und C, in denen die Wortschreibungszugriffe nicht mehr rein deskriptiv bzw. z. T. auch narrativ, sondern in erster Linie aktionsbezogen dargestellt werden. Das individuell angenommene Verhältnis von Laut- und Schriftsprache soll in der sekundären Auswertung sowohl separat für die unterschiedlichen Interviewteile A, B und C und die darin variierenden Anwendungskontexte erfasst als auch vergleichend aufeinander bezogenen werden: Aus der differenzierten Beschreibung der Zugriffe auf den (Lern-/Fach-)Gegenstand, die die Lehrkräfte in den einzelnen Anforderungssituationen schildern, können im Zuge der sekundären Auswertung schließlich Rückschlüsse auf die Begründungszusammenhänge getroffen werden, die das Gesagte nicht mehr rein deskriptiv erfassen, sondern erstmals analytische Zusammenhänge innerhalb der Textdaten herstellen. Um dem oben betonten Anspruch maximaler Auswertungstransparenz nachzukommen, werden in den nächsten Abschnitten die zentralen Auswertungsschritte und dafür genutzten Arbeitsinstrumente eingehend erläutert. 7.3.2.2

Darstellung des vierphasigen Auswertungsverfahrens

In der sekundären Auswertung werden in Anknüpfung an die zuvor geschärften Frageschwerpunkte diejenigen Kodiereinheiten untersucht, in denen Erklärungen von Wortschreibungen – entweder rein sachanalytisch

102

An dieser Stelle werden phonetische und graphetische Merkmale als potenziell „unterste“ Strukturebene des Wortes (vgl. u. a. Fuhrhop und Buchmann 2009; Primus 2010) vernachlässigt.

238

7 Anlage der empirischen Untersuchung

oder bereits im unmittelbaren Bezug auf die unterrichtliche Erarbeitung – formuliert werden. Dabei werden insbesondere die Angaben zur unterrichtsmethodischen Thematisierung (v. a. in Form von empfohlenen Hilfestellungen und Unterstützungsmaßnahmen für die Lernenden) und Kriterien zur Auswahl des Wortmaterials in den Blick genommen. Die mit den entsprechenden gegenstandsnahen Ober- und Unterkategorien (s. auch Abschnitt 7.3.1) kodierten Interviewsequenzen werden schließlich vor dem in Kapitel 4.5 dargelegten fachlichen Hintergrund interpretiert: Grundlegend für die klassifizierende Untersuchung ist die Annahme eines interdependenten Verhältnisses von Laut- und Schriftsprache und die damit einhergehende Anerkennung jeweils spezifisch organisierter, aber wechselseitig aufeinander zu beziehender Systeme beider Sprachebenen. In diesem Verständnis wird davon ausgegangen, dass sich die Systematik der Wortschreibung nur über die Analyse suprasegmentaler Beziehungen hinreichend beschreiben lässt, weshalb die Rolle suprasegmentaler Bezugsgrößen in den Daten eingehend untersucht werden soll. Kuckartz (2014), auf dessen Ausführungen das inhaltsanalytische Vorgehen in der vorliegenden Arbeit basiert, schlägt sieben Auswertungsformen für den Umgang mit kodiertem Datenmaterial im Rahmen einer inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse vor (vgl. ebd., S. 94), an denen sich insbesondere die ersten beiden Stufen der hier vorgestellten Auswertung orientieren. Um zu erfassen, welche Zugriffe die Lehrenden auf die Wortschreibung im Allgemeinen und auf die ausgewählten Regularitäten der Wortschreibung im Kernbereich im Speziellen zeigen, erweist sich die „kategorienbasierte Auswertung entlang der Hauptthemen“ (ebd., S. 94), die in der vorliegenden Untersuchung durch die ausgewählten Oberkategorien benannt werden, als geeigneter ‚Türöffner‘ der sekundären Auswertung. Im unmittelbaren Anschluss daran kann auch die von Kuckartz angeregte Analyse der Zusammenhänge zwischen Ober- und Unterkategorien (vgl. ebd., S. 95) vorgenommen werden. Aufgrund der Spezifität des Erhebungsdesigns und der damit verknüpften Fragestellung der vorliegenden Arbeit sind die empfohlenen Zugänge jedoch stets an die besonderen Bedingungen der Datenbasis anzupassen und gegebenenfalls auch ‚neu zu denken‘. Welche Anpassungen vorgenommen und an welcher Stelle neue Zugänge entwickelt wurden, wird im Weiteren demonstriert. Phase I: Fallübergreifende kategorienbasierte Auswertung der Zugriffe auf die Wortschreibung In diesem ersten Schritt der sekundären Auswertung interessieren sämtliche Textstellen, denen eine oder mehrere der ausgewählten Ober- und

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

239

Unterkategorien zugeordnet ist bzw. sind. Die ersten beiden Teilschritte dieser Auswertungsphase beziehen sich ausschließlich auf die Interviewteile A (offene Beschreibung und Reflexion des Unterrichts) und B (Umgang mit Fehlschreibungen), da zunächst das noch möglichst ungelenkte, frei geäußerte sachanalytische Verständnis sowie die didaktischen Handlungsorientierungen und Problemlösestrategien der Lehrenden erfasst werden sollen, bevor diese mit anderen Handlungsvorschlägen in C konfrontiert werden. Im ersten Teilschritt wird mit diesem Ziel deskripitv erfasst, was zu den ausgewählten Oberkategorien generell geäußert wird und wie sich diese Äußerungen auf die Unterkategorien verteilen (Oberkategorien für Interviewteil A: Erklärung von Wortschreibungen, schriftsprachbezogene Hilfestellungen, Wortmaterial; für Interviewteil B: Einnahme der Schülerperspektive/vermutete Schwierigkeiten, empfohlene Erklärungen und anzuregende Einsichten zur Fehlerüberwindung, empfohlene schriftsprachbezogene Hilfestellungen). Der hier interessierende Teil des Datenmaterials umfasst sämtliche Textstellen, in denen etwas zur Sachstruktur und zur didaktischen Modellierung der deutschen Wortschreibung geäußert wird. Da die (quantitative) Zusammenstellung der genannten Erklärungsansätze und Hilfestellungen erst dann aufschlussreich sein kann, wenn letztere in Bezug auf das jeweilige Wortmaterial betrachtet werden, wird die kategorienbasierte Auswertung im zweiten Teilschritt separat für die ausgewählten orthographischen Strukturtypen des deutschen Wortes (s. 5.1.2) vorgenommen, d. h., für jede von den Lehrkräften thematisierte Regularität der Wortschreibung im Kernbereich wird einzeln skizziert, welche Erklärungen und Hilfestellungen dort als handlungsleitend präsentiert werden.103 In diesem zweiten Teilschritt stehen nun alle Textpassagen zu einem bestimmten Strukturtyp im Fokus, die nach wie vor für beide Interviewteile separat bearbeitet werden: Textstellen zu Wörtern des Strukturtyps 1 (), Textstellen zu Wörtern des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen) und Textstellen zu Wörtern des Strukturtyps 4 (silbeninitiales ) in den Interviewteilen A und B. Da die Identifikation der im gesamten Datenmaterial, also in allen 18 Interviewtexten gezeigten Zugriffsmuster nur eine Annäherung an das formulierte Erkenntnisinteresse der Studie darstellt, sollen ihre spezifischen

103

In den Auswertungen ist die Klassifizierung der untersuchten Wortschreibungen nach den im Teilkapitel 5.1.2 vorgestellten Strukturtypen begrifflich leitend, um die jeweils thematisierten Regularitäten der Wortschreibung möglichst eindeutig zu benennen. Die Verwendung der Begriffe impliziert jedoch ausdrücklich nicht, dass diese Strukturierung auch den befragten Lehrenden bekannt und eine handlungsleitende Orientierungsgrundlage ist.

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7 Anlage der empirischen Untersuchung

Hintergründe in den Blick genommen werden. Es gilt zum einen, die diesbezüglich geschilderten Motive und reflexiven Betrachtungen der Lehrkräfte in die Analyse einzubeziehen, zum anderen aber auch, die jeweiligen Anforderungskontexte zu berücksichtigen, die schon in den Rahmenbedingungen der Interviewteile A und B variieren, sich aber auch je nach spezifisch thematisierter Wortschreibung unterscheiden können. Kuckartz (2014) schlägt hierfür – u. a. in Referenz auf Hopf und Schmidt (1993) – das Erstellen von Fallübersichten zu den interessierenden Merkmalen vor, auf deren Basis vertiefende Einzelfallanalysen angefertigt werden können (vgl. ebd., S. 96f.). Im dritten Teilschritt der ersten Auswertungsphase werden daher die zuvor fallübergreifend ermittelten Wortschreibungszugriffe fallspezifisch zugeordnet und dabei auch erste allgemeinere Tendenzen abstrahiert. Tab. 15 zeigt einen exemplarischen Auszug aus der Fallübersicht zu den Zugriffen der Lehrenden auf Wortschreibungen des orthographischen Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen) in den Interviewteilen A und B.

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

241

Tab. 15 Auszug aus einer Fallübersicht: Zugriffe auf Wortschreibungen des Strukturtyps 3 Zugriffe auf Wortschreibungen des Strukturtyps 3 in den Interviewteilen A und B (Oberkategorien Erklärung von Wortschreibungen, schriftsprachbezogene Hilfestellungen) L01 L03 L02 - Bezeichnung: Silbengelenk, - Bezeichnung: Silbenge- Bezeichnung: keine Doppelkonsonant - Erklärung: Markierung von lenk, Doppelkonsonant - Erklärung: wechselseitiger - Erklärung: wechselseitiger Vokalkürze im GeschriebeZusammenhang von VokalZusammenhang von Vokal- nen, mögliche, aber nicht quantität (Wortaussprache) quantität (Wortaussprache) zwingende Hörbarkeit beiund graphematischer Silben- und graphematischer Silder Konsonanten struktur (Schreibung) über Sil- benstruktur (Schreibung) - Vermittlung: bidirektionale benendrand geregelt: Schlie- über Silbenendrand gereErarbeitung: von Schreißen der ersten Schreibsilbe bung zur Aussprache und gelt, Doppelkonsonant als zur Herstellung von Vokalumgekehrt, Training der Unschriftliche Darstellung eikürze im Gesprochenen nes phonologischen Silben- terscheidung von Kontrast-> Klarstellung: Doppelkonso- gelenks und Markierung paaren nantenbuchstaben korrespon- von Vokalkürze - Hilfestellung: Silbenhausdieren nicht mit zwei Lauten -> Klarstellung: Doppelkon- Modell; silbenrhythmische - Vermittlung: von Schreibung sonantenbuchstaben korDurchgliederung (Klatzur Aussprache; wichtig: Forespondieren nicht mit zwei schen, Sprechen, Gehen) Lauten kus auf Silbenübergang des Wortes - Vermittlung: von Ausspra- Hilfestellung: Silbenhausche zur Schreibung; wichtig: Modell: Unterschied von Vokalquantität sichtbar machen Wahrnehmung von Vokalquantität und Silbengrenze - Hilfestellung: Kreuzbögen zur Anzeige des phonologischen Silbengelenks Erklärung auf suprasegErklärung auf suprasegErklärung auf suprasegmentaler Ebene: Präsentamentaler Ebene: Präsenta- mentaler Ebene: Präsentation als primär silbenstruktution als primär silbenstruktu- tion als primär silbenstrukturell begründete Schreibung rell begründete Schreibung rell begründete Schreibung mit schreibsilbenbasierter Er- mit sprechsilbenbasierter mit schreib- und sprechsilarbeitungsrichtung (ohne Erarbeitungsrichtung (ohne benbezogenen Anteilen Überlautung) Überlautung) (z. T. mit Überlautung)

In diesem dritten Teilschritt der Auswertungsphase I werden aber erstmals auch die Interviewsequenzen aus Teil C hinzugezogen und in den Fallübersichten ergänzt. Genauso wie in den anderen beiden Interviewteilen werden die Stellungnahmen zu den vorgelegten Materialauszügen in Interviewteil C zunächst entlang der kodierten gegenstandsnahen Oberkategorien ausgewertet und auf der Grundlage eines Protokollbogens zusammengefasst. Durch die inhaltliche Nähe der fokussierten Oberkategorien in allen drei Interviewteilen – sie beziehen sich gänzlich auf die sachstrukturelle und didaktische Darstellung der Wortschreibung – können die Kategorisierungen aus A, B und C mit gleichen Ergebniskategorien zusammengefasst und somit auch für jede Regularität übergreifende Tendenzen

242

7 Anlage der empirischen Untersuchung

der individuellen Zugriffe der Lehrenden festgehalten werden. Wurde die primäre Auswertung mithilfe von inhaltlichen Kategorien vorgenommen, können die Ergebniskategorien als analytische Kategorien der sekundären Auswertung verstanden werden, die aus der intensiven Auseinandersetzung mit den kodierten Daten abstrahiert wurden. Die für den dritten Teilschritt der Auswertungsphase I, d. h. v. a. zur Bestimmung der fallspezifisch zugeordneten Ergebniskategorien, genutzten Arbeitsmittel werden im Abschnitt 7.3.2.3 vorgestellt. Das Ergebnis dieser ersten Auswertungsphase ist 1. eine allgemeine Klassifizierung der gezeigten Zugriffe auf die Wortschreibung, die vor dem fachlichen Hintergrund einer strukturorientierten Konstituierung der Wortschreibung vorgenommen wird; 2. eine fallspezifische Differenzierung der klassifizierten Zugriffe im Umgang mit den spezifischen Strukturtypen der Wortschreibung im Kernbereich. Die nachfolgende Abbildung (s. Abb. 26) fasst die Inhalte und Teilschritte der ersten Auswertungsphase noch einmal grafisch zusammen. Kategorienbasierte Auswertung entlang der gegenstandsnahen Ober- und Unterkategorien in den Interviewteilen A und B (strukturtypübergreifend)

Kategorienbasierte Auswertung entlang der gegenstandsnahen Ober- und Unterkategorien in den Interviewteilen A und B (strukturtypspezifisch) Anfertigung von Fallübersichten zu den fokussierten Ober- und Unterkategorien in den Interviewteilen A, B und C (strukturtypspezifisch und -übergreifend) 1. Zwischenstand: (1) Entwicklung strukturtypübergreifender Ergebniskategorien Welche grundlegenden sachanalytischen Zugriffsmuster auf Wortschreibungen des Kernbereichs können in den Analysesequenzen ermittelt werden? (2) Relevanz der Ergebniskategorien innerhalb ausgewählter Strukturtypen Welche sachanalytischen Zugriffsmuster sind im Umgang mit den spezifischen Strukturtypen des deutschen Kernwortes zentral? (3) Fallbezogene Relevanz der Ergebniskategorien innerhalb ausgewählter Strukturtypen

Abb. 26 Auswertungsphase I

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

243

Die im dritten Teilschritt erstellten Fallübersichten zu den ausgewählten Merkmalen bilden schließlich die Grundlage für die zweite Phase des Auswertungsvorgehens. Phase II: Fallbezogene Auswertung der Zugriffe in ihren spezifischen Begründungszusammenhängen Mithilfe der tabellarischen Fallübersichten zu den gezeigten Zugriffen auf die ausgewählten Strukturtypen der deutschen Wortschreibung können die Fälle nun so sortiert werden, dass merkmalsähnliche Einzelfälle in der Tabelle hintereinander angeführt werden (vgl. auch Kuckartz 2014, S. 96). An dieser Stelle treten erste auffällige Merkmale des (individuellen oder auch überindividuellen) Umgangs der Lehrenden mit Wortschreibungen des Kernbereichs hervor; zudem deuten sich auch bestimmte ‚Verlaufsmuster‘ innerhalb des dreigeteilten Interviews an: Es zeichnen sich teilweise Abhängigkeiten zwischen den formulierten Zugriffen und den spezifischen Anforderungskontexten der einzelnen Interviewteile ab. Im Weiteren werden diese auffälligen Merkmale und kontextbezogenen Muster übergreifend als Phänomene bezeichnet: Gemeint sind damit zunächst sämtliche Erscheinungsformen, die im Umgang mit dem Fach- und Lerngegenstand Wortschreibung auf inhaltlicher, darstellungslogischer und kontextbezogener Ebene sichtbar werden. Aus diesem Grund werden auf der Basis der Fallübersichten acht Einzelfälle ausgewählt und vertiefend analysiert sowie detailgenau dokumentiert. In ihnen sollen - die formulierten Zugriffe auf Wortschreibungen der einzelnen Strukturtypen und das Verhältnis zwischen den zugewiesenen Oberkategorien differenziert beschrieben werden (Gegenstandsverständnis); - die Beziehungen zwischen den zugewiesenen Oberkategorien hinsichtlich ihrer Passung ermittelt werden; es soll also untersucht werden, inwiefern die gemeinsam oder in unmittelbarer Nähe zueinander kodierten Oberkategorien eine stimmige Argumentationslinie ergeben oder aber Mehrdeutigkeiten, gegebenenfalls sogar Brüche erzielen (Darstellungslogik); - die Stringenz der formulierten Zugriffe unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Anforderungskontexte in A, B und C untersucht werden (Kontextbezug); - Konzeptionelle Vorstellungen und Reflexionen der Lehrenden hinzugezogen werden. Abb. 27 fasst das Vorgehen noch einmal in seiner grundlegenden Schrittabfolge zusammen.

244

7 Anlage der empirischen Untersuchung

Erste (vorläufige) Gruppierung der Fallübersichten nach Merkmalsähnlichkeiten (strukturtypspezifisch und -übergreifend)

Auswahl von acht Fällen für vertiefende Einzelfallanalysen: isolierte und vergleichende Analyse der Lerngegenstandszugriffe in den Interviewteilen A, B und C (strukturtypspezifisch) und -übergreifend) Identifikation und Erläuterung zentraler Phänomene vor dem Hintergrund einer graphematischen Konstituierung des Gegenstandsbereichs (strukturtypspezifisch und -übergreifend)

2. Zwischenstand: (4) Erste Beobachtung auffälliger Phänomene (5) Vertiefende Analyse gezeigter Zugriffe auf Wortschreibungen in ihren Begründungszusammenhängen: Festhalten von gegenstandsorientierten Phänomenen (6) Ermittlung von fallbezogenen Darstellungssträngen: Festhalten des Zusammenspiels von gegenstandsorientierten, darstellungslogischen und kontextbezogenen Phänomenen

Abb. 27 Auswertungsphase II

Auf der Basis dieser Einzelfalldokumentationen können schließlich fallvergleichend häufige Phänomene in ihren Begründungszusammenhängen sowie ähnliche sequentielle Muster im gesamten Interviewverlauf identifiziert werden. Dies geschieht in Phase III der Auswertung und bietet letztlich den Ausgangspunkt für Phase IV, in der auf der Basis der inhaltsanalytisch aufbereiteten und anschließend vertiefend systematisierten Daten eine Typenbildung vorgenommen wird. Phase III: Ermittlung von fallübergreifenden Phänomenen und ihren Ausprägungen Phase III der Auswertung knüpft an die Einzelfallanalysen an, indem sie die dort festgehaltenen Phänomene fallvergleichend untersucht. Hier bietet es sich im ersten Teilschritt an, alle dokumentierten Phänomene aufzulisten und anschließend zu ordnen. Als erstes Ordnungskriterium kann die Zuteilung zu übergeordneten Phänomenebenen gelten, die sich aus den inhaltlichen Schwerpunkten der Auswertungsphase II ableiten lassen: Dort wurden gegenstandsorientierte, darstellungslogische und kontextbezogene Auffälligkeiten in den Blick genommen. In den Auseinandersetzungen mit dem fallspezifischen Datenmaterial zeigte sich allerdings, dass diese Auffälligkeiten oftmals vielschichtig miteinander verwoben sind und

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

245

eine eindeutige Zuordnung der ermittelten Phänomene zu den einzelnen Untersuchungsschwerpunkten nicht zielführend ist. Stattdessen wurden vier Phänomenebenen bestimmt, die sich eng an den zentralen Aspekten der Fragestellung orientieren: Phänomenebene 1 fokussiert auf die erkennbaren Vorstellungen der Lehrenden dazu, wie sie die Wortschreibung und ihre Beziehung zum gesprochenen Wort unabhängig von der Vermittlung im Unterricht sehen (sachstrukturelle Vorstellung). Phänomenebene 2 erfasst, inwiefern sich diese sachstrukturelle Gegenstandsvorstellung als handlungsleitend erweist, wenn es um die konkrete unterrichtliche Vermittlung der Wortschreibung geht. In der Anwendung der Ergebniskategorien (s. Phase I) zeigt sich dabei, welche Bezugsebene bzw. -größe (das Einzelsegment, die Vokalquantität als Segmenteigenschaft mit Konsequenzen für die Folgesegmente, die Silbe) in den Handlungsorientierungen der Lehrenden im Fokus steht. Ob und gegebenenfalls unter welcher Zielsetzung die Lehrkräfte an suprasegmentalen Strukturen orientierte Hilfestellungen für die Erarbeitung und Förderung der Wortschreibung positiv bewerten, wird auf der Phänomenebene 3 betrachtet. Dabei geht es vor allem darum, zu erfassen, wie sie silbenorientierte Unterstützungsmaßnahmen – ausgehend von der Lautung oder Schreibung – einschätzen und gegebenenfalls selbst einsetzen. Auf der vierten Phänomenebene werden darüber hinaus Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Zugriffe auf morphologisch einfache und komplexe Wortschreibungen erfasst. Im Überblick ergeben sich somit folgende vier Phänomenebenen der Auswertungsphase III: Tab. 16 Die vier Phänomenebenen der Auswertungsphase III Phänomenebene 1 Phänomenebene 2 Phänomenebene 3 Phänomenebene 4

Sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung und ihrer Beziehung zum gesprochenen Wort Handlungsrelevanz der sachstrukturellen Vorstellung von der Wortschreibung und ihrer Beziehung zum gesprochenen Wort Wort Bewertung von silbenorientierten Hilfestellungen Umgang mit morphologisch komplexen Wortschreibungen

Auch in dieser Auswertungsphase werden zunächst nur die ausgewählten acht Einzelfälle betrachtet und hinsichtlich der den Phänomenebenen zugeordneten Einzelphänomene miteinander verglichen sowie nach inhaltlichen Gesichtspunkten gruppiert. Auf diese Weise können ähnliche Einzelphänomene identifiziert und gebündelt werden: Es entstehen Phänomencluster, deren ‚gemeinsamer Nenner‘ benannt wird.

246

7 Anlage der empirischen Untersuchung

Phase IV: Typenbildung Im Hinblick auf die in den Auswertungsphasen I, II und III gewonnenen Erkenntnisse wird eine anschließende Typenbildung als sinnvoll betrachtet, die auf den zuvor präsentierten Systematisierungen aufbaut. Auf der Basis der ermittelten Phänomencluster wird der Merkmalsraum für die Typenbildung abgesteckt: Im Fokus der zu entwickelnden Typologie stehen die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung und ihre Handlungsrelevanz für den unterrichtlichen Umgang mit Wortschreibungen. Dies entspricht den Phänomenebenen 1 und 2, die in der vorangegangen Auswertungsphase III vorgestellt wurden. Um sich nun von den Einzelfällen zu lösen und die beobachteten Muster im Hinblick auf die gesamte Untersuchungsgruppe zu untersuchen, werden die auf den Phänomenebenen 1 und 2 ermittelten Phänomeneigenschaften mithilfe folgender Merkmale erfasst: - Merkmal 1 (M1): Verortung der Diskrepanz zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort; - Merkmal 2 (M2): Rolle von überlautierenden Formen im Zugriff auf Wortschreibungen; - Merkmal 3 (M3): Klassifizierung der Zugriffe auf Wortschreibungen der Strukturtypen 3 und 4. In welchen Ausprägungen die Merkmale auftreten und wie sie methodisch erfasst werden, wird im konkreten Anwendungsbezug in Teilkapitel 8.3 differenziert dargestellt. Die den Phänomenebenen 3 und 4 zugeordneten Phänomene werden nicht als primäre Merkmale der Typenbildung behandelt, sondern erst in der weiterführenden Analyse der ermittelten Typen berücksichtigt. Auf der Grundlage der im Vorangegangenen erstellten Fallübersichten (Auswertungsphase I) und den ausführlichen Einzelfalluntersuchungen (Auswertungsphasen II und III) wird in dieser vierten Auswertungsphase die Konstruktion einer natürlichen Typologie, also einer Fallgruppierung, die „induktiv aus den empirischen Daten gebildet“ (Kuckartz 2014, S. 122) wird, angestrebt. Im Rahmen eines solchen Vorgehens ist keine Ermittlung gänzlich merkmalshomogener Typen intendiert; es geht vielmehr darum, diejenigen Fälle zu identifizieren, die sich im fokussierten Merkmalsraum besonders ähnlich sind und sich in ihren gemeinsamen Eigenschaften wiederum besonders deutlich von den spezifischen Merkmalen der anderen Fälle abgrenzen lassen. Auf diese Weise sollen letztlich polythetische Typen gebildet werden, die „intern möglichst homogen und extern möglichst heterogen sind“ (ebd.).

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

247

Für die Typenbildung werden sämtliche Passagen aus den Interviewteilen A und B herangezogen, die mit den ‚gegenstandsnahen‘ Oberkategorien Erklärungen von Wortschreibungen und schriftsprachbezogene Hilfestellungen in den Interviewteilen A und B sowie mit der zusätzlichen Oberkategorie vermutete Schwierigkeiten in B kodiert wurden und auf deren Basis Zuordnungen zu den vorgestellten Ergebniskategorien vorgenommen werden konnten. Die Typenbildung bezieht sich dabei allerdings ausschließlich auf diejenigen Gesprächsbeiträge der Lehrenden, in denen konkrete Wortschreibungen der Strukturtypen 3 und 4 bearbeitet und kommentiert werden. Die Beschränkung auf die ausgewählten Strukturtypen des deutschen Wortes ist mit deren besonderer Aussagekraft hinsichtlich des Verhältnisses zwischen gesprochener und geschriebener Wortstruktur zu begründen: - Wortschreibungen des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen) spiegeln die Wechselbeziehung zwischen phonologischen und graphematischen Wortstrukturen besonders deutlich wider und zeigen zudem, dass sich beide Sprachebenen durch eigenständige Realisierungsformen konstituieren: Während die phonotaktische Eindeutigkeit im Gesprochenen in Wörtern wie rennen durch entsprechende Koartikulationsbedingungen zwischen Vokal und Folgekonsonant gewährleistet wird, setzt das Geschriebene mit der Verdopplung der Konsonantengrapheme (bzw. in anderen Fällen mit und ) die eigene Materialität, d. h. das Verfügen über diskrete Einheiten, ein, um die notwendigen graphotaktischen Strukturanforderungen zu erfüllen. - Wortschreibungen des Strukturtyps 4 (silbeninitiales ) sind wiederum ein besonders deutliches Beispiel für die in 4.1 beschriebene relative (und eminent funktionale) Eigenständigkeit des Schriftsystems: Als klassifikatorisch oder sequentiell zu begründende Markierung besitzt das silbeninitiale eine leseerleichternde Funktion und kein phonologisches Äquivalent. Grundsätzlich wären im Hinblick auf das Ziel der Typenbildung auch Schreibungen mit (Strukturtyp 1) geeignete Untersuchungsgegenstände, denn regelhafte Wortschreibungen mit können sowohl phonographisch als auch silbenstrukturell erklärt werden; sie können außerdem sowohl ausgehend vom gesprochenen Wort (oder Laut) als auch rein graphematisch hergeleitet werden. Im letztgenannten Fall werden prototypische graphematische Zweisilber dahingehend untersucht, ob eine offene oder geschlossene graphematische Hauptsilbe vorliegt; wird eine offene Hauptsilbe identifiziert, ist die Markierung dieser offenen Silbe durch

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7 Anlage der empirischen Untersuchung

im vokalischen Silbenkern angezeigt. Die Auseinandersetzung mit der /-Schreibung lässt also segmentale und suprasegmentale Zugriffe zu, die den Zusammenhang zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort aktivieren, sie kann aber grundsätzlich auch in Form einer autonomen Untersuchung der Schriftstrukturen erfolgen. In der Auswertungsphase I konnte allerdings beobachtet werden, dass ein Großteil der befragten Lehrkräfte einen primär phonographischen Zugriff formuliert, die -Schreibung also vordergründig an die regelhafte Korrespondenz zwischen dem Graphem und dem Phonem [iː] bindet. Aufgrund der relativ geringen Variationsbreite der ermittelten Zugriffe zählen Interviewsequenzen zu Wortschreibungen mit daher nicht zum für die Typenbildung konstitutiven Material. Sie werden aber im anschließenden Schritt, d. h. bei der Beschreibung der ermittelten Typen, wieder aufgegriffen. Durch die Analyse der von den befragten Lehrenden erläuterten Zugriffe auf die genannten Wortschreibungen sollen differenzierte Einblicke in ihre handlungsleitenden Vorstellungen zum (Wechsel-)Verhältnis von Gesprochenem und Geschriebenem gewonnen werden. Als entscheidende Datengrundlage werden die Gesprächspassagen bestimmt, die aufgrund ihrer festen Verankerung im Interviewleitfaden in jedem Einzelinterview auf gleiche Weise von der Interviewerin angeregt wurden. Dazu zählt erstens die Erklärung des eigenen Umgangs mit Doppelkonsonantenschreibungen (Strukturtyp 3) im Interviewteil A und zweitens die Auseinandersetzung mit den vorgelegten (Fehl-)Schreibungen von Schüler/-innen (Strukturtypen 3 und 4) im Interviewteil B. Ergänzend können weitere Thematisierungen von Wortschreibungen des Strukturtyps 4 in A hinzugezogen werden – dies betrifft allerdings nur zwei Lehrerinnen (L01, L15), die sich als einzige bereits im offenen Interviewteil A auf Schreibungen mit silbeninitialem beziehen. Die folgende Übersicht (s.Tab. 17) zeigt, wie häufig Schreibungen der einzelnen Strukturtypen in den für die Typenbildung ausgewählten Interviewteilen A und B von den einzelnen Lehrkräften thematisiert werden. Auch wenn für die Konstruktion der Typen nur Datenmaterial zu Schreibungen der Strukturtypen 3 und 4 herangezogen wird, werden in der Tabelle zusätzlich die Häufigkeiten zur Thematisierung der -Schreibung angeführt, die in den vertiefenden Typenbeschreibungen (s. 8.3) aufgegriffen werden. Die Ziffern in der Übersicht geben an, wie viele Analysesequenzen zu Schreibungen des jeweiligen Strukturtyps insgesamt vorliegen; dabei werden allerdings alle frei geäußerten Orientierungen zu den einzelnen orthographischen Strukturtypen im Interviewteil A jeweils zu einem Analyseposten zusammengefasst, da sich hier in der Regel erst aus

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7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

der Zusammenschau mehrerer Textsegmente eine Tendenz des sachstrukturellen und didaktischen Zugangs zum Strukturtyp ableiten lässt. Im Interviewteil B ist die separate Betrachtung der Äußerungen zu den konkret vorgelegten Wortschreibungen aus den in 7.3.2 dargestellten Gründen hingegen sinnvoll. Da die Fehlschreibungen von und im Schreibbeispiel B3 gemeinsam präsentiert wurden, gehen sie allerdings ebenso wie die Sequenzen aus Interviewteil A nur als ein Posten in die Übersicht ein. Die hochgestellten Buchstaben stehen für die Interviewteile A und B und informieren darüber, ob die einzelnen Strukturtypen in beiden oder nur in einem der Interviewteile behandelt wurden. Tab. 17 Materialgrundlage der Typenbildung: Anzahl vorliegender Untersuchungssequenzen L01 L02 L03 L04 L05 L06 L07 L08 L09 L10 L11 L12 L13 L14 L15 L16 L17 L18 Gesamt

ST 1, 1B 1B 2AB 1B 1A 1B 2AB 1B 2AB 1B 2AB 2AB 2AB 1B 2AB 2AB 2AB 1B 27AB

ST 3 3AB 3AB 3AB 3AB 3AB 3AB 3AB 3AB 3AB 3AB 3AB 3AB 2AB 3AB 3AB 3AB 3AB 3AB 53AB

ST 4 3AB 2B 2B 2B 2B 2B 2B 2B 2B 1B 2B 2B 2B 2B 3AB 2B 2B 2B 37AB

Dass sich die Typenbildung auf einen so begrenzten Ausschnitt aus dem Datenmaterial bezieht – es werden schließlich nur Textsegmente zu fünf bzw. teilweise sechs Sequenzen aus lediglich zwei Bereichen der deutschen Wortschreibung berücksichtigt –, mag zunächst irritieren. Bereits in den Einzelfallanalysen wurde jedoch deutlich, dass sich anhand dieser ausgewählten Regularitäten sehr viel umfangreichere Informationen des interessierenden Gegenstandsbereiches, etwa zu globaleren Gegenstandsvorstellungen und konzeptionellen Überzeugungen, ermitteln lassen. Aus diesem Grund erfolgt die Konstruktion der Typologie zwar auf der Basis eines relativ begrenzten Textmaterials, stellt damit aber gleichzeitig

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7 Anlage der empirischen Untersuchung

die Weichen für die vertiefende Beschreibung daran geknüpfter weiterführender Muster. Zudem ist die Auswahl einer überschaubaren Materialgrundlage erforderlich, um eine Fallgruppierung mit möglichst ähnlichen Merkmalsausprägungen vornehmen und im Verfahren der polythetischen Typenbildung eine methodisch transparente Zuordnung der Einzelfälle gewährleisten zu können. Als zentrale Arbeitsinstrumente der Typenbildung stehen die Auswertungsprotokolle für die Interviewteile A und B zur Verfügung (s. 7.3.2.3), anhand derer eine Zuordnung zu den Merkmalsausprägungen von M1, M2 und M3 vorgenommen wird. Zur Untersuchung von M1, d. h. der spezifischen Ebene, auf der die Lehrenden die Diskrepanz zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort verorten, erweist sich insbesondere die Oberkategorie Einnahme der Schülerperspektive/vermutete Schwierigkeiten aus Interviewteil B (Umgang mit Fehlschreibungen) als aufschlussreich: Gerade in den Inputbeispielen B1 (* vs. ) und B3 (* vs. ), in denen die präsentierten Schreibzweifel der Schüler speziell auf die Diskrepanz zwischen Aussprache und Schreibung bezogen sind, lässt aus den Stellungnahmen der Lehrkräfte vielfach ableiten, wie sie selbst diese Diskrepanz (fachlich) einordnen. Aber auch die sprachlichen Detailanalysen entsprechender Textsegmente aus Interviewteil A können diesbezüglichen Aufschluss geben. Zur Untersuchung von M2, der Handlungsrelevanz überlautierender Wortformen im Umgang mit Schreibungen, erweisen sich die im nächsten Abschnitt 7.3.2.3 vorgestellten Arbeitsprotokolle ebenfalls als hilfreiche Auswertungsgrundlage: In dieser Merkmalserarbeitung interessieren alle Kreuze, die bei den Unterkategorien mit dem Zusatz „mit/ohne Überlautung“ gesetzt wurden. M3 ergibt sich schließlich aus der Zuordnung der Ergebniskategorien. Ist die Konstruktion der Typologie erfolgt, werden in der detaillierten Beschreibung der ermittelten Typen weitere Äußerungen aus den Interviewteilen A (offene Beschreibung und Reflexion des Unterrichts) und C (Bewertung von Materialauszügen) hinzugezogen. Da die Interviewinhalte im Interviewteil A trotz Rahmung durch den Interviewleitfaden von den Lehrenden stets individuell gestaltet wurden und die Inputmaterialien im dritten Interviewteil C in z. T. sehr unterschiedlicher Differenziertheit und zudem mit frei wählbaren Bewertungskriterien bearbeitet wurden, bieten die allgemeineren Reflexionen in A und die Äußerungen zur Materialbewertung in C keine für alle Einzelfälle gleiche bzw. vergleichbare Analysegrundlage. Aus diesem Grund werden sie erst nach abgeschlossener

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

251

Typenbildung hinzugezogen und als sekundäre Untersuchungsgegenstände für jeden ermittelten Typ einzeln betrachtet. Dies gilt in erster Linie für die Angaben und Schilderungen zum Einsatz von Lehr-Lern-Materialien, die die Lehrenden in Interviewteil A vornehmen, sowie für die ‚gegenstandsnahen‘ Bewertungskriterien und -gegenstände, die sich in ihrer Auseinandersetzung mit den Materialauszügen in C als zentral erweisen. Ziel der Typenbildung ist es, grundlegende Orientierungsmuster der Lehrenden zu erfassen, die Aufschluss darüber geben, welches Verständnis zwischen der phonologischen und graphematischen Sprachebene bzw. zwischen dem phonologischen und dem graphematischen Wort für sie handlungsleitend ist. Dafür kann zum einen erfasst werden, wie die Lehrenden die Beziehung sachstrukturell fundieren, welche Vorstellungen sie dazu also noch unabhängig von ihrer didaktischen Modellierung in unterrichtlichen Kontexten offenbaren. Zum anderen kann untersucht werden, wie dieses Verständnis wiederum mit ihren Empfehlungen zur Anregung und Begleitung von schriftsprachlichen Lernprozessen korrespondiert. Dadurch, dass in der Anlage der Experteninterviews bewusst keine separate Erhebung des rein fachlichen Gegenstandsverständnisses vorgesehen war, ist eine trennscharfe Differenzierung zwischen fachlichen und fachdidaktischen Zugriffen der befragten Lehrkräfte methodisch nicht möglich. Es zeigt sich aber – insbesondere in den Inputbeispielen B1 (schaffen) und B3 (blühen), in denen u. a. Schüleräußerungen zur ‚Hörbarkeit‘ doppelter Konsonantenbuchstaben bzw. des silbeninitialen präsentiert wurden –, dass den Äußerungen der Lehrkräfte durchaus stichhaltige Hinweise zu entnehmen sind, wie sie die ‚eigentliche‘, sachstrukturelle gegenüber der didaktisch verwertbaren Beziehung zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort abstecken. Um diese z. T. sehr subtilen Merkmalsausprägungen zu erfassen, kann die Analyse zusätzlich zur inhaltsanalytischen Strukturierung des Datenmaterials durch eine eingehende Untersuchung der Form, d. h. der spezifischen sprachlichen Darstellung der Zugriffe geschärft werden. Hierbei erweist sich der Einbezug von Impulsen aus der dokumentarischen Methode als gewinnbringende Ergänzung der inhaltsanalytischen (Vor-)Arbeit: Aus der Art und Weise, wie sich die Befragten sprachlich mit der (möglichen) Diskrepanz zwischen lautsprachlicher und schriftsprachlicher Wortrepräsentation auseinandersetzen, können Einblicke in ihr generelles Verständnis und die damit verknüpften handlungsleitenden Konsequenzen gewonnen werden: Nicht nur das, was gesagt wird, ist zentral, sondern auch wie es gesagt wird. Es soll nicht nur analysiert werden, was die gesellschaftliche Realität der Akteure ist, sondern auch wie diese in der Praxis

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7 Anlage der empirischen Untersuchung

hergestellt wird. Durch dieses Wie entschlüsselt sich der konjunktive Erfahrungsraum der Interviewten, d.h. das bestimmende Milieu, das durch den Beruf oder die soziale Zugehörigkeit oder andere Parameter bestimmt ist. (Paseka 2010, S. 146)

Dabei können u. a. die Länge der Redebeiträge, Auffälligkeiten im Redefluss sowie die Wortwahl in den Blick genommen werden. Wie die Ergänzung der inhaltsanalytisch strukturierten Daten um die ‚sprachliche Detailanalyse‘ (vgl. Paseka 2010, S. 154) methodisch umgesetzt wird, wird in der Beschreibung der einzelnen Typen demonstriert. 7.3.2.3

Arbeitsinstrumente zur fallbezogenen Zuweisung der Ergebniskategorien

Wie mit den Kategorien der primären Auswertung in der sekundären Untersuchung der inhaltsanalytisch strukturierten Daten konkret weitergearbeitet wird, soll in den folgenden Ausführungen am Beispiel von Interviewteil B demonstriert werden. Ziel der Darstellung ist es, offenzulegen, wie aus den Kategorisierungen innerhalb des festgelegten Themenbereichs abgeleitet wird, welche Merkmale in den von den Lehrkräften formulierten Zugriffen auf Wortschreibungen zentral sind. Die in diesem Abschnitt vorgestellten Arbeitsprotokollbögen stellen gewissermaßen ein Zwischeninstrument dar, das nach der Kategorienzuweisung der primären Auswertung und vor der Entwicklung und fallspezifischen Zuordnung von analytischen Ergebniskategorien in der sekundären Auswertung zum Einsatz kommt. Dieses Instrument erwies sich insofern als notwendig, als die in 7.3.1 vorgestellten Ober- und Unterkategorien für den Umgang mit Wortschreibungen noch nicht auf die strukturellen Gegebenheiten des jeweils untersuchten Wortmaterials ‚spezialisiert‘ sind, sondern eine erste Übersicht über Erklärungsansätze liefern. 104 In der Auseinandersetzung mit den inhaltsanalytisch strukturierten Daten in der sekundären Auswertungsphase I zeigte sich dann, dass eine regularitäts-

104

Auf eine Entwicklung von Kategoriensystemen für die Interviewteile A und B, in denen die Erklärungen von Wortschreibung weiterführend nach untersuchten Regularitäten differenziert werden, wurde bewusst verzichtet, da dieses Vorhaben ein äußerst komplexes kategoriales Netz mit zahlreichen Unterebenen erwirkt und damit eine einheitliche, transparente Kodierung deutlich erschwert hätte. Gleichzeitig konnten durch die für alle Behandlungen von Wortschreibungen eingesetzten Kategorien am Material selbst Muster entdeckt werden, die für die Untersuchungsgruppe bedeutsam erscheinen.

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

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bzw. strukturtypspezifische Aufschlüsselung der Kategorisierungen tiefergehende Einsichten in die Begründungszusammenhänge der individuellen Erklärungsansätze liefert. Aus diesem Grund wurden die kategorienbasiert klassifizierten Erklärungsansätze für die drei ausgewählten Strukturtypen 1 (), 3 (Silbengelenkschreibungen) und 4 (silbeninitiales ) vertiefend untersucht und Protokollbögen erstellt, in denen für jede betrachtete Schreibung eines Strukturtyps die aktivierten Zugänge übersichtlich festgehalten und miteinander verglichen werden können. Diese Protokollbögen werden anhand der Kodierungen der primären Auswertung für jeden Fall einzeln ausgefüllt und dienen schließlich als Grundlage für die Zuordnung der Ergebniskategorien, d. h., mithilfe der Protokollbögen können die primären Zugriffe auf Schreibungen eines Strukturtyps abstrahiert werden. Das diesbezügliche Vorgehen soll im Weiteren am Beispiel von Interviewteil B verdeutlicht werden. Für die sekundären Auswertungsphasen I und II werden im Interviewteil B drei Oberkategorien herangezogen: 1 vermutete Schwierigkeiten, 2 Erklärungen, Einsichten, 3 schriftsprachbezogene Hilfestellungen. Anhand der damit vorgenommenen Kodierungen werden die in den Interviews erkennbaren handlungsleitenden Zugriffe der Lehrende auf Wortschreibungen der Strukturtypen 1 (), 3 (Silbengelenkschreibungen einschließlich und ) und 4 (silbeninitiales ) ermittelt. Da den Lehrkräften in den Interviews die Freiheit zur getrennten oder aber verknüpften Darstellung ihres sachstrukturellen Verständnisses und ihrer anwendungsbezogenen Zugänge zugestanden wurde, kann die in der sekundären Auswertung intendierte Ermittlung der ‚primären‘ Zugriffe auf die Regularitäten der Wortschreibung also in der Regel nur ein jeweils individuell geprägtes Zusammenspiel aus - dem sachanalytischen Verständnis der Schreibung sowie - den didaktischen Orientierungen in Form von Handlungsentscheidungen bzw. -empfehlungen wiedergeben. Dafür werden vorwiegend Interviewsequenzen aus den Interviewteilen A und B herangezogen, die sich mit den jeweils fokussierten Regularitäten der Wortschreibung beschäftigen. Darauf bezogene Reflexionen und Problematisierungen werden erst in den Einzelfalldarstellungen und der daran anknüpfenden Typenbildung aufgegriffen. Wie die von den Lehrenden formulierten Zugriffe auf einzelne Wortschreibungen methodisch erfasst und anschließend gebündelt werden, wird im Weiteren am Beispiel des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen) erläutert. Dabei werden die (Unter-)Kategorien aus der primären Aus-

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7 Anlage der empirischen Untersuchung

wertung angeführt, die für die intendierte Klassifizierung der primären Zugriffe leitend sind. Die Arbeitsprotokolle für die Strukturtypen 1 und 4 sind dem Anhang C zu entnehmen. Zur Analyse der Zugänge zu Strukturtyp 3 (, *) im Interviewteil B wurde die auf den nächsten Seiten abgebildete Tabelle als Untersuchungsgrundlage entwickelt (s. Tab. 18). Die unterstrichenen Hinweise am unteren Ende jeder Tabellenzeile in der linken Spalte geben die Subkategorien an, die für die angeführten Orientierungen als kennzeichnend bestimmt wurden. Für jeden Einzelfall werden die zutreffenden Zugriffskomponenten in der rechten Spalte mit einem einfachen x angekreuzt und gegebenenfalls – wenn weitere Differenzierungen möglich sind – mit einem Zusatzhinweis a), b) oder c) ergänzt. Subklassifizierungen, für die in der ersten Auswertungsphase ermittelt werden konnte, dass sie fallübergreifend häufig gemeinsam auftreten, sind in dem Protokollbogen in einem gleichen Grauton oder in Weiß unterlegt.

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

255

Tab. 18 Arbeitsprotokollbogen für Inputschreibungen des Strukturtyps 3 1 Die vermuteten Schwierigkeiten werden zurückgeführt auf 1.1 eine ungenaue Aussprache und die fehlende Abbildung zweier Konsonantenphoneme im Geschriebenen. ungenaue/falsche Aussprache oder auditive Wahrnehmung 1.2 eine fehlende Wahrnehmung der Vokalkürze im Wortstamm (mit Konsequenzen für die Schreibung). (fehlender Bezug auf die Morphemstruktur), fehlende Differenzierung v Vokalquantitäten 1.3 eine rein phonographische Vorgehensweise mit fehlleitender 1:1-Abbildannahme zwischen Phonemen und Graphemen. fehlendes Bewusstsein über suprasegmentale Strukturen, einzelsegmentales Vorgehen (Bezugsgröße: Lautung) 1.4 eine fehlende Analyse der Silbenstruktur. (a) ohne Überlautung (b) mit Überlautung fehlender Bezug auf Fuß-/Silbenstruktur 1.5 den fehlenden Einsatz von Problemlösestrategien. fehlender Einsatz von Problemlösestrategien/schriftanal. Operationen 1.6 eine Missachtung von Regeln/orthograph. Konventionen. fehlender Bezug auf orthographische Konvention 1.7 Sonstiges/nicht eindeutig. 2 Die Erklärungsansätze beziehen sich auf 2.1 eine (vermeintliche) 1:1-Zuordnung von doppelten Konsonantengraphemen zu doppelten Konsonantphonemen. Phonem-Graphem-Korrespondenzen: mit Überlautung 2.2 eine Differenzierung der Vokalquantitäten im Wortstamm mit Konsequenzen für die Schreibung (Doppelkonsonantenschreibung). Differenzierung von Vokalquantitäten + ggf. Morphem(konstanz) 2.3 ein Strukturwissen zur Silbe im Zweisilber. a) allgemein: geschlossene Silbe für Vokalkürze erforderlich b) erkennbar: Sprechsilbe: phonologisches Silbengelenk/ Enge zwischen Vokal und Konsonant = ohne Überlautung c) erkennbar: Schreibsilbe: zwei intervokalische Konsonantengrapheme als strukturelles Erfordernis der Kodierung von Vokalkürze = (ggf. explizit) ohne Überlautung d) zweisilbige Fußstruktur macht Verdopplung hörbar = mit Überlautung Fuß/Silbe(nstruktur) 2.4 ein Strukturwissen zum zweisilbigen Fuß: zwei intervokalische Konsonantengrapheme als strukturelles Erfordernis einer orthographisch richtigen Schreibung. Fuß/Silbe(nstruktur)

B1 B2a *

256

7 Anlage der empirischen Untersuchung

2.5 orthographisches Wissen. orthographische Konvention 2.6 Sonstiges/nicht eindeutig. 3 Die Handlungsvorschläge beziehen sich auf 3.1 konsonantisch überlautierende sprech-/bewegungsrhythmische/auditive Hilfestellungen im Zweisilber. sprechrhythmisch/auditiv (ohne expliziten Silbenbezug) 3.2 sprech- und bewegungsrhythmische/auditive Hilfestellungen zur Differenzierung der Vokalquantität. sprechrhythmisch/auditiv 3.3 sprech- und bewegungsrhythmische/auditive Hilfestellungen zur Wahrnehmung oder Erschließung der Silbenstruktur im Zweisilber. sprechrhythmisch/auditiv 3.4 visuelle Strukturierungen zur Wahrnehmung oder Erschließung der Silbenstruktur im Zweisilber. visuell strukturierend 3.5 sprachanalytische Operationen (z.B. Verlängern, Untergliedern) zur Analyse der komplexen Wortstruktur. (schrift-)sprachanalytische Operationen + Fokus Morphemkonstanz 3.6 Merkwörter, Merksätze. Merkhilfen, Merkwort, Merksatz 3.7 Sonstiges/nicht eindeutig.

257

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

Für einen primär an den (konsonantischen) Einzelsegmenten orientierten Zugriff sprechen: 1.1 eine ungenaue Aussprache und die fehlende Abbildung zweier Konsonantenphoneme im Geschriebenen.

und/oder

2.1 eine (vermeintliche) 1:1-Zuordnung von doppelten Konsonantengraphemen zu doppelten Konsonantenphonemen.

und/oder

3.1 konsonantisch überlautierende sprech-/bewegungsrhythmische/auditive Hilfestellungen im Zweisilber.

. Für einen primär an der Erfassung der Vokalquantität orientierten Zugriff sprechen: 1.2 eine fehlende Wahrnehmung der Vokalkürze im Wortstamm (mit Konsequenzen für die Schreibung).

und/oder

2.2 eine Differenzierung der Vokalquantitäten im Wortstamm mit Konsequenzen für die Schreibung (Doppelkonsonanten-/Silbengelenkschreibung).

und/oder

3.2 sprech- und bewegungsrhythmische/auditive Hilfestellungen zur Differenzierung der Vokalquantität.

. Für einen primär am zweisilbigen Fuß und an der Silbenstruktur orientierten Zugriff sprechen: 1.3 eine rein phonographische Vorgehensweise mit fehlleitender 1:1-Abbildannahme zwischen Phonemen und Graphemen und/oder 1.4 eine fehlende Analyse der Silbenstruktur und/oder 1.5 den fehlenden Einsatz von Problemlösestrategien.

und/oder

2.3 ein Strukturwissen zur Silbe im Zweisilber oder 2.4 ein Strukturwissen zum zweisilbigen Fuß.

und/oder

3.3 sprech- und bewegungsrhythmische/auditive Hilfestellungen zur Wahrnehmung oder Erschließung der Silbenstruktur im Zweisilber und/oder 3.4 visuelle Strukturierungen zur Wahrnehmung oder Erschließung der Silbenstruktur im Zweisilber (sowie ggf. 3.5).

.

258

7 Anlage der empirischen Untersuchung

Eine Besonderheit stellt jedoch der Fall 2.3d) (zweisilbige Fußstruktur macht Verdopplung hörbar = mit Überlautung) dar: Hier wird zwar mit einer Untersuchung der Silbenstruktur gearbeitet, die Schreibung aber gleichzeitig mit einer überlautierenden phonologischen Repräsentation, nämlich einer zweifachen Artikulation des intervokalischen Konsonanten, verknüpft. Wird 2.3d) als erklärungsrelevant angekreuzt, bedeutet dies in der Regel, dass zwar eine silbenstrukturelle Erklärung präsentiert wird, diese aber segmentbasierte Anteile enthält. Für die weitere Arbeit wird dies mit einem [x] in der entsprechenden Tabellenzelle vermerkt. Gleiches gilt für Argumentationskombinationen aus 2.3a) (Erklärung: geschlossene Silbe für Vokalkürze erforderlich) mit 1.4b) (vermutete Schwierigkeiten: fehlende Analyse der Silbenstruktur: mit Überlautung) und/oder 3.1 (konsonantisch überlautierende sprech-/bewegungsrhythmische/auditive Hilfestellungen im Zweisilber). Allgemein kann für den Bereich der silbenstrukturellen Zugriffe festgehalten werden, dass eine eindeutige Tendenz für eine primär silbenstrukturelle Erklärung ausgeschlossen wird, sobald eine Überlautung eingebracht oder auf die notwendige ‚Hochlautung‘ verwiesen wird. Die Ausprägung 3.5 (sprachanalytische Operationen (z.B. Verlängern, Untergliedern) zur Analyse der komplexen Wortstruktur) wird generell nur für die komplexe Wortform Frühstücksei in Beispiel B2a untersucht, im Beispielwort B1 (schaffen) ist eine solche Untersuchung obsolet. Sie tritt oftmals mit weiteren Ausprägungen der Untersuchungsebene auf, etwa mit 3.3 (sprech- und bewegungsrhythmische/auditive Hilfestellungen) oder 3.4 (visuelle Strukturierungen). Der Analysebogen zum Strukturtyp 4 wurde analog zum Strukturtyp 3 aufgebaut, sodass sich identische „typische“ Argumentationsstränge (dargestellt durch unterschiedliche Graustufen) ergeben (s. Anhang C). Für den Interviewteil A wurde ein ähnlich aufgebauter Protokollbogen, allerdings ohne die Kategorie vermutete Schwierigkeiten und aufgrund der Offenheit dieses Interviewteils mit einer Extra-Zeile für zusätzliche Kommentare, entwickelt. Auch in der Auswertung der Gesprächssequenzen aus Interviewteil C wurden mit einem Dokumentationsbogen gearbeitet. Dieser wird im Rahmen der Einzelfallanalysen (s. 8.2) vorgestellt. Ziel des Einsatzes der vorgestellten Protokollformen ist die Ermittlung der primären Zugriffe, die die Lehrkräfte für die Regularitäten der Wortschreibung formulieren. Als erstes Ergebnis, das mithilfe der Arbeitsprotokollbögen erzielt werden konnte, werden im Ergebniskapitel die bereits mehrfach genannten Ergebniskategorien vorgestellt, die die ermittelten grundlegenden Zugriffsmuster voneinander abgrenzen (s. 8.1).

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

7.3.2.4

259

Exkurs: Terminologie auf der Ebene der Lautung

Folgende terminologische Unterscheidungen werden hinsichtlich der lautsprachlichen Varietäten, die in den untersuchten Interviews eine Rolle spielen, vorgenommen: Explizitlautung: Die Explizitlautung bezeichnet nach Eisenberg (2016, S. 52) die grundlegende, phonologisch bestimmte Lautform einer Wortform und dient als „wortphonologische Bezugsgröße für andere Aussprachevarietäten“ (ebd., S. 51). Als „maximal explizite (phonologisch aufwendigste) Form“ (Maas 2015, S. 126) bildet die Explizitlautung jede Wortform für sich isoliert und jeden einzelnen Laut dieser Wortform wiederum mitsamt all seinen „funktionalen artikulatorischen Merkmale[n]“ (Eisenberg 2016, S. 51) ab. Anders als (a) in der Standardlautung werden daher u. a. jeder vokalische Silbenkern und somit auch das Schwa in der zweiten, unbetonten Silbe stets artikuliert und (b) in der Überlautung alle Wortformen in Normalbetonung realisiert (vgl. ebd.). Im Hinblick auf das orthographische Lernen und Können hebt Maas (2015) hervor, dass der Umgang mit Explizitformen immer an (den Aufbau von) Sprachwissen gebunden ist: Orthographische Strukturen fundieren daher in Explizitformen, richtiger: im Wissen um die Skala sprachlicher Formenvariation mit Explizitformen als maximal artikuliertem Pol. (ebd., S. 129)

Diese Explizitformen seien nicht gleichzusetzen mit dem, was im schulischen Anfangsunterricht häufig als ‚Rechtschreibsprache‘ oder ‚Pilotsprache‘ zum Einsatz käme: Die damit gemeinten Sprachformen stellen seiner Argumentation zufolge vielmehr eine „Pseudophonetisierung des Schriftbildes“ (ebd., S. 130) dar, die aufgrund ihrer Anregung zu schriftinduzierten Hyperlautungen der Sachstruktur des deutschen phonologischen Wortes widersprechen. ‚Hochlautung‘: Wenn die Lehrkräfte in ihren Ausführungen eine „vorbildliche Aussprache“ (Eisenberg 2016, S. 54) als Voraussetzung für orthographisch korrekte Wortschreibungen angeben, wird dies im Weiteren mit der Bezeichnung ‚Hochlautung‘ gekennzeichnet: Dies ist immer dann der Fall, wenn die Lehrpersonen Gründe für orthographische Schwierigkeiten der Lernenden

260

7 Anlage der empirischen Untersuchung

in der ‚unsauberen‘ Alltags- bzw. Umgangslautung sehen und auf das Erfordernis einer ‚sauberen‘ Aussprache verweisen. Sie gehen dabei in der Regel davon aus, dass die erstrebenswerte/ideale Sprachform des Deutschen mit den Strukturen des geschriebenen Wortes übereinstimmt, und legen der deutschen Orthographie aus diesem Grund (zumeist unbewusst) eine schriftgeleitete Überlautung (s. unten) zugrunde. Um diese Vorstellung einer ‚Hochlautung‘, die aus fachlicher Sicht eine sachinadäquate Hyperlautung darstellt, von der Explizitlautung (s. unten) abzugrenzen, wird der Begriff in einfache Anführungszeichen gesetzt und kennzeichnet 1. die Perspektive der Lehrkräfte, die die angeregte Aussprachevariante als grundsätzlich angemessene, der idealen phonologischen Wortstruktur entsprechende Lautung gegenüber der unsauberen Umgangslautung verstehen; 2. mithilfe der einfachen Anführungsstriche das aus fachlicher Sicht inadäquate Konzept, das durch die unbewusste Projektion schriftspezifischer Strukturen auf die lautsprachliche Realisierung des Wortes entsteht. Die Anführungszeichen sollen also verdeutlichen, dass es sich um eine von den Lehrkräften angenommene, aus fachlicher Sicht aber unangemessene Vorstellung einer Ideallautung handelt. Die Kennzeichnung ‚Hochlautung‘ meint also nicht das Konzept einer verbindlichen und allgemeingültigen Aussprachenorm, sondern verweist auf die Absicht der Lehrenden, Schriftstrukturen über eine identische lautliche Sprachform zu verdeutlichen, die im Gegensatz zur Explizitlautung nicht phonologisch bestimmt ist. Überlautung: Die Überlautung wird von Mattes (2015, S. 25) als „Mythos vom schriftgetreuen Hochdeutsch“ beschrieben: Sie stellt eine Aussprachevariante dar, die ausdrücklich nicht der gesprochenen Sprache entspricht (vgl. Maas 2006, S. 222); vielmehr ist sie „nicht nur am Geschriebenen orientiert, sondern sie realisiert alles, was geschrieben wird.“ (Eisenberg 2017, S. 24) In Überlautungen werden bspw. alle Vokale unabhängig von ihrem Auftreten in einer betonten oder unbetonten Silbe als Vollvokale artikuliert (d.h. der Reduktionsvokal Schwa wird ebenfalls als Vollvokal realisiert) oder auch rein graphematische Markierungen wie das silbeninitiale phonologisch wiedergegeben (vgl. Eisenberg 2016, S. 52f.). Während die Explizitlautung phonologisch determiniert ist, also eine zulässige Repräsentationsform des Gesprochenen darstellt, dient die Überlautung „bestimmten praktischen Zwecken“ (ebd.), die u.a. didaktischer Natur sein können: Indem im

7.3 Die Datenauswertung: inhaltlich-strukturierende Inhaltsanalyse

261

Orthographieunterricht besondere schriftsprachliche Strukturen überlautiert wiedergegeben werden, versuchen Lehrkräfte, ihren Schüler/-innen rechtschriftliche Regularitäten nahezubringen, wenngleich sie damit missachten, dass sich orthographische Strukturen mit einer Überlautung nicht begründen lassen (vgl. u. a. Maas 2006, S. 222; Eisenberg 2017, S. 25). Die Bezeichnung Überlautung bezieht sich auf das gleiche Konstrukt wie die oben erläuterte ‚Hochlautung‘; sie wird in den Auswertungen im Unterschied zu letztgenanntem Begriff angeführt, wenn sie von den Lehrenden im Rahmen einer methodischen Hilfestellung (und nicht zur Begründung der Schwierigkeit des Schülers/der Schülerin) genutzt wird. Standardlautung: Die Standardlautung bezeichnet eine für Sprecherinnen und Sprecher unterschiedlicher dialektaler Sprachformen allgemeingültige „Gebrauchsnorm“ (Eisenberg 2016, S. 54). Obgleich auch in der Standardlautung regionale Unterschiede existieren, zählen „ihre Schriftnähe, ihre überregionale Gültigkeit und ihre Tendenz zur Einheitlichkeit“ (ebd.) zu ihren zentralen Eigenschaften. Dabei unterscheidet sich die Standardlautung insofern von der Explizitlautung, als sie Präferenzen des praktischen Gebrauchs abbildet, so zum Beispiel die Ersetzung des Reduktionsvokals Schwa in der Reduktionssilbe durch silbische Konsonanten oder die Vokalisierung des [ʀ] im Endrand der betonten Silbe (vgl. Eisenberg 2016, S. 56). Becker (2012) merkt dazu an, dass der Ausfall von Schwa vor einem Sonoranten zwar als standardsprachlich gelten kann, bei schreien aber gleichzeitig weiterhin Zweisilbigkeit angenommen wird, obwohl „die Zweisilbigkeit eigentlich nur noch durch die Schrift stabilisiert [wird]“ (ebd., S. 56). Aus diesem Grund verweist Eisenberg vermutlich explizit auf die Schriftnähe der Standardlautung (s. oben). Umgangslautung: Mit dem Begriff Umgangslautung soll im Weiteren jede konkrete „Aussprachevarietät der alltäglichen mündlichen Kommunikation“ (Eisenberg 2016, S. 57) bezeichnet werden, die im Vergleich zur Standardlautung individuelle sowie sozial und regional bedingte Färbungen aufweist und u. a. typische Phänomene der Koartikulation wie die Assimilation von Sprachlauten oder auch Veränderung der artikulatorischen Merkmale von Vokalen (vgl. ebd., S. 58f.) anzeigt.

8

Darstellung der Ergebnisse

Die Ergebnisdarstellung erfolgt entlang des vierphasigen Verfahrens der sekundären Auswertung. Dokumentiert werden die zentralen Erkenntnisse der aufeinander bezogenen Auswertungsprozesse, wenngleich nicht alle Phasen und Teilschritte einzeln ausgewiesen werden, sondern die Ergebnisse in der Regel aus dem Zusammenwirken mehrerer Teilschritte oder auch gesamter Auswertungsphasen hervorgehen. Für das Ergebniskapitel ergibt sich folgender Aufbau: Zunächst wird mit der Vorstellung der Ergebniskategorien ein zentrales Verdienst der ersten Auswertungsphase präsentiert, das für die Darstellungen der weiterführenden Erkenntnisse aus den Auswertungsphasen II-IV von maßgeblicher Bedeutung ist. Das zweite Ergebnisteilkapitel präsentiert ausführliche Einzelfallanalysen, in denen die wesentlichen Erkenntnisse aus der zweiten und dritten Auswertungsphase demonstriert werden und die die Grundlage für eine übergreifende Typenbildung, dargestellt im dritten Teilkapitel, schaffen.

8.1 Vorstellung der entwickelten Ergebniskategorien Als zentrales methodisches Verdienst der sekundären Auswertungsphase I kann die Entwicklung von Ergebniskategorien bezeichnet werden, auf die in allen weiteren Auswertungsphasen zurückgegriffen wird. Sie sind aus dem ersten Teilschritt hervorgegangen, in dem sämtliche Textstellen in allen 18 Auswahleinheiten auf konkrete Zugriffe auf Wortschreibungen untersucht wurden. Das Kategoriensystem der primären Auswertung wurde auf umfangreicher Materialbasis und mithilfe von sowohl deduktiven als auch induktiven Herangehensweisen entwickelt (s. Kapitel 7.3.1) und kann somit zwar bereits als recht differenziert gelten; allerdings musste es auch so angelegt werden, dass möglichst gleiche Kategorien für alle drei Interviewteile angewendet werden konnten, und durfte daher wiederum nicht zu feingliedrig organisiert sein. Zudem mussten die Kategorienzuordnungen möglichst äußerungsnah bzw. mindestens im Rahmen einer überschaubaren Kontexteinheit und darüber hinaus einheitlich für Wörter unterschiedlicher Strukturtypen vorgenommen werden können. In der sekundären Analyse der inhaltsanalytisch strukturierten Daten zeigte sich schließlich, dass die Beantwortung der – auf der Basis der primären Aus-

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Schröder, Der Lerngegenstand Wortschreibung aus der Sicht von Lehrenden, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24828-4_8

264

8 Darstellung der Ergebnisse

wertung z. T. präzisierten – Forschungsfragen eine Bündelung der ‚gegenstandsnahen‘ Kategorien zu globaleren Zugriffsweisen erforderlich machte. Aus der intensiven kategorienbasierten primären Auswertung wurden zu diesem Zweck zentrale Erklärungsebenen im Umgang mit Wortschreibungen identifiziert und davon ausgehend spezifische Zugriffsformen beschrieben, die sich hinsichtlich der herangezogenen Bezugsebenen und -einheiten unterscheiden. Nach welchen Kriterien die Bündelung der gegenstandsnahen Kategorien aus der primären Auswertung erfolgt ist und welche Einteilungen aus ihr hervorgegangen sind, wird in diesem Teilkapitel erläutert. Das erste Unterscheidungskriterium betrifft die jeweils fokussierte Struktureinheit des deutschen Wortes: Beziehen sich die Zugriffe auf die deutsche Wortschreibung primär auf das Segment, also die kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit des Wortes, oder stellen sie suprasegmentale Einheiten in den Mittelpunkt, die vor allem Silben- und Fußstrukturen betreffen? Auf der zweiten Gliederungsebene wird die Beziehung zwischen phonologischer und graphematischer Sprachebene aufgegriffen: Ist in den formulierten Erklärungsansätzen und unterrichtsmethodischen Orientierungen das gesprochene oder das geschriebene zweisilbige Wort, der gesprochene oder geschriebene Wortstamm, die gesprochene oder geschriebene Silbe, das gesprochene oder geschriebene Segment der (erkennbare) Ausgangspunkt der Schreibbegründung? Werden die Erklärungsansätze auf suprasegmentaler Ebene verortet, wird zudem zwischen segmentbezogenem und silbenstrukturellem Schwerpunkt unterschieden. Dass in der erstgenannten Bezeichnung der Begriff des Segments auftaucht, obwohl die Klassifizierung auf suprasegmentaler, also gerade nicht auf das einzelne Segment beschränkter Ebene vorgenommen wird, bedarf einer besonderen Erklärung: Als segmentbezogen wird ein Zugriff dann bezeichnet, wenn die Herleitung der Schreibung die Betrachtung des Umfelds eines Segments zwingend erfordert, wenn also mindestens zwei (aufeinanderfolgende) Segmente in ihrem Zusammenhang in die Wortanalyse einbezogen werden müssen. Der ‚klassische‘ Fall eines segmentbezogenen Zugriffs besteht in der Erklärung einer Doppelkonsonantenschreibung gemäß der amtlichen Regelung: Wird der Vokal im Wortstamm kurz artikuliert und folgt ihm im Gesprochenen nur ein Konsonant, wird dieser Konsonant im Geschriebenen verdoppelt (s. 4.5.2.1), d. h., die Erklärung ist zwar auf die Eigenschaft eines Segments, nämlich die Kürze des Vokals, bezogen, sie erschöpft sich jedoch

8.1 Vorstellung der entwickelten Ergebniskategorien

265

nicht in der Analyse dieses Einzelsegments, sondern präsentiert die Kodierung der Vokalkürze im geschriebenen Wort in ihrer suprasegmentalen Abhängigkeit zu den nachfolgenden Konsonantengraphemen. Demgegenüber stehen wiederum silbenstrukturelle Zugriffe, die sich nicht (bzw. nicht in erster Instanz) auf den Wortstamm, sondern explizit auf die Struktureinheit Silbe und ihre Konstituenten (Anfangsrand, Kern, Endrand) beziehen. In der Regel spielen hier die Besetzung oder Nichtbesetzung des silbischen Endrands und die daraus abzuleitende Offenheit oder Geschlossenheit der ersten Silbe eine ausschlaggebende Rolle. Da silbische Strukturen grundsätzlich in der übergeordneten Einheit, dem phonologischen bzw. graphematischen Fuß, fundieren, gelten auch diejenigen Zugriffe als primär silbenstrukturell, die die silbischen Konstituenten zwar nicht explizit benennen, die Verhältnisse zwischen erster und zweiter Silbe eines Fußes aber in den Mittelpunkt der Erklärung stellen. Ob sich die Silbenanalyse primär auf lautsprachlicher oder schriftsprachlicher Ebene abspielt, wird in der Feinunterscheidung zwischen phonologisch orientiert und graphematisch orientiert festgehalten. Eine eindeutige Zuordnung erweist sich in diesem Fall jedoch häufig als schwierig, nicht zuletzt, weil die Lehrer/-innen zum Teil zwar visuelle Strukturierungen nutzen, diese aber dennoch primär zur Erarbeitung der phonologischen Wortstruktur nutzen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn Schüler/-innen zur Eintragung von Wörtern in ein Silbenhaus-Modell aufgefordert werden, letzteres aber so angelegt ist, dass es die strukturellen Merkmale der Sprechsilben visualisiert. Wie damit in der konkreten Anwendung der Ergebniskategorien umgegangen wird, demonstrieren die Einzelfalldokumentationen in Teilkapitel 8.2. Das grundsätzliche Vorgehen bei der Ermittlung zentraler Zugriffsmuster im Umgang der Lehrenden mit Wortschreibungen wurde im Abschnitt 7.3.2.3 ausführlich beschrieben. In der folgenden Übersicht (s. Tab. 19) werden die Ergebniskategorien, die aus der kategorienbasierten Auswertung entlang der Oberkategorien Erklärungen und Hilfestellungen in A und B abgeleitet wurden, definiert und mithilfe von Beispielen aus den Interviews veranschaulicht. Auf die Darstellung einer zusätzlich relevanten Erklärungsebene, auf der Schreibungen als orthographische Konventionen ohne systematische Herleitung präsentiert werden, wird verzichtet, da diese Zuordnung in der Regel selbsterklärend ist (mögliche Indikatoren sind beispielsweise der Verweis auf rechtschriftliche Vorschriften, die Einordnung einer Wortschreibung als Ausnahme oder Merkwort).







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VHJPHQWDOHU(EHQH

266 8 Darstellung der Ergebnisse

Tab. 19 Ergebniskategorien Teil I

8.1 Vorstellung der entwickelten Ergebniskategorien

267

Stehen Schreibungen flektierter oder zusammengesetzter Wörter im Fokus, kann darüber hinaus unterschieden werden, ob ihnen eine phonologische oder eine morphologische Motivation zugrunde gelegt wird. Dabei wird im Wesentlichen zwischen Erklärungsansätzen unterschieden, die sich an Eigenschaften des gesprochenen Wortes oder Wortstamms orientieren und ohne eine Analyse morphologischer Zusammenhänge auskommen, und denen, die die Stammschreibung in einer zweisilbigen Explizitform fundieren (siehe dazu auch Abschnitt 4.5.3). Tab. 20 präsentiert die Definitionen beider Erklärungsmuster sowie entsprechende Textbeispiele aus dem Datenmaterial. Je nachdem, welche Variante zutrifft, können zur weiteren Bestimmung der Zugriffe die oben (s. Tab. 19) angeführten Klassifizierungen getroffen werden.

Erläuterung

Beispiel

„und aus dem (-) könnte man Gieß.kanne (-) genauso gut ein oder ein hören (-) und das ist dann wiederum Regelwissen, zu wissen, nach einem langen [iː] kommt ein “ (L11)

(b) „Frühstücksei/*“, ja, da würde ich / es ist eben das , noch mal diese Regel, wann das Dehnungs- kommt, mit denen besprechen, aber vor allem auch, dass es ein langes ü ist und, ja, dass da das Dehnungs- kommt.“ (L18)

segmental: „((…)) man kann Wörter verlängern und ((…)) wenn ich weiß, wie früh geschrieben wird oder wie früHER/[fʀyː'hɛʀ] geschrieben wird, dann weiß ich auch, wie Früh.stück geschrieben wird, zumindest in DEM Bereich halt, ne ((...)). Oder wenn es jetzt früh ist, das Wort, ich kann es verlängern, früHER/[fʀyː'hɛʀ].“ (L12)

suprasegmental: „Ja, das sind ja Komposita, also könnte man dann erst mal gucken, ne, welche Teile hat dieses Wort und dann würde man eben auf früh und Stück und Ei ähm kommen und dann könnte man eben verlängern ((…)), Stück, Stücke, würde dann da eben auch sehen, dass das in Stück eben gebremst werden muss, also dass da eine geschlossene Silbe vorliegt“ (L01)

Die Erklärung zur Schreibung einer komplexen Kompositumform wird dann als „morphologisch“ bzw. als Resultat von Morphemkonstanz kodiert, wenn die Schreibung des Wortstamms auf eine zweisilbige trochäische Grundform zurückgeführt wird, aus deren Strukturen sich die morphologisch vererbte graphematische Stammform ergibt. Hier sind grundsätzlich alle Zugriffstypen (segmental, suprasegmental in allen Unterklassen, seltener: orthographische Konvention) möglich.

(a) „Und bei stück ist es allerdings das kurze ü, also das wäre auch wieder eine Übung, das zu HÖren. Heißt es [ʃtyːk] oder heißt es [ʃtʏk]. Das ist ja immer das Gleiche irgendwie, es geht immer darum, das genau zu hören und entsprechend zu reagieren beim Schreiben, und klar, beim ist es dann gemein, dass man es nicht verdoppeln darf.“ (L08)

morphologische Schreibung

Die Erklärung zur Schreibung einer komplexen Kompositumform wird dann als „phonologisch motiviert“ kodiert, wenn der Wortstamm als Bezugseinheit herangezogen wird und nicht ein zweisilbiger trochäischer Fuß als Basiseinheit. In den meisten Fällen impliziert dies in dieser Untersuchung eine segmentbezogene Erklärung, die sich (a) an Vokalkürze und der Anzahl der auf den Vokal folgenden Konsonanten, (b) an Vokallänge und dem (vermeintlich) daraus abzuleitenden Dehnungszeichen orientiert.

Erklärung der Schreibung einer komplexen Wortform (Kompositum) als

phonologisch motivierte Schreibung

268 8 Darstellung der Ergebnisse

Tab. 20 Ergebniskategorien Teil II

8.1 Vorstellung der entwickelten Ergebniskategorien

269

Die Zuordnung der Ergebniskategorien erfolgt schließlich in Orientierung an folgenden Leitlinien: Sie wird zunächst für beide Interviewteile A (offene Beschreibung und Reflexion des Unterrichts) und B (Umgang mit Fehlschreibungen) separat und anhand der Oberkategorien Erklärungen/Einsichten und schriftsprachbezogene Hilfestellungen vorgenommen. Dabei erhält grundsätzlich die Oberkategorie Erklärungen/Einsichten höchstes Gewicht, die Oberkategorie schriftsprachbezogene Hilfestellungen wird in erster Linie ergänzend bzw. verdichtend hinzugezogen. Nicht immer sprechen die Lehrkräfte jedoch beide Oberkategorien an, sodass die primäre Zugriffsweise auf die jeweilige Regularität auch nur mithilfe von einer der Oberkategorien erschlossen wird. In diesem Auswertungsschritt tritt die prinzipielle Offenheit der Interviews folglich deutlich hervor. Werden von den Lehrenden keine expliziten Erklärungsansätze genannt, werden die Angaben zu den empfohlenen Hilfestellungen und im Interviewteil B gegebenenfalls auch die Äußerungen zu den vermuteten Schwierigkeiten zur Ermittlung der Zugriffe herangezogen. Bietet die kodierte Einheit nicht ausreichend Anhaltspunkte, wird das bearbeitete Beispiel entweder aus der Analyse ausgeschlossen oder – in selteneren Fällen – auf Aussagen zur gleichen Regularität in einer anderen Textsequenz bzw. aus einem anderen Inputbeispiel aus Teil B zurückgegriffen. Letzteres erscheint vor allem dann methodisch zulässig, wenn die Lehrkräfte in ihren Erklärungen selbst auf ein anderes, vorher genanntes Beispiel verweisen (L17 rät in B2a/* beispielsweise zur Verlängerung Stück – Stücke und gibt dann den Hinweis auf die gleiche Erklärung der Schreibung und die gleiche didaktische Modellierung „wie bei schaffen“, also Beispiel 1). Dieses Vorgehen ist jedoch nicht auf das Hinzuziehen von Sequenzen, die dem Gesagten vorangegangen sind, begrenzt – auch Nachfolgendes kann einbezogen werden. Hinzugezogen werden Erklärungen aus anderen Beispielen folglich auch dann, wenn die Lehrkräfte eine spezifische Schreibbegründung nicht explizit ausführen, gleiche Zugriffe wie in einem nachfolgenden Beispiel aber grundsätzlich als wahrscheinlich gelten können: Bleibt eine Lehrerin in ihren Erklärungen zur Fehlschreibung * etwa bei der verlängerten Form früher stehen, artikuliert diese überlautierend mit [h], führt dies jedoch an dieser Stelle nicht weiter aus, kann die B3-Fehlschreibung * gegebenenfalls weiteren Aufschluss geben. Wenn die Bearbeitung in B3 eine explizite Erklärung zum ‚hörbaren ‘ liefert, so wird diese Erklärung auch für die Einordnung des Zugriffs in B2a genutzt. Voraussetzung für diese auswertungsmethodische Hilfsmaßnahme ist jedoch, dass sich die Erklärungen auf vergleichbare Untersuchungsgegenstände beziehen: Eine Übertragung ist nur dann

270

8 Darstellung der Ergebnisse

möglich, wenn die besprochenen Beispiele auf die gleiche Wortstruktur referieren, im beschriebenen Beispiel sind dies die zweisilbigen trochäischen Füße früher und blühen. Wenn die Erklärung zur Fehlschreibung * hingegen bei dem einsilbigen Baustein früh stehen bleibt, kann die Erklärung zum zweisilbigen blühen nicht rückwirkend für die Präzisierung des Zugriffes auf die Schreibung von früh genutzt werden. Oftmals fügen sich die mithilfe der Oberkategorien kodierten Äußerungen zu einer Schreibung stimmig ineinander. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Fehlschreibung * auf den von der Schülerin nicht berücksichtigten Langvokal, der zur graphematische Kennzeichnung durch notwendig wäre, zurückgeführt wird (1 vermutete Schwierigkeiten) und die Zielschreibung anschließend über die regelhafte Zuordnung des Phonems [i:] zum Graphem bzw. zur Graphemfolge (2 Erklärungen/Einsichten) und mithilfe von Visualisierungen des Langvokals (3 schriftsprachbezogene Hilfestellungen) erklärt wird. Aus diesen in sich stimmigen Argumentationssträngen wurden die vorgestellten Ergebniskategorien abgeleitet. Wie sich in den Hinweisen zu den Protokollbögen als Arbeitsinstrumente der sekundären Auswertung aber bereits angedeutet hat, bilden die Inhalte der einzelnen Kodiereinheiten nicht immer eine schlüssige Argumentationslinie: Im Fall von (Inputbeispiel B1) kann z. B. beobachtet werden, dass die vermutete Schwierigkeit in der fehlenden Berücksichtigung der Silbenstruktur in ihrer Relevanz für die Vokalkürze gesehen wird und die Erklärung auf die Besetzung des Hauptsilbenendrands fokussiert, die empfohlenen Hilfestellungen jedoch ausschließlich auf die Wahrnehmung der (angenommenen) zweifach realisierten intervokalischen Konsonanten abzielen. Der von den Lehrenden gekennzeichnete (hier: silbenstrukturelle) Zugriff enthält also implizit Anteile anderer (hier: segmentaler) Zugriffsebenen. Im Arbeitsprotokoll wurden die impliziten Anteile in diesen Fällen zusätzlich durch ein Kreuz in eckigen Klammern [x] angegeben. Mit den Ergebniskategorien können diese z. T. sehr subtilen und vielschichtigen Besonderheiten nicht erschöpfend erfasst werden, sodass zusätzliche Angaben nötig sind. In der Anwendung der Ergebniskategorien in Auswertungsphase II konnten erste fallübergreifende Schwerpunkte ermittelt werden. Wie sich diese konkret ergeben und warum sie im Rückbezug auf die leitenden Forschungsfragen von zentraler Bedeutung für das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie sind, soll in den Einzelfallanalysen (s. 8.2) und der Vorstellung der Typologie (s. 8.3) demonstriert werden.

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

271

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen Im Teilkapitel 8.1 wurden die Ergebniskategorien als Resultat der kategorienbasierten Auswertung entlang der gegenstandsnahen Ober- und Unterkategorien präsentiert. Auf ihrer Basis wurden in der ersten Phase der sekundären Analyse Fallübersichten zu den Zugriffen der Lehrkräfte auf Wortschreibungen des Kernbereichs angefertigt und letztere wiederum nach Schwerpunkten gruppiert. Die Relevanz der ermittelten Zugriffsmuster für die Beantwortung der Forschungsfragen zeigt sich jedoch erst dann, wenn beschrieben werden kann, von welchen Komponenten – etwa wissensbasierten, einstellungsbasierten, erfahrungsbasierten oder pragmatisch orientierten – die Handlungsempfehlungen und -entscheidungen der Lehrkräfte gesteuert werden. Vertiefende Einsichten in die handlungsleitenden Kognitionen der Lehrenden erfordern daher auch fallorientierte Analysen, in denen die dargestellten Zugriffe in Abhängigkeit von den jeweiligen Äußerungskontexten und ihrer Gesamtdarstellung im Interview untersucht werden. Diesem Anliegen wurde in erster Linie in der zweiten Auswertungsphase nachgegangen: Hier wurden auf der Basis von Fallübersichten acht möglichst merkmalsheterogene Einzelfälle (L01, L03, L06, L07, L08, L11, L14, L16) ausgewählt, in denen alle zuvor ermittelten Zugriffsschwerpunkte im Umgang mit den ausgewählten orthographischen Strukturtypen (s. 7.3.2) abgedeckt werden und die aufgrund dieser Breite der Gegenstandsvorstellungen und Handlungsorientierungen als geeignete Untersuchungsgruppe erscheinen. Diese Einzelfälle wurden differenziert untersucht, indem ihre Äußerungen in den Interviewteilen A, B und C vorerst separat hinsichtlich der dargestellten Zugriffe auf die Wortschreibung beschrieben wurden, dann aber stets die Bezüge zu dem im vorangegangenen Interviewteil Gesagten hergestellt und unter inhaltlichen und darstellungslogischen Gesichtspunkten ausgewertet wurden. Auf diese Weise konnten die formulierten Handlungsorientierungen und -empfehlungen in ihren Begründungszusammenhängen und unter Berücksichtigung der jeweiligen Anforderungskontexte erfasst werden. Wie bereits im Abschnitt 7.3.2.2 erläutert, wurden mithilfe der Einzelfalldokumentationen auffällige Einzelphänomene identifiziert und in der anschließenden Auswertungsphase III fallvergleichend überprüft. Auf diesem Weg wurden sowohl häufige, d. h. fallübergreifend bedeutsame, als auch fallspezifische Phänomene auf vier Ebenen ermittelt:

272

8 Darstellung der Ergebnisse

Phänomenebene 1: Welche sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung (ggf. in ihrem Verhältnis zum gesprochenen Wort) ist in den Äußerungen der Lehrkräfte erkennbar? - Phänomenebene 2: (Inwiefern) spiegelt sich die auf Phänomenebene 1 ermittelte Phänomenausprägung in den Handlungsempfehlungen wider? - Phänomenebene 3: (Inwiefern) werden zur Anregung von Einsichten in die Wortschreibung im Unterricht silbenorientierte Hilfestellungen genutzt? - Phänomenebene 4: (Inwiefern) werden einheitliche Zugriffe auf morphologisch einfache und komplexe Wortschreibungen präsentiert? In den folgenden Teilkapiteln der Ergebnisdarstellung sollen die Phänomene, die sich fallübergreifend zeigen, anhand von vier ausgewählten Einzelfällen (L01, L03, L07, L11) dargestellt werden. Das primäre Ziel besteht darin, alle auf den festgelegten Ebenen vorkommenden Phänomene differenziert zu beschreiben. Die Darstellungsweise der verschiedenen Phänomenausprägungen wurde so gewählt, dass sie zum einen fallübergreifende Zuordnungen möglich macht, zum anderen aber auch die wesentlichen Unterschiede zwischen den Einzelfällen herausstellen kann. Dafür wurden die wesentlichen Aspekte aus den fallspezifisch (also in den Einzelfallanalysen) beobachteten Phänomenen abstrahiert und in allgemeine Phänomenbezeichnungen überführt. Die folgende Abbildung (Abb. 28) gibt einen Überblick über die Phänomenausprägungen, die für die ersten beiden Ebenen im Umgang der Lehrenden mit Wortschreibungen der Strukturtypen 3 (z. B. schaffen) und 4 (z. B. blühen) ermittelt wurden. 105 Sie zeigt zum einen, welche grundsätzliche Vorstellung die Lehrkräfte von der Wortschreibung ausdrücken, und präsentiert zum anderen die beobachteten Muster dazu, ob diese Vorstellung im Anwendungskontext handlungsleitend ist oder der Fokus in der (vorgestellten) didaktischen Handlungssituation auf eine andere Zugriffsweise bzw. Bezugsgröße verschoben wird. Wie die in der Grafik fallübergreifend auftretenden Zugriffsmuster inhaltlich bestimmt sein können bzw. im Einzelfall inhaltlich bestimmt sind, zeichnen die Einzelfallanalysen differenziert nach. -

105

Dass sich die Phänomenbeschreibungen auf Schreibungen der Strukturtypen 3 und 4 beschränken, wird mit der besonderen Auskunftskraft dieser Regularitäten für das individuelle Verständnis des Zusammenhangs von Schreibung und Lautung begründet (s. oben).

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

273

Phänomenebene 1 (P1) Sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung

Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung

Orientierung an der Schriftstruktur

Die Lehrperson geht davon aus, dass die Wortschreibung aus den Segmenten des gesprochenen Wortes abgeleitet wird, projiziert dabei aber bereits (unbewusst) ihr Wissen über die Schreibung auf die Lautung.

Die Lehrperson geht von eigenständigen Strukturen der Wortschreibung aus, die sie gegebenenfalls in ihrer Wechselbeziehung zum gesprochenen Wort reflektiert.

Vorstellung aus P1 ist handlungsleitend.

Vorstellung aus P1 ist handlungsleitend.

Vorstellung aus P1 verblasst im Handlungsbezug.

Vorstellung aus P1 verblasst im Handlungsbezug.

Anwendung der Ergebniskategorien

Phänomenebene 2 (P2) Handlungsrelevanz der sachstrukturellen Vorstellung von der Wortschreibung

Abb. 28 Phänomenausprägungen der Ebenen 1 (P1) und 2 (P2)

Zusätzlich zu den Phänomenebenen 1 und 2 (P1, P2), die die primären sachstrukturellen Vorstellungen und didaktischen Handlungsorientierungen der Lehrenden beschreiben, können weitere spezifische Aspekte in den Blick genommen werden. Auf der Ebene 3 (P3) wird ergänzend untersucht, inwiefern die Lehrenden im Rahmen ihrer auf der Phänomenebene 2 ermittelten primären Zugriffe Verknüpfungen mit silbenorientierten Hilfestellungen herstellen oder zumindest als didaktisch zielführend in Betracht ziehen. Auch hierfür können die übergreifenden Muster graphisch festgehalten werden (s. Abb. 29). Dargestellt werden nur diejenigen Ausprägungen, die in den Einzelfallanalysen auftreten.

274

8 Darstellung der Ergebnisse

Phänomenebene 3 (P3) Bewertung von silbenorientierten Hilfestellungen zur Ermittlung der Wortschreibung Hilfestellungen in Schreibrichtung: Ausgang von der Lautung Die Lehrperson reflektiert über das Unterstützungspotenzial von sprechsilbenorientierten Hilfestellungen, mit denen über die Wahrnehmung des gesprochenen Wortes Schlussfolgerungen für die SChreibung getroffen werden sollen.

Hilfestellungen in Leserichtung: Ausgang von der Schreibung Die Lehrperson reflektiert über das Unterstützungspotenzial von schreibsilbenorientierten Hilfestellungen, mit denen über die Auseinandersetzung mit dem geschriebenen Wort Schlussfolgerungen für die Schreibung getroffen werden sollen.

Fokus: schriftinduzierte Lautung Fokus: Vokalquantität

Fokus: schriftinduzierte Lautung Fokus: Vokalquantität Fokus: Schriftstruktur

Mögliche Ausprägungen ihrer Bewertung: (a) positiv: wirksame Hilfestellung (b) positiv: ergänzende Hilfestellung (c) negativ: fehlleitende Hilfestellung Abb. 29 Phänomenausprägungen der Ebene 3 (P3)

Unterschieden wird dabei zum einen, auf welcher Ebene die Hilfestellungen ansetzen (Ebene der Lautung oder der Schreibung), und zum anderen, mit welchem Ziel die Hilfestellungen verbunden werden: Dienen sie der Herausarbeitung zu verschriftender Einzelsegmente und der Erfassung einer daran geknüpften schriftinduzierten Lautung oder sollen sie die Ermittlung der Vokalquantität stützen, aus der wiederum Schlussfolgerungen für die Schreibung abgeleitet werden können? Die von den Lehrenden thematisierten silbischen Hilfestellungen werden schließlich nach der von ihnen vorgenommenen Bewertung klassifiziert: Drücken die Lehrkräfte eine positive Haltung zur jeweiligen Form der Unterstützungsmaßnahme

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

275

aus oder bewerten sie sie kritisch? An dieser Stelle kann ein grober Überblick über die möglichen Phänomenausprägungen der Ebene 3 genügen – die Einzelfallanalysen werden differenziert nachzeichnen, was sich hinter den Klassifizierungen verbirgt. Eine ähnliche Systematisierung wird schließlich auch für die Zugriffe der Lehrenden auf morphologisch komplexe Wortschreibungen (z. B. B2a, ) vorgenommen (s. Abb. 30) und gezeigt, inwiefern für morphologisch komplexe Schreibungen gleiche Zugriffsweisen wie für morphologisch einfache Wortformen genutzt werden. Phänomenebene 4 (P4) Übertragung der Erklärungen morphologisch einfacher auf morphologisch komplexe Wortschreibungen umfassend

eingeschränkt

Die Lehrperson formuliert gleiche Zugriffe auf morphologisch einfache und komplexe Wortschreibungen: Sie bezieht sich in beiden Fällen auf den Wortstamm oder eine zweisilbige Grundform. Spezialfall: Verführungsfall II L. regt zur Bildung einer zweisilbigen Wortform an, um die (vermeintliche) 'Hörbarkeit' von geschriebenen Segmenten zu reaktivieren.

L. zeigt Schwierigkeiten bei der Übertragung ihrer Erklärungen von morphologisch einfachen Schreibungen auf morphologisch komplexe Schreibungen. Spezialfall: Verführungsfall I L. ordnet morphologisch komplexe Wortschreibungen des Strukturtyps 4 als phonologisch motivierte Dehnungsschreibung ein.

Abb. 30 Phänomenausprägungen der Ebene 4 (P4)

In den nachfolgend präsentierten Texten der vier Einzelfallanalysen werden die auftretenden Phänomene an Textstellen, die exemplarisch für das jeweilige Phänomen stehen können, verdeutlicht. Dies erfolgt, indem an diesen Stellen ein grau unterlegtes und mit einem diagonalen Pfeil ↘ gekennzeichnetes Textfeld eingefügt wird, das die übergreifende Phänomenbezeichnung und eine knappe Beschreibung enthält, z. B.: ↘ Phänomenebene 1: Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung und dem gesprochenen Wort ist an einer schriftinduzierten Lautung orientiert: […].

276

8 Darstellung der Ergebnisse

Aufgrund der besonderen Aussagekraft von Schreibungen der orthographischen Strukturtypen 3 und 4 für den ausgewählten Merkmalsraum bezieht sich die Darstellung der Phänomene nur auf diese beiden Bereiche der Wortschreibung. In den Fließtexten werden jedoch auch die Zugriffe auf regelhafte Schreibungen mit (Strukturtyp 1) untersucht, da sie weitere Hinweise auf grundlegende Begründungszusammenhänge und Bezugsgrößen im Umgang mit Wortschreibungen liefern können.106 Während sich die Phänomendarstellungen der Ebenen 1, 2 und 4 ausschließlich auf die Interviewteile A (offene Beschreibung und Reflexion des Unterrichts) und B (Umgang mit Fehlschreibungen) beziehen, werden auf Ebene 3 gegebenenfalls auch Stellungnahmen aus Interviewteil C (Bewertung von Materialauszügen) hinzugezogen. Dies geschieht immer dann, wenn in diesem dritten Interviewteil Aspekte zu silbenorientierten Hilfestellungen thematisiert werden, die zuvor nicht zur Sprache kamen. Am Ende jeder Einzelfallanalyse werden alle für den Fall ermittelten Phänomene in einer tabellarischen Übersicht erfasst und noch einmal in ihrer fallspezifischen Ausprägung beschrieben. Um in dieser tabellarischen Zusammenfassung Rückbezüge zu den Ausführungen im Fließtext der Analysen herstellen zu können, wird mit einer besonderen Form von Querverweisen gearbeitet: Hinter besonders aufschlussreiche Stellen der Einzelfallanalysen werden ‚Marker‘ des Musters →LXX-x107 gesetzt. Mithilfe dieser Marker können in der tabellarischen Übersicht zum Ende jeder Einzelfallanalyse innertextliche Bezüge hergestellt werden. Die Einzelfallanalysen konzentrieren sich aber nicht ausschließlich auf die Darstellung der Phänomene. Sie sollen vielmehr einen umfassenden Eindruck von den Handlungsorientierungen und -motiven der einzelnen Lehrkräfte liefern und dabei auch globalere Aspekte, z. B. Überlegungen zur konzeptionellen schriftsprachdidaktischen Ausrichtung, aber auch

106

107

Da die Einteilung der orthographischen Regularitäten nach den in Kapitel 5.1.2 vorgestellten Strukturtypen nicht nur aufgrund der hier vertretenen gegenstandstheoretischen und -didaktischen Position angebracht, sondern auch für eine begrifflich eindeutige Darstellung geeignet ist, werden die spezifisch untersuchten Schreibungen in den folgenden Ausführungen hauptsächlich nach den zugeordneten Strukturtypen benannt. In einigen Fällen werden letztere jedoch auch konkretisiert, indem beispielsweise auf die Schreibung oder die Silbengelenkschreibung als spezifische Regularitäten innerhalb des Strukturtyps 1 bzw. 3 referiert wird. Sie werden chronologisch nummeriert, der erste Marker in der Einzelfallanalyse L07 lautet demnach: →L07-1.

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

277

handlungsrelevante Erfahrungen in schriftsprachlichen Lehr-Lern-Prozessen, aufgreifen. Auf diese Weise können die ermittelten Phänomene auch in übergreifenden Begründungszusammenhängen betrachtet werden. Um zu zeigen, wie die methodischen Richtlinien des Auswertungsvorgehens, die im Teilkapitel 7.3 bereits theoretisch dargestellt wurden, praktisch umgesetzt wurden, werden im Anhang D – exemplarisch für die Lehrerin L07 – die Arbeitsprotokolle aus der vorangegangenen Auswertungsphase II für den Interviewteil B abgebildet; dargestellt werden jedoch nur diejenigen Abschnitte aus den Protokollen, die für den Fall L07 relevant sind, d. h., es werden nicht die gesamten Protokollbögen, sondern nur Auszüge daraus wiedergegeben. In den weiteren Einzelfallanalysen L11, L03 und L01 wird auf die Abbildung der komplexen Arbeitsprotokolle zum Interviewteil B verzichtet, die Arbeitsprotokolle für Interviewteil C können hingegen in allen vier Einzelfallanalysen eingesehen werden. Da die Analysen der Einzelfälle somit Ergebnisse von zwei umfangreichen Auswertungsphasen präsentieren und dadurch relativ hohe Anforderungen an die transparente Darstellung dieser Ergebnisse entstehen, werden die wesentlichen Strukturierungsformen innerhalb des Textes sowie Hinweise zu den Transkriptkonventionen in dem folgenden Kasten noch einmal zusammengefasst.

278

8 Darstellung der Ergebnisse

1) Hinweise zu besonderen Strukturierungsformen in den Einzelfallanalysen: Zur transparenten Dokumenation der Arbeitsschritte der Auswetungsphase II werden in allen Einzelfallanalysen die mithilfe der Ergebniskategorien (s. 8.1) vorgenommenen Zusammenfassungen der Zugriffe auf Wortschreibungen der Strukturtypen 1 (), 3 (Silbengelenkschreibungen, z. B. ) und 4 (silbeninitiales , z. B. ) abgebildet. Zur Dokumentation der Arbeitschritte der Auswertungsphase III werden die ermittelten Phänomene und ihre Beschreibungen (a) im Fließtext mit durch Schattierung abgehobenen Textfeldern und der Kennzeichnung durch einen diagonalen Pfeil , (b) am Ende der Analyse in einer tabellarischen Übersicht zusammengefasst. Dabei werden zum einen die allgemeinen Phänomenbezeichnungen und -beschreibungen, zum anderen die fallspezifischen Ausprägungen dieser Phänomene angegeben. Die Zusammenfassungen enthalten wiederum Querverweise zum Fließtext in folgender Form: (→LXX-x) 2) Hinweise zu den Transkriptionskonventionen: Es wird wörtlich und vollständig transkribiert, umgangssprachliche Formen (v. a. bei Verben) werden jedoch im Sinne der Lesbarkeit geglättet (z. B. umgangssprachliches wir ham zu wir haben). Ausgewählte Kennzeichnungen: (-) (--) (---) = kurze, mittlere, längere Pause akZENT = besondere Betonung einer Silbe oder eines Wortes; Sil.be = silbisches Sprechen ((…)) = Auslassung = Grapheme in spitzen Klammern [a], [ə] = Laute (Phone) in eckigen Klammern /p/ = Phoneme (nur bei eindeutigem Bezug auf abstrakte Einheit der Phoneme) ü = Kursivsetzung, wenn kein klarer Bezug auf die graphematische oder phonologische Sprachebene erkennbar [ˈvɪntɐ] -> phonologische Transkription, wenn die Aussprache eines Wortes thematisiert wird (Markierung des Akzentes durch ˈ nur, wenn Akzentuierung klar erkennbar ist) [ˈblɪʦ̣ə] -> auf eine gesonderte Kennzeichnung von Affrikaten wird verzichtet; ein phonologisches Silbengelenk wird hingegen konsequent mit einem untergesetzten Punkt gekennzeichnet. Weitere Kennzeichnen der Transkriptionsweise sind dem Anhang B zu entnehmen.

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

8.2.1

279

Einzelfallanalyse L07

Gefragt nach ihrem Rechtschreibunterricht und dem, was ihr dabei wichtig ist, drückt L07 zu Beginn des Gesprächs eine Grundorientierung aus, in der die Vorstellung einer traditionellen Phasierung des Schriftsprachlernens anklingt: Ah:: (-) sie sollen am Ende der ersten Klasse lautgetreu schreiben können (---) und wenn sie so weit sind, das kann natürlich auch schon früher passieren oder auch bei einigen ein bisschen später, sobald sie lautgetreu schreiben können, ähm (--) fange ich an, dann (-) schon die Rechtschreibregeln einzuführen. (L07, A5)108

Das schriftsprachliche Lernen wird diesem ersten Redebeitrag gemäß aufgeteilt in ein ‚lautgetreues‘ Erstschreiben und ein daran anschließendes Rechtschreiblernen. L07 bietet den Schüler/-innen zunächst Gelegenheiten, sich mithilfe einer Buchstabentabelle im freien Schreiben zu erproben, ergänzt aber, dass sie gleichzeitig „auch immer schon systematisch mit ihnen drei Wörter richtig schreibe, also lautgetreue Wörter. Jeden Tag.“ (L07, A9). Was sie unter systematisch versteht, klärt sich noch in derselben Kodiereinheit: Es geht um die systematische Einführung der einzelnen Buchstaben im Plenum, zu denen jeweils drei passende Wörter des Tages ausgesucht und in ihrer richtigen Schreibung gemeinsam erarbeitet werden. Die Systematik besteht also in erster Linie darin, dem freien Schreiben eine ‚systematische‘ Rahmung in Form regelmäßiger Unterrichtsphasen zu verschaffen, in denen gemeinsam über Buchstaben und ihre Zusammensetzung zu Schreibungen von Wörtern gesprochen wird. Diese Zweiteilung hält sie grundsätzlich für sinnvoll, wie sie an einer späteren Stelle des Gesprächs erneut ausdrückt:

108

Im Weiteren werden zur Kennzeichnung der aus den Transkripten zitierten Textstellen jeweils das Lehrerkürzel (hier: L07), der Interviewteil (hier: A) und der jeweilige Abschnitt im Transkript (hier: 5) angegeben. Da die Transkripttexte äußerst umfangreich sind, wurde auf eine Zeilennummerierung verzichtet. Da die Interviewteile B und C für die inhaltsanalytische Arbeit aus dem Gesamttranskript separiert wurden, stehen die Ziffern nach den Buchstaben B bzw. C nicht für den Abschnitt im gesamten Interviewtext, sondern für das jeweils fokussierte Inputbeispiel. Die Angabe L07, B1 bezieht sich beispielsweise auf die Textsequenz zur ersten vorgelegten Inputschreibung im Interviewteil B (), die Angabe L07, C4 auf die Textsequenz zum vierten bearbeiteten Inputmaterial im Interviewteil C (). Der jeweils thematisierte Abschnitt innerhalb dieser ‚Subsequenzen‘ wird mit einem Punkt und der entsprechenden Ziffer angefügt (z. B. L07, C4.3).

280

8 Darstellung der Ergebnisse

Ich finde eben (--) ganz gut aber auch, wie es hier jetzt läuft, dass, (-) dass es (-) ähm (-) eben mehr oder weniger zweigeteilt ist, dass es einerseits dieses freie Schreiben gibt, aber dass den Eltern auch klar ist, (--) dass sie nicht IMMER frei schreiben dürfen, sondern dass das der Anfang ist, damit man sie einfach ans Schreiben ranführt, (-) und dass dieses Systematische dann nach und nach kommt (-) und äh (-) dass man auch den Kindern vertrauen muss, dass es irgendwann kommt. (L07, A35)

Die Lehrerin geht davon aus, dass sich die Orthographie den Schüler/-innen durch die schrittweise Thematisierung von rechtschriftlichen Phänomenen in individuell verlaufenden Lernprozessen erschließt. Im Hinblick auf die von Anfang an behandelten Wörter des Tages betont L07, dass es sich um „lautgetreue Wörter“ (L07, A9) handelt. Schon in ihrem ersten Redebeitrag ist daher neben der befolgten Phasierung ein primärer Bezug auf die Lautung und die Zuordnung von Einzellauten zu Buchstaben im Erstschreiben erkennbar. Dieser wird in den weiteren Ausführungen insbesondere in der Nennung von Hilfswerkzeugen und anderen schreibunterstützenden Verfahrensweisen konkretisiert: L07 setzt in ihrem Unterricht eine Buchstabentabelle ein, mit der die Schüler/-innen in freien Schreibsituationen arbeiten können (vgl. L07, A5), und sieht in der Verwendung von Lautgebärden, wie sie zu einem späteren Zeitpunkt des Interviews angibt, eine zusätzliche Hilfe für die Kinder, die noch einen alternativen Zugang zum Laut benötigen (vgl. L07, A115). Das primär einzellaut- und -buchstabenorientierte Vorgehen drückt sich jedoch auch in der Bezugnahme auf eine größere Einheit des Wortes aus: L07 schildert, dass sie von Beginn an zum Klatschen von Silben als vorbereitenden Schritt des Schreibens auffordert und dieses in der konkreten Erarbeitung der Wörter des Tages durch das Setzen von Silbenbögen ergänzt. Ausgehend von der sprechrhythmischen Durchgliederung sollen die Schüler/-innen die Anzahl der Silben ermitteln, die dann in der entsprechenden Anzahl von Silbenbögen visualisiert wird. L07 beschreibt das genaue Vorgehen am Beispielwort Apfel: ((…)) wenn sie sagen, das sind zwei Silben, mache ich hier zwei Silbenbögen ((malt zwei Silbenbögen an die Tafel)) (--) und dann (-) äh (-) frage ich: Womit fängt denn das Wort an? (--) Dann ähm (-) fa/ finden sie meistens schon das a. (L07, A13)

Sie schildert weiter, dass sie das Wort nach der Ermittlung des Anlautes erneut in Silben klatschen und dabei zunächst die erste Silbe laut, „die zweite leise oder gar nicht“ (ebd.) sprechen lasse, um sich auf die zuerst zu schreibende Einheit zu konzentrieren. Wurde der erste Silbenbogen

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

281

Schritt für Schritt bzw. Laut für Laut gefüllt – im Beispiel Apfel ist nur noch „[p] wie (--) Pilz“ (ebd.) zu ergänzen – wird schließlich die erste Silbe leise, die zweite Silbe laut gesprochen: ((…)) dann (-) äh (-) sprechen wir die erste leise, sagen wir [ʔap] {flüsternd} [fɛl] {laut}, dann wissen sie, wir müssen [fɛl] schreiben und sagen mir nacheinander, wenn es (--) meistens sagen sie es dann so: ((schreibt in zweiten Silbenbogen)) (-) ich höre das [f], ich höre das [l] (--) und dann (-) äh (-) kommt es so, dass ich sage: So, und jetzt überprüfen wir das Wort und gucken: (--) Ist denn in jeder Silbe auch ein äh / (-) einer von den roten Buchstaben?, denn bei uns sind die ähm (--) Vokale eben rot umrandet. (L07, A13)

Diese Verfahrensweise bringt zweierlei zum Ausdruck: zum einen die Funktion der Silbenbögen, die in der Unterstützung der Silbenlautierung besteht (das Wort soll über die Segmentierung in Einzelsilben laut- bzw. buchstabenweise aufgebaut werden), zum anderen eine schreibsilbische Gesetzmäßigkeit, nach der in jeder Silbe ein ‚roter Buchstabe‘, d. h. ein Vokalbuchstabe, verschriftet werden muss. L07 spricht hier von „Buchstaben“ (s. oben), bezieht sich also auf das geschriebene Wort. Zur Identifikation des benötigten roten Buchstabens in der zweiten Silbe -fel schildert sie folgendes Vorgehen (→L07-1): ((…)) dann würden wir weiter überlegen (--) und wenn sie nicht von selber darauf kommen, würde ich dann (-) ähm (--) das mal vorsprechen, falsch und richtig, also das sagen ((zeigt auf zweite Silbe an der Tafel)): Heißt es denn [ʔapˈfɑ:l]?, so war das gestern, hahahahaha, nein, es heißt nicht [ʔapˈfɑ:l] ((ahmt Schüler/-innen nach)), (--) [ʔapˈfɛl], (-) [ʔapˈfɪl], [ʔapˈfɔl], [ʔapˈfʊl] (-) und dann kommen sie auf das . (L07, A13)

Der Vokal der zweiten Silbe wird auf der Suche nach einem mit dem Phonem korrespondierenden Vokalgraphem109 als betonter Vollvokal artikuliert und der Wortakzent im Dienst der didaktischen Zugänglichkeit auf die zweite Silbe verschoben. Der funktionale Wert der Silbe besteht folglich in der Unterstützung einer einzelsegmentorientierten Erarbeitung der Schreibung ‚lautgetreuer Wörter‘(→L07-2).

109

In den Fallanalysen werden die Fachbegriffe Phonem/Graphem immer dann genutzt, wenn eindeutig erkennbar ist, dass sich die Äußerungen der Lehrkräfte auf die festgelegte Zuordnung von bedeutungsunterscheidenden Einheiten des Lautsystems, d. h. Phonemen, zu den entsprechenden Schriftzeichen, d. h. Graphemen, beziehen (s. dazu 4.5.1). Die Bezeichnung von Phonemen und Graphemen wird also extern vorgenommen (die Lehrkräfte selbst verweisen in der Regel auf Laute und Buchstaben), um die von den Lehrer/-innen angesprochenen Bezugsgrößen begrifflich möglichst eindeutig zu fassen.

282

8 Darstellung der Ergebnisse

Inwiefern L07 die überdeutliche Artikulation der zweiten Silbe und vor allem des Vokalkerns als rein didaktische Hilfsmaßnahme betrachtet oder aber die Akzentstruktur in ihrer Vorstellung des gesprochenen Wortes und ihrem Verständnis der Wortschreibung grundsätzlich keine Rolle spielt, bleibt an dieser Stelle offen. Immer wieder (vgl. z. B. L07, A43, 45, 81, 84, 116) betont L07 den wertvollen Beitrag der Silbe zum Lesenlernen und hebt hervor, dass das Lesen von einzelnen Silben, aber auch von Wörtern, in denen die Silben farblich voneinander abgehoben sind, insbesondere den schwächeren Schüler/-innen zugutekommt. Sie sieht darin letztlich die wichtigste Funktion der Silbe (→L07-3): ((…)) das ist eigentlich das Wichtigste, glaube ich, (--) lesen lernen für die, die es nicht so automatisch machen, sondern wo man dann doch (-) einen kleinen Anstoß gibt. (L07, A43)

L07 weist dabei nicht auf eine Untersuchung der Strukturpositionen innerhalb der Silbe hin, sondern gibt an, Anfangssilben wie Fa- und Fe- entsprechenden Abbildungen (z. B. einer Feder) zuordnen oder in Quatschwörtern lesen zu lassen, um zu überprüfen, „dass die Kinder die Wörter nicht raten, sondern wirklich erlesen“ (L07, A43). Beschreibungen ihres Umgangs mit zentralen Regularitäten der Wortschreibung im Kernbereich liefert L07 im Interviewteil A für die Doppelkonsonantenschreibung (orthographischer Strukturtyp 3110) sowie die Schreibung von Wörtern mit (orthographischer Strukturtyp 1). Das versteht sie als regelhafte Korrespondenz des Langvokals [iː] und kritisiert die in den Anlauttabellen gängige Darstellung des für Igel als vermeintlich regelhafte Zuordnung von langem [iː] zu einfachem (vgl. L07, A67). Sie selbst bezieht die phonembasierte Erklärung auf die reguläre Korrespondenz zwischen [iː] und : Das Längenmerkmal des Vokals [iː] wird als

110

Da die Lehrkräfte sehr unterschiedliche Bezeichnungen für die thematisierten Regularitäten der Wortschreibung wählen (bspw. sprechen sie im Bereich des Strukturtyps 3 u. a. von Doppelkonsonanten, Schärfungsschreibungen, Silbengelenken, Konsonantenverdopplungen), werden letztere in den hier vorgestellten Fallanalysen ebenso wie in den fallübergreifenden Untersuchungen in Kapitel 8.1 überwiegend nach den orthographischen Strukturtypen der Wortschreibung im Kernbereich (s. Abschnitt 5.1.2) benannt. Auf diese Weise sollen die von den Lehrenden besprochenen Strukturen der Wortschreibung fachlich eindeutig und einheitlich gekennzeichnet werden. Für die spezifische Kennzeichnung einzelner Regularitäten innerhalb der Strukturtypen 1 und 3 werden zudem die Begriffe -Schreibung und Doppelkonsonantenschreibung verwendet.

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

283

segmentale Eigenschaft verstanden, die graphematisch durch repräsentiert wird. Gefragt nach ihrem Umgang mit Doppelkonsonantenschreibungen beschreibt L07 zunächst Schwierigkeiten, die die Erarbeitung der Regularität den Lernenden erfahrungsgemäß bereitet: Sachen wie (---) Doppelkonsonanten, das ist schon echt schwierig für Kinder, die, die einfach gar nicht hören, dass das a (--) mal kurz und mal lang ist. (--) Ich glaube dann / da ist so (--) dieses Gefühl für Sprache muss einfach da sein, um dann auch dem (-) Rechtschreibunterricht gut folgen zu können. (L07, A25)

Ohne an dieser Stelle auf sachstrukturelle Begründungszusammenhänge der Regularität einzugehen, verweist die Lehrerin auf die notwendige Differenzierung von Vokalquantitäten, „dieses Gefühl für Sprache“ (s. oben), und sieht darin die Voraussetzung für rechtschriftliche Erfolge. Auf gezieltes Nachfragen hin gibt sie in einer späteren Sequenz am Beispiel von konkretere Einblicke in ihre didaktischen Handlungsorientierungen bei der Erarbeitung von Schreibungen des Strukturtyps 3: ((seufzt leicht)) Ich habe es bisher immer auch mit Klatschen gemacht, aber habe gemerkt, dass das NICHT so richtig ist. Also dieses [ham] ((klatscht)) (-) [mɛr] ((klatscht)), (---) warum kann man nicht sagen: [ha] (-) [mɛr]? (L07, A49)

L07 formuliert in dieser Sequenz erlebte Grenzen des Silbenklatschens bei der Ermittlung der richtigen Schreibung: Eine sprechsilbische Durchgliederung des Wortes lässt aus ihrer Sicht auch eine von der geschriebenen Repräsentation abweichende Silbensegmentation zu, in der der intervokalische Konsonant lediglich in der zweiten Silbe artikuliert wird. Sie führt dies innerhalb der Gesprächssequenz weiter aus: Also ich / (--) das ist, (-) ist ein Weg, den ich bisher (-) öfter gewählt habe und aber gemerkt habe, jetzt gerade in der Förderung, in der Einzelförderung (-) mit (-) kleineren Gruppen, dass ich das (-) äh / (--) dass das (-) irgendwie nicht so logisch ist, für die KINder, finde ich. (L07, A49)

Sie stellt die auf die segmentale Identifikation zweier Konsonantphoneme zielende Silbenisolierung weniger aus sachstruktureller als aus didaktischer bzw. lernerorientierter Sicht infrage: Eine Durchgliederung der phonologischen Wortstruktur zur Ableitung der Doppelkonsonanz im geschriebenen Wort erweist sich „für die KINder“ (s. oben) als keine logische bzw. zielführende Erarbeitungsweise (→L07-4). Dass L07 dies grundsätzlich als sprachliche Schwierigkeit der Lernenden sieht, die noch nicht über das (vermeintlich) erforderliche Sprachgefühl zur erfolgreichen Generierung

284

8 Darstellung der Ergebnisse

der Schreibung verfügen, andererseits aber auf der Basis ihrer Erfahrungen eine kritische Reflexion über eine schriftinduzierte (Über-)Lautung anbahnt, untermauern ihre Äußerungen in den Interviewteilen B und C, die im weiteren Verlauf der Einzelfallanalyse dargestellt werden. An dieser Stelle kann zunächst eine an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellung von Schreibung festgehalten werden. ↘ Phänomenebene 1: Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist an einer schriftinduzierten Lautung orientiert: Die Lehrperson deutet an, dass die Wortschreibung prinzipiell aus den Segmenten des gesprochenen Wortes abgeleitet werden kann, projiziert dabei aber bereits (unbewusst) ihr Wissen über die Schreibung auf die Lautung.

L07 reagiert auf die erlebten Schwierigkeiten, indem sie die Wahrnehmung der Vokalkürze in Schreibungen mit doppelten Konsonantengraphemen in den Mittelpunkt der unterrichtlichen Erarbeitung stellt: Ähm (--) ich mache es jetzt meistens eher so, dass ich auf (--) dass ich (---) einen Merksatz habe, (---) kann ich jetzt nicht im Kopf sagen, aber es gibt so einen Merksatz, der irgendwie heißt: Nach einem kurzen Konsonant/ äh nach einem kurzen Vokal (-) folgt ein Doppelkonsonant, und (-) ähm (-) dass ich diesen eben (-) mit den Kindern eher durchgehe und dann immer (-) eher schaue, nee, ähm (-) dass ich auf diesen (-) VOKAL davor gucke, ne? Und (-) und (--) ja. (--) Dass man dann eben / (--) und dann auch gleich diese (--) Besonderheiten hat, dass es nicht (-) Doppel- ist, sondern , und nicht Doppel-, sondern . (L07, A49)

Die didaktischen Schwierigkeiten mit der Silbenlautierung im Bereich der Doppelkonsonantenschreibung bewegen L07 also zu einem segmentbezogenen Zugriff, der insofern über den Bezug auf das Einzelsegment hinausgeht, als sich die Schreibung aus Abhängigkeiten zwischen einander folgenden Segmenten ergibt: Die Untersuchung der konsonantischen Verhältniss in der Wortmitte reicht allein nicht aus, sondern muss mit der Untersuchung des vorangehenden Vokals verknüpft werden. ↘ Phänomenebene 2: Auf die an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellung von der Wortschreibung wird im Handlungsbezug durch eine Verschiebung des Fokus reagiert: Nicht Einzelsegmente, sondern suprasegmentale Beziehungen stehen im Mittelpunkt. Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung verblasst im Handlungsbezug.

In L07s Ausführungen findet sich keine klare begriffliche Unterscheidung zwischen der Laut- und der Schriftebene – sie spricht vom kurzen Vokal und folgendem Doppelkonsonanten, ohne dass letzterer explizit auf das

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

285

geschriebene Wort bezogen wird. Auch führt sie die hinreichenden Bedingungen der Doppelkonsonantenschreibung an dieser Stelle nicht weiter aus. Um möglichst handlungsnahe Zugriffe der Lehrerin auf die deutsche Wortschreibung zu erfassen, werden im nächsten Schritt die konkreten Fehlerinterpretationen und Handlungsempfehlungen untersucht, die L07 im Interviewteil B (Umgang mit Fehlschreibungen) zu den ausgewählten Strukturtypen des nativen Wortschatzes formuliert. Dabei wird auf die in Abschnitt 7.3.2.3 vorgestellten Auswertungsbögen zurückgegriffen, mit deren Hilfe sich die Aussagen zu den vermuteten Schwierigkeiten der Lernenden (Oberkategorie B.1), zu den eingebrachten Erklärungsansätzen (Oberkategorie B.2) und den daran geknüpften Handlungsempfehlungen (Oberkategorie B.3) zusammenfassen lassen. Dies geschieht zunächst auf den Interviewteil B begrenzt und für alle betrachteten Strukturtypen, d. h. Strukturtyp 1 (), 3 (Silbengelenkschreibungen) und 4 (silbeninitiales ), separat. Anschließend werden jedoch 1. die in Interviewteil A formulierten Zugriffe auf die - und die Silbengelenkschreibung vergleichend hinzugezogen; 2. die Zugriffe auf die einzelnen Strukturtypen miteinander verglichen. In der Untersuchung der Fehlschreibung *, deren Zielschreibung sich bezogen auf das aus sprachwissenschaftlicher Sicht entweder segmental oder als morphologisch vererbte Markierung einer offenen ersten Schreibsilbe in der zweisilbigen Grundform gie.ßen begründen lässt, stellt L07 einen stimmigen Zusammenhang zwischen den vermuteten Schwierigkeiten der Schülerin – „da ist eben auch äh nicht klar, dass das (--) lange [iː] eigentlich IMMER ein ist (--) außer bei Ausnahmen“ (L07, B2b.1) – und den didaktischen Handlungsoptionen her. Um die Wahrnehmung des Langvokals zu unterstützen, rät sie unter anderem zum Einsatz von Begleitbewegungen (→L07-5): dass man äh (-) die Langen (--) am Arm lang streicht ((streicht vom Oberarm bis zum Unterarm entlang)) und die Kurzen ((klopft sich auf den Arm)) auf den Arm klopft. (L07, B2b.3)

Ihre Begründung der Schreibung erfolgt wie im offenen Interviewteil A auf segmentaler Ebene, die Zielschreibung wird – abgesehen von der weiteren Problematik im Bereich der /-Schreibung – über die segmentale Zuordnung von [i:] zu erklärt. Eine Übersicht über die Erläuterungen L07s zur Fehl- und Zielschreibung ist dem entsprechenden Auszug aus dem Arbeitsprotokoll im Anhang D zu entnehmen.

286

8 Darstellung der Ergebnisse

Für Wortschreibungen des orthographischen Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen) können zwei Sequenzen aus Interviewteil B ausgewertet werden. Auch hier wird in beiden Fällen, d. h. sowohl in der Auseinandersetzung mit der zweisilbigen Grundform als auch mit der komplexen Wortform */Frühstücksei, in gleicher Weise argumentiert: L07 sieht die Probleme der beiden Lernenden in der fehlenden oder nicht ausreichenden Konzentration auf die Quantität des Vokals und geht im Beispiel B1 () davon aus, dass der Schüler nur eine Annäherung über das Silbenklatschen und die Konzentration auf die konsonantischen Verhältnisse am Silbenübergang kennengelernt hat: Das ist genau das, was ich meinte: Man HÖRT tatsächlich nicht unbedingt, ob ein Doppel- drin vorkommt, weil man, man kann ja genauso [ʃa.fɛn]111 klatschen wie [ʃaf.fɛn]. (--) Wahrscheinlich haben sie es so geübt. (L07, B1.4)

Ihr alternativer Handlungsvorschlag setzt zwar weiterhin beim gesprochenen Wort an, stellt aber den Vokal in der ersten Silbe in den Mittelpunkt der Betrachtung (→L07-6): ((…)) also ich (-) denke, man hätte viel länger darauf eingehen müssen, dass es kurze und lange Vokale gibt und dass es ein (-) kurzer ist und dass danach Doppel-. (--) Das ist einfach diese (-) pä/ phonologische Bewusst- (--) -heit, die einfach (--) ganz (-) doll (-) geübt werden muss vorher, (-) kurzen und langen Vokalen. (L07, B1.4)

Sie empfiehlt hierzu visuelle Unterstützungen wie das Setzen eines Punktes unter einen Kurzvokal, der auf die folgenden Doppelkonsonantenbuchstaben verweist, und eines Striches für einen Langvokal, der eine folgende Doppelkonsonantenschreibung ausschließt (vgl. zusammenfassend: Tab. 77 im Anhang D). Wie in Interviewteil A (offene Beschreibung und Reflexion des Unterrichts) geht sie auch in B nicht weiter darauf ein, welche Wörter mit kurz (und ungespannt) gesprochenem betonten Vokal im Geschriebenen tatsächlich die Markierung durch doppelte Konsonantenbuchstaben verlangen und wann die Vokalkürze auch ohne die Verdopplung eines Konsonantengraphems graphematisch angezeigt wird (s. Wortschreibungen des Strukturtyps 2).

111

Da L07 die Vokalkerne beider Silben in Normalbetonung realisiert, wird hier – wie auch in äquivalenten Fällen aller folgenden Untersuchungen – kein Wortakzent gekennzeichnet und anstelle des Reduktions-[ə] der Vollvokal [ԑ] wiedergegeben.

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

287

Formen des silbischen Sprechens, also der phonologischen Segmentierung des Wortes in zwei lautlich abgrenzbare Einzelsilben, zur Wahrnehmung zweier Konsonantphoneme am Ende der ersten und am Anfang der zweiten Sprechsilbe schließt L07, darauf verweist sie in Interviewteil B ebenso wie in Interviewteil A, aufgrund der geschilderten Probleme mit der auditiven Differenzierung als Erarbeitungsmaßnahme grundsätzlich aus. ↘ Phänomenebene 3 (zu Strukturtyp 3): Negative Bewertung von silbenorientierten Hilfestellungen, die zur auditiven Erfassung der zu verschriftenden Einzelsegmente an der (schriftinduzierten) Lautung ansetzen: Formen der Sprechsilbenisolierung werden als fehlleitende Hilfestellung für die Ermittlung der zu verschriftenden Doppelkonsonantenbuchstaben betrachtet.

Zur Auseinandersetzung mit einer weiteren Regularität der Wortschreibung im Kernbereich werden im Interviewteil B drei Fehlschreibungen vorgelegt, deren orthographische Zielstruktur ein (ggf. vererbtes) silbeninitiales verlangt, das von den beispielhaft angeführten Lernenden jedoch in allen Fällen, nämlich in der Schreibung * (B2a) sowie den gemeinsam präsentierten Schreibungen * (B3a) und * (B3b),112 nicht realisiert wurde. In der Untersuchung der darauf bezogenen Äußerungen von L07 fällt auf, dass sie die Zielschreibung des Kompositums Frühstücksei anders einordnet als die Schreibung der zweisilbigen Grundform blühen und der damit verknüpften morphologisch komplexen Form verblühten (→L07-7). Im Beispielwort * verortet sie die angenommenen Schwierigkeiten der Schülerin ebenso wie den angebrachten Zugang zur korrekten Schreibung auf der Ebene orthographischer Konventionen: „((…)) und das (--) fehlende bei Früstüksei> ist ja ein Dehnungs- und ähm (---) ist einfach eine Sache, die man üben muss, denke ich“ (L07, B2a.1). In Bezug auf die präsentierte Fehlschreibung * kommt sie hingegen zu folgender erster Reaktion: Und Beispiel 3, (--) ((räuspert sich)) (--) im ersten Wort ist ganz klar, ähm (-) blühen [[spricht kein [h]]] fall/ also (-) ist einfach nicht deutlich gesprochen. Eigentlich sag/ sollte man [blyːhɛn] [[spricht [h]]] sagen. (L07, B3.1)

112

Im Rahmen des sekundären Auswertungsprozesses werden die gemeinsam präsentierten Fehlschreibungen * und * zur besseren methodischen Handhabbarkeit und deutlicheren Darstellung durch die Kürzel B3a und B3b unterschieden. In der Ergebnisdarstellung werden die beiden Einzelschreibungen jedoch in der Regel unter dem Kürzel B3 zusammengefasst.

288

8 Darstellung der Ergebnisse

Die Schwierigkeit wird also auf eine unpräzise Aussprache bezogen, der eine ‚bessere‘, möglicherweise als ‚Hochlautung‘ (im Sinne einer Ideallautung, s. 7.3.2.4) angesehene Artikulation mit deutlich realisiertem wortmedialem [h] gegenübergestellt wird (→L07-8). Sie drückt für diese Schreibung des Strukturtyps 4 also die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung aus. ↘ Phänomenebene 1 (zu Strukturtyp 4): Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist an einer schriftinduzierten Lautung orientiert: Die Lehrperson geht von einer Ableitung der Wortschreibung aus den Segmenten des gesprochenen Wortes aus, projiziert dabei aber bereits (unbewusst) ihr Wissen über die Schreibung auf die Lautung.

Unmittelbar auf diese Äußerung folgend stellt sie den formulierten Zugriff jedoch wieder infrage: „Eigentlich sag/ sollte man [blyːhɛn] [[spricht [h]]] sagen, aber (-) wer tut das schon?“ (s. oben) Sie ergänzt ihre Erklärung daher um folgenden Hinweis: „Ähm (---) ja, es ist wieder das Problem Dehnungs-, was vergessen wurde (-) beim langen ü.“ (L07, B3.1) L07 kehrt hier also gewissermaßen zur schon in B2a (*) geäußerten Erklärung zurück, verweist an dieser Stelle allerdings noch einmal explizit auf den für das Dehnungs- bedeutsamen Langvokal (→L07-9). Im Überblick ergeben sich aus den Kodierungen zum Strukturtyp 4 komplexe Zuteilungen, die im entsprechenden Arbeitsprotokollauszug im Anhang D abgebildet sind (s. Tab. 78). Ähnlich wie in der Auseinandersetzung mit Wörtern des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen) problematisiert sie auch bei den Schreibungen des Strukturtyps 4 den Ausgang von der segmentalen Lautung dahingehend, dass die Ableitung des aus dem Gesprochenen nicht ohne Weiteres gelingt, weil die Alltagslautung oftmals von der für eine solche Herangehensweise notwendigen Aussprache abweicht. Alternativ bietet sie erneut eine segmentbezogene Zugriffsweise an, in der die Vokallänge in der ersten Silbe durch das als Dehnungs- angezeigt wird. Sie weicht im Weiteren jedoch nicht gänzlich von der potenziell segmentalen Begründung der Schreibung ab und bringt eine morphologische Annäherung ins Spiel, mit der auch die Zielschreibung erreicht werden könnte – anders als im Kompositum Frühstücksei geht sie im Fall von verblühten auf den Zusammenhang dieser Wortform mit einem verwandten Wort ein, in dem das intervokalisch auftritt und somit auch im Gesprochenen als [h] artikuliert werden kann:

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

289

„Ähm (-) wobei das Kind ja eine Hilfe gehabt HÄTTE, wenn es äh (--) das Wort Spätblüher [[spricht [h]]] (-) sich angeguckt hätte, (--) hätte es sehen können oder (-) sich denken können, dass es blühen [[spricht kein [h]]] mit oder auch verblüht mit hätte schreiben müssen, (-) aber dagegen spricht wieder, dass das Wort Blüte ja ohne geschrieben wird, also es ist / (--) ich finde das jetzt auch nicht so leicht, (-) ganz ehrlich, also (---) ja. Das Blüte ist wieder eine Ausnahme wahrscheinlich, (---) ja. ((…)) also (--) verblüht, verblüht kommt von Blüte und Blüte wird ohne geschrieben, ich glaube, (-) ich würde das noch mehr verwirren, (--) also ich würde es ihm natürlich sagen, dass es so ist und dass es nicht von Blüte kommt, sondern von blühen/[blyːhɛn] und dass das Wort blühen [[spricht leicht angedeutetes [h]]] heißt [[Hervorhebung durch die Verfasserin]], aber das ist so komplex schon. (L07, B3.1)

Letztlich kommt sie zu keiner klaren Handlungsentscheidung und deutet an, dass sie die angenommene segmentale Lautung des Wortes generell für die entscheidungsrelevante Bezugsgröße hält, die Ergänzung um eine Auseinandersetzung mit der Vokallänge aber als sinnvolle Hilfe im Schreibprozess ansieht. ↘ Phänomenebene 2 (zu Strukturtyp 4): Die an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellung von der Wortschreibung wird im Handlungsbezug aktiviert: Die auditive Wahrnehmung von geschriebenen Segmenten wird trainiert. Die Orientierung an der schriftinduzierten Lautung ist handlungsleitend.

Für Schreibungen des Strukturtyps 4 stehen daher insgesamt segmentale und segmentbezogene Erklärungsansätze im Raum, wobei der Bezug auf die Vokallänge wiederum mit der Behandlung als orthographische Konvention (Wörter mit Dehnungs- als Merkwörter) einhergehen kann (→L0710). Wie auch in den anderen betrachteten Strukturtypen des Wortes im Interviewteil B stellt L07 keinen handlungsleitenden Bezug zur Untersuchung der Silbenstruktur her, eine segmentale Lautierung wird aber wie im Umgang mit Schreibungen des Strukturtyps 3 aus didaktischer Perspektive problematisiert. In der Zusammenschau ihrer in den Interviewteilen A und B gezeigten Zugriffe auf die ausgewählten orthographischen Regularitäten ergeben sich die folgenden übergreifenden Tendenzen:

290

8 Darstellung der Ergebnisse

L07

Strukturtyp 1 (hier speziell )

Strukturtyp 3 (Silbengelenkschreibungen)

Strukturtyp 4 (silbeninitiales )

Tendenz in A und B

Tab. 21 Zusammenfassung der Zugriffe auf Wortschreibungen der Strukturtypen 1, 3 und 4 (L07, A und B)

Präsentation als primär segmental begründete Schreibung

Präsentation als primär segmentbezogen begründete Schreibung (ohne Überlautung)

Präsentation als segmental und segmentbezogen begründete Schreibung (mit Überlautung)

Die separate Betrachtung ihres Umgangs mit morphologisch komplexen Wortschreibungen ergibt, dass L07 letztere überwiegend als phonologisch motivierte Schreibungen behandelt: Sie weist die thematisierten morphologisch komplexen Schreibungen der Strukturtypen 1 (), 3 () und 4 mit Ausnahme von Inputbeispiel B3 ( Alternierende Zugriffe auf Wortschreibungen im Erst- und Rechtschreiben).

Auf den folgenden zwei Seiten werden die im Interviewtext der Lehrerin L07 ermittelten Phänomene zu den vier Ebenen tabellarisch zusammengestellt und in ihren konkreten inhaltlichen Ausprägungen beschrieben (s. Tab. 25). Die dabei vorgenommenen Zusammenfassungen werden mithilfe von Querverweisen des Musters (→L07-x) zu den jeweiligen Schilderungen im Fließtext der vorangegangenen Einzelfallanalyse gestützt.

Wortschreibungen des Strukturtyps 4 (silbeninitiales ) Die an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellung von der Wortschreibung wird im Handlungsbezug aktiviert: Die auditive Wahrnehmung von geschriebenen Segmenten wird trainiert. Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung ist handlungsleitend. Training der ‚Hochlautung‘ oder von Merkwörtern als ‚Notfallstrategie‘: Im Bereich der -Schreibung deutet L07 an, dass die Identifikation des Langvokals keine hinreichende Bedingung für die Generierung der orthographisch richtigen Schreibung darstellt und aktiviert hier z. T. einen schriftinduziert segmentalen (überlautierenden) Zugriff, der durch das Training der angenommenen ‚Hochlautung‘ unterstützt werden kann, oder verweist auf die Bedeutung orthographischen Memorierens (→L07-10).

Wortschreibungen des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen) Auf die an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellung von der Wortschreibung wird im Handlungsbezug durch eine Verschiebung des Fokus reagiert: Nicht Einzelsegmente, sondern suprasegmentale Beziehungen stehen im Mittelpunkt. Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung verblasst im Handlungsbezug.

Schlüsselstellung der Vokalquantität L07 weist die sachstrukturelle Angemessenheit einer segmentalen Übereinstimmung von Schreibung und Lautung im Bereich der Strukturtypen 3 und 4 nicht zurück, formuliert aber im Hinblick auf die didaktische Erarbeitung zumindest der Schreibungen des Strukturtyps 3 das Erfordernis alternativer Zugriffe (→L07-4, L07-8, L07-9). Aus den oben genannten Gründen lehnt sie ein (silben-)lautierendes Vorgehen zur auditiven Erfassung doppelter Konsonantengrapheme (ST 3) grundsätzlich ab. Stattdessen aktiviert sie – in morphologisch einfachen und komplexen Wörtern – einen suprasegmentalen Bezug der Schreibung, in dessen Zentrum die Bestimmung der Vokalquantität (bezogen auf den betonten Vokal) steht: Aus der Identifikation eines Lang- oder Kurzvokals im gesprochenen Wort ergeben sich Konsequenzen für die Wortschreibung, die nicht im Vokalgraphem selbst, sondern durch die nachfolgenden Segmente umgesetzt werden (→L07-12, L07-13). Ausgangspunkt des Zugriffs auf die Wortschreibung bleibt das gesprochene Wort (Schreibrichtung).

Phänomenebene 2: Handlungsrelevanz der sachstrukturellen Vorstellung

Lokalisierung der Diskrepanz auf Schüler- bzw. Sprecher/-innen-Ebene L07 nimmt bei Wortschreibungen der Strukturtypen 3 und 4 eine Diskrepanz zwischen der mit der segmentalen Struktur des geschriebenen Wortes assoziierten ‚Hochlautung‘1 und der Bezugslautung der Schüler/-innen wahr. Die Ursache dieser Diskrepanz verortet sie – bei Wörtern des Strukturtyps 4 eindeutig erkennbar, bei Wörtern des Strukturtyps 3 zumindest angedeutet – auf der Ebene der Sprecher/-innen bzw. hier speziell der Schüler/-innen. L07 geht also davon aus, dass die alltagssprachliche Artikulation von der idealerweise produzierten Lautung abweicht, die in ihrer segmentalen Struktur mit der des geschriebenen Wortes übereinstimmt (→L07-4, L07-6, L07-8).

Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist an einer schriftinduzierten Lautung orientiert: Die Lehrperson geht von einer grundsätzlich gültigen (Strukturtyp 4) oder prinzipiell möglichen (Strukturtyp 3) Ableitung der Wortschreibung aus den Segmenten des gesprochenen Wortes aus, projiziert dabei aber bereits (unbewusst) ihr Wissen über die Schreibung auf die Lautung.

Phänomenebene 1: Sachstrukturelle Vorstellung

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

Tab. 25 Ermittelte Phänomenausprägungen für die Lehrerin L07 auf den Ebenen 1-4

299

Phänomenebene 3: Bewertung von silbenorientierten Hilfestellungen zur Ermittlung der Wortschreibung

L07 setzt sich im Interview nicht mit möglichen silbenorientierten Hilfestellungen zur Erschließung des silbeninitialen auseinander. Aufgrund der problematisierten Schieflage zwischen der Alltagslautung und der für eine Schreibung des Strukturtyps 4 angenommenen ‚Hochlautung‘ gibt sie lediglich die additive Bindung des an den vorangehenden Langvokal an (→L07-9).

Es werden keine Reflexionen über silbenorientierte Hilfestellurgen zur Erschließung von Schreibungen des Strukturtyps 4 angestellt.

Hinweise zur Darstellung: Fallübergreifende Definition der Phänomenausprägung Fallspezifische Beschreibung der Phänomenausprägung

Die morphologisch komplexen Schreibungen werden mit Ausnahme des Inputbeispiels B3b () als phonologisch motivierte Schreibungen präsentiert (→L07-11). Verführungsfall I: Morphologisch komplexe Wortschreibungen des Strukturtyps 4 werden teilweise als Dehnungs- ausgewiesen: Während L07 in der Bearbeitung der zweisilbigen Grundform eine phonographische Korrespondenz annimmt – die Ziellautung bildet das geschriebene intervokalische segmental als [h] ab (→L07-9) –, wertet sie die morphologisch vererbte Schreibung des Strukturtyps 4 als Dehnungs- (Strukturtyp 5), also als orthographisch festgelegte und dabei suprasegmental-segmentbezogene Markierung (→L07-7). Diese unterschiedliche Einordnung von morphologisch komplexer Schreibung und trochäischer Grundform erfolgt jedoch nicht, wenn beide gemeinsam präsentiert werden: L07 erklärt die Schreibung als morphologische Schreibung zu (→L07-10).

Die Zugriffe auf morphologisch einfache Schreibungen werden nur bedingt auf morphologisch komplexe Schreibungen übertragen: Die Erklärungen beziehen sich überwiegend auf die Vokalquantität im Wortstamm. Spezialfall: Verführungsfall I.

Anregungen zur Wahrnehmung der Sprechsilbenstruktur als fehlleitende Hilfestellungen L07 lehnt Vermittlungsansätze ab, die die Wahrnehmung von Lang- und Kurzvokalen an die suprasegmentalen (und ggf. schriftinduzierten) Anschlussverhältnisse in der Sprechsilbe knüpfen (→L07-12, L07-13). Phänomenebene 4: Umgang mit morphologisch komplexen Wortschreibungen

Interviewteil C: Negative Bewertung von an der Lautung ansetzenden silbenorientierten Hilfestellungen zur auditiven Erfassung der zu verschriftenden Einzelsegmente (schriftinduzierte Lautung): Die Erfassung der Sprechsilbenstruktur wird als fehlleitende Hilfestellung für die Ermittlung der zu verschriftenden Doppelkonsonantenbuchstaben betrachtet.

Negative Bewertung von an der Lautung ansetzenden silbenorientierten Hilfestellungen zur auditiven Erfassung der zu verschriftenden Einzelsegmente (schriftinduzierte Lautung): Formen der Sprechsilbenisolierung werden als fehlleitende Hilfestellungen für die Ermittlung der zu verschriftenden Doppelkonsonantenbuchstaben betrachtet. Formen der Sprechsilbenisolierung als fehlleitende Hilfestellungen L07 setzt zur Förderung der auditiven Wahrnehmung von Vokallänge und -kürze (s. oben) in erster Linie auf Trainingsmaßnahmen zur Unterstützung der phonologischen Bewusstheit (→L07-6). Zusätzlich führt sie Unterstützungsmaßnahmen, die auf die taktile Wahrnehmung ausgerichtet sind, sowie visuelle Hervorhebungen im Geschriebenen an, mit denen die Aufmerksamkeit der Schüler/-innen für die Unterschiede zwischen Lang- und Kurzvokalen auch auf anderen Wahrnehmungskanälen angeregt wird (→L07-5). Formen der Sprechsilbenisolierung zur auditiven Ermittlung der zu verschriftenden konsonantischen Einzelsegmente lehnt L07 ab. Auch im Umgang mit Materialauszügen im Interviewteil C sieht sie Formen der phonologischen Silbensegmentation kritisch (→L07-13).

300 8 Darstellung der Ergebnisse

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

8.2.2

301

Einzelfallanalyse L11

L11s erste Reaktion auf die Einstiegsfrage zu ihrem Rechtschreibunterricht besteht in einer klaren Positionierung zum Verhältnis zwischen Schreiben und Rechtschreiben im Grundschulunterricht: Also grundsätzlich kann ich Rechtschreibunterricht nicht vom Deutschunterricht als solches koppeln, abkoppeln. Das lässt sich nicht trennen, ähm Rechtschreibunterricht ist in jeder Deutschstunde mit drin, in der Kinder auch etwas verschriftlichen. (L11, A12)

Im Unterschied zu L07 verweist sie nicht auf ein Nach-, sondern ein Miteinander von Schreib- und Rechtschreibsituationen, das in seiner Umsetzung jedoch von den individuellen Lernentwicklungen der Schüler/-innen abhängig ist: Wenn ein Kind frei schreibt und ich bin froh, dass es überhaupt etwas schreibt, dann (-) kontrolliere ich erst mal gar nichts und korrigiere erst mal gar nichts, ich bin froh, dass ich (-) aus /* Elefant lesen kann, (-) ähm wenn ich aber weiß, dieses Kind KANN eigentlich mehr oder das Kind fragt mich immer wieder, dann äh achte ich da auch drauf und dann gibt es auch Regeln. (L11, A12)

In diesem Bezug auf individualisierte Lehr-Lern-Prozesse beschreibt L11, dass sie die Relevanz des Richtigschreibens für die Lerner/-innen je nach Lern- und Entwicklungsstand unterschiedlich bemisst (→L11-1). Dennoch baut L11 in ihren Ausführungen des ersten Gesprächsbeitrags ein Spannungsfeld zwischen freiem, individuellem Schreiben und orthographischer Instruktion auf, indem sie nicht nur die Beachtung der individuellen Lernbedingungen, sondern auch die Orientierung an „Regeln von Anfang an“ (L11, A12) als Richtlinien ihres Unterrichtens ausweist. Letztere wird in dem von ihr genutzten Lehrgang114 ABC der Tiere stark gemacht: ((…)) da wird sehr viel von Regeln von Anfang an erzählt, da gibt es offene und geschlossene Silben, da wird sehr schnell darauf geachtet, dass eine geschlossene Silbe immer einen Konsonant hat, dass man dann auch hören muss, wie beginnt die nächste Silbe. (L11, A12)

114

Im Weiteren umfasst der Begriff Lehrgang im Zusammenhang mit dem ABC der Tiere sämtliche Lehr-Lern-Materialien (Sprachbuch, Arbeitshefte, Begleitmaterialien), die unter dem Titel des Schreib- und Leselehrgangs des Mildenberger Verlags veröffentlicht werden. Auf eine konkrete Bezeichnung der jeweils angeführten Materialausgabe wird verzichtet.

302

8 Darstellung der Ergebnisse

Ihr eigener Anspruch an individualisiertes Lehren und Lernen sowie die Arbeit mit einem stark gegliederten Lehrwerk, das von Beginn auf die Erschließung von „Regeln“ setzt, stehen zunächst relativ unverbunden nebeneinander. Was genau ihr Begriff von Regeln umfasst, wird erst in späteren Textsequenzen des Interviewteils A deutlich. Noch vor dem ersten Sprechwechsel gibt sie allerdings einige erste Hinweise, indem sie über die Lernerträge ihrer Arbeit mit dem strikt organisierten Lehrwerk reflektiert – die relativ rigide Lehr-Lern-Progression des Lehrgangs führt ihren Erfahrungen zufolge nicht zwangsläufig zu uniformen Lernerträgen: Ich habe jetzt in Klasse 3 Kinder, die befinden sich immer noch beim silbischen Schreiben, und ich habe Kinder, die beschwe/ die beschäftigen sich mit und oder oder kein und brauche ich ein Regelwissen oder ergibt sich das alleine. (L11, A12)

Sie kontrastiert in dieser Äußerung das ‚silbische Schreiben‘ als noch sehr basale Schreibhandlung mit der Beschäftigung mit und als anspruchsvollere Auseinandersetzung mit Schriftstrukturen. Darüber hinaus unterscheidet sie die Anforderungen des (Richtig-)Schreibens dahingehend, ob eine Schreibung ein ‚Regelwissen‘ verlangt oder ‚sich allein ergibt‘. Um diese Differenzierungen in ihrer sachstrukturellen und unterrichtspraktischen Bedeutung zu erfassen, sind weitere Äußerungen aus Interviewteil A hinzuzuziehen. L11 gibt in einem späteren Abschnitt des Interviews an, die Silben von Wörtern im farblichen Wechsel schreiben zu lassen, um den schwachen Lernenden beim Schreiben und Abschreiben eine bessere Orientierung und Fokussierung innerhalb des Wortes zu ermöglichen, insbesondere wenn mehrsilbige Wörter geschrieben werden sollen (vgl. L11, A16-18). Wie das ‚Regelwissen‘ für L11 definiert ist, ergibt sich aus der Zusammenschau sämtlicher Passagen aus Interviewteil A, in denen sie von (Rechtschreib-)Regeln oder Regelwissen spricht: L11 verwendet diese Begriffe sowohl im Zusammenhang mit silbischen Strukturen als auch im Hinblick auf morphologische und syntaktische Aspekte des Schriftsystems. Im Bereich der Silbe betrifft das angeführte Regelwissen die Merkmale offener und geschlossener Silben, die obligatorische Besetzung jeder Silbe mit einem Vokalbuchstaben (dazu unten ausführlicher), das regelhaft auftretende in der zweiten Silbe sowie die über die Silbenstruktur zu ermittelnde Doppelkonsonantenschreibung (vgl. L11, A12, A30, A48). Als Grundregel des Schriftsystems, die Lehrenden und Lernenden gleichermaßen bekannt sein sollte, bezeichnet L11 die „Orphem-PhonemZuordnung […], die aber nicht immer eins zu eins da ist“ (L11, A40). Fälschlicherweise spricht sie an dieser Stelle von *Orphemen; da sie sich

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

303

in den diesbezüglichen Erläuterungen jedoch eindeutig auf die Zuordnung zwischen Lauten bzw. Phonemen und Buchstaben bzw. Graphemen bezieht, kann davon ausgegangen werden, dass L11 die Zuordnung von Graphemen zu Phonemen als Grundprinzip des Schriftsystems meint.115 Als Beispiel für deren nicht zwangsläufig zutreffende 1:1-Entsprechung gibt sie die Unterscheidung von und im Wortauslaut an, die Schreibanfänger/-innen noch nicht notwendigerweise gelinge (vgl. L11, A40). Darüber hinaus verweist sie in der Referenz auf rechtschriftliches Regelwissen u. a. auf die regelhafte Korrespondenz zwischen [iː] und (L11, A40), die ‚lmnr-Regel‘ bei und (L11, A70-72), die Identifikation großzuschreibender Wörter durch „-ung, -heit, -keit, -nis“ (L11, A74) und Kommaregeln (vgl. ebd.). Führt man ergänzend eine entsprechende lexikalische Analyse in den Interviewteilen B (Umgang mit Fehlschreibungen) und C (Bewertung von Materialauszügen) durch, so verdichtet sich das Bild eines phänomenorientierten Regelbegriffs: Im Interviewteil B führt sie im Zusammenhang mit der Schreibung der ‚s-Laute‘ die ‚Regel‘ „Nach einem langen [i:] kommt ein “ (L11, B2b.1) ins Feld, bezeichnet oder als regelhafte Korrespondenzen des langen [iː] (vgl. ebd.) und spricht im Interviewteil C sogar explizit von Phänomenen wie der -Unterscheidung oder Doppelkonsonantenschreibungen, anhand derer Regelwissen aufgebaut werden sollte (vgl. L11, C3.1-3). Festgehalten werden kann an dieser Stelle also, dass der Erwerb von Rechtschreibfähigkeiten für L11 an den Aufbau von Regelwissen zu Rechtschreibphänomenen und wortübergreifenden Markierungen gebunden ist. Welche Rolle ein silbisches Strukturwissen dabei spielt, gilt es im Weiteren differenziert zu untersuchen. In diesem Zusammenhang ist auch zu ergründen, welche Schreibungen sich aus Sicht der Lehrkraft, wie oben angeführt, ohne Regelwissen ergeben („brauche ich ein Regelwissen oder ergibt sich das alleine“, L11, A12). Im Interview selbst geht sie zunächst näher auf die methodischen Erarbeitungsweisen und Hilfestellungen im Umgang mit Wortschreibungen ein. Sprech- und bewegungsrhythmische Handlungsformen werden als

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In weiteren Äußerungen verwendet sie wiederum den Begriff des Graphems sachadäquat, während sie die Bezeichnung Phonem mit der des Morphems zu verwechseln scheint: „((…)) dieses [ə] ist zum Beispiel einer der Buch/ der Morpheme, die wir am häufigsten haben.“ (L11, A 40) bzw. „Und (-) was ich toll fände, wenn wir an allen Schulen (-) äh zum Beispiel (-) sowas hätten, wie Das sind die, die Laute, die wir am häufigsten benutzen tatsächlich oder die Morpheme, die am häufigsten benutzt werden, und äh die Grapheme, die man dementsprechend am häufigsten zuordnen könnte.“ (L11, A 70)

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8 Darstellung der Ergebnisse

einleitende Schritte des Wortschreibens präsentiert, an die sich (schrift-)sprachanalytische Operationen anschließen: ((…)) in Silben hören, Silben klatschen, Silben laufen, Silben tanzen, Silben gehen, (-) dann ähm (-) geht es darüber hinaus, dass wir gucken, ist die Silbe offen, ist sie geschlossen, hören wir einen langen Vokal, einen kurzen, ähm (-) jede Silbe HAT seinen Vokal, ohne Kapitän kann ein Schiff nicht fahren, das geht unter, ohne Indianerlaut kann es nicht klingen, gibt es ja verschiedene Varianten, wie man das den Schülern verkauft, (-) ähm (-) dann gehen wir so weit / also das ist so eine Kontrolle, ne, sind meine Silben richtig, (-) wir arbeiten ganz viel mit Silbenteppichen, wir lesen ganz viel in Silben. (L11, A14)

In einer später folgenden Sequenz gibt L11 an, die sprechrhythmischen Handlungsformen vor allem als schreibvorbereitende Maßnahmen von den Schüler/-innen einzufordern, d. h., das zu schreibende Wort vor der Verschriftung zunächst in Silben laufen oder schwingen zu lassen, um so das Wort und dessen Silben bewusst wahrzunehmen (vgl. L11, A24). Worauf der im Zitat angesprochene analytische Teil der Silbenarbeit konkret abzielt, ist nicht ohne Weiteres zu erkennen, da keine klare Unterscheidung zwischen Sprech- und Schreibsilbe vorgenommen wird: L11 spricht vom obligatorischen Vokal (auch Kapitän oder Indianerlaut) in der Silbe, von ihrer Offenheit und Geschlossenheit sowie langen und kurzen Vokalen. Spätere Interviewsequenzen lassen zumindest stellenweise vertiefende Einblicke zu, so zum Beispiel L11s Ausführungen zur „erste[n] Rechtschreibregel“ (L11, A30), die in ihrem Unterricht thematisiert wird: „Du brauchst immer einen Vokal. (-) Und den hören wir auch!“ (ebd.) Aufgrund der Bezeichnung als Rechtschreibregel ist davon auszugehen, dass sie den Verweis auf das obligatorische vokalische Silbenelement grundsätzlich als Strukturvorgabe für die geschriebene Silbe versteht. In ihrem Nachtrag, dieser Vokal(buchstabe) sei auch zu hören, trifft sie keine prosodische Unterscheidung zwischen den Eigenschaften von Voll- und Reduktionsvokalen in der betonten und unbetonten Silbe. Sie verweist jedoch noch im selben Redebeitrag auf die Faustregel des in der zweiten Silbe, wenngleich sie auf dessen Realisierung und die damit verknüpfte Betonungsstruktur im Gesprochenen nicht eingeht: Die zweite Silbe in der deutschen Sprache ist meistens mit einem . (--) Widerspricht ein bisschen so den ersten Wörtern, die die Kinder schreiben, (-) Mama, Papa, (-) Oma, Opa, (-) das finde ich dann etwas schwierig, (--) aber als Faustregel, wenn man das / wenn man die Ausnahmen raus hat, dann klappt das wieder sehr gut. (L11, A40)

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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L11 deutet hier knapp auf die Schieflage zwischen dieser „Faustregel“ (s. oben) und dem Wortmaterial des Erstschreibunterrichts hin, sieht darin aber kein essenzielles Problem. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass sich die Lehrerin teilweise bewusst vom Vorgehen des verwendeten Lehrgangs abgrenzt oder dies zumindest für den nächsten Durchgang mit einer neuen Klasse anstrebt. In Ansätzen wurde dies bereits darin deutlich, dass L11 in ihrem Erstschreibunterricht je nach den individuellen Lernvoraussetzungen der Schüler/-innen entscheidet, ab wann das Richtigschreiben für sie eine Rolle spielt. Diese Vorstellung von der Lernprogression verdichtet sich in weiteren Passagen des Gesprächs. L11 weist zum einen auf einen analytisch-synthetischen Ansatz des Erstlesens und -schreibens hin, in der Buchstaben und Silben sowohl einzeln als auch in ihrem Zusammenspiel betrachtet werden: Also (-) ganz am Anfang versuchen wir, überhaupt erst mal Buchstaben zu erkennen oder Silben (-) verbinden zu können, (-) sowohl in der Analyse als auch im Synthese bei beidem. (L11, A30)

Sie unterscheidet zum anderen zwischen lautgetreuem und orthographisch richtigem Schreiben: Du brauchst immer einen Vokal. (-) Und den hören wir auch! Bei Tisch hören wir dann so eine Art ü und bei (-) Stuhl hören wir das u und [ʔuːl] [[spricht erst Buchstabennamen, dann Lautverbindung]] ist ein Stuhl, ganz klar, wir schreiben da relativ lautgetreu, auch wenn das Lehrwerk das äh (-) anders vorgibt, die Wörter lernen sie halt richtig und die anderen schreiben sie lautgetreu. (ebd.)

Während der Lehrgang die richtig zu schreibenden Wörter vorgibt, erfolgt die Erarbeitung der ‚Vokal-Regel‘ im Rahmen lautorientierter Schreibhandlungen, d. h., die Auseinandersetzung mit den spezifischen Eigenschaften der gesprochenen Vokale erfolgt zunächst ohne Einbezug der Silbenstruktur. Wenig später drückt L11 zudem die Absicht aus, zukünftig wieder von Beginn an mit einer Anlauttabelle zu arbeiten, was im verwendeten Lehrgang ABC der Tiere ebenso wie das freie Schreiben nicht vorgesehen ist (→L11-2): ((…)) ich glaube, man lernt Lesen durch Lesen und Schreiben durch Schreiben, ich glaube, dass das ganz wichtige Ansätze sind, (-) man lernt nicht unbedingt richtig schreiben nur durch Richtigschreiben. (L11, A36)

Sie begründet diese angestrebte Abkehr von den Lehrgangs-Richtlinien mit den beobachteten Schwierigkeiten insbesondere schwacher Lernender: Die alleinige Fokussierung auf die Auseinandersetzung mit orthographisch richtigen Wortschreibungen im Erstschreiben und -lesen führe bei

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8 Darstellung der Ergebnisse

den schwachen Schüler/-innen dazu, dass ihnen das freie Schreiben von Texten auch in Klasse 3 noch nicht gelinge: „Das war früher aber anders! Die, die nicht stark waren in der Rechtschreibung, konnten trotzdem freie Texte formulieren“ (L11, A36). L11 erlebt die stark instruktive und auf uniformes Lernen ausgerichtete Anlage des Lehrgangs in Bezug auf die Selbstständigkeit der Schüler/-innen beim Schreiben als zu einseitig. In den bisherigen Beschreibungen wurde deutlich, dass L11 unterschiedliche methodische Erarbeitungsweisen und Strukturierungen im Umgang mit Wortschreibungen miteinander kombiniert. Was davon in welchen Situationen handlungsleitend ist, kann vor allem in der Auseinandersetzung mit konkreten Wortschreibungen sichtbar werden. Aus diesem Grund sollen nun all diejenigen Gesprächssequenzen des Interviewteils A in den Blick genommen werden, in denen sich L11 dezidiert mit den ausgewählten Regularitäten der deutschen Wortschreibung beschäftigt. Dafür können Äußerungen zur -Schreibung als Teilbereich des Strukturtyps 1 sowie zur Doppelkonsonantenschreibung als Teilbereich des Strukturtyps 3 untersucht werden. Die -Schreibung bindet L11 an den Langvokal [iː] und kritisiert die in vielen Anlauttabellen gängige Präsentation des für den Langvokal [iː] als irreführend und „nicht reell“ (L11, A40). Ebenso wie für L07 ist die Regularität aus ihrer Sicht phonembasiert zu begründen, „denn wenn man ein langes [iː] hören würde, dann würde man es auch immer mit schreiben in der deutschen Sprache“ (ebd.; →L11-3). Die grundsätzliche Voraussetzung der Erarbeitung der -Schreibung besteht laut L11 darin, dass Lehrende wie Lernende sich „über die unterschiedlichen (-) Weisen von und und , (-) und , offene und geschlossene Töne im Klaren“ (L11, A40) sein müssen, und veranschaulicht dies am Beispiel von Esel und Ente: ((…)) es heißt aber nicht ['ʔeːzl̩ ] und ['ʔeːntə], es gibt ein [ə] und dieses [ə] ist zum Beispiel einer der Buch/ der Morpheme, die wir am häufigsten haben. Oder auch das [ɛn], das sind so / also (-) das, das (-) Enten-, [ə], und das [ɛn] zum Beispiel sind Sachen, die würde ich (-) immer früh mit einfließen lassen, ((…)) das sind so zwei Laute, die ganz, ganz häufig in unserer Sprache drin vorkommen, die finde ich ganz wichtig. (ebd.)

Die Analyse dieser Sequenz stellt vor allem in terminologischer Hinsicht ein schwieriges Unterfangen dar: Zum einen erscheint die Rede von Tönen in Referenz auf die Wortschreibung ungewöhnlich, zum anderen liegt augenscheinlich eine Verwechslung der Fachbegriffe Phonem und Morphem vor. Darüber hinaus ist unklar, inwiefern die Attribuierung der Töne durch

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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die Begriffe offen bzw. geschlossen silbenstrukturell geprägt ist – schließlich wurde im Vorangegangenen bereits einige Male auf offene und geschlossene Silben hingewiesen. Aus den anschließend angeführten Beispielen kann zumindest abgeleitet werden, dass L11 mit offenen und geschlossenen Tönen auf die Unterscheidung von lang und gespannt sowie kurz und ungespannt artikulierten Vokalphonemen referiert. Silbische Strukturen werden dabei nicht angesprochen, auch wenn L11 bei der Thematisierung des „Enten-“ zum einen das [ə] als phonologische Repräsentation des anführt, zum anderen auch die gesamte Silbe [ԑn] nennt, im Weiteren aber nur von Lauten spricht (→L11-4). Die Wahrnehmung der unterschiedlichen Quantitäten von Vokalen sieht L11 jedoch für Schüler/-innen anderer Herkunft als zentrale Schwierigkeit an,116 der sie didaktisch mit besonders deutlichem Vorsprechen und häufigen Übungsmöglichkeiten zur auditiven Wahrnehmung begegnet (vgl. L11, A42-44; →L115). Inwiefern silbische Strukturen für L11 tatsächlich handlungsleitend sind, zeigt sich erst in ihren Beschreibungen zum Umgang mit Wörtern des Strukturtyps 3 bzw. speziell mit Doppelkonsonantenschreibungen. Hier bindet sie die doppelten Konsonantenbuchstaben an die innersilbischen Strukturpositionen: Ich schreibe mit zwei , weil ich am Anfang eine (-) geschlossene Silbe habe, deswegen endet das mit einem und die (-) zweite Silbe (-) ist klar zu hören, heißt auch [nԑn] und insofern ist da ein doppelter Konsonant drin. (L11, A48)

In dieser Erklärung begründet L11 die doppelten Konsonantengrapheme mit der geschlossenen ersten Silbe und der mit [n] beginnenden zweiten Silbe. Warum die erste Silbe geschlossen ist, führt sie in dieser ersten Äußerung dazu nicht an. Gefragt danach, wie sie Schreibungen mit doppelten Konsonantengraphemen im Unterricht erarbeitet, beschreibt L11 folgendes Vorgehen: L11: ((…)) dann kriegen sie verschiedene Aufgaben, zum Beispiel Suche so viele Wörter mit doppeltem Konsonant raus, wie du findest, ((…)) und auch DANN ist es so, dass sie häufig noch die Silbenbögen drunterziehen müssen und manchmal sogar rot-blau das äh (-) machen, um zu erkennen, welches welche

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Diese Problematisierung erfolgt auf Nachfrage: Gefragt wurde nach Problemen, die sie neben den bereits geschilderten Schwierigkeiten mit der Konzeption des Lehrwerks im Unterricht zur Wortschreibung erlebt (vgl. L11, A41).

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8 Darstellung der Ergebnisse

Wörter sind. Oder (-) dann suchen wir Wörter mit so vielen Doppelkonsonanten wie möglich, (-) was weiß ich, ähm (--) Rüsselrenn/ (-) Rüsselwettkampf oder so, (-) und (-) und warum Wett-, warum wird das jetzt auch mit geschrieben, (-) höre ich doch eigentlich gar nicht. ES: Haben Sie das Gefühl, dass das auch ein wirkliches Problem ist für die Schüler, dass sie es nicht hören (-) und deshalb die Konso/ Kon/ Doppelkonsonanten schwierig sind oder (-) wie erleben Sie das? L11: Ich glaube, in, in Wörtern wie Wettkampf ist es schwierig, weil man es nicht hören kann, (-) bei wet.ten/[vɛt.ˈtɛn] [[spricht zweimal [t]]] ist es nicht schwierig, das ist eine (-) (Schludrigkeit) unserer (-) Aussprache. Das glaube ich aber sowieso, dass wir sehr viel undeutlicher geworden sind in unserer Aussprache. (L11, A50-52)

In diesem Ausschnitt geht L11 wiederum nur marginal auf die silbische Struktur ein: Sie führt zwar das Setzen von Silbenbögen oder die farblich wechselnde Markierung der Silben an, knüpft die Doppelkonsonantenschreibung im zweisilbigen Fuß jedoch an die angenommene phonologische Repräsentation, in der sich die segmentale Struktur des geschriebenen Wortes widerspiegelt (→L11-6). ↘ Phänomenebene 1: Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist an einer schriftinduzierten Lautung orientiert: Die Lehrperson geht von einer Ableitung der Wortschreibung aus den Segmenten des gesprochenen Wortes aus, projiziert dabei aber bereits unbewusst ihr Wissen über die Schreibung auf die Lautung.

Erst auf gezielte Nachfrage zu den im Lehrgang genutzten Silbenhäusern geht sie konkreter auf die Untersuchung silbischer Strukturen ein, mit denen die so genannten Kontrastpaare erarbeitet werden können: Ein Kontrastpaar heißt, ich habe ein/ einmal ein, ein, ein Wort mit einem / einer (-) langgezogenen Silbe ohne Stopper, Na.se, und einmal eine mit Stopper, Nüs.se/[ˈnʏs.sə] [[spricht zweimal stimmloses s]]. (L11, A58)

Die visuelle Strukturierung des Wortes dient dabei, wie sie weiter erläutert, dem phonologischen Training: Erkannt werden sollen die unterschiedlichen Repräsentationen der Sprechsilben mit und ohne ‚Stopper‘, also konsonantischen Endrand. Auch hier produziert L11 eine Überlautung des Wortes mit Silbengelenkschreibung (Nüsse), realisiert also das wortmediale Konsonantenphonem zweifach.

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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Auf Nachfrage zu den unterrichtsmethodisch genutzten silbischen Strukturierungsformen gibt die Lehrerin an, dass die Kinder zur Unterstützung des eigenen Schreibens lediglich den Farbwechsel nach jeder geschriebenen Silbe nutzen, nicht aber selbstständig auf das SilbenhausModell117 zurückgreifen (vgl. L11, A56, A60). Die Silbenhaus-Arbeit dient ihren Angaben zufolge in erster Linie der Erarbeitung der Kontrastpaare (→L11-7). Darin, dass sie die Untersuchung der Schreibsilbenstruktur in den genannten visuellen Strukturierungsformen zur Erarbeitung der Kontrastpaare einsetzt, die wiederum dem Training einer ‚Hochlautung‘ dienen, deutet sich zumindest implizit an, dass auch die Schreibsilbenanalyse auf die Wahrnehmung einer schriftinduzierten Lautung angelegt ist. Da L11 dies jedoch nicht explizit benennt, wird die beschriebene Funktion silbischer Hilfestellungen auf Phänomenebene 3 nur für die sprechsilbische Annäherung über die Kontrastpaare festgehalten.118 ↘ Phänomenebene 2 (zu Strukturtyp 3): Auf die an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellung von der Wortschreibung wird im Handlungsbezug durch eine ‚Pseudo-Verschiebung‘ des Fokus reagiert: Suprasegmentale Beziehungen werden einbezogen, um die Identifikation der phonologischen und graphematischen Einzelsegmente zu unterstützen. Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung ist handlungsleitend. ↘ Phänomenebene 3 (zu Strukturtyp 3): Positive Bewertung von silbenorientierten Hilfestellungen, die zur auditiven Erfassung der zu verschriftenden Einzelsegmente an einer (schriftinduzierten) Lautung ansetzen: Die Erfassung der Sprechsilbenstruktur wird als wirksame Hilfestellung für die für die auditive Ermittlung der zu verschriftenden Doppelkonsonantenbuchstaben betrachtet.

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Im Weiteren werden alle Verweise auf visualisierte Haus- und Garagenstrukturen des zweisilbigen Wortes unter der Bezeichnung Silbenhaus-Modell geführt. Die Bezeichnung ist als die gängigste unter den vielen verschiedenen Bezeichnungen der Lehrenden auszumachen und in den weiteren Darstellungen als Überbegriff zu verstehen, der auch unterschiedliche Versionen dieser silbenstrukturellen Visualisierungsform umfasst. Mit der einheitlichen Bezeichnung wird somit auf ein Instrument verwiesen, das trotz z. T. differierender Untergliederungsformen grundsätzlich nach dem gleichen Prinzip funktioniert. Auch wenn in der Bezeichnung Silbenhaus-Modell begrifflich nur das Haus angeführt wird (als Repräsentant der Hauptsilbe), bezieht sich der Terminus im Weiteren stets auf die gesamte zweisilbige Basisform, also sowohl auf das „Haus“ bzw. die Hauptsilbe als auch auf die „Garage“ bzw. die Reduktionssilbe des zweisilbigen Wortes. In der später dargestellten Typologie zeigt sich deutlicher, dass einige Lehrerinnen des Typs II (s. 8.3.2) schreibsilbenstrukturelle Analysen zum Training der angenommenen ‚Hochlautung‘ einsetzen.

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8 Darstellung der Ergebnisse

Augenfällig ist, dass L11 im Umgang mit Wortschreibungen, die nach der graphematischen Grundlegung der vorliegenden Arbeit dem Strukturtyp 3 zugeordnet sind, für die - und -Schreibungen eine andere Zugriffsweise als für die doppelten Konsonantengrapheme beschreibt, diese aber im nächsten Atemzug problematisiert (→L11-8): Ich würde / wüsste niemals nach steht nie oder oder sonst irgendwas, ich kenne die Regeln nie, ich muss die jedes Mal mit den Kindern neu lernen und ich würde sie niemals anwenden, wenn ich selber schreibe. (L11, A72)

Für sie stellt die Beschäftigung mit und „Krimskram“ (L11, A70) und eine Sache dar, „die kein Mensch braucht, die wir ganz selten machen“ (ebd.). Dass L11 in Interviewteil A insgesamt eine konzeptionelle Positionierung vornimmt, in der verschiedene Ansätze miteinander kombiniert und zum Teil auch vermischt werden, zeigt sich auch in den globaleren Reflexionen zum Rechtschreibunterricht: Hier äußert die Lehrerin u. a. den Wunsch nach einem verbindlichen Grundwortschatz zur Orientierung für Lehrende und Lernende sowie eine schulübergreifend bereitgestellte Übersicht über „die Laute, die wir am häufigsten benutzen tatsächlich ((…)) und äh die Grapheme, die man dementsprechend am häufigsten zuordnen könnte“ (L11, A70). Auf der anderen Seite gibt sie als ebenfalls wichtiges Kriterium für die Auswahl eines geeigneten Lehrwerks an, „dass ein Lehrwerk auf Silben aufbaut, ((…)) ich finde Silben ganz, ganz wichtig durch / zum Durchgliedern unserer Sprache“ (L11, A91). Insgesamt erweist sich die Zusammenfassung der im ersten Interviewteil ausgedrückten Grundorientierungen insofern als schwierig, als L11 facettenreiche Zugriffe auf die deutsche Wortschreibung präsentiert, die sich nur bedingt bündeln bzw. in ihrem konkreten Zusammenspiel erfassen lassen. Aus diesem Grund werden im Folgenden die handlungsnäheren Kontexte des zweiten und dritten Interviewteils hinzugezogen, um weiterführende Einblicke in die handlungsleitenden Kognitionen der Lehrerin zu gewinnen. Die Analyse ihres Umgangs mit den ausgewählten Strukturtypen der deutschen Wortschreibung erfolgt nach dem gleichen Muster wie in der Einzelfallanalyse von L07: Zuerst werden die gezeigten Zugriffe ausschließlich innerhalb des Interviewteils B betrachtet, bevor sie dann mit den in A sichtbar gewordenen Herangehensweisen verglichen werden. Im Umgang mit der Fehlschreibung * fundiert L11 die Begründung der Zielschreibung zunächst auf segmentaler Ebene: „Bei der

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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Gießkanne/* ist es so, dass man HÖREN kann, dass es ein langer Vokal ist.“ (L11, B2b.1) Dieser segmentale Bezug stellt aus ihrer Sicht jedoch noch kein hinreichendes Kriterium dafür dar, dass die Lernenden eine orthographisch angemessene Schreibung generieren, denn aus dem Langvokal könnte aber ein werden, daraus könnte aber auch ein werden, (-) je nachdem, wie viel Regelverständnis das Kind hat und (-) ich würde sagen, in unseren jetzigen vierten Klassen würden dort überall draus werden, weil sie alle gerade Dehnungs- üben. (ebd.)

Dabei drückt sie zum einen eine erfahrungsgemäß hohe Relevanz des intensiven Übens des für die Schreibentscheidungen der Lernenden aus und verdeutlicht zum anderen, dass die Identifikation des lang gesprochenen Vokals allein nicht für die korrekte Verschriftung des Wortes ausreicht, sondern zusätzliches Regelwissen erfordert. Anhand welcher Kriterien die Schreibentscheidung zwischen und getroffen werden kann, führt L11 nicht weiter aus. Damit knüpft sie in zweierlei Hinsicht an ihre Äußerungen im Interviewteil A an: Zum einen erklärt sie die -Schreibung übereinstimmend auf segmentaler Ebene, also durch die grundsätzliche Zuordnung des zum Phonem /iː/. Zum anderen verweist sie erneut auf die Bedeutung von „Regelverständnis“ (s. oben) für orthographisch richtiges Schreiben. Ein Zusammenhang zwischen der -Schreibung und der Silbenstruktur, etwa unter Einbezug der im Lehrgang zentralen Hilfswerkzeuge (Silbenhäuser, Silbenbögen, farbliche Abgrenzung der Einzelsilben), wird in beiden Interviewteilen A und B nicht hergestellt. Anders verhält es sich bei den Schreibungen des Strukturtyps 3, die ebenfalls sowohl im Interviewteil A als auch im Interviewteil B besprochen wurden. Die im ersten Inputbeispiel des Interviewteils B dargelegten Schwierigkeiten eines Schülers mit der Schreibung des Verbs schaffen empfindet L11 als nachvollziehbar: Wir scha.ffen/[ˈʃa.fən] es heute nicht, (-) die wenigsten Menschen sagen: Wir schaf.fen/[ˈʃaf.fən] es heute nicht, ist einfach / ich glaube, das hat an der (-) Undeutlichkeit unserer Sprache (--) klar zu tun ((…)), letzten Endes hören wir es bei schaffen/[ˈʃaf ̣n̩] nicht mehr. Keiner sagt schaf.fen/[ʃaf.fɛn] und äh dass es ein langer Vokal ist, wie bei Schafe, (-) ist nicht gegeben, aber das Doppel- hören wir auch nicht wirklich. (L11, B1.8)

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8 Darstellung der Ergebnisse

L11 weist hier die Angemessenheit eines Vorgehens, in dem ausgehend von der Lautung die doppelt zu verschriftenden Konsonantengrapheme identifiziert werden können, klar zurück: „Keiner sagt schaf.fen/[ʃaf.fɛn].“ (s. oben) Diese Schieflage zwischen geschriebener Wortstruktur und der den Schüler/-innen zur Verfügung stehenden Lautung des Wortes betrachtet sie jedoch nicht als Abweichung, die in der Interdependenz geschriebener und gesprochener Strukturen begründet ist, sondern als Resultat der Entwicklung des (mündlichen) Sprachgebrauchs (→L11-9): ((…)) ich glaube, das hat an der (-) Undeutlichkeit unserer Sprache (--) klar zu tun, ((…)) letzten Endes hören wir es bei schaffen/[ˈʃaf ̣n̩] nicht mehr. (L11, B1.8)

Als alternativen didaktischen Zugang zur Schreibung zieht L11 in dieser Interviewsequenz die Nutzung des Silbenhaus-Modells in Betracht: ((…)) eventuell (-) könnte man behaupten, mit der Häuschenschreibweise müsste man herausfinden, dass der, dass der (-) lange Vokal (-) nicht gegeben ist, insofern ein Stopper da sein müsste, in der ersten Silbe MUSS etwas stoppen, aber dann könnten wir immer noch sagen, das heißt schaf.en/[ˈʃaf.Ɂən]. (L11, B1.8)

Die visuelle Strukturierung des Wortes durch dessen Eintragung in das Hausmodell wird von L11 insofern als möglicher Zugang zur Schreibung in Betracht gezogen, als durch die Durchgliederung des Wortes anhand der intersilbischen Strukturpositionen erkannt werden kann, dass ein lang gesprochener Vokal in der ersten Silbe auszuschließen ist und dafür ein silbenschließender Konsonant119 („Stopper“, s. oben) benötigt wird. An dieser Stelle deutet sich ein Verblassen ihrer an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellung von der Wortschreibung im Handlungsbezug an, indem L11 den Fokus auf die Auseinandersetzung mit suprasegmentalen Strukturen anstelle einer Betrachtung von Einzelsegmenten legt. Die Lehrerin fügt jedoch einschränkend hinzu, dass auch durch diesen Schritt noch keine adäquate Verschriftung gewährleistet ist: „((…)) dann könnten wir immer noch sagen, das heißt schaf.en/ [ˈʃaf.Ɂən]“ (s. oben, →L11-10). Auf Nachfrage gibt sie an, dass sie diese Problematik tatsächlich häufig erlebt, und formuliert daraufhin folgende Handlungsempfehlung:

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An dieser Stelle ist nicht zu erkennen, ob sie sich auf ein Konsonantphonem oder ein Konsonantengraphem bzw. die Struktur des gesprochenen oder geschriebenen Wortes bezieht, sodass an dieser Stelle die neutrale Bezeichnung als Konsonant (und im Weiteren die Darstellung mithilfe eines kursiv gedruckten f) gewählt wird.

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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Noch mal genau hinhören, überlegen, wie heißt es richtig, überlegen, spreche ich das richtig, und manchmal stellen wir fest, dass wir das falsch aussprechen, und manchmal stellen wir auch fest, dass es Wörter gibt, die sprechen wir anders, als wir sie eigentlich sprechen. Also (-) da sind wir alle undeutlich in unserer Aussprache, nicht nur (-) die Kinder, sondern auch ich. (L11, B1.12)

Die Gesprächspassagen zum Inputbeispiel B1 erweisen sich in mehrfacher Hinsicht als aufschlussreich: 1. Anders als bei der -Schreibung wird eine silbenstrukturelle Analyse als denkbarer Zugang zur Doppelkonsonantenschreibung präsentiert. Ausschlaggebend scheint hierfür die den Lernenden zur Verfügung stehende Lautung als ‚phonologische Inputbedingung‘ zu sein: Da die Alltagslautung keine zuverlässige Bezugsgröße darstellt, um ausgehend von einer segmentalen Wortdurchgliederung die geschriebene Wortstruktur Segment für Segment zu erschließen, erwägt L11 die visuelle Strukturierung auf Silbenbasis als alternative Zugriffsform, die zumindest eine Annäherung an die richtige Schreibung anstoßen kann, denn: „in der ersten Silbe MUSS etwas stoppen“ (s. oben). Sie beschreibt im Anschluss jedoch auch die Grenzen des Modells, schließlich könnten die Schüler/-innen das Erfordernis der geschlossenen Silbe auch erfüllen, indem sie das f dem Ende der ersten Silbe zuordnen und die zweite Silbe wiederum ‚nackt‘ beginnen lassen. Die von ihr geschilderte Reaktion auf das beschriebene fehlleitende Vorgehen besteht nun gewissermaßen in einer Rückkehr zur phonologisch-segmentalen Gliederung des Wortes (→L11-11), die sie selbst zu Beginn der Auseinandersetzung mit dieser Inputschreibung noch klar problematisiert hat („Keiner sagt schaf.fen/[ʃaf.fɛn].“, s. oben). L11 deutet zwar an, dass eine silbenstrukturelle Erschließung der Schreibung ohne Einbezug der zweiten Silbe nicht zielführend ist, greift dies aber in ihren Handlungsanregungen nicht auf. Stattdessen bleibt ihre didaktische ‚Lösung‘ dem zuvor beschriebenen Problem verhaftet: Letztlich muss eine für die Schreibung des Wortes ‚geeignete‘ Lautung trainiert werden(→L11-12). 2. Eine nur begrenzt unterstützende Wirkung des Silbenhaus-Modells sieht L11 darin, dass die Lernenden mithilfe der visuellen Strukturierung zwar die konsonantisch zu schließende erste Silbe erkennen können,

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8 Darstellung der Ergebnisse

das Modell ihnen aber dennoch keinen eindeutigen Hinweis auf die angezeigte Doppelkonsonantenschreibung liefert („aber dann könnten wir immer noch sagen, das heißt schaf.en/[ˈʃaf.Ɂən]“, s. oben).120 ↘ Phänomenebene 3 (zu Strukturtyp 3): Eingeschränkt positive Bewertung von silbenorientierten Hilfestellungen, die zur visuellen Erfassung der Vokalquantität an der Schreibung ansetzen: Die Erfassung der Schreibsilbenstruktur wird als ergänzende Hilfestellung für die schreibrelevante Differenzierung zwischen Lang- und Kurzvokalen betrachtet, nicht jedoch als hinreichende Hilfe beim selbstständigen Schreiben.

In den Schilderungen L11s wird in diesem Zusammenhang deutlich, dass sie in der silbenanalytischen Auseinandersetzung mit der Doppelkonsonantenschreibung keine Differenzierung zwischen obligatorisch und fakultativ zu besetzenden Strukturpositionen in der ersten und zweiten Silbe vornimmt und nicht auf den im Geschriebenen vorgesehenen besetzten Anfangsrand der zweiten Silbe eingeht. Stattdessen bricht sie die Silbenanalyse ab und kehrt 1. zur Ausgangsebene des gesprochenen Wortes und 2. zu einer einzelsegmentorientierten Vorgehensweise zurück. Auf gezielte Nachfrage zum konkreten Einsatz des Silbenhaus-Modells im Umgang mit der Beispielschreibung weist L11 auf eine weitere Schwierigkeit hin: Da würden wir uns jetzt das Haus nehmen ((zeichnet das Häuschenmodell auf)) und würden dann hier das scha ((schreibt Silbe ins Haus)), (--) scha.fen ((trägt die zweite Silbe in die Garage des Modells ein)), wäre ganz klar für das Kind und dann würden wir da sitzen und sagen, meinst du wirklich, dass dieser Laut SO lang ist, dass der (-) beide Räume in Anspruch nimmt, [ˈʃɑ:fən] wir das?, (-) und ich würde es / wüsste jetzt (-) mindestens fünf Kinder, die sagen: Jo. (--) Also ich finde, das ist ein ganz logischer Fehler eigentlich. (L11, B1.14)

120

In Kapitel 4 der vorliegenden Arbeit wurde demonstriert, dass die von L11 präsentierte Verteilung der Segmente weder im trochäischen phonologischen Fuß noch in dessen graphematischem Äquivalent zulässig ist: Eine graphematische Silbensegmentierung * ist aus graphotaktischen Gründen nicht legitim, da der graphematische Anfangsrand der zweiten Schreibsilbe grundsätzlich zu besetzen ist (s. 4.5.2); eine entsprechende phonologische Silbensegmentierung wie *[ʃaf.Ɂən] ist wiederum phonotaktisch nicht zulässig ist (s. 4.2.2.1). Inwiefern diese Gesetzmäßigkeiten die didaktische Modellierung der Wortschreibung steuern können, wurde in Kapitel 5 demonstriert.

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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Durch die Eintragung des Wortes in das Haus können die Lernenden laut L11 zwar die Struktur der ersten Silbe und deren Konsequenzen für die Aussprache, also Vokallänge, wahrnehmen, das Modell helfe ihnen jedoch nicht weiter, wenn sie diese Aussprache wiederum nicht als von der Zielstruktur abweichende Realisierung identifizieren können. Die Schwierigkeit, die die Wahrnehmung von Vokallänge und -kürze einigen Schüler/-innen bereitet, sieht sie auf diesem Weg also nicht lösbar (→L11-13). Die Tendenz L11s dazu, die Silbengelenkschreibung didaktisch doch vorwiegend auf segmentaler Ebene zu erarbeiten, wird in ihren Äußerungen zur zweiten vorgelegten Schülerschreibung */ Frühstücksei verstärkt. Auch hier bewertet sie die Fehlschreibung der Schülerin zunächst als nachvollziehbar,

ES: L11:

denn [fʀyː] (-) und [ʃtyːk] / (--) das [fʀyː] ist länger als das [ʃtʏk], aber hier habe ich bei der Silbentrennung auf jeden Fall schon * und * ((zeigt auf die Schülerschreibung)), das heißt, ich hätte im Prinzip (-) auf der einen Seite einen langen (-) Konsonanten [[Annahme eines Versprechers: meint Vokal]] und auf der anderen Seite (-) hätte ich einen kurzen Konsonanten [[Annahme eines Versprechers: meint Vokal]], der gestoppt ist, (-) warum muss ich das mit schreiben? Hm, (-) wie würden Sie es (-) den Kindern erklären? Wir würden jetzt aus -stück Stüc.ke/[ˈʃtʏk.kə] [[spricht am Silbenende und -anfang jeweils ein [k]]] machen, (--) wobei (-) da das dann schon schwie/ ziemlich schwierig ist, diese ähm / für die Kinder die Kurve zu kriegen, (--) in der Frü.he/[ˈfʀyːhə] [[spricht [h]]] essen wir ein paar Stüc.ke/[ˈʃtʏk.kə] [[spricht zweimal [k]]] (--) zum Frühstück, (--) aber so würden wir es auseinanderdröseln. (L11, B2a.1-3)

Dass die Schreibung der Schülerin nicht abwegig ist, veranschaulicht L11, indem sie eine silbenstrukturelle Analyse innerhalb des Kompositums bzw. der Wortstämme vornimmt und daraus – vermutlich aus Sicht der Schülerin – ableitet, dass in den Schreibungen * und * bereits die notwendigen strukturellen Bedingungen erfüllt sind, nämlich eine offene Silbe in * und eine geschlossene bzw. ‚gestoppte‘ Silbe in *. Gefragt nach ihrem Erklärungsansatz, mit dem sie Lernende auf die Spur der richtigen Schreibung bringen würde, nennt die Lehrerin die Gliederung des Wortes in seine einzelnen Bestandteile und deren anschließende Verlängerung. Die verlängerten Wörter artikuliert sie konsequent konsonantisch überlautiert – Stücke präsentiert sie mehrfach als [ʃtʏk.kə], also als lautsprachliche Repräsentation, in der jedem Graphem des geschriebenen

316

8 Darstellung der Ergebnisse

Wortes ein phonologisches Segment entspricht. Auf erneute (immanente) Nachfrage hin führt L11 das empfohlene Vorgehen weiter aus: ((…)) und bei Stücke gucken ((schreibt etwas auf)), dann hören wir (-) in DEM Fall, wenn wir ganz sauber sprechen, dass wir ((…)) zwei (--) s drin haben müssten, (-) und DANN wüssten wir vielleicht, dass wir es mit schreiben. (L11, B2a.5)

Auch hier ruft sie erneut die Vorstellung einer ‚Hochlautung‘ ab, in der man bei ‚sauberer Aussprache‘ ein doppeltes Konsonantphonem, das im besonderen Fall von k im Geschriebenen nicht verdoppelt wird, sondern als auftritt, artikuliert (→L11-14). In dieser Handlungsempfehlung verweist L11 nicht auf Silbenstrukturpositionen, sondern nur auf die ‚Hochlautung‘, die mit einer Gleichsetzung der Segmentstruktur des gesprochenen und geschriebenen Wortes einhergeht. Wechselseitige suprasegmentale Bezüge zwischen den phonologischen und graphematischen Repräsentationsformen der zweisilbigen Wörter werden didaktisch nicht thematisiert. Verglichen mit den Zugriffen auf Wortschreibungen des 3. Strukturtyps (Silbengelenkschreibungen), die L11 in Interviewteil A formuliert, ergibt sich ein weitgehend übereinstimmendes Herangehen: In beiden Interviewteilen werden Zugriffe präsentiert, die sich einerseits auf die Besetzung des Endrands der Hauptsilbe, andererseits auf die ‚saubere Aussprache‘ der zweisilbigen Wörter beziehen, um die doppelten Konsonanten in der Wortmitte auditiv zu erfassen und anschließend zu verschriften. Bezogen auf die -Schreibung weichen die Zugriffe in A und B insofern voneinander ab, als das im Interviewteil A an die ‚lmnr-Regel‘ gebunden, im Interviewteil B hingegen als besondere graphematische Markierung des gesprochenen [kk] am Übergang von der ersten zur zweiten Silbe dargestellt wird. In der Auseinandersetzung L11s mit den vorgelegten Schreibungen des Strukturtyps 4 können eindeutige Parallelen zu den beschriebenen Zugriffen auf Silbengelenkschreibungen gezogen werden. Im ersten besprochenen Fall regt sie zur Verlängerung des Einsilbers früh zur zweisilbigen Form Frühe, um durch deutliches Sprechen zu hören, „dass wir ein drin haben“ (L11, B2a.5). ↘ Phänomenebene 1 (zu Strukturtyp 4): Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist an einer schriftinduzierten Lautung orientiert: Die Lehrperson geht von einer Ableitung der Wortschreibung aus den Segmenten des gesprochenen Wortes aus, projiziert dabei aber bereits unbewusst ihr Wissen über die Schreibung auf die Lautung.

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

317

In der konkreten Erarbeitung „könnte man auch Reimwörter dazu finden, Brühe [[spricht kein [h]]]“ (ebd.). In dieser Äußerung fällt auf, dass sie das vorgeschlagene Reimwort Brühe ohne wortmediales [h] realisiert. Während sie dies in der Sequenz zur B2a-Schreibung noch nicht selbst thematisiert, spricht sie die Diskrepanz zwischen Alltagslautung und der dem geschriebenen Wort zugewiesenen ‚Hochlautung‘ im Umgang mit der Beispielschreibung B3 unmittelbar an (→L11-15): blühen/* [[spricht [h]]] und verblühten/*, das kann das Kind nicht hören. Wir spra/ wir sagen nicht, [blyːhɛn], (-) das ist ein , das wir nicht hören, und die Blüte schreiben wir auch nicht so. (L11, B3.1)

Auf ihre Herangehensweise im Unterricht angesprochen, drückt L11 für folgende Handlungsorientierung aus: Da müssten wir einfach gucken, wie spricht man es richtig. (-) Und da wür/ müsste man dann vielleicht auch noch gucken, ob man andere Wörter findet. Blühen, glühen [[spricht jeweils [h] im Anfangsrand der zweiten Silbe]] / ((…)) Suche Wörter, die mit -hen am Ende (-) enden. (L11, B3.3)

Obwohl sie zu Beginn der Sequenz klar formuliert, dass „das ein [ist], das wir nicht hören“ (s. oben), empfiehlt sie in der konkreten Handlungssituation einen lautanalytischen Zugang, in dem die angenommene ‚Hochlautung‘ die primäre Bezugsgröße ist (→L11-16) und von Reimwörtern bzw. anderen Wörtern „mit -hen am Ende“ (s. oben) unterstützt wird. ↘ Phänomenebene 2 (zu Strukturtyp 4): Die an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellung von der Wortschreibung wird im Handlungsbezug aktiviert: Die auditive Wahrnehmung von geschriebenen Segmenten wird trainiert. Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung ist handlungsleitend.

Dass der Schüler die morphologisch komplexe Form verblühten ebenfalls ohne generiert, wertet L11 als „Folgefehler“ (ebd.) und deutet, ohne es direkt zu benennen, auf das Prinzip der Morphemkonstanz hin. In der Zusammenschau ihrer in den Interviewteilen A (offene Beschreibung und Reflexion des Unterrichts) und B (Umgang mit Fehlschreibungen) gezeigten Zugriffe auf die ausgewählten orthographischen Regularitäten ergeben sich die folgenden übergreifenden Tendenzen:

318

8 Darstellung der Ergebnisse

Tab. 26 Zusammenfassung der Zugriffe auf Wortschreibungen der Strukturtypen 1, 3 und 4 (L11, A und B)

Tendenz in A und B

L11

Strukturtyp 1 (hier speziell ) Präsentation als primär segmental begründete Schreibung

Strukturtyp 3 (Silbengelenkschreibungen) Präsentation als segmental und silbenstrukturell begründete Schreibung mit schreibund sprechsilbenbezogenen Anteilen (mit Überlautung)

Strukturtyp 4 (silbeninitiales ) Präsentation als primär segmental begründete Schreibung (mit Überlautung)

In der spezifischen Betrachtung des Umgangs mit morphologisch komplexen Wortformen zeigt sich, dass L11 letztere überwiegend als morphologische Schreibungen behandelt: Sie zieht zur Begründung morphologisch komplexer Schreibungen der Strukturtypen 3 und 4 in der Regel zweisilbige Grundformen heran, deren graphematische Strukturen an verwandte Wortformen vererbt werden, und formuliert somit übereinstimmende Zugriffe auf morphologisch einfache und komplexe Schreibungen im Bereich der Strukturtypen 3 und 4. Das Vorgehen L11s kann insofern als besondere Auffälligkeit behandelt werden, als die Ableitung zweisilbiger Grundformen aus den betrachteten Komposita einer Reaktivierung der ‚Hörbarkeit‘ von doppelten Konsonantengraphemen sowie des intervokalischen dient. ↘ Phänomenebene 4: Die Zugriffe auf morphologisch einfache Schreibungen werden auf morphologisch komplexe Schreibungen übertragen: Die Erklärungen beziehen sich auf zweisilbige Grundformen, die der Reaktivierung von ‚Hörbarkeit‘ dienen (Verführungsfall II).

Die vorgelegte -Schreibung im Kompositum wertet sie als phonologisch motivierte Schreibung, die nicht weiter bestimmtes zusätzliches Regelwissen verlangt. Weitere Einblicke in die handlungsleitenden Kognitionen der Lehrerin liefern schließlich die Interviewpassagen aus Interviewteil C, in dem verschiedene Auszüge aus Lehrmaterialien vorgelegt wurden. Der Chronologie der Strukturtypen folgend, sollen im Folgenden zuerst die Äußerungen L11s zum Materialbeispiel C2, das die Verwendung von gegenüber rein schreibsilbenbasiert präsentiert, und anschließend die Beispiele C1 und C4, die in den Bereich des Strukturtyps 3 fallen, untersucht werden. Ergänzend wird L11s Bewertung der Robotersprache (C3) geschildert.

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

319

L11 erkennt das Materialbeispiel C2 unmittelbar als Ausschnitt aus dem von ihr verwendeten Lehrgang ABC der Tiere und beschreibt zunächst dessen generelle konzeptionelle Ausrichtung: „Im ABC ist es so, dass sie äh (-) über die Optik hier (-) gehen, sie sagen: Man SIEHT es in der Silbe.“ (L11, C2.1) Sie verweist hier explizit auf die Erarbeitungsebene des geschriebenen Wortes und stellt das Sehen als primäre Anforderung der Erarbeitung heraus.121 Ihre eigene Einschätzung dieser Herangehensweise fällt jedoch nur bedingt positiv aus, denn die rein schriftbezogene Erklärung („Wir schreiben ie, wenn in der 1. Silbe kein weiterer Buchstabe folgt.“, s. Materialvorstellung in 7.2.2) stellt aus ihrer Sicht in der konkreten Schreibsituation nicht zwingend eine Hilfe dar: Das ist zwar nett, ist aber nicht schön, wenn ich selber schreibe. ((…)) Hier geht es in keinerlei / in keiner (-) Richtung (-) darum / in keinerlei (-) Aufgabenstellung darum, dass ich es HÖREN muss, sondern hier gehe ich über das Gucken. Das ist natürlich schwierig, wenn ich nicht weiß, wie ich schreiben soll, wie es klingt, ne? (L11, C2.1)

Wenn Schüler/-innen versuchen, ein Wort ausgehend von dessen Lautung zu verschriften, hilft ihnen die Darstellung im Materialauszug laut L11 nicht weiter. Aus diesem Grund plädiert sie für eine Kombination des schreibsilbenstrukturellen Ansatzes des Materials mit Aufträgen zur genauen auditiven Wahrnehmung der durch die - oder -Schreibung angezeigten phonologischen Merkmale: Ich würde die KombinaTION bevorzugen! Also ich würde hier meinen Kindern sagen: Höre genau hin, versuch es zu sprechen, übe es, laufe es, trenne die Silben. (L11, C2.3)

Eine Erklärung ohne Thematisierung des Lautbezugs der Schreibung lehnt L11 ab (→L11-17).

121

In ihren Notizen auf den vorgelegten Seiten wird diese explizite Benennung auch dadurch betont, dass L11 zum Auszug C1 das Stichwort „Akustik“ vermerkt, während sie auf der C2-Seite „Optik!“ notiert. (Da die Lehrkräfte sehr unterschiedlich Gebrauch davon machen, die eigenen Überlegungen in den Inputmaterialien zu notieren, werden die Notizen nur punktuell zur Verdeutlichung des Gesagten hinzugezogen.)

320

8 Darstellung der Ergebnisse

Tab. 27 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C2 (L11) Materialbeispiel C2 ( oder ?) Bewertungsgegenstand Erklärung: schreibsilbenbasiert Empfohlener alternativer/ergän-zender Zugriff

Angelegtes Bewertungskriterium Erarbeitungsrichtung: vom Geschriebenen zum Gesprochenen eher zustimmend, aber: fehlender Bezug zur Kodierung von Vokalquantität wird problematisiert Ergänzung um sprechsilbenbasierte Erklärung

Zieht man ihre bereits beschriebenen Zugriffe auf die -Schreibung in den Interviewteilen A und B hinzu, zeigt sich, dass die dort empfohlene Präsentation des als graphematisches Äquivalent des Langvokals [iː] aus L11s Perspektive durch die im Interviewteil C vorgelegte schreibsilbenstrukturelle Erarbeitung ergänzt werden kann. Auf der anderen Seite wird auch in dieser Interviewsequenz deutlich, dass das silbenorientierte Vorgehen des genutzten Lehrgangs für die Lehrerin nicht zwingend handlungsleitend ist, denn sie formuliert vor allem in den Sequenzen, die gewissermaßen eine ‚intuitive‘ Auseinandersetzung zulassen, andere Zugänge als die strikt silbenstrukturell bestimmte Erarbeitungsform. Die Analyse der Materialauszüge, die sich direkt (C4: ) oder indirekt (C1: graben – grabbeln) mit dem Strukturtyp 3 der deutschen Wortschreibung auseinandersetzen, vermag die bisher ermittelten sachstrukturellen und didaktischen Orientierungen teils zu schärfen und zu verdichten, teils aber auch abweichende Konzepte offenzulegen. Dem ersten Materialauszug C1 (graben - grabbeln) steht L11 tendenziell eher skeptisch gegenüber: Zum einen befindet sie thematisierten Inhalte als zu spät für Klasse 4 („Klasse 4 finde ich im Prinzip zu spät, (--) sich jetzt damit zu beschäftigen, dass es offene und geschlossene Silben gibt“, L11, C1.2), zum anderen sieht sie eine Schieflage zwischen dem ausgewiesenen Thema der Seite, „Langer Selbstlaut – kurzer Selbstlaut“, und der grafischen Darstellung, in der einmal der Vokalbuchstabe (bei graben) und einmal der Konsonantenbuchstabe (bei grab-beln) farblich markiert ist. Ihre Kritik bezieht sich in erster Linie auf den in der Überschrift angekündigten Lerninhalt, nämlich den langen und kurzen Selbstlaut, und die davon abweichende formale Darstellung. Ob sich die negative Bewertung auch auf die sachstrukturelle Modellierung des Gegenstands bezieht, bleibt offen.

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

321

In ihren weiteren Äußerungen zum Materialausschnitt C1 identifiziert L11 die leitende Anforderung zur Unterscheidung offener und geschlossener erster Silbe, ohne diese zu bewerten: Hier geht es in erster Linie darum, dass man es akustisch hören können sollte, sie haben dann (-) zwei Wörter, die man deutlich nacheinander aussprechen soll und es geht hier um das Ohr. (L11, C1.2)

Tab. 28 fasst die Bewertungstendenzen L11s in der Auseinandersetzung mit dem C1-Material zusammen. Tab. 28 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C1 (L11) Materialbeispiel C1 (graben - grabbeln) Bewertungsgegenstände Erklärung: sprechsilbenbezogen Hilfestellung: sprechsilbisch, Mundöffnung Hilfestellung: graphische Hervorhebung des Vokalbuchstabens in der offenen und des Konsonantenbuchstabens in der geschlossenen Silbe

Angelegtes Bewertungskriterium Zielführende Modellierung nicht eindeutig nicht eindeutig ablehnend, empfohlen: unterschiedliche Markierung der Vokalbuchstaben

Einen ebenfalls ‚akustischen‘ Zugang liefert das Materialbeispiel C4, das das „durch Verlängern und Silbensprechen hörbar machen“ (s. Aufgabentext) will. Hierzu liefert L11 eine eindeutigere Bewertung als in C1: Sie befindet das Verlängern als grundsätzlich wichtige Strategie, kritisiert aber zum einen die Wortauswahl, da sich einige der angegebenen Wörter nicht verlängern lassen, zum anderen auch den Zugang zur Schreibung über die Lautung (Bewertungskriterium zielführende Modellierung): ((…)) ich bezweifle auch, dass die Kinder bei kitzeln [ˈkɪt.ʦəln] sprechen. Unsere Sprache entspricht nicht dem, was hier steht, und ich glaube, DA wäre es sicherlich wieder einfacher, wenn man (-) entweder wieder die 35 Wörter, die es gibt mit , raussucht und sagt, das sind Lernwörter, die musst du einfach definitiv lernen, oder ab/ ich weiß nicht, wie viele es gibt, ne, oder aber äh wenn man dort quasi ein Regelwissen aufstellt: In der Regel schreibst du immer ohne (-) und dann und dann und dann schreibst du nie mit , so, und (-) sonst musst du nachgucken. (L11, C4.1)

Interessanterweise problematisiert sie in diesem Beispiel ähnlich wie in vielen weiteren Textsequenzen der Interviewteile das Missverhältnis zwischen der in der Aufgabenstellung anvisierten ‚Schreiblautung‘ und der Alltagslautung, ruft im Fall von jedoch nicht zu einem Training einer angenommenen (schriftgeleiteten) ‚Hochlautung’ auf, sondern formuliert zwei alternative Bearbeitungsmöglichkeiten für den Unterricht: zum einen die

322

8 Darstellung der Ergebnisse

Behandlung der -Wörter als Merkwörter, zum anderen die Beschreibung des Vorkommens von mithilfe einer Regel. Anders als im Umgang mit der -Schreibung im Interviewteil B (s. , B2a) weist sie das nicht als graphematisch besondere Kennzeichnung einer Doppelkonsonantenschreibung aus. Sie schließt jedoch insofern an ihre diesbezüglichen Ausführungen im Interviewteil A an, als sie Wortschreibungen mit als eher selten vorkommende Schreibungen ausweist. Auch knüpft sie an die zuvor erwähnte Möglichkeit an, die Schreibung mithilfe von Regelwissen abzustecken, wenngleich sie dieses Regelwissen nicht näher erläutert (→L11-18). In Bezug auf die Schreibung drückt L11 also eine negative Bewertung von Formen der Sprechsilbenisolierung für die Wahrnehmung der zu verschriftenden Einzelsegmente aus; da dies jedoch nicht generell für Schreibungen des Strukturtyps 3 gilt (s. oben), wird es in der abschließenden Auswertung nicht als handlungsleitende Ausprägung auf der Phänomenebene 3 ausgewiesen. Tab. 29 fasst ihre Bewertung des Materialauszugs C4 noch einmal zusammen. Tab. 29 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C4 (L11) Materialbeispiel C4 ()

Angelegtes Bewertungskriterium

Bewertungsgegenstände Erklärung: sprechsilbenbezogen + segmental Hilfestellung: sprechsilbisch Wortmaterial: Simplizia, (intransparente) komplexe Wörter Problematisierung der (möglichen) Überlautung Empfohlener alternativer/ergänzender Zugriff

Zielführende Modellierung ablehnend ablehnend ablehnend Überlautung wird problematisiert Alternative Behandlung als orthographische Konvention (Merkwörter, Regel)

Der darüber hinaus vorgelegte Merkkasten des Inputbeispiels C3 (Robotersprache), der die sprechrhythmische und visuelle Durchgliederung von Wörtern anhand von Silben als allgemeine Hilfestellungen des Wortschreibens präsentiert, erweist sich schließlich als fruchtbarer Input, um die grundsätzlichen sachstrukturellen und vor allem didaktischen Richtlinien von L11 im Umgang mit der deutschen Wortschreibung zu benennen. In dieser Anforderungssituation weist die Lehrerin die Silbenzerlegung als wichtige und wirksame, aber nicht ausreichende Hilfestellung bei der Generierung von Wortschreibungen aus:

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

323

((…)) das finde ich sehr schön, dass in Klasse 5 das noch mal aufgenommen wird, äh meine Erfahrung als Mama UND Lehrerin, ich habe selber ein / jahrelang an der Hauptschule gearbeitet, zeigt, auch was die Kinder mal in Klasse 1, 2, 3, 4 gelernt haben, sitzt noch lange nicht, selbst die, die (-) echt sicher sind, we/ wenn, wenn die neue Situationen kommt, alle neue/ alles Neue auf einen einströmt, geht ganz viel verloren, was sie vorher konnten und wussten. Insofern finde ich das sehr angenehm, dass es hier NOCH einmal darum geht, sich wirklich GANZ gezielt die einzelnen Silben anzugucken, was allerdings hier NICHT ist: Hier gibt es keinerlei Regelwissen, hier steht nur, dass man was in Silben zertrennen kann, aber es wird nicht (-) irgendwie noch auf irgendein Phänomen eingegangen, ich hoffe einfach, dass das dann die (--) nachfolgenden Merkkästen machen. (L11, C3.1)

Mit Blick auf die Lernprogression und allgemein lehr-lerntheoretische Aspekte bewertet sie den Auszug durch die an die Zugänge der Grundschule anknüpfenden Inhalte in Klasse 5 positiv. Unter dem Bewertungskriterium der Angemessenheit der didaktischen Modellierung nimmt sie hingegen eine bedeutsame Einschränkung vor und verweist darauf, dass die Silbenzerlegung für sie nur die Vorarbeit für die Erarbeitung von Regelwissen darstellt: Ähm (-) wir haben vorher die Situation gehabt, dass wir einmal / unterschieden haben (-) im Gucken und äh Doppelkonsonant, einfach / also geschlossene, offene (-) Silbe (-) unterschieden haben, hier geht es nur um Silbenzerlegung, das heißt, hier sind wir quasi noch mal einen Schritt VOR den anderen beiden (-) und da müsste / würde mir dann quasi der nächste, äh der nächste Punkt fehlen, da müssten jetzt weitere Merk/ Merkkästen kommen, um dann Stück für Stück die Regeln, die eigentlich schon mal bekannt waren, noch mal aufzuarbeiten. (L11, C3.3)

Erneut wird die Silbenarbeit an den Aufbau von Regelwissen gebunden, das für L11 phänomenorientiert erarbeitet werden kann (vgl. zusammenfassend Tab. 30; →L11-19).

324

8 Darstellung der Ergebnisse

Tab. 30 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C3 (L11) Materialbeispiel C3 (Robotersprache) Bewertungsgegenstand Hilfestellung: silbenlautierend, Robotersprache

Angelegte Bewertungskriterien sachangemessene Modellierung eher ablehnend, da nicht ausreichend; ergänzend: Regelerarbeitung

Silbenbezug zustimmend

Bevor die v. a. auf der Grundlage ihrer Äußerungen in Interviewteil A und B ermittelten zentralen Merkmalsausprägungen auf den Phänomenebenen 1-4 tabellarisch zusammengefasst werden, sollen einige Auffälligkeiten im Umgang L11s mit der Silbe festgehalten werden. Die Silbe als ein Zugang zum orthographischen Wortschreiben Die Silbe wird als Türöffner zum Rechtschreiblernen von Anfang an dargestellt: L11 präsentiert die Orientierung an der Silbenstruktur als (partielle) Abwendung von einer zweiphasigen Modellierung des schriftsprachlichen Lernens und als Hinwendung zum Rechtschreiblernen von Anfang an, wenngleich sie freies Schreiben und die Auseinandersetzung mit richtigem Schreiben weiterhin nebeneinander laufen lässt (→L11-1). Zentraler Bezugspunkt des Rechtschreiblernens von Anfang an ist für sie der verwendete Lehrgang ABC der Tiere und die darin gesicherte systematische Lehr-Lern-Progression. Diese Grundausrichtung wird jedoch in den eigenen Handlungsempfehlungen partiell aufgebrochen oder nur punktuell aufgegriffen (→L11-2, L11-14). Die Auseinandersetzung mit Silbenstrukturen wird aber grundsätzlich als Komponente des Aufbaus von orthographischem Regelwissen betrachtet (→L11-19). Strukturtyp- und situationsabhängige Silbenorientierung In den Handlungsempfehlungen zum Umgang mit konkreten Wortschreibungen zeigt sich, dass L11 die Silbenstruktur kontextabhängig zur Erklärung von Wortschreibungen nutzt: Sie aktiviert den Silbenbezug nur bei Wortschreibungen des Strukturtyps 3 (und nicht bei Zugriffen auf - und Schreibungen) und ruft ihn dabei wiederum nur punktuell ab. Nicht aktiviert wird die Bedeutung der Silbenstruktur z. B. bei und (→L11-8, L11-14, L11-18), hier weicht die silbenstrukturelle Analyse einem kasuistisch-regelorientiertem Vorgehen. L11 präsentiert die Modellierung der Wortschreibung mithilfe der SilbenhausVarianten als sinnvolle Zugangsform, nicht aber als geeignetes Handwerkszeug zur selbstständigen Problemlösung der Schüler/-innen. Sie beschreibt darüber hinaus eigene Schwierigkeiten bzw. strukturelle Grenzen, die sie in der silbenanalytischen Arbeit (v. a. mit dem Silbenhaus-Modell) sieht: Bei Schreibungen des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen) lässt sich damit aus ihrer Sicht nur das Erfordernis einer geschlossenen Hauptsilbe eindeutig erfassen, nicht aber die Verdopplung der Konsonantengrapheme (→L11-10, L11-11). Die sup-

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

325

rasegmentalen Bezüge zwischen Haupt- und Reduktionssilbe, die eine Betrachtung der gesamten zweisilbigen Fußstruktur erforderlich machen, sind für sie nicht erklärungsleitend. Überdies sieht sie in der schreibsilbenstrukturellen Erklärung des nur eine bedingte Unterstützung der Schreibfähigkeiten der Lernenden (→L11-17). L11 stellt silbenstrukturelle Analysen daher als Möglichkeit dar, Grenzen eines silbenlautierenden Schreibens partiell zu überbrücken, betrachtet sie jedoch nicht als hinreichende Bedingung.

326

8 Darstellung der Ergebnisse

Tab. 31 Ermittelte Phänomenausprägungen für die Lehrerin L11 auf den Ebenen 1-4

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

327

328 8.2.3

8 Darstellung der Ergebnisse

Einzelfallanalyse L03

Das Gespräch mit L03 beginnt insofern besonders, als die Lehrerin bereits vor der Einstiegsfrage ausführlich von ihren schriftsprachdidaktischen Überzeugungen und Handlungsorientierungen spricht. In ihrem ersten Redebeitrag setzt sie unmittelbar bei der Darstellung und Begründung einer konzeptionellen Neuausrichtung ihres schriftsprachbezogenen Arbeitens in der Grundschule an und benennt zunächst die Auslöser ihres didaktischen Umdenkens: zum einen der Besuch einer universitären Wochenendfortbildung zum Schriftspracherwerb und eines zusätzlichen vertiefenden Arbeitstreffens, auf dem ihr „erstmal die Grundzüge (-) dieses Denkens beigebracht“ (L03, A6) wurden, zum anderen das Lesen eines Artikels zur „Rechtschreibkatastrophe“122 in einem bekannten Nachrichtenmagazin. Teilnahme und Lektüre hätten dafür gesorgt, dass ihr „erst (-) da die Glühbirne im Kopf aufgegangen ist“ (ebd.) (→L03-1). Welche Einsichten ihr der fachliche Input sowie die Einblicke in den kritischen Diskurs zum Rechtschreibunterricht an deutschen Schulen geliefert haben, schildert die Lehrerin in den weiteren Äußerungen. Dabei trifft sie zunächst einige selbstironische Bemerkungen über ihre eigene frühere Fehlkonzeption im Bereich des schriftsprachlichen Lehrens und Lernens: Sie kritisiert rückblickend die von ihr angeregte Arbeit mit Anlauttabellen, die lediglich den starken Schüler/-innen eine Hilfe sei und den Lernerfolg schwächerer Lernender langfristig hemme. Daran anknüpfend problematisiert sie das traditionelle Nacheinander von lautierendem Schreiben und Rechtschreiben, bei dem eine spätere Revision der Schrifteinsicht und der eingeprägten Strategien des Erstschreibens notwendig sei. Mit erneutem Verweis auf die Lektüre des Artikels, der ebendiese Herangehensweise stark angefochten habe, fällt sie ein vernichtendes Urteil über ihre bis dato vertretene Auffassung von schulischem Schriftsprachlernen (→L03-2): ((…)) all diese Fehler, alles, was da drinstand, jeden Fehler (-) habe ich gemacht (-) und ähm (-) mir wurde es ganz übel, weil mir ALLE anderen / die Gegenargumente (--) dermaßen eingeleuchtet sind. (L03, A6)

122

erschienen in DER SPIEGEL, Ausgabe 25/2013, unter dem Titel Die neue Schlechtschreibung (Rafaela von Bredow/Veronika Hackenbroch).

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

329

Auf der Grundlage ihrer Fortbildungserkenntnisse habe sie nun „die Chance, das richtig zu machen“ (ebd.). L03 drückt noch in derselben Redesequenz aus, dass diese konzeptionelle Neuorientierung für sie als Lehrende an intensive Prozesse des Umdenkens und Umlernens geknüpft war und bisweilen weiterhin ist, denn auch in späteren Interviewpassagen erwähnt sie eigene fachliche Wissenslücken (vgl. z. B. L03, A115) oder deutet an, sich als Lehrende noch im Lernprozess zu befinden. Vom Gesprächsbeginn an expliziert L03 also, dass die neu gewählte konzeptionelle Ausrichtung ihrer schriftsprachdidaktischen Arbeit hohe Anforderungen an sie als Lehrkraft stellt und vor allem eine intensive Einarbeitungszeit und umfangreiches gegenstandstheoretisches und didaktisches Wissen erfordert (→L03-3). Ebenfalls noch innerhalb der ersten beiden Redebeiträge und vor der inhaltlichen Erläuterung ihrer Neuausrichtung bezieht sich L03 auf die dafür zur Verfügung stehenden Lehr-Lern-Materialien und äußert sich diesbezüglich unzufrieden: ((…)) ich hätte solche Lust, äh eine Fibel zu schreiben, (-) die wirklich mit (-) dem richtigen Wortmaterial arbeitet, (--) Übungen anbietet, weil man jetzt eben (-) so auch diese Erkenntnisse gewonnen hat, wo sind denn hier jetzt die Knackepunkte und (-) ich meine, wir haben eigentlich schon die beste Fibel ((hält ein Exemplar des ABC der Tiere hoch)), al/ aber sie stützt sich wirklich nur auf Silben, (-) alles andere berücksichtigt sie nicht wirklich, was jetzt dieser neuere oder (---) der, der Ansatz, den ich jetzt auch mache / ähm das sehe ich und das macht eben viel Arbeit. (L03, A6)

In dieser angedeuteten Materialkritik zeichnen sich bereits einige Aspekte ab, die für L03s Gegenstandsverständnis und die didaktischen Handlungsorientierungen relevant erscheinen: die Auswahl des ‚richtigen‘ Wortmaterials, das dafür notwendige sachstrukturelle Verständnis, die Bedeutung der Silben, aber auch weiterer sachstruktureller Zusammenhänge („alles andere“, s. oben) und die Auswahlkriterien für geeignete Lehr-Lern-Materialien (→L03-4). Erst nach weiteren Erzählungen zu erlebten Situationen aus dem Unterricht, die L03 zur Untermauerung der Erfolge ihrer konzeptionellen ‚Kehrtwende‘ anführt, wird die im Interviewleitfaden für den Gesprächseinstieg vorgesehene Einstiegsfrage zum Rechtschreibunterricht gestellt. L03 nennt hier in der unmittelbaren Reaktion auf die Frage erneut den silbenorientiert arbeitenden Lehrgang ABC der Tiere, den sie im Unterricht einsetzt, und das darin zentrale „Häuschenmodell“: Ja ähm also mir ähm (-) mir ist es wichtig, dass die Kinder / also ich arbeite äh schon seit längerer Zeit, noch eher als es die/ dies ist äh

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8 Darstellung der Ergebnisse

unser Werk, mit dem wir arbeiten, ähm (-) ABC der Tiere, ((zeigt auf das Material)) äh arbeite ich mit dem Häuschenmodell, (--) weil ich äh (--) / es war noch nie so einfach, (-) auch Kindern Rechtschreibung beizubringen und zwar gleich (-) richtig. (L03, A12)

Das „Häuschenmodell“ greift L03, wie die späteren Ausführungen zeigen werden, tatsächlich fast ausnahmslos auf, wenn es um die Erklärung von Wortschreibungen im Kernbereich geht. Zugleich drückt sie an dieser Stelle den für sie leitenden Anspruch aus, den Kindern das Schreiben „gleich (-) richtig“ (s. oben) zu vermitteln, das oben kritisierte Nacheinander von freiem, lautierendem Schreiben zum Richtigschreiben also aufzugeben. Anhand der nun folgenden Erläuterungen L03s zum Einsatz des Häuschenmodells lassen sich die in den ersten Redebeiträgen angekündigten Leitthemen inhaltlich füllen. Zunächst erklärt die Lehrerin, in einigen Aspekten von der konkreten Anlage des im Lehrgang präsentierten Modells bewusst abzuweichen: Während das ABC der Tiere drei unterschiedliche Silbenhaus-Strukturen für die unterschiedlichen Silbentypen präsentiert, verwendet L03 nach eigener Aussage „nur EINE Häuschenmethode (--) und zwar ein drei- äh -gliedriges Haus und eine dreigliedrige Garage“ (L03, A12). Im Weiteren stellt sie allerdings zwei visuell unterschiedlich gekennzeichnete Häuser für die offene und geschlossene Silbe vor, in denen die grundsätzliche strukturelle Einteilung (je drei Zimmer in Haus und Garage) zwar identisch ist, die mittleren Zimmer des Hauses aber farblich und z. T. auch graphisch unterschiedlich markiert sind: In der offenen Silbe wird der Vokalbuchstabe im mittleren Zimmer des Hauses als „Lautsprecherbuchstabe“ (L03, A12) gelb unterlegt und graphisch mit Schallwellen angedeutet, die das dritte, leere Zimmer des Hauses ‚beschallen‘, während das Zimmer des Vokalbuchstabens in der geschlossenen Silbe ohne weitere Kennzeichnung orange unterlegt wird. Ja, und (-) über diese Strukturierung und Möglichkeit ähm (-) dieser zwei Häuser ((wendet sich der Tafel zu, an der zwei auf Papier gedruckte Häuser hängen)), (--) einmal mit äh (-), mit der offenen Silbe, das Haus, und einmal mit der geschlossenen Silbe im Haus und die Garage ist eh immer gleich, (-) es sind weder ähm / ja, ist ja die Reduktionssilbe. (L03, A12)

Mithilfe der allgemeinen Haus- und Garagenstruktur erläutert die Lehrerin schließlich die für sie grundlegenden Gesetzmäßigkeiten der deutschen Wortschreibung und verweist im Zuge dessen mehrfach auf den fachlichen Input der genannten Fortbildung, der ihr diese Kenntnisse vermittelt habe. Als generelle Bezugsgröße der Erarbeitung schriftstruktureller Einsichten

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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nennt sie „zweisilbige Wörter, (--) Trochäuswörter, deutsche Wörter“ (ebd.), in denen auf eine betonte eine unbetonte Silbe, die sie auch als Garagen- oder Reduktionssilbe bezeichnet (s. unten), folgt. ((…)) und alle Kinder wissen in der Klasse mittlerweile, (-) dass im mittleren Raum, (-) äh in diesem orange gekennzeichneten Raum ((zeigt auf das mittlere Garagenzimmer des Modells an der Tafel)), dass dort (-) bei deutschen Wörtern immer ein stehen muss und dass das nicht [eː] gesprochen wird, sondern [ə]. Ich arbeite also auch mit 16 Vokalen, (--) äh die Kinder / und kennzeichnen das farbig (--) und da (---) äh (-) ähm ja, bei der Reduktionssilbe den Ga/ ich sage (-) Garagensilben, äh wissen die Kinder, wenn da ein steht, dann wird das nie [eː] gesprochen, dann wird es immer [ə] gesprochen, deswegen sagen sie auch [ˈnɑːzə] (-) und nicht [nɑːzeː] (-) oder wenn äh der dritte Raum im HAUS nicht besetzt ist, dann ist es ein Klinger, dann i/ dann braucht äh / dann äh ist ein [ɑː], ein ein [eː] (-) und das i ist ja ein Sonderfall. (L03, A12)

Hier geht sie also zum einen auf das als zentrale Strukturvorgabe für den Vokalbuchstaben in der graphematischen Reduktionssilbe ein und positioniert sich zum anderen fachlich zum Vokalsystem des Deutschen: L03 arbeitet auf gesprochener Ebene mit 16 Vokalen (und somit mit zwei Vokalreihen, s. Abschnitt 4.5.1), die sich nach Vokalpaaren, nämlich den jeweils lang und gespannt artikulierten Vokalen und deren kurz und ungespannt artikulierten Varianten, ordnen lassen. L03 erklärt die Eigenschaften dieser phonologischen Vokalpaare auf didaktischer Ebene jedoch nicht anhand des einzelnen Segments, sondern bindet sie an die silbischen Strukturpositionen im Silbenhaus-Modell. Zum einen gibt sie an, dass ein geschriebenes in der zweiten Silbe eines prototypischen Trochäus nie mit dem Vollvokal [eː], sondern stets mit dem Reduktions-[ə] korrespondiert. Mithilfe dieser Strukturvorgabe würden die Lernenden ihren Erfahrungen zufolge 1. beim Lesen von vornherein die natürliche Aussprache des Wortes erkennen und keine Wortformen produzieren, in denen das der Reduktionssilbe als langer, gespannter Vokal realisiert wird; 2. auch schnell zu adäquaten Verschriftungen der -Endung in der zweiten Silbe gelangen, anstatt sie mit einem aus der Lautung abgeleiteten wiederzugeben (vgl. ebenfalls L03, A12). Zum anderen erläutert sie, welche strukturellen Gegebenheiten in der ersten Silbe einen Klinger, also die lang und gespannt gesprochene Variante des Vokals, anzeigen (→L03-5). Das silbische Strukturwissen, das die Lehrerin hier mit Blick auf die schulische Vermittlungspraxis zum Ausdruck

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8 Darstellung der Ergebnisse

bringt, wird überwiegend im Vokabular des genutzten didaktischen Instrumentariums, d. h. des Häuschenmodells, dargestellt (→L03-6). Auch ihre Vorstellungen zur schriftsprachlichen Lehr-Lern-Progression erläutert L03 anhand der Silbenhaus-Struktur: ((…)) das erste Häuschenwort, (-) das war Mele, der Elefant ((zeigt DIN A4-Seite mit Abbildung eines Elefanten und Eintragung des Namens in das Silbenhaus)). ((…)) das ist ja auch ei/ erste Kategorie (--) äh (-) der Wörter ((zeigt auf Materialseite mit Silbenhaus)), (-) habe ich das langsam aufgebaut und dann kam eben (-) / kam die zweite Kategorie ((zeigt auf zweites Silbenhaus an der Tafel)), dass eine geschlossene Silbe auch im Haus steht, (-) die haben es soFORT begriffen, soFORT begriffen: Ja, der kann ja nicht klingen, der hat ja gar keinen / das / der, der Raum ist ja belegt! (L03, A12)

Der Aufbau schriftsprachlicher Einsichten wird demzufolge ausgehend von strukturell unterschiedlichen Wortkategorien angelegt, ist also an der Sachstruktur des Lerngegenstands orientiert. Dies verdeutlicht die Lehrerin auch in einer Aussage zum Umgang mit Wortschreibungen, die in der vorliegenden Arbeit zum peripheren Strukturtyp 5 (s. 5.1.2) gezählt werden: Die Schwierigkeit mit dem habe ich allerdings noch nicht. (-) Äh zum Beispiel Hahn oder Hähne, ne? Ich will jetzt erst mal, dass sie diese ganzen verschiedenen (-) Charakter/ äh verschiedenen Kategorien der Häuschenbildung haben. (L03, A14)

Auch wenn sie die genannten Schreibungen nicht direkt als periphere Schreibungen ausweist, so erläutert sie doch zumindest den Anspruch, zuerst die grundlegenden „Kategorien der Häuschenbildung“ (s. oben) zu erarbeiten. Während sie hier und in der Schilderung ihrer Fortbildungserkenntnisse ganz zu Beginn des Interviews noch von mehreren Kategorien spricht, verweist sie in den weiteren Darstellungen stets nur auf die grundlegende Unterscheidung von Kategorie 1, Wörter mit offener erster Silbe, und Kategorie 2, Wörter mit geschlossener erster Silbe. Dies hängt möglichweise auch damit zusammen, dass L03, wie bereits erwähnt wurde, in der Gestaltung des Silbenhaus-Modells von der Vorgabe des Lehrgangs, der für die verschiedenen Silbentypen unterschiedlich gegliederte Silbenhäuser anbietet, abweicht. Im Unterschied zu L11, deren Angaben zur Lernprogression sich gänzlich auf die Lenkung des Lehrgangs beziehen, sind L03s Erläuterungen stärker an der Lerngegenstandsstruktur orientiert (→L03-7). Dies zeigt sich auch darin, dass sie in einer späteren Sequenz angibt, Fremdwörter bzw. generell von der prototypischen trochäischen

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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Struktur abweichende Wörter (z. B. Maskottchen, vgl. L03, A40, Margarine, vgl. L03, A64) und ihre Schreibungen zwar zu besprechen und auch mit silbischem Farbwechsel aufzuschreiben, sie aber nicht in der Silbenhaus-Struktur zu erarbeiten, denn: „Nein, ist kein Trochäuswort!“ (L03, A64) Auch in diesem Zusammenhang gibt sie eigene sprachwissenschaftliche Wissensdefizite zu, die sie erst kürzlich aufgearbeitet habe: „((…)) also muss ich jetzt mal ganz ehrlich gestehen, vom sprachwissenschaftlichen Standpunkt habe ich das (-) JETZT erst verstanden.“ (ebd.) Auf eine Nachfrage zu den allerersten Inhalten des schulischen Lesen- und Schreibenlernens führt die Lehrerin an, dass die Erarbeitung der Wortschreibung mithilfe der Silbenhaus-Struktur in ihrem Unterricht nach dem Schreiblehrgang einsetzt, also unmittelbar nachdem die Buchstabenformen eingeführt wurden und die Schüler/-innen die schreibmotorische Umsetzung der graphetischen Buchstabengestalt eingeübt haben (vgl. L03, A28). L03 knüpft hiermit an ihre vorige Darstellung an, im Rahmen des beginnenden Schreibens bereits eine Orientierung am richtig geschriebenen Wort anzuregen (→L03-8). Während der Einsatz des Silbenhaus-Modells zur visuellen Wortstrukturierung in den bisherigen Ausführungen als das zentrale Hilfsmedium in L03s Unterricht präsentiert wurde, weist die Lehrerin aber auch punktuell auf die Nutzung sprechrhythmischer Hilfestellungen hin: ((…)) sprechen, hören, klatschen, (-) das sind immer Dinge, die zusammengehören, also auch in meinem (-) Rechtschreibunterricht oder / (wird) dann / und dann z/ Schreiben ins Häuschen ((zeigt auf Materialseite mit Silbenhaus)) und so weiter. (L03, A28)

Auch wenn die sprachliche Darstellung an dieser Stelle etwas stockend ist, deutet sich für die Funktion der sprechrhythmischen Unterstützungsformen zumindest an, dass sie der Schreibvorbereitung dienen, denn L03 spricht von Sprechen, Hören, Klatschen „und dann [[Hervorhebung durch Verfasserin]] z/ Schreiben ins Häuschen“ (s. oben). Darüber hinaus weist die Lehrerin die silbenrhythmische Durchgliederung von Wörtern als wichtige Hilfe beim Abschreiben von Wörtern aus, da sie das Bestimmen der Silbenanzahl sowie der besonderen Stellen im Wort unterstützen könne (vgl. L03, A42). Inwiefern die Annahmen zu den mit den eingesetzten Hilfswerkzeugen und Strategien intendierten Hilfestellungen sich in Anwendungskontexten bestätigen, kann nun durch die Passagen überprüft werden, in denen Wortschreibungen ausgewählter Strukturmuster im Kernbereich der deutschen Wortschreibung thematisiert wurden.

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8 Darstellung der Ergebnisse

L03 geht schon in ihren Erläuterungen zur grundsätzlichen Silbenhaus-Struktur und der Bedeutung des dritten Zimmers im Haus (offene vs. geschlossene Silbe, s. oben) auf die Besonderheit der i-Schreibung ein: ((…)) das i ist ja ein Sonderfall, deswegen es hängt von Anfang an (-) so ((zeigt auf die Tafel)) [[Dort ist das im mittleren Zimmer des Silbenhauses abgebildet.]] / es gibt bei uns wirklich ein [iː] und das , das so gesprochen wird, da gehört ein dran (--) und kein Kind/ (--) einige vielleicht doch, also äh wenn / die Kinder können Wörter (-) nach Gehör schreiben, wenn, wenn die Riese, Wiese, die / gut, die ist jetzt, sagen wir mal, ein Alltagswort, (--) das eingeschliffen ist, aber nehmen wir mal Riese und Wiese, (---) wissen die ganz genau, dass sie das mit schreiben müssen, (--) und wenn sie das Häuschen noch / das mache ich natürlich nur so, nach Gehör schreiben, erste Klasse mit Häuschenmodell. (L03, A12)

Sie liefert in dieser Äußerungssequenz zunächst eine Erklärung der Schreibung auf segmentaler Ebene: Der gesprochene Langvokal [iː] verlangt eine graphematische Darstellung durch . Gleichwohl wird diese Korrespondenz von vornherein silbenstrukturell eingeordnet, indem das im mittleren Zimmer des Silbenhauses dargestellt und auch auf diesem Weg in seiner lautlichen Entsprechung erfasst werden kann: „das muss klingen, das braucht Raum, (-) das braucht den dritten Raum“ (L03, A12). Um nun den Unterschied zur -Schreibung strukturorientiert zu verdeutlichen, nennt L03 Distel als Beispielwort, entdeckt zwar die Schwierigkeit, die sich hinter der gewöhnlich mit betontem langen, gespannten Vokal realisierten Aussprache des Wortes birgt, stützt ihre Erklärung aber weiterhin auf dieses Beispiel: „((…)) eigentlich müssten wir ja [ˈdɪstl̩ ] sagen, ne, aber die Kinder klatschen dazu, (---) äh die klatschen sich das Wort, das sehe ich ganz oft, viele, die sich unsicher sind, Dis.tel ((klatscht das Wort)), da wissen sie ganz genau: Das i hat einen Stopper. Und so kann man wunderbar das Wort (--) optisch äh auch Stopper erklären, ähm (--) der nämlich diesen äh den Vokal ((zeigt an die Tafel)), äh: der ja immer in der Mitte (--) des ähm Häuschens beziehungsweise der Garage stehen muss ((guckt zur Tafel)), einfach stoppt, der hat keinen Platz mehr, sich da (-) auszudehnen.“ (L03, A12)

In diesem Beispiel zeigt die Lehrerin, wie die Eintragung des Wortes in die Häuschenstruktur den Wortschreibprozess leiten kann. Zwar nutzt sie ein Wort, das zumindest in Norddeutschland dem System zuwiderlaufend mit langem, gespanntem betonten Vokal artikuliert wird, sie demonstriert jedoch unabhängig davon, wie die Lernenden durch die kombiniert beidseitige Erarbeitung zur Schreibentscheidung gelangen können: zum einen

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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von der Strukturierung des geschriebenen Wortes zur jeweiligen Aussprache des Vokals, zum anderen von der sprechrhythmischen Durchgliederung zur Schreibung. Einige Äußerungen später präsentiert sie zur Erarbeitung der Unterscheidung von und einen weiteren, am gesprochenen Wort ansetzenden Zugang (→L03-9). Dabei werden die im Lehrgangskonzept leitenden Kontrastpaare zur Einsicht in unterschiedliche phonologische Wortmuster und ihre Konsequenzen für die Schreibung sprechrhythmisch erfasst und trainiert: Die [[Kontrastpaare]] müssen die Kinder sprechen und (-) / sprechen und klatschen, also (-) Rie.se, Risse [[spricht Riese mit deutlicher Silbengrenze]]. Um immer wieder zu hören: (-) Das i bei Risse ist anders! (-) Sie mussten also hier lesen: Rie.se ((klatscht zu jeder Silbe mit klarer Silbengrenze)), Risse ((klatscht zweimal schnell hintereinander ohne klare Silbengrenze)). Sie machen es automatisch richtig und wissen: Bei Risse ist es nur ein einfaches . (L03, A16)

Die Gegenüberstellung erfolgt in diesem Fall also anhand von Wörtern mit offener (Schreib-)Silbe und Wörtern, in denen im Geschriebenen eine geschlossene Silbe vorliegt und die im Gegenstandsverständnis der vorliegenden Arbeit als Doppelkonsonantenschreibungen dem Strukturtyp 3 entsprechen (s. 5.1.2). Im Umgang mit mehrsilbigen Wörtern wie Margarine nutzt sie die Unterscheidung zwischen Trochäen und Nicht-Trochäen und sieht darin auch eine maßgebliche Hilfe für die Lernenden: Ich gebe den Kindern ein Instrument an die Hand, mit dem sie SOFORT erkennen können, ob ein Wort ein deutsches Wort ist oder ob es ein Fremdwort ist. Warum schreibe ich MargaRIne? Da höre ich doch ein [iː]! ApfelSIne? (--) Warum schreibe ich das denn nur mit dem Einfach-? Und ein [nə] und ein [lə] oder [gə] habe ich hinten ja auch! So wie hier ((zeigt auf Trochäen)). Nein, ist kein Trochäuswort! (L03, A64)

L03 formuliert insgesamt also einen Zugriff auf die -Schreibung, der sowohl segmentale als auch fuß- und silbenstrukturelle Anteile enthält. Im unterrichtlichen Umgang mit Doppelkonsonantenschreibungen demonstriert L03 ähnliche Zugriffe und methodische Annäherungsformen wie bei der Herleitung der -Schreibungen. Auch hier empfiehlt sie Worteintragungen in das Silbenhaus-Modell, die bildhaft unterstützte Unterscheidung von Lautsprecherbuchstaben und konsonantisch gestoppten Vokalbuchstaben sowie die auditive Arbeit mit Kontrastpaaren. Den besonderen

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8 Darstellung der Ergebnisse

Vorteil der Arbeit mit den Häuschen sieht die Lehrerin darin, der Schreibung eine natürliche Lautung zugrunde legen zu können und durch die Strukturanalyse eine orthographisch korrekte Lösung anzubahnen: Und deswegen werden sie auch / werden die meisten Kinder, wenn sie mit Häuschen schreiben ((zeigt auf die Materialien vor sich)) / (---) Mutter, (--) die können ja (-) st/ (-) so / wir können sprechen, wie wir normal sprechen, (--) in der Sprechsprache ((…)) und wir müssen nicht, wenn wir sa/ so deutlich sprechen [muːtɛʀ]/ so spricht ja kein normaler Mensch. Das hat mich eben auch so fasziniert an dieser (-) wieder aufgenommenen Methode, (--) dass man (sagen): Ja, Mutter; schreibt mal auf. Ja, die wissen Mut.ter/[mʊt.tɛʀ] ((klatscht zu jeder Silbe)), ter kommt in dies/ in die Garage. (--) In der Mitte/ und wenn ich sage Mutter/[ˈmʊṭɐ] / nee, in der Mitte, da muss ja ein stehen. Ich höre ja zwar ein a / nee, nee, muss da stehen! So! Dann höre ich noch ein t, (---) der, der Raum davor [[meint vor mittlerem Garagenzimmer]] MUSS auch immer besetzt sein [[Hervorhebungen durch die Verfasserin]], (--) das wissen sie noch nicht, der gehört ja zum / das / ich finde dieses Modell sowas von genial (--) / gehört dann zum WortSTAMM, nachher, wenn ich etwas mit abknicken mache, gut, haben wir jetzt ja noch nicht. (L03, A12)

Der Bezug zur Lautung scheint hier jedoch vorrangig der zweiten Silbe zu gelten, denn L03 bezieht sich an dieser Stelle in erster Linie auf die Strukturvorgaben für die graphematische Reduktionssilbe. Neu ist dabei der Verweis auf den obligatorisch zu besetzenden Anfangsrand der zweiten Silbe (→L03-10) – sie selbst formuliert diese Gesetzmäßigkeit erneut im Vokabular des Instrumentariums („der Raum davor“, s. oben) – und auf den Wortstamm, der durch den Anfangsrand der zweiten Silbe abgesteckt wird (s. dazu 5.1.3). Besonderer Untersuchung bedarf jedoch die Beobachtung, dass L03 in dem wiedergegebenen Gesprächsausschnitt einerseits explizit auf den Vorteil einer normalen Aussprache verweist, andererseits selbst eine überlautierende Form *[mʊt.tɛʀ] produziert. Um zu klären, ob diese Überlautung erklärungsrelevant ist oder aber nur situationsbedingt und ohne weiterführende Intention produziert wurde, können weitere Passagen zur Doppelkonsonantenschreibung aus Interviewteil A hinzugezogen werden. In drei Sequenzen aus späteren Gesprächsphasen des Interviewteils A zeigt sich, dass L03 im Bereich der Silbengelenkschreibung überlautierende Formen, in denen die gesprochene Wortrepräsentation ebenso wie die geschriebene in intervokalischer Position zwei konsonantische Segmente besitzt, nicht klar zurückweist. Auf eine allgemeine Frage zu dem von ihr wahrgenommenen Mehrwert des eigenen methodisch-konzeptionellen

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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Vorgehens im Schriftsprachunterricht hin kommt die Lehrerin von sich aus auf Doppelkonsonantenschreibungen (hier: ) zu sprechen und hebt in diesem Zusammenhang die struktur- und orientierungsstiftende Leistung des Häuschenmodells hervor. Gefragt nach der konkreten Thematisierung von Schreibungen wie in ihrem Unterricht formuliert L03 zunächst einen Zugriff, der von der Durchgliederung des gesprochenen Wortes ausgeht (→L03-11): ((…)) natürlich ist DA natürlich auch die Silbenmethode, (--) bei Donner, Donnerstag, super (-) geeignet (-) äh, (-) weil man es da ganz deutlich hört. Don.ners.tag/ [dɔn.nɛʀs.tɑːk]. Und (-) Kinder, die Probleme haben im Rhythmischen, Klatsch das Rhythmische! (-) unterstützt ja. (L03, A44)

Sie beschreibt dazu weitere bewegungs- und sprechrhythmische Unterstützungsformen und liefert erst nach erneutem Nachhaken der Interviewerin123 differenziertere Einblicke: Zunächst geht die Lehrende auf die Unterscheidung von offenen und geschlossenen Silben ein, wobei sie darauf hinweist, dass die Schüler/-innen selbst nicht von offenen und geschlossenen Silben, sondern von Lautsprecherbuchstaben und gestoppten Vokalbuchstaben sprechen. Der Fokus wird somit zumindest begrifflich auf den Unterschied der Vokaleigenschaften, nicht der Silbenstruktur gelegt: „Es geht um den Buchstaben, um den Vokal, (-) ähm um die geht es ja. Dass sie diese Unterschiedlichkeit der Vokale hören, ja?“ (L03, A48) Im Anschluss veranschaulicht sie das Vorgehen am Beispielwort fressen: Aber gut, bei fressen hört man es ja einfach: [fʀɛs.sɛn]. Wenn ich ein weglasse, (-) das ist einfach / das liegt / das ist / liegt wieder an der Struktur der Häuser! ((…)) Wenn da (-) äh (--) und in der Garage (-) steht. (-) Da liest hier jeder, weil sie es wissen, wie es geht: [ˈfʀeː.zən]. Nee! Fressen! (-) – Ach, das e klingt ja nicht nach [eː], das ist ein [ɛ], ja, dann muss jetzt ja / da muss jetzt ja in dieses / in den dritten Raum im Haus ja auch noch was kommen! (--) Es ist / ja, und dann kann es nur sein.“ (L03, A48)

Das gewählte Beispielwort ist insofern nur bedingt repräsentativ für Doppelkonsonantenschreibungen, als dem Schreiber/der Schreiberin durch die notwendige Unterscheidung von stimmlosem und stimmhaftem s-Laut

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Gefragt wurde: „Wenn es jetzt wirklich um Wörter wie Donner, rennen oder fressen oder so geht, gibt es da auch Voraussetzungen, die nötig sind, damit man sowas thematisieren KANN? Also müssen die irgendwas schon mitbringen? Ist es das Rhythmische, dass sie das halt brauchen dafür, oder (-) /“ (L03, A47).

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8 Darstellung der Ergebnisse

ein zusätzlicher Hinweis für das Erfordernis einer graphematischen Markierung gegeben wird. L03 führt sodann auch an, dass die Lernenden durch die fehlerhafte Schreibweise * zwangsläufig auf die Herstellung einer geschlossenen Hauptsilbe bzw. die Besetzung des „dritten Raum[s] im Haus“ (s. oben) durch ein kommen müssen. In dieser Sequenz scheint sich die von der Lehrerin proklamierte ‚Hörbarkeit‘ der Schreibung auf die Differenzierung von Stimmhaftig- und Stimmlosigkeit sowie von Vokallänge und -kürze zu beziehen. Ihre weiteren Ausführungen zeigen jedoch, dass L03 auch die grundsätzliche Hörbarkeit der doppelten Konsonantengrapheme (→L03-12). erwägt: „So, wir trennen es: fres.sen/[ˈfʀɛs.sən] ((klatscht zu beiden Silben)), ich höre zwei , manche hören es nicht, die sagen [ˈfʀɛ.sən], (-) da würde ich sagen: Ja. Ich höre da / da wüs/ üf/ eventuell noch mit schreiben. (-) Wenn ich noch mal ganz gut bin, ne? (-) Scharfes s, . [ˈfʀɛ.sən]. (--) Geht hier nicht, geht nicht! (-) Weil man sofort sagt: Nee, guck mal, hast du das beachtet? Da? ((zeigt auf gelb [[Lautsprecherbuchstabe]] vs. orange [[gestoppter Klinger]] markiertes mittleres Zimmer im Silbenhaus)). (L03, A50) ↘ Phänomenebene 1 (zu Strukturtyp 3): Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist an einer schriftinduzierten Lautung orientiert: Die Lehrperson geht davon aus, dass die Wortschreibung prinzipiell aus den Segmenten des gesprochenen Wortes abgeleitet werden kann, projiziert dabei aber bereits (unbewusst) ihr Wissen über die Schreibung auf die Lautung.

Sie zieht andererseits aber auch eine weitere Variante der Silbensegmentierung in Betracht, in der nur ein intervokalischer Konsonant gesprochen und dabei dem Anfangsrand der zweiten Silbe zugeordnet wird (→L03-13). Für das scharfe s könne somit auch die Verschriftung mit infrage kommen. L03 stellt an dieser Stelle jedoch das aus ihrer Sicht große handlungsrelevante Potenzial des Silbenhaus-Modells heraus. Letzteres liefere durch die Struktureinheiten der ersten Silbe bzw. die drei Zimmer des Hauses die nötigen Hinweise für eine eindeutige Schreibentscheidung (→L0314): Eine Schreibung mit würde den Strukturvorgaben für einen kurz gesprochenen betonten Vokal nicht genügen. Das Instrumentarium bietet demnach die Möglichkeit, die Problematik unterschiedlicher Bezugslautungen zu umgehen. ↘ Phänomenebene 2 (zu Strukturtyp 3): Auf die an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellung von der Wortschreibung wird im Handlungsbezug

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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durch eine Verschiebung des Fokus reagiert: Nicht Einzelsegmente, sondern suprasegmentale Beziehungen stehen im Mittelpunkt. Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung verblasst im Handlungsbezug.

Dass L03s Umgang mit Wortschreibungen des Strukturtyps 3 im Interviewteil A in erster Linie silbenstrukturell geprägt ist und sie dabei von der Gliederung sowohl des gesprochenen als auch des geschriebenen Wortes Gebrauch macht, zeigt sich auch in der erneuten Referenz auf das auditive Training von Kontrastpaaren (→L03-15) : Jä.ger [[spricht Wort langsam und silbisch]], Jacken [[spricht Wort schnell, Silbengrenze liegt im [k]]], Zü.ge [[spricht Wort langsam]], Zucker [[spricht Wort schnell, Silbengrenze liegt im [k]]]. [ˈʦyːgə], [ʦʊk]/ so habe ich es am Anfang erst mal gemacht, damit die sich anhören, [ʦyː], [ˈʦyː.gə], [ʦʊk], oh! So und dann habe ich mir auf den Mund gehauen oder so, damit die das hören, Oh Gott! (-) Gerade gesprochen, schon zu Ende! (L03, A66) ↘ Phänomenebene 3 (zu Strukturtyp 3): Positive Bewertung von an der Lautung ansetzenden silbenorientierten Hilfestellungen zur auditiven Erfassung der Vokalquantität: Die Erfassung der Sprechsilbenstruktur wird als wirksame Hilfestellung für die schreibrelevante Differenzierung zwischen Lang- und Kurzvokalen (bzw. offenen und geschlossenen Silben) betrachtet.

Im Interviewteil A können für L03s didaktischen Handlungsorientierungen also in erster Linie silbenstrukturelle Modellierungen der Wortschreibung ausgemacht werden, in denen zum Teil auch segmentale Annäherungsformen angedeutet werden. Letztere führt L03 jedoch zumeist nicht weiter aus oder überlagert sie durch silbenstrukturelle Zugriffe. Immer wieder lässt L03 durch die Angabe von obligatorischen silbischen Strukturmerkmalen eine Vorstellung von der grundsätzlichen Eigenständigkeit geschriebener Sprache erkennen. Inwieweit diese Vorstellung strukturtypspezifisch und -übergreifend für sie handlungsleitend ist, soll durch den Einbezug ihrer Äußerungen aus den anforderungsnäheren Interviewteilen B (Umgang mit Fehlschreibungen) und C (Bewertung von Materialauszügen) analysiert werden. Zuvor werden jedoch einige Äußerungen und Reflexionen L03s zu dem von ihr so umfassend genutzten Silbenhaus-Modell und zu dessen Funktion für das Wortschreibenlernen beleuchtet. Anders als L11, die die Häuschenstruktur nicht als praxistaugliches Hilfsinstrument für das selbstständige Schreiben der Lernenden bewertet, sieht L03 genau darin die Stärke des Modells, insbesondere für die lernschwächeren Schüler/-innen (vgl. L03, A12). Überdies können in L03s Reflexionen Hinweise dafür gewonnen werden, dass sie in der Arbeit mit dieser Strukturierungsform ein

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8 Darstellung der Ergebnisse

systematisches Wortschreibenlernen erkennt, in dem nicht mehr einzelne Rechtschreibphänomene eingeübt werden müssen, sondern Lernende sich das System der Wortschreibung durch das Handwerkszeug selbst erschließen können: Und das ist, finde ich, äh ganz klar, man kann JEdes schwierige (--) auch Rechtschreibproblem so lösen! Ich habe / man hat zum Beispiel überhaupt gar nicht, zumindest bei DEUTSCHEN Wörtern (--) ähm (-) nicht mehr das Problem, warum man (-) Wiese mit schreiben muss, das musste man früher (-) EINknüppeln! Heute wollen wir uns mal mit den -Wörtern bestäf/ -schäftigen (-) oder so. Nein! Man braucht es nicht mehr! Wiese – wissen. (L03, A50)

Die Anregung schriftsprachlichen Lernens mit Einsicht stellt für sie das Ziel ihrer schriftsprachdidaktischen Arbeit dar (vgl. L03, A14, A42, A60, A109) und lässt sich nach ihrer Vorstellung nicht mit der Anregung lautierenden Erstschreibens anhand von Anlauttabellen verbinden (vgl. L03, A101). Vielmehr erweist sich die grundlegende Arbeit mit der visuellen Strukturierung des Wortes im Silbenhaus-Modell aus ihrer Sicht als nachhaltige Einstiegshilfe in einen systematischen Schriftspracherwerb: ((…)) die Kinder k/ schreiben ja sowieso nicht bis ans Lebensende mit diesen Häuschen, es ist ja NUR eine EINSTIEGShilfe, so sehe ICH es, um den Kindern (-) Hören und Übertragen in den Raum ähm (-) zu erleichtern. (L03, A52)

Durch das Eintragen von Wörtern in die Struktur soll den Kindern das „Hören und Übertragen in den Raum“ (s. oben) erleichtert werden, ihnen also eine Hilfe bei der Entdeckung von Zusammenhängen zwischen Wortschreibung und gesprochenem Wort gegeben werden. Inwiefern dies auch in konkreteren Anwendungssituationen eine Rolle spielt, wird im Folgenden anhand der Äußerungen L03s zu den in Interviewteil B vorgelegten Fehlschreibungen untersucht. L03 nimmt in der Bewertung der Fehlschreibung * keine Einordnung der Schwierigkeiten der Schülerin und Erklärung der Regularität des an sich vor, sondern führt lediglich an, dass ihre eigenen Schüler/-innen aufgrund des erfahrenen Unterrichts problemlos zur orthographisch korrekten Markierung des Langvokals durch gelangen würden: Dann würden ja meine Schüler genau / die würden [gɪs] lesen. [gɪs], [ˈgɪsˌkaṇə], [ˈgɪsˌkaṇə]. ((...)) (-) Und äh, ja, und bei Gießkanne/* (-) ja, (-) unsere würden es mit schreiben. (L03, B2b.1)

In diesem Fall nimmt sie keine Gliederung der Wortbestandteile vor, obschon sie später noch einmal allgemein darauf hinweist, zusammenge-

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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setzte Substantive „auf[zu]dröseln (-) in die einzelnen Wörter, äh aus denen sie (-) sich bilden“ (L03, B2b.1). Sie bringt in dieser Anwendungssituation keine Erarbeitungsformen vor, die die Schreibung auf der Grundlage einer zweisilbigen trochäischen Form und unter Zuhilfenahme des Häuschenmodells zugänglich machen, sondern deutet einen segmentalen Zugriff auf die - und -Schreibung an: Ohne eine Analyse des strukturellen Umfelds vorzunehmen, begründet L03 die problemlos zu bewältigende Generierung der Zielschreibung damit, dass eine Verschriftung des Wortes Gießkanne mit einfachem aufgrund der regelhaften PhonemGraphem-Korrespondenz /ɪ/ – (gegenüber /iː/ – ) als sachinadäquate Lösung erkannt werden muss. Die fuß- und silbenstrukturellen Anteile ihres in Interviewteil A ausgedrückten Zugriffs auf die -Schreibung, in denen die Offenheit der graphematischen Hauptsilbe im prototypischen Zweisilber als Indikator des präsentiert wird, greift sie in diesem Anwendungskontext nicht auf. Anders verhält es sich mit den vorgelegten (Fehl-)Schreibungen zu Wörtern des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen): Hier lassen sich sowohl Berührungspunkte zu L03s in Interviewteil A erkennbaren fachlichen Unsicherheiten bezüglich der konkreten Lautung dieser Wörter als auch zu ihren dort ausgesprochenen Handlungsempfehlungen feststellen. Auf die Schreibung (Inputschreibung B1) und die dazu angegebene Äußerung des Schülers, in der dieser Zweifel an der Schreibung mit doppeltem anmeldet, reagiert L03 zunächst nur mit einer recht oberflächlichen Einschätzung seiner Schwierigkeiten: Möglicherweise komme ihm die verschriftete Form des Wortes optisch merkwürdig vor oder das Wort Schaf sei ihm einfach besser bekannt (vgl. L03, B1.8). Die Interviewerin lenkt L03s Aufmerksamkeit daher, als die Lehrerin ihre Ausführungen abbricht, explizit auf die geäußerte Überlegung des Schülers: ES: Er sagt dann ja: Man könnte es auch mit EInem schreiben, man hört es einfach nicht in dem Wort, dass es mit Doppel-f ist. L03: Ja, dann hat er es nicht / dann, (--) dann hat er es nicht ähm, (-) hat er es nur innerlich sich vorge/ schaffen, schaffen, schaffen [[spricht es jeweils [ˈʃaf ̣n̩] aus]], naja, wenn man es schnell spricht, schaffen, hört man den f-Laut zwar, aber nicht (-) doppelt, ne? (L03, B1.9-10)

In diesem ersten Impuls sind zwar keine eindeutigen Hinweise, aber doch Spuren eines segmentalen Verständnisses der Schreibung auszumachen, die die Unsicherheiten des Schülers anfänglich auf eine undeutliche Aussprache zurückführen (→L03-16). L03 schränkt diese Überlegung jedoch insofern ein, als sie selbst eine Eins-zu-eins-Wiedergabe der doppelten

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8 Darstellung der Ergebnisse

Konsonantengrapheme im Gesprochenen als nicht zwangsläufig gegebene lautsprachliche Realisierung wertet. In den darauffolgend erläuterten Handlungsanregungen führt sie dennoch vorerst eine Annäherung an die Schreibung über deutliches Sprechen an, kehrt anschließend jedoch die Erarbeitungsrichtung um und rät zu einer Herleitung der Zielschreibung über die Strukturanalyse des geschriebenen Wortes (→L03-17): ((…)) sprich es mal laut, trenne es in Silben (---) und Sprich es mal überdeu/ überdeutlich!, (nicht), und, gut, wenn das / sage ich, schrei/ ich würde es ihm jetzt raten, äh: Schreibe es in Silben auf, kann ich aufschreiben, Schreibe es in Silben auf und schreibe es einmal mit EInem und einmal mit / und (-) mit zwei , und sage ich: Dann LIES es mal. (L03, B1.10)

Es könnte also von einer zunächst positiven Bewertung von Formen der Sprechsilbenisolierung zur Wahrnehmung der zu verschriftenden Einzelsegmente gesprochen werden, den L03 anschließend aber durch die Umkehrung der Betrachtungsweise, nämlich den Ausgang von der Schreibung, wieder aufgibt: Ihre Empfehlung zum ‚überdeutlichen‘ Sprechen wird von der Konzentration auf einen schreibsilbenstrukturellen Zugang überlagert. Im Weiteren stellt sie einige Überlegungen dazu an, worin die Unsicherheiten des Schülers begründet sein könnten, und zieht dafür einen Vergleich zu der Erarbeitungsweise in ihrem eigenen Unterricht: Ich bin jetzt SO infiziert von diesem ((tippt auf die Arbeitsblätter mit Silbenhäusern)) / von diesen Häuschen, dass meine Schüler sofort in der ersten Klasse sehen würden, dann MUSS, das kann nur mit zwei gehen, sonst hieße es [ˈʃɑːfən], da steht nicht [ˈʃɑːfən]! [ˈʃaf ̣n̩], das a wird nicht [ɑ:], sondern [ə]. (-) Der kennt, der kennt eben nur ein [ɑ:]. (-) Und kein [a] und [ə] vielleicht auch noch, manchmal ist ein ja auch ein [ə], so, ja? Der kennt es nicht! Und das macht, das ist ja das, was dann problematisch ist, ne? (L03, B1.10)

Sie formuliert in diesem Interviewauszug zum einen die Annahme, dass die vom Schüler ausgedrückte Unsicherheit durch grundlegende Struktureinsicht bzw. durch die Arbeit mit dem von ihr verwendeten SilbenhausModell von vornherein vermieden werden könnte, und geht zum anderen davon aus, dass der Schüler bis dato kein Wissen zu den unterschiedlichen Quantitäten (und Qualitäten) der Vokalphoneme ausgebildet hat und daher in der Schreibsituation ratlos ist. Auch in diesem Beispiel verblasst die zu Beginn von der Lehrerin angedeutete Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung im Handlungsbezug, indem L03 einen silbenstrukturellen Zugriff präsentiert, der suprasegmentale Zusammenhänge zwischen

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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der geschriebenen Wortstruktur und ihrer lautsprachlichen Repräsentation aufdeckt. ↘ Phänomenebene 3 (zu Strukturtyp 3): Positive Bewertung von silbenorientierten Hilfestellungen, die zur visuellen Erfassung der Vokalquantität an der Schreibung ansetzen: Die Erfassung der Schreibsilbenstruktur wird als wirksame Hilfestellung für die schreibrelevante Differenzierung zwischen Lang- und Kurzvokalen betrachtet.

Als Möglichkeit, dem Schüler aus dem Beispiel bei der Fehlerüberwindung zu helfen, spricht L03 eine Empfehlung aus, in der beide Schreibversionen hinsichtlich der darin kodierten lautlichen Repräsentationen verglichen werden: ((…)) ich würde eben beide Versionen, seine Unsicherheitsversion, also es sind ja beides Unsicherheitsversionen, aufschreiben lassen und ähm (-) ja, und dann laut lesen, sprechen lassen, (--) dazu auch vielleicht noch mal gehen! Auch wenn er es albern findet, also mit dem ganzen Körper das (-) durchaus äh nachempfinden, weil man beim natürlichen Gehen (-) natürlich spricht. Manche Kinder können es im Sitzen noch nicht, die MÜSSEN es gehen. (L03, B1.12)

Ausgehend von der geschriebenen Wortform sollen die darin kodierten Merkmale der Aussprache erfasst und aus der Lautung beider Varianten wiederum Rückschlüsse zur Zielschreibung gezogen werden (→L03-18). Bewegungsrhythmische Hilfestellungen werden als zusätzliche Unterstützungsformen dieses Erarbeitungsweges angeführt. Da die von L03 anfänglich angedeutete Zugangsmöglichkeit über eine überdeutliche Aussprache in den weiteren Ausführungen nicht aufgegriffen wird, wird sie in der Auswertung dieser Gesprächssequenz B1 nicht als erklärungsleitend angesehen.124 In der zweiten vorgelegten Schreibung zum Strukturtyp 3 (*, B2a), in der eine morphologisch vererbte Silbengelenkschreibung präsentiert wird, knüpft L03 nicht an die in B1 genannten Handlungsstrategien an. Stattdessen formuliert sie lediglich eine recht vage Vermutung zur Schwierigkeit der Schülerin: „((…)) die kennt verschiedene äh (-) Regeln nicht“ (L03, B2a.1). Überdies räumt sie ein, dass eine silbische Gliederung des Wortes in diesem Fall keine Hilfe sei: „dass man das Wort in Silben äh trennt, nach dem und nach dem . *, da würde sie auch lesen: Früh.stücks.ei, steht ja da“ (L03, B2a.3). Alternative Herangehensweisen nennt sie in dieser Sequenz nicht, sondern rät nur

124

Sie wurden daher im Auswertungsprotokoll in Klammern vermerkt, s. Anhang D.

344

8 Darstellung der Ergebnisse

dazu, das Wort aufzudröseln, bricht dann aber ab und resümiert schließlich: „also da ist / muss man ordentlich ackern.“ (L03, B2a.7) Für L03s Zugriff auf Schreibungen des Strukturtyps 3 ergibt sich im Interviewteil B den vorangegangenen Ausführungen entsprechend ein recht facettenreiches Bild, bei dem die silbenstrukturbezogenen Zugriffsformen auf zweisilbige Simplizia aber als die handlungsleitenden gelten können. In dem vorgelegten Fall einer morphologisch komplexen Form des Strukturtyps 3 (*/) legt L03 keine Arbeit mit einer zweisilbigen Grundform und deren Eintragung in das Silbenhaus-Modell nahe. Gleiches gilt für die morphologisch vererbte Markierung des silbeninitialen im ersten Wortstamm des Kompositums: Auch hierzu gibt L03 keine konkreteren Handlungsvorgaben, nimmt aber eine aufschlussreiche begriffliche Einordnung des vor: „Frühstücksei/*, gut, da ist, ist jetzt diese Sache mit dem . Was haben wir gesagt, das ist, glaube ich, so ein Joker, ne?“ (L03, B2a.1) Da sie in dieser Sequenz nicht weiter darauf eingeht, zwar auf die Verlängerung von früh zu früher hinweist, deren Zweck aber nicht benennt, wird die Thematisierung der in B3 vorgelegten Fehlschreibungen zum intervokalischen und morphologisch vererbten hinzugezogen. In der Auseinandersetzung mit der präsentierten zweisilbigen Form * stellt L03 – anders als bei * – einen unmittelbaren Bezug zum Silbenhaus-Modell her, mit dem die vom Schüler produzierte Fehlschreibung laut L03 – nach kurzer Irritation – eindeutig ausgeschlossen werde kann (→L03-19): ((…)) ja, man könnte es so nach, nach unser Häuschenmethode könnte man es durchaus so schreiben, ne, könnte man es wunderbar schreiben, (--) nee, könnte man es eben NICHT schreiben! Könnte man es NICHT schreiben, weil man ja den ersten Raum in der Garage nicht besetzen könnte. (L03, B3.1)

Zur Begründung der Zielschreibung mit führt sie die Strukturvorgabe für den Anfangsrand der graphematischen Reduktionssilbe an, die im Interviewteil A auch im Rahmen der Doppelkonsonantenschreibung genannt wurde: Der erste Raum der „Garage“ ist obligatorisch zu besetzen (s. auch L03, A12). Davon angestoßen führt sie die unterrichtsmethodische Herleitung der Regularität weiter aus: ((…)) da es [ˈblyːən] heißt (-) und der erste Raum besetzt sein muss, müssen wir einen Buchstaben nehmen, der stimmlos ist [[Hervorhebung der Verfasserin]]. So als Joker. Da hätten wir jetzt mal diese Erklärung und ich finde, das lässt sich auch supergut erklären. Die

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

345

Kinder würden sagen: So, das kommt in die Mitte, das dahinter, vorne MUSS was, ja, was kommt denn da rein? (--) Das kann da nicht rein! Das wissen wir, das gehört ins Haus. (L03, B3.3)

Während das in B2a nur als Joker bezeichnet, nicht aber weiter erklärt wurde, gewährt diese Sequenz zu blühen (B3a) tiefere Einblicke: L03 weist das als strukturell notwendige Markierung aus, die im Gesprochenen kein Äquivalent besitzt, sondern stimmlos ist (→L03-20). ↘ Phänomenebene 1 (zu Strukturtyp 4): Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist an der Schriftstruktur orientiert: Die Lehrperson geht von eigenständigen Strukturen der Wortschreibung aus, die sich aus suprasegmentalen Bezügen im geschriebenen Wort ergeben.

Auch hier begründet sie das Erfordernis der Markierung im geschriebenen Wort ähnlich wie bei den Doppelkonsonantenschreibungen auf der Grundlage des methodischen Instrumentariums, dem Silbenhaus-Modell. ↘ Phänomenebene 2 (zu Strukturtyp 4): Die an der Schriftstruktur orientierte Vorstellung von der Wortschreibung wird im Handlungsbezug aktiviert: Suprasegmentale Beziehungen innerhalb des geschriebenen Wortes stehen im Mittelpunkt. Die Orientierung an der Schriftstruktur ist handlungsleitend. ↘ Phänomenebene 3 (zu Strukturtyp 4): Positive Bewertung von an der Schreibung orientierten Hilfestellungen zur Erfassung einer ausschließlich schreibsilbenstrukturellen Gesetzmäßigkeit: Die Erfassung der Schreibsilbenstruktur wird als wirksame Hilfestellung zur Ermittlung des silbeninitialen betrachtet.

Auf die tieferen Begründungszusammenhänge, etwa zur Kausalität des obligatorisch zu besetzenden Anfangsrandes der zweiten Schreibsilbe, geht L03 nicht ein. Sie macht mit ihrer Kennzeichnung des als stimmlosen Joker-Buchstaben aber deutlich, dass sie um Unterschiede zwischen dem geschriebenen und gesprochenen Wort weiß und diese Unterschiede nicht nur die im Geschriebenen zu ermittelnden unterschiedlichen Vokalquantitäten betreffen. Während sie sich bei Schreibungen mit Doppelkonsonantenbuchstaben unsicher hinsichtlich deren Repräsentation im Gesprochenen zeigt, erkennt sie im Bereich des Strukturtyps 4 das Vorliegen einer innergraphematischen Markierung, also einer graphematischen Kodierung ohne phonologischen Repräsentanten, an. In diesem Bereich der Wortschreibung scheint der erfahrene fachliche Input allerdings auch noch besonders präsent zu sein, denn sie weist den Terminus des Joker in B2a explizit als externe Empfehlung aus (→L03-21):

346

8 Darstellung der Ergebnisse

Frühstücksei/*, gut, da ist, ist jetzt diese Sache mit dem . Was haben wir gesagt, das ist, glaube ich, so ein Joker, ne? Äh (--) so hat das [die Fortbildungsleiterin] [[Name zur Wahrung der Anonymität getilgt]] immer gesagt, das wäre / sollte man dann so als Joker-Buchstabe einführen. (L03, B2a.1)

Im Unterschied zum Umgang mit der komplexen Schreibung von Frühstücksei im Beispiel B2a, in dem L03 keinen direkten Bezug zu einer zweisilbigen Form herstellt, knüpft L03 die Zielschreibung des flektierten Derivats verblühten (B3b) nach leichter Unsicherheit bezüglich der systemabweichenden Schreibung von an den formulierten Zugriff auf die morphologisch einfache Wortform . Da die Fehlerinterpretation und -bearbeitung in B2a (Frühstücksei) insgesamt relativ oberflächlich ausfallen, aber einige Hinweise liefern, die L03 in B3 aufgreift und weiter aufschlüsselt, können ihre Ausführungen zu den Fehlschreibungen im Inputbeispiel B3 (blühen) für den Interviewteil B als hauptsächliche Auswertungsquelle behandelt werden. Die Lehrerin demonstriert darin einen primär silbenstrukturellen Zugriff auf Schreibungen des Strukturtyps 4 und stellt die Konzentration auf den klassifikatorischen Aspekt des silbeninitialen (s. 4.5.2.2) in den Mittelpunkt der unterrichtlichen Erarbeitung. Im Gesamt ergeben sich für die Darstellungen L03s folgende Tendenzen im Umgang mit zweisilbigen Wörtern der ausgewählten Strukturtypen 1, 3 und 4: Tab. 32 Zusammenfassung der Zugriffe auf Wortschreibungen der Strukturtypen 1, 3 und 4 (L03, A und B)

Tendenz in A und B

L03

Strukturtyp 1 (hier speziell ) Präsentation als primär segmental begründete Schreibung

Strukturtyp 3 (Silbengelenkschreibungen) Präsentation als primär silbenstrukturell begründete Schreibung mit schreib- und sprechsilbenbezogenen Anteilen (mit möglicher Überlautung)

Strukturtyp 4 (silbeninitiales ) Präsentation als primär silbenstrukturell begründete Schreibung (ohne Überlautung)

Die separate Betrachtung ihres Umgangs mit morphologisch komplexen Wortschreibungen offenbart eine gewisse Ratlosigkeit der Lehrerin. Während sie die Schreibung zweisilbiger Grundformen konsequent über fußund silbenstrukturelle Analysen begründet, zeigt sie sich bei morphologisch komplexen Schreibungen z. T. unsicher hinsichtlich der Wirksamkeit und methodischen Anregung silbenstruktureller Untersuchungen: Die farbliche Silbensegmentation im geschriebenen Kompositum weist sie explizit

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

347

als nicht zielführend zurück, drückt aber nur vage alternative Annäherungsformen aus. Dabei regt sie eine Gliederung des Wortes in seine Stammmorpheme und die Betrachtung deren semantischen Zusammenwirkens aus: Ist es wirklich schwierig, ich würde das total auf- (-) -dröseln. Was sagt uns das? Ist ein Ei, das wir FRÜH essen, ich würde (-) die Wörter, also ein Stück würde ich nehmen, ein Ei, ein fr/ und früh würde ich nehmen, um erst mal inhaltlich zu klären: Wie kommt das da zustande? (L03, B2a.7)

Eine explizite Begründung der Schreibung liefert sie hier jedoch nicht. Keine Unsicherheiten hinsichtlich des Zusammenwirkens von silbischen und morphologischen Strukturen in komplexen Wortschreibungen zeigt L03 demgegenüber in der Auseinandersetzung mit dem Inputbeispiel B3, in dem die zweisilbige Grundform und eine darauf aufbauende morphologische Schreibung gemeinsam präsentiert werden: L03 erklärt die Schreibung des morphologisch vererbten silbeninitialen in in diesem Fall als morphologische Schreibung, die sich aus der zweisilbigen Grundform ergibt. ↘ Phänomenebene 4 (zu den Strukturtypen 3 und 4): Die Zugriffe auf morphologisch einfache Schreibungen werden nur bedingt auf morphologisch komplexe Schreibungen übertragen: Die Lehrperson zeigt Schwierigkeiten bei der Übertragung ihrer Erklärungen von morphologisch einfachen (zweisilbigen) Schreibungen auf morphologisch komplexe Schreibungen: Der Bezug auf die Silbenstruktur wird nur in Ansätzen hergestellt.

Die vorgelegte -Schreibung im Kompositum erklärt sie phonembasiert, verweist dabei aber ebenfalls auf die wortbildungsmorphologische Grundlegung. Obwohl L03 im Interviewteil A auf die im genutzten SilbenhausModell angelegte Verknüpfung silbenstruktureller und morphologischer Strukturen hinweist, ruft sie diese im Umgang mit Kompositaschreibungen im Interviewteil B nicht auf. Ob und inwieweit die Vorlage konkreter Lehr-Lern-Materialien zu den ausgewählten Strukturtypen des deutschen Wortes zu einer Verdichtung, Erweiterung oder auch Umorganisation der bisher dargestellten Zugriffe L03s auf die Wortschreibung führt, soll nun anhand ihrer Äußerungen im dritten Interviewteil C (Bewertung von Materialauszügen) untersucht werden. In der ersten Reaktion auf den präsentierten Materialauszug C2 ( oder ?), der dem Lehrgang entstammt, den L03 im eigenen Unterricht nutzt, stellt die Lehrerin erneut den Bezug zu ihren eigenen Schüler/-innen

348

8 Darstellung der Ergebnisse

her und weist die Erarbeitungsweise in Referenz auf deren Lernstand als redundant aus: Sowas bräuchte ich zum Beispiel jetzt gar nicht, (--) die Kinder würden aufgrund der Sprechweise schon wissen, wann sie schreiben, (--) natürlich auch weil (-) da im Haus (-) nichts besetzt ist, und wann ein , ne, das können die JETZT schon alles. Das können die JETZT schon. Die können das, die können das auch begründen, ne? ((räuspert sich)) Und das könnte man äh, (-) das könnte man äh natürlich schreiben, also das finde ich, das finde ich durchaus in Ordnung. (L03, C2.1)

Ihrer Äußerung ist nicht klar zu entnehmen, ob sie in dem präsentierten Auszug den dazugehörigen Lehrgang wiedererkennt; entscheidender erscheint auch, dass sie die segmentale Wahrnehmung des Langvokals mit Blick auf den gegenwärtigen Lernstand ihrer Schüler/-innen als ausreichende Leistung auffasst, um zu einer richtigen Schreibung zu gelangen. Sie setzt die im vorgelegten Auszug über Silbenbögen angebahnte Unterscheidung von und allem Anschein nach unmittelbar mit der für sie grundsätzlich leitenden Silbenhaus-Struktur gleich und befindet die Erarbeitungsweise des vorgelegten Materialauszugs unter dem Kriterium der sachangemessenen Modellierung für „in Ordnung“ (s. oben). Allerdings hält sie die silbenstrukturelle Erklärung bei fortgeschrittenen Fähigkeiten für entbehrlich und eine rein segmentale Herleitung für didaktisch zielführend. Die von ihr angegebene alternative Erarbeitungsrichtung von der „Sprechweise“ (s. oben) zur Schreibung wird in Bezug auf den fortgeschrittenen Entwicklungsstand der Lernenden also als sinnvoll erachtet (vgl. zusammenfassend Tab. 33). Tab. 33 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C2 (L03)

Materialbeispiel C2 ( oder ?) Bewertungsgegenstand Erklärung: schreibsilbenbasiert Empfohlener alternativer/ ergänzender Zugriff

Angelegtes Bewertungskriterium sachadäquate Modellierung zustimmend Segmentale Erklärung als Alternative für fortgeschrittene Lerner/-innen

L03s Bewertung des ersten Materialauszugs C1 (graben – grabbeln) zur Unterscheidung von langem Vokal bei offener Silbe und kurzem Vokal bei von doppelten Konsonantenbuchstaben geschlossener Silbe fällt weniger eindeutig aus: Sie stimmt der im Material angelegten Arbeit mit „Kontrastpaaren“ unter dem Kriterium des Silbenbezugs zu:

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

349

((…)) na, das ist im Prinzip genau diese Methode hier mit den Kontrastpaaren, ne? spa.ren [[spricht Wort langsam und silbisch]], scharren [[liest Wort schnell, Silbengrenze liegt im [ʀ]]], Schu.le, Bulle. (L03, C1.4)

Die Aufgabenstellungen zum Diktieren mit deutlicher Aussprache und zum Aufschreiben der Wörter mit Trennstrichen lehnt sie hingegen grundsätzlich ab („dieses Diktieren ins Heft würde ich weglassen, äh das bringt gar nichts! Ne?“, L03, C1) und unterbreitet stattdessen einen alternativen Handlungsvorschlag, der an die strukturelle Aufbereitung der geschriebenen Wörter in dem von ihr selbst verwendeten Material anknüpft: ((…)) ich hätte hier vielleicht äh dieses Wortmaterial, (-) das hätte ich silbisch (-) äh aufbereitet, also so, sagen wir mal, so ähnlich gearbeitet wie hier ((zeigt auf ihre Materialien)), mit diesem, mit diesem Silbenmater/ ((…)) ich würde die, ich würde sie vielleicht das auch eben, wie wir es hier machen ((zeigt auf Material mit gelb und orange markiertem mittleren Zimmer im Silbenhaus)), zweifarbig kennzeichnen lassen, also (-) ne, als, als offen und geschlossen. Also eine Farbe für offen und eine Farbe für geschlossen, ne? (L03, C1.6)

Ohne selbst Stellung zur der im Material präsentierten sprechsilbischen Annäherung an die offene und geschlossene Silbe zu beziehen, legt sie eine visuelle, also vom geschriebenen Wort ausgehende Strukturierung der Kontrastpaare nahe, in der die offene und geschlossene Silbe durch jeweils eigene farbliche Markierungen der Vokalbuchstaben unterschieden werden können (→L03-22). Tab. 34 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C1 (L03) Materialbeispiel C1 (langer/kurzer Selbtlaut) Bewertungsgegenstände Erklärung: sprechsilbenbezogen Hilfestellung: sprechsilbisch, Mundöffnung Hilfestellung: visuell, Trennstrich

Angelegtes Bewertungskriterium Silbenbezug -

Wortmaterial:

zustimmend

sachadäquate Modellierung nicht eindeutig nicht eindeutig ablehnend; empfohlen: visuelle Strukturierung durch Silbenhaus-Modell zustimmend

In diesem Beispiel deutet sich an, dass L03 die ‚neu erworbenen‘ Kenntnisse zur silbenstrukturellen Erarbeitung der Wortschreibung bzw. vielmehr die Leistung des unterrichtsmethodischen Instrumentariums selbst als so überzeugend und lehr-lern-wirksam erlebt, dass sie sie in nahezu

350

8 Darstellung der Ergebnisse

allen initiierten Anwendungskontexten abruft und anderen Herangehensweisen vorzieht. Aus organisatorischen Gründen125 konnte der zweite Materialauszug zu Schreibungen des Strukturtyps 3 (C4) nicht mehr von L03 bearbeitet werden. Wie in den Interviewteilen A und B aber deutlich wurde, weist die Lehrerin segmentale und sprechsilbische Zugriffe auf Wortschreibungen, die eine Überlautung provozieren, zumeist nicht fachlich zurück, stellt ihnen aber die für sie überzeugendere eigene Verfahrensweise gegenüber. Zwar können einige Impulse beobachtet werden, in denen L03 die Wortschreibung über eine genaue Aussprache des Wortes initiieren möchte, diese Impulse werden aber nur angedeutet und in der Regel noch innerhalb der Äußerung wieder aufgegeben und von weiteren, vor allem silbenstrukturellen Zugriffen überlagert. Dennoch entstehen hin und wieder Brüche in ihrer Argumentation, die sich immer dann ergeben, wenn L03 zwar auf das Erfordernis einer natürlichen Aussprache hinweist, andererseits aber selbst überlautierende Formen produziert. Dies scheint vor allem in der Auseinandersetzung mit konkreten Schreibungen des Strukturtyps 3 der Fall zu sein: Hier setzt die Lehrerin ihre grundsätzliche Überzeugung, dank der konzeptionellen Neuorientierung der Erschließung von Wortschreibungen eine natürliche Lautung zugrunde legen zu können, nicht konsequent um. Den Zugang zur Wortschreibung allgemein über eine deutliche Aussprache zu initiieren, wie es der Materialauszug C3 (Robotersprache) empfiehlt, lehnt sie jedoch entschieden ab (→L03-23) und unterscheidet hier klar zwischen Hilfestellungen, die sporadisch schreibunterstützend eingesetzt werden können, und solchen, die tatsächlich zur systematischen Erschließung der orthographischen Schreibung führen: Sprich die Wörter in der Robotersprache [[liest aus Material 3 vor]], würde ich zum Beispiel NICHT machen, (-) weil, (-) ja, weil man dann nicht hört: Hat man es richtig gemacht oder falsch? Ähm (-) ich würde das Wort jetzt, also ich würde es nach den heutigen Erkenntnissen IMMER natürlich aussprechen, eventuell dazu gehen, um das noch zu erleichtern, aber ich wür.de [[ahmt Robotersprache nach]], habe ich früher alles gemacht, wunderbar, witzig, ganz witzig {ironisch}, natürlich kann man es MAL machen, aber nicht als grammatische

125

Das Gespräch mit L03 dauerte aufgrund der umfänglichen Gesprächsbereitschaft der Lehrerin mehr als zweieinhalb Stunden und musste abgebrochen werden, bevor der vierte Materialauszug besprochen werden konnte, da L03 in den Unterricht musste.

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

351

Übung jetzt oder, ne, als, als Schreibübung oder als Rechtschreibübung. (L03, C3.1)

L03 erkennt in der Herangehensweise des Beispielmaterials C3 ihre eigene frühere konzeptionelle Ausrichtung wieder und grenzt sich durch die Ablehnung der Vorgehensweise davon erneut ab (vgl. zusammenfassend Tab. 35). Tab. 35 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C3 (L03) Materialbeispiel C3 (Robotersprache)

Angelegtes Bewertungskriterium

Bewertungsgegenstand

sachangemessene Modellierung

Hilfestellung: sprechsilbisch, Robotersprache

ablehnend

Wie auch in den vorangegangenen Einzelfallanalysen werden im folgenden Kasten einige übergreifende Beobachtungen zu L03s Umgang mit der Bezugseinheit Silbe angeführt, bevor anschließend eine Übersicht über alle ermittelten Phänomene und deren Ausprägungen folgt. Die Silbe als zentrale Bezugsgröße im Umgang mit Wortschreibungen im Kernbereich und Die Silbe wird als Türöffner zum Rechtschreiblehren und -lernen von Anfang an dargestellt: L03 präsentiert die Orientierung an der Silbenstruktur als Folge eigener schriftstruktureller Erkenntnisse, die zu einer bewussten Abwendung von einer zweiphasigen Modellierung des schriftsprachlichen Lernens und einer Hinwendung zum Rechtschreiblernen von Anfang an geführt hätten (→L03-2). Eine Unterstützung bei der systematischen Lehr-Lern-Progression stellt für sie dabei der verwendete Lehrgang ABC der Tiere dar, wenngleich sie z. T. bewusst von dessen Vorgehen oder den Darstellungsweisen abweicht. L03 erklärt mithilfe der silbischen Strukturpositionen grundlegende Gesetzmäßigkeiten des prototypischen zweisilbigen Wortes sowie Wortschreibungen der Strukturtypen 1-4, die sie auf der Basis des Silbenhaus-Modells als grundlegende Strukturen der deutschen Wortschreibung und als didaktischer Wegweiser für die Lernprogression bestimmt (→L03-7, L03-8). Wiederholt verweist sie in diesem Zusammenhang auf ihre konzeptionellen ‚Kehrtwende‘ bzw. ihr schriftsprachdidaktisches Umdenkens sowie die Notwendigkeit einer sorgfältigen Auswahl der verwendeten Lehr-Lern-Materialien (→L03-1-4). Umfassende Wirksamkeit und didaktische Aktivierung des Silbenstrukturbezugs in Schreib- und Leserichtung L03 nutzt bidirektionale Erarbeitungswege, die die suprasegmentale Struktur sowohl graphematischer als auch des phonologischer Wortformen unter Beachtung der Haupt- und Reduktionssilbenverhältnisse erfahrbar machen. Auf der Grundlage des Silbenhaus-Modells sieht sie Wortschreibungen der Strukturtypen 1-4 zielführend lös- und erklärbar.

Silbenstrukturelle Analysen als zielführender Erklärungsansatz: L03 weist die sachstrukturelle Angemessenheit einer segmentalen Wiedergabe des graphematischen Wortes im Bereich der Strukturtypen 3 nicht zurück. Sie artikuliert Wörter mit Doppelkonsonantenbuchstaben z. T. selbst überlautierend (→L03-11, L03-12) und deutet punktuell (silben-)lautierende Zugänge an (→L03-11, L03-17). Auf der Grundlage des übergreifend genutzten Silbenhaus-Modells und ihres daran geknüpften Wissens zu den einzelnen Strukturpositionen sowohl im Haus als auch in der Garage (insbesondere zur graphematischen Besetzung des Anfangsrandes in der ‚Garagensilbe‘) stellt sie lautierenden Gliederungsformen aber stets silbenstrukturelle Zugriffe gegenüber, die keiner segmentalen Gleichsetzung von graphematischer und phonologischer Wortstruktur bedürfen, sondern suprasegmentale Zusammenhänge ins Zentrum der Erklärung stellen (→L03-14, L03-22, L03-23). Das silbische Strukturwissen drückt L03 ausschließlich im Vokabular des Silbenhaus-Modells aus (→L03-6). Sprechrhythmische Gegenüberstellungen von Wörtern der Strukturtypen 1 und 3 zielen auf die Wahrnehmung der unterschiedlichen phonologischen Anschlussverhältnisse und damit verbundenen Vokalquantitäten, ohne dass dafür eine Überlautung gefordert ist (→L03-15). Segmental-überlautierende Formen sind in der Regel nicht erklärungs- und handlungsleitend.

Auf die an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellung von der Wortschreibung wird im Handlungsbezug durch eine Verschiebung des Fokus reagiert: Nicht Einzelsegmente, sondern suprasegmentale Beziehungen stehen im Mittelpunkt. Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung verblasst im Handlungsbezug.

Erfassung der -Schreibung durch schreibsilbenstrukturelle Analysen L03 präsentiert im Bereich des Strukturtyps 4 ein rein schreibsilbenstrukturelles Vorgehen: Das Erfordernis eines besetzten Anfangsrandes der zweiten Silbe begründet die Verschriftung eines stimmlosen . Bezugspunkt der Erarbeitung von Schreibungen des Strukturtyps 4 ist das geschriebene zweisilbige Wort (→L03-19; →L03-20; →L03-21).

Die an der Schriftstruktur orientierte Vorstellung von der Wortschreibung wird im Handlungsbezug aktiviert: Suprasegmentale Beziehungen innerhalb des geschriebenen Wortes stehen im Mittelpunkt. Die Orientierung an der Schriftstruktur ist handlungsleitend.

Implizite Lokalisierung der Diskrepanz auf Gegenstandsebene L03 spricht im Fall der thematisierten Wortschreibungen des Strukturtyps 4 eine mögliche Diskrepanz zwischen ‚Hochlautung‘ und Schülerlautung nicht an, sondern weist das intervokalische sachstrukturell als stimmlos aus und verweist auf seine Funktion: die obligatorische Besetzung des ersten ‚Garagenzimmers‘ (→L03-19).

Lokalisierung der Diskrepanz auf Schüler- bzw. Sprecher/-innen-Ebene L03 nimmt bei Wortschreibungen des Strukturtyps 3 eine mögliche Diskrepanz zwischen der mit der segmentalen Struktur des geschriebenen Wortes assoziierten ‚Hochlautung‘ und der Bezugslautung der Schüler/-innen wahr. Die Ursache dieser Diskrepanz verortet sie, soweit erkennbar, auf der Ebene der Sprecher/-innen bzw. hier speziell der Schüler/-innen (→L0313, L03-16). L03 räumt aber ein, dass die alltagssprachliche Artikulation und Silbensegmentation von der idealerweise produzierten Lautung, die in ihrer segmentalen Struktur mit der des geschriebenen Wortes übereinstimmt, abweichen können (→L03-5, L03-11).

Phänomenebene 2: Handlungsrelevanz der sachstrukturellen Vorstellung

Wortschreibungen des Strukturtyps 4 (silbeninitiales ) Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist an der Schriftstruktur orientiert: Die Lehrperson geht von eigenständigen Strukturen der Wortschreibung aus, die sich aus suprasegmentalen Bezügen im geschriebenen Wort ergeben.

Wortschreibungen des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen) Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist an einer schriftinduzierten Lautung orientiert: Die Lehrperson geht von einer prinzipiell möglichen Ableitung der Wortschreibung aus den Segmenten des gesprochenen Wortes aus, projiziert dabei aber bereits (unbewusst) ihr Wissen über die Schreibung auf die Lautung.

Phänomenebene 1: Sachstrukturelle Vorstellung

352 8 Darstellung der Ergebnisse

Tab. 36 Ermittelte Phänomenausprägungen für die Lehrerin L03 auf den Ebenen 1-4

Positive Bewertung von an der Schreibung orientierten Hilfestellungen zur Erfassung einer ausschließlich schreibsilbenstrukturellen Gesetzmäßigkeit: Die Erfassung der Schreibsilbenstruktur wird als wirksame Hilfestellung zur Ermittlung des silbeninitialen betrachtet. Silbenhaus-Modell als wirksame Hilfestellung für die rein schreibsilbenstrukturelle Erschließung des L03 begründet die Notwendigkeit des silbeninitialen in Referenz auf das obligatorisch zu besetzende erste Zimmer der ‚Garage‘ im Silbenhaus-Modell. Das wird dabei als stimmloser Joker präsentiert, der eine schreibsilbenstrukturelle Vorgabe erfüllt. Angaben zur Funktionalität liefert L03 nicht; zudem erfolgt die Erklärung ausschließlich im Vokabular des Instrumentariums (→L0320).

↘ Phänomenebene 4: Die Zugriffe auf morphologisch einfache Schreibungen werden nur bedingt auf morphologisch komplexe Schreibungen übertragen: Die Lehrperson zeigt Schwierigkeiten bei der Übertragung ihrer Erklärungen von morphologisch einfachen (zweisilbigen) Schreibungen auf morphologisch komplexe Schreibungen: Der Bezug auf die Silbenstruktur wird nur in Ansätzen hergestellt. Rolle der Silbe verblasst im Umgang mit morphologisch komplexen Wortschreibungen: Obwohl L03 in A auf die im genutzten Silbenhaus angelegte Verknüpfung silbenstruktureller und morphologischer Strukturen hinweist (→L03-10), sieht sie im Umgang mit der Schreibung des Kompositums Frühstücksei keine Hilfe in der Silbengliederung (→L03-18).

Phänomenebene 4: Umgang mit morphologisch komplexen Wortschreibungen

Positive Bewertung von an der Schreibung ansetzenden silbenorientierten Hilfestellungen zur visuellen Erfassung der Vokalquantität: Die Erfassung der Schreibsilbenstruktur wird als wirksame Hilfestellung für die schreibrelevante Differenzierung zwischen Lang- und Kurzvokalen betrachtet. Anregungen zur Untersuchung der Schreibsilbenstruktur als wirksame Hilfestellung Auf der Basis des strukturtypübergreifend eingesetzten Silbenhaus-Modells liefert L03 Erklärungen, die die anfängliche Aktivierung von einzelsegmentorientierten Erklärungsansätzen (deutliches Hören und Sprechen) überlagern und suprasegmentale Zusammenhänge innerhalb des geschriebenen Wortes und deren Bezüge zum gesprochenen Wort in den Mittelpunkt stellen (→L03-10, L03-14, L03-17).

Anregungen zur Wahrnehmung der Sprechsilbenstruktur als wirksame Hilfestellung L03 präsentiert Zugriffe, die von der gesprochenen Wortstruktur ausgehen und die Erfassung der Vokalquantität mithilfe des silbenrhythmischen Sprechens von Kontrastpaaren durch die Anschlussverhältnisse zwischen Haupt- und Reduktionssilbe verdeutlichen (→L03-9, L03-15). (Die im Inputmaterial C1 dargestellte Herangehensweise bewertet sie jedoch nicht eindeutig bzw. fordert zur Erarbeitung offener und geschlossener Silbe die Visualisierung des geschriebenen Wortes im Silbenhaus-Modell (→L03-22).)

Positive Bewertung von an der Lautung ansetzenden silbenorientierten Hilfestellungen zur auditiven Erfassung der Vokalquantität: Die Erfassung der Sprechsilbenstruktur wird als wirksame Hilfestellung für die schreibrelevante Differenzierung zwischen Lang- und Kurzvokalen (bzw. offenen und geschlossenen Silben) betrachtet.

Wortschreibungen des Strukturtyps 3

Phänomenebene 3: Bewertung von silbenorientierten Hilfestellungen zur Ermittlung der Wortschreibung

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

353

354 8.2.4

8 Darstellung der Ergebnisse

Einzelfallanalyse L01

L01 nimmt in ihrem ersten Redebeitrag zur Einstiegsfrage des Interviews eine Verortung der eigenen konzeptionellen Ausrichtung im schriftsprachdidaktischen Diskurs vor: Sie ordnet sich selbst einer Generation zu, der durch die universitäre Ausbildung eine klare konzeptionelle Orientierung hinsichtlich der Anlage schriftsprachlichen Lernens vermittelt wurde: Ähm also (-) erst mal äh, ne, bin ich ja so die äh Generation, die von der Uni äh aus äh geprägt ist, eher wieder weg vom äh, ne, Lesen durch Schreiben, sondern äh tatsächlich auch ähm, ja, mitbekommen hat, dass das eine systematische Vorgehensweise eben (-) äh förderlich sein kann, ((lacht)) so und ähm das, das habe ich auch versucht ähm, eben / also das versuche ich auch in meinem Unterricht umzusetzen. (L01, A10)

Die inhaltliche Konturierung dieser konzeptionellen Prägung nimmt L01 zunächst durch eine Abgrenzung von dem Reichen-Konzept Lesen durch Schreiben sowie durch den Verweis auf eine vorzuziehende „systematische Vorgehensweise“ (s. oben) vor und formuliert anschließend – mit noch recht vorsichtiger Wortwahl – das eigene Bemühen, diese Leitlinie in ihrem Unterricht umzusetzen. Als daran geknüpfte wesentliche Anforderung stellt sie unmittelbar auf diese erste Positionierung die Auswahl geeigneten Lehr-Lern-Materials dar: ((…)) das ging dann los in der ersten Klasse, dass wir uns für ein Lehrwerk entschieden haben, was ähm (-) eben tatsächlich ähm äh Buchstaben auch systematisch einführt äh in Verbindung mit, immer mit der Silbe, das war gar nicht so einfach, da was zu finden, und da waren wir auch nicht wirklich zufrieden, das war immer Pusteblume und Zebra. Die haben sich so ein bisschen ergänzt, (--) Zebra eher so ein bisschen analytisch, also, ne, einzelne Wörter schreiben, mit Silbenbögen unterlegen, erkennen, dass eben der Vokal, also Königsbuchstaben nennen sie das, glaube ich äh, da bei Zebra, äh in jeder Silbe vorhanden ist, also schon so ein analytisches Herangehen und in Pusteblume war es dann vor allen Dingen auch das, also das Motorische, Silben zusammen- äh -nehmen auch ähm wie, wie wird eine Silbe gebildet, also zum Beispiel mit, mit äh Bildern von, vom Mund, wie die Buchstaben gebildet werden. (L01, A10)

Die Lehrerin gibt dabei an, zwei Lehrwerke kombiniert einzusetzen, und unterscheidet diese hinsichtlich ihrer (a) analytischen (Zebra) und (b) motorischen Schwerpunktsetzung (Pusteblume). Für die analytische Herangehensweise führt sie beispielhaft das Schreiben von Wörtern unter Zuhil-

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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fenahme von Silbenbögen an, durch die der obligatorische Vokalbuchstabe der Silbe entdeckt werden kann. Das, was sie als primär schreibmotorische Ausrichtung beschreibt, scheint vor allem die sprech- bzw. mundmotorische Realisierung von Lauten und Silben zu betreffen, wenngleich sie selbst in diesem Kontext von der Bildung von „Buchstaben“ (s. oben) spricht. Sie ergänzt, dass sie parallel zur Arbeit mit den genannten Lehr-Lern-Materialien Möglichkeiten zum freien Schreiben anbietet und dafür auch eine Anlauttabelle nutzt: Also äh was weiß ich, kleine Bilder, zu denen die Kinder sich ähm eben / zu denen sie frei schreiben (-) äh konnten ähm und da: habe ich dann eben auch nicht auf / also nicht die Rechtschreibung korrigiert, sondern das war sozusagen zum Austoben, aber (-) parallel eben immer der Fokus auf dem systematischen Einführen von Buchstaben, Silben. (L01, A10)

L01 beschreibt für das Erstlesen also eine grundsätzliche Parallelität freier Schreibaktivitäten (ohne rechtschriftlichen Fokus) und der systematischen Buchstabeneinführung in Verknüpfung mit der Silbe (→L01-1). Noch innerhalb dieses ersten Redebeitrags erläutert sie, wie im Anschluss an diese Inhalte der ersten Klassenstufe in der zweiten Klasse weitergearbeitet wird, und drückt darin wesentliche Orientierungspunkte für die über das Erstschreiben hinausgehende ‚systematische‘ Lernprogression im Bereich Wortschreibung aus: ((…)) wir müssen sehr, sehr stark ähm differenzieren (-) und ähm äh deshalb haben wir eben auch viel mit unterschiedlichen Materialien äh gearbeitet. Alle Kinder hatten zwar ein Pusteblume-Heft, aber lä:ngst nicht alle konnten damit auch wirklich gut umgehen. Das heißt wir / oder selbstständig umgehen und das heißt, wir mussten da eben ähm, ja, schon die Seiten auch gemeinsam ähm bearbeiten und ähm, da war so meine Erfahrung, dass ähm eben Dinge, die ich lieber noch nicht gemacht hätte, dann früh drankamen, zum Beispiel Doppelkonsonanten, äh und die habe ich dann auch erst mal ganz lange so, so ignoriert und dann erst mal eben äh versucht, mit, mit selbstgebastelten Materialien dann ähm (-) äh eben äh (so) Häuschen mit Garage die Silbenstruktur oder Wortstruktur noch einmal ähm so einzuführen. (L01, A10)

Ähnlich wie L03 formuliert L01 eine gewisse Unzufriedenheit mit dem genutzten Material, die sie an dieser Stelle nicht direkt auf die sachstrukturelle Darstellung, sondern in erster Linie auf die Anlage der Lernprogression bezieht. Sie kommt nach dem ersten Sprechwechsel noch einmal von sich aus auf ihre Vorstellung von der Lernprogression zurück:

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8 Darstellung der Ergebnisse

L01: ((…)) ist immer so ein bisschen doof, ne, dass dann das Material, äh was, was wir haben oft äh dann in den Details einfach ähm nicht / entweder, entweder tatsächlich richtig falsch ist (-) ähm oder oft von so einer Progression her ungünstig ist, habe ich so ähm erlebt. Zum Beispiel im Pusteblume-Heft kommt (-) erst, glaube ich, der Doppelkonsonant und dann die ähm (-) äh die geschlossene Silbe überhaupt, an anderen Beispielen. Und, also das hät/ das habe ich dann eben andersherum, habe ich eben andersherum gemacht. ES: Kannst du erklären, warum du das dann andersherum machst? L01: Ähm (-) ja, weil, wei:l mir schon wichtig war, dass die Kinder erst mal erkennen, eben den Unterschied zwischen, zwischen offenen und geschlossenen Silben. Äh und dass, dass dann ja doch das, das [[Unterbrechung durch Pausenklingel]]. Dass eben der Doppelkonsonant ja dann doch der, der äh Spezialfall ist. (L01, A12-14)

Aufgrund ihrer eigenen Vorstellung von der Lernprogression, die sich an der Sachstruktur des Lerngegenstands orientiert, weicht sie in Teilen von dem Vorgehen im verwendeten Arbeitsheft ab und stellt stattdessen eigene Materialien her. Noch vor dieser Erläuterung stellt sie bereits einige Reflexionen zu dem rechtschriftlichen Erfolg an, den sie im Rahmen ihres schriftsprachlichen Unterrichts beobachtet: Und meine Erfahrung ähm war dann so, dass das / man schon merkte, dass die Kinder das verstehen, also dass sie ähm, dass sie das / zum Beispiel Buchstaben in das Häuschen / Wörter in das Häuschen richtig einsortieren können, (--) auch die Schwachen, also dass die dann auch das benennen und beschreiben können mit äh ähm, ne, Königsbuchstaben kommen in die Mitte und offene Silbe, geschlossene Silbe usw., so dieses ganze Vokabular hatten wir dann so gegen Ende der (-) Zweiten, Anfang der Dritten ganz, ganz schön drauf (-) ähm und dass sie zum Beispiel auch ähm auch die Schwachen, als wir dann eine, so eine Klassenarbeit geschrieben haben, dass sie das richtig gut konnten, (--) aber dieser Transfer in das ähm, ins alltägliche Schreiben dann, dass der noch überhaupt nicht stattgefunden hat, also bei den Schwachen auf jeden Fall. (L01, A10)

L01 wendet sich trotz der nicht umfänglich beobachteten Lehr-Lern-Wirksamkeit ihres an der Silbenstruktur orientierten Vorgehens (→L01-2) gegen einen Zugang, der auf mechanisches Auswendiglernen von Wortschreibungen ausgerichtet ist. Als Ziel ihrer unterrichtlichen Arbeit zur Wortschreibung formuliert sie, „dass (sie) [[die Schüler/-innen]] ja auch eine Einsicht haben, warum Wörter so geschrieben werden“ (L01, A10).

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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Dafür vermittelt sie den Lernenden neben den bereits angeführten analytischen Zugängen zur Silbenstruktur auch weitere Rechtschreib- und vor allem Problemlösestrategien wie das Verlängern und die Berücksichtigung von Wortfamilien (vgl. ebd.). Auf Nachfrage dazu, worin die Einsicht(en) der Schüler/-innen aus ihrer Sicht genau bestehen sollte(n), führt L01 zentrale Aspekte an, die über ihr grundsätzliches Verständnis des Lerngegenstands Aufschluss geben. Die erste Erkenntnis, die jede/r Lernende ihrer Ansicht nach gewinnen sollte, betrifft die grundlegende Zuordnung von Lauten zu Buchstaben in der Schrift: ((…)) es ist ja erst mal überhaupt die, diese Erkenntnis, dass, dass, dass wir Laute (-) abbilden durch die Schrift, ne, nicht, nicht absolut lautgetreu, aber / oder (-) also nicht alles lautgetreu, aber dass eben, dass wir eben äh unseren Lauten Buchstaben zuordnen können, (-) das ist schon erst mal wichtig. (L01, A16)

Sie fügt hinzu, dass sie die Entdeckung dieses Prinzips im Unterricht zum einen systematisch anleitet, zum anderen aber auch durch die Integration freier Schreibmöglichkeiten unter Zuhilfenahme der Anlauttabelle individuell erproben lässt: „Also die haben das schon ähm auch, auch ähm beides / also sind da sozusagen ähm zweispurig gefahren.“ (L01, A16) Dass die ‚zwei Spuren‘ aber nicht gänzlich unverbunden nebeneinander herlaufen, erläutert sie unmittelbar danach (→L01-3): Und wenn dann, wenn sie dann eben so eine Skelettschreibung, ne, wenn sie dann eben Buchstaben vergessen haben, dann konntest du immer sagen, so jetzt dann, dann ähm, ne, entweder Klatsche noch mal das Wort! oder ähm, ne, Schwinge noch mal mit, mit dem Finger, dass du, dass du ähm ähm alle, (-) alle Silben hörst, wie viele Silben hat es denn? und so und ähm (-) das war also eine, äh (-) dass, dass jede Silbe einen Vokal hat, so eine Einsicht, die die Kinder schnell ähm erworben haben, und äh ich habe auch recht schnell ähm eingeführt, dass die zweite Silbe ein hat, also das haben wir auch ähm, ich glaube, sogar Ende der ersten Klasse oder Mitte, Ende der ersten Klasse ähm schon (-) entdeckt. Ich weiß jetzt gar nicht mehr, ob ich das auch mit dem Häuschen, Häuschen mit Garage gemacht habe oder / nee, das habe ich später / also, irgendwie (--) ich glaube einfach, indem wir mal so einen Silbensalat hatten und Wörter gebildet haben und dann eben gesehen haben, ah, guck mal, die zweite / in der zweiten Silbe ist eigentlich immer ein . (L01, A16)

Sie nennt hier sprechsilbenrhythmische Hilfestellungen als schreibunterstützende Maßnahmen, die schließlich mit schreibsilbenstrukturellen Gesetzmäßigkeiten verknüpft werden: Durch die Bestimmung der Silben-

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8 Darstellung der Ergebnisse

anzahl können die Schüler/-innen überprüfen, ob sie in jeder Silbe den obligatorischen Vokalbuchstaben verschriftet haben. Darüber hinaus lässt sie die Lernenden noch in der ersten Klasse auf das regelhafte in der zweiten Silbe stoßen. Da L01 schon in diesen ersten Passagen des Gesprächs mehrfach auf die Erarbeitung von offenen und geschlossenen Silben anhand des „Häuschen mit Garage“ (s. oben) verweist, ist eine genauere Untersuchung dieser Strukturierungsform und der Intention ihres Einsatzes angezeigt. L01 beschreibt die Anlage des Modells folgendermaßen: Also ich habe tatsächlich nur ähm äh also, (-) Haus hat drei Abteilungen, in der Mitte die ähm eben / den Platz für die / für den Vokal und dann ist eben der Silben/ also in der Regel ist ja der Silbenendrand dann leer bei der geöff/ äh offenen Silbe (-) und Garage auch ähm drei. Also ich habe jetzt nicht diese Geschichte mit noch mal Extraklappen und Silbengelenk und so, das/ ich glaube, das wäre ähm äh, also das wäre, glaube ich, verwirrend gewesen (-) für äh, für die meisten Kinder. Also ähm, was, was man ja eben an, an diesen ganz einfachen Häuschen wunderbar sehen kann, ist die offene und geschlossene Silbe und dann eben auch ähm äh das ähm (-) ähm Silbengelenk, also, dass das bei, bei Konsonantenverdoppelung eben wir noch mal einen / also wir haben das immer so ausgedrückt, ähm entweder hat der König eben ganz viel Pla::tz oder das Zimmer ist besetzt und ähm (-) und, und da muss eben auch dann der ähm / wenn man das dann überträgt auf Buchstabensprache, der, der Vokal noch mal gestoppt werden, der braucht noch mal so einen Stopper und äh (-) das kann man eben bei dieser einfacheren Version ganz, ganz gut sehen. (L01, A18)

Wie L03 nutzt sie bewusst nur eine Modellversion, um den Kindern die grundlegende Struktur der offenen und geschlossenen Silbe und auch besondere Fälle wie das „Silbengelenk“ (s. oben) zu verdeutlichen (→L01-4). An dieser Stelle fällt auf, dass sie die Doppelkonsonantenschreibung terminologisch als Silbengelenk ausweist. Da sie letztere auch im Vorangegangenen als „Spezialfall“ (s. oben bzw. L01, A14) der geschlossenen Silbe bezeichnet hat, soll ihr Verständnis dieser Regularität näher beleuchtet werden. Im Interviewteil A finden sich allerdings keine Äußerungen zur sachstrukturellen Fundierung der Silbengelenkschreibung (etwa dazu, was das ‚Gelenkartige‘ dabei ist), sondern lediglich Beschreibungen des für sie leitenden unterrichtsmethodischen Vorgehens. In dem oben angeführten Auszug aus A18 wurde bereits deutlich, dass Wortschreibungen des Strukturtyps 3 in L01s Unterricht mithilfe des Silbenhaus-Modells erarbeitet werden und die Schüler/-innen dabei die Notwendigkeit erkennen

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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sollen, dass das letzte Zimmer des Hauses besetzt bzw. der Vokal „gestoppt“ (s. oben) werden muss. Zu einem späteren Zeitpunkt des Interviews wird dieses Vorgehen von der Interviewerin erneut angesprochen und insbesondere nach den Voraussetzungen der Erarbeitung von Silbengelenkschreibungen gefragt. L01 äußert sich dazu folgendermaßen: Ähm äh schon, also ich habe es eben so gemacht, dass ich, dass ich erst mal ähm / dass die Kinder erstmal (-) offene und geschlossene Silben unterschieden haben, (--) ähm und dann eben äh, (--) dann eben äh festgestellt haben, ja, wenn ich jetzt / äh ähm äh (-) mir fehlt jetzt das Beispiel, genau, wenn ich jetzt ähm Nase schreiben möchte, dann sieht das eben im, im Häuschen so aus und ich habe es offen, was / wie, wie mache ich das jetzt, wenn ich jetzt nasse haben möchte? Das muss ja irgendwie / also der, der Vokal, der muss ja gestoppt werden, der muss kurz werden, aha, dann muss ich das eben verdoppeln und verteile das sozusagen auf die Silben. So haben wir das (-) erschlossen. Also Voraussetzung war eben (-) tatsächlich offene und geschlossene Silben (-) äh zu unterscheiden. (L01, A51)

Auch hier knüpft sie an die schon zu Beginn des Interviews erläuterte Vorstellung von der systematischen, schriftstrukturorientierten Lernprogression an und veranschaulicht im Silbenhaus-Modell auf der Ebene des geschriebenen Wortes, warum eine Verdopplung des nötig ist (→L01-5). Welches sachstrukturelle Verständnis sie in Bezug auf Silbengelenkschreibungen von der Beziehung zwischen gesprochener und geschriebener Wort- und Silbenstruktur besitzt, ist im Interviewteil A nicht klar zu erkennen, zumal sie auch die Thematisierung von offenen und geschlossenen Silben begrifflich nicht eindeutig auf der Ebene des geschriebenen Wortes lokalisiert, geschweige denn zwischen Sprech- und Schreibsilben differenziert. Dennoch gibt ihre Antwort auf die im Leitfaden angelegte Frage danach, über welches Wissen eine Lehrkraft verfügen muss, um so wie L01 zu arbeiten, Auskunft über wesentliche Aspekte der sachstrukturellen Konstituierung der Wortschreibung, die L01s didaktische Orientierungen begründen: ((…)) was ja jeden immer so überrascht, ist äh die, die Tatsache, dass, dass ja wirklich fast alle deutschen Wörter auf diese zweisilbige Struktur zurückzuführen sind, ne, auf den trochäischen Zweisilber. Also betonte Silbe, unbetonte Silbe (-) und damit kann man immer gut Eindruck machen. Also das ist so, ach ja stimmt, das gibt es ja gar nicht, habe ich ja gar nicht gewusst!, und ne, auch, dass die ähm (-) zweite Silbe dann eben das hat, dass ähm / also dieser, ne, die, die Grundstruktur des trochäischen Zweisilbers, denke ich,

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8 Darstellung der Ergebnisse

wäre eben wichtig, ne, offene und geschlossene Silben, ähm Silbengelenk, ähm (-) ich denke, das sind so die, ne, so, so Grund-, äh Grundlagen, um, um ähm zu arbeiten. (L01, A28)

L01 weist den trochäischen Zweisilber somit als Basiseinheit der deutschen Wortschreibung aus, führt daher auch die Unterscheidung von betonter und unbetonter Silbe als ‚wissensrelevant‘ an, um die grundlegenden Strukturen des deutschen Wortes zu analysieren (→L01-6). Dies lässt sich auch anhand einer Interviewpassage veranschaulichen, in der L01 durch die Schilderung einer erlebten Unterrichtssituation Möglichkeiten einer silbenstrukturellen Differenzierung von Dehnungs- und silbentrennendem aufzeigt: ((…)) da habe ich zu, zu diesem äh Dehnungs-, äh zur Dehnungs--Geschichte noch etwas ganz Interessantes, als wir das dann weiter vertieft haben, haben wir dann eben noch mal gesagt, na ja, man hört das [[spricht es als Buchstabennamen]] ja nicht und dann meinte eine Schülerin: Aber bei gehen schon! Also das beim silbentrennenden, meinte sie (irgendwie), da, da hört man das ja schon und bei sehen und dann hat sie eben auch gleich: Aber ach ja, das kommt ja auch / das ist ja auch die zweite Silbe. (L01, A22)

In einigen Redebeiträgen zuvor hatte L01 bereits von ihren Schwierigkeiten berichtet, den Schüler/-innen in der Gegenüberstellung von Schreibungen mit und ohne Dehnungs- (z. B. fühlen – spülen) bewusst zu machen, dass der korrespondierende Vollvokal in der ersten Silbe in beiden Fällen (gleich) lang gesprochen wird und die Schreibung mit Dehnungs nicht oder nur bedingt systematisch zu begründen ist: Und äh, ne, dann sind wir eben darüber dazu gekommen, dass ähm, dass es eben eher eine Ausnahme ist, dass wir dieses haben, und dass es bei ähm / dass das eben durch äh / also das habe ich jetzt einmal so gelesen, dass es eben auch durch die Druck äh / durch den, durch den Druck irgendwann äh, um das eben noch mal zu unterscheiden oder eben dem noch mal so ein bisschen mehr Ausdruck zu verleihen, eben dem langen [yː] bei fühlen, dass das aber eben nicht bei allen Wörtern so ist und dass wir die Wörter eben einfach lernen müssen. Aber es ist eben nicht so, dass die / dass das ü da irgendwie noch länger ist als das andere. Ne, bei der offenen Silbe. (L01, A12)

Sie verweist in diesem Abschnitt zudem darauf, dass das Auftreten des Dehnungs- auf die Position vor beschränkt ist, und gibt in diesem Zusammenhang an, Materialien, in denen Dehnungs- und silbeninitiales vermischt werden, abzulehnen (vgl. ebd.). Inwiefern sich beide Varianten des aus ihrer Sicht in der jeweiligen phonologischen

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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Korrespondenz unterscheiden, ist im Interviewteil A nicht endgültig zu entscheiden. Die von der Schülerin präsentierte Erklärung des silbentrennenden anhand der Position im Anfangsrand der zweiten Silbe und der damit verbundenen ‚Hörbarkeit‘ (s. oben) wird von L01 zumindest nicht zurückgewiesen (→L01-7). Im nun folgenden Teil der Einzelfallanalyse von L01 soll den noch unklaren Aspekten, die L01s Zugriffe auf Wortschreibungen der orthographischen Strukturtypen 3 und 4 betreffen, anhand der Fehlerinterpretationen und -bearbeitungen im Interviewteil B nachgegangen werden. Darüber hinaus soll auch ihr Umgang mit der Unterscheidung von und in Wörtern des deutschen Kernbereichs untersucht werden, die im Interviewteil A nicht von der Lehrerin angesprochen wurde. Die Darstellung erfolgt wie auch in den zuvor präsentierten Fallanalysen in der Chronologie der orthographischen Strukturtypen. Zum vorgelegten Schülerbeispiel B2b, in dem anstelle des in der morphologisch komplexen Wortform Gießkanne nur ein einfaches verschriftet wurde (*), gibt L01 eine knappe Handlungsempfehlung und regt zur Untersuchung der einzelnen Komponenten des Kompositums und zur anschließenden Analyse des Zweisilbers gießen an: ((…)) ja (-) und bei äh Gießkanne/* müsste man eben auch auf die, ähm auf die Komponenten, also gießen und (-) / gut, Kanne hat sie ja äh gut gemacht, aber das gießen eben ähm (-) äh analysieren und da würde man dann sehen, aha, wir haben ein langes [iː] und das lange [iː] wird ja meistens als geschrieben. (L01, B2b.1)

Es ist an dieser Stelle nicht klar zu bestimmen, ob sie in der Formulierung „da würde man dann sehen, aha, wir haben ein langes [iː]“ (s. oben) den Schritt, eine offene Silbe zu erkennen, mitdenkt und lediglich nicht verbalisiert. Ebenfalls offen bleibt, ob aus dem in diesem Kontext verwendeten Verb sehen auf eine Analyse des geschriebenen Wortes bzw. der geschriebenen Silbe zur Ermittlung des korrespondieren Langvokals im Gesprochenen geschlossen werden kann. Mit Blick auf die in Interviewteil A (und auch die weiteren in B) präsentierten Zugriffe auf die Wortschreibung kann dies als wahrscheinlich gelten (→L01-8). L01 verweist in der vorliegenden Sequenz aber auch auf die phonographische Korrespondenz /iː/ – , also eine segmentale Zuordnung. Da L01 die Verlängerung des Wortstamms zu einer zweisilbigen Grundform jedoch als ersten Schritt benennt und deren weitere Analyse fordert, ohne diese weiter auszuführen, ist zumindest implizit von suprasegmentalen Anteilen ihres Zugriffs auszugehen.

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8 Darstellung der Ergebnisse

Anhand von L01s Auseinandersetzung mit den vorgelegten (Fehl-)Schreibungen zum Strukturtyp 3 soll zunächst allgemein untersucht werden, welche sachstrukturellen Vorstellungen von diesen Schreibungen für sie im konkreten Anwendungsbezug des Interviewteils B handlungsleitend sind. Darüber hinaus werden aber auch weitere Hinweise dazu gesucht, worin ihr Verständnis des Silbengelenks – so ihre Bezeichnung für die Doppelkonsonantenschreibung in Interviewteil A – vor allem hinsichtlich der Beziehung zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort konkret besteht. Das in B1 dargestellte Schülerbeispiel zur Schreibung von erweist sich in diesem Bestreben in mehrfacher Hinsicht als aufschlussreich: Zum einen nimmt L01 dort, angeregt durch die präsentierte Äußerung des Schülers zu seinen Schreibzweifeln, eine klare sachstrukturelle Bewertung der phonologischen gegenüber der graphematischen Wortstruktur vor, die sich auch in ihren Vermutungen zur Quelle der Schwierigkeiten des Schülers widerspiegelt. Zum anderen erläutert sie die eigene präferierte Herangehensweise ausführlich und stellt dabei einen eindeutigen Bezug zu den silbischen Strukturen des betrachteten Wortes her. Zunächst einmal gibt sie dem Schüler in dessen Feststellung zur Lautung und deren Beweiskraft für die Schreibung Recht: ((…)) man könnte es auch mit einem (-) schreiben, man hört es einfach nicht in dem Wort, (-) dass es mit Doppel- ist [[liest aus Material vor]] und da hat er natürlich völlig Recht, weil wir sa/ sagen ja nicht [ʃaf.fɛn], sondern wir sagen [ˈʃaf ̣n̩] [[spricht [f] stark gedehnt]], also d/ da ist wirklich nur ein f [[spricht es als Buchstabennamen]] (-) und ähm (--) und das ist eben das, das, das, das große äh Problem, dass, dass wir eben nicht so schreiben, (--) ne, wie, wie man, äh äh wie man spricht, (--) da gibt es ja das schöne Zitat, wenn wir dann eben so erklären, aber schaffen, da hörst du doch zwei , das ist eben unser Wissen, ne, das, das wir haben, dieses äh Zitat, ich weiß nicht mehr von wem, aber wir, wir meinen (-) zu hören, was man eigentlich aber nur schreibt, ne, oder was man nur liest. (L01, B1.2)

In dieser Äußerung entlarvt sie die Vorstellung einer Eins-zu-eins-Übertragbarkeit der Grapheme auf die phonologische Repräsentation des Wortes als ‚wissensvorbelastete‘ Annahme der Schriftkundigen, die aufgrund ihres bereits erworbenen Schriftwissens von einer Abbildung der geschriebenen Segmente in der gesprochenen Wortform ausgehen (→L01-9). ↘ Phänomenebene 1 (zu Strukturtyp 3): Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist an der Schriftstruktur orientiert: Die Lehrperson geht von ei-

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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genständigen Strukturen der Wortschreibung aus, die sie in ihrer Wechselbeziehung zum gesprochenen Wort reflektiert: Geschriebene Segmente stellen eine suprasegmental bestimmte Beziehung zum gesprochenen Wort her.

L01 weist ein Abbildverständnis entschieden zurück, da „wir eben nicht so schreiben, (--) ne, ((…) wie man spricht“ (s. oben), und nimmt an, dass dem Schüler genau diese Einsicht und darüber hinaus das Wissen über die Relevanz der Silbenstruktur noch fehlen: ((…)) offenbar ist ihm aber nicht so, eben, eben nicht so bewusst, (-- dass äh, dass wir eben (-) nicht nach, nicht na/ rein nach dem Gehör schreiben (--) dürfen, sondern, dass es da eben weitere Regeln gibt und (-) und ähm nicht klar ist ihm offensichtlich, dass wir eben das, das a / also die Silbe schließen müssen äh (---) äh nach dem, nach dem a, damit eben der Vokal kurz gesprochen wird. (L01, B1.2)

Sie führt die Unsicherheit des Schülers auf eine fehlgeleitete Vorstellung von der Sachstruktur des Lerngegenstands zurück und führt zur Überwindung dieser Fehlannahme den Einbezug suprasegmentaler, nämlich silbischer Strukturen an. Die Schieflage zwischen Lautung und Schreibung wird daher im Gegenstandsbereich selbst verortet und als ein systematisch erfassbares Zusammenwirken von graphematischen und phonologischen Struktureinheiten dargestellt. L01 demonstriert auf diese Weise, wie silbisch-suprasegmentale Eigenschaften des geschriebenen Wortes lautsprachliche Merkmale – nämlich die Qualitäten und Quantitäten von Vokalen – des gesprochenen Wortes wiedergeben (→L01-10), und erachtet in diesem Zusammenhang den Einsatz des Silbenhaus-Modells als zielführend: ES: Hm, wie müsste man mit dem Schüler, ja, (-) dann am besten arbeiten, (jetzt)? L01: Ja, da könnte man, zum Beispiel, tatsächlich das ähm Häuschen mit Garage ganz gut äh benutzen, glaube ich, dass man einfach vielleicht noch, noch ähm (--) / gerade, gerade beim a ist natürlich auch noch äh die Schwierigkeit, dass (-) ähm anders als bei den anderen (-) Vokalen / [oː] und [ɔ] sind ja wirklich gut unterscheidbar (--) mit äh ähm (--) offen und geschlossen, oder kurz oder lang, äh [uː] und [ʊ] im Grunde genommen auch, ähm [eː] und [ɛ] sowieso, also da, da ist ja wirklich ein gut (-) hörbarer Unterschied und beim a ist es eben, da haben wir eben ja keine andere Mundposition, sondern ich (-) weiß gar nicht (--) / erinnere ich mich jetzt nicht mehr, das habe ich bestimmt im Studium auch noch mal gewusst, aber da ist ja eben die, die, die / der Qualitätsunterschied tatsächlich geringer,

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8 Darstellung der Ergebnisse

also ähm (-) das ist schon ganz schön äh / bisschen mühsam, aber man könnte eben (--) weitere Beispiele (-) ähm heranziehen, (-) auch ruhig mit, denke ich, mit anderen Vokalen und die mal äh in die Häuschen schreiben lassen und dann eben / da wird der Unterschied, glaube ich, sehr gut (--) sichtbar. Das wäre so (---) meine Heran- (-) -gehensweise. Hmhm. (L01, B1.3-4)

Ausgehend von der (schreib-)silbenstrukturellen Analyse können ihren Erläuterungen zufolge die wesentlichen Zusammenhänge zwischen dem geschriebenen Wort und seinem lautlichen Korrelat erfasst werden. ↘ Phänomenebene 2 (zu Strukturtyp 3): Die an der Schriftstruktur orientierte Vorstellung von der Wortschreibung wird im Handlungsbezug aktiviert: Suprasegmentale Beziehungen zwischen dem geschriebenen und gesprochenen Wort stehen im Mittelpunkt. Die Orientierung an der Schriftstruktur ist handlungsleitend.

Erneut nutzt die Lehrerin hierbei eine Formulierung aus dem Lexemverband sehen: Sie gibt an, dass der Unterschied zwischen den graphematischen Strukturen, die einen Langvokal indizieren, gegenüber denen, die einen Kurzvokal anzeigen, durch die Arbeit mit den Häusern gut „sichtbar“ (s. oben) wird. Da die Lehrerin zuvor die Schwierigkeiten der auditiven Differenzierung zwischen langem, gespanntem [ɑ:] und kurzem, ungespanntem [a] beschreibt, scheint die visuelle Strukturierung bzw. der Ausgang vom geschriebenen Wort für L01 einen wirksamen Erarbeitungsweg darzustellen, um davon zur Wahrnehmung der feinen Unterschiede der Vokaleigenschaften im Gesprochenen zu gelangen (→L01-11). ↘ Phänomenebene 3 (zu Strukturtyp 3): Positive Bewertung von silbenorientierten Hilfestellungen, die zur visuellen Erfassung der Vokalquantität an der Schreibung ansetzen: Die Erfassung der Schreibsilbenstruktur wird als wirksame Hilfestellung für die schreibrelevante Differenzierung zwischen Langund Kurzvokalen (und offenen und geschlossenen Silben) betrachtet.

Dennoch fehlt auch in diesem Beispiel die klare begriffliche Kennzeichnung der Strukturanalyse als auf die Schreibsilbe bezogene Untersuchung. Andererseits ist in der eindeutigen Ablehnung einer Überlautung zur Fundierung der Doppelkonsonantenschreibung ein Verständnis dieser graphematischen Regularität zu erkennen, in der die schriftspezifische Markierung an suprasegmentale, interdependente Abhängigkeiten zwischen phonologischen und graphematischen Einheiten geknüpft ist. Um weitere Einsichten in ihren Zugriff auf Wortschreibungen des orthographischen Strukturtyps 3 zu erhalten, können L01s Äußerungen zum

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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zweiten vorgelegten Beispielwort aus diesem Bereich der deutschen Wortschreibung hinzugezogen werden. Die präsentierte Fehlschreibung * vermag die bisher gewonnenen Einblicke insofern zu erweitern, als die Zielschreibung aus fachlicher Sicht Wissen um die besondere Silbengelenkschreibung erfordert und letztere wiederum als morphologisch vererbte Schreibung erkannt werden muss. L01 ordnet die von der Schülerin produzierte Fehlschreibung interessanterweise zunächst hinsichtlich des darin erkennbaren Entwicklungsstandes ein: ((…)) also bei ähm Früstücksei/*, frü.her/[fʀy:hɛʀ] [[spricht [h]]] da / das wäre ja ein, ein ähm (--) silbentrennendes (-) nach dem (--) und dann fehlt eben das ähm , ähm (---) ähm (-) ja, letztendlich ist sie tatsächlich noch beinahe auf, auf einer, äh äh äh beinahe auf so einer alphabetischen (--) Ebene (--) früh also ( ) / wobei immerhin, ne, äh das hat sie schon drauf. (L01, B2a.1)

In dem Verweis auf die ‚alphabetische‘ Ebene lässt sie eine Bezugnahme auf die klassischen Schrifterwerbsmodelle (s. 3.3.1) erkennen; da L01 im Interviewteil A die Parallelität von freiem Schreiben und systematischer Schrifteinsicht als bedeutsame Eigenschaft ihres Schriftsprachunterrichts hervorhebt, kann an dieser Stelle davon ausgegangen werden, dass sie mit der Verortung auf der alphabetischen Ebene vor allem auf ein lautorientiertes Schreiben der Schülerin und die ausschließliche Orientierung an der segmentalen Phonem-Graphem-Zuordnung hindeutet. Ihre Handlungsempfehlung legt sodann auch eine Auseinandersetzung mit den suprasegmentalen Strukturen der morphologisch komplexen Wortform nahe: Ja, das sind ja ähm Komposita, also (--) könnte man dann (-) erst mal (-) gucken, ne, welche, (-) welche Teile hat diese / dieses Wort (-) und dann (-) würde man eben auf früh und Stück und Ei ähm kommen (--) und dann könnte man eben verlängern, ne, früh, frü.her [[hier spricht sie es ohne [h]]], Stück, Stücke, würde dann da eben auch sehen, dass ähm äh, dass äh das zweite eben / also das in, in, in Stück eben ähm (--) äh gebremst werden muss, also dass da äh (-) eine geschlossene Silbe vorliegt, (--) ja (-). (L01, B2a.1)

Die Erläuterungen der notwendigen silbenstrukturellen Einsichten bleiben hier allerdings recht vage: Die Schülerin müsste, so L01, an der zweisilbigen Form Stücke das Erfordernis einer geschlossenen Silbe erkennen. In Rückbezug auf die Äußerungen zur B1-Schreibung kann davon ausgegangen werden, dass das ‚Bremsen‘ des als strukturelles Erfordernis der geschriebenen Hauptsilbe gilt, mit dem die Anzeige eines kurz zu sprechenden Vokals gewährleistet wird. Da L01 in dieser Sequenz

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keine konkreten Handlungsformen und -strategien präsentiert, können diesbezüglich nur die Aussagen zur B1-Schreibung Auskunft geben. Im Vergleich dieser Tendenzen im Interviewteil B mit den im offenen Interviewteil A dargestellten Herangehensweisen ergibt sich ein weitgehend stimmiges Bild: L01s Umgang mit Wortschreibungen des Strukturtyps 3 stellt die strukturelle Analyse der Hauptsilbe in den Vordergrund und präsentiert die Doppelkonsonantenschreibung sowie als strukturelles Erfordernis, um eine geschlossene Silbe und somit die Kodierung von Vokalkürze zu gewährleisten. Da eine Erklärung der Wortschreibung anhand silbischer Strukturpositionen im Interviewteil A auch für Schreibungen des Strukturtyps 4 angedeutet wurde (s. oben), sollen nun die Auseinandersetzungen L01s mit den Fehlschreibungen *, * und * im Bereich des silbeninitialen beleuchtet werden. In dem bereits hinsichtlich der vererbten Silbengelenkschreibung untersuchten Beispielwort Frühstücksei/* bezeichnet L01 das fehlende wie auch schon im Interviewteil A als silbentrennendes und führt dazu die zweisilbige Form früher an, die sie einmal überlautierend mit [h], einmal standardsprachlich ohne [h] artikuliert. Sie liefert in dieser Sequenz jedoch keine weitere Erklärung, sodass die Frage zu L01s Verständnis von der silbentrennenden Funktion und deren Verortung auf graphematischer und/oder phonologischer Ebene hier nicht beantwortet werden kann. Durch die Gliederung des Kompositums und die Verlängerung des Wortstamms zu einer zweisilbigen Form drückt L01 aber die grundlegende Einordnung der Schreibung als morphologische Schreibung aus. Das Wirken von Morphemkonstanz benennt sie schließlich in der nachfolgenden Interviewsequenz zu den Fehlschreibungen * und * (B3) explizit: ((…)) und äh dann ist natürlich (-) wichtig, dass für verblühten/* dann eben auch der / also (-) dass wir eben die, die, die Morphem- äh -konstanz haben und äh wenn ich eben ähm blühen [[spricht [h]]] mit schreibe, dass dann verblüht (-) eben auch mit geschrieben werden muss. (L01, B3.1)

Die Thematisierung der Fehl- und Zielschreibungen * und erweist sich aber auch hinsichtlich der bisher offenen Fragen zu L01s Fachverständnis des silbentrennenden als aufschlussreich. Die Lehrerin formuliert zunächst einige Handlungsempfehlungen zur Erarbeitung der -Schreibung und rät hier konkret zur Verdeutlichung der Position im Wort mithilfe von Silbenbögen oder des Silbenhaus-Modells (→L01-12).

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

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Die Interviewerin lenkt die Aufmerksamkeit der Lehrerin anschließend auf die zusätzlich zur Fehlschreibung präsentierte Äußerung des Schülers: ES: Er sagt ja dann dazu auch noch mal / also wir sch/ haben danach auch darüber gesprochen, warum er das so geschrieben hat (-) und dann sagt er ja, da habe ich auch die Befürchtung, dass da ein [reinkommt, (--)] und sagt dann, ein L01: [ja, süß, Befürchtung] ES: hört man nicht so oft, eigentlich gar nicht, zur Verlängerung oder so, keine Ahnung. [[liest vor]] L01: Ja, (-) ja, also da, da merkt man eben auch, dass ähm, dass, (---) auch sicherlich nachvollziehbarerweise, den Kindern nicht unbedingt klar ist, was ist ein Dehnungs-, also welches (--) ähm höre ich eben wirklich NICHT, (-) ne, wie bei (-) äh äh, (-) ne, spülen und fühlen, so, und ähm wo ist es eben silbentrennend und äh und, und hat eben die Funktion tatsächlich ähm, ne, die Silben zu trennen und die / oder die zweite Silbe eben (-) einzuleiten, so, und ähm (-) und da, (--) da KANN man es (-) zumindest ab und zu mal hören, ne, also äh geh/ [ˈgeː.ən] sagen wir ja auch eher so, aber [ˈgeː.hən], das hört man / also man / ich glaube, dass man tatsächlich beides benutzt, ich weiß es nicht so genau. (L01, B3.2-5)

L01 äußert hier die Annahme, dass Schüler/-innen generell insbesondere die Unterscheidung von Dehnungs- und silbentrennendem schwerfalle und sie daher auch Unsicherheiten bezüglich der Stimmhaftigkeit bzw. Hörbarkeit des offenbaren würden. Die Lehrerin zeigt sich in dieser Stellungnahme jedoch selbst dahingehend unsicher, ob das silbentrennende in der Standardlautung als stimmhaftes [h] realisiert wird oder nicht (→L01-13). Aufgrund seiner Funktion als silbentrennendes, die zweite Silbe einleitendes verweist sie aber auf die zumindest mögliche Artikulation des im Unterschied zum Dehnungs-. ↘ Phänomenebene 1 (zu Strukturtyp 4): Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist an einer schriftinduzierten Lautung orientiert: Die Lehrperson deutet an, dass die Wortschreibung prinzipiell aus den Segmenten des gesprochenen Wortes abgeleitet werden kann, projiziert dabei aber bereits (unbewusst) ihr Wissen über die Schreibung auf die Lautung.

Gefragt nach ihrer eigenen Herangehensweise im Unterricht bestimmt L01 das Auftreten des silbentrennenden anhand der Strukturpositionen der zweisilbigen Grundform:

368

8 Darstellung der Ergebnisse

ES: Hmhm, hm. Was würdest du mit dem Schüler jetzt machen? L01: Ja, ich würde ähm (-) auch erst mal von der, von der Grundform ausgehen, (-) ähm also vom, ne, vom Infinitiv ausgehen und äh (-) und (-) eben vielleicht auch noch mal wieder mit, mit, mit anderen Beispielen vergleichen, also dann vielleicht gehen, sehen (-) heranziehen und noch mal deutlich machen, wann dieses silbentrennende (-) auftaucht, nämlich eher eben zwischen Vokalen, (-) also wenn (-) die erste Silbe mit einem Vokal endet und, und dann eben ähm (-) oder (-) wahrscheinlich auch andere, , aber bei Verben fällt mir das jetzt gerade so, so ein, also folgt, ähm (--) ja, da eben / also anhand von mehreren Beispielen vielleicht eine Systematik deutlich machen und dann eben (--) auf die Morphemkonstanz ähm verweisen, ne, dass das eben eine Familie ist und (--) die sich ähnlich sehen und deshalb auch alle Wörter bis auf Blüte ähm ((lacht)) da ähm (-) / also, dass das dann eben da auch wieder auftaucht. (L01, B3.6-7)

Sie benennt die intervokalische Position des und verweist implizit („wenn die erste Silbe mit einem Vokal endet“, s. oben) auf die damit verbundene Offenheit der Hauptsilbe. Ihre Handlungsempfehlungen beziehen sich also wie auch bei den Schreibungen des Strukturtyps 3 auf eine silbenstrukturelle Analyse des zweisilbigen Wortes, die sie, wie oben bereits angeführt, mithilfe des Einsatzes von Silbenbögen oder dem SilbenhausModell unterstützen würde. Da sie eine segmental-überlautierende phonologische Wortrepräsentation zumindest in Betracht zieht und nicht, wie etwa im Beispiel der Silbengelenkschreibung , als schriftgeleitet zurückweist, sind die unterschiedlichen sachstrukturellen Begründungshintergründe im Bereich der Strukturtypen 3 und 4 in der abschließenden Fallzusammenfassung zu dokumentieren. Es zeigt sich aber insgesamt, dass die fachlichen Unsicherheiten und die Herstellung eines möglichen auditiven Bezugs des die unterrichtsmethodische Erarbeitung dieser Regularität höchstens marginal beeinflussen – im Zentrum steht die strukturorientierte Untersuchung des geschriebenen Wortes (→L01-14). ↘ Phänomenebene 2 (zu Strukturtyp 4): Auf die an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellung von der Wortschreibung wird im Handlungsbezug durch eine Verschiebung des Fokus reagiert: Nicht Einzelsegmente, sondern suprasegmentale Beziehungen stehen im Mittelpunkt. Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung verblasst im Handlungsbezug.

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

369

↘ Phänomenebene 3 (zu Strukturtyp 4): Positive Bewertung von an der Schreibung ansetzenden silbenorientierten Hilfestellungen zur Erfassung einer schreibsilbenstrukturellen Gesetzmäßigkeit: Die Erfassung der Schreibsilbenstruktur wird als wirksame Hilfestellung zur Ermittlung des silbeninitialen betrachtet.

Insgesamt drückt L01 im Interviewteil B für alle behandelten Strukturtypen und darunter fallende Regularitäten der deutschen Wortschreibung (Schreibung, Silbengelenkschreibung, silbeninitiales ) eine grundlegende Erarbeitungsweise aus, die das geschriebene Wort zum Ausgangspunkt der strukturorientierten Arbeit macht und darüber die Bezüge zur Lautung herstellt. Während die Interdependenz zwischen Lautung und Schreibung im Bereich des Strukturtyps 3 explizit benannt und erläutert wird, zeigt sich L01 diesbezüglich im Bereich des Strukturtyps 4 unsicher. Dennoch wählt sie zur Erarbeitung auch dieser Schreibungen den Weg einer systematischen Schrifterschließung und nicht etwa den Ansatz bei der Durchgliederung der (Über-)Lautung (→L01-15). Dass L01 von der Systematik der deutschen Wortschreibung zum einen sachstrukturell überzeugt ist und diese Systematik zum anderen auch als Fundament ihrer schriftsprachdidaktischen Arbeit ansieht, ist in ihren Reflexionen im Interviewteil A bereits zum Ausdruck gekommen. Im Interviewteil B demonstriert sie jedoch auch ein Wissen um die Grenzen dieser Systematik, denn in der Auseinandersetzung mit dem morphologisch vererbten in stößt sie auch auf dessen Nichtberücksichtigung in und ordnet dies als reformbedingte Systemabweichung ein: ((…)) wenn ich eben ähm blühen [[spricht [h]]] mit schreibe, dass dann verblüht (-) eben auch mit geschrieben werden muss. Wobei, glaube ich, tatsächlich ja Blüte ohne geschrieben wird, ne? Und das, das ist zum Beispiel (-) äh natürlich / äh da, da sind dann eben so die Grenzen, ne, und äh da denkt man, Oh:, und was, was soll das?, also das hätte natürlich konsequenterweise bei der Rechtschreibreform damals (-) in den (-) äh (in, in,) / in die ähm / auch gerne mit, mit äh geändert werden können. (L01, B3.1)

Für L01s in den Interviewteilen A und B gezeigten Zugriffe auf die ausgewählten Wortschreibungen im Kernbereich ergibt sich zusammenfassend folgendes Bild:

370

8 Darstellung der Ergebnisse

Tendenz in A und B

Tab. 37 Zusammenfassung der Zugriffe auf Wortschreibungen der Strukturtypen 1, 3 und 4 (L01, A und B) Strukturtyp 1 (hier speziell ) Präsentation eines kombinierten segmentalen und silbenstrukturellen Zugriffs

Strukturtyp 3 (Silbengelenkschreibungen) Präsentation als primär silbenstrukturell begründete Schreibung mit schreibsilbenbasierter Erarbeitungsrichtung (ohne Überlautung)

Strukturtyp 4 (silbeninitiales ) Präsentation als primär silbenstrukturell begründete Schreibung (mit möglicher Überlautung)

In der separaten Betrachtung ihres Umgangs mit morphologisch komplexen Wortschreibungen ergeben sich einige Tendenzen, die an dieser Stelle zusammengefasst werden sollen. Es zeigt sich, dass L01 morphologisch komplexe Schreibungen überwiegend auf das Wirken von Morphemkonstanz zurückführt: Sie verweist in allen besprochenen morphologisch einfachen und komplexen Wortschreibungen der Strukturtypen 1, 3 und 4 zur Begründung der Schreibungen auf eine prototypische zweisilbige Grundform und regt, bezogen auf die Vermittlungspraxis, eine suprasegmentale Analyse an, in der silbenstrukturelle Analysen und das Wissen um morphologische Konstanz ineinandergreifen. Morphologisch komplexe Wortschreibungen werden durchgehend als morphologische Schreibungen ausgewiesen. Im Fall des Strukturtyps 4 denkt L01 in der zweisilbigen Form über eine mögliche segmentale Gleichsetzung von gesprochenem und geschriebenem Wort nach, die Erklärung erfolgt aber dennoch primär suprasegmental, sodass der bei L11 beobachtete Verführungsfall II (Die Ableitung einer zweisilbigen Wortform aus der morphologisch komplexen Schreibung dient der Reaktivierung der (vermeintlichen) 'Hörbarkeit' von geschriebenen Segmenten.) bei L01 nicht wirksam wird. Festgehalten werden kann, dass L01 Wortschreibungen der Strukturtypen 1-5 in zweisilbigen Wörtern, aber auch in morphologisch komplexen Wortformen in Referenz auf die Fuß- und Silbenstrukturen einer zweisilbigen Grundform erklärt.

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

371

↘ Phänomenebene 4: Die Zugriffe auf morphologisch einfache Schreibungen werden auf morphologisch komplexe Schreibungen übertragen: Die Erklärungen beziehen sich konsequent auf zweisilbige Grundformen: Der Bezug auf die Silbenstruktur ist auch im Umgang mit morphologisch komplexen Wortschreibungen präsent.

Im nächsten Schritt soll nun untersucht werden, inwieweit L01s Vorstellung von der Systematik des Lerngegenstands auch die Bewertung und Auswahl von Lehr-Lern-Materialien (Interviewteil C) steuert. Zu Beginn wird dafür die Sequenz zum vorgelegten Inputmaterial C2 ( oder ?) betrachtet. Hier steht L01 dem Vorgehen im Materialauszug – im Hinblick auf die vorangegangenen Äußerungen in A und B – unerwartet kritisch gegenüber. Sie bewertet zwar anfangs die im Material präsentierte Regel Wir schreiben ie, wenn in der 1. Silbe kein weiterer Buchstabe folgt als fachlich richtig, problematisiert sie aber anschließend dahingehend, dass sie die Ausnahmen „wie Tiger und Bibel und Biber und / also (-) eben die, die Wörter mit langem [iː], (-) ähm (-) die äh trotzdem nur mit geschrieben / also die lang gesprochen werden, aber trotzdem nur mit / das haben“ (L01, C2.3) nicht berücksichtigt und aus diesem Grund auch die zweite präsentierte Regel nicht uneingeschränkt gilt. Etwas später räumt sie diesbezüglich allerdings ein, dass die Regeln grundsätzlich genutzt werden könnten, insofern zumindest auf die später behandelten Ausnahmen verwiesen würde. Unter dem Bewertungsmaßstab der sachadäquaten Modellierung zeigt sich L01 mit der farblich unterschiedlichen Markierung der ersten und zweiten Silbe nur bedingt zufrieden: „((…)) also ich finde es schöner, die, die Vokale eben farbig hervorzuheben.“ (L01, C2.5). Eine Begründung dieser Präferenz führt sie an dieser Stelle nicht an. In der weiteren Auseinandersetzung mit den Regeln des vorgelegten Materialauszugs befindet sie deren Vorgabe aus allgemein lehr-lern-methodischer Perspektive für wenig sinnvoll: „Ja, also ich würde immer erst mal versuchen (äh äh) / erst mal entdecken lassen und dann eben nachher erst eine Regel, eine Regel dazu schreiben.“ (L01, C2.9) Zudem erscheint ihr die sprachliche Darstellung der Regeln zu komplex, sodass sie die Einführung des von ihr bevorzugten Vokabulars der offenen und geschlossenen Silbe empfiehlt. Für L01 ist bei der Thematisierung von und entscheidend, dass das „lange [iː] eben in einer offenen Silbe“ (L01, C2.11) steht. Sie sieht in einer entsprechenden begrifflichen Darstellung auch den Vorteil, die sprachlogische Komplexität der Regeln reduzieren zu können. Dem grundsätzlichen Vorgehen, an-

372

8 Darstellung der Ergebnisse

hand der schreibsilbenstrukturellen Wortanalyse die segmentalen Eigenschaften der Lang- und Kurzvokale [iː] und [ɪ] zu erfassen, stimmt sie somit zu, ohne dies allerdings explizit zu benennen (s. zusammenfassend Tab. 38). Eine Übertragung dieser Handlungsorientierung auf L01s Umgang mit der B2b-Fehlschreibung * erscheint grundsätzlich möglich: Dort hatte die Lehrerin zur Zweisilberbildung (gießen) geraten, um durch dessen Analyse das lange [iː] zu erkennen. L01 scheint die suprasegmental-silbenstrukturelle Analyse als grundlegende Vorgehensweise zur Ermittlung und/oder Verdeutlichung von Vokalquantitäten zu betrachten. Tab. 38 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C2 (L01) Materialbeispiel C2 ( oder ?) Bewertungsgegenstände Erklärung: schreibsilbenbasiert Hilfestellung: Silbenfärbung Wortmaterial: prototypisch Empfohlener ergänzender Zugriff

Angelegte Bewertungskriterien fachliche Richtigkeit

sachadäquate Modellierung

zustimmend

eher ablehnend

sprachlogische Komplexität eher ablehnend, empfohlen: Vokabular offene/geschl. Silbe

eher ablehnend eher zustimmend Ergänzung um Bezug zur Vokalquantität und Angaben zu orthographischen Ausnahmen

Diese beobachtbare Tendenz im Umgang mit der -/-Schreibung bestätigt sich auch in L01s Bewertung der Materialauszüge, die sich mit Wortschreibungen des Strukturtyps 3, also Silbengelenkschreibungen, beschäftigen. Ähnlich wie im C2-Beispiel kritisiert L01 die vorgelegte Materialseite C1 (graben – grabbeln) zur Unterscheidung von Lang- und Kurzvokal über die Wahrnehmung der sprechsilbischen Gegebenheiten unter anderem mit Blick auf die sprachlogische Komplexität und den generellen Aufbau: Also wenn ich mir vorstelle, das ist ja für Klasse 4, da kommt dann ein Text, [[liest aus dem Material vor]] Die erste Silbe des Wortes gra-ben endet mit einem langen a. Der Mund bleibt beim Sprechen für einen Augenblick offen., und man nennt sie deshalb, äh deswegen eine offene Silbe, das ist, glaube ich, äh, ne, wenn man sich das / wenn die Kinder sich das durchlesen, da / das verstehen vielleicht (-) zwei aus einer Klasse, (-) also (-) ich glaube nicht, dass das die Kinder erreicht. Also ähm das wäre, zum Beispiel, so eine Seite, (--)

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

373

die würde ich (-) äh erst (-) dann den Kindern präsentieren, wenn wir tatsächlich dazu (-) gearbeitet haben. (L01, C1.2)

Die grundsätzliche Möglichkeit, die Offenheit oder Geschlossenheit anhand der Mundöffnung zu erklären, weist sie hier nicht zurück (→L01-16), sondern problematisiert die Erklärung zunächst nur aus Gründen der sprachlichen Darstellung und des lernmethodischen Aufbaus: Eine solche Erklärung würde sie die Schüler/-innen selbst entdecken lassen bzw. an den Schluss eigener Untersuchungen stellen. In ihren weiteren Reflexionen bezieht sie sich darüber hinaus auf das präsentierte Wortmaterial, in dem stets zwei Wortschreibungen paarig gegenübergestellt werden, die jeweils auf einen langen Vokal (gra-ben) sowie einen kurzen Vokal (grab-beln) in der betonten Silbe verweisen. Unter dem Bewertungskriterium der sachangemessenen Modellierung befindet L01 die Wortauswahl für wenig geeignet, um den thematischen Fokus der Seite aufrechtzuerhalten: Wale, Qualle, (-) schaffen, Hafen, (---) Ratten, raten, also ich finde das äh (-) ähm irgendwie so ein bisschen (--) / mich irritiert jetzt auch, dass es (-) dann eben manchmal Minimalpaare sind und manchmal nicht, und manchmal (--) äh (-) eben immerhin den gleichen Anfangsbuchstaben haben und manchmal eben nicht, also ich / mir ist das so ein bisschen zu sehr durcheinander, also ich glaube, ich würde (-) ähm / ich hätte da gerne (--) Beispiele, bei denen man sich dann auch tatsächlich auf, auf die äh, (-) ne, auf, auf den Silbenübergang konzentriert, ob das jetzt äh äh (---) eben äh offen oder geschlossen ist (---). grabbeln, graben {nachdenklich}, (--) ja, also irgendwie ist mir das Wortmaterial zu durcheinander (-) ähm, ne, das, das würde ich dann tatsächlich einheitlicher machen damit (da dann) / damit die Konzentration auch wirklich auf das ähm auf, auf offen und geschlossen und äh eben doppelt oder (-) ähm (--) Doppelkonsonant oder einfacher Konsonant ist. (L01, C1.4)

Um noch mehr darüber zu erfahren, worin L01 den primären Zweck der Konzentration auf den Silbenübergang sieht und wie sie die präsentierte Unterscheidung von offener und geschlossener Silbe letztlich bewertet, hakt die Interviewerin diesbezüglich nach: ES: Hmhm. Wie ist das mit der Erklärung, jetzt vornean, da meintest du, das ist vielleicht für später? L01: Ja, also es ist ja / ich finde durchaus (-) auch ähm (-), ne, also wir, wir wollen ja auch Sachen benennen und auch über Sachen sprechen, (-) ähm da w/ äh aber ich / also (-) ich finde das we/ wenn das jetzt hier so als Regel präsentiert wird, dann ist mir das zu lang. ((…)) Ähm (-) wie gesagt, vielleicht, (-) vielleicht, wenn man das sozusagen hintenanstellt (--) / [[liest aus

374

8 Darstellung der Ergebnisse

dem Material vor]] die erste Silbe des „gra-ben“ endet mit einem langen a, der Mund bleibt (offen) {nachdenklich}, ja, ähm oder vielleicht ähm äh sich diese (-), diese, diese verschiedenen Merkmale (-) notiert und, und dann zuordnet und, (und, und) eine Tabelle macht und sagt (-) äh ähm offene Silbe, geschlossene Silbe und (-) da Wörter einsortiert und dann vielleicht noch mal guckt, (-) der Mund äh ist geschlossen, der Mund ist offen und so, also dass man so Merkmale (-) vielleicht / also dass man äh mit diesem Text irgendwie / daraus eine Übung / eine Aufgabe (-) erstellt, (--) aber den einfach so zum Lesen zu präsentieren und (-) / ich glaube, da bleibt einfach nicht viel hängen. (L01, C1.6)

Die Gefahr einer schriftinduzierten Aussprache, die die Erklärung der geschlossenen Silbe bei Doppelkonsonantenbuchstaben über die Artikulation u. U. provoziert 126 und die L01 im Interviewteil (Umgang mit Fehlschreibungen) B selbst angesprochen hat, scheint L01 in der Vorgehensweise des Materials nicht zu sehen. In ihren Vorschlägen, die Wörter zunächst nach den angegebenen Merkmalen zu sortieren, knüpft sie allerdings an ihre auch schon in anderen Anwendungskontexten dargestellte Erarbeitungsweise an, nämlich ausgehend von der strukturellen Analyse der Wortschreibung Merkmale ihrer phonologischen Repräsentation zu erarbeiten (→L01-17). ↘ Phänomenebene 3 (zu Strukturtyp 3 im Interviewteil C): Eingeschränkt positive Bewertung von silbenorientierten Hilfestellungen, die zur auditiven Erfassung der Vokalquantität an der Lautung ansetzen: Die Erfassung der Sprechsilbenstruktur wird als ergänzende Hilfestellung für die Differenzierung zwischen Lang- und Kurzvokalen (bzw. offenen und geschlossenen Silben) betrachtet.

Ob bzw. inwiefern sich das Konzept der offenen und geschlossenen Silbe für L01 nicht nur auf die Ebene des geschriebenen, sondern auch die Ebene des gesprochenen Wortes bezieht, bleibt hier offen (vgl. zusammenfassend Tab. 39).

126

Schließlich fordert die Erklärung im Material dazu auf, die erste Sprechsilbe konsonantisch zu schließen, ohne dass klar ist, was dies für die phonologische Repräsentation der zweiten Sprechsilbe bzw. vor allem deren Anfangsrandes bedeutet.

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

375

Tab. 39 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C1 (L01) Materialbeispiel C1 (graben - grabbeln)

Angelegte Bewertungskriterien

Bewertungsgegenstände

sachangemessene Modellierung

Sprachlogische Komplexität

nicht eindeutig

ablehnend

Erklärung: sprechsilbenbasiert Hilfestellung: sprechsilbisch, Mundöffnung Hilfestellung: visuell, Trennstrich Wortmaterial: prototypisch Empfohlener alternativer/ergänzender Zugriff

nicht ablehnend nicht ablehnend eher ablehnend Alternative Erarbeitungsrichtung (Leserichtung): von Untersuchung der Wortschreibung zur Betrachtung der phonologischen Verhältnisse

Eindeutiger fällt ihre Stellungnahme zum Materialauszug C4 aus, in dem das durch Silbensprechen auditiv wahrgenommen und auf diesem Weg die richtige Wortschreibung hergeleitet werden soll. In der darauf bezogenen Gesprächssequenz spricht sich die Lehrerin eindeutig gegen die im Material empfohlene Erarbeitungsweise aus und erneuert ihre schon im Interviewteil B geäußerte fachliche Zurückweisung einer schriftinduzierten Aussprache als Ausgangspunkt der Erarbeitung von Wortschreibungen (→L01-18): ((…)) ja, und das ist eben dieses typische Wir, wir, wir meinen zu hören, was wir, äh was wir eigentlich sehen, weil (-) äh das äh äh Blitze ist kein anderes [ʦ], also der Laut ist nicht anders als bei Zeitung am Anfang des Wortes, (-) ähm, das heißt, man kann das nicht hörbar machen, es ist einfach, es ist ein Doppel-, (--) eigentlich ist es ja ein Doppel- und das, das ist ja auch, glaube ich, wieder durch die Drucker- (-) -tradition, die irgendwie gesagt haben, nee, das sieht doof aus, wenn da (--) zwei nebeneinander stehen, (-) wir machen das / wir bilden das als ab (-) und ähm (-) ja, das ist einfach / das ist schlichtweg (-) falsch, würde ich sagen. (L01, C4.2)

Sie begründet hier, warum eine einzellautorientierte Analyse der intervokalischen Verhältnisse keine Hilfe bei der Schreibentscheidung zwischen und liefern kann: Beide graphematischen Realisierungen repräsentieren den gleichen Laut, die Markierung resultiert laut L01 somit nicht aus einer spezifischen lautsprachlichen Korrespondenz, sondern aus der Funktion eines erwartbaren Doppel-.

376

8 Darstellung der Ergebnisse

↘ Phänomenebene 3 (zu Strukturtyp 3 im Interviewteil C): Negative Bewertung von silbenorientierten Hilfestellungen, die zur auditiven Erfassung der zu verschriftenden Einzelsegmente an der (schriftinduzierten) Lautung ansetzen: Formen der Sprechsilbenisolierung werden als fehlleitende Hilfestellungen für die Ermittlung der zu verschriftenden Doppelkonsonantenbuchstaben betrachtet.

Die Lehrerin formuliert in diesem Gesprächsabschnitt allerdings keinen alternativen Handlungsvorschlag; da sie aber erklärt, das sei die historisch entstandene und schließlich konventionalisierte Darstellung eines ursprünglichen , kann in der Auswertung dieser Gesprächssequenz davon ausgegangen werden, dass sie für das gleiche Erarbeitungsformen wie für die Doppelkonsonanten- und -Schreibung (v. a. in den Interviewteilen A und B) wählen würde (→L01-19): Dabei war stets die Erkenntnis, im geschriebenen Wort eine geschlossene Silbe herzustellen, um auf diese Weise Vokalkürze zu kodieren, handlungsleitend. Tab. 40 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C4 (L01) Materialbeispiel C4 () Bewertungsgegenstand Erklärung: sprechsilbenbezogen + segmental Problematisierung der (möglichen) Überlautung

Angelegtes Bewertungskriterium fachliche Richtigkeit ablehnend Überlautung wird problematisiert.

Ihre Kritik an der Erarbeitung von Wortschreibung ausgehend vom ‚Hören‘ des gesprochenen Wortes untermauert sie auch im dritten vorgelegten Materialauszug: ((…)) ja, eben äh äh hören, wie etwas geschrieben wird, ist, ist ja / ist eben problematisch, ne, also (-) klar, lautgetreue Wörter, da können wir es hören, aber bei anderen (-) nicht, deshalb würde ich darauf gar nicht in einem Merksatz (-) aufmerksam machen, also ähm denn äh, (--) ne, das muss ja immer irgendwie (-) äh (-) verzahnt sein. Also, ich glaube, in der 5. Klasse sollte man sich nicht mehr (-) ähm darauf verlassen, dass man so ähm schreibt, wie man spricht, (-) ähm eben das, das Sprechen in Silben hilft natürlich, nichts zu vergessen, (-) so. (L01, C3.2)

Sie weist in dieser Sequenz unter dem Bewertungskriterium der Erarbeitungsrichtung darauf hin, dass eine einseitige Herleitung der Schreibung aus der gesprochenen Wortform nicht grundsätzlich zielführend ist (→L0120). Unter Einbezug des gesamten Interviews ist es möglich, ihre Formulierung „das muss ja immer irgendwie (-) äh (-) verzahnt sein“ (s. oben) als

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

377

Hinweis auf das interdependente und suprasegmental bestimmte Verhältnis zwischen gesprochener und geschriebener Wortstruktur zu deuten. Trotz ihrer tendenziell kritischen Bewertung des untersuchten Merkkastens räumt L01 ein, dass das Zerlegen von Wörtern in Silben prinzipiell wichtig ist („das braucht man auch immer noch in der 5. Klasse, also die Silbe ist eben, (-) ja, die Basis“, ebd.), und weist darüber hinaus darauf auch auf das Unterstützungspotenzial des Silbensprechens hin: ((…)) das Sprechen in Silben hilft natürlich, nichts zu vergessen, (-) so, (---) ähm (5sec) Silbenbögen, denke ich, ist, ist, ist gut, oder auch Sachen mit Trennstrichen aufzu/ ähm aufzuschreiben, (--) sicherlich auch, auch in der 5. Klasse noch äh gut, um, um äh, um eben an die Silbe heranzukommen. (L01, C3.2)

Sie merkt im Weiteren jedoch einschränkend an, dass die tatsächliche Unterstützung je nach Wortmaterial unterschiedlich ausfällt und eine sprechrhythmische Wortsegmentation nicht zwingend zur Erschließung der richtigen Wortschreibung führt (→L01-21): Wobei das Beispiel eben auch doof ist, weil / es ist ja Robotersprache, also es ist kein, kein ähm (-) kein deutsches Wort (und da haben wir ja) jetzt schon [ʀoː] es ist ja nicht [ʀoːˈboːtɐˌʃpʀɑːxə], oder? Also ʀoːˈbɔṭɐˌʃpʀɑːxə], das heißt, wir haben hier eine offene Silbe, aber dadurch, dass es eben ein fremdsprachiges Wort ist, (-) das, das, das Typische ähm gar nicht dargestellt. (L01, C3.1)

Unter dem Bewertungsmaßstab der sachadäquaten Modellierung bestimmt sie die empfohlene Hilfestellung des silbenrhythmischen Sprechens als ungeeignete Zugangsform, wenn sie an Wörtern vorgenommen wird, die nicht dem prototypischen deutschen Worttyp entsprechen. Darin wird deutlich, dass sie selbst die Segmentation von Wörtern in Silben prinzipiell als wichtigen, aber nicht hinreichenden Schritt bei der Generierung von Wortschreibungen betrachtet: Die Durchgliederung dient vielmehr als Vorarbeit für die strukturelle Wortanalyse. Auf die Relevanz der Unterscheidung von betonter und unbetonter Silbe für die Wortschreibung geht sie in diesem Beispiel allerdings nicht ein.

378

8 Darstellung der Ergebnisse

Tab. 41 Arbeitsprotokoll zum Inputmaterial C3 (L01) Materialbeispiel C3 (Robotersprache)

Angelegte Bewertungskriterien

Bewertungsgegenstände

sachangemessene Darstellung

Erklärung: silbenlautierend

Silbenbezug

ablehnend

Hilfestellung: silbenlautierend

eher ablehnend

Hilfestellung: Silbenbögen Wortmaterial: komplexe, Fremdwörter

Erarbeitungsrichtung

Sprachlogische Komplexität ablehnend

eher zustimmend eher zustimmend

ablehnend

Zum Abschluss der Einzelfallanalyse werden allgemeine Hinweise zur Rolle der Silbe sowie eine differenzierte Übersicht über alle im Gesprächstext von L01 auftretenden Phänomene (s. Tab. 42) dargestellt. Die Silbe als zentrale Bezugsgröße im Umgang mit Wortschreibungen im Kernbereich Die Silbe wird als Türöffner zum Rechtschreiblehren und -lernen von Anfang an dargestellt: L01 präsentiert die Orientierung an der Silbenstruktur als Abwendung von einer zweiphasigen Modellierung des schriftsprachlichen Lernens und Hinwendung zum Rechtschreiblernen von Anfang an, wenngleich sie freies Schreiben und richtiges Schreiben weiterhin nebeneinander stellt (→L01-1). Silbenstrukturen bilden die Grundlage für eine systematische Lehr-Lern-Progression im Bereich der Wortschreibung: Dabei versteht L01 die Unterscheidung von offener und geschlossener Silbe als grundlegende Einsicht in die deutsche Wortschreibung (→L01-2) und verbindet den Einsatz visueller Strukturierungsformen mit dem Anspruch, Lernenden ein auf Einsicht angelegtes Schreibenlernen zu ermöglichen (→L01-3). L01 präsentiert die Silbe als Basis der Wortschreibung und darauf bezogener Lehr-Lern-Prozesse. Sie erklärt anhand der silbischen Strukturpositionen in Hauptund Reduktionssilbe die Wortschreibungen der Strukturtypen 1-5 in zweisilbigen Wörtern, aber auch in morphologisch komplexen Wortformen. L01 nutzt die Berücksichtigung von silbischen Strukturpositionen u. a. auch zur Unterscheidung der -Schreibungen der Strukturtypen 4 und 5 (→L01-7j). Umfassende Wirksamkeit und didaktische Aktivierung des Silbenstrukturbezugs, Schwerpunkt: Leserichtung

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

379

L01 weist die silbenrhythmische Wortgliederung als wichtige Vorarbeit des Schreibens aus, auf deren Basis schreibsilbenstrukturelle Gesetzmäßigkeiten (z. B. der obligatorische Vokalbuchstabe in jeder Silbe, das in der zweiten Silbe) schon beim Erstschreiben umgesetzt werden können (→L01-4). Zentral ist zur Erschließung von Wortschreibungen die Arbeit mit dem Silbenhaus-Modell, das in einheitlicher Gestalt für offene und geschlossene Silben und den Spezialfall der Doppelkonsonantenschreibung genutzt wird (→L01-5) und die Entdeckung der graphematisch-suprasegmentalen Kodierung von Vokalquantitäten unterstützt. Die Zweisilbigkeit und trochäische Betonungsstruktur des Wortmaterials sind dabei handlungsrelevant (→L01-6, L01-19).

Auf die an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellung von der Wortschreibung wird im Handlungsbezug durch eine Verschiebung des Fokus reagiert: Nicht Einzelsegmente, sondern suprasegmentale Beziehungen stehen im Mittelpunkt. Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung verblasst im Handlungsbezug. Silbenstrukturelle Analysen als zielführender Erklärungsansatz Bei Schreibungen des Strukturtyps 4 regt L01 trotz Unsicherheit bzgl. der phonologischen Repräsentation eine silbenstrukturelle Analyse an, die den sequentiellen Aspekt des silbeninitialen herausstellt (→L01-14). Vereinzelt erkennbare Unsicherheiten auf der Ebene des phonologischen Wortes (→L01-14, L01-16) erweisen sich dabei nicht als handlungsrelevant.

Erfassung der Silbengelenkschreibung durch silbenstrukturelle Analysen L01 weist die sachstrukturelle Angemessenheit einer segmentalen Übereinstimmung von graphematischem Wort und seiner lautsprachlichen Repräsentation allgemein und speziell im Bereich des Strukturtyps 3 entschieden zurück (→L01-9, auch in C: L01-18, L01-20). Sie lehnt daher ein (silben-)lautierendes Vorgehen grundsätzlich und speziell zur auditiven Erfassung doppelter Konsonantengrapheme sowie ab. Stattdessen aktiviert sie – unter konsequentem Bezug auf eine zweisilbige (Grund-)Form – einen suprasegmentalen Bezug der Schreibung, in dessen Zentrum die Untersuchung der Schreibsilbenstrukturen steht: Ausgehend von dem zweisilbigen graphematischen Fuß werden die (nötigen) schriftstrukturellen Voraussetzungen zur Kodierung der phonologischen Zielform des Wortes erarbeitet (→L01-10).

Wortschreibungen des Strukturtyps 4 (silbeninitiales ) Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist an einer schriftinduzierten Lautung orientiert: Die Lehrperson geht von einer prinzipiell möglichen Ableitung der Wortschreibung aus den Segmenten des gesprochenen Wortes aus, projiziert dabei aber bereits (unbewusst) ihr Wissen über die Schreibung auf die Lautung. Mögliche Lokalisierung der Diskrepanz auf Schülerbzw. Sprecher/-innenebene L01 zeigt sich bei Wortschreibungen des Strukturtyps 4 unsicher hinsichtlich der Bedingungen des gesprochenen Wortes. Sie verortet die silbentrennende Funktion des intervokalischen nicht eindeutig auf der graphematischen Sprachebene, sondern weist auf eine mögliche phonologische Entsprechung hin (→L01-7, L0113).

Die an der Schriftstruktur orientierte Vorstellung von der Wortschreibung wird im Handlungsbezug aktiviert: Suprasegmentale Beziehungen zwischen dem geschriebenen und gesprochenen Wort stehen im Mittelpunkt. Die Orientierung an der Schriftstruktur ist handlungsleitend.

Phänomenebene 2: Handlungsrelevanz der sachstrukturellen Vorstellung

Lokalisierung der Diskrepanz auf Gegenstandsebene L01 weist auf die sachstrukturell bedingte Diskrepanz zwischen einer von der segmentalen Struktur des geschriebenen Wortes abgeleiteten (Über-)Lautung und der Bezugslautung der Schüler/-innen hin. Sie verortet diese Diskrepanz im Gegenstand selbst, indem sie zum einen explizit auf die Schriftlastigkeit einer segmental hergeleiteten Überlautung, zum anderen auf die Interdependenz zwischen Laut- und Schriftsprache referiert (→L01-9) und das Wirken suprasegmentaler Strukturen hervorhebt (→L01-10).

Wortschreibungen des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen) Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist an der Schriftstruktur orientiert: Die Lehrperson geht von eigenständigen Strukturen der Wortschreibung aus, die sie in ihrer Wechselbeziehung zum gesprochenen Wort reflektiert: Geschriebene Segmente stellen eine suprasegmental bestimmte Beziehung zum gesprochenen Wort her.

Phänomenebene 1: Sachstrukturelle Vorstellung von der Beziehung der Wortschreibung zum gesprochenen Wort

380 8 Darstellung der Ergebnisse

Tab. 42 Ermittelte Phänomenausprägungen für die Lehrerin L01 auf den Ebenen 1-4

8.2 Ermittlung zentraler Zugriffe auf die Wortschreibung anhand von Fallanalysen

381

382

8 Darstellung der Ergebnisse

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster Schon im Zuge der primären Auswertung war zu beobachten, dass sich die individuellen Stellungnahmen zu Wortschreibungen im Kernbereich des Deutschen wesentlich durch die dabei angenommene Beziehung zwischen Geschriebenem und Gesprochenem kennzeichnen. Die Einzelfallanalysen konnten diese Tendenz bestätigen, da sich dort die auf das Verhältnis zwischen der Wortschreibung und dem gesprochenen Wort bezogenen Phänomene als ein wesentliches Abgrenzungskriterium der Einzelfälle erwiesen. Dabei konnte zunächst festgestellt werden, dass alle der für die differenzierten Fallanalysen ausgewählten Lehrer/-innen Unterschiede zwischen dem gesprochenen und dem geschriebenen Wort wahrnehmen und sie in irgendeiner Form im eigenen didaktischen Handeln sowie in Bezug auf das Lernen der Schüler/-innen als bedeutsam erleben. Wie sie diese Unterschiede bezogen auf den Gegenstandsbereich der Wortschreibung einordnen und didaktisch bearbeiten, wurde in den vorangegangenen Einzelfalldokumentationen exemplarisch dargestellt, indem zentrale Phänomene im Umgang mit Schreibungen der Strukturtypen 3 (Silbengelenkschreibungen) und 4 (silbeninitiales ) in ihrer fallspezifischen Gestalt nachgezeichnet wurden. Auf der Phänomenebene 1 wurden die Äußerungen der Lehrenden danach klassifiziert, wie sie die Wortschreibung sachstrukturell, also noch ohne spezifischen Blick auf die Lernenden, fundieren. Hier wurden Phänomenausprägungen ermittelt, die sich grundsätzlich zwischen folgenden Polen bewegen: (a) der Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung, (b) der Orientierung an den eigenständigen Strukturen der Wortschreibung (ggf. in ihrer wechselseitigen Beziehung zur Lautung). Auf der zweiten Phänomenebene wurde wiederum der Zusammenhang zwischen den auf Ebene 1 ermittelten sachstrukturellen Vorstellungen und den konkret auf die Vermittlungssituation abzielenden Zugriffen der Lehrenden hergestellt und ebenfalls zu übergreifenden Ausprägungsmustern abstrahiert. Als für die differenzierte Beantwortung der leitenden Forschungsfragen entscheidendes Instrument erwies sich dabei die Anwendung der Ergebniskategorien (s. 8.1 und 8.2). Mit ihrer Hilfe konnte präzise erfasst werden, unter welchen Bedingungen und auf welche Weise das grundsätzliche Gegenstandsverständnis auch im Anwendungskontext handlungsbestimmend ist oder aber im Anwendungskontext verblasst und einer Verschiebung oder einem gänzlichen Wechsel der Zugriffsebenen und -größen weicht.

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

383

Allerdings wurden in der Anwendung der Ergebniskategorien Fälle sichtbar, in denen zwar eine primäre Ergebniskategorie zugeordnet werden konnte, diese aber gleichzeitig auch Anteile anderer Zugriffsformen offenbarte. Dies trat beispielsweise auf, wenn ein silbenstruktureller Zugriff zwar auf die Analyse des geschriebenen Wortes abzielte, dafür aber eine graphematisch überformte Hyperlautung voraussetzte (vgl. z. B. Einzelfallanalyse L11). Solcherlei – z. T. auch sehr subtil auftretende – Besonderheiten konnten in den Einzelfallanalysen durch die große Nähe zu den verbalen Daten differenziert erfasst, beschrieben und eingeordnet werden. Wenn im Folgenden mit dem Ziel einer Typenbildung übergreifende Muster der gesamten Untersuchungsgruppe identifiziert und dargestellt werden sollen, bedarf es eines Vorgehens, das sich stärker von den Einzeltexten löst. Die interessierenden Äußerungen sind dabei nicht mehr im gesamten Verlauf des Interviews zu beleuchten, sondern gezielt aus denjenigen Textsegmenten herauszugreifen, die die anvisierten Informationen in möglichst hoher Dichte bereitstellen. Mit diesem Ziel wurde ein Merkmalsraum festgelegt, der drei thematisch relativ eng beieinander liegende Merkmale umfasst und mit dem die ermittelten übergreifenden Phänomene auf methodisch transparente und zugleich möglichst ökonomische Art und Weise für die weiteren, noch nicht spezifisch betrachteten Personen der Untersuchungsgruppe nachgezeichnet werden können. Zugleich ist der ausgewählte Merkmalsraum eng an den Kriterien orientiert, die für die Zusammensetzung der Stichprobe leitend waren: Befragt wurden Lehrer/-innen, die im Schriftsprachunterricht nach eigener Auskunft zumindest in Teilen von dem klassischen segmentbasierten Erstzugang zur Schrift abweichen bzw. die Silbe von Anfang an als wichtige Bezugsgröße des Schreibens präsentieren. Wie die weiteren Ausführungen zeigen, können mithilfe der fokussierten Merkmale wesentliche Informationen dazu gewonnen werden, auf welchen Vorstellungen von der Sachstruktur des Wortes und seiner hierachisch organisierten Struktureinheiten (einschließlich der Silbe) die didaktisch-konzeptionellen Orientierungen der Lehrenden fußen. Die Ausprägungen, die in den Einzelfallanalysen auf der Phänomenebene 1 ermittelt wurden, werden im Verfahren der Typenbildung mithilfe von Merkmal 1 erfasst, wie unten ausführlich dargestellt wird. Die auf Phänomenebene 2 untersuchte Handlungsorientierung, die mittels der Dichotomie ist handlungsleitend vs. verblasst im Handlungsbezug abgesteckt wurde, wird mit Merkmal 2 angesteuert. Ihre spezifische inhaltliche Ausprägung wird schließlich durch Merkmal 3, die Klassifizierung der Zugriffe mithilfe der Ergebniskategorien, bestimmt. Auf diese Weise, d. h.

384

8 Darstellung der Ergebnisse

durch die kombinierte Untersuchung von Merkmal 2 und 3, kann für alle betrachteten Fälle erfasst werden, ob eine Ergebniskategorie in ‚Reinform‘ vorliegt (z. B. ein silbenstruktureller Zugang, der auf einer suprasegmentalen Erklärung der Wortschreibung basiert) oder auch Anteile anderer Zugriffsformen enthält (z. B. ein silbenstruktureller Zugang, der auf einer Erklärung mit segmentalen, überlautierenden Anteilen basiert).127 Zugleich kann im Rahmen dieser Untersuchung festgestellt werden, inwiefern sich bestimmte Ausprägungen der drei Merkmale gegenseitig bedingen oder zumindest beeinflussen. Das methodische Vorgehen zur Ermittlung der fallspezifisch zutreffenden Ausprägungen eines Merkmals und die für die Typenbildung ausgewählte Datenbasis wurden im Abschnitt 7.3.2.2 präzise beschrieben. Im Weiteren werden die auf der Basis der dargestellten Materialgrundlage ermittelten Merkmalsausprägungen vorgestellt und die einzelnen Schritte der Typenbildung erläutert. Da der kleinschrittige Prozess der Typenkonstruktion eine relativ komplexe Darstellungsform erfordert, bietet Abb. 31 eine Orientierungsgrundlage, die den Nachvollzug der einzelnen Schritte und damit verbundenen Begrifflichkeiten gegebenenfalls unterstützen kann.

127

Auf eine weitere Modellierung bzw. Verfeinerung der Ergebniskategorien, mit der auch der beschriebene Fall, in dem eine Ergebniskategorie mit Merkmalen einer oder mehrerer anderer Ergebniskategorien korreliert, erfasst werden kann, wurde verzichtet, da eine solche Erweiterung zu einer äußerst komplexen Darstellungsform geführt und die praktische Handhabbarkeit des Instruments deutlich erschwert hätte.

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

1. Fallzuordnung: Ausprägungen von M1 und M2 (strukturtypspezifisch)

2. Merkmalskombination: M1 und M2 (strukturtypspezifisch)

3. Bündelung zu Gruppen (strukturtypspezifisch)

4. Bündelung zu Mustern (M1/M2) (strukturtypübergreifend)

5. Merkmalskombination: Muster (M1/M2) und M3

6. Bündelung zu Mustern_neu

Bei den Gruppen und Mustern handelt es sich lediglich um vorläufige Fallgruppierungen.

385

(M1/M2/M3) Ableitung der Typen I-IV

Abb. 31 Die sechs Schritte der Typenbildung im Überblick

Merkmal 1 (M1): Verortung der wahrgenommenen Diskrepanz zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort Die Untersuchung von Merkmal 1 zeigt, wie die Lehrkräfte das Verhältnis zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort wahrnehmen. In die Analyse werden Schreibungen der orthographischen Strukturtypen 3 (Silbengelenkschreibung, z. B. ) und 4 (silbeninitiales , z. B. ) einbezogen. Dabei zeigt sich, dass die Lehrenden die registrierte Diskrepanz von gesprochenen Wörtern und den ihnen zugeordneten Wortschreibungen unterschiedlich einordnen: - Merkmalsausprägung M1.1: Die Lehrperson weist darauf hin, dass die Unterschiede in der Alltagslautung begründet sind, in der angenommenen und anzustrebenden ‚Hochlautung‘ hingegen nicht auftreten: Schwierigkeiten, die sich bei der Ableitung der Wortschreibung aus den Segmenten des gesprochenen Wortes ergeben, werden auf die ‚unsaubere‘ Alltagslautung zurückgeführt (in nachfolgenden Übersichten zusammengefasst als: Verortung auf der Ebene der Sprecher/-innen (explizit)). entspricht ↘ Phänomenebene 1: Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist an einer schriftinduzierten Lautung orientiert: Die

386

8 Darstellung der Ergebnisse

Lehrperson geht von einer Ableitung der Wortschreibung aus den Segmenten des gesprochenen Wortes aus, projiziert dabei aber bereits unbewusst ihr Wissen über die Schreibung auf die Lautung.

-

Merkmalsausprägung M1.2: Die Lehrperson weist darauf hin, dass die Unterschiede in der Alltagslautung begründet sind, geht aber nicht oder nur in Verbindung mit eigenen Zweifeln auf eine grundsätzlich angenommene ‚Hochlautung‘ ein (zusammengefasst als: Verortung auf der Ebene der Sprecher/-innen (implizit)). entspricht ↘ Phänomenebene 1: Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist an einer schriftinduzierten Lautung orientiert: Die Lehrperson deutet an, dass die Wortschreibung prinzipiell aus den Segmenten des gesprochenen Wortes abgeleitet werden kann, projiziert dabei aber bereits (unbewusst) ihr Wissen über die Schreibung auf die Lautung.

-

Merkmalsausprägung M1.3: Die Lehrperson weist darauf hin, dass die Unterschiede im Gegenstand selbst angelegt sind: Die Vorstellung, dass sich die Wortschreibung aus den Segmenten des gesprochenen Wortes ableiten lässt, wird explizit zurückgewiesen (zusammengefasst als: Verortung auf der Ebene des Gegenstandes). entspricht ↘ Phänomenebene 1: Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist an der Schriftstruktur orientiert: Die Lehrperson geht von eigenständigen Strukturen der Wortschreibung aus, die sie in ihrer Wechselbeziehung zum gesprochenen Wort reflektiert: Geschriebene Segmente stellen eine suprasegmental bestimmte Beziehung zum gesprochenen Wort her.

-

Merkmalausprägung M1.4: Einige Lehrende beziehen keine Stellung (zusammengefasst als: Verortung nicht eindeutig).

Die in die Auswertung einbezogenen 18 Fälle verteilen sich – für die Strukturtypen 3 und 4 separat ausgewiesen – folgendermaßen auf die Merkmalsausprägungen M1.1-M1.3:

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

387

Tab. 43 Strukturtypspezifische Zuordnung der Fälle unter Merkmal 1 Strukturtyp 4 (z. B. ) L04, L05, L06, L07, L09, L11, L12, L13, L14, L15, L16, L17, L18 L01, L08, L10

Merkmal 1: Verortung auf der M1.1: Ebene der Sprecher/-innen (explizit)

Strukturtyp 3 (z. B. ) L05, L11, L12, L14, L17, L18

M1.2: Ebene der Sprecher/-innen (implizit) M1.3: Ebene des Gegenstandes M1.4: nicht eindeutig

L03, L06, L07, L08, L15, L16 L01, L02, L04, L09, L10

L03

L13

L02

Da das Ziel der Typenbildung darin besteht, zu untersuchen, welches Verständnis von der Beziehung zwischen Lautung und Schreibung für die Lehrenden handlungsleitend ist, wird Merkmal 2 (M2) hinzugezogen, das zunächst als globale Annäherung an die formulierten Zugriffe der Lehrenden verstanden werden kann: M2 erfasst die Rolle von überlautierenden Formen im handlungsbezogenen Zugriff auf Wortschreibungen der Strukturtypen 3 und 4. Dieser Schritt soll zeigen, inwiefern sich die unter M1 erfassten Vorstellungen zur Beziehung zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort in den handlungsleitenden Zugriffen widerspiegeln. Dafür wird zunächst allgemein untersucht, ob in den in die Typenbildung einbezogenen Äußerungen der Lehrkräfte Elemente zu identifizieren sind, die auf eine einzelsegmentale, überlautierende Fundierung der Wortschreibung hindeuten. Auch hier werden ausschließlich Schreibungen des Strukturtyps 3 und 4 berücksichtigt. Ausgehend von dem so gewonnenen ersten Überblick und der ersten Gruppierung der Einzelfälle können die Zugriffe auf die Wortschreibungen schließlich differenzierter betrachtet werden. Merkmal 2 (M2): Rolle von überlautierenden Formen im Zugriff auf Wortschreibungen Folgende Merkmalsausprägungen sind zu beobachten: - M2.1: Die Stellungnahmen und ermittelten Zugriffe der befragten Lehrperson zu konkreten Wortschreibungen enthalten überlautierende Formen, für die eine handlungsrelevante Funktion formuliert wird oder erkennbar ist. Hinweise zu den Zuweisungskriterien: Die Erklärungen der Lehrperson enthalten explizite Aufforderungen zum deutlichen Sprechen und Hören von Wörtern in Überlautung. Alternativ genannte (suprasegmentale) Herangehensweisen werden nicht von einer Überlautung losgelöst.

388

8 Darstellung der Ergebnisse

-

Beispiel: „Also (-) bei dem schaf.fen/[ʃaf.fɛn] (-) würde ich das schwingen (-) mit dem (-) gemeinsam. Ich glaube, dann (-) hört er das raus.“ (L14, B1.4) M2.2: Die Stellungnahmen und ermittelten Zugriffe der befragten Lehrperson zu konkreten Wortschreibungen enthalten überlautierende Formen, für die aber keine handlungsrelevante Funktion formuliert wird bzw. erkennbar ist. Hinweise zu den Zuweisungskriterien: Die Lehrperson spricht das fokussierte Wort überlautierend aus, die Überlautungen sind in den (primären) Handlungsempfehlungen zur Erschließung der Wortschreibung jedoch nicht erklärungsleitend. Beispiel: „Genau, das fand ich jetzt auch wieder schwierig gerade, das ist ja (-) blüh/ blühen/*. [bly:ˈhɛn] [[spricht [h]]]. ((…)) da gab es diese Regel, dass sie, (-) dass sie [[die zweiten Silben]] eben NICHT (-) nur auf / mit einem Vokal anfangen, (-) also, dass der Silbenanfangsrand sozusagen ein (-) Konsonant sein muss.“ (L10, B3.3)

-

M2.3: Die Stellungnahmen und ermittelten Zugriffe der befragten Lehrperson zu konkreten Wortschreibungen enthalten keine überlautierenden Formen. Hinweise zu den Zuweisungskriterien: Die Erklärungen der Lehrperson enthalten keine überlautierenden Elemente und weisen letztere gegebenenfalls sogar explizit als fehlleitend zurück. Beispiel: „Bei dem Wort blühen/* oben (--) ähm (--) ist es eben (-) das Komische an dem Wort, dass da zwei unterschiedliche Selbstlaute direkt nebeneinander stehen. Und das ist eben eine Sache ähm, die man (--) im Zusammenhang eben mit (--) ähm (-) Verlängern (-) ähm einführen kann, aber man kann das silbentrennende natürlich auch erst mal genau darüber einführen: Zwei Selbstlaute kommen eigentlich nicht direkt hintereinander vor, (--) also zwei unterschiedliche.“ (L02, B3.1)

Die in die Auswertung einbezogenen 18 Fälle verteilen sich – für die Strukturtypen 3 und 4 separat ausgewiesen – folgendermaßen auf die Merkmalsausprägungen M2.1-M2.3:

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

389

Tab. 44 Strukturtypspezifische Zuordnung der Fälle unter Merkmal 2 Strukturtyp 4 (z. B. ) L04, L05, L06, L07, L09, L11, L12, L13, L14, L15, L16, L17, L18

Merkmal 2

Strukturtyp 3 (z. B. )

M2.1: zugriffsrelevante überlautierende Formen

L05, L11, L12, L14, L15, L17, L18

M2.2: zugriffsirrelevante überlautierende Formen

L03, L06, L08, L16

L01, L08*, L10

M2.3: keine überlautierenden Formen

L01, L02, L04, L07, L09, L10, L13

L02, L03

* Die Lehrerin L08 nimmt im Prozess der Typenbildung eine Sonderrolle ein: Sie problematisiert in den Interviewteilen A und B wiederholt die sehr schwachen sprachlich-kognitiven Voraussetzungen ihrer Schülerschaft und leitet daraus Konsequenzen für die Modellierung der Wortschreibung als Lerngegenstand ab, die z. T. bewusst von ihrem sachstrukturellen Verständnis der Wortschreibung als Fachgegenstand abweicht. In der Auseinandersetzung mit Schreibungen des orthographischen Strukturtyps 4 präsentiert sie zwar einen suprasegmentalen Zugriff mit handlungsirrelevanten überlautierenden Formen, weist diesen aber als zu anspruchsvoll für (schwache) Grundschulklassen aus und deutet einen segmental-überlautierenden Zugriff (im Sinne von M2.1) als mögliche Alternative an. Aus diesem Grund wird L08 im weiteren Verlauf der Typenbildung als Sonderfall betrachtet und in den folgenden Darstellungen der Merkmalskombinationen in Klammern angegeben. Die nur angedeuteten, ‚didaktisch reduzierten‘ Orientierungen für das Lehren und Lernen in der Grundschule im Bereich von Schreibungen des Strukturtyps 4 werden durch doppelte Klammern gekennzeichnet. Da L08s Motive und Begründungen des eigenen Vorgehens höchst aufschlussreiche Informationen in Bezug auf die Fragestellung der vorliegenden Arbeit liefern, wird ihr Fall in einem späteren Abschnitt (s. 8.4.2) gesondert betrachtet. Auf der Grundlage der Fallzuordnungen zu den Ausprägungen der Merkmale 1 und 2 können nun Kombinationen zwischen beiden Merkmalen erfasst werden. Auch dies geschieht zunächst für die Zugriffe auf Wortschreibungen der Strukturtypen 3 und 4 getrennt. Für Schreibungen des Strukturtyps 3 wird folgende Verteilung festgehalten (s. Tab. 45):

390

8 Darstellung der Ergebnisse

Tab. 45 Zuordnung der Fälle unter der Merkmalskombination M1-M2 (Strukturtyp 3) M2 M1 M1.1: Ebene der Sprecher/-innen (explizit) M1.2: Ebene der Sprecher/-innen (implizit)

M2.1: zugriffsrelevante überlautierende Formen

M2.2: zugriffsirrelevante überlautierende Formen

M2.3: keine überlautierenden Formen

L03, L06, (L08), L16

L07

L05, L11, L12, L14, L17, L18 L15

M1.3: Ebene des Gegenstandes

L01, L02, L04, L09, L10

M1.4: nicht eindeutig

L13

Für Zugriffe auf Schreibungen des Strukturtyps 3 ergeben sich demnach: - Gruppe [1] (M1.1+M2.1), die eine (klare) Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung und Zugriffe mit handlungsleitender Überlautung ausdrückt: L05, L11, L12, L14, L15, L17, L18. entspricht ↘ Phänomenebene 2: Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung ist handlungsleitend.

-

Gruppe [2] (M1.2/M1.4+M2.2/M2.3), die eine (unsichere) Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung oder keine klare Stellungnahme ausdrückt, aber Zugriffe ohne (handlungsleitende) Überlautungen präsentiert: L03, L06, L07, L08, L13, L16. entspricht ↘ Phänomenebene 2: Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung verblasst im Handlungsbezug.

-

Gruppe [3] (M1.3/+M2.3), die eine (klare) Orientierung an der Schriftstruktur ausdrückt und Zugriffe ohne Überlautungen formuliert: L01, L02, L04, L09, L10. entspricht ↘ Phänomenebene 2: Die Orientierung an der Schriftstruktur ist handlungsleitend.

Für Schreibungen des Strukturtyps 4 wird wiederum die in Tab. 46 dargestellte Fallverteilung ermittelt.

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

391

Tab. 46 Zuordnung der Fälle unter der Merkmalskombination M1-M2 (Strukturtyp 4) M2 M1 M1.1: Ebene der Sprecher/-innen (explizit) M1.2: Ebene der Sprecher/-innen (implizit)

M2.1: zugriffsrelevante überlautierende Formen L04, L05, L06, L07, L09, L11, L12, L13, L14, L15, L16, L17, L18

M2.2: zugriffsirrelevante überlautierende Formen

((L08))

L01, (L08), L10

M2.3: keine überlautierenden Formen

M1.3: Ebene des Gegenstandes

L03

M1.4: nicht eindeutig

L02

Für Schreibungen des Strukturtyps 4 ergeben sich somit ähnliche Gruppen wie im Bereich des Strukturtyps 3, allerdings mit abweichender Besetzung: - Gruppe [1] (M1.1+M2.1) formuliert eine (klare) Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung und drückt Zugriffe mit handlungsleitender Überlautung aus: L04, L05, L06, L07, L09, L11, L12, L13, L14, L15, L16, L17, L18. entspricht ↘ Phänomenebene 2: Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung ist handlungsleitend.

-

Gruppe [2] (M1.2/M1.4+M2.2/M2.3) formuliert eine (unsichere) Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung oder keine klare Stellungnahme, drückt aber Zugriffe ohne (handlungsleitende) Überlautung aus: L01, L02, L08, L10. entspricht ↘ Phänomenebene 2: Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung verblasst im Handlungsbezug.

-

Gruppe [3] (M1.3+M2.3) besteht aus nur einer Lehrperson, die eine klare Orientierung an der Schriftstruktur ausdrückt und das silbeninitiale als eigenständige Markierung des geschriebenen Wortes ausweist und Zugriffe ohne Überlautung ausdrückt: L03. entspricht ↘ Phänomenebene 2: Die Orientierung an der Schriftstruktur ist handlungsleitend.

Im Vergleich der Gruppierungen der Einzelfälle im Bereich der Strukturtypen 3 und 4 können einzelne Muster identifiziert werden, die im nächsten Schritt zu übergreifenden vorläufigen Mustern gebündelt werden:

392

8 Darstellung der Ergebnisse

Muster I_vorläufig: L05, L11, L12, L14, L15, L17, L18 Die diesem Muster zugeordneten Fälle formulieren Vorstellungen von einer ‚Hochlautung‘, die in den Zugriffen auf Wortschreibungen der Strukturtypen 3 und 4 eine Rolle spielen. Überlautungen bzw. an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellungen von der Wortschreibung sind also im Umgang mit beiden untersuchten Strukturtypen der deutschen Wortschreibung handlungsleitend. In beiden Strukturtypbereichen zur Gruppe [1] zählen: L05, L11, L12, L14, L15, L17, L18. Muster II_vorläufig: L04, L06, L07, L09, L13, L16 Die diesem Muster zugeordneten Fälle drücken im Umgang mit Schreibungen des Strukturtyps 3 entweder eine (klare) Orientierung an der Schriftstruktur oder eine (unsichere) Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung aus, formulieren für diesen Strukturtyp aber Zugriffe, in denen Überlautungen nicht handlungsleitend sind. Für Schreibungen des Strukturtyps 4 wird hingegen eine klare Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung formuliert, die sich in Zugriffen mit handlungsleitender Überlautung ausdrückt. Im ST 3 zur Gruppe [3] und im ST 4 zur Gruppe [1] zählen: L04, L09. Im ST 3 zur Gruppe [2] und im ST 4 zur Gruppe [1] zählen: L06, L07, L13, L16. Muster III_vorläufig: L01, L02, L03, L10, (L08) Die diesem Muster zugeordneten Fälle formulieren eine klare Orientierung an der Schriftstruktur im Umgang mit mindestens einem der beiden fokussierten Strukturtypen der Wortschreibung; in den Zugriffen auf Schreibungen beider Strukturtypen sind Überlautungen nicht handlungsleitend. Im ST 3 zur Gruppe [3] und im ST 4 zur Gruppe [2] zählen: L01, L02, L10. Im ST 3 zur Gruppe [2] und im ST 4 zur Gruppe [3] zählt: L03. (Im ST 3 zur Gruppe [2] und im ST 4 zur Gruppe [2] zählt: L08.)

Um die vorläufigen drei Muster in ihren Begründungszusammenhängen zu erfassen, werden die Zugriffe der Lehrkräfte auf Schreibungen der Strukturtypen 3 und 4 mithilfe der Ergebniskategorien (Merkmal 3) differenzierter untersucht. Es werden stets die dominierenden Zugriffe angegeben. Aufgrund der Anlage der Interviews und der begrenzten Anzahl konkret thematisierter Wortschreibungen ist eine Berechnung von (relativen) Häufigkeiten in dieser Studie nicht zielführend (s. auch 7.3.2). Ein Zugriff gilt stattdessen dann als dominierend, wenn er (a) konsequent in jeder thematisierten Schreibung des jeweiligen Strukturtyps aufgerufen wird und ggf. weitere genannte Zugriffsformen nur ergänzend oder unterstützend angeführt werden, oder wenn er

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

393

(b) zwar nicht in jeder, aber in jeder thematisierten morphologisch einfachen Schreibung des jeweiligen Strukturtyps aufgerufen wird und ggf. weitere genannte Zugriffsformen nur ergänzend oder unterstützend angeführt werden. Eventuelle Unterschiede zwischen den Zugriffen auf morphologisch einfache und komplexe Schreibungen werden zunächst nicht weiter berücksichtigt: Die Typenbildung orientiert sich an allen Äußerungen der Lehrkräfte, die sich auf den Wortstamm oder eine zweisilbige trochäische Grundform beziehen. Weichen die Zugriffe der Lehrenden auf morphologisch komplexe Wortschreibungen von denen auf zweisilbige Grundformen ab, so bestimmen letztere die Zuordnung zur Merkmalsausprägung unter M3. Wenn also L06 beispielsweise einen rein segmentalen Zugriff auf die Schreibung formuliert, das silbeninitiale in hingegen als Dehnungs- ohne Bezug auf eine verlängerte Form, z. B. , einordnet, so ist der rein segmentale Zugriff auf für die Typenzuweisung entscheidend. Ob und unter welchen Bedingungen für morphologisch komplexe Schreibungen deutlich abweichende Zugriffe gewählt werden, wird erst nach der Konstruktion der Typologie für jeden Typ einzeln dargestellt. Dabei zeigt sich, dass auch hier typenintern ähnliche Muster auftreten. Merkmal 3 (M3): Klassifizierung der Zugriffe auf Wortschreibungen der Strukturtypen 3 und 4 Auf der Basis der erarbeiteten Ergebniskategorien ergeben sich folgende Merkmalsausprägungen für M3, die auf beide ausgewählten Strukturtypen gleichermaßen angewendet werden können: - M3.1: Die fokussierten Schreibungen werden auf segmentaler Ebene begründet, d. h. über direkte phonologisch-graphematische Korrespondenzen der Segmente (PGK) innerhalb von angenommenen ‚linearen‘ Phonem- und Graphemfolgen (s. Ergebniskategorie: Erklärung auf segmentaler Ebene, b. graphembasiert/schriftinduziert). - M3.2: Die fokussierten Schreibungen werden auf suprasegmentaler Ebene mit Verweis auf Abhängigkeiten zwischen einander folgenden Segmenten begründet: Fokussiert wird auf die Vokallänge/-kürze, die in suprasegmentaler Abhängigkeit von den nachfolgenden Konsonanten steht (s. Ergebniskategorie: Erklärung auf suprasegmentaler Ebene, a. segmentbezogen). - M3.3: Die fokussierten Schreibungen werden auf suprasegmentaler Ebene mit Verweis auf die Strukturen der Silbe als segmentübergreifende Einheit begründet: Strukturen der Sprech- und/oder

394

8 Darstellung der Ergebnisse

Schreibsilbe sind primärer Bezugspunkt der Erklärung einer Wortschreibung (s. Ergebniskategorie: Erklärung auf suprasegmentaler Ebene, b. silbenstrukturell). Die Ausprägungen des Merkmals M3 werden nun wiederum mit den vorläufig ermittelten Mustern I-III kombiniert, um das dort festgehaltene Zusammenspiel zwischen den sachstrukturellen Vorstellungen vom Lerngegenstand und den globalen Handlungsorientierungen mithilfe der Ergebniskategorien zu spezifizieren. Erneut in getrennter Darstellung der Strukturtypen 3 (s. Tab. 47) und 4 (s. Tab. 48) ergeben sich folgende Fallverteilungen für die einzelnen Erklärungsebenen und ihren Subformen: Tab. 47 Zuordnung der Fälle unter der Merkmalskombination M1/2-M3 (Strukturtyp 3) Vorläufige Muster Klassifizierung der Zugriffe (M3) M3.1: auf segmentaler Ebene: graphembasiert M3.2: auf suprasegmentaler Ebene: segmentbezogen M3.3: auf suprasegmentaler Ebene: silbenstrukturell

Muster I_vorläufig

Muster II_vorläufig

Muster III _vorläufig

L07, L16

(Sonderfall: L08)

L04, L06, L09, L13

L01, L02, L03, L10

L14

L05, L11, L12, L15, L17, L18

Tab. 48 Zuordnung der Fälle unter der Merkmalskombination M1/2-M3 (Strukturtyp 4) Vorläufige Muster Klassifizierung der Zugriffe M3.1: auf segmentaler Ebene: graphembasiert M3.2: auf suprasegmentaler Ebene: segmentbezogen M3.3: auf suprasegmentaler Ebene: silbenstrukturell

Muster I_vorläufig

Muster II_vorläufig

L05, L11, L12, L14, L15, L17, L18

L06, L07, L16 ((partiell: L08))

Muster III _vorläufig

(partiell: L07, L16)

L04, L09, L13

L01, L02, L03, L10 (Sonderfall: L08)

Es zeigt sich, dass die im ersten Schritt ermittelten Muster I und II durch das Hinzuziehen von Merkmal 3 noch weiter unterteilt werden können,

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

395

während sich für Muster III bei Ausblendung des Sonderfalls L08 eine einheitliche Zuordnung bestätigt. Muster I_neu Muster Ia: L05, L11, L12, L15, L17, L18 Überlautungen bzw. an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellungen von der Wortschreibung sind in beiden untersuchten Strukturtypen der deutschen Wortschreibung handlungsleitend. Lediglich die Zugriffe auf Wortschreibungen des Strukturtyps 3 weisen einen Bezug zur Silbenstruktur auf, die Zugriffe auf Wortschreibungen des Strukturtyps 4 sind segmental bestimmt. Muster Ib: L14 Überlautungen bzw. an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellungen von der Wortschreibung sind in beiden untersuchten Strukturtypen der deutschen Wortschreibung handlungsleitend. Die Zugriffe auf Wortschreibungen der Strukturtypen 3 und 4 weisen einen konsequenten segmentalen Bezug auf. Muster II_neu Muster IIa: L06 Überlautungen bzw. an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellungen von der Wortschreibung sind im Bereich des Strukturtyps 4 handlungsleitend. Lediglich die Zugriffe auf Wortschreibungen des Strukturtyps 3 weisen einen Bezug zur Silbenstruktur auf; die Zugriffe auf Wortschreibungen des Strukturtyps 4 sind segmental bestimmt (s. Muster Ia). Muster IIb: L07, L16 Überlautungen bzw. an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellungen von der Wortschreibung sind im Bereich des Strukturtyps 4 handlungsleitend. Es werden segmentbezogene Zugriffe auf Wortschreibungen des Strukturtyps 3 und segmentale Zugriffe auf Wortschreibungen des Strukturtyps 4 formuliert, die um segmentbezogene Anteile ergänzt werden. Muster IIc: L04, L09, L13 Überlautungen bzw. an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellungen von der Wortschreibung sind im Bereich des Strukturtyps 4 handlungsleitend. Die Zugriffe auf Wortschreibungen der Strukturtypen 3 und 4 weisen einen konsequenten Bezug zur Silbenstruktur auf. Muster III_neu Muster IIIa: L01, L02, L03, L10 Überlautungen bzw. an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellungen von der Wortschreibung sind in keinem der beiden untersuchten Strukturtypen der deutschen Wortschreibung handlungsleitend. Die Zugriffe auf Wortschreibungen der Strukturtypen 3 und 4 weisen einen konsequenten Bezug zur Silbenstruktur auf.

396

8 Darstellung der Ergebnisse

(Muster IIIb: Sonderfall L08 Überlautungen bzw. an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellungen von der Wortschreibung sind in beiden untersuchten Strukturtypen der deutschen Wortschreibung nicht zwingend handlungsleitend. Es werden segmentbezogene Zugriffe auf Wortschreibungen des Strukturtyps 3 formuliert (s. Muster IIb); für Schreibungen des Strukturtyps 4 werden lernalterspezifisch variierende Zugriffe segmentaler (s. Muster IIb) oder suprasegmental-silbenstruktureller (s. Muster III) Natur ausgedrückt.)

Auf der Grundlage dieser aktualisierten Mustereinteilung werden schließlich vier Typen festgelegt. Dabei erhält M3, d. h. die Klassifizierung der Zugriffe auf Wortschreibungen der Strukturtypen 3 und 4, das entscheidende Gewicht für die Typenzuweisung, da es die grundlegenden Erklärungsebenen und spezifischen Zugriffsformen erfasst, die im Umgang mit den ausgewählten Strukturtypen der deutschen Kernwortschreibung handlungsleitend sind. In zweiter Instanz wird M2, d. h. die Rolle von überlautierenden Formen im Rahmen der identifizierten handlungsleitenden Zugriffsformen, hinzugezogen und die jeweilige Ausprägungsform von M1 anschließend zur Überprüfung der Übereinstimmungen innerhalb der Typen eingesetzt. Ausgehend von dieser Gewichtung - werden die Teilmuster Ia und IIa zu einem Typen zusammengefasst, weil die ihnen zugeordneten Lehrenden lediglich für Schreibungen des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen) einen Bezug zur Silbenstruktur herstellen und Schreibungen des Strukturtyps 4 (silbeninitiales ) ausschließlich auf segmentaler Ebene (graphembasiert/schriftinduziert) erklären; - werden die Teilmuster IIb und IIIb zu einem Typen zusammengefasst, weil die ihnen zugeordneten Lehrenden Schreibungen des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen) segmentbezogen (ohne handlungsleitende Überlautung) erklären, während sie Schreibungen des Strukturtyps 4 (silbeninitiales ) in erster Linie segmental (mit handlungsleitender Überlautung) bestimmen, ggf. aber eine segmentbezogene Ergänzung in Betracht ziehen (zur besonderen Rolle von L08 s. Abschnitt 8.4.2); - wird das Teilmuster IIc als einzelner Typ betrachtet, weil die ihm zugeordneten Lehrenden für Schreibungen beider Strukturtypen einen Bezug zur Silbenstruktur herstellen, dabei aber für Schreibungen des Strukturtyps 4 eine handlungsleitende Überlautung ansetzen;

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

-

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wird das Teilmuster IIIa als einzelner Typ betrachtet, weil die ihm zugeordneten Lehrenden für Schreibungen beider Strukturtypen einen Bezug zur Silbenstruktur herstellen und Überlautungen dabei keine handlungsleitende Rolle spielen.

Da das ermittelte Teilmuster Ib nur aus einer Lehrkraft besteht, die für Schreibungen beider Strukturtypen einen konsequent schriftinduziertsegmentalen Bezug (mit konsequent handlungsleitender Überlautung) herstellt, wird für sie kein eigenständiger Typ angelegt. Anders als beim ‚Sonderfall‘ L08, der trotz eines besonderen Argumentationshintergrundes in den primären Orientierungsmustern mit den Lehrerinnen des Teilmusters IIb übereinstimmt, lassen sich für L14 keine ausreichenden Übereinstimmungen mit anderen Fällen feststellen, um eine Typenzuweisung vorzunehmen. Da in ihren Ausführungen aber durchaus einzelne Bezüge zu den Merkmalsausprägungen einzelner Typen erkannt werden können, sollen die von L14 gezeigten Zugriffe und Handlungsmuster im Anschluss an die Beschreibung der Typologie vorgestellt werden (s. 8.3.5.1). Dass die Konstruktion der Typologie auf einer inhaltlich relativ begrenzten Datenbasis vorgenommen wurde, wurde im Abschnitt 7.3.2.2 bereits ausführlich begründet. Wie die weiteren Darstellungen in diesem Kapitel zeigen werden, gehen mit den primären Merkmalen der Typenbildung zahlreiche weitere, auch globalere Überzeugungs- und Verhaltensmuster der Lehrenden einher, die somit auch geeignet sind, um die methodische Entscheidung für die Anlage der Typologie zu rechtfertigen. Die Nummerierung der ermittelten und nachfolgend zusammengefassten Typen weicht insofern von den bisherigen Reihenfolgen der Muster ab, als mit Typ 1 diejenigen Lehrkräfte des bisherigen Teilmusters IIb (und IIIb), mit Typ II hingegen diejenigen Lehrkräfte des bisherigen Muster Ia (und IIa) bezeichnet werden. Diese Anordnungsänderung wurde aus Darstellungsgründen vorgenommen: Bezüge auf die Silbenstruktur sind nur für die Fälle, die dem Typ II_neu zugeordnet wurden, nicht aber für die Lehrenden des Typs I_neu handlungsleitend. In der Kombination mit den Merkmalsausprägungen M1 und M2 lassen sich die Kennzeichen des Typs II_neu besonders deutlich von den weiteren ermittelten Typen III (ehemals Teilmuster IIc) und IV (ehemals Teilmuster IIIa) abgrenzen, in denen die Silbenstruktur ebenfalls eine zentrale Rolle spielt. Direkt aufeinanderfolgende Beschreibungen der Typen II, III und IV wurden also mit dem Ziel angelegt, diesbezügliche Unterschiede für den Leser/die Leserin möglichst deutlich herauszustellen. Folgende vier Typen wurden auf der Basis der drei ausgewählten Merkmale bestimmt (Tab. 49):

398

8 Darstellung der Ergebnisse

Tab. 49 Die ermittelten Typen I, II, III und IV in der Übersicht Typ I: L07, L16 + Sonderfall L08 Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist in Bezug auf beide betrachteten Strukturtypen der deutschen Kernwortschreibung an einer schriftinduzierten Lautung orientiert. Bei Wortschreibungen des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibung) verblasst die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung im Handlungsbezug durch die Präsentation suprasegmental-segmentbezogener Zugriffe. Im Bereich des Strukturtyps 4 (silbeninitiales ) sind Überlautungen bzw. an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellungen von der Wortschreibung handlungsleitend: Die Erklärungen erfolgen auf segmentaler Ebene und implizieren graphembasierte Überlautungen. Als mögliche Ergänzungsstrategie werden auch segmentbezogene Ansätze formuliert. Typ II: L05, L11, L12, L15, L17, L18 Die sachstrukturelle Vorstellung von der Beziehung zwischen der Wortschreibung und dem gesprochenen Wort ist in Bezug auf beide betrachteten Strukturtypen der deutschen Kernwortschreibung an einer schriftinduzierten Lautung orientiert. Diese Vorstellung von der Wortschreibung ist im Umgang mit beiden untersuchten Strukturtypen der deutschen Wortschreibung handlungsleitend. Lediglich die Zugriffe auf Wortschreibungen des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibung) weisen einen Bezug zur Silbenstruktur auf, der jedoch häufig mit Handlungsempfehlungen zu einer graphembasierten Überlautung korrespondiert. Wortschreibungen des Strukturtyps 4 (silbeninitiales ) werden ausschließlich auf segmentaler Ebene erklärt und an graphembasierte Überlautungen geknüpft. Typ III: L04, L09, L13 Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist im Bereich des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibung) an der Schriftstruktur, im Bereich des Strukturtyps 4 (silbeninitiales ) an einer schriftinduzierten Lautung orientiert. Bei Schreibungen des Strukturtyps 3 erweist sich die Orientierung an der Schriftstruktur durch die Aktivierung suprasegmental-silbenstruktureller Zugriffe als handlungsleitend. Im Bereich des Strukturtyps 4 werden zwar ebenfalls Bezüge zur Silbenstruktur hergestellt, diese aber mit graphembasierten Überlautungen verknüpft: Die an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellung von der Wortschreibung ist im Bereich des Strukturtyps 4 handlungsleitend. Typ IV: L01, L02, L03, L10 Die sachstrukturelle Vorstellung von der Beziehung zwischen der Wortschreibung und dem gesprochenen Wort ist in Bezug auf mindestens einen der beiden betrachteten Strukturtypen der deutschen Kernwortschreibung an der Schriftstruktur und im zweiten betrachteten Strukturtyp gegebenenfalls an einer schriftinduzierten Lautung orientiert. Überlautungen bzw. an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellungen von der Wortschreibung sind jedoch durch die konsequente Aktivierung suprasegmentalsilbenstruktureller Zugriffe in beiden untersuchten Strukturtypen der deutschen Wortschreibung (Silbengelenkschreibungen, silbeninitiales ) nicht handlungsleitend.

Worin die inhaltliche ‚Spezifizität‘ dieser übergreifenden Merkmale der einzelnen Typen besteht und welche Muster für die weiteren Phänomenebenen 3 und 4, die in den Einzelfallanalysen untersucht wurden, für sie kenn-

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

399

zeichnend sind, soll in ausführlichen Typenbeschreibungen erläutert werden (s. 8.3.1-8.3.4). Dabei kann auch verdeutlicht werden, dass selbst die weitgehend homogenen Merkmalsausprägungen innerhalb der einzelnen Typen sehr unterschiedliche Begründungszusammenhänge aufweisen können. Im Folgenden werden daher die primären Merkmale jedes ermittelten Typs differenziert beschrieben und anhand von besonders prägnanten Zitaten aus den Interviews veranschaulicht. Kuckartz (2014) schlägt in diesem Zusammenhang u. a. die Montage einschlägiger Interviewpassagen aus den einzelnen zugeordneten Fällen zur „Konstruktion eines Modellfalls“ (ebd., S. 130) als eine zulässige Variante der typologischen Textinterpretation vor, durch die die Merkmalsausprägungen eines Typs tiefergehend dargestellt werden können. Die folgenden Ausführungen orientieren sich an diesem Verfahren, das, wie Kuckartz (2014) selbst hervorhebt, keine künstliche Konstruktion eines ‚Idealtyps‘ darstellt, denn „die polythetischen Typen und ihre Position im Merkmalsraum stehen ja bereits vor der typologischen hinterleuchteten Textinterpretation fest“ (ebd., S. 130). Da auch in der vorliegenden Arbeit polythetische, also induktiv aus dem ausgewählten empirischen Datenmaterial ermittelte Typen gebildet wurden, sind die den Typen zugewiesenen Einzelfälle einander hinsichtlich des fokussierten Merkmalsraums zwar sehr ähnlich, aber nicht völlig identisch. Die Motive und Begründungshintergründe der einzelnen Lehrkräfte fallen daher durchaus unterschiedlich aus. In besonderer Weise kommt dies im Fall von L08 zum Ausdruck (s. unten). Im Weiteren gilt es daher, in erster Linie diejenigen Merkmalsausprägungen vorzustellen, die typenintern weitgehend homogen sind und wesentliche Eigenschaften zur Abgrenzung von den anderen Typen demonstrieren. Dabei sollen aber auch die in den gemeinsamen Merkmalen sichtbar werdenden Unterschiede nicht außer Acht gelassen werden; vielmehr geht es darum, sie im Rahmen der primär herausgearbeiteten Ähnlichkeiten zu reflektieren und innerhalb des Merkmalsraums einzuordnen. Aus diesem Grund sind die folgenden Typenbeschreibungen nicht konsequent als Konstruktionen von ‚Modellfällen‘ umgesetzt, sondern stellen z. T. auch unterschiedliche Ausprägungen eines Orientierungs- oder Verhaltensmusters innerhalb des Typs nebeneinander dar, führen also Ausprägungsvarianten verschiedener Einzelfälle zu einem Themenbereich an. Punktuell werden Abweichungen zwischen den Einzelfällen auch deshalb dargestellt, weil in den Abweichungen wiederum zentrale Gemeinsamkeiten sichtbar werden. Daraus ergibt sich letztlich, dass zwar nicht alle beschriebenen Einzelausprägungen für

400

8 Darstellung der Ergebnisse

alle Fälle des spezifischen Typs zutreffen, ihr übergreifender ‚gemeinsamer Nenner‘ jedoch stets für die gesamte Fallgruppe gilt. Auch wenn Schreibungen des Strukturtyps 1 und dabei insbesondere Schreibungen mit nicht zum Gegenstandsbereich der Typenbildung zählen, werden die darauf bezogenen Zugriffe in den Typenbeschreibungen berücksichtigt, da sie als sekundäre, d. h. „von der Zugehörigkeit zur Typologie abhängige Merkmale“ (Kuckartz 2014, S. 125) verstanden werden. Die Erklärungen, die die Lehrenden in Bezug auf die Fehlschreibung * (Inputbeispiel B2b) zur notwendigen -Schreibung liefern, werden hingegen aus der Darstellung ausgeschlossen, da sie in der Mehrheit der Fälle relativ knapp und zuweilen so undifferenziert ausfallen, dass in ihnen keine klaren Zugriffstendenzen erkannt werden können. 8.3.1

Typ I: Schlüsselstellung der Vokalquantität  L07, L08, L16 ((…)) sie müssen lange und kurze Vokale (-) ähm (-) unterscheiden können. (L07, A63)

Konstitutiv für den ermittelten Typ I ist, dass die Zugriffe auf Wortschreibungen im Kernbereich grundlegend von dem Bezug auf die Vokallänge bzw. -kürze geprägt sind. Für die ihm zugeordneten Einzelfälle kann beobachtet werden, dass die Lehrkräfte in ihren Äußerungen zu den Wortschreibungen der Strukturtypen 3 (Silbengelenkschreibungen) und 4 (silbeninitiales ) Vorstellungen von der Wortschreibung andeuten, die an einer schriftinduzierten Lautung orientiert sind. Teilweise geben sie zwar diesbezügliche Unsicherheiten zu erkennen, in allen Interviews ist (im Interviewteil A und/oder B) jedoch 1. in mindestens einer Gesprächssequenz zu Wörtern der Strukturtypen 3 und 4 Anzeichen für die Annahme einer generellen Übereinstimmung von Segmenten des gesprochenen und geschriebenen Wortes und die Begründung erlebter Abweichungen mit der ‚Ungenauigkeit‘ der Alltagslautung vorzufinden; 2. in keiner Textsequenz eine explizite Zurückweisung einer sachstrukturellen Gleichsetzung von phonologischen und graphematischen Segmenten innerhalb des deutschen Wortes zu ermitteln.

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

401

Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist an einer schriftinduzierten Lautung orientiert: Die Lehrpersonen gehen von einer grundsätzlich gültigen oder prinzipiell möglichen Ableitung der Wortschreibung aus den Segmenten des gesprochenen Wortes aus, projizieren dabei aber bereits (unbewusst) ihr Wissen über die Schreibung auf die Lautung.

Dies äußert sich auf unterschiedliche Weise128: (1) Die Lehrkräfte geben zu den Strukturtypen 3 und 4 an, dass eine für die jeweilige Schreibung vorausgesetzte Bezugslautung, in der alle geschriebenen Segmente eins zu eins wiedergegeben werden, von den Schüler/-innen nicht erwartet werden kann. In der sprachlichen Feinanalyse einzelner Interviewpassagen fällt auf, dass die Lehrerinnen dabei häufig Formulierungen wählen, die die sprachlichen Voraussetzungen der Lernenden in den Vordergrund stellen. Zur Veranschaulichung dieser Beobachtung dient folgende Äußerung von L07: Also dieses [ham] ((klatscht)) (-) [mɛr] ((klatscht)), (---) warum kann man nicht sagen: [ha] (-) [mɛr]? Also ich / (--) das ist, (-) ist ein Weg, den ich bisher (-) öfter gewählt habe und aber gemerkt habe, jetzt gerade in der Förderung, in der Einzelförderung (-) mit (-) kleineren Gruppen, dass ich das (-) äh / (---) dass das (-) irgendwie nicht so logisch ist, für die KINder, finde ich. (L07, A49)

L07 problematisiert in dieser Sequenz zunächst ganz allgemein, dass eine Silbensegmentation im Bereich der Doppelkonsonantenschreibung unterschiedliche ‚Lösungsvarianten‘ zulässt. Sie beschreibt anschließend eigene unterrichtliche Erfahrungen mit einer Herangehensweise, die die (angenommenen) phonologischen Einzelsegmente in den Vordergrund stellt, und fällt diesbezüglich ein negatives Urteil (s. dazu ausführlich: 8.2.1). Im Nachtrag merkt sie an, dass die genannte Zugriffsweise nicht so logisch „für die KINder“ sei. Diese Ergänzung ist aus folgendem Grund aufschlussreich: Sie kann als Hinweis darauf gedeutet werden, dass eine Herangehensweise, die auf die ‚Hörbarkeit‘ zweier intervokalischer Konsonanten setzt, aus L07s Sicht zwar für Schreiblernende nicht zielführend ist, für Schriftkundige aber eine schlüssige Erklärung darstellt. Die Annahme, dass die Lehrerin im didaktischen Anwendungskontext zu einer (unbewussten) Identifikation ihres schriftgelenkten Blicks gelangt, vermögen weitere Passagen aus dem Interview mit L07 und auch analoge Beobachtungen zu den Zugriffen von L16 zu stützen (s. unten).

128

Für L08 gelten die folgenden Beschreibungen nur bedingt (s. dazu 8.4.2).

402

8 Darstellung der Ergebnisse

(2) Dass sich die Lehrenden hinsichtlich des tatsächlichen Verhältnisses zwischen graphematischen Strukturen und ihren phonologischen Korrelaten unsicher zeigen, wird in Formulierungen deutlich wie „Man HÖRT tatsächlich nicht unbedingt, ob ein Doppel- drin vorkommt“ (L07, B1.4) oder „obwohl man es natürlich auch durch Verlängern irgendwie hören KÖNnte, ne?“ (L08, B2a.1): Die Abtönungspartikel und die Akzentuierung des konjunktivisch gebrauchten Modalverbs können demonstrieren, dass sich die Lehrerinnen zur sachstrukturellen Adäquanz einer segmentalen Gleichsetzung des gesprochenen und geschriebenen Wortes nicht eindeutig verhalten. (3) Die Lehrerinnen beschreiben die ungenaue Aussprache, die sich im alltäglichen Sprachgebrauch der Schüler/-innen beobachten lässt, als grundsätzliches Problem. Diese Problematik wird allerdings nur für den Bereich des Strukturtyps 4 angeführt, was in einem (engen) Zusammenhang mit den dazu formulierten Zugriffen betrachtet werden kann (s. unten). (4) Die Lehrerinnen produzieren im Umgang mit den behandelten Schreibungen selbst überlautierende Wortformen. Ein wesentliches Kennzeichen des I. Typs ist, dass die beobachtete Tendenz zu einer segment- und an einer schriftinduzierten Lautung orientierten Konstituierung der Wortschreibung didaktisch nicht oder nur ‚notgedrungen‘ handlungsleitend ist. In den einbezogenen Interviewsequenzen zeigt sich – mit Ausnahme von L08, die hier aufgrund ihrer sehr spezifisch begründeten schriftdidaktischen Ausrichtung ausgeklammert werden muss (s. 8.4.2) –, dass die Lehrenden aus den erlebten Schwierigkeiten mit einem Ansatz, der die ‚Hörbarkeit‘ bestimmter Markierungen in der Schrift in den Fokus stellt, einen grundlegenden Bedarf an Handlungsalternativen ableiten. Sie weisen für gelingende Lehr-Lern-Prozesse andere Zugänge als die Anregung einer rein segmentalen Worterschließung als bedeutsam aus. Dabei kritisieren sie die häufige Orientierung des Recht-

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

403

schreibunterrichts an Formen der Sprechsilbensegmentation und an Empfehlungen zur deutlichen Aussprache der doppelten intervokalischen Konsonanten.129 Stattdessen erachten sie die Fokussierung auf die quantitativen Merkmale des betonten Vokals als angemessenere Herangehensweise. L16 legt beispielsweise in der Auseinandersetzung mit dem Inputbeispiel zu im Interviewteil B (Umgang mit Fehlschreibungen) folgende Vorgehensweise nahe: ((…)) bei mir würde ich jetzt eben sagen / würde ich den Kindern sagen, und das a ist ganz schnell, der König ist (-) ganz schnell gesprochen, das ist eben / wir haben ganz oft geübt, wie hört er sich an, wenn er lang ist, langsam ist, dann ist es eben ein [ɑ:] und sonst ist es ein [a]. (L16, B1.6)

In der Zusammenschau aller zur Typenbildung herangezogenen Gesprächspassagen kristallisiert sich für Typ I eine Schlüsselstellung der Wahrnehmung von Vokalquantitäten für erfolgreiche Lehr-Lern-Prozesse im Bereich der Wortschreibung heraus. L08 bringt dies in der Auseinandersetzung mit den Fehlschreibungen im Interviewteil B auf den Punkt: Das ist ja immer das Gleiche irgendwie, es geht immer darum, das genau zu hören und entsprechend (--) zu reagieren beim Schreiben. (L08, B2a.1)

Das ‚genaue Hören‘ bezieht sich dabei, wie in den vorangegangenen Beschreibungen des Typs I bereits hervorgehoben wurde und sich im Kontext der hier angeführten Äußerung von L08 erneut bestätigt, nicht auf die Erfassung aller einzelnen (konsonantischen) Segmente und die Produktion von Überlautungen, sondern auf die auditive Wahrnehmung der Vokalkürze, die im Beispielwort (Frühstücksei) eine Markierung durch indiziert. Die Schlüsselrolle eines segmentbezogenen Zugriffs auf Wortschreibungen aus dem deutschen Kernbereich wird auch insofern deutlich, als

129

L07 sieht die Problematik der Silbensegmentation im Bereich des Strukturtyps 3 darin, dass die Schüler/-innen beim Klatschen der Silben nicht zwangsläufig zwei intervokalische Konsonanten artikulieren, sondern auch Formen wie [ʃa.fɛn], in denen der betonte Vokal trotz offener erster Silbe kurz gesprochen wird, bilden (vgl. L07, B1.4). L16 führt wiederum die Erfahrung an, dass Schüler/-innen den betonten Vokal beim Silbensprechen tendenziell lang aussprechen, die Aufforderung zur deutlichen Silbensegmentation also zu einer Verfälschung der standardsprachlichen Lautung führen kann. In diesem Fall sieht sie die phonologische Durchgliederung von Wörtern in Silben nicht als Hilfe bei der für die Wortschreibung bedeutsamen Ermittlung von Vokalquantitäten (vgl. L16, B1.6).

404

8 Darstellung der Ergebnisse

sich in den Äußerungen der Lehrkräfte des Typs I immer wieder, auch im Bereich von Schreibungen anderer Strukturtypen, Formulierungen in der Art von „muss man hören“ finden lassen, sich diese aber stets auf die Länge oder Kürze von Vokalen beziehen, so z. B.: -

„((…)) das ist ein kurzes [ʏ], (--) das muss man eigentlich hören (--) und dann (-) folgt ein “ (L07, B2a.1);

-

„ES: L08:

-

„Na ja, also hören / (-) man kann das ja hören“ (L16, A30).

Wie ist es dann [mit dem , (--) wie macht ihr das dann? [muss man hören.“ (L08, B2b.6-7);

L07 und L16 unternehmen z. T. sogar Versuche, diese Schlüsselstellung auch für den Umgang mit Schreibungen des Strukturtyps 4 fruchtbar zu machen, indem sie das silbeninitiale – zumindest ergänzend zur segmentalen Durchgliederung des Wortes – an den vorangehenden Langvokal binden: „Frühe [[spricht [h]]] / (--) langes [y:] (-) und dann Frü.he [[spricht [h]]]“ (L16, B2a.1). In der Zusammenführung aller Einzelzugriffe auf Wortschreibungen der in den Interviews fokussierten Strukturtypen, hier also einschließlich Schreibungen des Strukturtyps 1 (), ergeben sich schließlich folgende Kennzeichen für den ermittelten Typ I: Bei der Anwendung der Ergebniskategorien auf die Zugriffe, die die Lehrenden für Wortschreibungen mit ausdrücken, wird für alle dem I. Typ zugeordneten Einzelfälle übereinstimmend die Referenz auf die regelhafte Korrespondenz zwischen dem Graphem und dem Phonem /iː/ ermittelt. In den Handlungsempfehlungen steht die Wahrnehmung von Vokallänge bzw. -kürze im Vordergrund. Wortschreibungen des Strukturtyps 1/: Die Lehrpersonen präsentieren eine phonembasierte Erklärung anhand der Phonem-Graphem-Zuordnung /iː/ – (segmentale Erklärungsebene).

Im Bereich von Schreibungen des Strukturtyps 3 kann eine eindeutige Orientierung an der amtlichen Regelung identifiziert werden: Die von den Lehrkräften geschilderten Zugriffe fokussieren auf die Vokalkürze und damit einhergehende Konsequenzen für die Schreibung. Die hinreichenden Bedingungen einer Doppelkonsonantenschreibung bzw. einer Schreibung mit oder , etwa die Bindung der Regelung an den Wortstamm, werden dabei nicht expliziert. Dies mag insofern der Unmittelbarkeit der Interviewsituation geschuldet sein, als die Lehrenden bestimmte Ausführungen mit Blick auf das angenommene Vorwissen der Forscherin nicht

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

405

verbalisiert, sondern in den Äußerungen bereits ‚mitgedacht‘ haben könnten. Alternativ könnte auch das konkret bearbeitete Wortmaterial dafür verantwortlich sein, dass Präzisierungen ausgeblieben sind. Möglichweise laden nur bestimmte morphologisch komplexe Schreibungen (z. B. kannte gegenüber Kante) dazu ein, zusätzliche handlungsrelevante Informationen zur Erschließung der Schreibung anzugeben. In den separat aufgeführten Beobachtungen zum Umgang der Lehrerinnen mit morphologisch komplexen Schreibungen (s. unten) werden allgemeine Handlungsorientierungen im Bereich von Kompositaschreibungen erläutert. Wortschreibungen des Strukturtyps 3/Silbengelenkschreibungen: Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung verblasst im Handlungsbezug durch die Aktivierung eines suprasegmental-segmentbezogenen Zugriffs: Schlüsselstellung der Vokalquantität.

Im Bereich von Wortschreibungen mit silbeninitialem (Strukturtyp 4) äußern die Lehrerinnen eine generelle Unzufriedenheit mit den von ihnen genutzten Zugriffen, die unter anderem an eigene sachstrukturelle Unsicherheiten und didaktische Unerfahrenheit geknüpft sind. So erleben sie die Diskrepanz zwischen gesprochener und geschriebener Wortrepräsentation in diesem Bereich besonders deutlich („Eigentlich sag/ sollte man [bly:hɛn] [[spricht [h]] sagen, aber (-) wer tut das schon?“, L07, B3.1), stufen die Zugänglich- und Erklärbarkeit der Regularität grundsätzlich als schwierig ein („Frühstücksei/*, (---) also dass früh hinten mit (-) geschrieben wird, ist schwierig, glaube ich, (-) zu erklären“, L08, B2a.1) und räumen eigene fachdidaktische Wissensdefizite ein: Das ist auch schwer, dieses , das weiß ich auch, (--) und ich weiß auch, das Deut/ Leute, die Deutsch richtig gelernt haben, die können den Kindern das wahrscheinlich auch ganz toll beibringen, weil dieses dann irgendwie / offene Silbe und oder wie heißt das, weiß ich nicht, das kann ich nicht. (L16, B3.1)

Die beschriebenen lehr-lernprozessbezogenen Schwierigkeiten im Bereich des Strukturtyps 4 können für alle drei Lehrerinnen festgestellt werden, wenngleich bei ihnen teilweise sehr unterschiedliche Begründungshintergründe sichtbar werden. Während L16, wie im oben angeführten Zitat deutlich wird, nach eigener Auskunft kein differenziertes Wissen zu einer silbenstrukturellen Erklärung der Schreibung besitzt, verfügt L08 zwar über ebendieses Wissen, hält es aber nicht für geeignet, um es für eine sehr schwache Schülerschaft didaktisch aufzubereiten (s. dazu 8.4.2). L08s Unsicherheit besteht also in erster Linie darin, einen lerneradäquaten Zugriff zu finden („weil ich auch (-) da jetzt kein didaktisches (-) Rezept

406

8 Darstellung der Ergebnisse

habe“, L08, B3.2). L07 bewertet die -Schreibung in morphologisch einfachen und komplexen Schreibungen insgesamt als „nicht so leicht“ (L07, B3.1). Ebenfalls kennzeichnend für Typ I ist schließlich die Art und Weise, wie die Lehrenden die problematisierten Rahmenbedingungen in ihren Handlungsempfehlungen aufgreifen: Alle dem Typ I zugeordneten Lehrerinnen setzen – infolge der Unsicherheiten gewissermaßen ‚notgedrungen‘ – auf Zugriffe, die Schreibungen des Strukturtyps 4 als orthographische Konventionen einstufen („das würde ich fast so unter (-) Merkwörter einsortieren“, L08, B2a.1) und/oder auf die (zu trainierende) ‚Hörbarkeit‘ des beim deutlichen (Silben-)Sprechen bauen: Wörter sammeln, (-) wo äh eben (--) das / das drin vorkommt und an ganz vielen Beispielen äh das (-) trainieren und üben, (--) sodass man es dann eben (-) hör/ deutlich hört. (L16, B3.1)

Die Lehrerinnen weisen z. T. explizit darauf hin, dass sie die gewählte Herangehensweise nicht als ideal empfinden, ihnen aber keine alternativen Problemlösungen zur Verfügung stehen. Möglicherweise rufen sie auch aus diesem Grund den zusätzlichen Bezug zur Vokalquantität ab (s. oben). Wortschreibungen des Strukturtyps 4/silbeninitiales : Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung ist handlungsleitend: Es werden graphembasierte Erklärungen auf segmentaler Ebene präsentiert (Training der ‚Hochlautung‘) und um den Bezug zur Vokallänge ergänzt.

Kenntnisse zur Funktionalität des silbeninitialen drücken sie, abgesehen von der möglichen Deutung als (additive) Markierung des betonten Langvokals, nicht aus. Dennoch deuten sich auch in diesem Bereich Bemühungen der Lehrerinnen an, Ausweichstrategien gegenüber einer rein segmentalen und unbewusst schriftinduzierten Fundierung der Schreibung zu finden. Bezüge zu den silbischen Strukturpositionen werden hierbei nicht bzw. nur implizit130 hergestellt. Für die ausgewählten Bereiche der Wortschreibung im Kernbereich des Deutschen ergeben sich somit folgende Zugriffstendenzen:

130

Es kann insofern von einer impliziten Orientierung an wort- und silbeninternen Strukturpositionen gesprochen werden, als die Lehrkräfte ihre Zugriffe z. T. auf zweisilbige Wortformen zurückführen, in denen das geschriebene ‚hörbar‘ wird. Zwar benennen sie die damit verbundene intervokalische Position des nicht selbst, sie machen sie sich jedoch zur Erklärung der Regularität zunutze.

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

407

Tab. 50 Zusammenfassung der Zugriffe: Typ I Strukturtyp 1 (hier speziell )

Strukturtyp 3 (Silbengelenkschreibungen)

Strukturtyp 4 (silbeninitiales )

Präsentation als primär segmental begründete Schreibung

Präsentation als primär segmentbezogen begründete Schreibung (ohne handlungsleitende Überlautung)

Präsentation als segmental und (additiv) segmentbezogen begründete Schreibung (mit handlungsleitender Überlautung)

Eine separate Betrachtung der Zugriffe auf morphologisch einfache und morphologisch komplexe Schreibungen ergibt für Typ I keine eindeutigen Muster. Es zeigt sich lediglich, dass die Lehrerinnen zur Erklärung der -Schreibung im Kompositum Gießkanne und der -Schreibung im Kompositum Frühstücksei nicht notwendigerweise auf eine zweisilbige Grundform referieren: Die Ermittlung der Vokallänge bzw. -kürze im Wortstamm, der, wie oben dargestellt wurde, jedoch nicht explizit als solcher erwähnt wird, wird von ihnen als grundsätzlich ausreichend dargestellt, um „entsprechend (--) zu reagieren beim Schreiben“ (L08, s. oben). In Bezug auf die Ergebniskategorien kann dies als Tendenz zu einem phonologisch motivierten Zugriff auf Kompositaschreibungen der Strukturtypen 1 und 3 bewertet werden. Im Bereich des Strukturtyps 4 tritt dies hingegen nur einmal auf: L07 bezeichnet das morphologisch vererbte in unmittelbar als Dehnungs- und stuft Wörter dieses Formats als Merkwörter ein (↘ Verführungsfall I131). In allen anderen Fällen wird das silbeninitiale ausgehend von einer zweisilbigen Grundform beschrieben. Dabei dominiert der Verführungsfall II: Die zweisilbigen Grundformen dienen der Reaktivierung der ‚Hörbarkeit‘ des silbeninitialen . Die bis hierhin dargestellten weitgehend homogenen Merkmalsausprägungen des Typs I werden im folgenden Kasten noch einmal zusammengefasst. Die Lehrkräfte des Typs I vereint ihr primärer Bezug auf die Ebene der Lautung zur Erarbeitung von Wortschreibungen im Grundschulunterricht. Dabei legen sie – wenn möglich – den Fokus auf die Erkennung von Vokalquantitäten und setzen

131

Phänomene, die innerhalb eines ermittelten Typs nur einzelfallspezifisch auftreten, werden im Weiteren in Analogie zu den Einzelfallanalysen mit diagonalem Pfeil gekennzeichnet. Bei Phänomenen bzw. Merkmalsausprägungen, die für alle einem Typ zugeordneten Fälle zutreffen, wird auf diese Kennzeichnung verzichtet.

408

8 Darstellung der Ergebnisse

sich z. T. kritisch mit einem segmentalen Zugriff auf Schreibungen der Strukturtypen 3 und 4 auseinander, ohne diesen explizit als schriftinduziert auszuweisen. Worin ihr grundlegendes Verständnis der Wortschreibung als Fachgegenstand besteht, ist nicht klar erkennbar. Es zeigt sich jedoch (mit partieller Ausnahme von L08), dass die Typ-I-Lehrerinnen die Annahme eines einzelsegmentalen Abbildverhältnisses der Wortschreibung zum gesprochenen Wort grundsätzlich als nicht zielführenden Ansatz für orthographische Lehr-Lern-Prozesse empfinden. Ihre Zugriffe lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Wenn eine Schreibung als von der Länge oder Kürze des betonten Vokals abhängige Kodierung verstanden wird, nutzen die Lehrkräfte eine segmentbezogene Erklärung mit daraus resultierenden (suprasegmentalen) Ableitungen für die dem Vokalgraphem folgenden konsonantischen Grapheme; ist dies nicht der Fall, wird der Zugriff auf direkte Phonem-Graphem-Zuordnungen aktiviert. Im Bereich des Strukturtyps 4 kann der Rückgriff auf direkte Phonem-Graphem-Zuordnungen auf der Basis einer schriftgeleiteten Überlautung gewissermaßen als ‚Notressource‘ verstanden werden, die sich aus fehlender oder nicht genutzter sachanalytischer Struktureinsicht und/oder fehlenden didaktischen Handlungsalternativen ergibt. Im Bereich morphologisch komplexer Wortformen überwiegen phonologisch motivierte Zugriffe. Wird diese Herangehensweise als nicht hinreichend empfunden, dienen zweisilbige Wortformen der Reaktivierung von Formen der segmentalen (überlautierenden) Worterschließung.

Wie die Lehrerinnen des Typs I die präsentierten Zugriffe konkret umsetzen und welche Unterstützungsformen dabei zentral sind, soll im Weiteren veranschaulicht werden, indem die Motive und Aktivierungsbereiche der genannten Hilfestellungen zum Umgang mit Wortschreibungen näher beleuchtet werden. 132 Da die Lehrkräfte der Identifikation von Lang- und Kurzvokalen eine zentrale Bedeutung für die Generierung von (orthographisch korrekten) Wortschreibungen beimessen, soll zunächst gezeigt werden, wie sie den Aufbau dieser ‚Schlüsselkompetenz‘ didaktisch unterstützen. Anschließend wird auf die Angaben der Lehrenden zur Handlungsrelevanz silbischer Strukturierungsformen eingegangen. In der vertiefenden Auseinandersetzung mit den auf die Vokalquantität fokussierenden Zugriffen fällt auf, dass die Lehrerinnen die Entwicklung der dafür notwendigen auditiven Differenzierungsfähigkeiten durchaus als

132

Es handelt sich bei diesem Schritt um eine vertiefende Betrachtung einiger der bereits beschriebenen Eigenschaften des Typs I, d. h., die spezifische Untersuchung der Hilfestellungen bezieht sich nicht auf gänzlich neue Aspekte, schließlich stellen die mithilfe der Ergebniskategorien klassifizierten Zugriffe ein Zusammenspiel der gegenstandsnahen Oberkategorien dar (s. 7.3.2).

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

409

anspruchsvolle Aufgabe erleben, insbesondere für diejenigen, die von sich aus nicht das entsprechende Sprachgefühl mitbringen: ((…)) zu überlegen, ob das ein langer oder ein kurzer Selbstlaut ist, (ist) schon auch schwierig, (-) einfach weil das Sprachgefühl nicht so da ist. (L08, A57)

In den von ihnen geschilderten Fördermaßnahmen erweist sich das gesprochene Wort dennoch als Ausgangspunkt aller genannten Hilfestellungen, mit denen die Ableitung der notwendigen Konsequenzen für das geschriebene Wort unterstützt werden soll. Im Fokus stehen Trainingsformen, die der Stärkung auditiver Fähigkeiten zur Unterscheidung von Langund Kurzvokalen dienen. Beispielhaft steht dafür das von L08 dargestellte Vorgehen: Also das haben wir auch (-) vom ersten Schuljahr an geübt, zu hören, also zu unterscheiden, ob das (-) Gummiband oder Karate, ((schmunzelt)) (-) also lang oder kurzes a, (-) da haben wir immer diese Bewegungen gemacht. (L08, A73)

Unterrichtsmethodische Zugänge des I. Typs beziehen sich demgemäß vorwiegend auf die phonologischen Eigenschaften des betonten133 Vokals und das – z. T. bewegungsgestützte – Training ihrer auditiven Wahrnehmung. Andere Bezugsebenen und -größen zur Förderung dieser Schlüsselkompetenz werden nicht oder (im Fall von L16, s. unten) nur punktuell aktiviert. Ob bzw. inwieweit eine übertrieben deutliche Artikulation von langen und kurzen Vokalen als hilfreich empfunden wird, wird von den Lehrerinnen divergent bewertet (im Unterschied zu L08 lehnt L16 besonders deutliches (Silben-)Sprechen entschieden ab, da es ihren Erfahrungen zufolge unabhängig vom jeweiligen Wort zu einer langen und gespannten Aussprache des betonten Vokals führt). Generell kann für Typ I aber festgehalten werden, dass die Anregung des (genauen) Sprechens und Hörens von Wörtern in erster Linie dem Zweck dient, das Bewusstsein der Schüler/-innen für die unterschiedlich klingenden Vokale im Gesprochenen zu stärken. Bisweilen artikulieren sie dabei auch – vermutlich als unbewusste Projektion schriftsprachlicher Strukturen – konsonantische Einzelsegmente überlautierend (s. oben).

133

Die Angabe des betonten Vokals stellt eine Ergänzung der Verfasserin dar, die der Präzisierung der von den Lehrenden betrachteten Bezugseinheit dient; die Lehrkräfte des Typs I weisen selbst nicht auf die (relevante) Unterscheidung von betonten und unbetonten Vokalen hin.

410

8 Darstellung der Ergebnisse

Da die Schlüsselstellung der Vokalquantität im Bereich von Wortschreibungen des Strukturtyps 3 ausdrücklich an Schreibreaktionen geknüpft ist, die über das Einzelsegment hinausgehen, trägt sie bei der Übertragung der identifizierten Vokaleigenschaften auf die Ebene des geschriebenen Wortes zur Aktivierung suprasegmentaler Strukturen bei. Im Weiteren soll daher speziell auf die Funktion eingegangen werden, die die Lehrkräfte der Silbe als suprasegmentale Einheit des Wortes beimessen. Für diesen Untersuchungsaspekt kann für Typ I folgende übergreifende Tendenz festgehalten werden: Die Silbe wird vorwiegend zur Silbenlautierung beim Schrifteinstieg eingesetzt. Die Angaben, die die Lehrerinnen zum didaktischen Beitrag der Silbe machen, weisen dabei enge Verknüpfungen mit grundlegenden konzeptionellen Prämissen ihres Handelns auf, die später genauer untersucht werden sollen (s. 8.4.1). Im Typ I beziehen sich silbenorientierte Hilfestellungen und Unterstützungsinstrumente überwiegend auf die gesprochene Silbe, die als überschaubare Einheit und Fokussierungshilfe beim Wortschreiben dabei hilft, - „sich das [[Wort]] in so kleine Portionen (--) zu teilen beim Schreiben“ (L08, A105); „die Trefferquote, (-) die Buchstaben zu finden oder auch zu hören“ (L16, A14), zu erhöhen; - „die (--) Vokale (--) deutlich zu machen“ (L07, A43) und konsonantische Skelettschreibungen zu vermeiden. Die Zerlegung von Wörtern in Silben wird jedoch nicht nur als eine Erleichterung des lautierenden Schreibprozesses von Schriftsprachanfänger/-innen betrachtet, sondern auch als eine wichtige Maßnahme, um den Lernenden ‚von Anfang an‘ ein Bewusstsein für regelhafte Wortstrukturen zu vermitteln (vgl. L07, A43; L08, A21; L16, A14). Unter letztere fallen, soweit in den Äußerungen der Lehrerinnen erkennbar, allerdings hauptsächlich die obligatorisch zu verschriftenden vokalischen Silbenkerne. Die Lehrerinnen des Typs I präsentieren diese Vokalkern-Regel in den Interviews als wichtiges Handwerkszeug, das den Lernenden im anfänglichen lautorientierten Schreiben Orientierung und Struktur gibt: ((…)) in jedem Boot [[als Visualisierung der Silbe]] muss ein König sitzen, äh (-) ein König darf auch alleine sein, (-) aber ein Diener / das haben die Kinder sich ausgedacht, Diener, es war nicht mein ((lacht)) / die Diener äh (-) dürfen nicht alleine sitzen, dann gluckert das Boot unter. (L16, A10)

Eine Unterscheidung zwischen den Vokalkernen der Haupt- und Reduktionssilbe wird dabei nicht getroffen.

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

411

Dass die Leistung der Silbe primär im Rahmen einer einzelsegmentorientierten Gegenstandsannäherung, die die Lehrerinnen des Typs I im schriftsprachlichen Anfangsunterricht anregen, präsentiert wird, zeigt sich schließlich auch in ihren Beschreibungen zum Einsatz von Formen der visuellen Silbenstrukturierung: Das Setzen von Silbenbögen beim Schreiben oder auch beim Überprüfen von geschriebenen Wörtern wird in erster Linie zur Unterstützung des lautierenden Schreibens eingesetzt. Es soll das Risiko verringern, „Buchstaben zu vergessen“ (L08, A63). Dabei steht das einzelne Segment weiterhin im Vordergrund und die Silbe wird als Lautund Buchstabenkette ohne Einbezug prosodischer Merkmale präsentiert (siehe Textsequenz aus L07, A13 zur Schreibung von Apfel, 8.2.1). Lediglich L16 offenbart neben der Funktion der Silbenbögen, das lautierende Schreiben zu unterstützen, auch Ansätze einer suprasegmentalen Betrachtungsweise: Um den Lernenden die Konsequenzen zu veranschaulichen, die sich aus der Wahrnehmung der Vokalkürze in Wörtern des Strukturtyps 3 für die Wortschreibung ergeben, nutzt sie die Visualisierung über ‚Silbenboote‘: ((…)) ja, wir nennen das Bötchen, ne, so da, und da kommen / also das sind Silben und dann auch (-) natürlich Übungen, wie viele Bötchen hat ein / also dass man genau hinhört, wie viele sind da und ähm dass man so (-) dem Wortklang, ja, oder genau / immer genauer hinhört und auch immer genauer hört, wer ist da so alles drin, das ist der Anfang und jetzt äh beim Rechtschreibtraining AUCH, also wenn man Doppelkonsonanten (-) übt, dann äh / ((…)) und ähm (-) jetzt haben wir eben die Silben bei den Doppel- (-) -konsonanten, dass ähm wenn sozusagen der König am Ende vom Boot sitzt, dann kann da n/ können da nicht zwei hin, also dann ist der ja auch langsam und (lang) und dann sitzt dann sitzt da nur ein (-) Diener als Nächstes in der anderen, so, (-) und (-) wenn das anders ist, dann ist er schnell und dann (-) muss der Diener da mit rein, so (-) irgendwie. (L16, A26)

Auch in anderen Sequenzen des Gesprächs mit L16 zeichnen sich Versuche eines stärkeren Einbezugs silbenstruktureller Merkmale in den Umgang mit Wortschreibungen ab und die generelle Suche nach dem funktionalen Wert der Silbenstruktur für die Wortschreibung. Dafür, dass die handlungsleitende Funktion silbenorientierter Hilfestellungen auch für L16

412

8 Darstellung der Ergebnisse

weitgehend auf den Bereich des lautierenden Erstschreibens (und teilweise auch des Erstlesens134) beschränkt ist, spricht letztlich die Tatsache, dass alle Lehrerinnen des Typs I im Anforderungskontext des Interviewteils B, d. h. im Umgang mit den vorgelegten Fehlschreibungen zum sowie zu den Strukturtypen 3 und 4, keine Handlungsempfehlungen liefern, in denen silbenorientierte Hilfestellungen eine Rolle spielen. Randstellung silbenorientierter Hilfestellungen im Handlungsbezug bzw. im Kontext des ‚orthographischen‘ Lehrens und Lernens: Die Silbe als Bezugsgröße des lautierenden (Erst-)Schreibens Die schriftsprachbezogenen Hilfestellungen, die die Lehrkräfte im konkreten Umgang mit Wortschreibungen anführen, fokussieren auf die Wahrnehmung von Vokalquantität und beziehen sich vordergründig auf auditive Trainingsformen, die die Eigenschaften der Vokallänge und -kürze besonders hervorheben. Zur Unterstützung der Wortschreibung werden in erster Linie deutliches Sprechen, kontrastierende Bewegungen sowie visuelle Markierungen von Lang- und Kurzvokalen angeregt. Die Silbe wird insgesamt v. a. als Bezugsgröße des lautierenden Erstschreibens betrachtet, deren Leistung primär darin gesehen wird, dass sie eine für Schreibanfänger/-innen gut handhabbare Größe besitzt und das lautierende Schreiben durch die Vokalkern-Regel sinnvoll unterstützt. Auch visuelle Strukturierungen von Silben wie das Setzen von Silbenbögen unter geschriebene oder zu schreibende Wörter sind an einzellaut- und einzelbuchstabenorientierte Herangehensweisen geknüpft. In den Äußerungen zum weiterführenden Schreiben bzw. der Auseinandersetzung mit Schreibungen der Strukturtypen 1, 3 und 4 weisen die Lehrerinnen ihr keine handlungsleitende Rolle zu.

In der Zusammenfassung ergeben sich für Typ I folgende Hauptmerkmale: - eine zumindest in der Vermittlungspraxis zu Schreibungen des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen) beobachtbare Berücksichtigung des interdependenten Verhältnisses zwischen dem gesprochenen und geschriebenen Wort; - eine tendenzielle Gleichschaltung von segmentaler Struktur des gesprochenen und geschriebenen Wortes im Bereich des Strukturtyps 4 (silbeninitiales ) durch die Verknüpfung des mit einem Lautwert [h];

134

L07 und L16 weisen auch auf den didaktischen Wert der Silbe für das Erstlesen hin, beschränken sich in ihren Ausführungen aber darauf, dass die Silbe für Leseanfänger/-innen eine überschaubarere und besser greifbare Einheit als das ganze Wort darstellt. Prosodische Eigenschaften und aus der Wortstruktur ableitbare Leseanleitungen werden dabei nicht angesprochen (vgl. L07, A43; L16, A26).

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

413

das gesprochene Wort als Ausgangspunkt der Gegenstandsfundierung und der schriftsprachlichen Fördermaßnahmen, sodass die Schreibrichtung (vom gesprochenen zum geschriebenen Wort) stets handlungsleitend ist. Mit den vorangegangenen Beschreibungen wurden die zentralen Merkmalsausprägungen des Typs vollständig erfasst. In den folgenden Abschnitten 8.3.1.1 und 8.3.1.2 sollen ausgewählte Aspekte, die im Zusammenhang mit dem Merkmalsraum der Typenbildung stehen, einzeln beleuchtet werden. Die weiterführenden Analysen beziehen sich dabei - auf die allgemeinen Vorstellungen von der Lehr-Lern-Progression zum Lerngegenstand Wortschreibung; - auf die fallübergreifenden Bewertungstendenzen im Interviewteil C. Die von den Lehrkräften explizierten konzeptionellen Positionierungen und deren Übereinstimmungen (‚Passung‘) mit den gezeigten Handlungsorientierungen werden erst nach der Beschreibung aller einzelnen gebildeten Typen ausgewertet und hinsichtlich ihrer typenbezogenen Verteilung beleuchtet (s. 8.4). Gleiches gilt für das Problembewusstsein, das die Lehrenden in Bezug auf schriftsprachliche Lehr-Lern-Prozesse ausdrücken. -

8.3.1.1

Vorstellungen von der schriftsprachlichen Lehr-Lern-Progression (Typ I)

In der Beschreibung der zentralen Merkmalsausprägungen von Typ I (s. oben) kamen bereits erste ‚allgemeinere‘ Vorstellungen zum Wortschreibenlehren und -lernen zum Vorschein: Es konnte gezeigt werden, dass die Lehrerinnen des Typs I sowohl auf Formen lautierender Zugänge zum Wortschreiben als auch auf segmentübergreifende Zugriffe verweisen. Es wurde außerdem deutlich, dass die Lehrpersonen relativ klare Vorstellungen davon besitzen, wann welche Zugriffsweise im Umgang mit Wortschreibungen geeignet ist. Geschärft werden können die Begründungszusammenhänge der angeführten Merkmale anhand der globaleren Äußerungen zur konzeptionellen Anlage schriftsprachlicher Lehr-Lern-Prozesse. Diese wurden im Rahmen der inhaltsanalytischen Arbeit mithilfe von inhaltlich strukturierenden Kategorien zum Kompetenzbereich Schreiben und seinen Subdomänen (Textschreiben, Richtigschreiben) sowie zum Einsatz und zur Reflexion von Lehr-Lern-Materialien erfasst (s. Anhang E). Der Einbezug weiterer Kodierungen, die in der Typenbildung nicht berücksichtigt wurden, die die konkreten Zugriffe auf Wortschreibungen aber

414

8 Darstellung der Ergebnisse

in einen globaleren Zusammenhang stellen können, bestätigt die bisher beobachteten konzeptionellen Orientierungspunkte: Alle Einzelpersonen, die dem Typ I zugeordnet wurden, beschreiben ein grundsätzliches Nacheinander von lautierendem Erstschreiben und weiterführendem ‚orthographischen‘ Schreiben. In allen Äußerungen zu diesem Themenbereich wird eine klassische Zweiteilung des schriftsprachlichen Lernens ausgedrückt, wenngleich die Lehrerinnen – in unterschiedlicher Intensität – von der Notwendigkeit überzeugt sind, den Lernenden ‚von Anfang an‘ ein Regelbewusstsein zu vermitteln. Dabei wird das strikte Nacheinander bisweilen sogar gelockert (vgl. v. a. L16); wie oben dargestellt wurde, beschränkt sich die Auseinandersetzung mit regelhaften Strukturen von Wortschreibungen im Anfangsunterricht aber weitestgehend auf die Erarbeitung der obligatorischen vokalischen Silbenkerne in geschriebenen Wörtern. Eine grundsätzliche Zweiteilung von einzellaut- bzw. einzelbuchstabenorientiertem Erstschreiben und phänomenorientiertem Rechtschreiblernen ist in allen Typ I zugeordneten Einzelfällen klar erkennbar. Die folgende Themenmatrix (s. Tab. 51), die im Zuge der inhaltsanalytischen Arbeit zu den hier fokussierten allgemeineren Oberkategorien erstellt wurde, demonstriert die Vernetzung der Handlungsorientierungen im Umgang mit Lehr-LernMaterialien mit dieser grundsätzlichen Anlage schriftsprachlicher LehrLernprozesse:

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

415

Tab. 51 Globalere Handlungsorientierungen der Typ-I-Lehrenden Richtigschreiben und freies Schreiben

Auswahl und Nutzung von Lehr-Lern-Materialien

L07

- Zeitliche Nachordnung des Richtigschreibens gegenüber lautierendem Erstschreiben, aber von vornherein Anregung eines Bewusstseins der Lernenden für richtiges Schreiben (vgl. A9, A35) - Phänomenorientierung im Bereich Richtigschreiben (vgl. A67)

L08

- Zeitliche und generelle Nachordnung des Richtigschreibens gegenüber lautierendem Erstschreiben, aber von vornherein Anregung eines Bewusstseins der Lernenden für richtiges Schreiben (vgl. A21, A45) - Phänomenorientierung im Bereich Richtigschreiben („in Lernportionen“, A13; vgl. auch A17) - Zeitliche Nachordnung des Richtigschreibens gegenüber lautierendem Erstschreiben, aber von vornherein Anregung eines (Problemlöse-)Bewusstseins der Lernenden für richtiges Schreiben und des Nachdenkens über Wortschreibungen (vgl. A8, A16) - Phänomenorientierung im Bereich Richtigschreiben („Schummelbrüder“, A8, auch A32)

- Arbeit mit Buchstabentabelle im Erstschreibunterricht (vgl. A7) - Arbeit mit Arbeitsheften zum Richtigschreiben (mit strikter Orientierung an deren Progression) und verschiedenen Begleitmaterialien zum Lesen- und Schreibenlernen (vgl. A23, 45) - allgemeine Sättigung des Marktes, Materialangebot zufriedenstellend (vgl. A105) - Arbeit mit Buchstabentabelle im Erstschreibunterricht (vgl. A25) - Arbeit mit Arbeitsheften zum Richtigschreiben (mit strikter Orientierung an deren Progression) (vgl. A13) - Materialangebot zufriedenstellend (vgl. A87)

L16

- Arbeit mit Buchstabentabelle im Erstschreibunterricht (vgl. A20-22) - Arbeit mit Arbeitsheften zum Richtigschreiben (mit flexibler Orientierung an deren Progression) und verschiedenen Begleitmaterialien zum Lesen- und Schreibenlernen (vgl. A52ff.) - Materialangebot weitgehend zufriedenstellend (A32)

Alle Typ I-Lehrerinnen zeigen sich mit dem Angebot an Lehr-Lern-Materialien zum Schriftsprachlernen auf dem Schulbuchmarkt weitgehend oder vollständig zufrieden und weisen zum Teil sogar auf ein Überangebot hin. Diese ‚Sättigung‘ drückt sich u. a. auch darin aus, dass die Lehrerinnen angeben, viele verschiedene Begleitmaterialien kombiniert einzusetzen. Als primäre Arbeitsmittel nennen alle Lehrerinnen zum einen die Buchstabentabelle für den Erstunterricht, zum anderen ein Arbeitsheft mit dem ausgewiesenen Schwerpunkt Richtigschreiben, in dem die einzelnen Rechtschreibphänomene sukzessive erarbeitet werden. Wie eng sich die Lehrenden an der im Material vorgegebenen Lernprogression orientieren, variiert: Während L08 sich strikt an das Vorgehen des verwendeten Arbeitsheftes hält, wählen L07 und L08 nach eigener Auskunft bestimmte Phänomenbearbeitungen auch nach situativem Bezug aus.

416

8 Darstellung der Ergebnisse

Ausgehend von diesen zusätzlichen Einblicken in die Handlungsorientierungen der Lehrenden des Typs I kann schließlich die Verbindung zu den primären Merkmalsausprägungen hergestellt werden: Die Lehrkräfte des Typs I nutzen letztlich alternierende Gegenstandspräsentationen für das Erst- und das weiterführende (orthographisch richtige) Schreiben: In der Begleitung des Erstschreibens werden einzelsegmentale Wege der Worterschließung als handlungsleitend beschrieben. In der Auseinandersetzung mit Wörtern der Strukturtypen 3 und 4 werden die Grenzen des einzelsegmentorientierten Vorgehens erkannt und – wenn möglich – alternative Handlungsempfehlungen formuliert (s. oben). In einem nächsten Schritt wird nun eine bisher noch nicht berücksichtigte Anforderungsdimension der Interviews zur vertiefenden Beschreibung des Typs I hinzugezogen: die Analyse und Evaluation von Auszügen aus Lehr-Lern-Materialien im Interviewteil C. Im Modell zu den fachbezogenen Aspekten professioneller Kompetenz im Bereich Wortschreibung (s. 5.3) wurde diese Dimension als wichtige Komponente der domänenspezifischen Lehrerkompetenz ausgewiesen. Aus diesem Grund bestand die neue Anforderung an die Lehrenden im Interviewteil C darin, den Blick nach der ausführlichen Darstellung eigener Handlungsorientierungen auf andere Handlungsvorschläge zu richten und diese wiederum auf der Grundlage der eigenen Erfahrungen und Lerngegenstandsvorstellungen zu bewerten. Inwiefern sich in der Auswertung der ‚gegenstandsnahen‘ Bewertungstendenzen für die Typ I zugewiesenen Fälle übergreifende Phänomene ergeben und sich zudem Übereinstimmungen mit den in den Interviewteilen A und B ermittelten Schwerpunkten zeigen, soll in dem nächsten Abschnitt skizziert werden. 8.3.1.2

Bewertungstendenzen des Typs I im Interviewteil C

In den Bewertungstendenzen, die für die Typ-I-Lehrerinnen zur sachstrukturellen Konstituierung und didaktischen Modellierung der Wortschreibung in den vorgelegten Materialauszügen im Interviewteil C ermittelt wurden, tritt die Sonderstellung der Lehrerin L08 besonders deutlich hervor: Während L07 und L16 nahezu identische Muster aufzeigen, weicht L08 mehrheitlich davon ab und kommt teilweise sogar zu konträren Bewertungen gegenüber den anderen beiden Lehrerinnen. Auch aus diesem Grund erscheint die separate Betrachtung dieses Falls sinnvoll (s. 8.4.2). Da sich in den Auseinandersetzungen von L07 und L16 mit den Materialauszügen

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

417

z. T. sehr enge Bezüge zu den in den Interviewteilen A und B ermittelten charakteristischen Zugriffsmustern für Typ I ergeben, stehen die beiden Lehrerinnen in diesem Teilkapitel – gewissermaßen als ‚Hauptvertreterinnen des Typs I – im Fokus. Für einen ersten Überblick werden die allgemeinen Bewertungstendenzen der Typ I zugeordneten Fälle bezüglich der vier vorgelegten Materialauszüge tabellarisch erfasst (s. Tab. 52). Tab. 52 Allgemeine (‚gegenstandsnahe‘) Bewertungstendenzen im Interviewteil C: Typ I Bewertung (eher) zustimmend Materialbeispiel C1 (graben – grabbeln)

unentschieden

(eher) ablehnend

(L08)

L07, L16

C2 ( oder ?)

L07, L16

(L08)

C3 (Robotersprache)

L07, (L08)

C4 ()

L16 (L08)

L07, L16

An dieser Stelle seien einige knappe Erläuterungen zur methodischen Bestimmung einer allgemeinen Bewertungstendenz angeführt: Ein „(eher) zustimmendes“ Urteil wird festgehalten, wenn die Lehrkraft ihre grundsätzliche Zustimmung zur Herangehensweise des Materialauszugs und/oder ausschließlich positive Bewertungsaspekte nennt oder die positiven Aspekte gegenüber kritischen Anmerkungen überwiegen (d. h. mindestens in einem Verhältnis von 2:1). Ein „(eher) ablehnendes“ Urteil wird bestimmt, wenn die Lehrkraft ihre grundlegende Ablehnung gegenüber der Herangehensweise des Materialauszugs und/oder ausschließlich negative Bewertungsaspekte nennt oder die negativen Aspekte gegenüber zustimmenden Anmerkungen überwiegen (d. h. mindestens in einem Verhältnis von 2:1). Ein „unentschiedenes“ Urteil wird zugewiesen, wenn eine Lehrkraft keine grundsätzliche Bewertungstendenz äußert und positive und negative Aspekte in einem (etwa) gleichgewichteten Verhältnis gegeneinander abwägt. Betrachtet werden dabei nur die ‚gegenstandsnahen‘ Bewertungskriterien und -gegenstände (s. 7.3.1). In der Übersicht können für Typ I folgende Beobachtungen festgehalten werden: (a) Die Lehrerinnen stehen den sprechsilbisch orientierten Zugriffen auf Wortschreibungen zur Erarbeitung von Lang- und Kurzvokalen (C1) und der -Schreibung (C4) ablehnend gegenüber.

418

8 Darstellung der Ergebnisse

(b) Die schreibsilbenstrukturelle Ausrichtung des Materialauszugs C2 zur Unterscheidung von - und -Schreibungen (Strukturtyp 1 und 2) bewerten sie grundsätzlich positiv. (c) Sie stehen dem silbenlautierenden Zugang des Materialbeispiels C3 (eher) zustimmend gegenüber. Die nähere Betrachtung und Auswertung der einzelnen Bewertungsmuster lassen folgende Abstrahierungen zu: - Die Lehrerinnen des Typs I weisen die fachliche Angemessenheit von Lerngegenstandsdarstellungen, die Zugänge zur Doppelkonsonantenschreibung über Formen der Sprechsilbenisolierung schaffen, ebenso wie in den Interviewteilen A und B nicht explizit zurück, halten die Herangehensweise jedoch mit Blick auf die Vermittlungspraxis für problematisch. Erneut zeigt sich dies an Formulierungen, die sich vor allem auf die Perspektive der Schüler/-innen und ihre sprachlichen Voraussetzungen beziehen („ich hätte Schüler, die sagen, nee, ich sage so [grɑ:.bɛln] [[spricht beide Silben sehr stark betont]], so, ne“, L16, C1.2) sowie auf die von der angeregten ‚Hochlautung‘ abweichende Standardlautung („Ähm (-) aber dass es [ˈblɪt.ʦə] heißt, (-) wer sagt denn das? [ˈblɪt.ʦə]. Ich würde immer [ˈblɪ.ʦə] /“, L07, C4.1). - Die Lehrerinnen verweisen punktuell darauf, dass sie ‚lediglich‘ auf der Basis ihrer Erfahrungen argumentieren und ihnen bisweilen fachliches oder fachdidaktisches Hintergrundwissen fehlt. L16 äußert sich zum Materialbeispiel C4 () folgendermaßen: ((…)) also das mit dem Hören insgesamt ist, finde ich, ganz schwer. Also (-) das hier sind jetzt ja alles / wo man genau hinhören soll und ähm wenn Kinder dann aber Blitze so sprechen, [ˈblɪ.ʦə], ne, ((…)). Also das (-) [ˈblɪt.ʦə], (--) da würde ICH, aber das (-) sage ich jetzt nur so, weil ich weiß, das ist bestimmt nicht (-) didaktisch richtig oder so. (L16, C4.1)

-

-

Die Äußerungen weisen auch im Interviewteil C auf die (unbewusste) Identifikation der Schriftlastigkeit von sprechsilbisch überlautierenden Zugriffen hin, da die Lehrerinnen letztere in der Vermittlungspraxis ablehnen. L16 problematisiert das genaue Hören zur Erschließung des beispielsweise dahingehend, „dass man das eigentlich dann schon ziemlich genau (-) sprechen können muss“ (L16, C4.1). Anstelle der Aufforderungen zur präzisen sprechsilbischen Durchgliederung von Wörtern in C1 und C4 plädieren die Lehrerinnen wie in den Interviewteilen A und B für segmentbezogene Zugriffe, untermauern also die Schlüsselstellung der Vokalquantität:

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

419

Da würde ich lieber wieder darauf achten: Das ist kurz geschrieben, äh ein kurzes i, das heißt nicht [ˈbliːʦə], sondern [ˈblɪʦ̣ə], (--) kurzes [ɪ] (-) heißt: Dahinter muss ein Doppelkonsonant, doppeltes gibt es nicht, das ist ein , das ist eine Regel, die man einfach einführen muss und dass (--) alle kurz gesprochen. (L07, C4.1)

-

Vor diesem Hintergrund bewerten sie die Betrachtung der Schreibsilbenstruktur zur Unterscheidung von Schreibungen mit und im Materialauszug C2 als hilfreiche Ergänzung zur Ermittlung der Vokalquantitäten:135 ((…)) das könnte ich mir vorstellen, dass ich das AUCH so machen würde. ((…)) aber immer im Zusammenhang damit, dass man eben auch dann (---) immer drauf guckt, ist es denn dann lang gesprochen oder kurz gesprochen. (L07, C2.1)

-

Ebenfalls in das bisher gezeichnete Profil des Typs I passt wiederum, dass die Lehrerinnen der Robotersprache in C3 grundsätzlich zustimmen, dabei aber einschränkend anmerken, dass eine solche Herangehensweise in erster Linie in den ersten Grundschuljahren („Also (--) ich mache das JETZT mit meinen Kleinen“, L07, C3.1) oder „nur bei lautreinen Wörtern“ (L16, C3.1) angemessen sei.

Die Analyse der Interviewsequenzen aus Interviewteil C deckt also, wie die vorangegangene zusammenfassende Darstellung zeigen konnte, wesentliche Übereinstimmungen zu den Äußerungen der Typ-I-Lehrerinnen in den Interviewteilen A und B auf. 8.3.2

Typ II: Einzelsegmente und -silben als Bezugsgrößen des Wortschreibens  L05, L06, L11, L12, L15, L17, L18 ((…)) in Silben sprechen, in Silben klatschen, (--) gleichzeitig hören, also letztendlich über alle Sinne. (L05, A10)

Konstitutiv für den ermittelten Typ II ist, dass die Zugriffe auf Wortschreibungen im nativen Kernbereich zum einen von silbenstrukturellen Zugriffen auf den Lerngegenstand geprägt sind, zum anderen aber wiederholt

135

L16 verliert den thematischen Schwerpunkt des Materialauszugs ( vs. ) während der Bearbeitung allerdings zwischenzeitlich aus den Augen und bezieht die Silbenstrukturen auch auf andere Vokalbuchstaben.

420

8 Darstellung der Ergebnisse

auf eine generelle Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung verweisen und die Wortschreibung in einer angenommenen ‚Hochlautung‘ fundieren. Für die Einzelfälle, die dem Typ II zugeordnet sind, kann beobachtet werden, dass jede Lehrkraft 1. in mindestens einer Textsequenz, die sich jeweils auf eine konkrete Schreibung der Strukturtypen 3 und 4 bezieht, ein Verständnis des Zusammenhangs von gesprochenem und geschriebenem Wort offenbart, das wahrgenommene Diskrepanzen zwischen phonologischer und graphematischer Repräsentation des Wortes auf eine ‚unsaubere Aussprache‘ zurückführt, und 2. in keiner Textsequenz einer eindeutigen Ableitbarkeit der zu verschriftenden Grapheme aus den phonologisch isolierbaren Segmenten des gesprochenen Wortes explizit widerspricht. Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist an einer schriftinduzierten Lautung orientiert: Die Lehrpersonen gehen von einer Ableitung der Wortschreibung aus den Segmenten des gesprochenen Wortes aus, projizieren dabei aber bereits unbewusst ihr Wissen über die Schreibung auf die Lautung.

Hinweise auf eine nicht angemessene Alltagslautung (der Schüler/-innen) werden fallübergreifend im Bereich des Strukturtyps 4 (silbeninitiales ) geliefert, aber auch im Bereich des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibung) entweder explizit geäußert oder in Form eigener überlautierender Artikulationen ausgedrückt. Die grundlegende Annahme einer ‚Hochlautung‘ als das lautsprachliche Modell der Wortschreibung offenbart sich in erster Linie in Äußerungen, die die Unterschiede zwischen lautsprachlicher und schriftsprachlicher Wortrepräsentation und die daraus resultierenden Schwierigkeiten auf (ungünstige) sprachliche Voraussetzungen der Schüler/-innen zurückführen. Dies zeigt sich auf unterschiedliche Art und Weise: (1) Die Lehrkräfte geben an (hier am Beispiel der Doppelkonsonantenschreibung), dass die Schwierigkeiten, die sie bei Lerner/-innen durch die Diskrepanz zwischen der Wortaussprache und der segmentalen Struktur des geschriebenen Wortes beobachten, in erster Linie schwächere Lernende betreffen, wohingegen starke Schüler/-innen eher auf eine zielführende Bezugslautung zurückgreifen könnten: Aber die Starken können das! ((…)) Also sie können (-) Silben oder Wörter, (-) Wörter klatschen, und sie können das auch ganz gut hören. Die starken Kinder können das definitiv. Die verhauen sich da

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

421

auch zwischendurch, aber wenn sie mir das noch mal vorklatschen, (-) hören sie ein Doppel- (-) oder ein Doppel-. (L12, A50)

(2) Die Lehrenden führen die beobachteten Schwierigkeiten auf ungünstige sprachliche Rahmenbedingungen der Lernenden, aber auch eine grundsätzlich unsaubere Aussprache in der alltäglichen Kommunikation zurück. So empfindet L15 beispielsweise die gesonderte Vokalkern-Regel für die graphematische Reduktionssilbe (Reduktions-) als Hilfe für all diejenigen, „die also zu Hause dann eben doch (-) mehr [ˈtɛḷɐ] hören als Teller/[tɛˈlɛʀ]“ (L15, A26), weitet dies aber anschließend generell auf Fälle aus, „wo wir halt sehr schlampig sprechen“ (ebd.). Während sie also zunächst eine Einschätzung (vermeintlich) ungenauer auditiver Rezeptionsfähigkeiten andeutet, die ursächlich im – möglicherweise bildungsfernen – Elternhaus entstehen, räumt sie in der darauffolgenden Ergänzung durch das personale Wir ein, dass die Problematik nicht rein lernerspezifisch zu betrachten ist, sondern generell für die Alltagslautung gilt.136 L06 spielt in ähnlichem Zusammenhang darauf an, dass erwachsene Sprecher/-innen ihrer Rolle als sprachliche Vorbilder oftmals nicht gerecht werden: „((…)) blyːˈhԑn], ne? [blyː], [ˈblyːən], ja, das ist ein / (-) weil wir ja auch so undeutlich sprechen, wir Erwachsene, ne?“ (L06, B3.2) (3) Die Lehrerinnen problematisieren den Unterstützungswert von Hilfsmaßnahmen, die im Umgang mit Wortschreibungen zur Silbensegmentation anregen, dahingehend, dass einige Kinder die Wörter (hier: des Strukturtyps 3) „ja auch falsch klatschen“ (L17, A22) und (hier: bezogen auf den Vokalkern der Reduktionssilbe) „nicht irgendwie sauber auseinandernehmen und auch jeden Buchstaben der Silbe sprechen“ (L15, A52). Schwierigkeiten mit einer segmentalen Worterschließung werden also zum einen als Fehlzugriffe, zum anderen als Ungenauigkeiten der Kinder deklariert. In allen Typ II zugeordneten Einzelfällen lassen sich durch sprachliche Detailanalysen Äußerungen identifizieren, die auf eine (vermeintlich) unsaubere, ungenaue Wortaussprache und/oder fehlerhafte Wortgliederungen der Lernenden hinweisen und ihnen eine – (unbewusst) schriftinduzierte – Ideallautung gegenüberstellen.

136

Später untermauert sie jedoch erneut die Vorstellung, dass die Schwierigkeiten vor allem bei Schüler/-innen mit ungünstigen sprachlichen Voraussetzungen zu verorten sind: „((…)) das habe ich in der Klasse hier auch, dass eben Kinder, (-) wie gesagt, (--) äh (-) beim Reden halt schon die Buchstaben verschlucken, ((…)) ja, wir haben also (-) einige, die also auch ähm (--) diese verkürzte Sprache sprechen“ (L15, B3.1).

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8 Darstellung der Ergebnisse

(4) Die Lehrerinnen produzieren im Umgang mit den behandelten Schreibungen selbst überlautierende Wortformen, so z. B. L11 in Bezug auf die Schreibung von : Wir würden jetzt aus -stück Stüc.ke/[ˈʃtʏk.kə] [[spricht am Silbenende und -anfang jeweils ein [k]]] machen, ((…)) in der Frü.he/['fʀyː.hə] [[spricht [h]]] essen wir ein paar Stüc.ke/[ˈʃtʏk.kə] [[spricht zweimal [k]]]. (L11, B2a.3)

Ein wesentliches Kennzeichen des II. Typs besteht nun darin, dass die eindeutige Tendenz der Lehrenden zu einer segment- und an einer schriftinduzierten Lautung orientierten Konstituierung der Wortschreibung auch didaktisch eine Rolle spielt, d. h. in der Vermittlungspraxis eine unmittelbare Handlungsrelevanz besitzt. Dabei wird ein teilweise subtiles, teilweise aber auch sehr offenkundiges Spannungsverhältnis zwischen Problemidentifikation und Problemlösung sichtbar: Obwohl die Lehrerinnen beschreiben, welche Probleme eine (schriftinduziert) lautsprachliche Fundierung der Wortschreibung und der darauf bezogenen Lehr-Lern-Prozesse birgt, setzen ihre Handlungsempfehlungen überwiegend auf derselben Ebene an, d. h. an der (unbewusst graphembasierten) phonologisch-segmentalen Durchgliederung des Wortes. Besonders eindrücklich kommt dieses Spannungsverhältnis, in dem aus Forschungsperspektive argumentative Brüche wahrzunehmen sind, in folgender Sequenz aus dem Gespräch mit L11 (s. auch 8.2.2) zur Schreibung von zum Ausdruck: L11: blühen/* [[spricht [h]]] und verblühten/*, das kann das Kind nicht hören. Wir spra/ wir sagen nicht, [blyːhɛn], (-) das ist ein , das wir nicht hören ((…)). ES: ((…)) Und dann mit dem blühen, was würden Sie [da, wenn Sie da /? L11: [Da müssten wir einfach gucken, wiespricht man es richtig. (L11, B3.1-3)

Dieses Muster, also die Wahrnehmung einer wenig zielführenden Bezugslautung aufseiten der Schüler/-innen einerseits und das gleichzeitige Festhalten an der (graphematisch überformten) lautsprachlichen Wortrepräsentation als Ausgangspunkt der Wortschreibung andererseits, kann in variierender Intensität bei allen Lehrerinnen des II. Typs festgestellt werden: Probleme mit der angenommenen ‚Hochlautung‘ sollen durch das Training ebendieser überwunden werden. Welche Motive und Begründungen hinter den aufgezeigten Handlungsorientierungen stehen, können u. a. nähere Betrachtungen der kon-

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

423

kret geäußerten Handlungsempfehlungen im Umgang mit -Schreibungen sowie mit den für die Typenbildung leitenden Wortschreibungen der Strukturtypen 3 und 4 offenlegen. Darin zeigt sich, dass die von den Lehrerinnen präsentierten Zugriffe – entgegen möglicher Erwartungen eines starken Einzelsegmentbezugs – keineswegs nur auf segmentaler Ebene anzusiedeln sind (siehe dazu die Klassifizierung der Ergebniskatorien in 8.1). Sie lassen vielmehr im Bereich des Strukturtyps 1 (v. a. ) ebenso wie bei Schreibungen des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibung) suprasegmentale Betrachtungsweisen erkennen, bei denen die silbischen Strukturpositionen in zweisilbigen Wörtern eine bedeutsame Rolle spielen. Zugleich wird deutlich, dass die Wirksamkeit suprasegmentaler Strukturbezüge entweder explizit als begrenzt ausgewiesen oder silbenstrukturelle Zugänge in den konkreten Anwendungssituationen nur punktuell aktiviert werden. In der Zusammenführung aller Einzelzugriffe auf Wortschreibungen der betrachteten Strukturtypen ergeben sich schließlich folgende Kennzeichen für den ermittelten Typ II: Für Schreibungen des Strukturtyps 1, in denen die (auch morphologisch vererbte) offene graphematische Hauptsilbe regelhaft mit markiert ist, präsentieren die Lehrenden überwiegend eine Kombination aus Zugriffen, die auf die grundlegende Phonem-Graphem-Korrespondenz, also /iː/ – , verweisen, und Zugriffen, die (v. a. zu Veranschaulichungszwecken in der Vermittlungssituation) auf die Position des in der Hauptsilbe referieren. 137 In der Regel führen die Lehrpersonen im Interviewteil A für die unterrichtliche Erarbeitung der -Schreibung die Arbeit mit dem Silbenhaus-Modell an, während sie im Anforderungskontext des Interviewteils B (Umgang mit der Kompositumschreibung ) primär auf das notwendige Wissen um die Phonem-GraphemKorrespondenz verweisen, also die Identifikation des Langvokals [iː] und die anschließende Ableitung des für die Generierung einer korrekten Schreibung voraussetzen. Wortschreibungen des Strukturtyps 1/: Phonembasierte Erklärungen (segmentale Erklärungsebene) werden mit silbenstrukturellen Veranschaulichungen (suprasegmentale Erklärungsebene) kombiniert.

137

Abweichungen sind für L05, die keine aufschlussreichen Stellungnahmen zum liefert, L18, die rein phonographisch argumentiert, und L17, die eine ausschließlich silbenstrukturelle Herangehensweise ausdrückt, festzustellen.

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8 Darstellung der Ergebnisse

L17 ist von dieser Beobachtung ausgenommen: Sie liefert ausschließlich Erklärungen, die die Offenheit der Silbe in den Fokus stellen und keinen Bezug zur Vokalquantität herstellen. Im Umgang mit Wortschreibungen des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen) aktivieren die Lehrerinnen sowohl segmentale Korrespondenzen zwischen den (angenommenen) intervokalischen Konsonantphonemen und -graphemen als auch suprasegmentale Zusammenhänge innerhalb der jeweiligen Wörter. Schriftinduzierte Wortlautierungen, in denen die in geschriebenen Wörtern doppelten Konsonantenbuchstaben eins zu eins wiedergegeben werden, sind oftmals mit den suprasegmentalen Zugriffen verwoben, wie das nachfolgende Beispiel zeigt. Darin präsentiert L17 einen sprechrhythmischen Zugang, der mit einer Überlautung einhergeht, und ergänzt ihn dann um den Verweis auf die ‚gestoppte erste Silbe‘: schaf.fen/[ˈʃaf.fən] ((klatscht zu jeder Silbe)), (-) weil einige Kinder sagen ja scha.fen/[ʃɑ:.fɛn] ((klatscht zu jeder Silbe)), ne? Also dass richtig geklatz/ geklatscht wird, schaf.fen/[ˈʃaf.fən] ((klatscht zu jeder Silbe)) und ähm (-) dass das Kind vielleicht es darüber schon hört und dass äh (-) äh man sagt, wie viele Silben hat das Wort, (-) zwei (-) und dann äh (-) letztendlich die Regel noch mal wiederholen, dass die erste Silbe gestoppt wird (--) durch das f [[spricht Buchstabennamen]] ähm (-) und äh dass dadurch eben (-) äh die, die zweite Silbe (-) äh wieder mit (-) äh also mit, mit dem f [[spricht Buchstabennamen]] beginnt, (-) dass wir da das doppelte / und dadurch das doppelte haben. (L17, B1.8)

Im Bereich des Strukturtyps 3 werden in jedem dem II. Typ zugeordneten Fall sowohl im Interviewteil A als auch im Interviewteil B Bezüge zur (Haupt-)Silbenstruktur hergestellt. Dies erfolgt zwar nicht konsequent und auf identische Weise für jede besprochene Silbengelenkschreibung, aber doch in der Mehrheit der jeweils bearbeiteten Schreibungen dieses Strukturtyps. Die silbenstrukturellen Gegebenheiten werden dabei von den Lehrpersonen sowohl silbenrhythmisch, nämlich durch die Kontrastierung von gesprochenen Wörtern des Strukturtyps 1 mit denen des Strukturtyps 3, als auch visuell durch die Eintragung der Wörter in das Silbenhaus-Modell (s. unten) veranschaulicht. Der Fokus liegt, so eine fallübergreifende Beobachtung, stets auf der betonten ersten Silbe: Keine der Typ-II-Lehrkräfte thematisiert den Zusammenhang zwischen phonologischen und graphematischen Strukturen am Übergang von der Haupt- zur Reduktionssilbe; vielmehr wird die konsonantisch geschlossene Artikulation der Hauptsilbe allem Anschein nach als phonologische Voraussetzung für die

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

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Vokalkürze betrachtet, ohne dass dabei der Anschluss der Reduktionssilbe bzw. die suprasegmentalen Beziehungen zwischen den Silben eine Rolle spielen. Der Hypothese, dass für die Lehrerinnen des Typs II suprasegmentale Strukturen im Bereich von Silbengelenkschreibungen lediglich intrasilbisch, nicht aber im gesamten zweisilbigen Fuß handlungsrelevant sind, soll unten weiter nachgegangen werden. In den Zugriffen der Typ-II-Lehrenden ist grundsätzlich zu erkennen, dass sie die Funktion von Schreibungen des Strukturtyps 3 zwar an die Markierung der Vokalkürze knüpfen, dafür aber auch im gesprochenen Wort das zweifache Auftreten eines intervokalischen Konsonanten annehmen. Aus diesem Grund greifen sie in der didaktischen Modellierung beide Aspekte auf, also sowohl den Verweis auf die Vokalkürze als auch auf eine deutliche Artikulation zweier intervokalischer Konsonanten. Beispielhaft kann dafür folgende Einschätzung von L12 angeführt werden, die die Ursachen der Schülerschwierigkeiten im Inputbeispiel B1 () auf der Ebene der auditiven Wahrnehmung verortet und dabei vermutet, dass der Schüler weder den doppelten konsonantischen Laut noch den Kurzvokal hört: Ich glaube, wenn er das eine / ähm wenn er das nicht unterscheiden kann mit Doppel- oder einem , dann ist es wahrscheinlich für ihn auch sehr schwierig, ähm ein kurzes oder ein langes a zu hören, würde ich (-) jetzt einfach mal tippen. (L12, B1.8) Wortschreibungen des Strukturtyps 3/Silbengelenkschreibungen: Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung ist handlungsleitend: Silbenstrukturelle Erklärungen auf suprasegmentaler Ebene werden in die Erklärungen auf segmentaler Ebene, die an einer schriftinduzierten Lautung orientiert sind, integriert.

Wortschreibungen des Strukturtyps 4 (silbeninitiales ) werden von den Lehrerinnen des Typs II übereinstimmend als Schreibungen mit ‚hörbarem ‘ ausgewiesen und somit über die Phonem-Graphem-Korrespondenz [h] – (ohne Verweis auf die wortstrukturelle Position) erklärt. Obwohl die Lehrkräfte im Unterricht Diskrepanzen zwischen der Alltagslautung der Schüler/-innen und der angenommenen ‚Hochlautung‘ erleben, präsentieren sie ausschließlich segmentale, überlautierende Zugriffe auf Wortschreibungen mit intervokalischem . Explizite Verweise auf die sachstrukturelle Bedeutung der Position, in der das im (prototypischen zweisilbigen) Wort auftritt, liefert keine Lehrperson. Eine implizite Vorstellung wird jedoch insofern deutlich, als die Lehrerinnen das ‚hörbare ‘ vom ‚nicht hörbaren ‘ (entweder verstanden als Dehnungs-

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8 Darstellung der Ergebnisse

oder als morphologisch vererbtes und dadurch ebenfalls nicht hörbares ) abgrenzen: Man hört das ja, das ist ja kein Dehnungs-, (-) sondern das ist ja (-) ähm (--) äh ein hörbares , das mit zur Silbe dazugehört. (L17, B3.1)

Die typinternen Abweichungen im Umgang mit morphologisch vererbten Schreibungen des Strukturtyps 4 werden in einem nachfolgenden Absatz erläutert. Alle dem Typ II zugeordneten Lehrpersonen drücken in den Fällen eines intervokalisch auftretenden jedoch übereinstimmend Handlungsempfehlungen zum deutlichen Hören und Sprechen wie in folgendem Beispiel aus: Und ähm (-) blü.HEN/[blyːˈhɛn] [[spricht [h]]], (---) das ist eben / also ich finde, das ist (-) so ein typisches Wort, wenn man das überdeutlich (-) klatscht nämlich, dann hört man das blü.HEN/[blyːˈhɛn] [[spricht [h]]], (-) das (-) äh ganz deutlich, also würde man wieder (-) sagen: Klatsch es! (L18, B3.1)

Alternative, etwa auf die Strukturen der Haupt- und Reduktionssilbe bezogene Zugriffe werden nicht formuliert; es finden sich lediglich Anregungen zur Ausweichstrategie Merken: Bei dem LR/ also bei Kindern, die echt große Lese-RechtschreibSchwierigkeiten haben, machen wir das auch durchaus, dass sie das dann auswendig lernen, (--) so, und wenn du es nicht hörst, (--) doof, aber dann lerne es auswendig halt, ne? (L12, B3.5)

Dass der im Bereich der Strukturtyp-4-Schreibungen ausbleibende Silbenstrukturbezug möglicherweise auch damit zusammenhängt, dass den Lehrenden hierfür kein spezifisches Silbenhaus-Modell zur Verfügung steht und/oder sie das nicht notwendigerweise in Verbindung mit der Hauptsilbenstruktur und der damit assoziierten Rolle von Vokalquantitäten bringen, kann nur vermutet werden. Wortschreibungen des Strukturtyps 4/silbeninitiales : Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung ist handlungsleitend: Es werden ausschließlich graphembasierte Erklärungen auf segmentaler Ebene formuliert.

Für die ausgewählten Bereiche der Wortschreibung im Kernbereich des Deutschen ergeben sich für Typ II folgende fallübergreifenden Zugriffstendenzen:

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

427

Tab. 53 Zusammenfassung der Zugriffe: Typ II Strukturtyp 1 (hier speziell ) Präsentation eines kombinierten segmentalen und silbenstrukturellen Zugriffs

Strukturtyp 3 (Silbengelenkschreibungen) Präsentation als primär silbenstrukturell begründete Schreibung mit schreib- und sprechsilbenbezogenen Anteilen (mit handlungsleitender Überlautung)

Strukturtyp 4 (silbeninitiales ) Präsentation als primär segmental begründete Schreibung (mit handlungsleitender Überlautung)

Ebenso wie im Typ I ergibt die separate Betrachtung von Zugriffen auf morphologisch einfache und morphologisch komplexe Schreibungen der ausgewählten orthographischen Strukturtypen auch für Typ II keine identischen Muster im Vergleich der Einzelfälle, allerdings können einige mehrheitlich, also in mindestens vier der zugeordneten Fälle, auftretende Phänomene festgehalten werden. Die morphologische vererbte Silbengelenkschreibung in wird von den Lehrerinnen mit Ausnahme von L15 auf eine zweisilbige Grundform zurückgeführt, bei der das überwiegend als eigentliches mit entsprechender phonologischer Korrespondenz, nämlich einem ebenfalls zweifach zu artikulierenden [k], präsentiert wird 138 (Verführungsfall II: Ableitung zweisilbiger Grundformen zur Reaktivierung von ‚Hörbarkeit‘): Ähm bei dem st/ -stücksei/*, das ist ja äh (-) die Folge, die sie auch schon in der ERSten Klasse bei uns gelernt haben, da würde ich das mit dem Verlangen / äh Verlängern / also früh.stüc.ken [[spricht zweimal [k]]], dann hören sie das [kk] und sie wissen aber, dass das [kk], dass die beiden sich nicht verstehen ((lacht)), so ist unsere Geschichte immer, und dass deswegen das (-) zu Hilfe kommt und ähm, ja, also da würde ich (-) den Tipp geben, (-) zu fragen, welches Wort (-) ist denn in Frühstücksei drin und dass sie das dann (-) zugrunde legen, früh.stüc.ken [[hier Silbengrenze bei stücken nicht klar hörbar]], dann hören sie es nämlich. (L18, B2a.1)

L15 versteht die -Schreibung zwar ebenfalls als (in der Orthographiereform ‚verunglückte‘) graphematische Repräsentation von „zwei s, die ich höre“ (L15, B2a.1), sieht in der Kompositumschreibung jedoch keine Möglichkeit, diesen grundlegenden Erklärungsansatz zu nutzen:

138

Im Interviewteil A präsentieren L11 (vgl. L11, A70) und L17 (vgl. L17, A12) auch Zugriffe auf Silbengelenkschreibungen mit und , die sich an der -Regel orientieren.

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8 Darstellung der Ergebnisse

((…)) und äh -stücks kann ich auch nicht in irgendwie in zwei Silben zerlegen, sondern das ist also / da würde ich sagen, ((…)) bei dem -stücksei/* (--) könnte man eben wirklich als, vielleicht als Merkwort (-) nehmen. (L15, B2a.1)

Eine ähnliche Schwierigkeit offenbart L06 im Umgang mit dem morphologisch vererbten silbeninitialen : FrühSTÜCK, (--) frühstücken, (--) würde ich sagen, ist in erster Linie ein Merkwort, aber man kann natürlich auch gucken: früh, (--) aber da höre ich das [h], (-) [h] auch nicht. (L06, B2a.3)

Dass die Lehrerinnen in den angeführten Gesprächssequenzen nicht zur Bildung einer Plural- bzw. einer Komparativform (Stücke, früher) raten, mag der Unmittelbarkeit der Interviewsituation oder auch der semantischen Intransparenz des Kompositums geschuldet sein. Im Bereich des Strukturtyps 4 scheint die wortbildungsmorphologisch komplexe Form , in der das vererbte silbeninitiale nicht intervokalisch steht, grundsätzlich zu einer Deutung als ‚nicht hörbares (Dehnungs-)‘ einzuladen. Abgesehen von L11 und L12, die in Bezug auf das Wort Frühstücksei gemäß dem Verführungsfall II die Bildung einer zweisilbigen Grundform zur Reaktivierung des ‚hörbaren ‘ empfehlen, unterliegen alle weiteren fünf Einzelfälle des Typs II hierbei dem Verführungsfall I: Morphologisch vererbte Schreibungen des Strukturtyps 4 werden als Dehnungs- ausgewiesen, das entweder segmentbezogen, allerdings ohne Konkretisierung der hinreichenden Bedingungen des dehnenden (vgl. L15, L18),139 oder als orthographische Konvention (‚Merkwörter‘, vgl. L05, L06, L17) erarbeitet wird. Auffällig ist, dass dieses Verhalten auch im Typ II nicht für das Inputbeispiel B3 gilt: Dort wird das silbeninitiale in dem wortbildungs- und flexionsmorphologisch komplexen auf die in B3 ebenfalls vorgelegte Schreibung */ und die darin angenommene Hörbarkeit des zurückgeführt. Ob diese unterschiedliche Behandlung des in und mit ihrer verschiedenartigen semantischen Transparenz oder mit der zusätzlichen Präsentation der Grundform blühen im Beispiel B3 zusammenhängt, kann ohne weitere Vergleichsmöglichkeiten nicht bewertet werden.

139

L15 trifft eine (Über-)Generalisierung: „wenn ich ein langes [y:] höre, das eigentlich immer das mit einem [h] noch verbindet“ (L15, B2a.1). L18 verweist auf „diese (-) Regel mit dem, äh wann das Dehnungs- kommt“ (L18, B2a.1).

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

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In dem folgenden Kasten werden die bisher beschriebenen primären Merkmalsausprägungen des Typs II zusammengefasst. Die von den Lehrkräften des II. Typs präsentierten Zugriffe auf die Wortschreibung setzen ebenso wie die der Lehrenden des Typs I auf der Ebene der Lautung an. Dabei offenbaren die Typ-II-Lehrenden die grundsätzliche Vorstellung einer segmental eindeutig erschließbaren Korrespondenz zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort, die sich in der Annahme einer ‚Hochlautung‘ ausdrückt und sich auch bezogen auf die unterrichtliche Vermittlungspraxis der Wortschreibung als handlungsrelevant erweist. Anders als im Typ I spielen in den didaktischen Handlungsorientierungen des Typs II – neben Formen der phonologisch-segmentalen Worterschließung – silbenstrukturelle Analysen eine zentrale Rolle. Die Lehrerinnen lassen dabei eine Konzentration auf die Hauptsilbe und deren Endrand erkennen, die sich auf die Präsentation der Wortschreibung im Bereich des Strukturtyps 3 auswirkt: In den geschilderten suprasegmentalen Zugriffen treten häufig einzelsegmentale Überlautungen auf. Deutlich wird dies vor allem daran, dass die Lehrpersonen bei der Erklärung von Silbengelenkschreibungen zwar einen konsonantischen Abschluss der betonten phonologischen Silbe als notwendige Voraussetzung für die Herstellung von Vokalkürze präsentieren, die Anschlussverhältnisse der unbetonten Folgesilbe jedoch nicht mit in die Erläuterungen einbeziehen. Sie legen ihren konkreten Handlungsempfehlungen möglicherweise auch aus diesem Grund in der Mehrheit der Fälle eine schriftinduzierte Überlautung zugrunde. Keine silbenstrukturellen Zugänge werden im Typ II hingegen für Schreibungen des Strukturtyps 4 formuliert, hier plädieren die Lehrenden für phonologisch-segmentale Herangehensweisen. Im Bereich morphologisch komplexer Wortschreibungen dominieren innerhalb des Typs II im Bereich der Silbengelenkschreibungen (Strukturtyp 3) Zugriffe des Verführungsfalls II: Die Schreibungen morphologisch komplexer Wortformen werden grundsätzlich als morphologische motivierte Schreibungen betrachtet und auf zweisilbige Grundformen zurückgeführt, in denen die phonologisch-segmentale Gliederung die Hörbarkeit zweier intervokalischer Konsonantphoneme zulässt; im Umgang mit morphologisch vererbtem silbeninitialen (ST 4) ist der Verführungsfall I und die Deutung als Dehnungs- zentral, das zum Teil als rein phonologisch motivierte Schreibung betrachtet wird.

Im Folgenden sollen die konkreten unterrichtsmethodischen Umsetzungsformen der beschriebenen Lerngegenstandszugriffe näher beschrieben werden. Da der häufige Bezug auf silbische Strukturpositionen als wesentliches Merkmal des Typs II herausgestellt wurde, gleichzeitig aber auch ein Gegenstandsverständnis der Lehrenden ermittelt wurde, das die Annahme eines Abbildverhältnisses der Wortschreibung zum gesprochenen Wort widerspiegelt, stehen die silbenstrukturorientierten Hilfestellungen im

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8 Darstellung der Ergebnisse

Fokus der folgenden Ausführungen. An dieser Stelle sei lediglich kurz darauf verwiesen, dass alle dem Typ II zugeordneten Einzelfälle das Lehrwerk ABC der Tiere als leitendes Medium ihres Schriftsprachunterrichts angeben und sich im Hinblick auf die Lehr-Lern-Progression und das methodische Instrumentarium eng daran orientieren. Dennoch sollen in den weiteren Ausführungen weiterhin die Zugriffe, die die Lehrkräfte selbst beschreiben, und nicht die konzeptionelle Anlage des Lehrwerks im Fokus stehen. Welche Relevanz die starke Orientierung am Lehrwerk für das Handeln der Lehrenden dieses II. Typs konkret besitzt, wird in Abschnitt 8.4.1 beleuchtet. In den bisher präsentierten Zugriffen der Typ-II-Lehrkräfte auf konkrete Wortschreibungen wurde deutlich, dass Bezüge zur Silbenstruktur immer dann aktiviert werden, wenn Kodierungen von Vokallänge/-kürze über die Analyse der Hauptsilbe erklärt oder zumindest veranschaulicht werden sollen. Dabei wurde für Schreibungen des Strukturtyps 3 bereits herausgestellt, dass die Lehrpersonen silbenstrukturelle Analysen in der Regel parallel zu oder sogar in Verknüpfung mit segmental-überlautierenden Zugriffen präsentieren. Um die Motive und Begründungszusammenhänge nachzuzeichnen, die hinter dem Einsatz silbenstrukturbezogener Hilfestellungen stehen, sollen nachfolgend diesbezügliche Erläuterungen, v. a. im Interviewteil A, vertiefend dargestellt werden. Es zeigt sich, dass alle dem Typ II zugeordneten Einzelfälle die Einheit Silbe von Interviewbeginn an als für sie handlungsleitende Bezugsgröße des schriftsprachlichen Lehrens und Lernens ausweisen. Dabei nennen sie vordergründig (a) die von Beginn des Schriftsprachunterrichts an relevante Vokalkern-Regel: Die Lehrerinnen verweisen auf den obligatorischen Vokalbuchstaben in jeder Silbe (z. B. L12, A18: „dass in jedem Silbenschiff ein Vokal ist“); (b) die Anregung des Silbenklatschens als allgemeine Gliederungshilfe sowie Problemlösestrategie beim Wortschreiben (z. B. L05, A10: „in Silben sprechen, in Silben klatschen, (--) gleichzeitig hören, also letztendlich über alle Sinne“) und weiterer Übungsformen zur sprechrhythmischen Differenzierung von Kontrastpaaren, d. h., Wörter mit offener Silbe und Wörter mit geschlossener Silbe werden hinsichtlich ihrer unterschiedlichen Klangqualitäten miteinander verglichen (z. B. L06, A13: „Na.se ((klatscht zu beiden Silben nach links und rechts)), Nüsse Stopp ((klatscht zweimal schnell und schnipst danach zu Stopp)), (--) dass man über diesen Rhythmus, also diese (-) Musikalität das/ die Wörter trainiert“);

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

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(c) den Einsatz von drei Varianten des Silbenhaus-Modells (Häuschen A, B und C) für Wörter der Strukturtypen 1, 2 und 3, die die Anlage der Lehr-Lern-Progression maßgeblich bestimmen (z. B. L06, A13: „ich habe die Häuschen vorgestellt und wir haben uns die Häuschen angeguckt, die Unterschiede (-) und welches Wort warum wohnt wo.“). In allen drei unterrichtsmethodischen Zugangsformen können Elemente identifiziert werden, die das im Typ II angenommene Verhältnis zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort widerspiegeln. Sie sollen daher weiterführend beleuchtet werden: zu (a) – Vokalkern-Regel: Lediglich L06, L11 und L15 differenzieren bei der Thematisierung von obligatorischen vokalischen Silbenkernen zwischen erster und zweiter Silbe und geben das als prototypischen graphematischen Vokalbuchstaben der zweiten Silbe an. Von ihnen spricht wiederum nur L06 den Unterschied zwischen betonter erster und unbetonter zweiter Silbe explizit an und erläutert in diesem Zusammenhang, dass dem der zweiten Silbe im gesprochenen Wort kein Vollvokal, sondern „immer ein [ə]“ (L06, A9) entspricht. L15 nennt zwar ebenfalls das als Kennzeichen der zweiten Silbe, deutet dieses aber eindeutig nicht als Kodierung prosodischer Eigenschaften, sondern offenbart die grundsätzliche Annahme eines Vollvokals, der nur bei ‚schlampiger Aussprache‘ als (Tief-)Schwa realisiert wird: ((…)) dann eben dieses in der zweiten Silbe / die zweite / der Vokal in der Mitte immer das , das hat sehr geholfen bei all denen, die also zu Hause dann eben doch (-) mehr [ˈtɛḷɐ] hören als Teller/[tɛ'lɛʀ] und auch / wo wir halt sehr schlampig sprechen u/ das hat also / da brauchte ich dann immer nur sagen: ‚Denke an die Regel, was in der zweiten Silbe ist.‘, das hat dann schon geholfen, um da bestimmte Fehler rauszuholen. (L15, A26)140

Bei der Beschäftigung mit den entsprechenden Textsegmenten der weiteren fünf Fälle zeigt sich, dass letztere – abgesehen von L06 (s. oben) und L17, die zumindest die erste Silbe als die betonte Silbe bestimmt (vgl. L17, A12, A22) – nicht auf prosodische Wortstrukturen eingehen: Keine der

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Trotz L15s ausgedrückter Vorstellung des phonologischen Wortes, in der die trochäische Akzentstruktur keine Rolle spielt, zeigt sich, dass an dieser Stelle nicht die angenommene ‚Hochlautung‘ handlungsleitend ist, sondern eine ‚schlampige Aussprache‘ mithilfe der -Regel für die zweite Silbe kompensiert bzw. umgangen werden und zu einer korrekten Schreibung führen kann. Diese Beobachtung trifft jedoch nur für den Einzelfall L15 zu und kann somit nicht als fallübergreifendes Merkmal des Typs II ausgewiesen werden.

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8 Darstellung der Ergebnisse

Lehrenden verwendet die Begriffe betont/unbetont; behandeln sie silbenstrukturelle Aspekte, so sprechen sie entweder im Vokabular des verwendeten Silbenhaus-Modells von Haus und Garage oder von erster und zweiter Silbe, ohne dass sie auf die darin enthaltene Information für die Akzentstruktur des gesprochenen Wortes eingehen. Darüber hinaus präsentieren sie fallübergreifend Vorstellungen von der Silbe als Laut- und Buchstabenkette, wie etwa L12, die den Vorteil der Silbenorientierung von Anfang an darin sieht, die Identifikation der Einzellaute eines Wortes zu unterstützen: ((…)) dieses Silbische hilft ihnen echt ungemein, auch (-) ALLE Laute zu hören und da auch (-) wirklich zu unterscheiden, viele können wirklich lange, kurze Vokale, (-) können Doppelkonsonanten hören. (L12, A64)

zu (b) – Silbenklatschen und silbisches Rhythmisierung von Kontrastpaaren: Das Silbenklatschen bzw. silbensegmentierende Sprechen kann für alle Typ II zugeordneten Fälle strukturtyp- und kontextunabhängig als dominierende Handlungsempfehlung ermittelt werden, d. h., sie wird sowohl im Interviewteil A als auch in B und sowohl im Umgang mit Schreibungen des Strukturtyps 3 als auch des Strukturtyps 4 genannt und wurde daher im Rahmen der inhaltsanalytischen Arbeit insgesamt häufiger kodiert als andere Formen schriftsprachlicher Hilfestellungen. Im Bereich der Strukturtypen 3 und 4 ist zu beobachten, dass die gewählten Formen der Sprechsilbenisolierung die Begründung der Wortschreibung über eine angenommene ‚Hochlautung‘ unterstützen oder sie gewissermaßen provozieren. Folgende Gesprächssequenz spiegelt zunächst wider, wie die sprechrhythmische Hilfestellung die ‚Hochlautung‘ reproduziert: L17: ES: L17:

((…)) das Wort klatschen lassen, wie viele Silben hat das Wort, (-) zwei Silben und eben halt auch darauf achten, dass das Kind richtig klatscht (-) / Wie würde das dann gehen, das richtige Klatschen? Ja, dass wir das zusammen machen, ne? schaf.fen/[ˈʃaf.fən] ((klatscht zu jeder Silbe)), (-) weil einige Kinder sagen ja scha.fen/[ʃɑ:.fɛn] ((klatscht zu jeder Silbe), ne? Also dass richtig geklatz/ geklatscht wird, schaf.fen/[ʃaf.fən] ((klatscht zu jeder Silbe)) und ähm (-) dass das Kind vielleicht es darüber schon hört und dass äh (-) äh man sagt, wie viele Silben hat das Wort, (-) zwei (-) und dann äh (-) letztendlich die Regel noch mal wiederholen, dass die erste Silbe gestoppt wird (--) durch das f [[spricht Buchstabennamen]] ähm (-) und äh dass dadurch eben (-) äh die, die zweite Silbe (-) äh wieder mit (-) äh also mit, mit dem f [[spricht Buchstabennamen]] beginnt,

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

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(-) dass wir da das doppelte / und dadurch das doppelte haben. (L17, B1.6-8)

Dass das silbenrhythmische Durchgliedern von Wörtern des Strukturtyps 3 möglicherweise auch als Provokation einer Überlautung gedeutet werden kann, zeigt folgende Äußerung von L06 zum gleichen Inputbeispiel: Ich würde ihm jetzt (-) ähm ((…)) diese (-) Kontrastpaare (--) üben und ähm (--) dann (-) mit ihm angucken, was passiert denn, wenn () der Klinger kurz ist, da ist ein Stopper mit in der Silbe, also MUSS da was sein (--) und beim Zweiten höre ich es ja, [fɛn], [ʃaf] (-) [fɛn], ich sage nicht [ʃɑ:] (-) [fən], so. Und (-) das würde ich mit ihm trainieren. (L06, B1.6)

Interviewsequenzen wie diese bekräftigen die oben aufgestellte Hypothese, dass die Lehrenden des Typs II die Schließung der Hauptsilbe als notwendige Voraussetzung für die Herstellung von Vokalkürze sehen, dabei aber 1. nicht erkennbar zwischen den geschriebenen und der gesprochenen Silbe unterscheiden – sie weisen die konsonantische Verdopplung an keiner Stelle als schriftautonome Struktur aus – und 2. in den sprechsilbisch orientierten Erklärungen die Verhältnisse am Übergang zur Reduktionssilbe nicht genauer thematisieren oder aber durch den Rückbezug auf die ‚Hochlautung‘ klären. Während L06 beispielsweise davon ausgeht, dass die Lernenden den zweiten der verdoppelten Konsonanten hören und lediglich für die Wahrnehmung des ersten eine zusätzliche Hilfe benötigen, gehen L11 (vgl. auch 8.2.2) und L15 auch auf die Option einer geschlossenen ersten Sprechsilbe und einer ‚nackt‘ beginnenden zweiten Sprechsilbe ein: ((…)) bei dem Ersten würde ich sagen, da könnte wirklich / also (-) äh / dem Kind hätte vielleicht die Silbenmethode geholfen, weil eben bei schaffen das Geklatsche schon schaf.fen/[ʃaf.fən] ((klatscht zu beiden Silben)) [[spricht zweimal [f]]] ist, und nicht schaf.en/[ʃaf.'Ɂɛn]. (L15, B1.2)

Im Unterschied zu L11, die in der Segmentationsvariante *[ʃaf.'Ɂən] die Grenzen der silbenstrukturbasierten Erklärbarkeit von Schreibungen erlebt, auf die sie in schriftsprachlichen Lehr-Lern-Situationen mit einer Rückkehr zum genauen Hören und Sprechen reagiert, liefert L15 – zumindest in Ansätzen – eine Begründung für die Unzulässigkeit einer Silbifizierung wie *[ʃaf.'Ɂɛn]: ((…)) gibt es nicht, das wissen sie, dass man also keine Silbe nur mit einem ähm / also ich sage jetzt immer Indianer und, und also dann (-) einen Stopper hat, das gibt es nicht. (L15, B1.2)

434

8 Darstellung der Ergebnisse

Auch wenn sich die Lehrerin hier nicht eindeutig ausdrückt, lässt sich unter Berücksichtigung des weiteren Äußerungskontextes darauf schließen, dass sie sich auf die Struktur der zweiten Silbe bezieht und auf die dort geltende Gesetzmäßigkeit des zu besetzenden Anfangsrandes verweist. In diesem Verständnis wird auch nachvollziehbar, warum sie die Untersuchung der Silbenstruktur anschließend als geeignete Ausweichstrategie für die Schüler/-innen bewertet, denen die ‚zielführende‘ lautsprachliche Gliederung des Wortes nicht gelingt: „((…)) deswegen glaube ich, dass hier (-) beim ersten Teil, wo er das zweite nicht hört, ähm (-) ne, (-) Silbenmethodik (-) helfen könnte, (-) das zu umgehen.“ (L15, B1.2) L15 demonstriert, ähnlich wie im oben präsentierten Zitat zum Reduktionssilben-, dass sie über ein silbisches Strukturwissen verfügt, das anstelle eines Beharrens auf der ‚Hochlautung‘ handlungsleitend sein kann (↘ Zwischenzeitliches Verblassen der Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung im Handlungsbezug). Dennoch trifft auch sie immer wieder Handlungsanregungen, die die ‚Hochlautung‘ in den Mittelpunkt stellen. Der Rückbezug auf die zur Typenbildung herangezogenen Merkmale macht letztlich deutlich, dass die für L15 ermittelten silbenstrukturorientierten Ausweichstrategien, in denen eine Erklärung gänzlich ohne die Referenz auf eine Überlautung auskommt,141 grundsätzlich von denjenigen Zugriffen, in denen die Silbenstruktur in die Vorstellung einer ‚Hochlautung‘ implementiert wird, überformt werden. Dass die Lehrenden im Bereich des Strukturtyps 3 an einer segmentalen Korrespondenz zwischen den intervokalischen Konsonantenphonemen und -graphemen festhalten, lässt sich zum einen als Folge ihrer sachstrukturellen Vorstellung von der Wortschreibung, die auf einer schriftinduzierten Lautung basiert, deuten. Zum anderen kann es auch daraus hervorgehen, dass die Lehrenden das gesprochene Wort als silbenstrukturelle Analysebasis nutzen und dabei die besonderen phonetisch-phonologischen Gegebenheiten, die sich in den Koartikulationsverhältnissen zwischen erster und zweiter Silbe offenbaren, durch die klare Fokussierung auf den Hauptsilbenendrand außer Acht lassen: Ein differenziertes Konzept von intervokalischer Ambisilbizität oder der konsonantischen Anschlusskorrelation (s. 4.2.2) kommt bei keiner der Lehrkräfte zum Ausdruck. Die beschriebenen Überlautierungen sind daher, auch mit Blick auf

141

Für die von L15 angedeutete strukturelle Gesetzmäßigkeit, nach der der Anfangsrand der zweiten Silbe obligatorisch zu besetzen ist, findet sich in keinem weiteren dem Typ II zugeordneten Einzelfall eine entsprechende Aussage.

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

435

die sprachwissenschaftliche Konstituierung des Gegenstands, eine logische Konsequenz der Ausrichtung: Wie in Teilkapitel 4.3 bereits mit Verweis auf Nübling et al. (2013) dargestellt wurde, mündet der Versuch, ambisilbische Konsonanten zu silbifizieren, zwangsläufig in einer nicht-standardsprachlichen Aussprache mit Geminate (vgl. ebd., S. 20). Die genutzten sprechsilbenisolierenden Hilfestellungen sind im Typ II jedoch nicht allein für eine Implementation der Silbenstruktur in ein einzellautierendes Erschließen von Wortschreibungen verantwortlich. Es zeigt sich, dass sich die für Typ II ermittelte Verortung der Diskrepanz zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort auf der Ebene der Sprecher/-innen (explizit) auch im Anwendungskontext grundlegend auf die Handlungsorientierungen auswirkt. Verweist L17 in diesem Zusammenhang z. B. darauf, dass die Schüler/-innen „ja auch falsch klatschen, wenn das nicht richtig geübt ist“ (L17, A22), und leitet daraus die Konsequenz ab, das ‚richtige‘ Klatschen zu trainieren, und nicht etwa, wie für Typ I kennzeichnend, andere Zugänge zu wählen, so kann dies als Beleg dafür gelten, dass sie sich auch in der Vermittlungspraxis nicht von ihrem einzelsegmentalen und mitunter schriftlastigen Blick auf die Lautung löst. Ebenfalls beispielhaft für diese Beobachtung können Äußerungen der Typ-IILehrenden stehen, die in Bezug auf die silbensegmentierenden Handlungsempfehlungen im Bereich des Strukturtyps 3 einräumen, dieses Vorgehen auch schon „früher“ (L18, B1.4), also vor der konzeptionellen Neuorientierung mit silbenstrukturellem Schwerpunkt (dazu ausführlich: 8.4), umgesetzt zu haben. zu (c) – Einsatz des Silbenhaus-Modells: Einige der zuvor beschriebenen Auffälligkeiten spiegeln sich auch in den Äußerungen zum Einsatz des Silbenhaus-Modells wider. Alle Lehrerinnen des Typs II geben an, mit drei Varianten des Silbenhaus-Modells zu arbeiten, anhand derer die Merkmale der grundlegenden Wortstrukturen veranschaulicht werden können: Es gibt drei Häuser. (--) Häuschen A mit dem langen (--) äh Klinger (--) in der offenen Silbe, dann das mit der geschlossenen Silbe und das Häuschen C ist/ sind die Doppelkonsonanten in der Mitte ((greift zu einem der Arbeitshefte)), da ist die Garage (-) an das Haus angebaut, also spannen, da wohnt der doppelte (-) Mitlaut sozusagen in dem Zimmer zwischen Haus und Garage. (L06, A23)

Auf eine spezifische Modellvariante für Schreibungen mit silbeninitialem wird in keinem Interview verwiesen. In den Erklärungen und Reflexionen zum Einsatz des Silbenhaus-Modells steht der didaktische Unterstützungswert des Modells, insbesondere

436

8 Darstellung der Ergebnisse

für die schwächeren Lernenden, im Mittelpunkt. Bezogen auf die sachstrukturelle Gegenstandspräsentation wird – insbesondere in den Äußerungen der Typ-II-Lehrenden zum Häuschen C – deutlich, dass die Auseinandersetzung mit der Silbenstruktur in dieser visuellen Form, in der das geschriebene Wort abgebildet ist, dennoch primär auf die phonologische Wortrepräsentation referiert. Dies kann zum einen mit Blick auf die konzeptionelle Grundlegung der Modellvarianten begründet werden. Letztere stammen aus dem Lehrwerk ABC der Tiere und sind so angelegt, dass sie– zumindest im Häuschen C – die im geschriebenen Wort angezeigte phonologische Repräsentationsform visualisieren:

Abb. 32 Häuschen C des ABC der Tiere (Kuhn 2014)

In Häuschen C ist die Garage unmittelbar an das Haus angeschlossen, um die beim Sprechen nicht klar wahrnehmbare Silbengrenze zu veranschaulichen (s. 5.1.3). Das Hilfsinstrument stellt also selbst einen Bezug zum gesprochenen Wort her. Die darauf bezogenen Erläuterungen der Typ-II-Lehrkräfte zeigen jedoch zum anderen, dass der Umgang mit den Modellvarianten vom jeweiligen Sachverständnis des Zusammenhangs zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort beeinflusst wird. Dies drückt sich bei den Lehrkräften auf unterschiedliche Weise aus: Teilweise erläutern sie, dass sie den Einsatz der Silbenhäuser nur für diejenigen Lernenden vorsehen, die Schwierigkeiten mit der angenommenen ‚Hochlautung‘ besitzen: „Die Kinder, die stark sind, brauchen auch die Häuser nicht, die hören das.“ (L12, A56)142 Im Kontext der angeführten Äu-

142

Zu einer deutlich abweichenden Einschätzung gelangt allerdings L06: Sie gibt an, bei sehr schwachen Lernenden auf den Einsatz des Modells zu verzichten, und stattdessen nur zum Silbenklatschen anzuregen (vgl. L06, A57).

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

437

ßerung von L12, aber auch weiterer Passagen aus dem Gesprächstranskript wird deutlich, dass sie „die hören das“ auf die zweifache Artikulation der doppelten Konsonantenbuchstaben bezieht. Teilweise nutzen die Lehrkräfte den im Lehrwerk fokussierten Ausgang vom geschriebenen Wort aber auch dafür, den Kindern die angenommene und für die Wortschreibung vorausgesetzte ‚Hochlautung‘ aufzuzeigen und schließlich ‚anzutrainieren‘:143 Ja, dass sie d/ ähm (---) also wenn e/ wenn sie es geschrieben sehen, (-) dann lesen sie ja [ham.mɛʀ] (--) und dann hören sie sofort, dass es eben (-) ein Doppelkonsonant IST, also dass man (-)/ kann man ja auch mit dem, mit dem Haus machen, also dann haben sie / hilft das Haus vielleicht auch wieder, dann haben sie eben (-) Hammer (-) in drei (-) drei Räumen (-) und dann kommt die Garage dran ((zeichnet auf ein Blatt Papier vor sich)) und dann wissen sie [ham] und beim zweiten ist es [mɛʀ] ((klatscht zu den Silben)), also (--) so ((ergänzt die Zeichnung)) (5sec) ja, und schon sehen sie, es ist / sind eben zwei ((zeigt auf die Zeichnung)). (L05, A100)

Diese Vorstellung wird auch in den Zugriffen auf die Fehlschreibungen im Interviewteil B aktiviert: So gibt L15 im Umgang mit der Schreibung an, dass in Fällen wie diesen „beim (-) Lesen schon darauf zu achten [wäre], dass sie halt wirklich BEIde Silben gut lesen“ (L15, B3.1); L12 erklärt in ähnlichem Zusammenhang, dass das silbische Schreiben des Wortes zur Identifikation des h im Gesprochenen hilft (vgl. L12, B3.3). Darüber hinaus zeigt sich, dass keine der Lehrkräfte eine eindeutige Erklärung dazu liefert, warum die Garage im Fall von graphematischer Doppelkonsonanz in das Haus (Häuschen C) integriert wird: Mehrheitlich gehen die Lehrerinnen des Typs II gar nicht auf die besondere Darstellung ein; lediglich L06 und L17 beschreiben letztere näher. Ihre Erläuterungen erfolgen dabei aber ausschließlich im Vokabular des Hilfsinstruments und lassen keine Übertragung auf die sachstrukturelle Ebene erkennen. L17 nennt „als Eselsbrücke für die Kinder, (-) dass die doppelten Konsonanten nie getrennt werden wollen und deshalb eben (-) äh gut zu erkennen sind,

143

Ähnlich argumentiert L15 in der Sequenz zum Inputbeispiel B3: Hier problematisiert sie, dass Kinder „beim Reden halt schon die Buchstaben verschlucken“ (L15, B3.1.) und auf der Grundlage dieser unsauberen Aussprache auch nur zu unzureichenden Schreibungen gelangen könnten. Die Chance, vom geschriebenen Wort auszugehen, sieht sie in diesem Kontext darin, „beim (-) Lesen schon darauf zu achten, dass sie halt wirklich BEIde Silben gut lesen“ (ebd.), und die Schüler/-innen auf diese Weise zu einer geeigneteren, ‚saubereren‘ Aussprache zu führen.

438

8 Darstellung der Ergebnisse

ähm (-) in welches Haus sie eben einzutragen sind“ (L17, A14). L06 führt die oben präsentierte Erläuterung des Häuschen C folgendermaßen aus: Häuschen C, (--) da wohnt auch ein (-) Wort mit kurzem Klinger und die Besonderheit ist nur, (-) dass da ein Zwilling kommt (-) hinterher. (-) Und das ist eigentlich / (--) da musste man gar nicht so großartig einführen, das war ihnen relativ schnell klar. (L06, A57)

Im Anforderungskontext des Interviewteils B bricht sie die Erläuterung, anhand welcher Kriterien der Schüler Häuschen B für die Ermittlung der Doppelkonsonantenschreibung in ausschließen kann, ab: ((…)) es wird ja nicht lang gesprochen, sondern kurz, (--) das heißt, es kommt jetzt eigentlich nur Häuschen B oder C infrage, das heißt, er könnte jetzt überlegen: Ist es ein Häuschen B-Wort? (-) Ähm (---) das ist aber (-) schwierig, scha/ ja, -[ʃaf] (--) [fɛn], (--) der Silbentrenner ist aber nach dem/ eigentlich würde ich jetzt sagen, der würde sofort wissen, dass es ein Häuschen C-Wort ist. (L06, B1.4)

Festzuhalten bleibt, dass in keinem der Typ II zugeordneten Fälle eine eindeutige Begründung für die Darstellung des Häuschen C und den damit verbundenen Zusammenhang zwischen gesprochener und geschriebener Wortstruktur vorzufinden ist. Der Bezug auf die Silbenstruktur wird in einen einzelsegmentorientierten Zugang zur Wortschreibung implementiert: Zur silbenstrukturellen Analyse raten die Lehrerinnen des Typs II vorwiegend im Umgang mit Wortschreibungen des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen); Schreibungen des Strukturtyps 4 (silbeninitiales ) werden nicht in den Zusammenhang mit silbischen Strukturpositionen gebracht, sondern über eine Analyse der schriftinduziert-segmentalen Lautung begründet. Die Nutzung der Silbenstruktur erfolgt im konkreten Anwendungsbezug also strukturtypgebunden. In der Mehrheit der Fälle, in denen silbenstrukturelle Hilfestellungen eingesetzt werden, dienen letztere der Unterstützung eines auf der ‚Hochlautung‘ fundierenden Zugriffs, d. h., die Analyse der Silbenstruktur erfolgt im Rahmen eines Gegenstandsverständnisses, das phonologische und graphematische Wortstrukturen segmental gleichsetzt. Formen der Sprechsilbenisolierung und visuelle Strukturierungen werden dabei als sich überlagernde Zugänge zur Wortschreibung präsentiert und häufig mit der Intention verbunden, die Lernenden bei der Erschließung der ‚Hochlautung‘ zu unterstützen. Die Vernetzung von Silbenstrukturanalyse und Wahrnehmung der Einzelsegmente wird sowohl in Schreib- als auch in Leserichtung (zur Wahrnehmung und Umsetzung der ‚Hochlautung‘) positiv bewertet. In wenigen Fällen ist jedoch zu beobachten, dass der im Instrument des SilbenhausModells angelegte Blick auf phono- bzw. graphotaktische Gesetzmäßigkeiten die weitgehend handlungsleitende Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung bzw. ausbleibende Differenzierung zwischen gesprochenen und geschriebenen

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

439

Strukturen ‚aushebeln‘ kann: In diesen Fällen zeigt sich, dass ein silbisches Strukturwissen den Bezug auf eine ‚saubere‘ Aussprache obsolet macht und als eine zielführende Handlungsalternative oder Ausweichstrategie erlebt wird. Deutlich häufiger kann jedoch beobachtet werden, dass die primäre Orientierung an der Sprechsilbe und die (unbewusste) Projektion schriftspezifischer Strukturen auf die lautsprachliche Wortrepräsentation segmental-überlautierende Zugriffe provoziert.

Auffällig ist in der Zusammenschau aller Zugriffe der Typ-II-Lehrkräfte, dass parallel zu den primär erkennbaren Zugriffen häufig (z. T. sogar mehrere) weitere Zugänge genannt werden, die bei Schwierigkeiten der Schüler/-innen alternativ oder zusätzlich angeboten werden können. So verweisen einige Lehrerinnen beispielsweise im Umgang mit und darauf, dass bei diesbezüglichen Schwierigkeiten gegebenenfalls das Merken von Regeln oder das Auswendiglernen der Schreibungen Abhilfe schaffen können. Diese Empfehlung mag auch dadurch bedingt sein, dass die Lehrerinnen zwar im konkreten Umgang mit Wortschreibungen immer wieder Bezüge zur Silbenstruktur und zur konzeptionellen Grundlegung des für sie handlungsleitenden Lehrgangs herstellen, sich aber oftmals nicht vollends überzeugt davon zeigen, dass die Referenz auf die Silbe(nstruktur) dem Schüler oder der Schülerin eine hinreichende Hilfestellung bietet, wie die folgenden recht ‚vorsichtig‘ ausfallenden Formulierungen demonstrieren: „dem Kind hätte vielleicht die Silbenmethode geholfen“ (L15, B1.2); - „ich würde es trotzdem mit den Häuschen versuchen“ (L12, B1.8); - „eventuell (-) könnte man behaupten, mit der Häuschenschreibweise müsste man herausfinden, dass der, dass der (-) lange Vokal (-) nicht gegeben ist“ (L11, B1.8). Der Gebrauch von Konjunktiv, Abtönungspartikeln sowie des Verbs versuchen deutet zumindest an, dass die Lehrenden dieser Herangehensweise nicht uneingeschränkt vertrauen und sie möglicherweise auch aus diesem Grund weitere Zugriffe präsentieren. In der Zusammenfassung der dem fokussierten Merkmalsraum zugeschriebenen Eigenschaften ergeben sich für Typ II folgende Hauptmerkmale: - ein auch in der (vorgestellten) Vermittlungssituation beobachtbares Festhalten an der Annahme einer ‚Hochlautung‘ als Modell der Schriftsprache;

440

8 Darstellung der Ergebnisse

-

-

8.3.2.1

ein nur selten erkennbares Vertrauen in ‚echte‘ suprasegmentale Bezüge innerhalb des prototypischen zweisilbigen Wortes und daher eine häufige Implementation der Silbenstruktur in die segmentale Wortstruktur; das gesprochene Wort als Ausgangspunkt der Erklärungen und Fördermaßnahmen: Im konkreten Handlungsbezug wird die Schreibrichtung deutlich priorisiert.144 Vorstellungen von der schriftsprachlichen Lehr-Lern-Progression (Typ II)

In den Untersuchungen der globaleren Vorstellungen zum Lehren und Lernen der Wortschreibung werden eindeutige Übereinstimmungen zwischen den Typ-II-Lehrenden sichtbar: Alle beschreiben die Arbeit mit dem Lehrgang ABC der Tiere als – mehr oder weniger stark – leitende Bezugsgröße ihres didaktischen Planens und Handelns. Damit einher geht der grundsätzliche Verzicht auf (1) die Arbeit mit einer Buchstabentabelle und (2) das freie Schreiben im Erstschreibunterricht. Stattdessen schildern die Lehrerinnen, dass der Lehrgang das Richtigschreiben von Anfang an in den Vordergrund stellt (s. dazu auch 5.1.3) und aus diesem Grund auch in ihrem Unterricht die Auseinandersetzung mit richtig geschriebenen Wörtern dem freien Produzieren von Texten vorangestellt ist. Lediglich L11 und L15 geben an, sich bereits – zumindest ansatzweise – von diesem Nacheinander gelöst zu haben und im Unterricht auf ein Miteinander von freien Schreibsituationen und schriftanalytischen Betrachtungen von Wörtern zu setzen. L06 räumt zwar ein, dass die anfängliche Fokussierung auf die systematische Erschließung von Wortschreibungen „mühsam“ und „stumpf“ (L06, A5) sei, berichtet aber, dass sich die Anstrengung aus ihrer Erfahrung lohne: „((…)) man muss einmal (-) über diese Hürde rüber, aber dann läuft das“ (ebd.). L05, L12 und L18

144

Hier offenbaren sich möglicherweise die spezifischen Anforderungen der Interviewsituation: im Interviewteil A wird von den Lehrenden des Typs II oftmals thematisiert (und teilweise problematisiert), dass die Erarbeitung von Wortschreibungen auf der Basis des Lehrwerks vorwiegend in Leserichtung, also ausgehend vom geschriebenen Wort erfolgt. In der Handlungsanforderung des Interviewteils B (Umgang mit Fehlschreibungen) rufen die Lehrerinnen des Typs II diese Erarbeitungsrichtung jedoch kaum ab und weisen sie z. T. auch als in der konkreten Schreibsituation nicht zielführend zurück (s. dazu die Ausführungen zum Interviewteil C).

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

441

äußern hingegen den expliziten Wunsch nach einer Parallelität von Richtig- und Textschreiben, da sie bei ihren Schüler/-innen zwar eine größere Sicherheit im Bereich des (orthographisch richtigen) Wortschreibens erleben als in früheren Klassen, in denen sie nach einer klassischen Phasierung gearbeitet haben, dafür aber deutlich größere Schwierigkeiten beim Textschreiben beobachten. L12 beschreibt diesbezüglich folgende Erfahrung: ((…)) ich stelle aber fest, dass es den weiteren Unterricht in Klasse 3 leichter macht, wenn auch (-) freies Schreiben (--) möglich ist und wenn auch Fehler mal möglich sind und so, ähm (--) da bin ich jetzt gerade so ein bisschen in der Zwickmühle und ich fange jetzt an, das ist jetzt mein zweiter Jahrgang mit dem ABC der Tiere, das (-) ein bisschen umzumuddeln, dass ich dann doch wieder freie Schreibstunden drin habe und so. (L12, A8)

Der im Lehrgang verfolgten Erarbeitungsrichtung vom Lesen zum Schreiben gewinnen zwar alle Lehrenden des Typs II positive Aspekte ab, sie untermauern aber auch hier, dass sie diesen Ansatz für das Schreiben selbst als nur eingeschränkt hilfreich empfinden. So resümiert L15 beispielsweise: ((…)) ich würde ihn auch als (-) Lesenlerngang gerne (-) bezeichnen, das Schreiben ist so, dass wir schon Kinder haben, die dann / ihre ganzen Defizite über das Schreiben kommen da raus. (L15, A20)

Inwiefern die Orientierung der Lehrkräfte an den konzeptionellen Leitlinien des eingesetzten Lehrgangs im Einklang mit den von ihnen präsentierten Zugriffen auf Wortschreibungen des deutschen Kernbereichs steht, wird in 8.4.1 näher beleuchtet. Tab. 54 stellt die wesentlichen globaleren Orientierungspunkte der Lehrenden des Typs II in Kurzform dar.

442

8 Darstellung der Ergebnisse

Tab. 54 Globalere Handlungsorientierungen der Typ-II-Lehrenden

L05

L06

Richtigschreiben und freies Schreiben - Richtigschreiben vor freiem Schreiben gemäß Lehrgangskonzept (vgl. A72), aber Wunsch nach Parallelität/Miteinander (vgl. A80-82) - Lehr-Lern-Progression in starker Orientierung am Lehrgangskonzept/an den Silbenhaus-Modellen A-C im Bereich Richtigschreiben (vgl. A20ff., A67) - Richtigschreiben vor freiem Schreiben gemäß Lehrgangskonzept (A35, A43) - Lehr-Lern-Progression in starker Orientierung am Lehrgangskonzept/an den Silbenhaus-Modellen A-C im Bereich Richtigschreiben (vgl. A5, A9)

L11

- Parallelität/Miteinander von Richtigschreiben und freiem Schreiben in bewusster Abweichung vom Lehrgangskonzept (vgl. A30) - Lehr-Lern-Progression in flexibler Orientierung am Lehrgangskonzept im Bereich Richtigschreiben (vgl. A30)

L12

- Richtigschreiben vor freiem Schreiben gemäß Lehrgangskonzept, aber Wunsch nach Parallelität/Miteinander (vgl. A8) - Lehr-Lern-Progression in starker Orientierung am Lehrgangskonzept im Bereich Richtigschreiben (vgl. A16)

Auswahl und Nutzung von Lehr-Lern-Materialien - Verzicht auf Buchstabentabelle im Erstschreibunterricht gemäß Lehrgangskonzept (vgl. A72) - Arbeit mit Lehrgang ABC der Tiere einschl. Begleitmaterialien (vgl. A72) - Materialangebot des ABC der Tiere zufriedenstellend (vgl. A116, A124) - Verzicht auf Buchstabentabelle im Erstschreibunterricht gemäß Lehrgangskonzept (vgl. A5) - Arbeit mit Lehrgang ABC der Tiere einschl. Begleitmaterialien sowie Zusatzmaterialien zur Differenzierung (vgl. A19) - Materialangebot des ABC der Tiere zufriedenstellend (vgl. A35-37) - Verzicht auf Buchstabentabelle im Erstschreibunterricht gemäß Lehrgangskonzept, aber Wunsch nach ‚Rückkehr‘ zur Buchstabentabelle (vgl. A5) - Arbeit mit Lehrgang ABC der Tiere einschl. Begleitmaterialien (vgl. A19, A30) - Materialangebot des ABC der Tiere mit Einschränkungen zufriedenstellend (vgl. A36), generelles Überangebot (vgl. A70) - Verzicht auf Buchstabentabelle im Erstschreibunterricht gemäß Lehrgangskonzept, aber Wunsch nach ‚Rückkehr‘ zur Buchstabentabelle (vgl. A8, A22) - Arbeit mit Lehrgang ABC der Tiere einschl. Begleitmaterialien sowie Zusatzmaterialien zur Differenzierung (vgl. A24) - Materialangebot des ABC der Tiere mit Einschränkungen zufriedenstellend (vgl. A72)

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

L15

- Parallelität/Miteinander von Richtigschreiben und freiem Schreiben (vgl. A8) - Lehr-Lern-Progression in starker Orientierung am Lehrgangskonzept/an den Silbenhaus-Modellen A-C im Bereich Richtigschreiben (vgl. A16, A30)

L17

- Richtigschreiben vor freiem Schreiben gemäß Lehrgangskonzept (vgl. A34) - Lehr-Lern-Progression in starker Orientierung am Lehrgangskonzept/an den Silbenhaus-Modellen A-C im Bereich Richtigschreiben (vgl. A8, A10, A22)

L18

- Richtigschreiben vor freiem Schreiben gemäß Lehrgangskonzept, aber Wunsch nach Parallelität/Miteinander (vgl. A16) - Lehr-Lern-Progression in starker Orientierung am Lehrgangskonzept/an den Silbenhaus-Modellen A-C im Bereich Richtigschreiben (vgl. A22)

8.3.2.2

443

- Verzicht auf Buchstabentabelle im Erstschreibunterricht gemäß Lehrgangskonzept (vgl. A20) - Arbeit mit Lehrgang ABC der Tiere einschl. Begleitmaterialien sowie Zusatzmaterialien zur Differenzierung (vgl. A16, A38, A52) - Materialangebot des ABC der Tiere mit Einschränkungen zufriedenstellend (vgl. A16, A38) - Verzicht auf Buchstabentabelle im Erstschreibunterricht nach Lehrgangskonzept (vgl. A42) - Arbeit mit Lehrgang ABC der Tiere einschl. Begleitmaterialien sowie Zusatzmaterialien zur Differenzierung (vgl. A52) - Materialangebot des ABC der Tiere mit Einschränkungen zufriedenstellend (vgl. A52) - (sporadischer) Einsatz der Buchstabentabelle im Erstschreibunterricht in bewusster Abweichung vom Lehrgang (vgl. A36) - Arbeit mit Lehrgang ABC der Tiere einschl. Begleitmaterialien sowie Zusatzmaterialien zur Differenzierung (vgl. A20) - Materialangebot des ABC der Tiere zufriedenstellend (vgl. A20)

Bewertungstendenzen des Typs II im Interviewteil C

In Analogie zur Darstellungsweise des I. Typs sollen auch zu Beginn dieses Abschnitts die allgemeinen Bewertungstendenzen, die sich in den Stellungnahmen der Typ-II-Lehrenden im Umgang mit den Lehr-Lernmaterialien im Interviewteil C erkennen lassen, präsentiert werden. Die Übersicht (s.Tab. 55) vermittelt zunächst das Bild einer recht breit gefächerten Verteilung und weniger Übereinstimmungen zwischen den Lehrenden:

444

8 Darstellung der Ergebnisse

Tab. 55 Allgemeine (‚gegenstandsnahe‘) Bewertungstendenzen im Interviewteil C: Typ II Bewertung (eher) zustimmend unentschieden (eher) ablehnend Materialbeispiel C1 (graben - grab(L05), L06, L12 L18 (L11), L15, (L17) beln) C2 ( oder ?) (L05), L06, L11, L12, L18 L15, L17 C3 (Robotersprache) L05, L06, L12 L11, L17I, (L18) (L15) C4 () L06, L12, L15, L18 (L05), L11, L17 I L17 verweist auf das Risiko, dass ein Kind „die Silben falsch klatscht“ (L17, C3.1).

Bei einer differenzierteren Betrachtungsweise zeigt sich allerdings, dass einige (insbesondere die kritischen) Urteile recht allgemein begründet und selten auf die spezifische sachstrukturelle Darstellung und didaktische Modellierung des Lerngegenstands selbst bezogen werden (sie stehen in der tabellarischen Übersicht daher in Klammern). Andere Bewertungen spiegeln wiederum, obwohl sie von der mehrheitlichen Tendenz abweichen, einige zentrale Erscheinungsformen wider, die in den Interviewteilen A und B als typische Ausprägungen des Typs II identifiziert wurden. In Bezug auf die bisher dargestellten Kennzeichen des II. Typs erweisen sich folgende Tendenzen im Umgang mit den vorgelegten Inputmaterialien als aufschlussreich: -

Die schreibsilbenstrukturelle Ausrichtung des Materialauszugs C2 zur Unterscheidung von - und -Schreibungen (Strukturtypen 1 und 2) wird mit Ausnahme von L18, die sich nicht klar positioniert, positiv bewertet und von der Mehrheit als Auszug aus dem von ihnen verwendeten Lehrwerk ABC der Tiere oder zumindest als ein mit der eigenen Silbenorientierung kompatibler Zugang erkannt: „Und das ist auch, das ist ja auch so in Anlehnung bisschen an, an, (--) an dieses silbische Prinzip, dass pa/ äh das (-) passt bestens zu unserem Lehrwerk.“ (L12. C2.1) Die Lehrerinnen regen allerdings mehrheitlich eine Vernetzung der Silbenstrukturanalyse mit der Wahrnehmung von Vokallänge und -kürze und somit den Einbezug des gesprochenen Wortes an.

-

Auffällig ist im Typ II generell, dass sich die Identifikation einer silbischen Ausrichtung der Materialien und die damit assoziierte Anschlussfähigkeit an die eigene konzeptionelle Ausrichtung grundsätzlich positiv auf die Bewertung der Materialauszüge auswirkt: Die erkannte Silbenorientierung in den Aufgabenbeispielen erweist sich zumindest als ausschlaggebend dafür, dass L06 und L12 dem Inputmaterial C1 (graben – grabbeln) sowie L06, L12, L15 und L18 dem Inputmaterial C4

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

445

() mit weitgehender Zustimmung begegnen, so z. B. L06 zum Sprechsilbenansatz in C1: Das ist ja so (-) angelehnt (-) oder (-) ähnlich wie dies hier ((zeigt auf ABC der Tiere)) mit der Silbenstruktur, das finde ich gut. (--) Mit der offenen und geschlossenen Silbe. (L06, C1.2)

-

Die an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellung von der Wortschreibung, die als wesentliches Merkmal des Typs II herausgestellt wurde, bestätigt sich v. a. in der überwiegend positiven Bewertung des Inputmaterials C4. Hier äußert auch L15 – anders als im Umgang mit dem Inputmaterial C1, in dem sie für eine strukturelle Untersuchung des geschriebenen Wortes plädiert – Zustimmung zur Handlungsempfehlung des Materials: ((…)) ich versuche das in / aus einem einsilbigen Wort ein zweisilbiges Wort zu machen und bei einem zweisilbigen Wort muss ich eigentlich den letzten Buchstaben jeder Silbe hören können (--) und damit müsste ich wissen, dass es Blit.ze/[blɪt.ʦe:] sind. ((…)) die Zweisilbigkeit bedeutet, jede Silbe, den letzten Buchstaben sich genau (-) anhören im Kopf oder vor sich hinsprechen und DANN weiß ich, wie ich es zu schreiben habe, das ist die Strategie. (L15, C4.3)

In dieser Äußerung wiederholt sich die in den Interviewteilen A und B festgehaltene Beobachtung, dass die suprasegmentalen Strukturen der Hauptsilbe in den Zugriffen der Lehrenden in einer Lautierung der (vermeintlichen) Einzelsegmente münden. Lediglich L11 und L17 problematisieren den Bezug des C4-Materialauszugs auf die ‚Hochlautung‘, ihre anschließend getroffenen Handlungsempfehlungen untermauern jedoch ebenfalls oben geschilderte Muster: L11 verweist auf die Ausweichstrategie Merken; L17 nimmt hingegen eine orthographisch bedingte Korrektur der Gegenstandsdarstellung vor, die aber letztlich ihre an einer schriftinduzierten Lautung orientierte Vorstellung von Wortschreibungen des Strukturtyps 3 bestätigt: Weil äh letztendlich spricht man ja (-) ähm und man schreibt aber , weil es ja nicht gibt, äh (--) also zumindest in deutschen Wörtern. ((...)) wenn sie eben Blitze haben, dann hören sie schon [ˈblɪʦ.ʦə] ((klopft zu beiden Silben)) und dann wissen sie, ich schreibe nicht [ʦ] [ʦ] [[spricht Laute]], sondern ich schreibe, ne, . (L17, C4.3-5)

-

Die Lehrerinnen setzen sich zwar – v. a. im Umgang mit den Inputmaterialien C1 und C4 – kritisch damit auseinander, dass der Ausgang vom gesprochenen Wort zur Erklärung der Wortschreibung Stolpersteine birgt, in ihren Stellungnahmen stellen sie die phonologische

446

8 Darstellung der Ergebnisse

Sprachebene und regel- bzw. phänomenorientierte Ergänzungen in der Mehrheit der Fälle jedoch trotzdem in den Mittelpunkt. In den Äußerungen der Typ-II-Lehrenden zu den Inputmaterialien in C wird insgesamt deutlich, dass die von ihnen aktivierten Bezüge auf die Silbenstruktur oftmals segmentale Elemente und suprasegmentale Zusammenhänge miteinander vermischen. Dies zeigt sich besonders eindrücklich an den Kommentaren von L06, die im Interviewteil C alles, was unter dem Deckmantel der Silbe präsentiert wird, für gut befindet – so z. B. auch die Tipps zur Robotersprache und Silbengliederung im Inputmaterial C3: Aber was ich gut finde, das ist dann / würde jetzt zum Beispiel ja auch gut zu dem ((zeigt auf ABC der Tiere) Lehrgang passen, dieses Lehrwerk in 5 (--) greift die Silbenstruktur auf, ne? (--) Also das finde ich wichtig, dass die Kinder so Ankerpunkte haben, dass sie Wiedererkennungswerte haben, dass sie sagen, Mensch, das hatten wir ja schon, ach ja, klar, das ist ja dasselbe. (L06, C3.9)

8.3.3

Typ III: Silbische Strukturen zur Erschließung von Vokalquantitäten  L04, L09, L13 ((…)) offene oder geschlossene Silbe, das ist natürlich ganz wichtig nachher für die Vokallänge. (L09, A24)

Konstitutiv für den Typ III ist der handlungsleitende Bezug auf die Silbenstruktur im Umgang mit beiden fokussierten Strukturtypen 3 (Silbengelenkschreibungen) und 4 (silbeninitiales ) der deutschen Wortschreibung. Dieser silbenstrukturbezogenen Ausrichtung liegen jedoch unterschiedliche Vorstellungen von der Sachstruktur des geschriebenen Wortes und seines Zusammenhangs mit der Wortaussprache zugrunde: Nur bei Wortschreibungen des Strukturtyps 3 werden die aktivierten suprasegmentalen Strukturen als Zeichen der Wechselbeziehung zwischen Geschriebenem und Gesprochenem verstanden. Im Fall von Schreibungen des Strukturtyps 4 werden zwar durch den Hinweis auf die silbentrennende Funktion bzw. silbeninitiale Position des suprasegmentale Zusammenhänge aktiviert, diese aber gleichermaßen für das gesprochene und geschriebene Wort angenommen und letztlich in eine Erklärung auf segmentaler Ebene überführt. Während die Lehrer/-innen im Fall von Doppelkonsonantenschreibungen die Lautierung aller Grapheme im Gesprochenen als schriftinduzierten und somit fehlleitenden didaktischen Zugang ausweisen,

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

447

ist dies im Bereich des Strukturtyps 4 nicht der Fall. Für Typ III gilt daher, dass jede Lehrkraft 1. in mindestens einer Textsequenz zu Wörtern des Strukturtyps 3 die Verdopplung der Konsonantengrapheme als eigenständige Markierung der Schrift ausweist und 2. die silbentrennende Funktion bzw. silbeninitiale Position des im graphematischen Wort gleichermaßen für das lautsprachliche Korrelat und ein dort artikuliertes silbentrennendes/-initiales [h] annimmt. Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist abhängig von der jeweiligen Wortstruktur: Bei Wörtern des Strukturtyps 3 ist sie an der Schriftstruktur orientiert: Geschriebene Segmente stellen eine suprasegmental bestimmte Beziehung zum gesprochenen Wort her. Bei Wörtern des Strukturtyps 4 ist sie an einer schriftinduzierten Lautung orientiert: Die Lehrpersonen identifizieren zwar eine suprasegmentale Funktion des silbeninitialen , gehen aber dennoch von seiner Ableitung aus den Segmenten des gesprochenen Wortes aus, auf das sie ihr Wissen über die Schreibung (unbewusst) projizieren.

Da die sachstrukturelle Vorstellung der Wortschreibung in ihrem Verhältnis zur phonologischen Wortrepräsentation somit je nach Regularität unterschiedlich ausfällt, sollen die Zugriffe auf beide Strukturtypen des deutschen Wortes im Folgenden zunächst getrennt voneinander betrachtet und in ihren zentralen Merkmalsausprägungen vorgestellt werden. Die an der Wechselbeziehung zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort orientierte Fundierung der Silbengelenkschreibung offenbart sich im Typ III auf zweifache Weise: (1) Die Eins-zu-eins-Zuordnung der Segmente von gesprochenem und geschriebenem Wort wird explizit als schriftinduzierte Fehlvorstellung und als inadäquater (da nur aus der Richtung des richtig geschriebenen Wortes möglicher) Zugang zur Schreibung im Unterricht ausgewiesen: ((…)) wie ich den Kindern immer wieder sage, es gibt eben nicht [mʊt.tɛʀ], man kann es nicht hören. (-) Ne? Dieses Mut.ter ((klatscht zu beiden Silben)), was man dann so nimmt, (--) stimmt eben nicht. Das kann man nur DANN (-) so zerlegen, wenn man es weiß. Aber (-) ähm - im Umkehr/ der Umkehrschluss funktioniert nicht. (L04, A56)

(2) Anstelle einer Eins-zu-eins-Zuordnung der Segmente von gesprochenem und geschriebenem Wort wird die Funktionalität der Schreibung in den Mittelpunkt der Erklärung gestellt: ((…)) die Schüler sollten wissen, wie man (-) Wörter gliedert in Silben (-) und (-) bei fressen (---) das Silbengelenk zu erkennen, also dass

448

8 Darstellung der Ergebnisse

es zwei Buchstaben gibt, die sich verdoppeln, weil der (-) Vokal in der Silbe kurz gesprochen ist, (5sec) und dann gibt es natürlich (-) wieder so Ausnahmen, so wie Schnecke (-) zum Beispiel, da ist ja auch / das e [[spricht Buchstabennamen]] ist ja auch kurz und eigentlich müsste das Wort ja mit zwei (-) geschrieben werden, Schnecke, und dass es eben nicht ein, ein / eine Verdoppelung des s kommt, oder bei Zucker, sondern dass es eben ist. (L09, A70)

Die Verdopplung der Konsonantengrapheme wird als funktionale Maßnahme auf der Schriftebene angesiedelt (vgl. auch L13, A109), Gleiches gilt für das . L09 führt darüber hinaus auch das nach Kurzvokal als Silbengelenk an (vgl. L09, A70). Im Bereich von Schreibungen des Strukturtyps 4 ergibt sich ein anderes Bild, das für alle zugeordneten Lehrkräfte nahezu identisch beschrieben werden kann: Entscheidend für das Verständnis von Wortschreibungen mit silbeninitialem ist für alle Lehrende dessen Abgrenzung vom ‚nicht hörbaren‘ . Das ‚hörbare‘ bezeichnen sie z. T. unterschiedlich, behandeln es aber fallübergreifend gleich: (1) Die Lehrerinnen L04 und L13 verweisen auf die silbentrennende Funktion des und unterscheiden es dadurch vom Dehnungs-: ((…)) das hat ja ZWEI Funktionen, das ist ja einmal (--) äh zur, zur Verlängerung und einmal (-) silbentrennend und dann hört man das ja sehr WOHL.145 (-) Man hört es ja auch im Anlaut. (L04, B3.1)

Betrachtet man die sprachliche Darstellung in den beiden Fällen genauer, fällt auf, dass L04 sehr bestimmt argumentiert und durch die besondere Betonung der Modalpartikel (sehr) wohl hervorhebt, dass es an der ‚Hörbarkeit‘ des aus ihrer Sicht keinen Zweifel gibt. Sie setzt dabei Wort- und Silbenanlaut gleich, geht also auf keine spezifischen Gesetzmäßigkeiten des Anfangsrandes in der zweiten (Schreib-)Silbe ein. L13 kommt zwar zur selben Einschätzung („das ist ja ein silbentrennendes , also in dem Sinne hört man es ja schon bei blühen/[blyːˈhɛn] [[spricht [h]]]“, L13, B3.1), formuliert diese aber deutlich vorsichtiger: Ähm (--) na ja, ich würde ihn erst mal blühen [[spricht es mit angedeutetem [h]]] vorsprechen lassen und dann sagen, na ja, dass man das da ja schon irgendwie hört, also dass es zwar das gibt, das

145

Die Unterstreichung wird hier extern vorgenommen, um die Passagen zu markieren, auf die sich die anschließende sprachliche Detailanalyse bezieht.

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

449

man nicht hört, aber dass es zwei unterschiedliche s gibt. (L13, B3.5)

L13 wirkt dabei nicht gleichermaßen überzeugt wie L04, sieht aber in der Unterscheidung der zwei -Typen das entscheidende Argument für die generelle ‚Hörbarkeit‘. (2) L09 verweist ebenso wie die anderen beiden Lehrerinnen auf das angeführte Abgrenzungskriterium zum Dehnungs-, bezeichnet das intervokalische aber als silbeninitiales . Analog zu den anderen beiden Lehrerinnen sieht aber auch er die Position im Silbenanfangsrand der zweiten Silbe als Beleg für die ‚Hörbarkeit‘ dieses , weil man ganz viele Wörter nehmen kann, die auch (-) dieses Phänomen haben, so wie gehen oder sehen [[spricht [h]]] und da hört man das , weil das ein silbeninitiales ist, (-) und da ist es ein anderes Phänomen. (L09, B3.1)

Er nimmt anschließend eine Ergänzung vor, die in den vorangegangenen Typen I und II bereits eine (z. T. zentrale) Rolle spielte und sich auf eine grundsätzlich unsaubere Aussprache in der alltäglichen Kommunikation bezieht: ((…)) das (-) ist natürlich wieder so: Wie sprechen wir, ne, wenn wir schludrig sprechen, dann hört man es nicht, aber (---) das ist eben auch Sprachvorbild sein, das (-) trifft auch auf MICH zu, also wenn ich sage ['geːhən] und nicht ['geːn̩], also da muss man (-) vielleicht auch mal so ein bisschen (---) das (--) nicht übertrieben sagen, aber auch so sprechen, dass es auch wirklich erkennbar ist als silbeninitiales . (L09, B3.1)

Dieses Beispiel steht exemplarisch für ein wesentliches Kennzeichen des Typs III und bringt besonders deutlich zum Ausdruck, dass die Lehrenden im Fall von Schreibungen des Strukturtyps 4 nicht zwischen einer Explizitlautung, in der die Zweisilbigkeit der Grundform durch die Artikulation des Reduktionsvokals [ə] (anstelle eines konsonantischen Silbenkerns) gewahrt wird, und der schriftinduzierten ‚Hochlautung‘ unterscheiden (zur definitorischen Abgrenzung der lautsprachlichen Varietäten s. 7.3.2.4). Der Typ III konstituiert sich darüber hinaus dadurch, dass die für die beiden ausgewählten Bereiche der Wortschreibung ermittelten Vorstellungen von der Funktionalität der jeweiligen Schreibungen auch im didaktischen Handlungskontext eine Rolle spielen. Worin diese Rolle in der unterrichtspraktischen Umsetzung besteht, zeigt die differenziertere Auseinandersetzung mit den geäußerten Handlungsempfehlungen zum Umgang mit -Schreibungen sowie Wortschreibungen der Strukturtypen 3 und 4. In der Zusammenführung aller Einzelzugriffe auf Wortschreibungen der

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8 Darstellung der Ergebnisse

in den Interviews betrachteten Strukturtypen ergeben sich folgende gemeinsame Tendenzen für den ermittelten Typ III: Schreibungen mit regulärem in morphologisch einfachen oder komplexen Wörtern werden in allen einbezogenen Textsegmenten auf segmentaler Ebene und somit über die grundlegende Phonem-GraphemKorrespondenz, „eben das als (-) regelgeleitete deutsche (-) Verschriftung für das lange [i:]“ (L13, B2b.3), erklärt. L09 stellt in einem der Gesprächsbeiträge zur Veranschaulichung der Erklärung auch den Bezug zur Position des in der Silbe her und verweist zugleich auf die Besonderheit des gegenüber den anderen Vokal(graphem)en: Und das ist dann, (-) zum Beispiel bei dem Wort Liebe (--) steht das i am Ende der Silbe und dann wissen die Kinder, das ist ein langer Vokal, und dann wird der eben (-) beim unterstützt durch ein (-) , damit er richtig schön lang oder damit das / damit der Vokal lang wird (-) und die anderen Vokale haben das eben nicht, nur das i. (L09, A26)

Die Äußerungen zur im Interviewteil B vorgelegten Fehlschreibung * beziehen sich jedoch bei allen Typ-III-Lehrkräften ausschließlich auf die phonographische Korrespondenz. Wortschreibungen des Strukturtyps 1/: Für die -Schreibung wird eine phonembasierte Erklärung auf segmentaler Ebene formuliert, die auf die PhonemGraphem-Zuordnung /iː/ – verweist.

Bei Schreibungen des Strukturtyps 3 steht in allen zugeordneten Fällen die Funktionalität der konsonantischen Verdopplung im Geschriebenen für die phonologische Repräsentation im Fokus. Dabei fällt auf, dass die Lehrenden besonders häufig in Leserichtung, das heißt ausgehend vom geschriebenen Wort, argumentieren, so z. B. L04 im offenen Interviewteil A: Ähm (-) da geht es ja darum, dass durch die Schärfung im Prinzip dem Leser angezeigt wird, also (-) ist der Vokal lang oder kurz zu lesen. (L04, A56)

Dass die Funktionalität den Kern der Zugriffe bildet, kann auch an Auffälligkeiten in der sprachlichen Darstellung demonstriert werden: Es zeigt sich, dass die Lehrenden in allen Äußerungen zu Schreibungen des Strukturtyps 3 kausale, finale oder konditionale Satzkonstruktionen bilden, um die Zusammenhänge zwischen Schreibung und Lautung zu begründen. In den nachfolgenden Beispieläußerungen werden die entsprechenden Konnektoren durch Unterstreichung hervorgehoben:

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

451

-

L04 gibt die konditionale Bedingung der Doppelkonsonantenschreibung (in Referenz auf die silbenstrukturellen Bedingungen eines zweisilbigen Wortes) in Schreibrichtung an: „((…)) ist der Vokal lang, ist er kurz? (-) Wenn er (-) kurz ist, müssen wir halt den nachfolgenden Konsonanten doppeln.“ (L04, A56)

-

L09 benennt wiederum die Kausalität in Leserichtung: „bei Schafe ist das a einfach lang, weil das am Ende der Silbe steht, (-) und bei schaffen steht es in der Mitte der Silbe und deswegen ist es nicht lang, weil es eine geschlossene Silbe ist“ L09, B1.2

-

Auch L13 beschreibt ein Vorgehen, das die silbenstrukturellen Gegebenheiten für die graphematische Umsetzung phonologischer Eigenschaften verantwortlich zeichnet: ((…)) wenn die Silbe offen ist, klingt es halt anders und damit (-) das kurz klingt, muss da noch jemand hin, weil sonst der Platz das / also das fand ich bei dem Bärenboot zum Beispiel ganz süß, also mit diesem lange arbeiten und kurz arbeiten (-) ist das so bildlich, finde ich, ähm (-) der muss lange arbeiten, der Kapitän, weil kein Matrose ihm hilft, deswegen müssen wir ihn lang aussprechen. (L13, A79)

L13 benennt zudem die obligatorische Besetzung des Anfangsrandes in der zweiten Silbe („dass ja die ähm zweite Silbe nie mit dem Schwa-Laut anfangen kann“, ebd.). Dabei verwendet sie mit dem Schwa einen phonologischen Begriff, argumentiert aber weiter in Referenz auf das Silbenhaus-Modell und den damit untersuchten Aufbau des geschriebenen Wortes, dem keine Überlautung mit zweifach realisiertem intervokalischen Konsonant zugrunde gelegt wird. Ob sie die Strukturvorgabe des besetzten Anfangsrandes in der Reduktionssilbe als rein graphematische oder auch phonologische Gesetzmäßigkeit versteht, bleibt offen. Die klaren sprachlichen Markierungen eines Kausalzusammenhangs zwischen der Wortschreibung und der Wortaussprache im Typ III lassen sich in den sprachlichen Detailanalysen entsprechender Äußerungen der Typ-I- und Typ-II-Lehrerinnen nicht feststellen. Auffällig im Typ III ist überdies, dass die Lehrenden sprachwissenschaftlich etablierte Fachbegriffe für die Schreibungen des Strukturtyps 3 nutzen und darunter nicht nur Doppelkonsonantenschreibungen, sondern auch weitere Markierungen wie das fassen: L04 spricht von „Schärfung“ (L04, A56), L13 vom „Silbengelenk“ (L13, A109), L09 nutzt beide Begriffe (vgl. L09, A70). Sowohl bei L09 als auch bei L13 zeigt sich, dass sie das Silbengelenk als Begriff der Schreibebene verwenden und nicht als Begriff, der auf die besonderen

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8 Darstellung der Ergebnisse

phonologischen Bedingungen bzw. den phonologischen Gelenkkonsonanten referiert: Ähm, (--) ich würde einfach sagen, dass dem Kind nicht bewusst ist, dass es so eine Art Silbengelenk gibt, das heißt, ein und derselbe Buchstabe tritt auf beiden Seiten der Silbe auf (-) und (--) wenn es nicht gehört wird, es kommt tatsächlich vor, weil wir ja auch so nicht sprechen, muss ich aber wissen, dass das a ein kurzer Vokal ist, sonst würde es ja ['ʃa:fn̩] heißen. (L09, B1.2)

Inwiefern L09 die phonologische Korrespondenz der verdoppelten Konsonantengrapheme sachstrukturell doch als segmentales Abbild des geschriebenen Wortes versteht, kann seiner Anmerkung „wenn es nicht gehört wird, es kommt tatsächlich vor, weil wir ja auch nicht so sprechen“ (ebd.) nicht klar entnommen werden. Es lässt sich letztlich jedoch in keiner der für Typ III untersuchten Passagen in den Interviewteilen A und B eine produzierte Überlautung, geschweige denn eine handlungsleitende Vorstellung von einer zweifachen Artikulation der intervokalischen Konsonantengrapheme feststellen. Die konkreten Handlungsempfehlungen aller Typ-III-Lehrer/-innen beziehen beide Erarbeitungsrichtungen mit ein. Sie fokussieren auf (a) die Leserichtung und schriftsprachanalytische Operationen (schreibsilbenbasiert): ((…)) und dann (---) kann man auch den Kindern noch mal ganz deutlich zeigen, wenn man Wörter gegenüberstellt, (-) mit langem und kurzem Vokal, wie sich das dann (-) unterschiedlich anhört, so wie bei Hüte und Hütte, (-) also dass sie so ein bisschen das Gefühl dafür bekommen, weil viele Kinder, wenn ich sage, (-) ist das ein langer oder ein kurzer (--) Vokal oder König, dann wissen die das meistens nicht, weil die gar nicht das sprachliche Gefühl haben für Was ist eigentlich lang und was ist eigentlich kurz?, das fällt vielen auch schwer, das herauszubekommen, aber (wenn) man Wörter gegenüberstellt mit kurzem, langem Vokal, die eigentlich (-) ähnlich sind, so wie Hüte und Hütte, dann kann man das besser (-) vielleicht dem Kind auch erklären (---) oder eben auch durch Vorsprechen, natürlich auch. (L09, A26)

(b) die Schreibrichtung und die Wahrnehmung von phonologischen Merkmalen des Wortes (sprechsilbenbasiert): ((…)) wir haben das aber so gemacht, dass wir, dass wir immer die Gegenüberstellung (-) machen: ‚Heißt es ['nyːsə] oder heißt es ['nʏṣə]?‘, also dass wir immer (-) horchen, (-) ist es lang oder ist es kurz und wie hört sich das an? (L04, A22)

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

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Im Umgang mit Wortschreibungen des Strukturtyps 3 kann für die Lehrkräfte des Typs III festgehalten werden, dass silbenstrukturelle Analysen eine zentrale Herangehensweise darstellen. Die Lehrenden setzen sie sowohl zur gemeinsamen Erarbeitung der interdependenten Verhältnisse zwischen Gesprochenem und Geschriebenem mit den Lernenden als auch zur Unterstützung der Schüler/-innen im konkreten Schreibprozess ein. Wortschreibungen des Strukturtyps 3/Silbengelenkschreibungen: Die Orientierung an der Schriftstruktur ist handlungsleitend: Interdependente Beziehungen zwischen geschriebenem und gesprochenem Wort werden auf suprasegmentaler Ebene mit Bezug auf die Silbenstruktur erklärt.

Die Zugriffe auf Wortschreibungen des Strukturtyps 4 fallen gemäß den dargestellten Vorstellungen von ihrer Sachstruktur anders aus als die zuvor beschriebenen Erklärungen von Wörtern des Strukturtyps 3. Besonders ins Auge fällt hierbei, dass die Lehrenden – bis auf das gegebenenfalls empfohlene Verlängern eines Wortes zu einer zweisilbigen Form – keine weiteren (schrift-)sprachanalytischen Hilfestellungen anbieten als das aufmerksame (Vor-)Sprechen des Wortes. Auch wenn alle drei Lehrenden von der silbentrennenden Funktion oder der silbeninitialen Position des sprechen, stellen sie im Unterschied zum Strukturtyp 3 keine (expliziten) Bezüge zu den silbischen Strukturpositionen her. Sie verweisen weder auf das Vorliegen einer offenen Hauptsilbe noch auf die obligatorische Besetzung des Anfangsrandes der zweiten Silbe, die durch das erfüllt wird.146 Auch kennzeichnen sie die Position des nicht explizit als intervokalisch. Der erkennbare Grundtenor lautet fallübergreifend: Wenn man das Wort aufmerksam spricht bzw. „ordentlich trennt“ (L04, B3.1), ist das [h] eindeutig zu hören und graphematisch als umzusetzen. Anders als im Umgang mit Silbengelenkschreibungen wird die graphembasierte Fundierung der Bezugslautung von den Typ-III-Lehrenden im didaktischen Anwendungskontext nicht hinterfragt. Hatte L04 am Beispielwort Mutter noch erläutert, dass eine Silbensegmentation mit dem Ziel

146

In der Beschreibung der Zugriffe auf Wortschreibungen des Strukturtyps 3 wurde darauf hingewiesen, dass die Strukturvorgabe des zu besetzenden Anfangsrandes der zweiten Silbe für L13 handlungsleitend ist und sie diese dort zumindest begrifflich auf der phonologischen Ebene ansiedelt. Im Umgang mit dem ‚silbentrennenden ‘ führt sie die Anfangsrand-Vorgabe nicht erneut an; ob die Annahme eines silbentrennenden h, das sowohl im Gesprochenen als auch im Geschriebenen auftritt, als Beleg dafür gesehen werden kann, dass L13 den besetzten Anfangsrand der zweiten Silbe (auch) als Erfordernis des gesprochenen Wortes betrachtet, kann nicht abschließend geklärt werden.

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8 Darstellung der Ergebnisse

einer einzellautorientierten Erschließung der Schreibung nur funktioniere, „wenn man es weiß“ (L04, A56, s. oben), also die Schreibung schon kennt, wird ein solcher Zugriff auf die -Schreibung hingegen als legitim darstellt. Wortschreibungen des Strukturtyps 4/silbeninitiales : Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung ist handlungsleitend: Es werden graphembasierte Erklärungen auf suprasegmentaler Ebene formuliert: Die silbenstrukturelle Funktion des wird auf die lautsprachliche Wortrepräsentation übertragen.

Für die ausgewählten Bereiche der Wortschreibung im Kernbereich des Deutschen ergeben sich für Typ III in Tab. 56 zusammengefassten Zugriffstendenzen. Tab. 56 Zusammenfassung der Zugriffe: Typ III Strukturtyp 1 (hier speziell )

Präsentation als primär segmental begründete Schreibung

Strukturtyp 3 (Silbengelenkschreibungen) Präsentation als primär silbenstrukturell begründete Schreibung mit schreib- oder sprechsilbenbasierter Erarbeitungsrichtung (ohne handlungsleitende Überlautung)

Strukturtyp 4 (silbeninitiales ) Präsentation als primär silbenstrukturell begründete Schreibung (mit handlungsleitender Überlautung)

In der separaten Betrachtung ihres Umgangs mit morphologisch komplexen Wortformen lassen sich weitgehende Übereinstimmungen zwischen den Lehrenden beobachten. Die -Schreibung im Kompositum Gießkanne wird einheitlich auf die regelhafte Korrespondenz zwischen [iː] und bezogen, dafür wird aber die zweisilbige Form gießen herangezogen und auf die morphologische Fundierung der Schreibung hingewiesen. Mit Ausnahme von L13, die das morphologisch vererbte in Frühstücksei unmittelbar als Dehnungs- und Schreibung aus dem „Peripheriebereich“ (L13, B2a.1) bestimmt (↘ Verführungsfall I), werten die TypIII-Lehrenden das in den vorgelegten morphologisch komplexen Wortformen des Strukturtyps 4 übereinstimmend als vererbtes silbentrennendes oder silbeninitiales . Sie offenbaren dabei den Verführungsfall II: Die zweisilbigen Grundformen dienen der Reaktivierung der ‚Hörbarkeit‘ des silbeninitialen . Auffällig ist auf der anderen Seite, dass in diesem Kontext sehr ausführlich auf die Zusammenhänge zwischen zweisilbiger Grundform und Wortstamm eingegangen wird und diese auch in konkreten

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

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Handlungsempfehlungen zur Arbeit mit Wortstämmen in Wortfamilien aufgegriffen werden – so etwa bei L13, die, anders als im Umgang mit dem in Frühstücksei (s. oben), zur Erklärung des in auf die zweisilbige Grundform zurückgreift und für das Folgendes angibt: ((…)) wenn es halt (-) bei dem einen (-) Wort von der Wortfamilie ist, eben auch bei dem anderen das so / da kann man ja ganz viele (-) Übungen machen, was gehört zu der Wortfamilie, ne, oder eben auch andere Wortfamilien (-) nehmen und er schreibt ganz viele Wörter dazu auf, um auch zu gucken, dass dieser Stamm ja gleich bleibt, aber dass sich ja (-) ähm das trotzdem total verändern kann, das Wort, aber es eben immer noch zu der Wortfamilie mit dazugehört. (L13, B3.5)

Ähnliche Vorschläge finden sich auch bei L04 (z. B. B2a.1) und L09 (z. B. B3.1). Auf das morphologisch vererbte in dem thematisierten Kompositum Frühstücksei gehen die Lehrkräfte nur mit einem knappen Verweis auf vorige Äußerungen zu Wörtern des Strukturtyps 3 (L04, L09) oder gar nicht (L13) ein, sodass hierzu keine weiteren Beobachtungen geschildert werden können. Die wesentlichen Kennzeichen des Typs III werden in dem folgenden Kasten noch einmal zusammengefasst. Die von den Lehrkräften des III. Typs präsentierten Zugriffe auf die Wortschreibung setzen je nach vorliegender Wortstruktur entweder sowohl auf der Ebene der Lautung als auch der Schreibung (Strukturtyp 3) oder nur auf der phonologischen Ebene an (Strukturtyp 4). Dabei steuert ihr sachstrukturelles Verständnis von der jeweiligen orthographischen Regularität in ihrer Beziehung zum gesprochenen Wort die didaktische Umsetzung. Im Bereich des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen) werden die eigenständigen Strukturen des Schriftsystems (auf Wortebene) anerkannt und interdependente Zusammenhänge zwischen den intervokalischen Konsonantengraphemen und der Vokalquantität im Gesprochenen thematisiert. Für den didaktischen Anwendungsbezug formulieren die Lehrpersonen sowohl Ansätze zur Analyse von schreibsilbischen Strukturen als auch zur auditiven Erfassung von sprechsilbischen Merkmalen. Sofern die Schreibungen dem Strukturtyp 4 zugeordnet sind, erklären oder verdeutlichen die Lehrer/-innen die graphematische Markierung hingegen über deren direkte (angenommene) phonologische Korrespondenz und gehen von gleichen segmentalen Verhältnissen im gesprochenen und geschriebenen Wort aus. Als Hilfestellung zur Ermittlung von Schreibungen des Strukturtyps 4 führen die Lehrenden im Unterschied zum Strukturtyp 3 keine schriftanalytischen Operationen an,

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8 Darstellung der Ergebnisse

die die silbentrennende Funktion oder das silbeninitiale Auftreten des verdeutlichen könnten. Im Bereich morphologisch komplexer Wortschreibungen dominieren innerhalb des Typs III im Umgang mit dem silbeninitialen Zugriffe des Verführungsfalls II: Die Schreibungen morphologisch komplexer Wortformen werden grundsätzlich als morphologisch motivierte Schreibungen betrachtet und auf zweisilbige Grundformen zurückgeführt, in denen die phonologisch-segmentale Gliederung des jeweiligen Wortes die ‚Hörbarkeit‘ des zulässt. Die Lehrer/-innen zeigen insgesamt ein ausgeprägtes Bewusstsein für das Wirken des morphologischen Prinzips der Wortschreibung.

Die primären Eigenschaften des Typs III wurden im Vorangegangenen differenziert erfasst. Im Weiteren sollen einige Ergänzungen getroffen werden, die sich auf die konkrete Umsetzung der zuvor beschriebenen didaktischen Handlungsorientierungen beziehen. Dabei können zum einen zentrale Gemeinsamkeiten der drei zugeordneten Fälle untermauert werden, zum anderen zeigen sich aber auch deutliche Unterschiede zwischen den Lehrkräften, die vor allem ihre jeweilige ‚globalere‘ konzeptionelle Ausrichtung betreffen. Als zentrales Element der Zugriffe auf Wortschreibungen des Strukturtyps 3 wurde bereits der Bezug auf die Silbenstruktur ermittelt. Dabei wurden Annäherungsformen für beide Erarbeitungsrichtungen beschrieben, nämlich silbenstrukturelle Analysen (a) in Schreibrichtung, also mit phonologischem Ausgangspunkt, und (b) in Leserichtung, also mit graphematischem Ausgangspunkt. Positive Bewertung von (1) an der Lautung und (2) an der Schreibung ansetzenden silbenorientierten Hilfestellungen zur auditiven Erfassung der Vokalquantität: (1) Die Erfassung der Sprechsilbenstruktur wird als wirksame Hilfestellung für die schreibrelevante Differenzierung zwischen Lang- und Kurzvokalen (bzw. offenen und geschlossenen Silben) betrachtet. (2) Die Erfassung der Schreibsilbenstruktur wird als wirksame Hilfestellung für die schreibrelevante Differenzierung zwischen Lang- und Kurzvokalen (bzw. offenen und geschlossenen Silben) betrachtet.

Anders als im Typ II werden die beiden Erarbeitungsrichtungen bzw. die phonologische und graphematische Wortebene dabei nicht miteinander vermischt: Sie werden zwar als kombinierbare Erarbeitungswege und Unterstützungsformen benannt, die spezifische Materialität des gesprochenen und geschriebenen Wortes wird dabei aber anerkannt und auch in der

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

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didaktischen Umsetzung berücksichtigt, sodass Überlautungen keine Rolle spielen. Die Silbenstruktur als zentrale Bezugsgröße im Umgang mit Vokalquantitäten Die Lehrer/-innen des Typs III präsentieren silbische Strukturen innerhalb des (zweisilbigen) Wortes in erster Linie in ihrer Funktion für die graphematische Repräsentation von Vokalkürze und -länge. Sie offenbaren dabei Vorstellungen einer suprasegmental begründeten Wortschreibung, die z. T. (nicht im Umgang mit Schreibungen des Strukturtyps 4) auch in ihrer ebenfalls suprasegmentalen Wechselbeziehung zum Gesprochenen dargestellt wird. Im handlungsbezogenen Interviewteil B (Umgang mit Fehlschreibungen) raten die Lehrerinnen des Typs III im Umgang mit Wortschreibungen des Strukturtyps 3 zur silbenstrukturellen Analyse; für Schreibungen des Strukturtyps 4 wird zwar ebenfalls ein silbenstruktureller Bezug hergestellt, dieser wird in den Handlungsempfehlungen jedoch nicht weiter aufgegriffen. Im konkreten Anwendungskontext wird die Untersuchung der Silbenstruktur also strukturtypabhängig aktiviert. Für die unterrichtsmethodisch gestützte Auseinandersetzung mit für die Wortschreibung relevanten silbischen Strukturen werden bidirektionale Erarbeitungswege präsentiert, die die suprasegmentale Struktur sowohl des geschriebenen als auch des gesprochenen Wortes unter Beachtung der Haupt- und Reduktionssilbenverhältnisse erfahrbar machen. Dabei kommt es im Umgang mit Silbengelenkschreibungen – anders als im Typ II – nicht zu gegenseitigen Überformungen zwischen sprech- und schreibsilbenstrukturellen Hilfestellungen: Überlautungen spielen in den Empfehlungen zur silbenstrukturellen Analyse keine handlungsleitende Rolle. Die suprasegmentalen Untersuchungen innerhalb des zweisilbigen Wortes werden zudem durch die Nutzung von silbischem Strukturwissen unterstützt: Der obligatorisch zu besetzende vokalische Silbenkern und die fakultative Besetzung der weiteren konsonantischen Strukturpositionen wird von allen Lehrkräften genannt, die regelhafte Besetzung des Anfangsrandes der Reduktionssilbe nur (punktuell) von L13.

Bei aller Gemeinsamkeit hinsichtlich der intentionalen Aktivierung des Wortstrukturbezugs werden in den auf silbenstrukturelle Analysen bezogenen Äußerungen der Lehrenden jedoch gewichtige Unterschiede zwischen der konzeptionellen Ausrichtung L09s und den Vorstellungen der anderen beiden Lehrerinnen zur Lehr-Lern-Progression sichtbar. L09 fasst die leitende Funktion, die er in silbenstrukturbezogenen Analysen sieht und die sich auch für die anderen Lehrkräfte des Typs III als zentral erweist, folgendermaßen zusammen: ((…)) offene oder geschlossene Silbe, das ist natürlich ganz wichtig nachher für die Vokallänge. (L09, A24)

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8 Darstellung der Ergebnisse

Um seine Positionierung mit den Ansichten L04s und L13s gegenüberzustellen, wurde in dem vorangegangenen Zitat das Adverb nachher durch Unterstreichung hervorhoben. Die folgende Textstelle aus dem Gespräch mit L04 zur Funktionalität des Silbenstrukturbezugs veranschaulicht – ebenfalls durch Hervorhebung der relevanten Textstelle –, worin die Abweichung zu L09 besteht: Naja, in der Silbe hat man ja immer (-) äh in der Mitte (-) den, (-) also jetzt hier (-) in diesem Fall (--) der Klinger, der Indianerlaut, der Vokal und (-) ähm (--) dass, dass äh (-) sich darum (-) halt alles aufbaut. Wir brauchen den Vokal (und) den Starter und Stopper und je nachdem, ob der Vokal gekürzt wird oder nicht, wird dann halt (-) der (-) Konsonant dahinter gedoppelt oder nicht (-) und äh (-) das / diese (-) Regeln haben sie halt von Anfang an. (L04, A14)

L04 und auch L13 (vgl. z. B. L13, A69) präsentieren die Auseinandersetzung mit suprasegmental-silbenstrukturellen Aspekten der Wortschreibung in ihrer Bedeutung für das Gesprochene als Baustein, der im Schriftsprachunterricht von Beginn an eine Rolle spielen sollte, um den Lernenden einen analytisch-kognitiven, systematischen Aufbau schriftsprachlicher Kompetenzen zu ermöglichen. L09 weist hingegen wiederholt darauf hin, dass er der Vorstellung einer zweiphasigen Schriftbegegnung folgt: vom lautierenden zum orthographisch richtigen Schreiben. Dies verdeutlicht er u. a. dadurch, dass er die Orientierung an der Silbe zwar schon für den Beginn des Schriftsprachunterrichts anführt, ihr dabei jedoch eine andere Funktion, nämlich die Unterstützung des lautierenden Schreibens beimisst: Ja, ich habe dann gesagt, dann ähm Silbenbögen zeichnen, (-) damit die Kinder schon mal optisch eine Vorstellung haben, was aufgefüllt werden muss, (-) und ähm ((…)) wenn ich dann sage, du hörst am Anfang des Wortes eben den Anlaut, den schreibst du schon mal hin (--) und dann weißt du, in der ersten Silbe, das sind ja meistens Wörter, die (-) pro Silbe sowieso nur zwei Buchstaben haben, die ganz einfachen Wörter wie Hose (-) und dann weiß das Kind, okay, ich habe (-) den Anfangslaut schon geschrieben, also muss jetzt ein Königs- (-) -buchstabe kommen und dann können sie einfach durchprobieren, heißt es [ˈhɑːzə], [ˈhiːzə], (-) [ˈhuːzə] oder [ˈhoːzə] und dann kommen sie eigentlich selber drauf, (-) dass das das sein muss. (L09, A20)

Er schildert hier ein ähnliches Vorgehen, wie es bereits für Typ I und teilweise auch für Typ II beschrieben wurde (↘ Die Silbe als Bezugsgröße des lautierenden (Erst-)Schreibens). Die Silbe dient dabei der Ermittlung

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

459

einer linearen Abfolge von Einzelsegmenten, in der die prosodischen Eigenschaften und generell suprasegmentale Zusammenhänge (noch) keine Rolle spielen. Zwar gibt L09 an, den Lernenden auch beim lautierenden Schreiben schon eine Regel für die Schreibsilbe147 an die Hand zu geben, nämlich „dass sie wissen, in jeder Schreibsilbe ist / wir nennen das ja Königsbuchstaben, die Vokale, die ganz oben stehen auf der Anlauttabelle“ (L09, A11). Die Auseinandersetzung mit den für die Schreibung relevanten Quantitätsunterschieden der Vokale und die daran geknüpfte Beschäftigung mit suprasegmentalen Strukturen innerhalb des geschriebenen Wortes sind dieser Erstbegegnung mit der deutschen Schriftsprache jedoch zeitlich nachgeordnet. Dass L04 einem lautierenden Aufbau des geschriebenen Wortes vehement widerspricht und auch L13 sich diesbezüglich skeptisch äußert, wird im Abschnitt 8.3.3.1 näher beleuchtet. In der Zusammenfassung der dem fokussierten Merkmalsraum zugeschriebenen Eigenschaften ergeben sich für Typ III folgende Hauptmerkmale: -

147

die Aktivierung des interdependenten Verhältnisses zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort im Umgang mit Schreibungen des orthographischen Strukturtyps 3; ein in der (vorgestellten) Vermittlungssituation angeregter analytisch-kognitiver Zugang zur suprasegmentalen Kodierung von Vokalquantitäten im geschriebenen Wort; die Beschäftigung mit silbischen Strukturpositionen innerhalb zweisilbiger Grundformen als suprasegmentale, nicht einzelsegmentale Untersuchungsform; das gesprochene und geschriebene Wort als Ausgangsgrößen der Erschließung von Wortschreibungen.

L09 verweist wiederholt darauf (vgl. z. B. L09, A11, A28), nicht mit der Sprechsilbe, sondern explizit mit der Schreibsilbe zu arbeiten. Auf Nachfrage drückt er ein Verständnis der Schreibsilbe aus, das sich aus der amtlichen Regelung zur Worttrennung am Zeilenende ergibt: „Also die Wörter werden dann (-) in Silben gegliedert, obwohl ich nicht nach der Sprechsilbe gehe, sondern immer (-) einen Fokus habe auf die Schreibsilbe ((…)). Also ich komme gar nicht mit: Wir klatschen das Wort Oma, weil viele sagen dann: „O.ma, zwei Silben“, das Wort hat aber nur eine Schreibsilbe, hat aber zwei Sprechsilben (-) ((…)), das bringe ich die Kindern / den Kindern dann später auf einem anderen Wege bei beziehungsweise sie merken dann selber, dass Oma einfach ein einsilbiges Wort ist, (-) weil man einzelne Buchstaben nicht abtrennen kann“ (L09, A11). Wie sich in den Analysen des Folgekapitels zeigen wird, nutzt er die beschriebene Orientierung an der Schreibsilbe letztlich häufig in Form von sprechsilbisch orientierten Hilfestellungen.

460 8.3.3.1

8 Darstellung der Ergebnisse

Vorstellungen von der schriftsprachlichen Lehr-Lern-Progression (Typ III)

In den vorangegangenen Beschreibungen des Typs III wurden zentrale Gemeinsamkeiten der Lehrkräfte im Umgang mit ausgewählten Wortschreibungen dargelegt. Dabei wurde u. a. deutlich, dass sich die primären Merkmalsausprägungen in ihrer konkreten Erscheinungsform fallspezifisch durchaus unterscheiden. Darüber hinaus wurden bereits vereinzelte Hinweise dafür präsentiert, dass die Orientierungen der Typ-III-Lehrenden in Merkmalen, die nicht den unmittelbaren Merkmalsraum betreffen, z. T. deutlich voneinander abweichen. Betrachtet man – wie auch in den Untersuchungen der Typen I und II – die globaleren Vorstellungen der Lehrenden von der schriftsprachlichen Lehr-Lern-Progression und den dafür eingesetzten Lehr-Lern-Medien, ergeben sich für die Einzelfälle, die dem Typ III zugeordnet sind, teilweise erhebliche Divergenzen. Während für die Typen I und II weitgehend homogene oder zumindest sehr ähnliche schriftsprachdidaktisch-konzeptionelle Ansichten ermittelt wurden, sind für Typ III also typintern auffällige Unterschiede und mitunter sogar konträre Haltungen festzustellen, die zwischen L04 und L13 auf der einen Seite und L09 auf der anderen Seite bestehen und im Folgenden näher beschrieben werden. Die ermittelten Unterschiede betreffen in erster Linie (a) die sachanalytische Bewertung und Relevanz des Einsatzes einer Buchstabentabelle für das Lehrer- und das Lernerhandeln im Erstschreibunterricht sowie (b) die Gewichtung des Richtigschreibens gegenüber dem freien Schreiben ohne Anspruch an die orthographische Richtigkeit im Erstschreibunterricht. Eindeutig gegenteilige Überzeugungen und daraus abgeleitete Handlungsorientierungen ergeben sich für den unter (a) genannten Aspekt: L04 und L13 lehnen die Arbeit mit Buchstabentabellen entschieden ab, wohingegen L09 diese ausdrücklich befürwortet. L04 bekundet, „dass es (-) die Kinder (-) veräppeln ist, (-) wenn man ihnen erzählt, (-) ähm (-) hör mal (-) und schreib mal auf, was du alles hören kannst“ (L04, A8), und auch L13 gibt an, „ein absoluter Gegner vom / von, von Lesen durch Schreiben und von diesen Schrein/ schreien Freiben/ freien Schreiben mit der Anlauttabelle“ (L13, A119) zu sein. Demgegenüber steht L09 mit folgender Grundausrichtung und dem überzeugten Einsatz einer Buchstabentabelle in Klasse 1:

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

461

Also jetzt bezogen auf Klasse 1, (-) ähm (--) versuche ich, den Kindern erst mal zu vermitteln, (-) ähm wie sie Laute hören oder geht / es geht ja erst mal um die Phonologie, dass sie herausbekommen, ähm wie sich Wörter zusammensetzen, was sie hören und dann sollen sie ja erst mal das nur aufschreiben, was sie hören. Und wichtig ist eben dabei mir, dass sie ähm das vollständig aufschreiben, also dass sie die Sachen, die sie heraushören, auch wirklich alle aufschreiben und da ist am Anfang natürlich wichtig, dass sie die Anlaute richtig heraushören. (L09, A11)

Die Ausführungen der Lehrkräfte zu ihrer Entscheidung für oder gegen einen Einsatz des einzelsegmentorientierten Hilfsinstruments geben weiteren Aufschluss über ihre Vorstellung von der Wortschreibung als Fach- und Lerngegenstand. L04 begründet ihre klare Ablehnung sowohl sachanalytisch als auch lernerbezogen, indem sie zum einen die Koartikulation innerhalb des gesprochenen Wortes148 als fachliches Argument gegen ein lautierendes Vorgehen anführt („IM Wort wird es ganz problematisch, weil es je nachdem, welcher Buchstabe (-) äh (-) ringsrum ist, ja auch (-) eine Lautverschiebung gibt“, L04, A14), zum anderen das Recht der Lernenden auf eine ‚ehrliche‘ Gegenstandsvermittlung betont: Ähm (--) ich habe neulich eine (--) Lehrerin gesprochen, die hat gesagt, sie erzählt den Kindern halt, es gibt eine (-) Erwachsenen- und eine Kinderschrift (--) und man lernt erst die Kinderschrift und dann die Erwachsenenschrift und so was finde ich, da, also (-) da könnte ich ausrasten, wenn ich so was höre, weil ich denke so: Nein, es gibt nur EIne (-) und die hat bestimmte Regeln (-) und das kann man den Kindern von Anfang an erklären, (-) weil ihnen das auch Sicherheit gibt. (L04, A8)

L13 erhebt keine explizit auf die Sachangemessenheit des einzelsegmentorientierten Zugangs bezogenen Einwände, spielt aber auf die sprachlichkognitive Überforderung der Lernenden an: Und hier (-) machst du ja quasi Wusch, ((zeigt auf die Anlauttabelle)), ich wünsche dir viel Spaß!, (-) und sie hängen damit so völlig äh / überfordert. Also die Schwachen kriegen nicht mal das Strukturierte hin. Wie sollen sich die Schwachen aus diesen (-) Wörtern, aus diesen Buchstaben irgendwelche Wörter zusammensetzen. So und (-) auch überhaupt diese Wortvorstellung, ich will jetzt schreiben: Ich gehe nach Hause, auf die Idee müssen die ja erst mal kommen, und

148

Sie vermischt dabei allerdings die phonologische und graphematische Sprachebene, indem sie im gleichen Kontext von „Buchstaben“ und „Lautverschiebung“ (ebd.) spricht.

462

8 Darstellung der Ergebnisse

dann zu suchen, okay, was hörst du denn, ähm (-) welcher Buchstabe könnte das sein, was passt zu dem Bild, also das ist (-) halt echt schwierig. (L13, A119)

Auch L09 erlebt und thematisiert diese Schwierigkeiten der Lernenden im Umgang mit der Buchstabentabelle: ((…)) das ist (-) für einige Kinder schon, gerade die Deutsch als Zweitsprache lernen, ziemlich (-) schwierig, (--) weil sie einfach auch einige Wörter gar nicht richtig aussprechen, (-) also weil sie dann einfach, (-) egal welcher sprachlichen Herkunft sie sind, das einfach nicht sauber (-) sprechen zu Hause, und dann demzufolge auch Schwierigkeiten haben, die Wörter auch wirklich dann (-) so zu sprechen, wie wir das eigentlich (-) gewohnt sind und dann auch den richtigen Anlaut zu erkennen. (L09, A11)

Er verortet die beschriebenen Probleme auf der Ebene der Lernenden, die „einfach nicht sauber (-) sprechen“ (ebd.), und spiegelt damit eine Vorstellung wider, für die insbesondere im Typ II eine weitreichende Handlungsrelevanz nachgewiesen wurde. Obwohl er darin „schon eine ziemliche Hürde“ (L09, A11) für sich als Lehrenden ebenso wie für die Lernenden sieht, plädiert er für ein dem Lesen vorgeordnetes einzellaut- und -buchstabenorientiertes Schreiben, denn: ((…)) wenn ich den Kindern alle Buchstaben zur Verfügung stelle, bis auf die Nebengrapheme, können sie ja quasi jedes Wort schreiben, ((…)) wenn ich ihnen aber einen Text geben würde zum Lesen, dann wäre der sehr stark verkürzt und würde auch nicht dem sprachlichen Anforderungsniveau entsprechen und ähm (--) es gibt eben Lehrwerke, die so auf ähm verkümmerten Mi, Mo, Ma-Geschichten anfangen und da (--) bin ich absolut kein Fan von, weil so spreche ich nicht, und so sprechen die Kinder in dem Alter auch nicht, (--) also man geht eigentlich nicht davon aus, was die Kinder sprachlich schon können, sondern man geht ganz weit zurück, (--) nur um ihnen das Lesen (-) beizubringen. (L09, A44)

Für den Lehrer steht die ‚Lernerorientierung‘ klar im Mittelpunkt. Die Buchstabentabelle als Schreibwerkzeug bietet aus seiner Sicht wertvolle Möglichkeiten des individualisierten Lehrens und Lernens, das er einem gleichschrittigen Vorgehen im Klassenverbund vorzieht. In dem angeführten Zitat spricht er sich zudem gegen verkürzte „Mi, Mo, Ma-Geschichten“ (s. oben) und ein dem Schreiben vorgeschaltetes Lesen aus und begründet dies (erneut) mit dem dadurch verfehlten Lebensweltbezug („was bringt es mir, wenn die Kinder auf einem völlig (-) unbedeutenden Niveau (-) schreiben können und lesen, weil das entspricht nicht der Wirklichkeit, also ist damit auch gar keinem geholfen“, L09, A44). Dies ist in diesem Teilkapitel

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

463

insofern von besonderem Interesse, als die beiden anderen Lehrkräfte des Typs III angeben, im Anfangsunterricht gerade mit dem von L09 kritisierten Lesen von „mi, mo usw., mo, me“ (L04, A18) bzw. „Mimi und Momo und so“ (L13, A19) zu starten. Sie weisen diese konzeptionelle Ausrichtung wiederum als klares Gegenstück der von L09 dargestellten Herangehensweise aus. Für diese konträren Orientierungen innerhalb des Typs III erweist sich schließlich der oben angeführte Punkt (b) als ausschlaggebend: L04 und L13 plädieren in Anlehnung an den für sie leitenden Lehrgang ABC der Tiere zum einen für eine Herangehensweise vom Lesen zum Schreiben, zum anderen für einen besonderen Fokus auf das Richtigschreiben zu Beginn des Schriftsprachlehrens und -lernens. L09 spricht sich hingegen für eine Herangehensweise vom Schreiben zum Lesen und einen Fokus auf das lautierende, freie Schreiben im Anfangsunterricht aus. Die folgende tabellarische Übersicht (s. Tab. 57) stellt die wesentlichen Orientierungspunkte der Typ-III-Lehrenden gegenüber: Tab. 57 Globalere Handlungsorientierungen der Typ-III-Lehrenden

L04

Richtigschreiben und freies Schreiben - Parallelität/Miteinander von Richtigschreiben und freiem Schreiben, aber starker Fokus auf Richtigschreiben (vgl. A8, A62, A64) - Lehr-Lern-Progression in flexibler Orientierung am Lehrgangskonzept/an den Silbenhaus-Modellen AC im Bereich Richtigschreiben (vgl. A14, A18)

L09

- Zeitliche Nachordnung des Richtigschreibens gegenüber lautierendem Erstschreiben, - individualisierte Lehr-Lern-Progression, Phänomenorientierung im Bereich Richtigschreiben (vgl. A11, A38, A82, A86)

L13

- Richtigschreiben vor freiem Schreiben gemäß Lehrgangskonzept (vgl.

Auswahl und Nutzung von Lehr-Lern-Materialien - Verzicht auf Buchstabentabelle im Erstschreibunterricht gemäß Lehrgangskonzept und aus eigener Überzeugung (vgl. A8, A14) - Arbeit mit Fibel ABC der Tiere und wenig Begleitmaterialien zum Lesen (vgl. A8), aber Wunsch nach Nutzung der Arbeitshefte des Lehrgangs (vgl. A66) - Materialangebot des ABC der Tiere zufriedenstellend (vgl. A42) - Einsatz einer Buchstabentabelle im Erstschreibunterricht aus eigener Überzeugung (vgl. A11, A42) - Arbeit mit dem Lesen durch Schreiben-Lehrgang Lara und ihre Freunde einschl. Begleitmaterialien ohne Rechtschreibteil (vgl. A92), separates Rechtschreibheft zur Differenzierung (vgl. A82) - Materialangebot grundsätzlich zufriedenstellend, aber zahlreiche Lehr-Lern-Materialien mit starken Mängeln (Überfrachtung) (vgl. A82) - bisheriger Verzicht auf Buchstabentabelle im Erstschreibunterricht gemäß Lehrgangskonzept und aus eigener

464

8 Darstellung der Ergebnisse

A), aber Wunsch nach Parallelität/Miteinander (vgl. A103, A119) - Lehr-Lern-Progression in starker Orientierung am Lehrgangskonzept im Bereich Richtigschreiben (vgl. A19)

Überzeugung, aber zukünftig extern vorgegebene ‚Rückkehr‘ zur Buchstabentabelle (vgl. A119) - Arbeit mit Lehrgang ABC der Tiere einschl. Begleitmaterialien sowie Zusatzmaterialien zur Differenzierung (vgl. A19, A113, A137) - Materialangebot nicht zufriedenstellend (wenig Silbenorientierung) (vgl. A51, A68)

Anders als L09, der die Motivation der Lernenden und die Berücksichtigung ihrer individuellen Lernvoraussetzungen in den Mittelpunkt stellt, verweisen L04 und L13 auf das Erfordernis einer strukturierten Lehr-Lern-Progression, die den Lernenden von vornherein Einsichten in die Regelhaftigkeit der Wortschreibung verschafft (vgl. z. B. L04, A8; L13, A31). Beide schließen das Textschreiben im Erstlesen und -schreiben nicht aus – L04 lässt es parallel zur Auseinandersetzung mit (richtig) geschriebenen Wörtern laufen, L13 möchte es zukünftig in die systematische Erarbeitung der Wortschreibung integrieren. Sie untermauern aber die Bedeutung eines von Anfang an angeregten Bewusstseins für das richtige Wortschreiben. L04 gibt dabei als zentrale Zielsetzung ihres Unterrichts vor, „dass man weiß, dass zu einem Schreibprozess auch der Korrekturprozess IMMER dazugehört“ (L04, A12). Die in diesem Teilkapitel präsentierten Befunde zu den konzeptionellen und lehr-lern-medialen Rahmenbedingungen demonstrieren letztlich, dass dem weitestgehend homogenen Umgang der Lehrenden mit der Wortschreibung dennoch ein sehr heterogenes Lerngegenstandsverständnis zugrunde liegt, das zuweilen auch unterschiedliche Annahmen zum Fachgegenstand offenbart: Für L09 deutet sich eine generelle Orientierung an der Abbildtheorie an, die er jedoch – zumindest im Umgang mit Schreibungen, für die sich im korrespondierenden gesprochenen Wort die Vokalquantität als relevant erweist – durch die Herstellung von suprasegmentalen Bezügen überlagert. L04 und L13 sehen die Ableitbarkeit der Wortschreibung aus dem gesprochenen Wort als grundlegenden didaktischen Zugang im Erstschreiben kritisch und plädieren für eine Auseinandersetzung mit suprasegmental-silbenstrukturellen Bezügen der Wortschreibung von Anfang an, die sich in ihren Äußerungen im konkreten Handlungskontext jedoch nicht uneingeschränkt widerspiegelt (s. oben).

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

8.3.3.2

465

Bewertungstendenzen des Typs III im Interviewteil C

Inwiefern die Lehrenden des Typs III ihre zuvor vorgestellten konzeptionellen und handlungsbezogenen Orientierungen im Umgang mit Lehr-Lern-Materialien untermauern, kann mithilfe ihrer Äußerungen im Interviewteil C ermittelt werden. Die folgende Übersicht über ihre allgemeinen Bewertungstendenzen unter ‚gegenstandsnahen‘ Bewertungskriterien (Tab. 58) präsentiert zwar keine uneingeschränkten Übereinstimmungen, bildet aber zumindest keine konträren Einstellungen ab. Tab. 58 Allgemeine (‚gegenstandsnahe‘) Bewertungstendenzen im Interviewteil C: Typ III Bewertung Materialbeispiel C1 (graben - grabbeln) C2 ( oder ?) C3 (Robotersprache) C4 ()

(eher) zustimmend

unentschieden

L04

L09, L13

(eher) ablehnend

L04, L09, L13 L09

L04, L13

L13

L04, L09

In der Übersicht zeigt sich, dass mit Ausnahme des zweiten Materialauszugs, dem alle drei Lehrenden zustimmen, jeweils eine Lehrperson mit ihrer Bewertung aus der Reihe fällt. Bevor die geäußerten Gründe für eine zustimmende, ablehnende oder unentschiedene Einschätzung der vorgelegten Materialauszüge genauer betrachtet werden, sollen einige übergeordnete Beobachtungen angeführt werden, die für die Einordnung der Lehrer/-innenurteile relevant erscheinen. So zeigt sich für L04, dass sie sich, wie auch in den Interviewteilen A und B, sehr entschieden für oder gegen ein Material ausspricht und dabei insbesondere auf die fachliche Richtigkeit der Gegenstandsdarstellung referiert.149 Im Unterschied dazu offenbart L09 mitunter Schwierigkeiten, sich klar zu den in den Auszügen präsentierten Vorgehensweisen zu positionieren. Im Gespräch mit L13 kann wiederum ein besonderer Fokus auf das Wortmaterial als primärer Bewertungsgegenstand beobachtet werden, durch den sie andere Aspekte teilweise außer Acht lässt. Zudem verstricken sich L09 und L13 in ihren Erläuterungen bisweilen in Widersprüche, sodass sich eine Verknüpfung der Äußerungen zu ihren zentralen Orientierungen in den Interviewteilen A und

149

L04 beschäftigt sich allerdings z. T. (v. a. in der Sequenz zum Inputmaterial C1) nur sehr knapp mit den vorgelegten Materialauszügen

466

8 Darstellung der Ergebnisse

B als schwierig erweist. Trotz individueller Besonderheiten und z. T. starker Unterschiede können für die Bewertungen der Typ-III-Lehrenden im Interviewteil C einige allgemeine Tendenzen festgehalten werden: -

Die Lehrer/-innen untermauern ihre generelle Zustimmung gegenüber silbenorientierten Hilfestellungen, die zur auditiven Erfassung der Vokalquantität an der Lautung oder an der Schreibung ansetzen. Sie stimmen daher dem präsentierten Zugriff auf Schreibungen mit und im Kern der Hauptsilbe (C2) grundsätzlich zu: L04 hebt die überzeugende schriftstrukturelle Logik des Zugriffs positiv hervor, L09 und L13 loben das protypische Wortmaterial.

-

Bei der Evaluation der Materialauszüge achten sie punktuell darauf, dass das interdependente Verhältnis zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort in der jeweiligen Gegenstandspräsentation berücksichtigt wird und äußern sich kritisch gegenüber Aufforderungen zum deutlichen Sprechen, die der Erschließung der Wortschreibung dienen. So weist L04 eine entsprechende Aufforderung im Inputmaterial C4 als sachinadäquate Gegenstandspräsentation zurück: Und 4 [[Beispiel 4]] ist schlicht falsch. (---) Es heißt eben NICHT [ˈblɪt.ʦə]. (-) Man kann NICHT aus der Trennung [ˈblɪt.ʦə] ableiten, dass es ist, das geht nur, wenn man weiß dass man mit schreibt, sonst kann man das nie im Leben rausfinden. (-) Also das, (-) das ist Mist, das ist Müll. (L04, C4.1)

Auch L09 („bei Katze, (--) da hören die Kinder zwar das , aber das hören sie nicht“, C4.1) und L13 („dass du so übertrieben sprichst, das ist in dem Sinne nicht, nicht unbedingt zielführend“, C1.3) geben die Fehlleitung derartiger Erklärungsansätze in Materialien zu bedenken, geraten in anderen Fällen (L09 in der Bewertung der Robotersprache in C3, L13 in der Bewertung der Erklärung zum in C4150) ins Wanken und ziehen dabei – entgegen zuvor geäußerter Einwände – lautierende Ansätze in Betracht.

150

Dies ist die einzige Stelle im gesamten Interview, in der L13 für Wortschreibungen des Strukturtyps 3 eine überlautierende phonologische Repräsentation wiedergibt. Eine mögliche, aber nicht prüfbare Hypothese wäre, dass L13s abweichender Zugriff auf die Schreibung unter Umständen aus der besonderen phonologischen Inputbedingung der Affrikate [ʦ] resultiert und sie das demzufolge nicht als Silbengelenkschreibung auffasst.

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

-

467

In einigen Fällen präsentieren die Typ-III-Lehrenden den Bezug der silbenstrukturellen Analyse auf das geschriebene Wort gegenüber Sprechsilbenzugängen als sicherere Variante, um der Gefahr einer sachinadäquaten Fundierung der Schreibung, die durch den fehlgeleiteten Bezug auf eine schriftinduzierte Lautung erzielt wird, vorzubeugen. So äußert sich L09 zur Unterscheidung von graben – grabbeln in Materialauszug C1 folgendermaßen: Aufgabe 1 wäre es für mich einfacher gewesen, wenn die Kinder erst mal die Silbenbögen unter die Si/ Wörter gezeichnet hätten, (---) und dann hätten sie schon gesehen am Anfang, (-) äh ob die / ob der Vokal in der Mitte steht oder am Ende der, der Silbe, (--) dann wäre das schon mal (--) klar, ob lang oder kurz. (L09, C1.1)

Dennoch sind unter den Typ-III-Lehrenden, in erster Linie für L09 und L13, mitunter starke Unsicherheiten in der Bewertung der (silben-)lautierenden Zugänge zur Wortschreibung im Hinblick auf ihre fachliche und/oder didaktisch-methodische Angemessenheit festzustellen.

8.3.4

Typ IV: Silbische Strukturen als Basis für Wortschreibungen  L01, L02, L03, L10 , aber damit kann man ja viel sozusagen erklären! (L10, A42)

Konstitutiv für den Typ IV ist, dass die ihm zugeordneten Lehrerinnen sowohl in den Darstellungen im Interviewteil A (offene Beschreibung und Reflexion des Unterrichts) als auch im konkreten Handlungsbezug im Interviewteil B (Umgang mit Fehlschreibungen) suprasegmentale Zugriffe auf die deutsche Wortschreibung präsentieren, für die sie einen universalen, also für Wörter unterschiedlicher Struktur wirksamen Geltungsbereich annehmen. Für alle Einzelfälle des Typs IV gilt dabei, 1. dass sie sowohl im Interviewteil A als auch B auf interdependente Beziehungen zwischen dem gesprochenen und dem geschriebenen Wort und – damit verbunden – eigenständige Strukturen im geschriebenen Wort des orthographischen Strukturtyps 3 und/oder 4 hinweisen, und 2. dass sie die interdependenten Bezüge und eigenständigen Strukturen in den entsprechenden Gesprächssequenzen zu jedem be-

468

8 Darstellung der Ergebnisse

sprochenen Strukturtyp der Wortschreibung in erster Linie auf suprasegmentaler Ebene und mit Bezug auf die Silbenstruktur erklären. Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ist in mindestens einem Bereich der ausgewählten Strukturtypen des deutschen Wortes an der Schriftstruktur orientiert. Wortschreibungen werden strukturtypübergreifend auf suprasegmentaler Ebene erklärt.

Die an der Schriftstruktur orientierte Vorstellung von der Wortschreibung zeigt sich auf unterschiedliche Art und Weise: (1) Zugriffe auf Wortschreibungen, die die „Schrift zur Analysebasis der Lautsprache“ (Bredel 2015, S. 257) machen bzw. auf schriftinduzierten Überlautungen basieren, werden explizit als sachinadäquate Gegenstandsdarstellung zurückgewiesen. Dies zeigt sich beispielsweise in L02s Umgang mit der im Inputbeispiel B1 präsentierten Schüleräußerung zur Schreibung von schaffen: WAS hier natürlich auftaucht, ist: Man hört keine zwei ! Das, das ist eben das, was ich auch vorhin schon gesagt habe, man hört sie auch nicht! Und ähm (---) dafür ist aber, finde ich, ganz wichtig, damit Schüler das lernen, ähm (--) das hatte ich vorhin noch nicht gesagt, mit Minimalpaaren zu arbeiten. Also wirklich Wörter wie Schafe und schaffen nebeneinander zu stellen. (L02, B1.5)

(2) Zugriffe auf Wortschreibungen, die auf schriftinduzierten Überlautungen basieren, werden explizit als schriftinduziert, also graphembasiert überformt, identifiziert. Exemplarisch kann dafür folgende Erläuterung der Lehrerin L01 zur Doppelkonsonantenschreibung, hier ebenfalls am Beispiel von schaffen im Interviewteil B, stehen: ((…)) wenn wir dann eben so erklären, aber schaffen, da hörst du doch zwei , das ist eben unser Wissen, ne, das, das wir haben, dieses äh Zitat, ich weiß nicht mehr von wem, aber wir, wir meinen (-) zu hören, was man eigentlich aber nur schreibt, ne, oder was man nur liest. (L01, B1.2)

(3) Zugriffe auf Wortschreibungen, die auf schriftinduzierten Überlautungen basieren, werden durch die Abgrenzung einer graphembasiert überformten Lautung von der regulären Standardlautung zurückgewiesen. L10 weist in der folgenden Äußerung zur Schreibung von darauf hin, dass das silbeninitiale keinen segmentalen Gegenwert im Gesprochenen besitzt, und ordnet letzteres damit implizit als eine eigenständige Markierung der Schrift ein: „((…)) das ist ja diese, diese (--) Sprache, die es eigentlich nicht gibt, [ˈblyːhən], man sagt ja [ˈblyːən].“ (L10, B3.1)

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

469

(4) Zugriffe auf Wortschreibungen, die auf schriftinduzierten Überlautungen basieren, werden durch Strukturwissen zum geschriebenen Wort widerlegt und/oder die entsprechenden orthographischen Markierungen werden von vornherein als schriftautonome Markierungen ohne phonologische Korrespondenz ausgewiesen, so etwa das silbeninitiale von L03: Ja, mit den Häusern und ähm da ich / da es [ˈblyːən] heißt (-) und der erste Raum besetzt sein muss, müssen wir einen Buchstaben nehmen, der stimmlos ist. So als Joker. (L03, B3.3)

Typ IV konstituiert sich darüber hinaus dadurch, dass die zugeordneten Lehrerinnen die Wortschreibung im Kernbereich übergreifend, d. h. unabhängig von den spezifischen strukturellen Gegebenheiten der jeweils thematisierten Schreibung, über suprasegmentale Zusammenhänge begründen. In den untersuchten Zugriffen aller Einzelfälle zeigen sich folgende Übereinstimmungen: (5) Die Lehrerinnen beschreiben in den Interviewteilen A und B Zugriffe auf die orthographischen Strukturtypen 1-4, also systematische Schreibungen des Kernbereichs, die einen Bezug zur silbischen Struktur zweisilbiger Wörter herstellen. Sie knüpfen die Erarbeitung der regelhaften Wortschreibungen dabei explizit an zweisilbige Grundformen, so z. B. L03: Ich (--) verwende (-) für die Häuschenschreiberei oder für rechtschriftliche Erkenntnisse auch erstmal nur zweisilbige Wörter, (--) Trochäuswörter, deutsche Wörter. (L03, A12)

Darüber hinaus führen sie die Unterscheidung von offenen und geschlossenen Silben als grundlegende Voraussetzung für weiterführende Einsichten in die Wortschreibung an: ((…)) dann natürlich der Aufbau der Silbe, ganz klar, offene und geschlossene Silben, ähm (--) dass die Kinder (---) hier mit den Minimalpaaren arbeiten, was ich gesagt habe, dass sie eben ein Wort wie Schere und Scherbe vergleichen, irgendwie die, die Klangqualität von dem Vokal ((…)), da geht es immer darum: Wie klingt der Laut und wie muss man dann schreiben? (L02, A91)

Anhand dieser grundlegenden Differenzierung zwischen offener und geschlossener Hauptsilbe beschreiben sie zum einen, wie sich daraus die Doppelkonsonantenschreibung ergibt, dass „eben der Doppelkonsonant ja dann doch der, der äh Spezialfall ist“ (L01, A14), zum anderen auch, „dass wenn (-) zwei Selbstlaute hintereinander kommen, (--) dass dann ein dazwischen gehört“ (L02, B1.1).

470

8 Darstellung der Ergebnisse

(6) Die Lehrerinnen nennen als eine der ersten angeregten schriftsprachlichen Einsichten der Lernenden die Identifikation des obligatorischen vokalischen Silbenkerns und erläutern in diesem Rahmen auch die besondere Besetzung des Reduktionssilbenkerns im zweisilbigen Basiswort: ((…)) das war also eine, äh (-) dass, dass jede Silbe einen Vokal hat, so eine Einsicht, die die Kinder schnell ähm erworben haben, und äh ich habe auch recht schnell ähm eingeführt, dass die zweite Silbe ein hat. (L01, A16)

Dies erscheint insofern bedeutsam, als die Typ-IV-Lehrenden im Unterschied zu den vorher dargestellten Typen I-III die unterschiedlichen Bedingungen der ersten und zweiten Silbe im geschriebenen Wort explizit auf deren Korrespondenz im gesprochenen Wort beziehen und somit auch die prosodische Wortstruktur als für die Wortschreibung relevanten Aspekt ausweisen. L02 veranschaulicht dies, indem sie von einer Lehr-Lern-Situation aus ihrem eigenen Unterricht berichtet: ((…)) dann suche ich auch ganz bewusst natürlich Wortmaterial aus, (--) an dem die Kinder das erkennen können, also dass ich auch (-) ähm (-) Wörter auseinandergeschnitten habe, ihnen die Karten gegeben habe und sie mussten daraus neue Wörter zusammenpuzzeln (-) oder sie mussten (-) ähm (-) die zweiten Silbe selber ergänzen, (--) das habe ich zum Beispiel gemacht, als es darum ging, wie das e in der zweiten Silbe klingt. Da gibt es ja (-) eigentlich drei Lautqualitäten und (-) ähm dass dieses e, (-) dieser, dieser Schwa-Laut, den man ja fast gar nicht wahrnimmt, dass der eben auch immer nur in der zweiten Silbe auftaucht, so. Und das ist eben immer ganz schön, wenn die Kinder solche Sachen an der Tafel entdecken. (L02, A31)

L01 und L03 sprechen diesbezüglich vom trochäischen, L10 vom prototypischen zweisilbigen Wort (vgl. L01, A28; L03, A12; L10, A56). (7) Neben dem übereinstimmend aktivierten Bezug auf die prosodisch bestimmte zweisilbige Wortstruktur offenbart sich die segmentübergreifende Gegenstandsfundierung der Lehrenden des Typs IV auch darin, dass sie den Wirkungsbereich suprasegmental-silbischer Strukturen nicht nur innerhalb der Einzelsilbe, sondern auch intersilbisch bestimmen: Bei Schreibungen der Strukturtypen 3 und 4 betrachten sie das Verhältnis zwischen der ersten (betonten) und der zweiten (unbetonten) Silbe als handlungsleitenden Untersuchungsaspekt. L02 gibt für die phonologische Korrespondenz der Doppelkonsonantenschreibung in z. B. an, dass „dass das [p] eigentlich zur ersten Silbe gehört UND zur zweiten“ (L02,

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

471

A9), und drückt damit ein Verständnis von der Doppelkonsonantenschreibung als Kodierung eines phonologischen Silbengelenks aus. Dieses Verständnis der phonologischen Inputbedingung wird von den anderen Lehrenden des Typs IV zwar nicht angeführt, wohl aber das Wirken suprasegmentaler Strukturen zwischen Haupt- und Reduktionssilbe. Weitere Erscheinungsformen eines prosodischen bzw. suprasegmental-silbenstrukturellen Orientierungsmusters werden bei der spezifischen Auseinandersetzung mit den Zugriffen auf die ausgewählten Strukturtypen der deutschen Wortschreibung vorgestellt (s. unten). In der Beschreibung des Vorgehens zur Ermittlung der einzelnen Typen wurde bereits eine weitere Besonderheit des Typs IV angedeutet, die das Merkmal 1, die sachstrukturelle Vorstellung von der Beziehung zwischen der Wortschreibung und dem gesprochenen Wort, betrifft: Hier zeigte sich, dass die zugeordneten Lehrkräfte zwar eine Vorstellung von der Wechselbeziehung zwischen beiden Sprachmodalitäten sowie von dem Wirken eigenständiger Strukturen im gesprochenen und geschriebenen Wort besitzen, deren Darstellung im Zugriff auf unterschiedliche Regularitäten bzw. Strukturtypen des deutschen Wortes jedoch auch brüchig ausfällt. So lässt sich bei L01 beobachten, dass sie sich bezüglich der phonologischen Repräsentation von Schreibungen des orthographischen Strukturtyps 4 unsicher zeigt (s. auch 8.2.4); Ähnliches ist bei L03 im Hinblick auf das phonologische Äquivalent der Doppelkonsonantenschreibung beobachtbar (s. 8.2.3). Als maßgebliches Charakteristikum aller TypIV-Lehrenden wurde in diesem Zusammenhang jedoch herausgestellt, dass sie in keiner Gesprächssequenz der Interviewteile A und B einen Zugriff auf Wortschreibungen formulieren, in dem eine schriftinduzierte Überlautung die didaktische Handlungsorientierung entscheidend lenkt. Für die beschriebenen Unsicherheiten bzw. die an einer schriftinduzierten Lautung orientierten Zugriffe der genannten Lehrkräfte bedeutet dies (wie bereits in den Einzelfallanalysen dargestellt), dass ↘ die (mögliche) Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung im Handlungsbezug verblasst und eine einzelsegmentorientierte Worterschließung ggf. durch silbenstrukturelle Analysen überlagert wird. Welche der für Typ IV kennzeichnenden Elemente der Zugriffe dafür verantwortlich zeichnen, soll im Folgenden durch die Zusammenführung aller Einzelzugriffe auf Wortschreibungen der fokussierten Strukturtypen verdeutlicht werden. Wortschreibungen mit (morphologisch vererbtem) werden zwar von allen Lehrkräften auf eine zweisilbige Grundform (v. a. gießen im Inputbeispiel B2b) bezogen, die grundsätzliche Erklärung erfolgt jedoch

472

8 Darstellung der Ergebnisse

auf segmentaler Ebene: Die zu treffende Schreibentscheidung für wird an die regelhafte Phonem-Graphem-Korrespondenz [iː] – geknüpft. Die Funktion der zweisilbigen Bezugsgröße wird darin gesehen, „hörbar zu machen, ob das ein langer (-) Selbstlaut ist“ (L02, B2b.1) oder zu „sehen, aha, wir haben ein langes [iː]“ (L01, B2b). Auch wenn sich in den Äußerungen aller Typ-IV-Lehrkräfte Anzeichen dafür erkennen lassen, dass sie der Untersuchung der zweisilbigen Wortstruktur einen unterstützenden Beitrag zur Ermittlung -Schreibung beimessen – L03 beschreibt im Interviewteil A einen explizit silbenstrukturellen Erarbeitungsweg der -Schreibung (vgl. L03, A12) –, benennt im Handlungskontext von Interviewteil B keine Lehrkraft die Bindung des an eine offene Hauptsilbe explizit. Wortschreibungen des Strukturtyps 1/: Für die -Schreibung wird eine phonembasierte Erklärung auf segmentaler Ebene formuliert, die auf die PhonemGraphem-Zuordnung /iː/ – verweist und gegebenenfalls mit silbenstrukturellen Untersuchungen kombiniert wird.

Für Schreibungen des orthographischen Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen) präsentieren die Lehrerinnen konsequent suprasegmentale Zugriffe, die stets auf die spezifischen strukturellen Gegebenheiten einer zweisilbigen Grundform sowie in der Regel auf Strukturpositionen der Haupt- und Reduktionssilbe referieren. Sie ziehen dafür sowohl (a) eine Erarbeitungsrichtung mit Ausgang vom gesprochenen Wort als auch (b) eine Erarbeitungsrichtung mit Ausgang vom geschriebenen Wort in Betracht. (a) L02 erklärt Doppelkonsonantenschreibungen, aber auch und im Interviewteil A ausgehend vom gesprochenen Wort und schildert am Beispielwort Puppe, wie sie mit den Schüler/-innen durch die Analyse der phonologischen Gegebenheiten des Wortes zu einer Ableitung der notwendigen Konsequenzen für dessen Schreibung gelangt: ((…)) und wir haben uns dann auch schon darüber unterhalten: Warum hat dieses Wort denn zwei

und wie klingt denn das u? Das u klingt kurz und (-) ähm (--) ja, aber die Silbe ist ja eigentlich nach dem u zu Ende, (--) ähm (--) aber, wenn es kurz klingt, müsste da ja eigentlich noch was kommen, und deswegen haben wir dann eben auch bei den Silbenbögen dann diese kleine Feinheit, dass wir gesagt haben: Dann machen wir Kreuzbögen!, dass das [p] eigentlich zur ersten Silbe gehört UND zur zweiten, aber dieser, dieser Doppel[p]-Laut ist ja nur EINER, deswegen sitzen die dann in diesem Kreuz unter den Silbenbögen und äh (-) nicht, wie es ja eigentlich bei der

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

473

Silbentrennung klassischerweise ist, dass genau daZWISCHEN getrennt wird. (L02, A9)

Wie in vielen Beispieläußerungen der vorangegangenen Typenbeschreibungen werden auch in dieser Äußerung phonologische Begriffe für eigentlich graphematische Einheiten verwendet (z. B. der „Doppel-[p]-Laut“ für ein Doppel-

). Dennoch macht L02 in ihrer Erläuterung deutlich, dass sie die Bezüge zwischen Lautung und Schreibung in der Vermittlungspraxis explizit thematisiert: Um das Bewusstsein für die besondere phonologische ‚Inputbedingung‘ im Prozess des Wortschreibens aufrechtzuerhalten, setzt sie Silbenbögen ein, die in der geschriebenen Wortrepräsentation durch die kreuzende Umschließung der verdoppelten Konsonantenbuchstaben bzw. von und die besonderen Verhältnisse zwischen erster und zweiter Silbe im Gesprochenen visualisieren (s. unten). (b) L10 und L01 präsentieren wiederum Erarbeitungswege, die beim geschriebenen Wort ansetzen, also über den grundlegenden Vergleich von Schreibungen mit offener und geschlossener Hauptsilbe (Strukturtypen 1 und 2) aufzeigen, aus welchen graphematischen Erfordernissen sich eine Doppelkonsonantenschreibung (oder auch und ) ergibt. L10 beschreibt in dieser Hinsicht folgende allgemeine Herangehensweise: Ähm (5sec) ja, dann würde ich sozusagen (-) ähm (--) mir die SILBEN angucken sozusagen, sind die Silben offen oder geschlossen. (-) Und (-) ähm (---) ja, genau, und dementsprechend sozusagen von der Schrift (-) eher ausgehen (--) und dann (-) thematisieren, wie es, wie es dann ausgesprochen wird, (-) ja. Und wie es / ja, eher die Schreibung erKLÄren eigentlich, die Schrift, die Schreibung erklären. (L10, A66)

Ausgehend von dem geschriebenen Wort werden die korrespondierenden gesprochenen Eigenschaften ermittelt, durch die wiederum eine Schreibentscheidung herbeigeführt werden kann. Für L10 muss in diesem Kontext allerdings eine besondere Rahmenbedingung ihres unterrichtlichen Handelns festgehalten werden: Sie bezeichnet eine an den Schreibsilbenstrukturen des prototypischen Zweisilbers orientierte Erarbeitungsweise als den von ihr bevorzugten Zugriff auf Schreibungen des orthographischen Strukturtyps 3, von dem sie in der Unterrichtspraxis jedoch ressourcenbedingt z. T. abweicht. Dieses besondere Phänomen, das in abgeschwächter Form auch bei L13 (Typ III) beobachtet werden kann, wird in Abschnitt 8.3.5.2 gesondert betrachtet. Eine weitere Form der am geschriebenen Wort ansetzenden silbenstrukturellen Analyse zur Ermittlung von Silbengelenkschreibungen zeigt sich bei L03: Sie erklärt die notwendige Verdopplung des intervokalischen

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8 Darstellung der Ergebnisse

Konsonantengraphems über die Nutzung expliziten Strukturwissens zum prototypischen graphematischen Zweisilber, nämlich der obligatorischen Besetzung des Anfangsrandes der zweiten Silbe („der erste Raum in der Garage MUSS besetzt sein“, L03, A50), und ist auf diese Weise in der Lage, ihre zunächst in Erwägung gezogene einzelsegmentorientierte Worterschließung durch silbenstrukturelle Analysen positiv zu überlagern (vgl. Abschnitt 8.2.3). In der Zusammenführung aller Zugriffe auf Wortschreibungen des orthographischen Strukturtyps 3 kann die grundlegende suprasegmental-silbenstrukturelle Ausrichtung darüber hinaus in folgender Weise präzisiert werden: Anders als in den ebenfalls silbenstrukturbezogenen Zugriffen des Typs II nehmen die Lehrenden hier konsequent die gesamte zweisilbige Wortform in den Blick, beziehen bei der Erklärung von doppelten Konsonantenbuchstaben also stets die Reduktionssilbe mit ein. Auffällig ist zudem, dass sie in den konkreten Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Wörtern des orthographischen Strukturtyps 3 nicht zur sprechrhythmischen Silbensegmentation, die eine klare Markierung der Silbengrenze evoziert, auffordern. Selbst wenn die Lehrkräfte eine Erarbeitungsrichtung ausgehend vom gesprochenen Wort wählen, spielt dabei das (z. B. über Silbenklatschen angesteuerte) Isolieren der Einzelsilbe keine Rolle. L02 empfiehlt zum Inputbeispiel B1, in dem der Schüler die Variante * für in Betracht zieht, nicht etwa eine sprechrhythmische Gliederung in [ˈʃaf.fən], sondern rät zu folgendem analytischen Vorgehen: ((…)) ich würde es dann einmal vorlesen: Nein, da steht */[ˈʃɑ:fən]. (--) Und nicht schaffen/[ˈʃaf ̣n̩]. (-) Und: Wie kriegen wir das denn hin, dass daraus schaffen wird? So. Also dass, (--) dass dem Schüler klar ist: Er muss da was verändern! Er hört nichts anderes, er hört nur, (--) dass das a irgendwie anders klingt. (--) Und (-) ähm (-) ja und (-) dann, dann wird es eben klar, wenn man ein zweites einbaut, dann klingt es auf einmal (--) so, wie es klingen soll. (L02, B1.7)

Diesbezügliche Besonderheiten der Einzelfälle werden unten näher beleuchtet. Wortschreibungen des Strukturtyps 3/Silbengelenkschreibungen: Die Orientierung an der suprasegmentalen Schriftstruktur ist handlungsleitend: Durch den konsequenten Bezug auf suprasegmentale Zusammenhänge zwischen Haupt- und Reduktionssilbe werden interdependente Beziehungen zwischen geschriebenem und gesprochenem Wort erklärt.

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

475

Im Bereich der Wortschreibungen des Strukturtyps 4 fallen die sachstrukturellen Vorstellungen von der Beziehung zwischen der Wortschreibung und dem gesprochenen Wort, wie bereits dargestellt wurde, unterschiedlich aus. Dennoch konnte ein Muster aufgedeckt werden, das alle Fälle des Typs IV eint: Alle Lehrkräfte formulieren Handlungsempfehlungen, die auf eine strukturelle Analyse zweisilbiger Grundformen fokussieren und dabei ohne eine graphematisch überformte Bezugslautung auskommen (L02, L03, L10) oder zumindest nicht entscheidend von ihr abhängen (L01, s. 8.2.4). Es können zwei Erklärungsansätze unterschieden werden: L01 und L02 referieren auf den sequentiellen Aspekt des silbeninitialen (s. Abschnitt 4.5.2): Sie begründen dessen Auftreten über die intervokalische Position und Funktion als Markierung der Silbengrenze. L02 gibt beispielsweise an, diese -Schreibung in ihrem Unterricht mit der Einführung der schriftsprachanalytischen Strategie des Verlängerns zu verknüpfen: ((…)) was bei mir beim Verlängern immer ganz klar mit dazugehört, (--) ähm (-) dass wenn (-) zwei Selbstlaute hintereinander kommen, (--) dass dann ein dazwischen gehört. (L02, B2a.1)

In weiteren Ausführungen erklärt sie das silbeninitiale zudem als Hilfe für den Leser/die Leserin. L03 und L10 beziehen sich auf den klassifikatorischen Aspekt des silbeninitialen , obgleich sie dessen Funktionalität nicht benennen. Sie weisen auf den – mit wenigen Ausnahmen – obligatorisch zu besetzenden Anfangsrand der zweiten Silbe hin, so etwa L10: Ja, es gibt wieder Ausnahmen, aber genau, das / da gab es diese Regel, dass sie, (-) dass sie [[die zweiten Silben]] eben NICHT (-) nur auf / mit einem Vokal anfangen, (-) also, dass der Silbenanfangsrand {verschmitzt} sozusagen ein (-) Konsonant sein muss. (L10, B3.3)

Auffällig ist, dass die Typ-IV-Lehrenden auch im Bereich dieses orthographischen Strukturtyps nicht zur sprechrhythmischen Silbensegmentation raten, sondern auf schriftsprachanalytische Zugänge fokussieren. Wortschreibungen des Strukturtyps 4/silbeninitiales : Die Orientierung an der Schriftstruktur ist handlungsleitend: Suprasegmentale Beziehungen innerhalb des geschriebenen Wortes stehen im Mittelpunkt.

Für die ausgewählten Bereiche der Wortschreibung im Kernbereich des Deutschen ergeben sich zusammenfassend folgende Zugriffstendenzen für Typ IV:

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8 Darstellung der Ergebnisse

Tab. 59 Zusammenfassung der Zugriffe: Typ IV

Strukturtyp 1 (hier speziell ) Präsentation als primär segmental begründete Schreibung (ggf. kombiniert mit silbenstrukturellen Untersuchungen)

Strukturtyp 3 (Silbengelenkschreibungen) Präsentation als primär silbenstrukturell begründete Schreibung mit schreib- oder sprechsilbenbasierter Erarbeitungsrichtung (ohne handlungsleitende Überlautung)

Strukturtyp 4 (silbeninitiales ) Präsentation als primär silbenstrukturell begründete Schreibung (ohne handlungsleitende Überlautung)

Die separate Untersuchung ihrer Zugriffe auf morphologisch komplexe Schreibungen ergibt ein weitgehend konsistentes Bild für die Lehrenden des Typs IV. Mit Ausnahme von L03, die im Zugriff auf das Kompositum Frühstücksei lediglich auf die Gliederung des Kompositums und eine semantische Beschäftigung mit dessen einzelnen Bestandteilen, nicht aber auf die weiteren ‚formalen‘ Analyseschritte eingeht (s. auch 8.2.3), raten die Lehrkräfte stets zur Verlängerung der Wortstämme (früh -> früher, stück -> Stücke, gieß -> gießen) bzw. zur Ermittlung des Wortstammes und dessen Rückführung auf eine zweisilbige Grundform (verblühten -> (ver)blühen). L01, L02 und L03 weisen im komplexen Fall von (die) verblühten (Obstbäume) auf die Problematik hin, die sich durch die Schreibung von Blüte, bei der das Prinzip der Stammkonstanz aufgehoben ist, einstellt: ((…)) also anhand von mehreren Beispielen vielleicht eine Systematik deutlich machen und dann eben (--) auf die Morphemkonstanz ähm verweisen, ne, dass das eben eine Familie ist und (--) die sich ähnlich sehen und deshalb auch alle Wörter bis auf Blüte ähm ((lacht)) da ähm (-) / also, dass das dann eben da auch wieder auftaucht. (L01, B3.7)

Grundsätzlich steht bei den Typ-IV-Lehrenden aber die Thematisierung des Wortstamms und seiner konstanten Gestalt in allen verwandten Wortformen, „also dass das eben, “ (L10, B3.5), im Mittelpunkt. Die Lehrenden sehen die Zielsetzung ihrer unterrichtsmethodischen Aufbereitung der schriftsprachlichen Lerninhalte übereinstimmend zum einen darin, „dass es erstmal so etwas zu entdecken gibt“ (L01, A47), die Lernenden sich also selbst aktiv mit Schriftstrukturen auseinandersetzen,

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

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und zum anderen darin, „dass sie [[die Schüler/-innen]] mit STRUKTUR (-) das lernen“ (L03, A14). Die von den Lehrkräften des IV. Typs präsentierten Zugriffe auf die Wortschreibung zeichnen sich in erster Linie durch den Fokus auf eine (schrift-)sprachanalytische Auseinandersetzung mit Wortstrukturen aus. Dabei werden Erarbeitungsrichtungen sowohl ausgehend von der Ebene der Wortlautung als auch ausgehend vom geschriebenen Wort gewählt, auf deren Grundlage interdependente Bezüge zwischen Gesprochenem und Geschriebenem thematisiert und/oder auch Einsichten in eigenständige Strukturen beider Sprachmodalitäten angeregt werden. Gegenseitige Überformungen von phonologischer und graphematischer Wortstruktur, die in einer sachinadäquaten Fundierung der Wortschreibung münden, sind im Typ IV entweder nicht festzustellen oder aber nicht handlungsleitend. Das heißt, selbst wenn keine sichere fachliche Bewertung des Zusammenhangs zwischen gesprochener und geschriebener Wortstruktur vorliegt, ist die didaktische Handlungsorientierung von einem suprasegmentalen Verständnis der Wortschreibung bestimmt. Mit Ausnahme der -Schreibung, die sie v. a. über die Wahrnehmung des langen [iː] und die entsprechende regelhafte Zuordnung des Graphems erklären, referieren die Lehrkräfte des Typs IV auf den Aufbau der graphematischen Haupt- und Reduktionssilbe und deren Verhältnis zu den prosodischen Eigenschaften des phonologischen zweisilbigen Wortes.

Mit dem Ziel, Lernende zur Einsicht in Wortschreibungen zu verhelfen, legen sie den Fokus auf analytisch-kognitive Formen der Schriftaneignung. Das grundlegend von suprasegmentalen Strukturen bestimmte Gegenstandsverständnis drückt sich auch in dem Umgang der Lehrenden mit morphologisch komplexen Wortformen aus: Hierbei empfehlen sie weitgehend konsequent die Ermittlung der Wortstämme und ihre Rückführung auf zweisilbige Grundformen, aus deren (silben-)struktureller Analyse die Konsequenzen für morphologisch komplexe Wortschreibungen abgeleitet werden können. Der Bezug zur zweisilbigen Ausgangsform und Struktur von Haupt- und Reduktionssilbe ist also auch im Bereich morphologisch komplexer Schreibungen handlungsleitend und untermauert eine strukturtypübergreifende Systematik der gezeigten Zugriffe auf regelhafte Wortschreibungen im Deutschen. In den bisherigen Darstellungen wurden zentrale Gemeinsamkeiten der Typ-IV-Lehrenden präsentiert, die maßgeblich an die grundlegende, nämlich wortstrukturanalytische Haltung zum Lerngegenstand Wortschreibung geknüpft sind. Typinterne Abweichungen wurden generell selten und vornehmlich hinsichtlich des sachstrukturell angenommenen Verhältnisses

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8 Darstellung der Ergebnisse

zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort ermittelt; wie dargestellt, wirken sich diese Unterschiede jedoch nicht (entscheidend) auf den Umgang mit der Wortschreibung als Lehr- und Lerngegenstand aus. Zur Schärfung des Profils von Typ IV, aber auch zur Aufdeckung handlungsrelevanter typinterner Einzelmuster sollen im Folgenden die unterrichtsmethodischen Umsetzungsformen, insbesondere die genannten schriftsprachanalytischen Hilfestellungen, genauer beleuchtet werden. Es konnte bereits festgehalten werden, dass die Lehrkräfte in der Formulierung konkreter Handlungsempfehlungen zur Erarbeitung von Wortschreibungen der orthographischen Strukturtypen 3 und 4 keine sprechsilbenisolierenden Hilfestellungen wie das Silbenklatschen anführen. Da sich die Art und Weise, wie die befragten Lehrenden das Zusammenwirken von Lautung und Schreibung im Anwendungskontext gestalten, in der vorliegenden Arbeit als ein herausragendes Merkmal zur Abgrenzung der vier ermittelten Typen erwiesen hat, konzentrieren sich die weiteren Ausführungen auf Hilfestellungen, die dezidiert sprech- und schreibsilbisch ausgerichtet sind. Hilfestellungen, die zu einer sprechrhythmischen Gliederung des Wortes in Silben anregen, werden – mit Ausnahme der von L03 beschriebenen Einsatzformen und Zielsetzungen (s. unten) – in einer rein unterstützenden Funktion für die Schreibprozesse der Lernenden präsentiert. Die Lehrenden nutzen sie nach eigener Auskunft (a) als allerersten Einstieg in den Umgang mit der Schriftsprache im schulischen Unterricht: Sie nennen hierbei die sprechsilbische Gliederung von Wörtern als vorbereitenden Schritt für systematische Einsichten in die Wortschreibung, so z. B. L02: ((…)) mit dem Silbenklatschen (-) geht es los irgendwie (--) und (-) dann kommt als Nächstes, glaube ich, die (--) also dann natürlich der Aufbau der Silbe, ganz klar, offene und geschlossene Silben. (L02, A91)

(b) als Hilfestellung beim selbstständigen Wortschreiben, die der Ermittlung der Silbenanzahl eines Wortes und damit einhergehend der Ermittlung der zu verschriftenden Vokalbuchstaben innerhalb des Wortes dient: Und wenn dann, wenn sie dann eben so eine Skelettschreibung, ne, wenn sie dann eben Buchstaben vergessen haben, dann konntest du immer sagen, so jetzt dann, dann ähm, ne, entweder Klatsche noch mal das Wort! oder ähm, ne, Schwinge noch mal mit, mit dem Finger, dass du, dass du ähm ähm alle, (-) alle Silben hörst, wie viele Silben hat es denn? und so und ähm (-) das war also eine, äh (-)

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

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dass, dass jede Silbe einen Vokal hat, so eine Einsicht, die die Kinder schnell ähm erworben haben. (L01, A16)

Nur L03 stellt Aufforderungen zum Silbenklatschen auch in Kontexten, in denen (orthographisch richtige) Schreibungen erarbeitet oder erschlossen werden sollen. In der differenzierten Untersuchung entsprechender Textstellen aus dem Gesprächstranskript zeigt sich allerdings, dass L03 das Klatschen grundsätzlich zur auditiven Erfassung von Kontrastpaaren einsetzt und dabei Klatschrhythmen initiiert, die nicht auf die Isolierung der Einzelsilben, sondern auf die Erfassung der verschiedenen Anschlussverhältnisse zwischen erster und zweiter Silbe abzielen. Zudem stellt sie dieses phonologisch ausgerichtete Übungsformat in der Regel mit Ausgang vom (richtig) geschriebenen Wort, also in Leserichtung, dar: Sie mussten also hier lesen: Rie.se ((klatscht zu jeder Silbe mit klarer Silbengrenze)), Risse ((klatscht zweimal schnell hintereinander ohne klare Silbengrenze)). Sie machen es automatisch richtig und wissen: Bei Risse ist es nur ein einfaches . (L03, A16)

Darüber hinaus verbindet sie das Klatschen (sowie weitere bewegungsrhythmische Unterstützungsformen) mit anschließenden Strukturierungen des jeweiligen Wortmaterials im verwendeten Silbenhaus-Modell. L03 knüpft die sprechsilbische Wortgliederung demnach an die analytische Erschließung der zweisilbigen Wortstruktur und präsentiert ein suprasegmentales Verständnis der Vokallänge/-kürze. Nur in einer Sequenz im Interviewteil A (vgl. L03, A44-48) erwägt sie im Umgang mit der Doppelkonsonantenschreibung eine sprechrhythmische Silbenisolierung, die die Sprechsilben zwischen den aus der Schrift abgeleiteten Doppelkonsonanten trennt. Dadurch, dass sie aber auch in diesem Fall eine Kombination mit der Visualisierung des gesprochenen Wortes im Silbenhaus-Modell vorsieht, ist sie in der Lage, eine Hilfestellung zu geben, in der der überlautierende Zugang zur Wortschreibung durch eine Strukturanalyse des graphematischen Wortes überformt wird (s. auch 8.2.3). Neben den genannten sprechsilbenorientierten Hilfestellungen werden im Typ IV fallübergreifend visuelle Strukturierungsformen angeführt, die – im Unterschied zu den v. a. schreibunterstützenden sprechrhythmischen Hilfestellungen – hauptsächlich mit dem Zweck der Erschließung und Begründung von Wortschreibungen verbunden werden. Deutlich wird dabei, dass die Lehrkräfte diese visuellen Strukturierungsformen als umfassend einsetzbares ‚Handwerkszeug‘ für die Lernenden im Umgang mit der deutschen Wortschreibung verstehen: In allen Interviews des Typs IV zeigt sich, dass v. a. das Setzen von Silbenbögen (L01, L02, L10) und/oder

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8 Darstellung der Ergebnisse

die Arbeit mit dem Silbenhaus-Modell (L01, L03151) zur Fundierung und Erarbeitung von Schreibungen der orthographischen Strukturtypen 1-4 angeführt werden. Besonders L03 hebt die Eignung strukturorientierter Visualisierungen als universal wirksame Hilfe im Umgang mit Wortschreibungen hervor: Und das ist, finde ich, äh ganz klar, man kann JEdes schwierige (--) auch Rechtschreibproblem so lösen! Ich habe / man hat zum Beispiel überhaupt gar nicht, zumindest bei DEUTSCHEN Wörtern (--) ähm (-) nicht mehr das Problem, warum man (-) Wiese mit schreiben muss, das musste man früher (-) EINknüppeln! Heute wollen wir uns mal mit den -Wörtern bestäf/ -schäftigen (-) oder so. Nein! Man braucht es nicht mehr! Wiese – wissen. (L03, A50)

Wie die Beschreibungen der in der Fallauswertung ermittelten Typen II und III, die im Umgang mit Wortschreibungen ebenfalls einen Bezug zur Silbenstruktur herstellen, bereits gezeigt haben, bedeutet die Arbeit mit einem visualisierenden Hilfsinstrument (gegenüber einem auditiv-rezeptivem Zugang) nicht zwangsläufig den Ausgang vom geschriebenen Wort. Auch im Typ IV lassen sich unterschiedliche Erarbeitungsansätze und -richtungen für den Einsatz von Silbenbögen und Silbenhaus-Modellen feststellen. Dass L03 häufig der Reihenfolge vom Sprechen des Wortes zur Auseinandersetzung mit dessen geschriebenen Struktur folgt, wurde zuvor demonstriert. Auch L02 setzt zur Erarbeitung der Doppelkonsonantenschreibung beim gesprochenen Wort an, schlägt aber keinen sprechrhythmischen Zugang vor, sondern thematisiert Aussprache und Schreibung des Wortes in unmittelbarer Verknüpfung (s. dazu die oben angeführten Erläuterungen zum Einsatz von Kreuzbögen in Wörtern wie Puppe). Die Lehrerin beschreibt darüber hinaus auch eine Herangehensweise, die bei der Untersuchung des (richtig) geschriebenen Wortes ansetzt, um den Lernenden ein Verständnis der suprasegmental kodierten Vokallänge bzw. -kürze zu vermitteln: Wie klingt eigentlich der Selbstlaut? (--) Ähm (-) klingt der so, wie er heißt, (--) oder ist es eher die Variante, die ja in der Lauttabelle meistens schon direkt mit angegeben ist, als ob es auch nur ein, EIN Laut ist, das finde ich so ein bisschen verwirrend an, an Lauttabellen, (-) dass es EIN Laut ist, aber zwei Bilder dazu gibt, (-) und ähm (--) ja,

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L01 und L03 verwenden eine einheitliche Variante des Silbenhaus-Modells für alle damit untersuchten orthographischen Strukturtypen, wobei L03 das Vokalzimmer im Haus (Vokalkern) je nach (Nicht-)Belegung des dritten Zimmers (Endrand) farblich unterschiedlich markiert.

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

481

und dann haben wir natürlich überlegt: Warum klingt der denn manchmal so, wie er heißt, und warum klingt er manchmal anders? Und wir haben dann (--) uns wirklich Silben angeguckt (--) ähm (--) und ähm (--) den Kindern ist es AUFgefallen, da, wo er anders klingt, da kommt dann immer noch was am Ende der Silbe und da, wo er so klingt, wie er heißt, hat er eben innerhalb der Silbe ganz viel Platz. (L02, A29)

L01 und L10 präsentieren vor allem Einsatzformen visueller Strukturierungen, die der zuletzt beschriebenen Erarbeitungsrichtung entsprechen, d. h. durch die Untersuchung der geschriebenen Wortstruktur einen Abgleich mit der gesprochenen Zielform anstreben: ((…)) ja, also ich finde, das ist immer (-) / man kann immer sozusagen den Tipp geben, (--) Silbenbögen zu malen, weil man dadurch irgendwie, irgendwie (-) / das gibt einem so eine Struktur, (-) ich mache das dann ja auch sozusagen schon automatisch und dann (-) erkläre ich es mir wieder darüber sozusagen: Wie würde es ähm gesprochen werden, wenn ich es (-) ähm, (-) wenn ich es sozusagen falsch schreibe. (L10, B2b.5) Positive Bewertung von (1) an der Lautung und/oder (2) an der Schreibung ansetzenden silbenorientierten Hilfestellungen zur auditiven Erfassung der Vokalquantität: Die Erfassung (1) der Sprechsilbenstrukturen und (2) der Schreibsilbenstrukturen in zweisilbigen Grundformen wird als wirksame Hilfestellung für die schreibrelevante Differenzierung zwischen Lang- und Kurzvokalen (bzw. offenen und geschlossenen Silben) betrachtet.

Die für Typ IV kennzeichnende Rolle der Silbe als zentrale Bezugsgröße der Zugriffe auf Wortschreibungen wird im folgenden Kasten noch einmal zusammengefasst. Die Silbe als zentrale Bezugsgröße im Umgang mit Wortschreibungen im Kernbereich Die Lehrenden des Typs IV präsentieren die Silbenstruktur innerhalb prototypischer nativer Wörter als zentrale Bezugsgröße der Wortschreibung und darauf bezogener Lehr-Lern-Prozesse. Sie erklären anhand der silbischen Strukturpositionen in Haupt- und Reduktionssilbe die Wortschreibungen der Strukturtypen 1-4 in zweisilbigen Wörtern, aber auch in morphologisch komplexen Wortformen. Die Lehrkräfte geben Formen silbenstruktureller Analysen sowohl als schreibunterstützende als auch als schreiberschließende Hilfestellungen an. Formen der sprechrhythmischen Wortgliederung in Silben werden als Aktivitäten für den Einstieg in den Schriftsprachunterricht, aber auch als begleitende Hilfestellungen des selbstständigen (Erst-)Schreibens genannt. Sie dienen der Prävention von Skelettschreibungen, werden dabei aber nicht im Sinne eines silbenlautierenden Schreibens, sondern in ihrer Verbindung mit sukzessiver (z. T. explizit graphematischer)

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8 Darstellung der Ergebnisse

Struktureinsicht dargestellt: Die Struktureinsicht wird ausgehend von der Vokalkern-Regel und deren Differenzierung für die Reduktionssilbe (einschließlich korrespondierender Betonungsverhältnisse) angebahnt. Die Unterscheidung von offenen und geschlossenen Silben sowie die Thematisierung der besonderen Erfordernisse von Wörtern der orthographischen Strukturtypen 3 und 4 schließen sich an. L10s Orientierung weicht aus den angeführten Gründen z. T. von diesem Muster ab. Für die unterrichtsmethodisch gestützte Auseinandersetzung mit für die Wortschreibung relevanten silbischen Strukturen werden bidirektionale Erarbeitungswege präsentiert, die die suprasegmentale Struktur sowohl des geschriebenen als auch des gesprochenen Wortes unter Beachtung der Haupt- und Reduktionssilbenverhältnisse verdeutlichen. Sprech- und schreibsilbenbasierte Zugriffe werden z. T. auch in produktiver Verknüpfung dargestellt. Zwar offenbaren auch im Typ IV nicht alle Lehrkräfte ein klares Konzept von der phonologischen Korrespondenz der Silbengelenkschreibungen und des silbeninitialen , im Anwendungskontext kommt es – anders als im Typ II und z. T. im Typ III – dennoch nicht zu gegenseitigen Überformungen zwischen sprech- und schreibsilbenstrukturellen Hilfestellungen: Überlautungen spielen in den Empfehlungen zur silbenstrukturellen Analyse keine handlungsleitende Rolle. Silbenstrukturelle Analysen werden zudem auch im Umgang mit morphologisch komplexen Schreibungen angeregt.

In der Zusammenfassung der dem fokussierten Merkmalsraum zugeschriebenen Eigenschaften ergeben sich für Typ IV folgende Hauptmerkmale: - ein in der (vorgestellten) Vermittlungssituation gewählter analytisch-kognitiver Zugang zur Erfassung der suprasegmental bestimmten Wechselbeziehung zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort oder zur allgemeinen Erfassung suprasegmentaler Strukturen in zweisilbigen Grundformen; - ein umfassender Bezug auf suprasegmentale Strukturen in morphologisch einfachen und morphologisch komplexen Schreibungen mit der konstanten Untersuchungsbasis zweisilbiger Grundformen; - eine vernetzte intra- und intersilbische Untersuchung suprasegmentaler Strukturen. Welche globaleren Vorstellungen die Typ-IV-Lehrenden von der Anlage schriftsprachlicher Lehr-Lern-Prozesse und dem Verhältnis zwischen der Thematisierung von Richtigschreibungen und den Möglichkeiten des freien (Text-)Schreibens besitzen, wird im folgenden Teilkapitel nachgezeichnet.

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

8.3.4.1

483

Vorstellungen von der schriftsprachlichen Lehr-Lern-Progression (Typ IV)

Im Bereich der allgemeineren Leitlinien des didaktischen Handelns und v. a. der Auswahl von Lehr-Lern-Inhalten sowie des eingesetzten Lehr-Lern-Materials können für Typ IV zentrale Gemeinsamkeiten aller zugeordneten Einzelfälle festgestellt werden. Besonders auffällig ist, dass alle Lehrenden eine sehr klare Vorstellung von der schriftsprachlichen Lehr-Lern-Progression ausdrücken, die nicht von der Anordnung der Lerninhalte in einem Lehrwerk oder Arbeitsheft abhängt, sondern an der Struktur des Gegenstandes Wortschreibung selbst orientiert ist. Diese Beobachtung ergibt sich insbesondere aus denjenigen Äußerungen, die die Lehrenden hinsichtlich der Auswahl und Rolle von Lehr-Lern-Materialien in ihrem eigenen Unterricht, aber auch hinsichtlich der allgemeinen Einschätzung des Materialangebots auf dem Schulbuchmarkt treffen. Alle Typ-IVLehrenden üben Kritik an ausgewählten Sprachbüchern und Arbeitsheften, die sie zum Zeitpunkt der Interviews als in den Schulen beliebte oder zumindest umworbene Lehr-Lern-Materialien wahrnehmen, und – mit Ausnahme von L02 – auch an den im eigenen Unterricht verwendeten Lehrgängen und Begleitmaterialien. Dabei lassen sich folgende Kritikpunkte feststellen: - die Progression der Lerninhalte im jeweiligen Lehr-Lern-Material: Die Lehrkräfte problematisieren die Auswahl des Wortmaterials für rechtschriftliche Erkenntnisse bzw. schriftstrukturelle Einsichten. L01 bemängelt im von ihr genutzten Arbeitsheft zum (Richtig-)Schreiben beispielsweise die Thematisierung von Wörtern des Strukturtyps 3 vor Wörtern des Strukturtyps 2: ((…)) ist immer so ein bisschen doof, ne, dass dann das Material, äh was, was wir haben oft äh dann in den Details einfach ähm nicht / entweder, entweder tatsächlich richtig falsch ist (-) ähm oder oft von so einer Progression her ungünstig ist, habe ich so ähm erlebt. Zum Beispiel im Pusteblume-Heft kommt (-) erst, glaube ich, der Doppelkonsonant und dann die ähm (-) äh die geschlossene Silbe überhaupt, an anderen Beispielen. Und, also das hät/ das habe ich dann eben andersherum, habe ich eben andersherum gemacht. (L01, A12)

-

die sachstrukturelle Darstellung des Lerngegenstandes: Die Lehrkräfte stellen sachstrukturelle Fehlleitungen in der Modellierung des Gegenstandes fest. L03 kritisiert, wie oben dargestellt, die Wortauswahl

484

8 Darstellung der Ergebnisse

und -präsentation im von ihr genutzten Lehrgang, das bei der Einführung offener Silben u. a. die Silbe „mi“ anführt, die regelhaft ein erfordern würde: ((…)) und dann habe ich gesagt: So, alle, die eine eigene Fibel haben, (--) damit die sich das optisch auch GLEICH einprägt, haben sie hinter alle (-) l/ so bei den Leseteppichen hinten und hier oben ((zeigt auf Kopfzeile der Seite)) auch, mussten sie ÜBERall das hinterhängen. (L03, A14)

die konzeptionelle Ausrichtung des Lehr-Lern-Materials: Die Lehrkräfte kritisieren die grundlegende Konzeption bzw. die sachstrukturellen Annahmen, die die Gegenstandsdarstellung fundieren. L10 sieht ihr eigenes ‚Handlungsdilemma‘ vor allem darin begründet, mit einem Lehrwerk arbeiten zu müssen, das „eher diesen lautbezogenen Ansatz“ (L10, A6) vertritt, den sie selbst für problematisch befindet und der nicht dem von ihr präferierten „silbenbezogenen Ansatz“ (ebd.) entspricht. Aus der fallübergreifend kritischen Haltung zum bestehenden Materialangebot lässt sich ein weiteres Handlungsmuster des Typs IV ermitteln: Die Lehrerinnen setzen zur Thematisierung der regelhaften Wortschreibung in ihrem Unterricht selbsthergestellte Arbeitsmaterialien ein – teils zur Kompensation sachstruktureller Mängel in den ansonsten genutzten Lehrwerken (so geäußert von L01, L03, L10), teils zur bewussten Gestaltung der schriftsprachlichen Lehr-Lern-Progression nach den eigenen sachanalytischen und didaktischen Vorstellungen: L02 gibt an, mit einem Lehrwerk zu arbeiten, in dem „die Rechtschreibung fast komplett ausgeklammert“ (L02, A9) ist, sieht darin aber keinen Nachteil, „weil ich das dann so auffüllen kann, wie ich das gerne möchte“ (ebd.). Im Hinblick auf die konkreten Vorstellungen zur schriftsprachlichen Progression ist typenintern eine Orientierung an den in der vorliegenden Arbeit leitenden Strukturtypen der deutschen Wortschreibung im Kernbereich erkennbar. So verweist L10 beispielsweise auf „immer dieses (-) Klassische Tanne – Tafel – Tante“ (L10, A50), also die Erarbeitung von Wortschreibungen der Strukturtypen 1, 2 und 3 (hier in anderer Reihenfolge: 3, 1, 2). Im Unterschied zu L01, die Wörter des Strukturtyps 3 nach eigener Auskunft erst nach der Auseinandersetzung mit einfachen offenen und geschlossenen Silben in Wörtern der Strukturtypen 1 und 2 thematisiert, gibt L02 an, durch den von Beginn an entdeckenden Umgang mit Wortschreibungen (insb. in Form von Rechtschreibgesprächen) „automatisch alle möglichen rechtschriftlichen Phänomene“ (L02, A9) und somit auch schon früh Silbengelenkschreibungen zu besprechen. -

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

485

In Bezug auf die Anregung und Gewichtung von Lehr-Lern-Situationen zum Richtigschreiben sowie zum freien (Text-)Schreiben lässt sich für Typ IV keine einheitliche Tendenz ermitteln: L01 und L02 setzen auf die Parallelität und das zunehmende Miteinander von Situationen der systematischen Beschäftigung mit Wortschreibungen und der freien Schreibaktivitäten von Lernenden und bieten für letztere auch Buchstabentabellen als Hilfsinstrumente an: Ähm also ich, ich denke schon, (-) dass das auf jeden Fall, ne, Systematik einerseits und, und das freie Schreiben andererseits (-) ähm ähm äh vorhanden / also äh äh gegeben sein sollte, gemacht werden sollte. (L01, A41)

Sie beschreiben zugleich, dass sie beide Bereiche, freies und richtiges Schreiben, mithilfe von Rechtschreibgesprächen und Situationen zum Nachdenken über schriftsprachliche Strukturen miteinander zu vernetzen versuchen. L03 kennzeichnet demgegenüber den Verzicht auf die Arbeit mit einer Buchstabentabelle als gewichtige Konsequenz ihrer ‚konzeptionellen Kehrtwende‘ (s. auch 8.2.3), während L10 auf ihren Status als Berufsanfängerin und noch wenig Erfahrung in diesem Bereich verweist. L10 äußert dabei allerdings den Wunsch, in Zukunft von Anfang an silbenstrukturelle Gegebenheiten in (geschriebenen) Wörtern zu thematisieren und den Lernenden grundlegende Rechtschreibstrategien an die Hand zu geben. Die folgende Übersicht (Tab. 60) fasst die wesentlichen Orientierungsgrößen der Lehrenden in Bezug auf Rahmenbedingungen und konzeptionelle Annahmen des didaktischen Handelns zusammen.

486

8 Darstellung der Ergebnisse

Tab. 60 Globalere Handlungsorientierungen der Typ-IV-Lehrenden

L01

L02

Richtigschreiben und freies Schreiben - Parallelität/Miteinander von Richtigschreiben und freiem Schreiben (vgl. A22, A41) - Lehr-Lern-Progression in Orientierung an der Lerngegenstandsstruktur mit klarer Vorstellung von der Abfolge der Lerninhalte und ggf. in Abweichung von genutztem Heft zum Richtigschreiben (vgl. A51) - Parallelität/Miteinander von Richtigschreiben und freiem Schreiben, Vernetzung mithilfe von Rechtschreibgesprächen (vgl. A21) - Lehr-Lern-Progression in Orientierung an der Lerngegenstandsstruktur, aber flexibler (situationsbedingter) Auswahl der Lerninhalte (vgl. A9, A15)

L03

- Richtigschreiben vor freiem Schreiben gemäß Lehrgangskonzept und eigener konzeptioneller Kehrtwende (vgl. A12) - Lehr-Lern-Progression in Orientierung an der Lerngegenstandsstruktur repräsentiert durch die Arbeit mit dem Silbenhaus-Modell (vgl. A14)

L10

- keine Angabe zum freien Schreiben, Phänomenorientierung im Bereich Richtigschreiben gemäß Arbeitsheft zum Richtigschreiben sowie Rechtschreibgespräche gemäß eigener konzeptioneller Überzeugung (vgl. A6) - Lehr-Lern-Progression ‚notgedrungen‘ in Orientierung an Sprachbuch und Rechtschreibheft

Auswahl und Nutzung von Lehr-Lern-Materialien - Einsatz einer Buchstabentabelle neben systematischer Buchstabeneinführung (vgl. A16) - Arbeit mit den Arbeitsheften Pusteblume und Zebra sowie mit selbsthergestelltem Material zur wortstrukturellen Analyse (u. a. mit Silbenhaus-Modell) (vgl. A10, A60) - Materialangebot eher unzureichend (vgl. A61) - Einsatz einer Buchstabentabelle neben Rechtschreibgesprächen zu Schülernamen (vgl. A27) - Arbeit mit Lehrwerk der die das, Rechtschreibarbeit mit selbsthergestelltem Material (vgl. A9) - Materialangebot quantitativ zufriedenstellend, aber zahlreiche Lehr-Lern-Materialien mit starken Mängeln (Überfrachtung) (vgl. A80ff.) - Verzicht auf Buchstabentabelle aufgrund eigener ‚konzeptioneller Kehrtwende‘ (vgl. A105) - Arbeit mit Lehrgang ABC der Tiere einschl. Begleitmaterialien sowie selbsthergestelltem Material (z. T. zur Kompensation von Defiziten der Fibel) (vgl. A67) - Materialangebot (einschließlich ABC der Tiere) unbefriedigend (vgl. 64, A109) - Berufsanfängerin in Klasse 1, Wunsch nach Silben- und Strategieorientierung von Anfang an (vgl. A28) - ‚notgedrungene‘ (ressourcenbedingte) Arbeit mit Sprachbuch Tinto und Rechtschreibheft Zauberlehrling (A10, A12), sporadisch mit selbsthergestelltem Material (Problematisierung hinsichtlich Ressourcen) - Materialangebot für Grundschule unbefriedigend (vgl. A32)

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

8.3.4.2

487

Bewertungstendenzen des Typs IV im Interviewteil C

Ähnlich wie im Typ III ergeben die Untersuchungen der allgemeinen Bewertungstendenzen, die die Lehrerinnen des Typs IV im Interviewteil C offenbaren, keine vollständigen Übereinstimmungen, weisen typintern aber ebenso wie im Typ III keine gegensätzlichen Einschätzungen auf (s.Tab. 61). Tab. 61 Allgemeine (‚gegenstandsnahe‘) Bewertungstendenzen im Interviewteil C: Typ IV Bewertung (eher) zustimmend unentschieden Materialbeispiel C1 (graben - grabbeln) L01, L03 C2 ( oder ?) L03, L10 L01, L02 C3 (Robotersprache) L02, L03 C4 ()

(eher) ablehnend L02, L10 L01, L10 L01, L02, L10

Wie sich im Weiteren zeigen wird, liegen die Bewertungen der Typ-IV-Lehrenden jedoch tendenziell dichter beieinander als die der Typ-III-Lehrenden. Abweichungen sind hier besonders häufig auf die individuell gewählten Bewertungsgegenstände der Materialauszüge zurückzuführen. Folgende gemeinsame Handlungsorientierungen können für Typ IV im Interviewteil C erkannt werden: -

Die Lehrerinnen lehnen das deutliche Sprechen von Wörtern zur Erschließung der Wortschreibung grundsätzlich ab. So bewertet L01 die Darstellungsweise in C4 () als „schlichtweg (-) falsch“ (L01, C4.2) und belegt die Fehlleitung des Hinweises, zu hören, wie ein Wort geschrieben wird (s. Inputmaterial C3), ebenso wie L10 am Wort Robotersprache selbst, das „kein (-) prototypischer Zweisilber“ (L10, C3.5) und in dem „das Typische ähm gar nicht dargestellt“ (L01, C3.1) sei. L02 und L03 wenden sich zwar allgemein gegen die Aufforderung zum deutlichen Sprechen, bewerten das langsame Sprechen von Wörtern vor dem Schreiben aber generell als schreibunterstützende Maßnahme (vgl. L02, C3.1; L03, C3.1).

-

Die Lehrerinnen plädieren für die Untersuchung von suprasegmentalen Strukturen innerhalb geschriebener zweisilbiger Wörter in ihrer Funktionalität für die Wortaussprache. Dies wird insbesondere im kritischen Umgang mit dem Inputmaterial C1 deutlich, das die Unterschiede von Lang- und Kurzvokal über die Unterscheidung von Wörtern mit offener (gra-ben) und geschlossener Silbe (grab-beln) und der dabei wahrgenommenen Lippenstellung erklärt. L02 und L10 lehnen diesen Zugang

488

8 Darstellung der Ergebnisse

ausdrücklich ab, da sich die Erklärung auf die Aussprache der Silbe und nicht – wie von ihnen erwartet – auf die geschriebene Silbenstruktur bezieht. Ähm (--) da ist nur jetzt wieder eben das Problem, ähm (-) offene und geschlossene Silbe, mit den Begriffen arbeite ich eigentlich auch, aber (-) ähm (-) ich habe das nie so verstanden, dass das geschlossene Silbe heißt, weil der MUND dabei geschlossen ist, ähm (--) sondern eher, weil die Silbe eben so einen konsonantischen Abschluss hat. Das hat ja weniger was mit der Aussprache zu tun als mit dem Bild selber, also wenn man das Wort sieht. (L02, C1.2)152

L01 und L03 weisen den Erklärungsansatz, den das Material für die Präsentation der offenen und geschlossenen Silbe nutzt, nicht explizit zurück, ‚stülpen‘ ihm aber gewissermaßen das eigene Vorgehen, die Erfassung der Silbenstruktur auf der Basis des geschriebenen Wortes, über (s. 8.2.3 und 8.2.4). -

Die Lehrerinnen betonen das besondere Potenzial, das die Blickrichtung von geschriebenen zum gesprochenen Wort für den Gewinn von Einsichten in die Wortschreibung besitzt. L10 stellt in der Auseinandersetzung mit der rein schreibsilbenstrukturellen Erklärung der Schreibung im Materialauszug C2 positiv heraus, dass „sie [da] ja jetzt mal NICHTS mit Hören [machen]“ (L10, C2.1). Wie auch die anderen Typ-IV-Lehrerinnen plädiert aber auch sie für die Ergänzung der Erklärung um den Bezug zum gesprochenen Wort.

Dieser knappe Überblick über die Bewertungsmuster der Typ-IV-Lehrenden vermag ihre weitgehend konsequente Orientierung an der Schriftstruktur, die sie in den Interviewteilen A und B im didaktischen Handlungsbezug aktivieren, zu bekräftigen.

8.3.5

Ergänzende Analysen zur Typenbildung

Im Rahmen der Typenbildung und der anschließenden Typenbeschreibungen wurden vereinzelt fallspezifische Untersuchungsaspekte sichtbar, die

152

Im typübergreifenden Fallvergleich fällt letztlich auf, dass L02 als einzige Lehrkraft der ‚silbenstrukturorientierten‘ Typen II, III und IV in der Zugriffsweise des Inputmaterials C1 das Risiko einer fehlleitenden Darstellung anspricht: Sie problematisiert, dass das Gliedern von Wörtern mit doppelten Konsonantengraphemen mit Trennstrichen zu einer verfehlten Vorstellung von der phonologischen Korrespondenz führen kann.

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

489

aufgrund ihrer Spezifität oder einer nur lückenhaften Datenbasis aus der Darstellung der wesentlichen Typenmerkmale ausgeschlossen wurden. Dazu zählt zum einen der Einzelfall L14, für den im Gegenstandsbereich der Typenbildung Merkmalsausprägungen ermittelt wurden, die in dieser Form bei keiner anderen Lehrkraft zu beobachten waren. Zum anderen konnte für die Lehrerinnen L10 und L13 auf der Basis ihrer sachstrukturellen Gegenstandsvorstellungen und didaktischen Handlungsorientierungen zwar eine eindeutige Typenzuweisung vorgenommen werden; zieht man jedoch weitere Äußerungssequenzen hinzu, in denen sich die Lehrenden unter allgemeineren Gesichtspunkten zum Lerngegenstand Wortschreibung verhalten, zeigt sich, dass sich L10 und L13 kritisch mit dem Verhältnis zwischen ihrem ideellen Anspruch an die Gestaltung schriftsprachlicher Lernprozesse und der unterrichtlichen Realität auseinandersetzen. Da es sich dabei um ein Phänomen handelt, dass nur bei diesen zwei Lehrenden beobachtet wurde, erschien seine Ausgliederung aus den unmittelbaren Typenbeschreibungen sinnvoll. Dennoch erweist sich die vertiefende Beschäftigung mit diesem Einzelphänomen als bedeutsamer Untersuchungsinhalt, vermag er doch ein besonderes (Spannungs-)Verhältnis zwischen theoretischem Gegenstandsverständnis und unterrichtspraktischem Handeln aufzudecken. Die Einzelbetrachtung des Falls L14 und die Auseinandersetzung mit den zuvor angedeuteten Problematisierungen der Lehrerinnen L10 und L13 stehen daher in den folgenden Abschnitten im Fokus. 8.3.5.1

Einzelbetrachtung des Falls L14 (ohne Typenzuweisung)

Im Rahmen der Typenbildung konnte der Einzelfall L14 keinem der vier ermittelten Typen eindeutig zugewiesen werden. Die Ausprägungen, die für L14 in Bezug auf die Merkmale 1 (Verortung der wahrgenommenen Diskrepanz zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort) und 2 (Rolle von überlautierenden Formen im Zugriff auf Wortschreibungen) festgestellt wurden, weisen die größte Nähe zum (späteren) Typ II auf. Der Einbezug des Merkmals 3 (Klassifizierung der Zugriffe auf Wortschreibungen der Strukturtypen 3 und 4) deckt jedoch einen zentralen Unterschied der handlungsleitenden Zugriffe L14s gegenüber denen der Typ-II-Lehrenden auf: L14 offenbart im Umgang mit Schreibungen der ausgewählten orthographischen Strukturtypen keinen Bezug zur Silbenstruktur der Wörter und auch keine anderen Erklärungsansätze, die auf eine suprasegmentale Betrachtungsweise schließen lassen würden, sondern argumentiert ausschließlich auf segmentaler Ebene. Da diese Grundorientierung für keine weitere befragte Lehrperson festgestellt wurde, wurde L14 aus der

490

8 Darstellung der Ergebnisse

abschließenden Festlegung der Typenzugehörigkeiten ausgeschlossen. In diesem Teilkapitel soll demonstriert werden, dass die Lehrerin L14 dennoch einige Phänomenausprägungen zeigt, die sich auch für andere Fälle der Untersuchungsgruppe, insbesondere für die Einzelfälle des I. und II. Typs, als relevant erwiesen haben. Übereinstimmungen mit den wesentlichen Merkmalen des Typs I zeigen sich v. a. in der vertiefenden Analyse der (didaktischen) Rolle silbenorientierter Hilfestellungen: L14 verweist hier ebenso wie die Typ-I-Lehrenden vordergründig auf die Vokalkern-Regel, die das Erstschreiben der Lernenden zielführend unterstützt: „Also die Silbe als ähm, (-) als Regelung, dass sie dort immer einen König finden, das nehme ich, so, und dann (-) ist immer schon der Vokal da.“ (L14, A36) In den Auseinandersetzungen mit konkreten Wortschreibungen der orthographischen Strukturtypen 1 (), 3 (Silbengelenkschreibungen) und 4 (silbeninitiales ) wird allenfalls ein marginaler Bezug zu silbenorientierten Zugriffen hergestellt. Anders als die Typ-I-Lehrenden referiert L14 im Verlauf des Interviews zwar mehrfach auf mögliche Herangehensweisen, die auf die Untersuchung von offenen und geschlossenen Silben abzielen, führt diese aber in keiner Situation weiter aus. Im Interviewteil A (Offene Beschreibung und Reflexion des eigenen Unterrichts) erklärt sie, zum aktuellen Lernstand ihrer ersten Klasse „noch nicht so weit“ (L14, A32) zu sein, um mit offenen und geschlossenen Silben zu arbeiten. Gefragt nach ihrem Umgang mit Doppelkonsonantenschreibungen präsentiert L14 im Interviewteil A folgende Herangehensweise: Schlit.ten/[ʃlɪt.tɛn], das haben wir gerade erarbeitet, die ganz Fitten, (-) ne, (-) was hörst du denn da (-) in der Mitte und ähm das finde ich schon echt gut für eine (-) erste Klasse, so in die / so richtig mal genau hinzuhören. (L14, A66)

Im Interviewteil B (Umgang mit Fehlschreibungen) untermauert L14 diesen rein segmentalen Zugriff auf Wortschreibungen des orthographischen Strukturtyps 3 und hebt sich darin letztlich sowohl von Typ I als auch von Typ II ab. Als auffälligstes Unterscheidungsmerkmal von Typ I erweist sich ihre nicht hergestellte oder zumindest nicht verbalisierte Verknüpfung der Doppelkonsonantenschreibung mit der Kürze des vorangehenden betonten Vokals. Weder im Interviewteil A noch im Interviewteil B geht sie im Umgang mit den Schreibungen dieses Strukturtyps auf die Bedeutung der Vokalquantität ein und – und damit unterscheidet sie sich in einem weiteren Aspekt von den Typ-I-Lehrerinnen L07 und L16 – setzt sich zudem nicht kritisch mit der (schriftinduzierten) Bezugslautung auseinander, auf

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

491

die die Schüler/-innen in der von ihr empfohlenen Erschließung der Schreibung zurückgreifen müssen. Stattdessen formuliert sie auch in den Anwendungskontexten in B stets Zugriffe, durch die über das Silbenschwingen alle (angenommenen) phonologischen Einzelsegmente wahrgenommen und anschließend in der Schreibung abgebildet werden sollen. Ähnliche silbenlautierende Formen wurden zwar auch für die Lehrenden des Typs II festgestellt, letztere beziehen sich dabei im Unterschied zu L14 auf die silbischen Strukturpositionen der Hauptsilbe und die Relevanz des Hauptsilbenendrandes für den gesprochenen betonten Vokal. L14 räumt im Interviewteil A diesbezüglich ein, sich an den Lehrgang ABC der Tiere (und damit den Lehrgang, der für die Zugriffe der Typ-II-Lehrenden richtungsweisend ist) „noch nicht rangetraut“ (L14, A10) zu haben, zum einen, weil sie dessen starker Konzentration auf die Arbeit mit den SilbenhausModell skeptisch gegenübersteht (vgl. ebd.), zum anderen, weil die da schon (-) von Anfang an irgendwie genau auf das Gehör gehen, ich finde das manchmal schwierig / also (-) früher gab es ja die (-) LANge und die kurze Silbe, ich habe die Erfahrung gemacht, dass das (-) manche Kinder gar nicht heraushören. Gerade ähm (-) / also (-) Kinder mit Migrationshintergrund zum Beispiel, da finde ich es ganz schwierig. (L14, A32)

Aus dem erweiterten Kontext der Äußerung kann nicht eindeutig geschlossen werden, ob sich ihre Referenz auf lange und kurze Silben ausschließlich auf die Merkmale des Vokals oder auch die silbenstrukturelle Einbettung des Vokals bezieht, da L14 sich an keiner weiteren Stelle des Interviewteils A spezifisch mit Vokalquantitäten oder silbischen Strukturmerkmalen beschäftigt. Im Interviewteil C (Bewertung von Materialauszügen) lassen sich mitunter deutlichere Übereinstimmungen mit Typ I identifizieren, und zwar bezogen auf die Inputmaterialien C1 (graben – grabbeln) und C2 ( oder ?). In der Auseinandersetzung mit dem ersten Inputmaterial C1, das die Thematisierung von Lang- und Kurzvokalen über die artikulatorischen Bedingungen der Silben anregt, problematisiert L14 – wie die Typ-I-Lehrenden L07 und L16 – die ‚Hörbarkeit‘ offener und geschlossener Silben: „Mit dem geschlossenen und dem offenen, das nur zu hören, finde ich schwierig.“ (L14, C1.14) Sie verweist dabei (wie im Interviewteil A, vgl. A32) auf die besonderen Schwierigkeiten, die dieser Zugang Kindern mit anderen Herkunftssprachen erfahrungsgemäß bereitet. Wie auch die Lehrenden

492

8 Darstellung der Ergebnisse

des Typs I weist sie die fachliche Angemessenheit der Erklärung nicht zurück („uns als Erwachsenen (-) ist das natürlich klar“, L14, C1.10). Die Lehrerin modifiziert die Herangehensweise des Materials auf folgende Weise: Das würde ich echt frontal üben, (-) mit allen g/ an, (-) an der Tafel (-) und Wörter zerlegen. Oder / also (-) immer abhalten (-) und ähm (--) vielleicht (---) ganz deutlich vorsprechen. (5sec) Schafe, schaf.fen/[ʃaf.fɛn], also (-) so (-) und ähm (-) immer ähm, (--) ähm: (-) ja, (-) Gegenteil / ( ) einmal hier lang und da einmal kurz und dann zuordnen. (L14, C1.8)

Durch das geübte (über-)deutliche Sprechen sollen die Lernenden zur Wahrnehmung der Vokallänge und -kürze gelangen. Was zunächst als Problematisierung eines Zugangs, der auf eine schriftinduzierte Bezugslautung referiert, erscheint, wird in der Handlungsempfehlung also nur insofern aufgegriffen, als die auditive Wahrnehmung der Vokalquantitäten in Vernetzung mit einem silbenlautierenden Sprechen trainiert werden soll. Vor allem aus diesem Blickwinkel erscheint L14s folgende Äußerung zum Inputmaterial C2, in dem die -Schreibung ausschließlich über eine Untersuchung der Schreibsilbenstruktur erarbeitet wird, überraschend: Also (-) allein wie es optisch ist, finde ich es gut gemacht, (-) ähm (-) ich finde die Regel auch (-) einfacher zu verstehen, (-) das ist es / hat man Handwerkszeug, da müssen die Kinder nicht selber das heraushören, (-) ich glaube, das ist für die einfacher (---) von der Erklärung auch her. (L14, C2.1)

Hier befindet sie einen Zugriff, der ohne einen Bezug zur auditiven Wahrnehmung des gesprochenen Wortes auskommt, für zielführend. Dabei erweckt die sprachliche Darstellung den Eindruck, dass sie die im Material angeregte schreibsilbenstrukturelle Analyse als „Handwerkszeug“ für die Lernenden betrachtet, nicht aber Zugänge, die auf das Hören fokussieren. Dies erstaunt insofern, als sie das Silbenschwingen und die auditive Wahrnehmung von Einzelsegmenten in den anderen Interviewteilen wiederholt als zentrale Zugriffsform im Umgang mit Wortschreibungen präsentiert. Die Beschäftigung mit der Struktur des geschriebenen Wortes schätzt sie also ähnlich wie L07 und L16 als sinnvollen Ansatz ein, der in ihren zuvor formulierten eigenen Handlungsempfehlungen jedoch keine Rolle spielt. Der Versuch, L14s im Anwendungskontext formulierten Zugriffe auf ausgewählte Wortschreibungen des deutschen Kernbereichs in Übereinstimmung mit den von ihr ausgedrückten konzeptionellen Leitlinien zu bringen, gestaltet sich letztlich als schwieriges Unterfangen. In vielen Fällen beschreibt sie Herangehensweisen, die herkömmlichen einzelsegmentorien-

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

493

tierten Modellierungen der Wortschreibung für das Lernen von Grundschüler/-innen gleichen, äußert andererseits aber auch Bedenken gegenüber ebendiesen Zugriffen, wenn auch nur vereinzelt. Eindeutige Muster lassen sich dabei nicht erkennen. 8.3.5.2

Die erlebte Zwickmühle der Lehrerinnen L10 und L13

Die methodische Anlage der Interviewstudie zieht es nach sich, dass die ermittelten Zugriffe der Lehrenden auf Wortschreibungen des Kernbereichs der deutschen Schriftsprache zwar als handlungsleitende oder zumindest -relevante Orientierungen angenommen werden können, nicht aber als Gewähr dafür, dass sie im unterrichtlichen Handlungskontext auch tatsächlich in der dargestellten Form umgesetzt werden. In Teilkapitel 7.2 wurde in Referenz auf Mandl und Huber (1983) von einer ‚prognostischen‘ Aussagekraft der Lehreraussagen gesprochen, sodass für die in der Typenbildung ermittelten Handlungsorientierungen kein Realitätsanspruch erhoben wird, sie aber doch als handlungsnahe Tendenzen für das Verhalten in vergleichbaren Situationen verstanden werden können. In der gesamten Untersuchungsgruppe der vorliegenden Interviewstudie fallen in diesem Zusammenhang zwei Lehrerinnen auf, die das Verhältnis zwischen den im Interview formulierten Zugriffen auf Wortschreibungen und der unterrichtlichen Realität des eigenen Handelns unmittelbar thematisieren und kritisch reflektieren. Dies gilt in besonderem Ausmaß für die Lehrerin L10 (Typ IV), in etwas abgeschwächter Ausprägung aber auch für L13 (Typ III). Bevor die von ihnen beschriebene ‚konzeptionelle Zwickmühle‘ näher beleuchtet wird, sollen einige berufsbiographische Daten der beiden genannt werden, die sich als bedeutsam für die folgenden Ausführungen erweisen. Beide Lehrerinnen bezeichnen sich als Berufsanfängerinnen und leiten zum Zeitpunkt des Interviews seit etwa einem halben Jahr (L10 sogar seit etwas weniger als einem halben Jahr) als fertig ausgebildete Lehrkräfte den Schriftsprachunterricht einer ersten Klasse. Beide haben zuvor ihr Referendariat (L10 in Niedersachsen, L13 in Schleswig-Holstein) und unmittelbar davor wiederum das universitäre Lehramtsstudium in Hamburg absolviert. Letzteres bezeichnen beide als wesentliche Quelle ihrer konzeptionellen Vorstellungen vom schriftsprachlichen Lehren und Lernen: Durch den Besuch deutschdidaktischer Veranstaltungen seien die Grundsteine für eine schriftstrukturorientierte Ausrichtung ihres Lese- und Schreibunterrichts in der Grundschule gelegt worden.

494

8 Darstellung der Ergebnisse

Gleich zu Beginn der Interviews mit L10 und L13 thematisieren beide Lehrerinnen die berufsbiographischen Hintergründe ihres schriftsprachdidaktischen Handelns im Unterricht: Bereits im ersten Redebeitrag zur Einstiegsfrage (Wie sieht Ihr Rechtschreibunterricht aus? Was ist Ihnen da wichtig?) gehen sie auf die Herausforderungen des eigenverantwortlichen Unterrichtens in der ersten Jahrgangsstufe und auf die erlebte Kluft zwischen didaktischem Anspruch und unterrichtlicher Realität ein. L10 kommt schon in dieser Gesprächssequenz zu einer sehr dichten und bisweilen eindringlichen Darstellung ihrer wahrgenommenen „Zwickmühle“: ((…)) ja, also ich habe am Anfang, als ich mit dem Referendariat angefangen habe, (-) weil ich auch direkt von der Uni kam, (-) sozusagen, (-) erst mal ganz wild Arbeitsblätter selber hergestellt mit offener und geschlossener Silbe und diesem ganzen (-) ähm Zeugs und habe aber gemerkt, ich / das / ich schaffe das gar nicht, das selbst sozusagen zu leisten, so, die ganze Zeit so und bin dann doch wieder sozusagen zurück zum Buch, habe aber immer schon (-) so Begriffe wie offene und geschlossene Silbe auch mit eingebracht (-) und (-) merke aber, dass das im Buch eben, (--) dass die eben eher diesen lautbezogenen Ansatz haben, ne, dieses Wenn du einen kurzen Vokal hörst, dann schreibe doppelte Konsonanten. So. Das heißt, (-) ähm (-) ja, da bin ich immer so (-) sozusagen in der Zwickmühle, dass, (-) dass ich merke: Ich kenne es eigentlich anders, ich würd/ komme eher sozusagen von diesem silbenbezogenen Ansatz und finde den auch wichtig, aber in den Büchern (-) ähm, (--) in den Büchern wird was anderes sozusagen als, als Merksatz vorgegeben (-) und dann lernen sie das auswendig. (L10, A6)

Sie beschreibt auf der einen Seite den in der universitären Ausbildung geprägten Anspruch, im Schriftsprachunterricht nach „diesem silbenbezogenen Ansatz“ (s. oben) zu arbeiten, auf der anderen Seite ein Spannungsverhältnis zu den persönlichen (zeitlichen) Ressourcen. Dieses Ungleichgewicht findet ihren Angaben zufolge insofern in ihrem unterrichtlichen Handeln Ausdruck, als die Arbeit mit dem eingesetzten Lehrwerk teilweise die Umsetzung des eigenen konzeptionellen Anspruches verhindere. L13 drückt einen ähnlichen Zwiespalt aus, der aber gewissermaßen in zeitlich umgekehrter Abfolge dargestellt wird: Ähm (-) als ich anfangen habe, habe ich mich natürlich ziemlich an dem orientiert, was so hier dann auch meistens gemacht wird und was irgendwie so an Materialien (-) auch da war, und das ist ja sehr (-) traditionell (--) alles, ne, also Wortarten und Nomen schreibt man groß und so den ganzen Kram, ich habe dann, als ich nachher auch im, im Seminar dann immer mehr ähm Ideen bekommen habe oder

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

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eben auch sicherer wurde, immer versucht, so ein bisschen (-) schriftstrukturellere Sachen da mit reinzubringen. ((…)) ähm da ist aber halt wirklich echt die Schwierigkeit, dass es ja so wenig Material noch gibt und dass es immer (-) ein unglaublicher Aufwand ist, (-) das zu machen. Ich hatte dann auch ähm (-) eine Rechtschreibarbeit mal neu (-) in dem Sinne konzipiert ((deutet gestisch Anführungszeichen an)), als dass es eben nicht so dieses reine Regelwissen (-) abtesten ist. (L13, A11)

Sie beschreibt eine zunächst ‚traditionelle‘ Ausrichtung, die sie mit zunehmender Lehrerfahrung durch Herangehensweisen ergänzt, die ihren eigenen konzeptionellen Überzeugungen näherkommen. Was die Lehrerinnen unter dem „silbenbezogenen Ansatz“ (L10) bzw. „schriftstrukturellen Sachen“ (L13) spezifisch verstehen, soll an dieser Stelle nicht näher betrachtet werden – hier kann der Verweis auf die entsprechenden Beschreibungen der Typen III und IV (s. 8.3.3 und 8.3.4) und die weiterführenden Analysen (s. 8.4) genügen. Deutlich wird in den angeführten Zitaten, dass beide den (zeitlichen) Aufwand, den das Erstellen eigener Unterrichtsmaterialien zur Kompensation des kritisch betrachteten Materialangebots birgt, als problematisch erleben. Während L10 im Interviewteil A wiederholt auf die damit zusammenhängenden Schwierigkeiten zu sprechen kommt, geht L13 im weiteren Interviewverlauf nur marginal darauf ein. Dass ihre Zwickmühle hauptsächlich zu Interviewbeginn präsent ist und im weiteren Gespräch verblasst, mag u. a. damit zusammenhängen, dass sie – im Unterschied zu L10 – mit dem von ihr eingesetzten Lehrwerk (ABC der Tiere) weitgehend zufrieden ist, weil „es eben mit dem silbischen Ansatz arbeitet“ (L13, A101) (wenngleich sie auch zahlreiche kritische Aspekte anführt, etwa „dass es eben nicht nur mit dem Kernbereich arbeitet, sondern mit vielen Wörtern aus dem Peripheriebereich“, L13, A103). L10 schildert die durch das beschriebene ‚Ressourcendilemma‘ entstehenden Probleme im Vergleich zu L13 ausführlicher und nimmt allem Anschein nach stärkere Auswirkungen auf das Lehren und Lernen wahr. Diese stellt sie wiederholt im Zusammenhang mit dem notgedrungen eingesetzten Lehrwerk dar, wie z. B. in folgender Sequenz: ((…)) ja, das hat alles was mit diesem persönlichen (--) Aufwand zu tun, sage ich mal, also (-) ich kann natürlich auch (-) den MEGA guten rechtschreibsystematischen Unterricht machen, wie ich ihn irgendwie quasi in der, in der (-) Uni gelernt habe, aber man fängt dann so an, man nimmt dann DOCH das Buch, was da ist und äh (-) ja, man stumpft dann sozusagen ein bisschen ab. Und man steht vor der Klasse und denkt: , so, das ist jetzt wichtiger als / ((schmunzelt)). (L10, A32)

Das, was L10 dabei als Ambivalenzen ihres Handelns erlebt, bezieht sich zum einen auf die Erarbeitungsrichtung, zum anderen auf die Zugriffsweisen, die das verwendete Lehrwerk zur Erschließung des Lerngegenstands Wortschreibung anbietet: Es wird eben ganz häufig, (--) habe ich das Gefühl, in den Merksätzen (-) ähm (--) gesagt: Wenn du das und das hörst, dann schreibe so. Also es wird nicht von der Silbe ausgegangen, sondern (-) eben von dem Gesprochenen. Wenn du das hörst, dann wird es so geschrieben. Und ähm (--) also es wird GAR nicht auf die Silbe, auf Silbeninformationen eingegangen, glaube ich. (L10, A68)

Die Lehrerin bemängelt diesbezüglich, dass das gesprochene Wort als Ausgangspunkt der Erarbeitung von Wortschreibungen genutzt wird und „Silbeninformationen“ (s. oben) in diesem Prozess keine Rolle spielen, sondern das Lehrwerk vorrangig mit von der Wortlautung ausgehenden Merksätzen arbeitet. Auch wenn L10 selbst auch Zweifel an der umfassenden Wirksamkeit des von ihr präferierten ‚silbenbezogenen Ansatzes‘ anmeldet, so zeigt sie sich im Interview unzufrieden mit der eigenen Gestaltung des Schriftsprachunterrichts. Sie verweist dabei vorwiegend auf zwei Aspekte: 1. die Schwierigkeiten, die aus einer nur bedingt systematischen Anregung zu silbenstrukturellen Analysen für leistungsschwächere Schüler/-innen entstehen: Also (-) zum Beispiel ist es so: Die starken Schüler, die haben das mit dieser offenen und geschlo/ , aber damit kann man ja viel sozusagen erklären, (-) und die haben sich das, witzigerweise auch diese Begriffe gleich gemerkt und die ähm (-) argumen/ oder (-) argumentieren auch mit diesen. Für SCHWACHE Schüler ist das, (-) wenn ich das nur so nebenbei immer wieder so (-) sage, viel zu wenig. Also (-) die:: scheitern eigentlich in diesem Rechtschreibunterricht, die ich / den ich im Moment sozusagen mache. (L10, A42)

2. die unbefriedigende Materiallage: Also das, das ist sozusagen das (-) Problem. Ich / man bräuchte (-) eigentlich (-) ja, das suche ich sozusagen, so ein super Buch (-) ähm, mit dem man dann sozusagen da arbeiten kann. (-) Weil man das selber nicht mehr so leisten kann irgendwie (-) ähm (-) ja, diese Materialien da selbst herzustellen. (L10, A32)

8.3 Fallbezogene Typenbildung: Darstellung vier übergreifender Zugriffsmuster

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Im Unterschied zu L13 sowie v. a. den Typ-II-Lehrenden, die die strukturgebende Leistung des von ihnen genutzten Lehrgangs sowohl für das Lernen schwacher Schüler/-innen als auch für das eigene Lehren hervorheben, fehlen L10 Materialien mit solchem Unterstützungswert für die eigene Arbeit. Die im Rahmen der Typenbildung für sie festgestellten Zugriffe und Handlungsorientierungen sind daher vor dem Hintergrund des zuvor geschilderten Spannungsverhältnisses zwischen ideellem Anspruch und unterrichtlicher Realität zu betrachten (vgl. auch Schröder 2017, S. 62). Dass es sich dabei aber letztlich nicht nur um rein ‚theoretische‘ Überzeugungen handelt, die in der Vermittlungspraxis keine Rolle spielen, kann auf der Grundlage zahlreicher Gesprächssequenzen, in denen L10 das gemeinsame Untersuchen von geeignetem Wortmaterial mit den Schüler/-innen in Form von Rechtschreibgesprächen als wichtigen Baustein ihres Schreib- und Leseunterrichts ausweist, nachgewiesen werden. Trotzdem ma/ also wie gesagt, was mir wichtig ist, ist (-) so ein Nachdenken über Sprache und weil ich, glaube ich, selber recht viel Spaß daran habe, (-) überträgt sich das auch auf meine Schüler und das machen wir viel, also wir sprechen viel (-) über Wörter und gucken, was steckt da drin, und mit dem Wörterbuch arbeiten und (-) ähm, ja. (--) Erst mal so. (L10, A6)

498

8 Darstellung der Ergebnisse

8.4 Weiterführende Analysen Die zuvor dargestellten Ergänzungen zu den gebildeten Typen bezogen sich auf ausgewählte Aspekte, die zwar in einem Zusammenhang mit dem primären Merkmalsraum der Typologie stehen, aus unterschiedlichen Gründen aber aus der unmittelbaren Typendarstellung ausgegliedert werden mussten. Die folgenden Ausführungen beziehen nun weitere Informationen aus den Lehrerinterviews ein, die in den bisherigen Darstellungen höchstens marginal thematisiert wurden. Sie fokussieren auf die Art und Weise, wie die Lehrenden ihre Vorstellungen zum schriftsprachlichen Lehren und Lernen konzeptionell einordnen und ihr darauf bezogenes Handeln begründen. Die Darstellung dieser konzeptionellen Ausrichtungen der Lehrenden bleibt jedoch nicht bei der Beschreibung der Positionierungen stehen, sondern – und darin besteht die besondere Relevanz der Darstellungen für das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie – setzen sie in Beziehung zu den konkret gezeigten und in der Typenbildung dokumentierten handlungsleitenden Zugriffe auf die deutsche Kernwortschreibung. Auf ihrer Grundlage können wesentliche Zusammenhänge zwischen konzeptionellen Überzeugungen und den im Handlungsbezug leitenden Richtlinien erfasst werden. 8.4.1

Das Zusammenwirken von konzeptionellen Positionierungen und didaktischen Handlungsorientierungen der Lehrkräfte

Erste Einblicke in die konzeptionelle Grundausrichtung der Lehrenden wurden bereits im Rahmen der Typenbeschreibungen gewährt. Eine gesonderte Betrachtung der fall- und typenspezifischen Reaktionen auf die Einstiegsfrage der Interviews kann insofern weitere Einblicke in die Untersuchungsaspekte der vorliegenden Arbeit geben, als fast alle befragten Lehrkräfte ihr eigenes didaktisches Planen und Handeln bereits im ersten Gesprächsbeitrag konzeptionell einordnen. Die Untersuchung ihrer diesbezüglichen Positionierungen kann wiederum im Abgleich mit den klassifizierten Zugriffen auf Wortschreibungen zeigen, inwiefern auch konzeptionelle Orientierungen und epistemologische Überzeugungen (s. Teilkapitel 5.3) den Umgang mit dem fokussierten Lerngegenstand beeinflussen. Dieses Vorhaben erscheint bedeutsam, da nach den Befunden bisheriger orthographiedidaktischer Studien davon auszugehen ist, dass weder Wirksamkeitsüberprüfungen von schriftsprachdidaktischen Konzeptionen ohne Beachtung der Lehrperson noch Erhebungen der Lehrerkompetenz ohne

8.4 Weiterführende Analysen

499

die Berücksichtigung ihrer konzeptionellen Grundhaltung weitreichende Erkenntnisse zur Weiterentwicklung der Didaktik liefern können (s. Kapitel 3). Aus diesem Grund werden im Folgenden die Angaben der Lehrkräfte zur individuell begründeten konzeptionellen Anlage von schriftsprachdidaktischen Lehr-Lern-Prozessen beleuchtet. Dafür steht, wie bereits angeführt, zunächst der erste Gesprächsbeitrag der Interviews im Fokus, bevor Äußerungen aus dem weiteren Interviewverlauf hinzugezogen werden. In der Untersuchung der unmittelbaren Reaktionen der Lehrkräfte auf die Einstiegsfragen des Interviews (Wie sieht Ihr Rechtschreibunterricht aus? Was ist Ihnen da wichtig?) lassen sich zwei grundlegende Formen der konzeptionellen Positionierung identifizieren: Die Lehrenden stellen die Leitlinien ihres Handelns (a) durch den im Unterricht eingesetzten Lehrgang oder (b) durch den engen oder weiten Bezug auf den orthographiedidaktischen Diskurs dar. Tab. 62 stellt die dafür angelegten Ober- und Unterkategorien mithilfe von Ankerbeispielen vor.

500

8 Darstellung der Ergebnisse

Tab. 62 Auszug aus dem Kodierleitfaden des Teilsystems A: Oberkategorie A.6 Teilsystem A: Beschreibung und Reflexion der eigenen Zugriffe auf den Lerngegenstand Wortschreibung Oberkategorie A.6: Konzeptionelle Positionierung im ersten Gesprächsbeitrag Unterkategorie und Definition …im fachlichen Diskurs (explizit) Lehrkraft positioniert sich im orthographiedidaktischen Diskurs, indem sie eine schriftsprachdidaktische Konzeption explizit benennt und/oder den Namen eines Sprachwissenschaftlers oder -didaktikers bzw. einer Sprachwissenschaftlerin oder -didaktikerin oder eines/einer Allgemeinpädagogen/-in als Referenz angibt. … im fachlichen Diskurs (implizit) Lehrkraft positioniert sich im orthographiedidaktischen Diskurs, indem sie verschiedene orthographiedidaktische Konzeptionen umschreibt und sich selbst darin konzeptionell verortet. … durch Lehrgang (unmittelbar) Lehrkraft führt als unmittelbare Reaktion den im Unterricht eingesetzten Lehrgang als konzeptionelle Leitlinie des didaktischen Handelns an. … durch Lehrgang (mittelbar) Lehrkraft beschreibt im Verlauf des ersten Gesprächsbeitrags eine konzeptionell leitende Rolle des verwendeten Lehrgangs.

Ankerbeispiele „Also, ich habe selber gelernt nach der Ganzwortmethode. Ich bin jetzt in den 60ern [[konkrete Jahreszahl zur Wahrung der Anonymität getilgt]] geboren und das war halt damals so, dass / (-) ich hatte eine Fibel und ich musste ganze Worte auswendig lernen. ((…)) Und dann war ich im Studium und bin über Frau damals Röber-Siekmeyer gestolpert und da habe ich so das erste Mal festgestellt: So Potzblitz, alle Wetter! Es gibt doch e::cht viel Regelhafteres! Und ihr Ansatz ist ja eben nicht von der Didaktik, sondern von der Sprachwissenschaft her und ähm (-) so und das hat mich (-) völlig überzeugt und angefixt und deshalb bin ich so überhaupt auf diese Schiene gekommen.“ (L04, A6) „Ähm als ich anfangen habe, habe ich mich natürlich ziemlich an dem orientiert, was so hier dann auch meistens gemacht wird und was irgendwie so an Materialien auch da war, und das ist ja sehr traditionell alles, ne, also Wortarten und Nomen schreibt man groß und so den ganzen Kram, ich habe dann, als ich nachher auch im, im Seminar dann immer mehr ähm Ideen bekommen habe oder eben auch sicherer wurde, immer versucht, so ein bisschen schriftstrukturellere Sachen da mit reinzubringen.“ (L13, A10) „Ähm wir haben ähm hier in der Schule dieses Lehrwerk Einsterns Schwester, wo immer ein Themenheft zur ähm, zum / zur Rechtschreibung kompakt dabei ist und ähm an dem wir uns orientieren, das ist auch im schulinternen Fachcurriculum so festgelegt, dass das unser Rechtschreiblehrgang ist für Klasse eins bis vier und ähm daran halten wir fest.“ (L08, A13) „((…)) eine Kollegin, mit der ich / oder in deren Klasse ich auch äh früher schon mal im Referendariat war, die hatte beim letzten Durchgang auch ABC der Tiere gemacht und war ganz begeistert und dann habe ich mir das angeguckt und dachte so, ja, das kann ich mir gut vorstellen, ähm einmal von dieser Silbenmethode her, ich finde, das erschließt sich eigentlich jedem, dass, wenn man ein Wort in Silben aufsplittet, dass das für einen selber (-) sowohl leichter zu lesen ist als auch dann äh in die Schrift umzuwandeln ist.“ (L18, A10)

501

8.4 Weiterführende Analysen

Für die Gesamtgruppe der befragten Lehrenden lässt sich folgende Verteilung feststellen: Tab. 63 Konzeptionelle Positionierung der Einzelfälle im ersten Gesprächsbeitrag (Interviewteil A) Konzeptionelle Positionierung der Lehrkräfte im ersten Gesprächsbeitrag im fachlichen Diskurs: Die Lehrkraft podurch Lehrgang: Die Lehrkraft positiositioniert sich durch den Bezug auf (aktuniert sich durch den Bezug auf die konzepelle) Entwicklungen in der tionelle Anlage des verwendeten Lehr(Recht-)Schreibdidaktik im fachlichen Disgangs. kurs. explizit: implizit: unmittelbar mittelbar L01, L03, L04, L14 L16 erst im weiteren Interviewverlauf: L02, L09

L07, L10, L13

L05, L06, L08, L12, L17

L11, L15, L18

Acht Lehrkräfte verweisen in ihrer Reaktion auf die Einstiegsfragen des Interviews auf den für sie leitenden Lehrgang für das (Lesen- und) Schreibenlernen, die anderen zehn beziehen sich explizit oder in Form von Umschreibungen auf den schriftsprachdidaktischen Diskurs. Wie sie die jeweilige konzeptionelle Ausrichtung inhaltlich bestimmen und welche primären Referenzgrößen für die gebildeten Typen erkannt werden können, zeigt die folgende Übersicht (Tab. 64):

502

8 Darstellung der Ergebnisse

Tab. 64 Konzeptionelle Positionierung nach Typenzugehörigkeit durch Lehrgang

L16 (explizit): Lesen durch Schreiben und Thematisierung der Rechtschreibung von Anfang an L07 (implizit): Orientierung an zweiphasiger Schreibentwicklung: vom lautierenden zum Rechtschreiben

L08: Einsterns Schwester, Phänomenorientierung

L05: ABC der Tiere (Silbenstruktur) L06: ABC der Tiere (Silbenstruktur) L12: ABC der Tiere (Silbenstruktur) L17: ABC der Tiere (Silbenstruktur) L11 (mittelbar): Verknüpfung von individuellen Schreiblernprozessen und Regelorientierung (Silbenstruktur) von Anfang an durch ABC der Tiere L15 (mittelbar): Verknüpfung von individuellen Schreiblernprozessen und Silbenmethode im ABC der Tiere von Anfang an L18 (mittelbar): Strukturierte Lehr-Lern-Prozesse durch ABC der Tiere

Typ IV

Typ III

Typ2

Typ1

Konzeptionelle Positionierung der Lehrkräfte im ersten Gesprächsbeitrag im fachlichen Diskurs

L04 (explizit): Orientierung an sprachwissenschaftlich begründetem Ansatz von C. Röber anstelle der Ganzwortmethode L09 (explizit, an späterer Stelle im Interview): Lesen durch Schreiben anstelle von kleinschrittiger Lenkung neuerer rechtschreibdidaktischer Ansätze L13 (implizit): Idealerweise: Orientierung an der Struktur der deutschen Schriftsprache anstelle von traditionellen Vorgehensweisen (konzeptionelle Zwickmühle!) L01 (explizit): Orientierung an der Systematik der deutschen Schriftsprache anstelle des Lesen durch Schreiben-Ansatzes nach Reichen L02 (explizit, an späterer Stelle im Interview): die Sprachdidaktikerin C. Röber als Referenz ihrer konzeptionellen Ausrichtung L03 (explizit): die Modellierungen der Sprachdidaktikerin U. Bredel als Referenz ihrer ‚konzeptionellen Kehrtwende‘ L10 (implizit): Idealerweise: Orientierung an einem silbenbezogenen Ansatz anstelle eines lautbezogenen Ansatzes (Zwickmühle!)

8.4 Weiterführende Analysen

503

Auffällig ist dabei, dass alle Typ-II-Lehrenden (und L08) schon zu Beginn des Interviews die enge Orientierung an dem genutzten Lehrgang hervorheben, während alle anderen Lehrpersonen ihre Herangehensweise nicht primär über die eingesetzten Lehr-Lern-Medien, sondern mithilfe von Reflexionen zur konzeptionellen Grundlegung schriftsprachdidaktischer Lehr-Lern-Prozesse einordnen. Während die für Typ II ermittelten Richtlinien weitgehend homogen ausfallen, nennen die Lehrer/-innen der weiteren Typen verschiedene, teilweise sogar konträre Referenzgrößen. Unterschieden werden kann darüber hinaus zwischen den Lehrenden, die die schriftsprachdidaktische Ausrichtung ihres unterrichtlichen Handelns gegenüber ihrem früheren Vorgehen oder ‚älteren‘ schriftsprachdidaktischen Ansätzen als Neu- oder Umorientierung ausweisen (L01, L02, L03, L04, L14, L16, mit Einschränkungen: L10, L13, außerdem alle Typ-II-Lehrkräfte), und denjenigen, die keinen Verweis auf eine Neuausrichtung liefern (L07) oder sich sogar entschieden für ein traditionelles Vorgehen aussprechen (L08, L09). Diese teilweise offenkundigen, teilweise subtilen Unterschiede werden durch den Einbezug von Gesprächssequenzen des weiteren Interviewverlaufs deutlich, in denen die Lehrkräfte – mit Ausnahme von L07 – die Orientierungslinien des eigenen schriftsprachdidaktischen Handelns vor allem dadurch konturieren, dass sie letzteres von anderen konzeptionellen Herangehensweisen abgrenzen. Der folgende Ausschnitt aus dem Kategoriensystem zum Interviewteil A zeigt, auf welche Aspekte sich die Lehrenden zur Darstellung der eigenen Handlungsorientierungen grundsätzlich beziehen (s. Tab. 65).

504

8 Darstellung der Ergebnisse

Tab. 65 Auszug aus dem Kodierleitfaden des Teilsystems A: Oberkategorie A.7 Teilsystem A: Beschreibung und Reflexion der eigenen Zugriffe auf den Lerngegenstand Wortschreibung Oberkategorie A.7: Konzeptionelle Positionierung durch Abgrenzung Unterkategorie und Definition gegenüber Üben, Auswendiglernen Lehrkraft grenzt sich von orthographischen Lehr-Lern-Prozessen ab, die primär auf das Üben und Einprägen von Wortschreibungen setzen.

Ankerbeispiele „((…)) also ich finde halt Rechtschreibung total klasse, ne, weil es sind 95 Prozent, die du erklären kannst, und wenn du das verstanden hast und wenn du weißt, wie du es erklären kannst, dann ist halt alles total easy und das ist nicht dieses bloße Auswendiglernen von Regeln und dann anwenden auf die Wörter und ach nee, dann kommt doch wieder die Ausnahme, sondern, wenn du das wirklich verstehst und das den Kindern auch so erklärst, dann ähm glaube ich, macht das halt auch Spaß.“ (L13, A15) gegenüber „Vorher“/ Her„((…)) ich habe ja kein Deutsch studiert, aber ich habe es kömmlichem von Anfang an gemacht und Fortbildungen gemacht und Lehrkraft grenzt sich von ihren ähm da hat man / also ich habe immer Lesen durch eigenen ehemaligen didaktiSchreiben gemacht, so, und natürlich auch immer einen schen Handlungsorientierungen Grundwortschatz geübt, aber eben mit Abschreiben und, und/oder traditionellen Herange- und äh Laufdiktat und irgendwie so und was eben seit viehensweisen im Rechtschreibun- len Jahren für mich neu ist oder, ich glaube, das hat sich terricht ab. dann auch verändert, ähm dieses Nachdenken über Rechtschreibung und über Rechtschreibphänomene und die von Anfang an.“ (L16, A8) gegenüber Lautiermethode „Also, mir ist wichtig, dass die Kinder eine Struktur erhalLehrkraft grenzt sich von einem ten, also eine, einen Leitfaden, mit dem sie arbeiten köneinzellaut- und einzelbuchsta- nen. Ich habe als junge Lehrerin mit dieser Lautierungsbenorientierten Vorgehen beim methode gearbeitet, dass sie es geschrieben haben, wie Lesen- und Schreibenlernen ab. sie es gehört haben, und habe festgestellt, dass die Starken sowieso das sofort lernen, aber die Schwachen ähm schwimmen im offenen Meer in ihrem Boot, haben keine Ruder und wissen überhaupt nicht, in welche Richtung es geht, weil im deutschen Wort hört man oft mehr Laute, als eigentlich drin sind.“ (L06, A5) gegenüber freiem Schreiben „Also früher, sage ich mal, war ja so dieser Ansatz ähm (ohne Anleitung/Begleitung) äh, dass die Kinder erst mal Lust am Schreiben haben solLehrkraft grenzt sich von einem len und schreiben, wie sie wollen, ähm und um einfach (Erst-)Schreibunterricht ab, der die / den Spaß am Schreiben zu haben. Äh und jetzt wird den Schrifteinstieg ausschließ- ja immer mehr verfochten, dieser Weg verfochten oder lich über freie Schreibsituatio- geg/ soll gegangen werden, dass die Kinder gleich das richtige Schreiben lernen.“ (L17, A34) nen mit der Anlauttabelle und ohne Thematisierung des Richtigschreibens gestaltet. gegenüber anderen Lehrwer- “U::nd ich habe es letztendlich ja in ZWEI Klassen erlebt, ken in dem einen wurde analytisch-synthetisch gearbeitet ähm Lehrkraft grenzt sich von der mit ähm der Tobi-Fibel und auf der anderen Seite eben konzeptionellen Ausrichtung an- halt mit dem ABC der Tiere und ich finde, dass die Kinder derer Lehrwerke/-gänge ab. eben mit dem ABC der Tiere es eben leichter hatten, äh

505

8.4 Weiterführende Analysen

die Rechtschreibung zu erlernen, weil sie / weil ich das eben viel SCHLÜSSIGER für die Rechtschreibung finde.“ (L17, A34) gegenüber anderen Silbenzu- „((…)) und ähm dass man mit Silben viel arbeitet, das magängen che ich eigentlich auch schon seit Jahren, und ähm (-) Lehrkraft grenzt sich von der nach Silben / also nach dieser Silbenmethode ähm sind ja Anlage anderer silbenorientier- diese neuen Lehrgänge ähm eigentlich / also fast nur noch ter Konzeptionen ab. aufgebaut, wobei ähm das ABC der Tiere, das ähm / daran habe ich mich noch nicht rangetraut ((...)). Ich weiß nicht, ob das jetzt unbedingt meins wäre, weil ich das, das finde / da, finde ich, konzentriert man sich SEHR auf dieses, immer mit diesen Häuschen zu beginnen.“ (L14, A10) gegenüber analytisch-kogniti- „((…)) also ich habe auch mit Silbenhäuschen gearbeitet ven Zugängen im letzten Schuljahr und ähm das ist einfach schwierig, Lehrkraft grenzt sich von Zualso weil das so viel ähm Abstand von dem Bedeutung der gängen zum (Richtig-)Schreiben Wörter erfordert, dieses analytische Herangehen, das könab, die auf die schriftanalytische nen dann die Kinder, die irgendwie aber eigentlich soErarbeitung von Schreibungen wieso mit der Rechtschreibung nicht so große Schwierigim Erstschreibunterricht setzen. keiten haben, die können das leisten und die anderen, für die ist das eigentlich zusätzlich schwierig.“ (L08, A55)

Mithilfe der Unterkategorien kann eine vertiefende Betrachtung der konzeptionellen Überzeugungen der Lehrkräfte erfolgen und dabei zum einen aufgedeckt werden, worin die jeweiligen Motive der Neu- oder Umorientierung bestehen, und zum anderen, worauf die veränderten Ausrichtungen bezogen werden. Erneut soll jedoch zunächst für einen fallvergleichenden Überblick gezeigt werden, welche Abgrenzungskriterien die einzelnen Lehrkräfte zur eigenen Positionierung wählen (s. Tab. 66): Tab. 66 Konzeptionelle Abgrenzungskriterien der Einzelfälle (Interviewteil A) Abgrenzung von Üben, Auswendiglernen „Vorher“/ Herkömmlichem Lautiermethode (Lesen, Schreiben) freiem Schreiben anderen Lehrwerken anderen Silbenzugängen analytisch-kognitiven Zugängen

L01 L02 L03 L04 L05 L06 L07 L08 L09 L10 L11 L12 L13 L14 L15 L16 L17 L18 X

X

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X

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8 Darstellung der Ergebnisse

Als häufigstes Abgrenzungskriterium kann die Referenz auf die ‚Lautiermethode‘ festgestellt werden, d. h., die Hälfte der befragten Lehrenden (N = 9) grenzt sich von einem Vorgehen ab, das auf das einzellaut- und einzelbuchstabenorientierte (Erst-)Lesen- und (Erst-)Schreibenlernen abzielt. In der typenbezogenen Sortierung (s.Tab. 67) zeigt sich, dass diese Lehrkräfte den Typen II, III und IV angehören. Dies war insofern erwartbar, als für die Typ-I-Lehrenden eine grundlegende Orientierung an einem zweiphasigen Schriftspracherwerb, der zunächst auf das lautierende Schreiben fokussiert und im Weiteren sukzessive Einsichten in die richtige Wortschreibung anbahnt, ermittelt wurde. Tab. 67 Konzeptionelle Abgrenzungskriterien nach Typenzugehörigkeit (Interviewteil A) Abgrenzung von

Typ I

Üben, Auswendiglernen

L16

„Vorher“/Herkömmlichem

L16

Lautiermethode (Lesen, Schreiben) freiem Schreiben

L16

anderen Lehrwerken anderen Silbenzugängen

L16

analytisch-kognitiven Zugängen

L08

Typ II

Typ III

Typ IV

L13

L01, L03

L11, L15

L13

L02

L05, L06, L12, L15

L04, L13

L01, L03, L10

L12, L15, L17, L18 L05, L12, L17

L09

Für die Zusammenführung dieser konzeptionellen Muster mit den in der Typenbildung ermittelten primären Kennzeichen der vier Typen erweist es sich nun als relevant, worin einerseits die inhaltliche Abgrenzung, andererseits die ihr gegenübergestellte konzeptionelle Ausrichtung individuell bestehen. Die Textdaten lassen zwei Auslöser einer Abwendung von traditionellen oder speziell lautierenden Ansätzen erkennen: Die Lehrkräfte verweisen auf unterschiedliche Formen erhaltenen sprachwissenschaftlichen und/oder -didaktischen Inputs, durch den sie sich kritisch mit den herkömmlichen Zugriffen auf die Wortschreibung auseinandergesetzt haben, und/oder auf eigene problematische Unterrichtserfahrungen mit einem lautierenden Vorgehen im Schriftsprachunterricht. Von erlebten Schwierigkeiten mit dem lautierenden Lesen und Schreiben von Schriftanfänger/-innen berichten neun Lehrkräfte (L03, L05, L06, L12, L14, L15, L16, L17 und L18), darunter auch Lehrende, die sich dennoch nicht explizit von der Lautiermethode abgrenzen (L14, L16, L17 und

8.4 Weiterführende Analysen

507

L18). Unter den neun Lehrpersonen befinden sich hauptsächlich Vertreterinnen des Typs II (ohne L11) sowie L16 (Typ I), L03 (Typ IV) und L14 (keine Typenzuordnung). Beispielhaft für die erfahrungsbasierte Ablehnung kann diese Äußerung L06s stehen: Ich habe als (-) junge Lehrerin mit dieser Lautierungsmethode gearbeitet, dass sie es geschrieben haben, wie sie es gehört haben, (-) und habe festgestellt, dass die Starken sowieso (--) das sofort lernen, aber die Schwachen (-) ähm (-) schwimmen (-) im offenen Meer in ihrem Boot, haben keine Ruder und wissen überhaupt nicht, in welche Richtung es geht, weil im deutschen Wort hört man oft mehr Laute, als eigentlich drin sind. (L06, A5)

Folgende erlebte Schwierigkeiten werden von den Lehrenden fallübergreifend dazu angeführt: - die hohen Anforderungen an das Arbeitsgedächtnis der kognitiv schwächeren Lernenden, die das Laut-für-Laut- und Buchstabefür-Buchstabe-Schreiben erfordert; - die fehlenden Orientierungspunkte für die Lernenden im Prozess des Wortschreibens; - die wahrgenommene Diskrepanz zwischen Wortaussprache und -schreibung (s. M1 der Typenbildung). L04 und L13 (Typ III) sowie L01, L10 und erneut L03 (Typ IV) verweisen hingegen (im Fall von L03: zusätzlich) auf den erfahrenen fachlichen Input, der eine Orientierung an lautierenden Zugriffen in Referenz auf die Struktur des Gegenstands zurückweist. L03 führt beispielsweise die neugewonnene Erkenntnis an, dass es nicht nur fünf Vokale gibt, sondern wirklich 16, ich meine, natürlich! Wir haben fünf Vokale gelernt, sehen ja auch gleich aus! (-) Dass das aber nicht dasSELBE ist, (--) sondern / ich meine, ich spreche, ich sage ja auch nicht [hoːˈzeː], ich sage ja auch auch [ˈhoːzə], ist mir nie aufgefallen! (L03, A109)

L04 nennt die Koartikulation im gesprochenen Wort als sachstrukturelles Argument gegen eine Ableitung der Wortschreibung aus der Lautung (vgl. L04, A14); L13 geht auf die schwierige, aber für die Arbeit mit Schreibtabellen notwendige Differenzierung zwischen Laut und Buchstabe ein (vgl. L13, A129); L10 bindet die Lautierungsmethode an ein problematisches zweiphasiges Schriftsprachlernen, in dem das richtige Schreiben nur mithilfe von Merksätzen und Auswendiglernen angeregt wird (vgl. L10, A6), und L01 verweist darauf, dass ein Vorgehen nach dem Konzept Lesen durch Schreiben die systematische Erschließbarkeit der Schriftsprache vernachlässige (vgl. L01, A10).

508

8 Darstellung der Ergebnisse

Es können also zunächst erfahrungsbasierte und gegenstandsbasierte Beweggründe für eine konzeptionelle Neuausrichtung des didaktischen Handelns erfasst werden. Welche inhaltlichen Konsequenzen die Lehrkräfte daraus ableiten, stellt die Tab. 68 anhand des aus Sicht der Lehrkräfte veränderten Stellenwerts des Richtigschreibens im Unterricht dar. Aufgeführt werden nur diejenigen Lehrenden, die eine Neuorientierung für das eigene Handeln im Schriftsprachunterricht proklamieren. Alle in der Tabelle angeführten Lehrkräfte präsentieren dabei die Silbe als gegenüber dem Einzellaut bzw. Einzelbuchstaben zielführendere Bezugsgröße des Lesen- und Schreibenlernens. Die Typ-II-Lehrenden sowie partiell L04 (Typ III) und L03 (Typ IV) knüpfen diese wiederum an den eingesetzten Lese- und Schreiblehrgang ABC der Tiere. Tab. 68 Primäres Kennzeichen der konzeptionellen ‚Neuorientierung‘ der Einzelfälle (Interviewteil A) Primäres Kennzeichen der konzeptionellen ‚Neuorientierung‘ Lockerung der Zweiphasigkeit Aufhebung der Zweiphasigkeit durch Nachdenken über Wortschreibundurch die Gleichrangigkeit des Richtiggen von Anfang an schreibens und freien Schreibens von Anfang an (bzw. z. T. sogar Vorrangigkeit des Richtigschreibens) L14 (ohne Typenzuweisung), L16 (Typ I) L05, L06, L11, L12, L15, L17, L18 (Typ II), L04 (Typ III), L01, L02, L03 (Typ IV), mit Einschränkungen: L13 (Typ III), L10 (Typ IV)

Im deutlichen Gegensatz dazu stehen die präsentierten Orientierungsrichtlinien der Lehrer/-innen L07, L08 und L09: L07 nimmt das Nacheinander von lautierendem Schreiben und der Beschäftigung mit richtigen Schreibungen als sinnvolle Abfolge wahr; L08 gibt an, die analytisch-kognitive Auseinandersetzung mit Schriftstrukturen in ihrer Klasse als Überforderung erlebt zu haben, und ordnet die Beschäftigung mit der Richtigschreibung von Wörtern dem kommunikativen und (weitgehend) freien Schreiben der Schüler/-innen nach. L09 spricht sich ausdrücklich für ein Arbeiten nach dem Reichen-Prinzip Lesen durch Schreiben und gegen ein kleinund gleichschrittiges Vorgehen zur Erarbeitung von Richtigschreibungen im Erstschreibunterricht aus. In der Zusammenführung der in diesem Teilkapitel beschriebenen Beobachtungen und der Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel, insbesondere der Typenbildung, können nun folgende Formen der Neuorientierung gebündelt werden:

8.4 Weiterführende Analysen

509

(A) Neuorientierung als Verlagerung der Prioritäten im Schriftsprachunterricht: L16 (Typ I) + L14 (ohne Typenzuweisung) Die Lehrkräfte beschreiben 1. eine veränderte Haltung zum Lerngegenstand Wortschreibung und/oder zur Rolle des Richtigschreibens im Schriftsprachunterricht gegenüber traditionellen Herangehensweisen: Sie sprechen sich für eine Thematisierung des Richtigschreibens oder zumindest für die Anregung eines Bewusstseins für orthographisch richtige Wortschreibungen von Anfang an aus. Dies wird z. T. anhand der beobachteten (Weiter-)Entwicklung rechtschreibdidaktischer Ansätze und der daran geknüpften Neuausrichtung des eigenen Lehrerhandelns begründet. Teilweise beschreiben die Lehrerinnen aber auch problematische Erfahrungen mit einem Schriftsprachunterricht, der (zu Beginn) ausschließlich auf freie Schreiberfahrung ohne systematische Anleitung oder Begleitung setzt, oder sie beziehen sich auf die im orthographiedidaktischen Diskurs wahrgenommene Kritik an dem Konzept Lesen durch Schreiben (Reichen 1982). 2. eine Lockerung, ggf. auch Aufhebung des zeitlichen Nacheinanders von lautierendem Erstschreiben und späterem Richtigschreiben. 3. einen stärkeren Einbezug der Silbe (als Bezugsgröße des Erstschreibens) und ggf. grundlegender Rechtschreibstrategien als Hilfestellungen für das Richtigschreiben. Unter Einbezug des Merkmalsraums der Typenbildung, d. h. der Zugriffe auf Wortschreibungen des deutschen Kernbereichs, zeigt sich, dass 1. das sachstrukturelle Verständnis der deutschen Wortschreibung mit herkömmlichen Modellierungen der Schriftsprache übereinstimmt: Für ‚lautgetreue‘ Wortschreibungen wird ein Dependenzverhältnis zum Gesprochenen angenommen, alle ‚nicht-lautgetreuen‘ Wortschreibungen werden als Rechtschreibphänomene klassifiziert; 2. die in den Interviews beschriebene Anregung schriftsprachlicher Lernprozesse im Grundschulunterricht weitestgehend der herkömmlichen zweiphasigen Anlage schriftsprachlichen Lernens entspricht. Zwar wird verstärkt auf die Silbe als gegenüber dem

510

8 Darstellung der Ergebnisse

Laut besser greifbare Bezugseinheit des Erstschreibens sowie auf übergreifend nutzbare Rechtschreibstrategien gesetzt, die Silbe wird dabei aber überwiegend als Segmentkette dargestellt, wohingegen suprasegmentale Zusammenhänge innerhalb von und zwischen Silben allenfalls vereinzelt betrachtet werden. Die konzeptionelle Neuorientierung umfasst daher in erster Linie eine veränderte Sicht auf den Stellenwert des Richtigschreibens im Schreibunterricht, während das Verständnis und die didaktische Aufbereitung des Lerngegenstands keine oder nur eine marginale Veränderung erfahren. (B) Neuorientierung als umfassend handlungsleitende Abwendung von traditionell zweiphasig begründeten Zugriffen auf die Wortschreibung: L01, L02, L03 (Typ IV) + mit Einschränkungen: L10 (Typ IV) + L04 und L13 (Typ III) Die Lehrkräfte beschreiben 1. eine veränderte Haltung zum Lerngegenstand Wortschreibung und/oder zur Rolle des Richtigschreibens im Schriftsprachunterricht gegenüber traditionellen Herangehensweisen: Sie sprechen sich für eine Thematisierung des Richtigschreibens von Anfang an aus und begründen dies vorwiegend mit sprachwissenschaftlichen Erkenntnissen zum Schriftsystem und der entsprechenden (Weiter-)Entwicklung schriftsprachdidaktischer Ansätze. 2. eine Orientierung an der Schriftstruktur zur Festlegung der schriftsprachbezogenen Lehr-Lern-Progression und damit einhergehend eine Abwendung von Vorstellungen der segmentalen Ableitbarkeit der Wortschreibung aus der Lautung. 3. eine Orientierung an der Wechselbeziehung zwischen gesprochenem und geschriebenem Wort und/oder eigenständigen Strukturen von Lautung und Schreibung: Schriftstrukturen werden auf suprasegmentaler Ebene in Beziehung zur Wortaussprache gesetzt. Unter Einbezug des Merkmalsraums der Typenbildung zeigt sich, dass 1. das Gegenstandsverständnis der Wortschreibung die konzeptionelle Neuorientierung bedingt: Grundlegende Regularitäten der Wortschreibung im Kernbereich des deutschen Schriftsystems

8.4 Weiterführende Analysen

511

werden an suprasegmentale Verhältnisse innerhalb des geschriebenen Wortes bzw. zwischen geschriebenem und gesprochenen Wort gebunden. 2. die didaktische Anregung schriftsprachlicher Lernprozesse wiederum von dem Gegenstandsverständnis beeinflusst wird: Die Untersuchung suprasegmentaler Strukturen ist im Umgang mit unterschiedlichen orthographischen Wortstrukturen handlungsleitend. Strukturen der Haupt- und Reduktionssilbe zweisilbiger Wortformen werden in ihrem suprasegmentalen Zusammenwirken und nicht als lineare Abfolgen von Segmenten betrachtet. Die konzeptionelle Neuorientierung betrifft daher sowohl eine veränderte Sicht auf den Stellenwert des Richtigschreibens im Schreibunterricht, die eine Aufhebung der Zweiphasigkeit des schriftsprachlichen Lernens impliziert, als auch eine gegenüber traditionellen Gegenstandspräsentationen veränderte sachstrukturelle und didaktische Konstituierung der Wortschreibung, in deren Zentrum das Wirken suprasegmentaler Beziehungen steht. (C) Neuorientierung als partiell handlungsleitende Abwendung von traditionell zweiphasig begründeten Zugriffen auf die Wortschreibung: L05, L06, L11, L15, L17, L18 (Typ II) Die Lehrkräfte beschreiben 1. eine veränderte Haltung zum Lerngegenstand Wortschreibung und/oder zur Rolle des Richtigschreibens im Schriftsprachunterricht gegenüber traditionellen Herangehensweisen: Sie sprechen sich für eine Thematisierung des Richtigschreibens von Anfang an aus. Diese wird vorwiegend anhand von erlebten Schwierigkeiten in einem Schriftsprachunterricht begründet, der (zu Beginn) ausschließlich auf freie Schreiberfahrung der Schüler/-innen einschließlich lautierender Zugänge ohne systematische Anleitung oder Begleitung setzt. Darüber hinaus wird das als konzeptionell überzeugend wahrgenommene Lehrgangskonzept des ABC der Tiere angeführt, das, so die Lehrenden, durch seinen strikt organisierten Aufbau eine systematische Lehr-Lern-Progression ermöglicht und Lehrenden wie Lernenden Handlungsorientierung und -sicherheit bietet;

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8 Darstellung der Ergebnisse

2. eine Aufhebung bzw. Umkehrung der Zweiphasigkeit schriftsprachlichen Lehrens und Lernens: Statt freien Schreiberfahrungen steht in Orientierung an dem Lehrgangskonzept zunächst die Auseinandersetzung mit richtig geschriebenen Wörtern im Fokus der Lehr-Lern-Prozesse. Dies wird von den Lehrkräften grundsätzlich als positiv wahrgenommen; einige plädieren jedoch für eine gleiche Gewichtung von freien Schreibmöglichkeiten und der Beschäftigung mit richtigen Wortschreibungen im anfänglichen Schriftsprachunterricht. Unter Einbezug des Merkmalsraum der Typenbildung zeigt sich, dass 1. sich die gewählten Formen der Initiierung von schriftsprachlichen Lernprozessen als wesentliche Kennzeichen der konzeptionellen Neuorientierung erweisen, ihre Darstellung im Interviewkontext aber z. T. brüchig ist: In den Anwendungskontexten, in denen die Lehrenden nicht unmittelbar auf den für sie leitenden Lehrgang zurückgreifen können, wird die systematische Herleitung von Wortschreibungen mithilfe von silbenstrukturellen Analysen teilweise aufgegeben. Dies äußert sich zum einen darin, dass die Lehrerinnen in ihren Erklärungen vorgelegter Wortschreibungen zu einer Gleichsetzung von Silbenstrukturbezug und segmentaler Silbenlautierung tendieren. Zum anderen ist zu beobachten, dass sie in einigen Fällen ohne das spezifische Instrumentarium und Vokabular des verwendeten Lehrgangs in Erklärungsnot geraten; 2. die veränderte didaktische Gegenstandsmodellierung nicht oder nur bedingt mit einem veränderten sachstrukturellen Verständnis der Wortschreibung korreliert: Insbesondere die Handlungsempfehlungen in den Interviewteilen A und B deuten an, dass die im Lehrgang angeregte Orientierung am System des Lerngegenstands im konkreten Anwendungskontext der Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung weicht. Die Handlungsorientierungen im Interviewteil B zeigen jedoch auch, dass die Orientierung am Lehrgangsaufbau das problematische sachstrukturelle Verständnis der Wortschreibung teilweise zu überlagern vermag. Es wird daher von einer partiell handlungsleitenden konzeptionellen Neuorientierung gesprochen, die eine veränderte Sicht auf die Domäne des Richtigschreibens, aber eine nur eingeschränkt veränderte sachstruktu-

8.4 Weiterführende Analysen

513

relle Konstituierung und didaktische Modellierung der Wortschreibung umfasst, sodass suprasegmentale Bezüge nur teilweise handlungsleitend sind. Die Zuordnung der Einzelfälle zu den drei ermittelten Mustern der Neuorientierung ist mithilfe der gebildeten Typen relativ eindeutig zu bündeln: Muster (A) gilt für eine Vertreterin des I. Typs, (B) für Vertreterinnen der Typen III und IV und (C) für die Vertreterinnen des Typs II. Die dargestellten Muster der konzeptionellen ‚Neuorientierung‘ lassen sich darüber hinaus auch in den Reaktionen der Lehrkräfte auf die Leitfaden-Frage Was müsste eine Lehrkraft wissen, die so arbeiten möchte wie Sie? nachzeichnen. Hier zeigt sich, dass die Lehrenden, für die in erster Linie eine (A) Verlagerung der Prioritäten im Schriftsprachunterricht ermittelt wurde, vornehmlich auf ein notwendiges Bewusstsein der Lehrperson für die einzelnen Rechtschreibphänomene und ein dafür anzubietendes lernwirksames Handwerkszeug (v. a. Rechtschreibstrategien wie das Verlängern, Silbenschwingen) hinweisen: ((…)) und ich denke, man MUSS ähm (-) diese Einsicht haben, dass äh / oder das Wissen, es gibt so ein paar Phänomene, die muss man den Kindern beibringen, und man muss ihnen beibringen, (-) wie man das hinkriegt. Aber das ist eben nicht so ein Berg, sondern es ist (-) / man / es ist greifbar. (L16, A18)

Die Lehrerinnen, denen eine (B) umfassend handlungsleitende Abwendung von traditionell zweiphasig begründeten Zugriffen auf die Wortschreibung bescheinigt wurde, sprechen hingegen – explizit oder implizit – von einem notwendigen konzeptionellen Umdenken. L02 verweist beispielsweise auf dieses Umdenken bei der ähm (--) Mitlautverdopplung, so, weil häufig noch in den Köpfen ist: Man HÖRT den doppelten Mitlaut, (-) und (-) wenn ich dann eben anfange zu erklären: Nein, den hört man nicht!, und ähm (-) es ist immer so bei Klassen, die , die hören da auch keinen doppelten Mitlaut, weil da ist keiner, da ist nichts zu hören. (L02, A47)

Auch L03 hebt den hohen Anspruch an das Wissen der Lehrperson hervor, weil „die Lehrer umlernen müssen. Die müssen was and/ die müssen andere Sachen lernen“ (L03, A103), und L10 gibt sogar an, dass die Lehrer/-innen „neu lernen“ (L10, A48) müssen. Gefragt nach dem inhaltlichen Kern dieser Neuorganisation des Lehrerwissens nennen diese Lehrerinnen schriftstrukturelle Anhaltspunkte wie

514

8 Darstellung der Ergebnisse

die Grundstruktur des trochäischen Zweisilbers ((…)), offene und geschlossene Silben, ähm Silbengelenk, ähm (-) ich denke, das sind so die, ne, so, so Grund-, äh Grundlagen, um, um ähm zu arbeiten. (L01, A28)

L04 und L13, die als Vertreterinnen des III. Typs bei größerer Nähe zum Muster (B) auch Anteile von (C) aufweisen, heben hervor, dass das Schriftwissen der Lehrenden den Anforderungen eines gegenstandsorientierten Lehrerhandelns oftmals nicht genügt. L13 erlebt beispielsweise das Problem, dass Lehrer/-innen mit dem Begriff offene und geschlossene Silbe SELBST überhaupt nichts anfangen können, so ((…)). Also (-) meine Erfahrung ist, Kollegen wissen halt selbst (-) ganz wenig über (-) Schriftstrukturen. (L13, A39)

Auch die Lehrkräfte, für die eine (C) nur partiell handlungsleitende Abwendung von traditionell zweiphasig begründeten Zugriffen auf die Wortschreibung erkannt wurde, geben das Erfordernis einer intensiven Vorbereitung der Lehrenden an. Dabei fällt allerdings auf, dass sie in erster Linie auf die Einarbeitung in den Aufbau des verwendeten Lehrgangs und des darin zentralen methodischen Instrumentariums (Silbenhaus-Modell, zweifarbiges Silbenschreiben bzw. zweifarbige Schriftpräsentation) verweisen, so etwa L06: Ja, das ist (-) in der Tat eine wirkliche Hürde, (--) die muss (-) sich richtig in diesen Lehrgang einarbeiten. Man muss (-) richtig (-) das () das (-) didaktische Konzept, was dahintersteckt, muss man begreifen, muss man (-) verstanden haben. Man muss sich mit dieser Häuschenschreibweise auseinandersetzen, es geht nicht mal eben so. (L06, A35)

Ebenso stellen L05, L12, L15, L17 und L18 die Auseinandersetzung mit dem Lehrgangskonzept und -aufbau als zentrale Anforderung an die Lehrperson heraus. In der strikten Organisation der schriftsprachlichen LehrLern-Progression im verwendeten Lehrgang sehen die Typ-II-Lehrenden eine strukturgebende Hilfe für Lehrende und/oder Lernende. Wie intensiv sie sich letztlich mit der konzeptionellen Grundlegung des Lehrgangs beschäftigt haben, kann im Hinblick auf die in der Typenbildung festgestellten Ungenauigkeiten oder Brüche im Umgang mit regelhaften Wortschreibungen hinterfragt werden.

515

8.4 Weiterführende Analysen

8.4.1.1

Zur Rolle der berufsbiographischen Daten der Lehrenden

Um Einblicke in mögliche externe Faktoren der handlungsleitenden Kognitionen der Lehrenden zu gewinnen, können in der vorliegenden Studie nur die Selbstauskünfte der Befragten herangezogen werden. Die folgende Übersicht (s. Tab. 69) gibt wieder, durch welchen externen Anstoß die Lehrenden nach eigenen Angaben zu einer Herangehensweise gelangt sind, die von vornherein auf silbische Muster in Wörtern fokussiert. Für nachfolgende Analysen werden darin auch diejenigen Lehrenden angegeben, die keine Orientierung an der Silbenstruktur als primäre Bezugsgröße des schriftsprachbezogenen Handelns im eigenen Unterricht proklamieren; sie sind durch eine graue Schriftfarbe gekennzeichnet. Die Informationen wurden sowohl dem Interview als auch dem Nachgespräch entnommen, in dem ausgewählte berufsbiographische Daten erfragt wurden. Tab. 69 Formen des erhaltenen silbenstrukturellen Inputs Formen des erhaltenen silbenstrukturellen Inputs Keine

Typ I

Typ II

L07, L16

L11, L12 L05, L06, L15, L17, L18

Fortbildung durch Lehrgangsverlag Universitäres Studium

L08

Typ III

Typ IV

L04, L09, L13

L01, L02, L03, L10

Bezogen auf die vorangegangenen Ausführungen fällt dabei ins Auge, dass die Typ-II-Lehrenden, für die eine nur partiell handlungsleitende konzeptionelle Neuorientierung festgehalten wurde, nach Selbstauskunft entweder keine spezifische Aus- oder Weiterbildung zur silbenstrukturorientierten Ausrichtung des Lese- und Schreibunterrichts absolviert oder den entsprechenden Input durch Fortbildungsmaßnahmen des Lehrgangsverlags erhalten haben. Im Unterschied dazu geben alle Lehrenden der Typen III und IV einen in der universitären Ausbildung angeregten schriftstrukturellen Wissenserwerb an. Dies gilt ebenfalls für L08 und erweist sich für das folgende Teilkapitel zu ihrem ‚Sonderfall‘ als bedeutsam. Ob oder inwiefern ein Zusammenhang zwischen dem universitär angeregten silbenbzw. schriftstrukturellen Ausbildungshintergrund der Typ-III- und Typ-IVLehrenden und ihrer vergleichsweise klar begründeten konzeptionellen Ausrichtung und Umsetzung der Zugriffe in den anwendungsbezogenen Interviewteilen B und C besteht, kann in der vorliegenden Arbeit nicht geklärt werden. Es fällt aber zumindest auf, dass alle Lehrkräfte des Typs II

516

8 Darstellung der Ergebnisse

ihre konzeptionelle Ausrichtung über die Lehrgangsauswahl und ggf. explizit daran geknüpfte Weiterbildungsformen begründen, während die Lehrenden der Typen III und IV auf akademische Erarbeitungskontexte verweisen. An dieser Stelle sollen zusätzlich die Angaben der Lehrenden zu ihrer Berufserfahrung, hier wiedergegeben durch die Jahre aktiver Lehrtätigkeit, betrachtet werden. Dabei ergibt sich folgende typenbezogene Verteilung: Tab. 70 Berufserfahrung in Jahren nach Typenzugehörigkeit (Interviewteil A, Nachgespräch) Berufserfahrung ≥ 11 Jahre153

Typ I L16

4-10 Jahre 0-3 Jahre

L07 L08

Typ II L06, L11, L15, L17 L05, L12, L18 -

Typ III L04

Typ IV L02, L03

L09 L13

L01, L10

Deutlich wird, dass den Typen I, III und IV sowohl Berufsanfänger/-innen als auch Lehrkräfte mit über zehnjähriger Erfahrung im Deutschunterricht zugeordnet sind. Die Lehrenden des Typs II verfügen alle über mindestens vier Jahre Berufserfahrung. Eindeutige Kausalzusammenhänge zwischen der Dauer der Lehrtätigkeit und den für die Typen ermittelten handlungsleitenden Zugriffen können aufgrund der methodischen Anlage der Studie per se nicht hergestellt werden. Die typenübergreifend wie typenintern relative breite Streuung der aktiven Berufsjahre der Befragten liefert jedoch grundsätzlich wenig Anhaltspunkte dafür, dass hier tiefergehende Zusammenhänge zwischen Berufserfahrung und den individuellen Zugriffen auf die Wortschreibung zu identifizieren wären. Betrachtet werden können darüber hinaus auch die Informationen dazu, ob die Lehrkräfte im Allgemeinen Fachlehrer/-innen des Unterrichtsfachs Deutsch sind oder das Fach Deutsch fachfremd unterrichten:

153

Die keinem Typ zugeordnete Lehrerin L14 verfügt ebenfalls über eine Berufserfahrung von über elf Jahren im Fach Deutsch, in dem sie als Fachlehrerin ausgebildet ist.

517

8.4 Weiterführende Analysen

Tab. 71 Ausbildungshintergrund nach Typenzugehörigkeit Ausbildung Fachlehrer/-in

Typ I L08

Fachfremd

L07, L16

Typ II L06, L11, L12, L18 L05, L15, L17

Typ III L04, L09, L13

Typ IV L01, L02, L03*, L10

Diese Übersicht zeigt, dass fachfremd unterrichtende Lehrpersonen nur den Typen I und II angehören. Dass für diese Typen z. T. weniger eindeutige, z. T. auch widersprüchliche Handlungsorientierungen beobachtet werden konnten, leuchtet vor diesem Hintergrund ein: Bei den fachfremd unterrichtenden Lehrpersonen ist davon auszugehen, dass sie das, was in den theoretischen Grundlagen dieser Arbeit als „tiefes Verständnis der Regularitäten der Wortschreibung“ (s. 5.3) und wesentliche Komponente des orthographiebezogenen Fachwissens einer kompetenten Lehrkraft ausgewiesen wurde, nicht in gleicher Weise ausgebildet haben wie Lehrende, die eine universitäre Ausbildung im Unterrichtsfach Deutsch absolviert haben. Der Status als Fachlehrkraft allein vermag jedoch wiederum nichts über die konkreten orthographiebezogenen Studieninhalte auszusagen. Entsprechende Angaben der Lehrkräfte zu den besuchten Lehrveranstaltungen, in denen die Vermittlung schriftsprachlicher Kompetenzen im Grundschulunterricht im Fokus stand, erwiesen sich als wenig aufschlussreich. Aus diesem Grund können an dieser Stelle keine vertiefenden Aussagen zur Relevanz der Fachausbildung generiert werden. Im Folgenden soll stattdessen ein Aspekt beleuchtet werden, für den ein enger Bezug zu den konzeptionellen Beweggründen, die die Lehrkräfte für ihr schriftsprachliches Handeln äußern, hergestellt werden kann. Ausschlaggebend ist dafür die Beobachtung, dass Lehrkräfte aller vier Typen sowohl gegenstands- und lernerbezogene Vorteile als auch im Unterrichtskontext erlebte Erfolge mit der von ihnen gewählten Herangehensweise beschreiben. Diese Erfolge werden im nächsten Abschnitt beleuchtet. 8.4.1.2

Zu den wahrgenommenen Erfolgen der schriftsprachdidaktischen ‚Neuorientierung‘

In diesem Abschnitt werden zunächst die für die Lehrenden sichtbaren Erfolge betrachtet, die sie als Resultat ihrer konzeptionellen Neuorientierung anführen, bevor anschließend ihre Reflexionen über die theoretisch angenommenen Stärken ihres Vorgehens in den Blick genommen werden. Im Hinblick auf erlebte Erfolge der Neuorientierung nennen die Lehrenden – hier noch unabhängig von den jeweils zugewiesenen Mustern (A)-(C) – in erster Linie folgende Aspekte:

518

8 Darstellung der Ergebnisse

den wahrnehmbaren Anstieg von Spaß und Motivation der Schüler/-innen, sich mit Wortschreibungen zu beschäftigen; den spürbaren Zuwachs an Handlungssicherheit und rechtschriftlichen Problemlösefähigkeiten aufseiten der Lernenden; (deutlich) größere Rechtschreiberfolge gegenüber konzeptionell anders arbeitenden (Parallel-)Klassen oder eigenen früheren Klassen; (deutlich) größere Leseerfolge gegenüber konzeptionell anders arbeitenden (Parallel-)Klassen oder eigenen früheren Klassen.

-

Da sich die vier Typen den drei ermittelten Formen (A)-(C) der konzeptionellen ‚Neuorientierung‘ (s. oben) relativ eindeutig zuweisen ließen, stellt die folgende Übersicht (s. Tab. 72) die angeführten Aspekte der Erfolgsbilanzen sortiert nach den einzelnen Typen dar. Tab. 72 Erlebte Erfolge der konzeptionellen ‚Neuorientierung‘ Anstieg von:

Motivation der Lernenden

Typ Typ I Typ II

L16

Typ III Typ IV

L13 L10

Handlungssicherheit der Lernenden L16 (+L14) L06, L12, L15, L17, L18 L04 L02, L03, L10

Rechtschreibkompetenz der Lernenden L16 L05, L06, L12, L15 L04 L03

Lesekompetenz der Lernenden L05, L06, L12, L15, L18 L03

Die Übersicht gibt eine relativ flächendeckende Verteilung wahrgenommener Verdienste des neu- oder umgestalteten Zugangs zur Schriftsprache in allen vier Typen wieder. Ein Zuwachs von Handlungssicherheit der Lernenden wird von einer großen Mehrheit der einbezogenen Lehrkräfte, d. h. derjenigen, die ihrem Handeln eine Form der Neuorientierung bescheinigen (s. oben), erlebt. Auf eine deutlich gestiegene Lesekompetenz der Schüler/-innen in den ersten Grundschuljahren verweisen hingegen in erster Linie Lehrende des Typs II. Die spezifische Betrachtung des entsprechenden Textmaterials aus den Interviews zeigt auf, dass sie die Leseerfolge in einen engen Zusammenhang mit dem Aufbau und der Konzeption des verwendeten Lehrgangs ABC der Tiere bringen und den Erfolgsgrund v. a. in der von Beginn an leitenden Fokussierung auf das Lesen von Silben sehen: Also wenn ich jetzt ein Wort Salami lese / äh lege, die (--) MÜSSEN sich das nicht erlesen, sie erfassen das schnell. Und sie bekommen ähm (-) den richtigen Klang von (-) Silben, dadurch dass sie die Silben erfassen, schnell hin und haben auch gleich das richtige Wort

8.4 Weiterführende Analysen

519

dann im Kopf, ne, also (-) besonders beim Lesen halt, ne, sie fangen jetzt nicht an [ʔɑːmzeːl] und wissen am Ende nicht mehr, was am Anfang war, sondern sie haben halt Am.sel/[ʔam.zɛl] und das kriegen sie ganz gut zusammen. (L12, A30)

Die Typ-II-Lehrenden heben in diesem Zusammenhang auch hervor, dass sich die Erfolge der Lehrgangsarbeit entweder besonders stark oder besonders schnell im Bereich des Lesens einstellen. L15 erlebt die Errungenschaften der schriftsprachkonzeptionellen Ausrichtung beispielsweise als deutlich sichtbar im Lesen, äh (-) das / ich würde ihn auch als (-) Lesenlerngang gerne (-) bezeichnen, das Schreiben ist so, dass wir schon Kinder haben, die dann / ihre ganzen Defizite über das Schreiben kommen da raus. (L15, A20)

L05 beschreibt wiederum ein zeitliches Nacheinander von Lese- und Schreiberfolgen: ((…)) also ich denke, diesen ERSTEN Erfolg sehen sie [[die Schüler/-innen]] nicht beim Schreiben, sondern beim Lesen. (L05, A48)

Vier der Lehrerinnen des Typs II (einschließlich L05 und L15) beobachten aber auch deutliche Verbesserungen der rechtschriftlichen Fähigkeiten der Schüler/-innen, so z. B. L06: Problem: Anfang Januar kommt ja in Hamburg bei uns die Hamburger Schreibprobe. (-) Die passt nicht zum Lehrgang, weil die natürlich nicht auf einer Silbenstruktur äh aufgebaut ist, sondern auf die Lautierungsmethode, (-) und da hatten die Kinder / (-) ähm (---) wussten nicht so richtig, (--) was schreiben wir da jetzt. So weit waren wir einfach noch nicht. Wir haben das dann durchgezogen, aber so schlechte Ergebnisse hatten wir nicht, aber bei der zweiten (-) HSP, nämlich Ende 1, da hatten wir granatenmäßige Ergebnisse. Ja. (-) Weil (-) durch diese Silbenstruktur (-) waren eben bestimmte Fallen (--) eben nicht mehr da, wie das bei [mʊˈtɑː] oder, (-) ne? Sie haben/ (--) auch die Ableitung aus wird , wird , solche Sachen hatten sie dann schon. (L06, A31)

Einschätzungen dieser Art werden von den Lehrenden stets im Vergleich zu konzeptionell anders arbeitenden Lerngruppen oder zu Erfahrungswerten aus dem eigenen Unterricht vor der ‚Neuorientierung‘ präsentiert. Auch L04 und L03, die zwar den Typen III und IV angehören, die aber ebenfalls mit dem Schreib- und Leselehrgang ABC der Tiere arbeiten, attestieren dem Lehrgang positive Einflüsse auf die Rechtschreibentwicklung der Schüler/-innen, so z. B. L04:

520

8 Darstellung der Ergebnisse

((…)) sie sind halt (-) durch diesen Lehrgang extrem weit. Also sie, sie wissen ganz viele (-) Schreibweisen, die ja regulär, sage ich mal, laut Lehrplan in der ersten Klasse eigentlich noch gar nichts zu suchen haben, (--) wie und (-) ähm, ähm (-) Schärfungsregeln und so weiter. (L04, A8)

L02, Vertreterin des Typs IV, die ihre auf die Vermittlung der Wortschreibung bezogene konzeptionelle Ausrichtung demgegenüber ausdrücklich nicht an ein bestimmtes Lehrwerk knüpft, beobachtet aber ebenfalls ähnliche positive Auswirkungen auf das Lernen der Schüler/-innen, und dies in unterschiedlichsten Klassenstufen sowohl der Grundschule als auch der Sekundarstufe I: ((…)) ja, und gerade eben in Klassen, die sehr schwach in der Rechtschreibung waren, habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, wie VIEL ihnen das geholfen hat. Also dass, (--) dass sie einfach was an der Hand haben, worauf sie zurückgreifen können, dass man sie manchmal einfach nur an eine Strategie erinnern muss. (L02, A39)

Wendet man den Blick von den konkret erlebten Erfolgen zu den davon abstrahierten epistemologischen Überzeugungen, auf deren Basis die Lehrpersonen die Vorteile ihrer eigenen konzeptionellen Ausrichtung begründen, zeigt sich, dass die Vermittlung von orthographischer Problemlöse- bzw. Handlungsfähigkeit von den Lehrer/-innen aller Typen gleichermaßen als besondere Stärke ihrer schriftsprachdidaktischen Arbeit dargestellt wird. Die folgende Auswahl an Textbeispielen demonstriert dies exemplarisch für alle vier Typen: - Typ I: „((…)) dass die Kinder ähm wissen, wir, (-) wir beherrschen das oder wir / das ist so / wir können das nutzen, aber wir (-) können das auch beherrschen und es bringt Spaß, das zu üben, weil (-) man will ja richtig schreiben“ (L16, A16); -

Typ II: „Also dass ich (-) im Prinzip äh über den Aufbau der Silben (-) äh die Rechtschreibregeln äh hergeleitet sind (-) ähm (-) und äh diese eben (-) halt auf äh alle Wörter anwendbar sind (-) oder auf die meisten, es gibt ja leider immer wieder die Ausnahmen, (-) ne, (-) äh:: ähm, was weiß ich, Biene, aber Tiger, ne?“ (L17, A36)

-

Typ III: „Die Stärke davon ist, glaube ich, dass du es einfach verSTEHST und dass du die Regeln verstehst oder / beziehungsweise dass es nicht nur so ein (-) bloßes Auswendiglernen ist von den Regeln, sondern dass du es eben auch wirklich anwendest.“ (L13, A31)

8.4 Weiterführende Analysen

-

521

Typ IV: „Also was ich sozusagen die Vorteile (--) ähm (-) oder welche Vorteile ich sehe, sind, dass man (---) durch diesen (-) systematischen Ansatz so ein bisschen die Angst vor (-) Rechtschreibung quasi verliert, weil es doch (-) Sinn macht, es macht ja alles auf einmal Sinn (-) ähm (-) ja, und man, ich finde, man wird sozusagen so, so / also (-) man wird so handlungsfähig “ ( L10, A38).

Im Typ II fällt auf, dass die Lehrerinnen zwei weitere Aspekte anführen, die in den Darstellungen der Lehrenden der anderen Typen in dieser Form nicht vorzufinden sind. Zum einen heben die Lehrerinnen die strukturgebende Leistung des Lehrgangskonzepts auch für sie als Lehrpersonen hervor, zum anderen betonen sie in zahlreichen Gesprächspassagen die besondere Wirksamkeit der Silbe als zentrale Bezugsgröße schriftsprachlicher Lehr-Lern-Prozesse. Wie im Rahmen der Typenbildung bereits aufgedeckt wurde, blitzen in den Erläuterungen der Typ-II-Lehrkräfte zur konkreten Leistung der Silbe für die Erschließung von Wortschreibungen aber immer wieder Tendenzen zu einer Überführung silbischer Strukturen in Segmentketten auf. Im Hinblick auf die in diesem Kapitel vorgestellten konzeptionellen Überzeugungen ergeben sich daher argumentative Brüche in der Darstellung ihrer Zugriffe auf reguläre Wortschreibungen des Deutschen. Dies scheint sich teilweise auch in der unmittelbaren Darstellung der konzeptionellen Stärken eines silbenfokussierenden Arbeitens im Schriftsprachunterricht zu bestätigen. Wurde für L12 im Vorangegangenen noch beschrieben, dass sie durch das silbengestützte Lesen eine sicherere und schnellere Worterkennung der Lernenden beim Lesen beobachtet als durch ein einzellautorientiertes Erlesen der Wörter (s. oben bzw. L12, A30), bezieht sie den besonderen Wert der Silbenorientierung an späterer Stelle im Gespräch hingegen explizit auf den Einzellautbezug des ‚Silbischen‘: ((…)) dieses Silbische hilft ihnen echt ungemein, auch (-) ALLE Laute zu hören und da auch (-) wirklich zu unterscheiden, viele können wirklich lange, kurze Vokale, (-) können Doppelkonsonanten hören. (L12, A64)

In diesem Kontext wiederholt sich also gewissermaßen die im Rahmen der Typenbildung festgestellte Funktionszuweisung der Silbe als unterstützende Bezugsgröße eines lautierenden Vorgehens.

522 8.4.2

8 Darstellung der Ergebnisse

Einzelbetrachtung des ‚Sonderfalls‘ L08

Im Rahmen der Typenbildung wurde bereits die besondere Rolle angedeutet, die die Lehrerin L08 innerhalb der Gesamtgruppe einnimmt. Zwar konnte sie anhand der präsentierten Zugriffe auf ausgewählte Wortschreibungen des deutschen Kernbereichs in wesentlichen Merkmalen dem I. Typ zugeordnet werden, an bestimmten Stellen der Typendarstellung mussten die von ihrer formulierten Handlungsorientierungen und -motive jedoch aufgrund ihrer Spezifität ausgeklammert werden. Dies hing vor allem mit denjenigen Äußerungen L08s zusammen, in denen die Lehrerin über ihre didaktischen Handlungsorientierungen reflektiert und die von ihr bevorzugten Zugriffe auf Wortschreibungen begründet. Die folgenden Ausführungen zeichnen die Besonderheiten des Falls L08 an prägnanten Gesprächsbeiträgen der Lehrerin nach. Zunächst fällt auf – und das grenzt sie v. a. von Typ II, aber auch von den Typen III und IV ab –, dass L08 sich ausdrücklich gegen eine Fokussierung auf das Richtigschreiben im Erstschreibunterricht wendet: ((…)) für mich ist Rechtschreibung (-) so eine Hilfsmittel. (-) Also natürlich müssen das alle lernen, aber das ist für mich nicht der oberste Zweck des Deutschunterrichts (-) und ähm deswegen war es auch (-) in meinem Unterricht von Anfang an so, dass ich (-) Wert drauf gelegt habe, dass alle Kinder schreiben (-) mit der Anlauttabelle (--) und ähm (-) sich auch trauen, zu schreiben, (--) und (-) dass wir ähm (---) natürlich aber trotzdem ähm (-) von Anfang an auch klargemacht haben den Kindern, ((…)) dass es da Regeln gibt, also dass es irgendwann nicht mehr ausreicht, nur zu schreiben, was man hört, sondern dass, damit der andere das lesen kann, (--) es (-) diverse Regeln gibt ähm, (-) die man beachten muss beim Schreiben. (L08, A21)

Die Überzeugung einer gemäßigten Auseinandersetzung mit Richtigschreibungen im Schriftsprachunterricht der Grundschule untermauert sie im weiteren Gesprächsverlauf des Interviewteils A mehrfach. Zwar wurde auch für die beiden anderen Lehrerinnen, die zum Typ I gezählt werden, eine grundsätzliche Orientierung an zwei Phasen des Schreibenlernens, d. h. dem einzellautorientierten freien Schreiben und dem sukzessiven Aufbau eines Bewusstseins für orthographisch richtiges Schreiben, ermittelt, L07 und L16 formulieren diese aber nicht so strikt wie L08 (bzw. beschreibt L16 sogar die Lockerung der Zweiteilung). Gefragt nach der von ihr empfundenen Komplexität und Lernbarkeit der Wortschreibung im Grundschulunterricht verdeutlicht L08, warum sie

8.4 Weiterführende Analysen

523

das richtige Schreiben gewissermaßen als ‚Nebenschauplatz‘ der Schrifterfahrung betrachtet und analytisch-kognitive Formen der Auseinandersetzung mit Schriftstrukturen ablehnt. Zur vertiefenden Betrachtung wird im Folgenden eine relative umfangreiche Passage aus dem Interview mit L08 angeführt, in der besonders aufschlussreiche Textteile durch Unterstreichung hervorgehoben sind: ES: Ähm (---) wie würdest du Rechtschreibung an SICH so als Lerngegenstand bewerten, was (-) jetzt vor allem Komplexität und Lernbarkeit überhaupt angeht? L08: (--) Ähm (--) ja, das (--) / also ((atmet laut aus)) (-) wie gesagt, immer mit dieser Voraussetzung, dass ich es nicht als Selbstzweck betrachten möchte, sondern als Mittel zum Zweck, ähm (-) klar, ist das (-) sehr komplex und ähm (-) HIER [[meint ihre Schule]] fehlt vielen Kindern auch dieses (-) Abstraktionsvermögen, ähm (-) also ich habe auch mit Silbenhäuschen (-) gearbeitet im letzten Schuljahr und ähm (-) das ist einfach schwierig, also weil das so viel ähm (-) Abstand von dem (-) Bedeutung der Wörter erfordert, dieses analytische Herangehen, das ähm (-) können dann die (-) Kinder, die irgendwie aber eigentlich sowieso mit der Rechtschreibung auch nicht so große Schwierigkeiten haben, die (-) können das leisten und die anderen, für die ist das eigentlich zusätzlich schwierig. (--) ES: Kannst du das noch näher beschreiben, was da, was daran für die schwächeren Schüler dann besonders schwierig ist jetzt (-) mit den Häusern auch gern? L08: Ähm (--) also das äh (-) ist für die einfach ein, (-) ein anstrengender (-) Denkprozess, also ein Wort in zwei Silben zu gliedern und das dann in dieses (-) Haus mit der Garage zu schreiben, also das KÖNnen die, zu überlegen, ob das ein langer oder ein kurzer Selbstlaut ist, (ist) schon auch schwierig, (-) einfach weil das Sprachgefühl nicht so da ist, (-) und ähm (-) dann (-) zu bedenken, also in der Garage muss das erste Zimmer besetzt sein, in der / in dem Häuschen kann aber das dritte Zimmer leer bleiben, also es gibt einfach so viele (-) doch so einzelne Punkte, die man im Kopf haben muss, bis sie das dann richtig hingekriegt haben, und (-) ähm (-) das ist sozusagen, also sie verlieren dann den Faden (-) zwischendurch, weil das zu lange dauert, (-) dieser ganze Vorgang. Und das hilft ihnen dann nicht weiter, also dann (-) kommen sie genauso weit, wenn sie das Wort spontan (-) aufschreiben, (--) und äh kommen zu (-) gleich guten oder (-) manchmal auch besseren Ergebnissen, also (-) das ist dann vielleicht (--) / vielleicht sind sie auch zu jung, ich weiß es nicht. (-) ES: Aber du hattest das Gefühl, dass das vor allem einfach sehr abstrakt ist () [und deshalb L08: [Ja, also für MICH ist das (-) äh völlig plausibel und ich finde das ein super (--) ähm Hilfsmittel, diese Häuschen oder (-) ja, Häuschen als ähm (--)

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8 Darstellung der Ergebnisse

Visualisierung für das silbische Prinzip und (-) wie (--) / für diesen (-) Kernbereich der Rechtschreibung kann man sich ja sehr gut damit herleiten, aber (-) das ist für Kinder im zweiten Schuljahr (-) HIER [[meint Schülerschaft an ihrer Schule]] ähm (-) zu (-) 80%, würde ich sagen, Überforderung. Und wie gesagt, die, die das verstehen (-) und (-) dann auch können, so eine Analyse selbst machen können, das sind die, die sowieso eigentlich sich auch (-) Wörter und Richtigschreibungen (-) leicht merken können. (--) (L08, A54-59)

In diesem Gesprächsauszug spricht die Lehrerin mehrere, z. T. ineinander greifende Aspekte an, die sich auf den Ebenen der Lerner/-innen, des Gegenstands und seiner didaktischen Vermittlung verorten lassen: - Lernervoraussetzungen: L08 stuft die Lernvoraussetzungen ihrer Lerngruppe in sprachlicher („weil das Sprachgefühl nicht so da ist“) und allgemein kognitiver Hinsicht („HIER fehlt vielen Kindern auch dieses (-) Abstraktionsvermögen“) als eher gering ein und präsentiert diese Ausgangslage als relevant für die Art und Weise, wie die Wortschreibung im Unterricht erarbeitet werden kann. - Sachstruktur des Lerngegenstands: L08 befindet die Visualisierung silbischer Strukturen zur Herleitung orthographisch richtiger Wortschreibungen „für diesen Kernbereich der Rechtschreibung“ sachstrukturell überzeugend, nicht aber als Zugang zum Lerngegenstand in einer sprachlich-kognitiv eher schwach einzuschätzenden 3. Grundschulklasse. - Vermittlung des Lerngegenstands: Ein „analytisches Herangehen“, wie es im Silbenhaus-Modell als visuelle Strukturierungsform für den Schriftsprachunterricht angelegt ist, lehnt sie aus Gründen der Abstraktheit der Anforderung und des umfangreichen Strukturwissens, das der erfolgreiche Einsatz des Modells voraussetzt, ab. In der Analyse der von L08 präsentierten Zugriffe auf Wortschreibungen kann – wie auch bei den anderen Typ-I-Lehrenden L07 und L16 – ein Verblassen des sachstrukturellen Lerngegenstandsverständnisses im Handlungsbezug festgestellt werden; dieses ist jedoch anders fundiert als bei L07 und L16: Während letztere eine prinzipiell segmentale Sicht auf die Wortschreibung zugunsten einer für die Lernenden ‚logischeren‘ suprasegmentalen Darstellung im Unterricht aufgeben, offenbart L08 ein suprasegmentales Schriftstrukturwissen, das sie in seinem komplexen Verhältnis zur gesprochenen Sprache betrachten kann. Dieses sachanalytische Wissen empfindet sie jedoch insofern als praxisuntauglich, als es die kogniti-

8.4 Weiterführende Analysen

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ven Fähigkeiten einer schwachen Schülerschaft überfordere. Sie setzt daher im Vermittlungskontext andere, häufig segmentbezogene, z. T. aber auch segmental-überlautierende Schwerpunkte, was im Weiteren an ausgewählten Beispielen veranschaulicht werden soll. L08 plädiert zwar weitgehend für die Thematisierung rechtschriftlicher Markierungen wie oder der Doppelkonsonantenschreibung über deren Abhängigkeit von der Länge oder Kürze des Vokals im Wortstamm, lehnt dabei aber auch überlautierende Hilfestellungen und Unterstützungsformen nicht ab. Im Interviewteil A empfiehlt sie beispielsweise ein ‚sehr deutliches Sprechen‘, das vordergründig auf die Ermittlung der Vokalquantität abzielt, dem aber eine schriftinduzierte Lautung zugrunde gelegt wird: Mit Silben, also (-) das haben wir gerade, das ganz intensiv, das Thema und (-) also ich spreche dann immer sehr deutlich, [vɛt] (-) [tɛʀ] (-) und immer wieder dieses / diese Hörübung, auch ist das ein kurzes [ɛ] oder ist das ein langes [eː]. (L08, A63)

Dass sie über Kenntnisse zur silbenstrukturellen Fundierung regelhafter Wortschreibungen verfügt und diese auch nicht per se als ungeeignet für die unterrichtliche Vermittlung ansieht, wird im Interviewteil B (Umgang mit Fehlschreibungen) am Beispiel von deutlich. Hier scheint L08 einen schriftanalytischen Zugriff auf das silbeninitiale aufgrund des fortgeschrittenen Lernalters des betrachteten Schülers – er besucht eine 5. Klasse – für geeignet zu halten: L08: Hmhm, ja, könnte man natürlich auch mit dem Häuschen vielleicht was machen, also das würde ich / in der fünften Klasse finde ich das eigentlich (-) super, (-) ähm (-) das noch mal ganz explizit zu üben. ES: Was ähm (-) ist denn der Vorteil, das mit dem Häuschen zu machen? L08: Naja, also das / ähm (-) noch mal offene und geschlossene Silben (-) zu thematisieren und wie die einem helfen, Wörter richtig zu schreiben. (-) Ob nun mit Häuschen oder ohne, weiß ich nicht. (--) Aber da w/ wäre dann ja (--) das in der Garage, ne? (--) Also man müsste irgendwas haben (-) im ersten Zimmer in der Garage, dann (-) könnte er vielleicht darauf kommen, dass da wohl ein hinmuss. (-) Bei blü.hen/[ˈblyːhən] [[spricht [h]]]. (-) Und dann (-) muss er die anderen (-) ableiten (-) davon. (L08, B3.3-6)

Zwar spricht sie auch in dieser Sequenz das Wort blühen in schriftinduzierter Überlautung aus, ihre Schreibbegründung basiert jedoch auf schreibsilbenbezogenem Strukturwissen: L08 wiederholt ihre schon im Interviewteil

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8 Darstellung der Ergebnisse

A angeführten Kenntnisse zu den obligatorisch oder fakultativ zu besetzenden Zimmern von Haus und Garage und empfindet sie für das Lernen in der Sekundarstufe I im Unterschied zum Grundschulkontext als hilfreich. Dass das Lernalter und die sprachlich-kognitiven Fähigkeiten der Schüler/-innen für sie entscheidend für den jeweils empfohlenen Zugriff auf den Lerngegenstand Wortschreibung sind, untermauert sie im Interviewteil C: Dort lehnt sie den schreibsilbenstrukturellen Erklärungsansatz, den das Inputbeispiel C2 zur Erschließung von oder anbietet, erneut als zu abstrakt und im Hinblick auf ihre Lernerschaft kognitiv überfordernd ab. Im Anwendungskontext der Grundschule verschiebt L08 den Fokus somit allem Anschein nach bewusst von suprasegmentalen Strukturen auf das Einzelsegment, wenn die geringen sprachlich-kognitiven Voraussetzungen der Lernenden dies nahelegen. Dieses Orientierungsmuster ist in dieser explizit thematisierten Form bei keiner anderen der befragten Lehrpersonen zu beobachten. Die besondere Haltung, die die Lehrerin zur lerneradäquaten Vermittlung der Wortschreibung einnimmt, ist im Rekurs auf die Forschungsfragen letztlich vor allem aus folgendem Grund interessant: L08 offenbart einen sachanalytischen Zugriff auf die Wortschreibung, der im Anwendungskontext in der Grundschule für sie nicht handlungsleitend ist, sondern in Orientierung an den Lernbedingungen der Schüler/-innen einer segmentorientierten Modellierung weicht. Zwar stellt auch sie den besonderen Bedarf schwacher Lernender an einer intensiven und gut angeleiteten Auseinandersetzung mit der Schriftsprache heraus, sieht diesen aber in erster Linie durch einen „klar strukturierte[n], (-) eng geführte[n] (-) sozusagen Lehrgang“ (L08, A41) erfüllt. Wie in den Einzelfallanalysen und Typenbeschreibungen vereinzelt sichtbar wurde, weichen die Ansichten der anderen befragten Lehrenden z. T. deutlich von L08s Einschätzung ab, eine analytisch-kognitive Herangehensweise zur Erarbeitung von Wortschreibungen sei für Lernende mit ungünstigen sprachlich-kognitiven Voraussetzungen nicht geeignet. Bevor diese Gruppe der Lehrenden vergleichend hinzugezogen wird, soll zunächst ein Blick auf die Informationen geworfen werden, die zum soziokulturellen Hintergrund der jeweiligen Schülerschaft der befragten Lehrenden erhoben wurden (s. 7.2.3). Für die vier Typen ergibt sich die in der Übersicht (s. Tab. 73) angegebene Verteilung der Einzelfälle, die nach folgenden drei Ausprägungen klassifiziert werden: Die Lehrkraft unterrichtet an einer Schule mit (eher) starker, durchschnittlicher oder (eher) schwacher Schülerschaft.

527

8.4 Weiterführende Analysen

Tab. 73 Soziokulturelle Lernausgangslagen der Schülerschaft Soziokulturelle Lernausgangslage der Schüler/-innen

Typ I

(eher) günstig

L16

Durchschnittlich (eher) ungünstig

L07 L08

Typ II L05 L06 L15 L17 L18 L11 L12

Typ III

Typ IV

L04

L03

L09 L13

L01 L02 L10

Die Übersicht zeigt, dass in allen Typen Lehrer/-innen mit (eher) günstig und (eher) ungünstig einzuschätzenden Lernbedingungen der Schülerschaft vertreten sind, sich hier also keine eklatanten Unterschiede feststellen lassen. Die von L08 beschriebenen Anforderungen, sich auf die spezifischen Lernbedürfnisse einer besonders schwachen Schülerschaft einzustellen, können somit grundsätzlich auch für andere der befragten Lehrpersonen gelten. Die weiteren Ausführungen beziehen sich in erster Linie auf die Vertreter/-innen der Typen II, III und IV, da diese in ihren Handlungsempfehlungen die silbenstrukturanalytische Auseinandersetzung mit Wortschreibungen anregen. Um zu überprüfen, ob auch Lehrende dieser Typen die Angemessenheit solcher kognitiv anspruchsvoller Zugänge für lernschwächere Schüler/-innen infrage stellen, werden die Textdaten daraufhin untersucht, wie die Lehrpersonen die Erschließung von Wortschreibungen über silbenstrukturelle Analysen in Bezug auf die Lernvoraussetzungen der Schüler/-innen bewerten. Festgehalten werden kann zunächst, dass zehn der insgesamt 14 Lehrenden der Typen II, III und IV Formen der silbenstrukturorientierten Arbeit insbesondere für die schriftsprachlichen Lernprozesse schwacher oder schwächerer Lernender positiv bewerten (Typ II: L05, L06, L12, L15, L18; Typ III: L04, L13; Typ IV: L01, L02, L03). Unter ihnen sind sechs, die diese Eignung unmittelbar auf die visuelle Strukturierungsform des Silbenhaus-Modells bzw. des äquivalenten Bärenboots (s. L13) beziehen. Sie formulieren den besonderen Unterstützungswert des Modells für schwache oder schwächere Lerner/-innen explizit (L03, A12; L04, A20; L06, A9, 21; L18, A24) und/oder implizit, indem sie angeben, dass rechtschreibstärkere Lernende auch ohne diese visuelle Strukturierungsform zurechtkommen (L12, A56; L13, A35; L18, A24).

528

8 Darstellung der Ergebnisse

L03 gibt beispielsweise an, dass das anhand von Haus und Garage veranschaulichte Strukturwissen zu den vokalischen Haupt- und Reduktionssilbenkernen im Geschriebenen schwache Schüler/-innen im Schreibprozess entlasten könne: Das ist / und (-) dieses Häuschenmodell ((zeigt auf die Materialien vor sich)), (-) finde ich, ist gerade für schwächere Kinder eine super (--) Methode, (--) ihnen Hilfen zu geben ((blättert in den Materialien)) / ja so äh: Wie schreibe ich das Wort jetzt? Ah, ich weiß, in die Garage. In die Mitte gehört (-) immer das bei deutschen Wörtern, denn nur solche Wörter (-) bieten sich eigentlich an, in der ersten Klasse, sagen wir mal, auch nach Diktat oder so zu schreiben, (--) ähm und im Haus muss in der Mitte auch immer, immer oder stehen oder das oder oder so, das steht da immer. (---) Dann wissen sie schon mal: So, das bin ich schon mal los. (L03, A12)

L04 beschreibt, dass die komplex erscheinende Haus-Garage-Struktur gerade ‚strukturell‘ schwache Kinder anspreche, und liefert damit eine Einschätzung, die der oben beschriebenen Wahrnehmung von L08 genau entgegengesetzt ist: Ja, (-) also das, zum Beispiel ähm (--) das Häusermodell, habe ich festgestellt, das (-) ähm, (-) das hilft den Kindern (--) enorm. (-) Also ich / (-) es ist ja immer so, dass man auf den ersten Blick denkt, dass es sehr kompliziert ist (-) und dass es aber ausgerechnet (-) die Kinder (-) sehr anspricht, die (-) ähm (-) strukturelle Probleme haben, die wirklich dann so sich verlieren in allem, und die kommen irgendwie mit den Häusern ganz toll zurecht, das / (-) ich habe überhaupt kein Kind, was damit nicht zurechtkommt. (L04, A20)

L06 stellt zudem den bildhaften Zugang zur aus der Silbenstruktur ableitbaren Vokalquantität im Gesprochenen als Hilfe heraus: [ˈhun.də], (--) ((…)) da sieht man auch, der (-) Klinger wohnt im kleinen Zimmer, während hier ((zeigt auf anderes Häuschen), der kann sich richtig ausbreiten ((streckt die Arme auseinander)), der klingt lang, [ˈhoː.zə], (--) kann sich im Zimmer ordentlich breitmachen, während (-) der kurze Klinger, wenn er dann noch einen Stopper mit drin hat, muss sich (-) kleinmachen und klingt kurz. Und das ist so ein Bild für die Kinder, gerade für die Schwachen, wo sie sich festhalten können. (L06, A9)

Andere erfahrungsbasierte, aber nicht spezifisch auf Visualisierungsformen bezogene besondere Vorteile eines schriftsprachanalytischen Zugriffs auf Wortschreibungen für lernschwächere Schüler/-innen liefern L02, L05 und L15. L15 gibt dies u. a. für Kinder mit anderer Herkunftssprache

8.4 Weiterführende Analysen

529

an, die ihren Erfahrungen gemäß „dankbar sind, wenn sie bestimmte Strukturen bekommen, an denen sie Worte sich äh (-) erschließen können“ (L15, A24). Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die angeführten Lehrenden die Aspekte, die L08 als Beweggründe für einen bewussten Verzicht auf „dieses analytische Herangehen“ (s. oben) angibt, abweichend, z. T. sogar konträr bewerten. Mit Blick auf die in der Typenbildung vorgenommenen Differenzierungen des jeweils handlungsleitenden Verständnisses silbischer Strukturen muss dabei jedoch berücksichtigt werden, dass nicht jede Lehrkraft auf ein so umfassendes silbisches Strukturwissen zurückgreift, wie L08 es in ihren oben präsentierten Äußerungen andeutet: In vielen Fällen der Typen II und III beschränken sich die explizit genannten Strukturvorgaben auf die obligatorische Besetzung des mittleren Zimmers in Haus und Garage bzw. den obligatorischen Vokalbuchstaben in jeder Silbe und die Bedeutung der (Nicht-)Besetzung des Hauptsilbenendrandes. Das regelhaft zu besetzende erste Zimmer der Garage bzw. der regelhaft zu besetzende Anfangsrand der zweiten Silbe, auf den L08 hinweist, wird nur von einer kleinen Gruppe der untersuchten Lehrenden genannt. Darüber hinaus lassen sich in einigen Interviewtexten auch (wenige) Aussagen finden, in denen die Lehrerinnen zumindest ansatzweise mit L08s vorgebrachten Argumenten gegen einen silbenstrukturanalytischen Zugang zur Wortschreibung übereinstimmen: L05 gibt an, dass die Lernenden mit besonderem Förderbedarf „jetzt nicht diese Häuser als Hilfestellung, sondern vor allem dieses Klatschen ((klatscht)) und diese Geb/ Gebärden“ (L05, A35) nutzen, und nennt damit Unterstützungsformen, auf die auch L08 referiert. L10 zeigt sich zwar grundsätzlich überzeugt davon, dass ein an der Schriftstruktur orientierter Unterricht „auch den Schwachen hilft, so, (-) weil er eben systematisch ist“ (L10, A44), und befindet die Erarbeitungsrichtung vom richtig geschriebenen Wort zum Gesprochenen (Leserichtung) für sinnvoll. Die Herausforderungen, die sich den Lernenden beim eigenständigen Schreiben stellen, sind aus ihrer Sicht jedoch nicht zu unterschätzen, weil sie müssen ja schon wissen, (-) wie es ausgesprochen wird. (-) Wenn sie es LESEN, dann können sie sehen: Oh, es wird mit einem Doppelkonsonanten geschrieben, also wird es kurz gesprochen. Das ist ja dieser / (-) ja, (-) aber wenn sie wissen (-) wollen, wie es geschrieben wird, dann finde ich es doch (-) schwierig. (L10, A10)

Als Bestätigung dieser von L10 angestellten Überlegung kann möglicherweise auch die von anderen Lehrkräften geschilderte Erfahrung betrachtet werden, nach der die Schüler/-innen ihre formal-analytisch gewonnenen

530

8 Darstellung der Ergebnisse

Einsichten in Strukturen der Wortschreibung oftmals noch nicht oder nur bedingt in Situationen des freien (Text-)Schreibens nutzen. L01 beschreibt beispielsweise folgende beobachtete Schwierigkeit (s. auch 8.2.4): Und meine Erfahrung ähm war dann so, dass das / man schon merkte, dass die Kinder das verstehen, also dass sie ähm, dass sie das / zum Beispiel Buchstaben in das Häuschen / Wörter in das Häuschen richtig einsortieren können, (--) auch die Schwachen, ((…)) (--) aber dieser Transfer in das ähm, ins alltägliche Schreiben dann, dass der noch überhaupt nicht stattgefunden hat, also bei den Schwachen auf jeden Fall. (L01, A10)

Ähnliche Beobachtungen führen L02, L05, L06, L09, L11 und L12 an. 8.4.3

Abschließende Betrachtung

Die Darstellungen weiterführender Analyseergebnisse haben die Perspektive der Lehrenden auf den Lerngegenstand Wortschreibung in einen globaleren Zusammenhang gestellt und dabei weitere Einflussfaktoren ihrer didaktischen Handlungsorientierungen in den Blick genommen. Es wurde deutlich, dass sich die befragten Lehrenden differenziert mit den (Gelingens-)Bedingungen ihres Handelns auseinandersetzen, aktuelle Entwicklungen in der Schriftsprachdidaktik wahrnehmen und in ihrer Relevanz für das eigene Handeln reflektieren sowie neue oder modifizierte Erarbeitungswege erproben und bewerten. Dass sich im Fallvergleich sowohl übereinstimmende als auch unterschiedliche Einschätzungen der Lehrkräfte ergaben, aber auch fallintern schlüssige Erläuterungen neben weniger stimmig erscheinenden Begründungen der eigenen Handlungsorientierungen ermittelt wurden, erwies sich aus Forschungssicht als höchst aufschlussreich. Die zentralen Erkenntnisse der vorliegenden Studie werden im folgenden Kapitel zusammengefasst und in ihrer Relevanz für den gegenwärtigen schriftsprachdidaktischen Diskurs diskutiert.

9

Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts nehmen empirische Untersuchungen zur Qualität von schulischen Unterrichts- und Lernprozessen die kognitiven Leistungsdispositionen von Lehrpersonen verstärkt in den Blick. Auch in der schriftsprach- und speziell orthographiedidaktischen Forschung werden seit einigen Jahren empirische Untersuchungen zum domänenspezifischen Lehrerwissen und -können forciert, um Anhaltspunkte für eine erfolgreichere Gestaltung schriftsprachlicher Lernprozesse im Grundschulunterricht zu erhalten. Erste entsprechende Untersuchungen deuten auf grundlegende Schwachstellen der fachlichen und fachdidaktischen Wissensbestände von Lehrkräften hin, die im Schriftsprachunterricht154 der Grundschule tätig sind (s. 3.2). Zugleich werden im schriftsprachdidaktischen Diskurs Zweifel sowohl an der schrifttheoretischen Fundierung als auch an der konzeptionellen Ausrichtung der geläufigen Unterrichtsmodelle zum Schriftsprachlernen laut. Auf der Grundlage des wahrgenommenen Handlungsbedarfs werden daher zunehmend Alternativen zum traditionell zweiphasig modellierten Grundschulunterricht, der vom einzellautorientierten Erst- zum Richtigschreiben hinarbeitet, diskutiert und empirisch untersucht. Im Fokus stehen dabei Ansätze, die auf der Basis schriftlinguistischer Erkenntnisse die systematischen und v. a. phonographisch-silbisch erschließbaren Strukturen der deutschen Kernwortschreibung in den Mittelpunkt stellen und den Schriftsprach- einschließlich Orthographieerwerb grundsätzlich als einphasigen Systemerwerb (vgl. Bredel 2009) begreifen. Auch für diese sprachwissenschaftlich begründete Perspektive auf schriftsprachliches Lehren und Lernen und darauf basierende didaktische Konzeptionen liegen bisher allerdings keine Befunde vor, die klare Vorteile einer solchen systemorientierten Modellierung für das Lernen von Grundschüler/-innen gegenüber den herkömmlichen Unterrichtsansätzen nachweisen. Inwiefern sich auch in diesem Forschungsbereich, d. h. bei der Effektivitätsüberprüfung von schriftsprachdidaktischen Konzeptionen, die Leistungsdispositionen und konzeptionellen Leitlinien der Lehrenden als

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Im Verständnis der vorliegenden Arbeit impliziert der Schriftsprachunterricht die Auseinandersetzung mit orthographischen Strukturen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Schröder, Der Lerngegenstand Wortschreibung aus der Sicht von Lehrenden, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24828-4_9

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9 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

relevante Einflussgrößen erweisen, wurde bisher nicht hinreichend untersucht. Die vorliegende Arbeit knüpft an diese Forschungslücke an, wenngleich sie nur eine Teilkomponente des beschriebenen Erkenntnisbedarfs, nämlich die Lehrperson und ihre Vorstellungen von einer fruchtbaren Vermittlungspraxis der Wortschreibung, in den Blick nimmt. Sie untersucht also „Wirkungspotenziale“ (Schreier und Groeben 1999, S. 51), nicht aber die tatsächliche Vermittlungspraxis selbst. Ausschlaggebend für diese Schwerpunktsetzung waren die bisherigen Befunde zum Wissen und Können von Schriftsprachlehrenden und zur Wirksamkeit schriftsprachdidaktischer Konzeptionen (s. Kapitel 3). Auf ihrer Grundlage stellte sich u. a. die Frage, auf welches handlungsleitende Wissen, auf welche unterrichtspraktischen Zugänge und konzeptionellen Vorstellungen Lehrkräfte zurückgreifen, die sich an neueren bzw. Weiterentwicklungen schriftsprachdidaktischer Ansätze orientieren und sich um die Thematisierung von regelhaften Strukturen geschriebener Wörter von Anfang an bemühen. Die angeführten Komponenten bildeten schließlich den Ausgangspunkt der vorliegenden Interviewstudie. Durch den Einsatz von Experteninterviews mit dreigeteilter Kontextuierung wurden unterschiedliche Anforderungsdimensionen schriftsprachdidaktischen Handelns angesteuert, anhand derer Einblicke in die Zusammenhänge zwischen fachlichem Gegenstandsverständnis, didaktischen Handlungsorientierungen, Erfahrungen und Überzeugungen der Lehrenden gewonnen werden konnten. Erfasst wurde auf diese Weise, wie Lehrer/-innen, die sich zugunsten suprasegmentaler Betrachtungsweisen (partiell) von der stark einzellaut- und einzelbuchstabenbezogenen Erstorientierung traditioneller Ansätze lösen, ihre Herangehensweise sachstrukturell und didaktisch begründen. Zur differenzierten Analyse der erhobenen Interviewdaten wurde drei Leitfragen nachgegangen, die auf das sachanalytische Verständnis, die didaktisch-konzeptionellen Handlungsorientierungen der Lehrenden und das Zusammenspiel beider Komponenten fokussierten. Das für die Bearbeitung des Untersuchungsziels größte Gewicht erhielt Leitfrage 3, da sie den Kern des Erkenntnisinteresses bildete: Inwiefern fachliches Gegenstandsverständnis, didaktische Handlungsorientierungen und konzeptionelle Überlegungen im Anwendungskontext ineinander greifen, ist im orthographiedidaktischen Diskurs noch nicht hinreichend geklärt. Die Beantwortung der Forschungsfragen machte ein komplexes Auswertungsverfahren erforderlich, in dem die Nähe zum Textmaterial weitge-

9 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

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hend gewahrt werden musste. In detaillierten Einzelfalldarstellungen wurden beobachtete Zugriffsweisen auf regelhafte Wortschreibungen klassifiziert, auffällige Merkmale und überindividuelle Muster zum Umgang der Lehrenden mit regelhaften Wortschreibungen festgehalten und in Form von Phänomenausprägungen gebündelt, die wesentliche Anhaltspunkte zur Beantwortung der Leitfragen bereitstellten. Diese wurden in der anschließenden Typenbildung durch die Gruppierung der Einzelfälle zu fallübergreifenden Zugriffsmustern abstrahiert. Die zentralen Ergebnisse der Interviewstudie werden im Folgenden anhand der drei Leitfragen zusammengefasst und in ihrer Relevanz für den schriftsprachdidaktischen Diskurs diskutiert. Da sich auch die feinere Aufschlüsselung der Leitfragen, die noch vor Untersuchungsbeginn in Form von hypothetischen Fragebereichen vorgenommen wurde (s. 6.2), als fruchtbarer Zugang zu den Textdaten erwiesen hat, werden die darin angeführten Aspekte im Rahmen der Leitfragenbeantwortungen vertiefend hinzugezogen. Welcher sachanalytische Zugriff auf den Lerngegenstand Wortschreibung ist in den Beschreibungen und Reflexionen der Lehrpersonen sowie in ihrem Umgang mit Schülerschreibungen und Lehr-Lern-Materialien erkennbar? (Leitfrage 1) Auch wenn im Design der vorliegenden Studie keine von didaktischen Fragekontexten abgegrenzte Erhebung der rein fachlichen Begründungen von Wortschreibungen angelegt war, konnten den Textdaten aufschlussreiche Informationen zum grundlegenden Verständnis der deutschen Kernwortschreibung entnommen werden, denn, wie Mesch (2015a) überzeugend darlegt, kann die Frage danach, wie man Schreibanfänger/innen in der Grundschule an Schrift heranführt, wie man Orthografie didaktisch modelliert, […] nicht unabhängig von der Frage gestellt werden, wie man den Lerngegenstand selbst, um den es geht, theoretisch modelliert. (ebd., S. 101)

In der Auswertung der Interviewdaten wurden daher zwei grundlegende Vorstellungsmuster der sachstrukturellen Begründung von Wortschreibungen festgehalten: (1) die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung; (2) die Orientierung an der Schriftstruktur selbst.

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9 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

Wie bereits vor Beginn der differenzierten Auswertung antizipiert, stellten sich die sachstrukturellen Vorstellungen zum Zusammenhang zwischen geschriebenem und gesprochenem Wort als Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzung mit der ersten Forschungsfrage heraus. In der vorliegenden Studie drückt die Mehrheit der insgesamt 18 Befragten im Bereich beider betrachteter orthographischer Strukturtypen des Deutschen, d. h. sowohl im Umgang mit Silbengelenkschreibungen als auch in der Analyse von Schreibungen mit silbeninitialem , eine sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung aus, die an einer schriftinduzierten Lautung orientiert ist. Dabei zeigt sich, dass die Lehrer/-innen grundsätzlich von der Ableitung der Wortschreibung aus den Segmenten des Gesprochenen ausgehen, dabei aber (unbewusst) „die Schrift zur Analysebasis der Lautsprache“ (Bredel 2015a, S. 257) machen. Sie gehen somit eigentlich genau entgegengesetzt vor, indem sie die „Lautsprache als Abbild der Schriftsprache“ (ebd.) auffassen. Im Umgang mit Silbengelenkschreibungen (z. B. ) lassen zwölf der befragten Lehrenden ein sachanalytisches Verständnis der Schreibung erkennen, das auf der Annahme basiert, die Doppelkonsonantenschreibung sowie ggf. und auf ebenfalls doppelt artikulierte (im Fall von auch als [t] und [ʦ] realisierte) intervokalische Konsonanten im Gesprochenen zurückführen zu können. Bei Schreibungen des Strukturtyps 4 (z. B. ) wurde eine ähnliche Orientierung für 16 Lehrer/-innen beobachtet. In vielen Fällen geben sie die ‚Hörbarkeit‘ des intervokalischen dabei als entscheidendes Merkmal zur Abgrenzung vom ‚nicht-hörbaren‘ und insgesamt schwer zugänglichen Dehnungs- an. Anders als bei Jagemann (2015), die in ihrer Untersuchung zu den Wissensbeständen von Lehramtsanwärter/-innen eine Tendenz zur generellen Gleichbehandlung von Dehnungs- und silbeninitialem feststellt (s. 3.2), benennen die befragten Lehrpersonen in der vorliegenden Interviewstudie klare Unterschiede: Sie differenzieren zwischen der Funktion des als inkonsequente Markierung von Vokallänge einerseits und der (vermeintlichen) Korrespondenz zum [h] im Gesprochenen andererseits. Eine bei mehreren Lehrer/-innen beobachtete funktionale Gleichsetzung beider ‚-Typen‘ wurde lediglich für die Auseinandersetzung mit

9 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

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der vorgelegten Inputschreibung */ festgehalten: Sieben Lehrerinnen weisen hierbei das morphologisch vererbte silbeninitiale als Dehnungs- aus.155 Die Zahl der Lehrenden, die die betrachteten Schreibungen in Orientierung an eigenständigen Schriftstrukturen begründen, fällt deutlich geringer aus – im Umgang mit Silbengelenkschreibungen sind es fünf Lehrende, im Bereich des Strukturtyps 4 weist sogar nur eine Lehrerin das silbeninitiale in zweisilbigen Wortformen explizit als schriftspezifische Markierung ohne lautsprachliches Korrelat aus.156 In der Zusammenführung der Ergebnisse für die einzeln betrachteten Strukturtypen der deutschen Wortschreibung ergibt sich eine relativ große Gruppe Lehrender, die eine ‚saubere‘ Lautanalyse prinzipiell als sachstrukturelle Grundlage orthographisch richtiger Wortschreibungen betrachten. Darin, dass sie Diskrepanzen zwischen Wortlautung und -schreibung häufig auf Ungenauigkeiten der (Alltags-)Aussprache zurückführen, spiegeln sich die schon von Corvacho del Toro (2013) ermittelten Anzeichen einer „fehlenden Differenzierung zwischen der lautlichen und schriftlichen Sprachebene“ (ebd., S. 150; s. 3.2) aufseiten der Lehrpersonen wider. Es fällt dabei grundsätzlich auf, dass in der Betrachtung ausgewählter Schreibungen in nahezu allen Textsequenzen Überlegungen zur Wortlautung eine (entscheidende) Rolle für die Begründung der Schreibung spielen. Insbesondere die Lehrerinnen der ermittelten Typen I und II, für die Anzeichen eines segmentalen Gegenstandsverständnisses identifiziert wurden, beziehen sich dabei vorwiegend auf zwei Aussprachevarietäten:

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Bei der Bewertung variierender Zugriffe auf die vorgelegten Schreibungen des Strukturtyps 4 ist eine kritische Betrachtung des ausgewählten Wortmaterials angezeigt: Zum einen müssen Unterschiede der lexikalischen und semantischen Transparenz der morphologisch komplexen Wörter beachtet, zum anderen auch der Kontext, in dem sie präsentiert wurden, berücksichtigt werden. So wurde * als einzelnes Item vorgelegt, wohingegen ** gemeinsam mit seiner Grundform */ präsentiert wurde. Über Gründe dafür, dass im Fall von Frühstücksei teilweise eine Bestimmung des als Dehnungs- ermittelt wurde, kann daher lediglich gemutmaßt werden. Für differenziertere Einblicke wären weitere Vergleichsitems und ein stärkeres Nachfragen durch die Interviewerin erforderlich gewesen. Dass die im Interviewdesign angelegte Beschäftigung mit dem Lexemverband zu blühen in einigen Fällen zur Auseinandersetzung mit der vom System abweichenden Schreibung geführt hat, ermöglichte aufschlussreiche Einblicke in die individuellen Betrachtungsweisen von orthographischer Norm und graphematischem System; eine systematische fallübergreifende Betrachtung war jedoch auch hier nicht möglich. In beiden näher untersuchten Bereichen der deutschen Wortschreibung konnte der sachanalytische Zugriff jeweils einer Lehrkraft nicht eindeutig erfasst werden.

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9 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

die angenommene ‚Hochlautung‘ auf der einen, die alltags- bzw. umgangssprachliche und häufig als ‚unsauber‘ problematisierte Lautung auf der anderen Seite. Die Bezüge der Lehrenden auf eine vorbildliche Aussprache im Sinne einer ‚Hochlautung‘ konnten in nahezu allen Fällen als Ausdruck eines Gegenstandsverständnisses festgehalten werden, in dem die Wortschreibung auf der Basis einer schriftinduzierten und einzelsegmentalen Lautung begründet wird. In den Untersuchungsschritten der sekundären Auswertung wurden jedoch auch Einzelfälle identifiziert, die alltagssprachliche Varietäten nicht als ungünstige Entwicklungen des allgemeinen Sprachgebrauchs werten, sondern Vorstellungen einer ‚Hochlautung‘ als künstliches und fachlich inadäquates Konstrukt zurückweisen. Anders als die zuvor angeführte Gruppe der Lehrenden fordern sie keine saubere Lautung als Voraussetzung des Wortschreibens, sondern eine saubere Unterscheidung zwischen Laut- und Schriftstrukturen, wenngleich sie dies teilweise nur für bestimmte Bereiche der Wortschreibung formulieren. Zur Differenzierung zwischen Lautung und Schreibung betrachten sie Muster des geschriebenen Wortes als grundsätzlich eigenständige Strukturen, die sich zugleich in ihrer Funktionalität für das gesprochene Wort untersuchen lassen. Im Unterschied zu den Lehrenden, die auf der Basis einer schriftinduzierten Lautung argumentieren und gesprochene und geschriebene Wörter dabei als Ketten einzelner Segmente darstellen, stehen in den Zugriffen der Lehrenden, die auf regelhafte Wortstrukturen fokussieren, suprasegmentale Strukturen im Mittelpunkt, wie die Ausführungen zu den Leitfragen 2 und 3 näher beleuchten werden. Insgesamt wurde nur für eine der insgesamt 18 befragten Lehrpersonen eine sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung festgestellt, die sich durch den konsequenten Bezug auf den Eigenstatus graphematischer Strukturen auszeichnet; alle anderen 17 Lehrer/-innen äußern zumindest punktuell Überlegungen, in denen sie schriftspezifische Strukturen auf die Lautung projizieren. Wie die Auseinandersetzung mit der zweiten Leitfrage demonstriert, sind im didaktischen Handlungsbezug z. T. aufschlussreiche Verschiebungen der jeweils aktivierten Zugriffe auf Wortschreibungen zu beobachten.

9 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

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Welche didaktischen Handlungsorientierungen in Form von methodischen Handlungsempfehlungen formulieren die befragten Lehrenden? (Leitfrage 2a) Auch die Untersuchung der didaktischen Handlungsorientierungen anhand der methodischen Handlungsempfehlungen, die die befragten Lehrkräfte u. a. im Umgang mit konkreten (Schüler-)Schreibungen und Lehr-Lern-Materialien formulieren, ergab zunächst zwei grundlegende Orientierungsmuster: (1) die Erarbeitung einer schriftinduzierten Lautung als Zugang zur Wortschreibung; (2) die Erarbeitung von schriftspezifischen Strukturen als Zugang zur Wortschreibung. Diese Orientierungsmuster wurden zusätzlich danach klassifiziert, ob sie als Erklärungsansätze auf primär segmentaler Ebene, also über beidseitige phonologisch-graphematische Korrespondenzen von Einzelsegmenten, präsentiert wurden oder ob sie suprasegmentale Bezüge innerhalb von geschriebenen Wörtern und gegebenenfalls zwischen Schreibung und Lautung herstellten. Suprasegmentale Erklärungsansätze wurden weiter untergliedert in segmentbezogene Zugriffe, in denen die Ermittlung der Vokalquantität im gesprochenen Wort als entscheidende Information für die Schreibung aufgefasst wird, und silbenstrukturelle Zugriffe, in denen die Untersuchung silbischer Strukturpositionen in Haupt- und gegebenenfalls Reduktionssilbe die Herleitung von Schreibungen steuert. In der Anwendung der erarbeiteten Kriterien zur Klassifizierung der Zugriffe zeigte sich im Bereich des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen) ein Verhältnis zwischen schrift- und lautanalytischen Erarbeitungsweisen, das gegenüber den sachanalytischen Vorstellungen der Lehrenden zahlenmäßig abweicht: Im Umgang mit Silbengelenkschreibungen drückt die Mehrheit der Befragten (N = 11) 157 im didaktischen Anwendungskontext Zugänge zur Wortschreibung aus, die nicht auf eine schriftinduzierte Lautung ausgerichtet sind, sondern eigenständige Strukturen der Wortschreibung thematisieren. Sie begründen diese auf suprasegmentaler Ebene und gehen gegebenenfalls auch auf die Wechselbeziehung zwischen Wortschreibung und -lautung ein. Drei dieser Lehrenden stellen

157

Die quantitativen Angaben sind stets als Teilmengen der Untersuchungsgruppe von insgesamt N = 18 Lehrenden zu verstehen.

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9 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

dabei die Ermittlung der Vokalquantität und daraus abzuleitende Konsequenzen für die Schreibung in den Mittelpunkt (segmentbezogene Erklärung), die weiteren acht Lehrpersonen stellen einen Bezug zu den silbenstrukturellen Gegebenheiten in (prototypischen) zweisilbigen Wortformen her. In den Äußerungen von weiteren sieben Lehrerinnen der Untersuchungsgruppe bestimmt der Ausgang von einer überlautierenden Form des zweisilbigen Wortes auch die didaktischen Handlungsorientierungen. Eine von ihnen regt die Erarbeitung doppelter Konsonantengrapheme im Unterricht ausschließlich über die Analyse der Lautung und die angenommene eindeutige Zuordnung von Einzellauten zu Einzelbuchstaben an. Sechs weitere Lehrpersonen stellen einen Bezug zur Silbenstruktur in zweisilbigen Wortformen her, wobei jedoch häufig „Schreib- und Sprechebene [konfundiert werden]“ (Mesch 2015b, S. 171). Bei der Auseinandersetzung mit Schreibungen des Strukturtyps 4 empfiehlt eine deutliche Mehrheit der Lehrpersonen (N = 13) eine didaktische Herangehensweise, in der das silbeninitiale aus der (vermeintlichen) Lautung des zweisilbigen Wortes abgeleitet wird. Dabei sind in zehn Fällen Zugänge der einzellautorientierten Gliederung des Wortes leitend, die weiteren drei Lehrenden stellen einen Bezug zu silbenstrukturellen Gegebenheiten her. Lediglich vier Lehrende der Untersuchungsgruppe präsentieren didaktische Handlungsorientierungen, die auf eigenständige Strukturen des geschriebenen Wortes eingehen und in deren Empfehlungen zur Erschließung der Wortschreibung überlautierende Wortformen nicht erklärungsleitend sind. Alle vier Lehrpersonen regen silbenstrukturelle Zugänge zu Schreibungen mit silbeninitialem an. Ein spezifischer Blick auf die von den Lehrenden angeregten Hilfestellungen vermag die zuvor skizzierten Erscheinungsformen der didaktischen Handlungsorientierungen zu schärfen. Es ergeben sich schwerpunktmäßig -

silbenorientierte Hilfestellungen, die die phonologische Wortanalyse und die (vermeintliche) Wahrnehmung der zu verschriftenden Einzellaute stützen; silbenorientierte Hilfestellungen, die die Wahrnehmung von Langund Kurzvokalen für die Ableitung suprasegmentaler Konsequenzen für die Schreibung stützen; silbenorientierte Hilfestellungen, die die phonologische Wortanalyse und die (vermeintliche) Wahrnehmung der zu verschriftenden

9 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse

-

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Einzellaute durch die Untersuchung einzelner phonologischer oder graphematischer Silbenstrukturpositionen stützen oder ergänzen; silbenorientierte Hilfestellungen, die anhand von Untersuchungen der phonologischen oder graphematischen Silbenstrukturpositionen das suprasegmental bedingte Wechselverhältnis zwischen Geschriebenem und Gesprochenen aufgreifen.

Welche Bedingungen für das Auftreten der klassifizierten methodischen Handlungsempfehlungen und Hilfestellungen identifiziert wurden, zeigt die ausführliche Bearbeitung der Leitfrage 3. Zuvor sollen einige Befunde zu den konzeptionellen Orientierungslinien der Lehrpersonen (Leitfrage 2b) angeführt werden. Welche didaktischen Handlungsorientierungen formulieren die befragten Lehrenden in Bezug auf die Begründung der eigenen konzeptionellen Ausrichtung? (Leitfrage 2b) Die Mehrheit (N = 15) der befragten 18 Lehrkräfte bescheinigt dem eigenen schriftsprachdidaktischen Handeln eine Form der konzeptionellen Neuausrichtung, die entweder als Abwendung von der eigenen früheren Herangehensweise oder als Abwendung von ‚herkömmlichen‘ Unterrichtsansätzen gekennzeichnet wird. Welche Motive und Eckpfeiler der Neuorientierung die Lehrkräfte nennen, fällt individuell unterschiedlich aus, es ließen sich jedoch einige sehr häufig genannte Aspekte ermitteln: - Alle Lehrerinnen, die eine Neuausrichtung beschreiben, sprechen sich für eine von Anfang an anzuregende Auseinandersetzung mit orthographisch richtigen Wortschreibungen und somit für eine Auflockerung oder sogar Auflösung der traditionellen Zweiteilung von lautierendem Erst- und weiterführendem Richtigschreiben aus. - Zwölf Lehrerinnen nennen die Orientierung an silbenstrukturellen Gegebenheiten im zweisilbigen Wort, die sie in Aus- oder Fortbildung als gegenstands- und lernerangemessenen Zugang zur Wortschreibung kennengelernt haben, als zentrales Element der eigenen Ausrichtung. Sieben von diesen Lehrerinnen binden die Silbenorientierung explizit an das Konzept des eingesetzten Lehrgangs. - Neun Lehrkräfte sprechen sich in der Bezugnahme auf eigene negative Erfahrungen oder die öffentliche Kritik explizit gegen ein Vorgehen aus, das auf ein einzellaut- und einzelbuchstabenfokussiertes (Erst-)Schreiben setzt.

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Vereinzelt referieren die Lehrenden zudem auf die leseerleichternde Funktion schriftsprachlicher Strukturen und die didaktische Angemessenheit einer gegenüber traditionellen Vorgehensweisen umgekehrten Blick- und Erarbeitungsrichtung: Sie empfehlen den Aufbau von Wortschreibungskompetenz ausgehend vom geschriebenen Wort, d. h. eine Initiierung des Wortschreibens über das Wortlesen. Lediglich drei der befragten Lehrpersonen sprechen sich explizit für die Beibehaltung traditionell zweiphasiger schriftsprachlicher Lernprozesse und Formen der lautierenden Erstorientierung aus und begründen dies vornehmlich mit der dadurch möglichen Berücksichtigung individueller sprachlich-kognitiver und/oder motivationaler Lernvoraussetzungen und -bedürfnisse der Schüler/innen. Dass sich die Angaben der Lehrkräfte zur konzeptionellen Ausrichtung und die von ihnen empfohlenen Zugänge zur Schreibung nicht immer stimmig aufeinander beziehen ließen, beleuchtet der nächste Abschnitt. Welche Beziehungen werden zwischen sachanalytischem Zugriff (Leitfrage 1) und didaktischen Handlungsorientierungen (Leitfrage 2) sichtbar? (Leitfrage 3) In den Einzelfallanalysen sowie im Prozess der Typenbildung konnte gezeigt werden, dass sich die Beziehungen zwischen sachanalytischem Zugriff der Lehrenden auf Wortschreibungen der Strukturtypen 3 und 4 und den ermittelten didaktischen Handlungsorientierungen zunächst anhand zweier Ausprägungen unterscheiden lassen: (a) Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung korrespondiert mit der formulierten didaktischen Handlungsorientierung, ist also handlungsleitend; (b) Die sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung korrespondiert nicht mit der formulierten didaktischen Handlungsorientierung, verblasst also im Handlungsbezug. Eine nähere Analyse der individuellen Begründungszusammenhänge erwies sich als aufschlussreicher Zugang zur Beantwortung der dritten Leitfrage. Indem die identifizierten sachstrukturellen Vorstellungen von der Wortschreibung und die dargelegten didaktischen Handlungsempfehlungen zur Erarbeitung der Wortschreibung mit Grundschüler/-innen aufeinander bezogen wurden, ergaben sich vertiefende Einblicke in die handlungsleitenden Kognitionen der Befragten. Die folgende Abbildung fasst die drei ermittelten Ausprägungen des Zusammenspiels zwischen sach-

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struktureller Vorstellung von der Wortschreibung und didaktischer Handlungsorientierung zusammen und gibt zusätzlich Auskunft darüber, welche Erklärungsansätze im Rahmen der einzelnen Ausprägungen erfasst wurden.

Abb. 33 Formen handlungsleitender und verblassender sachanalytischer Zugriffe

Für das unter (a) gebündelte Grundmuster ließen sich zwei Ausprägungen feststellen: Entweder erweist sich die grundlegende Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung oder die grundlegende Orientierung an schriftstrukturellen Gegebenheiten als handlungsleitend. In allen Fällen, in denen eine Orientierung an der Schriftstruktur erkennbar war, Wortschreibungen der betrachteten Strukturtypen des Deutschen also anhand von eigenständigen graphematischen Strukturen begründet wurden, konnte dieser sachanalytische Zugang auch als didaktisch handlungsleitend identifiziert werden. Dass eine Schreibung schriftstrukturell begründet, in den Handlungsempfehlungen für den Unterricht aber eine schriftinduziert-einzellautorientierte Annäherung angeregt wurde, wurde mit Ausnahme einer Lehrerin (‚Sonderfall‘ L08, s. 8.4.2), die eine begleitende überlautierende Herangehensweise zumindest nicht explizit zurückweist, in keinem Interviewtext ermittelt. Die von Jagemann (2015) beobachtete Diskrepanz zwischen angemessenen fachlichen Begründungen von Schreibungen und problematischen (da überlautierenden) didaktischen Zugängen zu diesen Schreibungen (s. 3.2) wurde in der Untersuchungsgruppe der vorliegenden Studie also nicht festgestellt; vielmehr formulierten Lehrkräfte, deren sachanalytisches Verständnis der jeweiligen Schreibung auf regelhafte Strukturen des geschriebenen Wortes bezogen war, Erklärungsansätze auf suprasegmentaler Ebene und regten eine Untersuchung silbenstruktureller Merkmale an. Bei Lehrkräften, die eine sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung ausdrückten, die an einer schriftinduzierten Lautung orientiert

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war, erwies sich diese Orientierung in der Mehrheit der Fälle ebenfalls als handlungsleitend: In den untersuchten Interviewtexten formulieren sieben von insgesamt zwölf Lehrenden, für die eine grundsätzliche Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung festgestellt wurde, didaktische Handlungsempfehlungen für den Umgang mit Silbengelenkschreibungen, die sich auf die Erarbeitung einer solchen ‚Hochlautung‘ beziehen; im Umgang mit Schreibungen von Wörtern mit silbeninitialem (Strukturtyp 4) gilt dies für 13 von 16 Fällen. Bei der differenzierten Analyse der für die Vermittlungspraxis angeregten Zugänge zeigte sich jedoch, dass eine handlungsleitende Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung nicht zwangsläufig mit Erklärungsansätzen auf segmentaler Ebene einhergeht. Im Umgang mit Wörtern des Strukturtyps 3 (Silbengelenkschreibungen) präsentieren sechs Lehrpersonen silbenstrukturelle Zugriffe und nur eine Lehrerin einen ausschließlich einzellautbasierten Erklärungsansatz. Bei Schreibungen des Strukturtyps 4 (silbeninitiales ) dominieren hingegen segmentale, auf das Hören des angelegte Zugriffe auf die Schreibung. Eine im Handlungsbezug verblassende sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung, die oben als Grundmuster (b) vorgestellt wurde, ließ sich insbesondere im Umgang mit Silbengelenkschreibungen beobachten. Im Bereich des Strukturtyps 3 sprechen sich fünf Lehrende gegen Empfehlungen aus, die den Schüler/-innen Doppelkonsonantenschreibungen über das deutliche Sprechen und Hören der Wörter nahebringen, obwohl diese Lehrkräfte grundsätzlich davon ausgehen, dass dieser Ansatz bei ‚sauberer‘ Aussprache zielführend und aus sachanalytischer Perspektive angemessen wäre. Sie plädieren für eine segmentbezogene, also auf die Vokalquantität referierende Erarbeitung von Silbengelenkschreibungen oder für silbenstrukturelle Zugriffe. Im Bereich der Wortschreibungen mit silbeninitialem (Strukturtyp 4) ist das Verblassen der Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung bei drei Lehrkräften zu beobachten, die anstelle auditiver Zugänge zur ‚Hörbarkeit‘ des schreibsilbenstrukturelle Begründungsansätze formulieren. Aus der Perspektive der orthographiedidaktischen Forschung erweisen sich die Begründungszusammenhänge, die sich für ein Aufrechterhalten oder aber Verblassen des Gegenstandsverständnisses im didaktischen Anwendungskontext zeigen, als besonders aufschlussreich. Im Weiteren sollen daher zunächst Einflussfaktoren eines handlungsleitenden Gegenstandsverständnisses beleuchtet und anschließend Motive und

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Merkmale einer verblassenden Orientierung am sachanalytischen Gegenstandsverständnis im didaktischen Anwendungskontext dargestellt werden.  Einflussfaktoren einer handlungsleitenden Orientierung an (eigenständigen) Schriftstrukturen Es wurde bereits dargestellt, dass die befragten Lehrkräfte, die Schreibungen im Interview anhand von eigenständigen graphematischen Strukturen begründen, diese sachstrukturelle Vorstellung auch im didaktischen Anwendungskontext abrufen. Für diese Merkmalsausprägung konnten zentrale Einflussfaktoren festgehalten werden, die in folgenden Aspekten gebündelt werden: (1) Explizite Identifikation des „Schriftbias“ (Bredel 2015a, S. 263): Die Lehrkräfte stufen einzellautbasierte Zugänge zur Wortschreibung, die eine graphembasierte Lautung voraussetzen, explizit als schriftgelenkte und sowohl sach- als auch lerninadäquate Herangehensweisen ein. In den didaktischen Handlungsempfehlungen benennen sie unterschiedliche Merkmale von Wortlautung und -schreibung und thematisieren deren Kausalbeziehung auf suprasegmentaler Ebene. (2) Nutzung von Strukturwissen zum prototypischen (graphematischen) Zweisilber: Die Lehrkräfte richten ihren Blick auf silbische Strukturpositionen im gesamten zweisilbigen Wort und unterscheiden sich darin von Lehrenden, die auf die Hauptsilbenstruktur fokussieren und dadurch häufig trotz ihrer Bemühungen um suprasegmentale Begründungen in (über-)lautierende Zugriffsformen zurückfallen. Anders als in der letztgenannten Gruppe zeichnen sich die Zugriffe der Lehrenden mit handlungsleitender Orientierung an der Schriftstruktur durch die auch im didaktischen Kontext angeregte Differenzierung zwischen Haupt- und Reduktionssilbenstrukturen aus. Zudem führen sie dabei teilweise Kenntnisse zu speziell graphematischen Strukturen an, die sie im didaktischen Kontext v. a. mithilfe von visuellen Strukturierungsformen aufgreifen: Sie unterscheiden zwischen fakultativ und obligatorisch zu besetzenden Strukturpositionen im geschriebenen zweisilbigen Wort, wenngleich sie nicht zwangsläufig auf die Funktionalität dieser strukturellen Gesetzmäßigkeiten eingehen. (3) Formal-analytischer Blick als grundlegende Zugriffsweise auf Wortschreibungen: Für eine regularitätsübergreifend handlungsleitende Orientierung an Schriftstrukturen erweist sich ein grundlegender analytischer Blick auf morphologisch einfache wie komplexe Wortschreibungen als kennzeichnend. Im Bereich der -Schreibung wird der

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analytische Blick allerdings häufig zugunsten eines primären Bezugs auf die regelhafte Phonem-Graphem-Korrespondenz von /iː/ und vernachlässigt. (4) Blickrichtung vom Wortlesen zum Wortschreiben zur Erschließung suprasegmentaler Strukturen: Die Lehrkräfte plädieren zur Erschließung von Wortschreibungen für eine gegenüber traditionellen Herangehensweisen umgekehrte Erarbeitungsrichtung vom geschriebenen zum gesprochenen Wort, kombinieren aber situationsabhängig auch beide Blickrichtungen miteinander, ohne dass es zu einer Vermischung von Sprech- und Schreib(silben)strukturen kommt. (5) Silbenorientierte Hilfestellungen zur Analyse suprasegmentaler Strukturen: Die Lehrkräfte regen silbenorientierte Hilfestellungen und insbesondere visuelle Strukturierungsformen zur analytisch-kognitiven Herleitung von Wortschreibungen an, bei der Bezüge innerhalb des geschriebenen Zweisilbers sowie zwischen Schreibung und Lautung untersucht werden. Zur Erarbeitung von Schreibungen der Strukturtypen 3 und 4 verzichten sie auf Formen der Sprechsilbenisolierung (wie z. B. silbisches Sprechen und Klatschen).  Einflussfaktoren einer handlungsleitenden Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung Für eine in den didaktischen Handlungsempfehlungen aktivierte Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung wurden folgende Rahmenbedingungen ermittelt: (1) Konfundierung bzw. Gleichschaltung von lautsprachlichen und schriftsprachlichen Wortstrukturen: Die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung spiegelt sich insbesondere dann in den didaktischen Handlungsempfehlungen wider, wenn die spezifischen Schriftstrukturen nicht mit der funktionalen Markierung von Vokallänge oder -kürze in Verbindung gebracht werden und daher auf direkte Phonem-Graphem-Zuordnungen verwiesen wird. Doch auch im Bereich von Silbengelenkschreibungen werden in vielen Fällen unterrichtspraktische Zugänge angeführt, die die Funktionalität der Doppelkonsonantenbuchstaben bzw. und sowohl als Markierung von Vokalkürze als auch als graphematisches Äquivalent zweier artikulierter Konsonanten im Gesprochenen präsentieren. Segmentale ‚Hörbarkeit‘ und suprasegmentale Untersuchungen gehen in diesen Handlungsempfehlungen häufig Hand in Hand, sodass die Arbeit mit pro-

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totypischen Zweisilbern oftmals vor allem als methodische Unterstützung oder Ergänzung eines (überlautierenden) segmentalen Erklärungsansatzes aufgefasst wird. (2) Fehlende oder begrenzte Aktivierung eines analytischen Blicks auf Silben- und Wortstrukturen: Empfehlungen zur analytischen Auseinandersetzung mit Wortstrukturen bzw. silbischen Strukturpositionen werden im Umgang mit Schreibungen des Kernbereichs nicht, nur punktuell und/oder nur im Umgang mit Schreibungen aktiviert, die in einen Zusammenhang mit Vokalquantitäten im gesprochenen Wort gebracht werden. Teilweise kann der nicht oder nur begrenzt handlungsrelevante Blick auf Strukturen innerhalb des Wortes darauf zurückgeführt werden, dass die Lehrenden die Silbe insgesamt als Abfolge von Einzelsegmenten auffassen und ihnen u. U. gar kein Konzept zur funktionalen Betrachtung von silbischen Strukturpositionen bekannt ist; z. T. scheint er aber auch damit zusammenzuhängen, dass die Lehrkräfte funktionale Grenzen silbenstruktureller Analysen erleben (s. dazu Punkt 4) und einen Bezug auf die auditive Wahrnehmung der zu verschriftenden Einzellaute letztlich als hinreichenden Zugang wahrnehmen. (3) Blickrichtung vom Wortlesen zum Wortschreiben zur Unterstützung eines lautbasierten Zugangs: In den Feinanalysen der Interviewtexte konnte gezeigt werden, dass einige Lehrkräfte, die eine didaktischkonzeptionelle Blickrichtung vom Wortlesen zum Wortschreiben als handlungsleitend ausgeben, analytische Auseinandersetzungen mit geschriebenen Wörtern zur Herausstellung der angenommenen ‚Hochlautung‘ empfehlen. Zum Teil deutet sich auch für sprechsilbische Hilfestellungen wie das silbenrhythmische Gliedern von Wörtern an, dass sie – ohne eine bewusste Berücksichtigung der phonologischen ‚Inputbedingungen‘ (z. B. fester konsonantischer Anschluss bzw. Ambisilbizität als lautsprachliches Korrelat der Silbengelenkschreibung) – eine Gleichschaltung von Schreib- und Sprechebene provozieren oder zumindest begünstigen. (4) Konzentration auf Strukturen der Hauptsilbe von prototypischen Zweisilbern: Im Unterschied zu den Lehrkräften, für die eine handlungsleitende Orientierung an Schrift- und speziell Silbenstrukturen im zweisilbigen graphematischen Fuß festgestellt wurde, beziehen die hier betrachteten Lehrer/-innen Untersuchungen der Silbenstruktur häufig nur auf die Hauptsilbe, was sich insbesondere im Umgang mit Wortschreibungen des Strukturtyps 3 und 4 sachstrukturell als problematisch erweist: Mit dem besetzten Endrand der Hauptsilbe allein kann

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das graphematische Erfordernis von Doppelkonsonantenbuchstaben in Wörtern wie nicht begründet werden – was die Lehrkräfte z. T. auch selbst problematisieren und sie in der Folge zur Rückkehr zu einer segmentalen, überlautierenden Zugriffsweise bewegt. Möglicherweise wird der Bezug auf die Silbenstruktur aufgrund dieser Konzentration auf die Hauptsilbe in Schreibungen mit silbeninitialem mehrheitlich nicht aktiviert, da in Schreibungen wie der Anfangsrand der graphematischen Reduktionssilbe in den Blick genommen werden müsste. Dass die Lehrkräfte notwendige silbenstrukturelle Bedingungen kennen, die regelhaften Strukturen aber nicht erschöpfend nutzen, wird überdies darin sichtbar, dass sie auch dann, wenn sie mit einer Silbenhaus-Variante für Silbengelenkschreibungen arbeiten, die die phonologischen Anschlussverhältnisse zwischen Haupt- und Reduktionssilbe visualisiert (s. Silbenhaus-Variante C des ABC der Tiere), keine funktionale Verbindung zwischen Schreibung und Lautung herstellen. (5) Fehlendes (eigenes) didaktisches Handlungsrepertoire: Die Lehrkräfte geben z. T. explizit an, dass ihnen alternative Erklärungsansätze und -instrumente zu einer segmentalen oder teilweise auf Memorieren angelegten Zugriffsweise fehlen, weshalb sie mitunter ‚zähneknirschend‘ auf das Training der ‚Hochlautung‘ setzen (s. Typ I). Die dem Typ II zugeordneten Lehrpersonen weisen darüber hinaus den Aufbau und das methodische Instrumentarium des verwendeten Lehrgangs als entscheidende Richtlinie ihrer Handlungsorientierungen im Unterricht aus, zeigen sich aber in den anforderungsspezifischen Interviewteilen B und C, in denen sie nicht unmittelbar auf die genutzten Lehr-Lern-Materialien zugreifen können, hinsichtlich der eigenen Handlungsempfehlungen unsicher. Teilweise geraten sie bei dem Versuch, Schreibungen in Referenz auf das Lehrgangsvorgehen über silbenstrukturelle Analysen zu erklären, ins Wanken und empfehlen schließlich doch lautierende Zugänge.  Einflussfaktoren einer im Handlungsbezug verblassenden Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung Wie bereits dargestellt wurde, zeigte sich das Verblassen der Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung in erster Linie im Umgang mit Silbengelenkschreibungen und eher selten im Bereich des silbeninitialen . In

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der vertiefenden Analyse konnten folgenden Motive und Erscheinungsformen des ‚Verblassens‘ festgestellt werden: (1) Erfahrungsbasierte Abwendung von einzellautierenden Zugängen: Einige der befragten Lehrpersonen beschreiben Situationen aus dem eigenen Unterricht, in denen sie Formen des deutlichen Sprechens und Hörens von Wörtern zur Ableitung der Wortschreibung als zu voraussetzungsreich und/oder wenig verlässliche Entscheidungsgrundlage für Schreibanfänger/-innen erlebt haben. In ihren Äußerungen deutet sich dabei oftmals eine durch die Vermittlungspraxis angestoßene (unbewusste) Identifikation der Schriftlastigkeit einzellautfokussierter Zugänge an, die sie dazu bewegt, ihre Annahme einer grundsätzlichen segmentalen Ableitbarkeit der Schreibung aus der Lautung im didaktischen Handlungsbezug zugunsten ‚verlässlicherer‘ Zugriffe fallen zu lassen. Dabei zeigte sich, dass die Lehrkräfte vorwiegend im Bereich der Silbengelenkschreibungen alternative Zugänge zu einer rein segmentalen Begründung der Wortschreibung formulieren: Wird für die graphematischen Strukturen (hier vor allem für Doppelkonsonantenbuchstaben) ein funktionaler Bezug zum Gesprochenen, d. h. in erster Linie die Markierung von Vokalkürze, erkannt, so nehmen die Lehrkräfte eine Konzentration auf die Ermittlung der Vokalquantität und daraus abzuleitender Konsequenzen für das geschriebene Wort als geeignetere Zugriffsweise als die (über-)lautierende Durchgliederung von Wörtern wahr. Für Wörter mit silbeninitialem wird hingegen in der Regel kein funktionaler Bezug zur Vokalquantität hergestellt, sodass die Orientierung an einer schriftinduzierten Lautung in diesem Bereich der Wortschreibung zumeist in den didaktischen Handlungsempfehlungen reproduziert wird. (2) Überwindung einzellautierender Zugänge durch einen formal-analytischen Blick auf Wortstrukturen: Andere Lehrpersonen überwinden Zugriffe auf die Wortschreibung, die an einer schriftinduzierten Lautung orientiert sind, durch eine analytische Beschäftigung mit – v. a geschriebenen – Wortstrukturen. Nicht selten erweist sich das dabei angegebene methodische Instrumentarium als ausschlaggebend für Erklärungsansätze, die entweder gänzlich ohne den Bezug zur Lautung auskommen oder durch die Blickrichtung vom geschriebenen zum gesprochenen Wort suprasegmentale Bezüge zwischen beiden Sprachebenen aktivieren. In diesem Zusammenhang kann der häufig, teilweise sogar konsequent angeregte Einsatz visueller Strukturierungsformen dafür verantwortlich gezeichnet werden, dass Schwie-

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rigkeiten einer Erarbeitungsrichtung vom gesprochenen zum geschriebenen Wort umgangen werden. So ist die Lehrerin L03 beispielsweise in der Lage, ihren zunächst in Betracht gezogenen silbisch-überlautierenden Zugriff auf Doppelkonsonantenschreibungen durch den im Silbenhaus-Modell angelegten Blick auf graphotaktische Gesetzmäßigkeiten zu überwinden (s. 8.2.3). Ähnliches wurde für die Lehrerin L01 im Umgang mit dem silbeninitialen beobachtet (s. 8.2.4). Der strukturelle Blick auf Wortschreibungen scheint ihnen in diesen Fällen einen handlungs- bzw. entscheidungstauglichen Zugang zu liefern, der den Bezug auf eine ‚saubere‘ Aussprache entbehrlich macht. Deutlich wurde in diesen differenzierten Betrachtungen zum Verhältnis von sachanalytischen Zugriffen und didaktischen Handlungsempfehlungen, dass die Mehrheit der befragten Lehrpersonen den Lerngegenstand Wortschreibung nicht ohne den Bezug zur Wortlautung betrachtet. Viele Lehrer/-innen greifen den „Eigenstatus der Schrift“ (Mesch 2015c, S. 219) in ihren Empfehlungen für didaktische Erarbeitungskontexte nicht oder nur in Bezug auf spezifische Strukturen der Wortschreibung auf. Dabei erfolgt die sachanalytische Begründung von Schreibungen häufig auf der Basis einer Wortlautung, die ihrerseits bereits von dem Wissen über die Schreibung überformt wird. Als Kernstück der Untersuchung erwies sich letztlich die Auseinandersetzung mit der Frage, ob und unter welchen Bedingungen die Lehrpersonen im Vermittlungskontext in der Lage sind, „ihre ‚Schriftbrille‘ abzulegen“ (Riegler und Wiprächtiger-Geppert 2016, S. 206). Es zeigte sich, - dass eine Gruppe der Lehrenden ihre ‚Schriftbrille‘, also Vorstellungen von der Ableitbarkeit der Schreibung aus einer (unbewusst) schriftgeprägten Lautung, auch im didaktischen Kontext kaum ablegt. Zwar konnte für diese Gruppe eine verstärkte Beschäftigung mit Silbenstrukturen in den didaktischen Handlungsempfehlungen festgehalten werden, die aufgesteckten ‚Silbengläser‘ verändern den Blick auf den Gegenstand jedoch nicht entscheidend: Auch in den aufgezeigten unterrichtspraktischen Zugängen werden phonologische und graphematische Wortstrukturen miteinander vermischt und tragen bisweilen zu einer sachstrukturell wie didaktisch problematischen Gegenstandspräsentation bei. - dass einige Lehrkräfte die ‚Schriftbrille‘ zwischenzeitlich ablegen, weil sie erfahrungsgemäß keine klare Sicht auf den Gegenstand

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garantiert, sie sie aber bei (sachstrukturellen) Unsicherheiten doch wieder aufsetzen. - dass einige wenige Lehrende die ‚Schriftbrille‘ in den didaktischen Handlungsempfehlungen gänzlich ablegen, da sie in schriftsprachanalytischen Zugängen verlässliche Orientierungspunkte für eine erfolgreiche Schreibentscheidung finden. Zum Teil bewahren aber auch diese Lehrkräfte die Brille für den Notfall in Reichweite auf. Deutlich wurde jedoch auch, dass alle befragten Lehrkräfte – auch die ‚Schriftbrillenträger/-innen‘ – Probleme (über-)lautierender Zugriffe auf Wortschreibungen wahrnehmen und sich um alternative Zugriffe auf den Lerngegenstand bemühen, für die sie vor allem den frühzeitigen Einbezug suprasegmentaler, insbesondere silbischer Merkmale anführen. Anders als in der Studie Hofmanns (2008), in der die Autorin weitgehend einseitige, auf das Memorieren ‚orthographischer‘ Schreibungen ausgerichtete Handlungsempfehlungen der befragten Lehrkräfte feststellt (s. 3.2), führt die Mehrheit der hier untersuchten Lehrer/-innen Formen operativ-strategischer Zugriffe auf die Wortschreibung an. Wie demonstriert wurde, ‚hinkt‘ das sachstrukturelle Gegenstandsverständnis dem didaktischen Bemühen um sachstrukturell stimmige konzeptionelle Veränderungen jedoch in vielen Fällen hinterher. Aus diesem Grund ließen sich häufig nur teilsystematische Vorgehensweisen zur Erschließung der Kernwortschreibung bzw. eine Mischung aus lautierenden, (pseudo-)suprasegmentalen und auf kasuistisches Regellernen ausgerichteten Zugriffen erkennen. Nicht ignoriert werden können in diesem Zusammenhang wiederum die Angaben der Lehrkräfte zu den wahrgenommenen Erfolgen ihres Handelns: Auch die Lehrkräfte, deren konzeptionelle Neuorientierung als nur bedingte Veränderung gegenüber ‚herkömmlichen‘ Herangehensweisen eingeschätzt wurde, erleben deutliche Erfolge ihrer veränderten didaktischen Ausrichtung, die sie in erster Linie auf die positiven Einflüsse der Silbenorientierung und der Auseinandersetzung mit regelhaften Schriftstrukturen von Anfang an zurückführen. Inwiefern die beschriebenen Erfolge tatsächlich messbar sind, kann in der vorliegenden Studie nicht geprüft werden. Die differenzierten (Fall-)Analysen zeigten aber einige Aspekte auf, die unter Umständen dazu beitragen, dass sachstrukturelle und didaktische Schwierigkeiten der Lehrenden – bei angemessener Umsetzung – in unterrichtlichen Erarbeitungskontexten aufgefangen bzw. kompensiert werden können: So heben die Lehrkräfte, die mit dem Lese- und Schreiblehrgang ABC der Tiere arbeiten, dessen systematischen Aufbau sowohl für die eigene Handlungssicherheit als Lehrende als auch für die

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inhaltliche Erschließung des Schriftsystems durch die Lernenden positiv hervor. Möglicherweise treten die Schwierigkeiten, die die Lehrenden in der Interviewsituation offenbarten, im tatsächlichen Unterrichten durch eine sehr strikte Orientierung am Lehrgangsmaterial nicht auf oder fallen weniger ins Gewicht. Darüber hinaus wurde bei anderen Lehrpersonen beobachtet, dass der konsequente Einsatz von silbenstrukturellen Analysewerkzeugen ihre sachstrukturellen Unsicherheiten zu überlagern vermag. Auf der anderen Seite wurden in den erhobenen Daten auch Anzeichen dafür ermittelt, dass der sachangemessene Einsatz eines unterrichtspraktischen Instrumentariums die Lehrenden nicht von der Durchdringung des dahinter stehenden Lerngegenstandsverständnisses befreit. So wurden Beispiele aufgezeigt, in denen die Lehrpersonen sprech- und schreibsilbenstrukturelle Untersuchungsformen des Lehrgangs als handlungsleitende ‚Werkzeuge‘ zur Erarbeitung der Kernwortschreibung ausweisen, im Anwendungskontext aber nicht zwischen spezifisch phonologischen und spezifisch graphematischen Wortstrukturen unterscheiden. Die didaktische Tragweite entsprechender lehrgangsgestützter, aber u. U. nicht ausreichend reflektierter Zugänge zur Wortschreibung ist vor diesem Hintergrund infrage zu stellen. Beobachtet wurde in diesem Kontext aber auch, dass sich die Argumentationen der Lehrkräfte anhand von silbenorientierten Hilfestellungen weniger anfällig für eine Konfundierung von Schreibund Sprechsilbenstrukturen erwiesen, wenn sie konsequent aus der Blickrichtung vom geschriebenen zum gesprochenen Wort erfolgten. Welche möglichen Schlussfolgerungen sich daraus für eine zielführende und methodisch angemessene Anleitung und Unterstützung schriftsprachlicher Lernprozesse durch die Lehrperson ableiten lassen, soll neben Reflexionen zu den globaleren Erkenntnissen der Untersuchung im folgenden Ausblick der Studie diskutiert werden.

10 Ausblick Die vorliegende Studie hat differenzierte Einblicke in die sachanalytischen Zugriffe auf die Wortschreibung, in die didaktischen Handlungsorientierungen der Lehrenden sowie in das Zusammenwirken dieser Komponenten gewährt. Welche Relevanz die dargestellten Ergebnisse für das zentrale Anliegen schriftsprachdidaktischer Forschung besitzen, die Gelingensbedingungen nachhaltiger schriftsprachlicher Lehr-Lern-Prozesse möglichst klar zu definieren, soll im Rekurs auf die (Streit-)Themen des gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskurses reflektiert werden. Die Ergebnisse mögen zunächst als Beleg dafür gesehen werden, dass die Untersuchungsgruppe der in der Forschung übereinstimmend formulierten Forderung, die Lehrenden müssten über ein tiefes Gegenstandsverständnis und Möglichkeiten seiner angemessenen didaktischen Modellierung verfügen, also generell „auf dem Niveau der Fachdiskussion sein“ (Böhm und Mehlem 2015a, S. 182), nicht gerecht wird. Bei genauerer Betrachtung greift diese Einschätzung aber zu kurz, denn: Die befragten Lehrpersonen beziehen sich in ihren Ausführungen zum eigenen Schriftsprachunterricht nicht nur auf zentrale Aspekte, die gleichfalls den derzeitigen schriftsprachdidaktischen Diskurs maßgeblich bestimmen, sondern gewähren auch differenzierte Einblicke in ihre Wahrnehmung und ihren Umgang mit noch nicht (befriedigend) gelösten schriftsprachdidaktischen Fragen. Dies machte schon das Eingangszitat in der vorliegenden Arbeit deutlich und zeigte sich in den weiteren untersuchten Interviewtexten auf vielfache Weise. So reflektierten die Lehrkräfte über (1) das Mit-, Nebenoder Nacheinander von Erst-/Text- und Richtigschreiben, (2) den funktionalen (Mehr-)Wert der Silbenorientierung zur Erschließung der Wortschreibung, (3) das Verhältnis zwischen Lesen- und Schreibenlernen, (4) die ‚Zumutbarkeit‘ formalanalytischer Zugänge zur Wortschreibung für Lernende und (5) die wahrgenommene Qualität didaktischer Unterstützungssysteme. Dabei wurden zum einen Muster aufgedeckt, die die ‚Streitbarkeit‘ der im wissenschaftlichen Diskurs z. T. scharf diskutierten Themen untermauern, zum anderen aber auch Aspekte identifiziert, die die Lehrenden allem Anschein nach für weniger problematisch halten oder schon für sich gelöst haben. Letzteres konnte u. a. für die oft problematisierte stärkere Präsenz der Lehrperson in einem einphasig modellierten Schriftsprachunterricht, aber auch für die sprachlich-kognitive ‚Zumutbarkeit‘ silbenorientierter

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Schröder, Der Lerngegenstand Wortschreibung aus der Sicht von Lehrenden, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24828-4_10

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bzw. generell (schrift-)sprachanalytischer Zugänge festgestellt werden: Beide Komponenten wurden von der großen Mehrheit der Befragten als unproblematisch dargestellt. Weiterhin bestehender Klärungsbedarf wurde hingegen für folgende Bereiche ermittelt: (1) Die Umsetzung einphasig modellierter Lehr-Lern-Prozesse: Nicht ob, sondern wie freie Schreiberfahrung im Verfassen eigener Texte und systematische Erarbeitungsformen der deutschen Kernwortschreibung zielführend miteinander verknüpft werden können, ist für die meisten der befragten Lehrpersonen noch nicht ausreichend geklärt. (2) Die Umsetzung einer sachangemessenen und didaktisch zielführenden Silbenorientierung: Nicht ob, sondern wie die Orientierung an suprasegmentalen und v. a. silbischen Strukturen dem Lerngegenstand Wortschreibung, aber auch den Handlungsanforderungen Lehrender wie Lernender gerecht werden kann, erweist sich in den Auswertungen der Interviewdaten als zentraler Reflexionsinhalt. (3) Die leitende Erarbeitungsrichtung zur Anregung von Einsichten in die Wortschreibung: Nicht ob, sondern inwieweit der Ausgang vom geschriebenen Wort den Aufbau von Wortschreibungskompetenz unterstützen kann, wird von den Lehrenden thematisiert. Im konkreten Anwendungsbezug dominieren Zugänge über die Lautung die Lerngegenstandszugriffe der Lehrer/-innen, d. h., die Schreibrichtung (vom gesprochenen zum geschriebenen Wort) ist in vielen Fällen trotz anerkannter Relevanz der Leserichtung erarbeitungsleitend. Die Frage nach dem funktionalen Wert der Erarbeitungsrichtung vom geschriebenen zum gesprochenen Wort für den konkreten Schreibprozess scheint für sie noch nicht ausreichend geklärt zu sein. Dies geht teilweise auch mit dem erlebten Potenzial der Silbe als Einheit des Schreibenlernens einher: Weisen alle Lehrer/-innen der Untersuchungsgruppe übereinstimmend auf das Unterstützungspotenzial silbischer Strukturierungen für das Lesen hin, stoßen viele bei den skizzierten silbischen Zugängen zur Schreibung auf deren Grenzen (siehe (2)). Da die vorliegende Studie aufgrund des Stichprobenumfangs von nur 18 Untersuchungspersonen und des stark begrenzten untersuchten Wortmaterials lediglich fallbezogene Tendenzen ermitteln kann, lässt sie selbstverständlich keine repräsentativen Schlussfolgerungen für den Umgang

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Lehrender mit der deutschen Wortschreibung im Kernbereich zu. Bei der Interpretation der Ergebnisse und insbesondere der aufgezeigten sachstrukturellen und didaktischen ‚Brüche‘ in den Ausführungen der befragten Lehrkräfte ist zudem zu berücksichtigen, dass die Datenerhebung in Form von einmalig geführten Interviews und dem dabei naturgemäß empfundenen unmittelbaren Äußerungsdruck gewisse Widersprüchlichkeiten begünstigt. Darüber hinaus handelt es sich bei den erhobenen Daten ausschließlich um Selbstauskünfte der Lehrpersonen – Aussagen zu ihrem tatsächlichen Unterrichtshandeln und -erfolg kann die vorliegende Studie nicht treffen. Die qualitative Analyse der vielschichtigen Begründungszusammenhänge, die die Einzelpersonen für ihren Umgang mit Wortschreibungen formulieren, liefert aber dennoch wissenschaftlich anschlussfähige Hinweise dazu, welche Rahmenbedingungen geschaffen werden können, damit Lehrende schriftsprachliche Lernprozesse in einer stimmigen Verknüpfung der Sachstruktur des Gegenstands mit didaktisch-methodischen Erarbeitungswegen anregen. Im Rückbezug auf das leitende Untersuchungsziel werden im Folgenden Hypothesen zu förderlichen Rahmenbedingungen schriftsprachdidaktischer Lehr-Lern-Prozesse aufgestellt und in Verknüpfung mit Empfehlungen zu weiterführenden (empirischen) Untersuchungen dargestellt: Hypothese 1: Undifferenzierte Kenntnisse Lehrender zur suprasegmental bestimmten Beziehung zwischen Wortschreibung und Wortlautung schränken ihre Chancen ein, das ‚kognitive Potenzial von Schrift‘ (vgl. Böhm und Mehlem 2015b, S. 113) in didaktischen Anwendungskontexten auszuschöpfen. Die Auswertungen der vorliegenden Interviewstudie haben gezeigt, dass es Lehrenden, deren sachstrukturelle Vorstellung von der Wortschreibung auf eine schriftinduzierte und somit zwangsläufig an Einzelsegmenten orientierte Lautung bezogen ist, nur selten gelingt, diese Perspektive im Bemühen um didaktisch zielführende Lerngegenstandszugänge aufzugeben. Selbst dann, wenn sie sich bewusst segmentübergreifenden Strukturen zuwenden, bleiben die daran geknüpften methodischen Handlungsempfehlungen oftmals einem segmentalen Grundverständnis verhaftet. In Übereinstimmung mit Jagemanns Erkenntnissen zum Wissen und zur Veränderbarkeit des Wissens angehender Lehrkräfte (vgl. u. a. Jagemann und Weinhold 2017) erscheinen Kooperationen zwischen Sprachwissenschaft und Sprachdidaktik v. a. in folgender Hinsicht zwingend erforderlich: Damit (angehende) Lehrende Bezüge schriftsprachlicher Strukturen zum Sprachsystem und speziell zur Lautung herstellen und adäquat

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nutzen können, ist eine Erarbeitung explizit schriftsystematischer Inhalte in Aus- und Weiterbildung unumgänglich. Darüber hinaus ist aus der Professionsforschung bekannt, dass die Implementierung neuer Ansätze und Lerngegenstandskonzepte kognitiv „tief greifende[r] Umstrukturierungsprozesse“ (Reusser und Pauli 2014, S. 654) und der kritischen Reflexion ‚alter‘ Herangehensweisen durch die Lehrenden bedarf, damit sachinadäquate Handlungsroutinen durchbrochen werden können (vgl. ebd.). Hypothese 2: Das theoretische Potenzial silbenstruktureller Zugänge zur deutschen Kernwortschreibung kann (nur) dann didaktisch ausgeschöpft werden, wenn Lehrkräfte in der Lage sind, phonologische und graphematische Strukturen getrennt voneinander zu betrachten und auf dieser Grundlage wechselseitige Bezüge zwischen Gesprochenem und Geschriebenem didaktisch zu modellieren. Aufgrund der unter Hypothese 1 angeführten Problematik werden differenzierte Kenntnisse der Lehrkräfte zu Strukturen des prototypischen phonologischen158 und graphematischen zweisilbigen Fußes als Voraussetzung dafür betrachtet, dass sie Schüler/-innen bei der systematischen Erschließung der Wortschreibung, auch in ihrer Funktionalität für das Reund Dekodieren von Wörtern, zielführend unterstützen können. Nur wenn ein Bewusstsein darüber besteht, dass sich weder sprech- noch schreibsilbische Analysen in der Bestimmung ihrer Einzelsegmente erschöpfen, sondern sie ‚echte‘ suprasegmentale Zusammenhänge in und zwischen Haupt- und Reduktionssilbe sichtbar machen, können Lehrende sich die Systematik des Gegenstands im eigenen didaktischen Handeln zunutze machen. In diesem anspruchsvollen Bemühen äußern die in der vorliegenden Studie befragten Lehrer/-innen z. T. selbst den Wunsch einer phasenübergreifenden wissenschaftlichen Unterstützung bei der Modellierung der Wortschreibung. Die Etablierung von Formen des „continued support“ (Fresch 2003, S. 838), die v. a. in der englischsprachigen Forschung als wesentliches Element der Expertiseentwicklung von Lehrenden ausgewiesen wird, kann also mitunter auch als eine wichtige Aufgabe der schriftsprachbezogenen Lehrerbildung in Deutschland aufgefasst werden.

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Diese Anforderung wird in der vorliegenden Studie vor allem für die phonologischen Inputbedingungen der Silbengelenkschreibung sichtbar: Verfügen Lehrkräfte hierbei über Kenntnisse zur Ambisilbizität bzw. zu den spezifischen Anschlussverhältnissen, gelingt es ihnen vermutlich leichter, die Doppelkonsonantenschreibung als funktionale Markierung auf der Ebene der Schreibung darzustellen.

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Hypothese 3: Der sachstrukturell und didaktisch stimmige Einsatz unterrichtsmethodischer Hilfsinstrumente zur Erschließung der Kernwortschreibung bedarf einer begrifflich und konzeptuell klaren Differenzierung zwischen Merkmalen der Lautung bzw. Sprechsilbe und Merkmalen der Schreibung bzw. Schreibsilbe. Wie die Auswertungen gezeigt haben, können die Lehrenden eigene sachstrukturelle Schwierigkeiten z. T. mithilfe der systematisch angelegten Progression von Lehrwerken und Analysewerkzeugen, die an den für die Kernwortschreibung grundlegenden Silbenstrukturen orientiert sind, überwinden. Die zielführende Nutzung silbenorientierter Hilfestellungen scheint aber nur dann zu gelingen, wenn die Erarbeitungsrichtung – vom gesprochenen zum geschriebenen Wort oder umgekehrt – eindeutig ausgewiesen und die spezifischen Wirkmechanismen sprech- und schreibsilbischer Strukturen berücksichtigt werden. In den Interviews konnte den Erläuterungen der Lehrenden zum Einsatz von Hilfestellungen wie dem Silbenhaus-Modell häufig nicht klar entnommen werden, ob sie auf die Schreiboder Sprechsilbenebene referieren, zumal Begriffe der Lautung generell häufig zur Beschreibung von Merkmalen der Schreibung genutzt wurden (und umgekehrt). Letzteres gilt jedoch auch für wissenschaftliche Darstellungen des Schriftsystems: Wie schon im theoretischen Teil der vorliegenden Arbeit problematisiert, gestaltet sich die terminologisch saubere Trennung von laut- und schriftsprachlichen Strukturen auch in der Fachliteratur schwierig, sodass für graphematische Strukturen nicht selten phonologische Begriffe verwendet werden. Inwiefern die aus der Perspektive der Lehrenden ermittelten schriftsprachdidaktischen Stolpersteine bereits hier ihren Anfang nehmen, stellt meines Erachtens eine berechtigte und zu prüfende Frage dar. Für die schriftsprachdidaktische Forschung ergeben sich aus den zuvor formulierten Hypothesen aus meiner Sicht zudem folgende weiterführende Fragen: - (Inwiefern) Erzielen silbenstrukturelle Konzeptionen größere messbare Erfolge als in den bisherigen Wirksamkeitsstudien, wenn die Lehrenden nachweislich über sichere Kenntnisse zu Sprech- und Schreibsilbenstrukturen, zu phonologischen und graphematischen Worteigenschaften und ihrer komplexen Beziehung zueinander verfügen? - (Inwiefern) Ist die dafür nötige umfassende (und aufeinander zu beziehende) sprachwissenschaftliche und -didaktische Lehreraus-

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und -weiterbildung leistbar, insbesondere vor dem Hintergrund eines nicht geringen Anteils fachfremd unterrichtender Lehrender im Schriftsprachunterricht der Grundschule? - (Inwiefern) Können sachanalytisch differenziert ausgearbeitete und methodisch-konzeptionell eindeutige Lehr-Lern-Materialien gegebenenfalls fachliche Defizite der Lehrenden kompensieren? - (Inwiefern) Liefern Untersuchungen zum Zusammenwirken des Wortschreibenlehrens und -lernens mit den weiteren Teilbereichen des Schriftsprachunterrichts – dem (Wort-)Lesen und Texteschreiben – didaktisch aufschlussreiche Erkenntnisse für die Zugriffe und Unterstützungsbedarfe von Lehrpersonen im Umgang mit dem Lerngegenstand Wortschreibung? „Also ich würde mir (-) wünschen, dass (--) Lehrer besser (-) sich informieren, (-) das ernster betreiben“ (L04, 50) – mit diesem Wunsch der Lehrerin L04 für die eigene Berufsgruppe wurde die vorliegende Arbeit eröffnet. Das ‚ernsthafte‘ und engagierte Bemühen um eine schriftsprachdidaktisch zielführende Erarbeitung der Wortschreibung kann für die hier untersuchten Lehrpersonen als erfüllt gelten. Dass sie für ein erfolgreiches Bemühen auf fachlich fundierte und differenzierte Angebote der eigenen Aus- und Weiterbildung sowie sachangemessene didaktische Unterstützungssysteme angewiesen sind, wurde in der vorliegenden Arbeit deutlich herausgestellt. Auf welche Weise diesem Bedarf in der Didaktik möglichst umfassend begegnet werden kann, wird in der Verknüpfung von unterschiedlichen Perspektiven (a) der am Schriftsprachunterricht beteiligten Akteure und (b) der mit Schriftsprachunterricht befassten Sprachwissenschaftler/-innen und Sprachdidaktiker/-innen weiter auszuloten sein. Werden Untersuchungen wie die vorliegende mit dem Ziel eines engagierten Doppelpassspiels zwischen unterrichtspraktischen Erfahrungswerten und wissenschaftlichen Reflexionen angelegt und rezipiert, können sie bedeutende didaktische (Weiter-)Entwicklungen und nachhaltige Veränderungen anstoßen.

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582

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Anhang

Anhang A: Inputmaterialien der Interviews

584

A.1 Inputschreibungen des Intervieteils B

584

A.2 Materialauszüge des Interviewteils C

586

Anhang B: Übersicht über die verwendeten Transkriptionszeichen

589

Anhang C: Arbeitsprotokollbögen für Strukturtyp 4 und die Fehlschreibung *

593

Anhang D: Arbeitsprotokollbögen zur Einzelfallanalyse L07

597

Anhang E: Ergänzend kodierte Oberkategorien der Kategorienteilsysteme A, B und C

599

Anhang F: Interviewleitfaden

601

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Schröder, Der Lerngegenstand Wortschreibung aus der Sicht von Lehrenden, https://doi.org/10.1007/978-3-658-24828-4

584

Anhang

Anhang A: Inputmaterialien der Interviews A1. Inputschreibungen des Interviewteils B

Beispiel 1

Ein Schüler der 5. Klasse verwendet in einem Text die richtige Schreibung schaffen, äußert im Gespräch aber Zweifel an der korrekten Schreibung: „Man könnte es auch mit einem schreiben, man hört es einfach nicht in dem Wort, dass es mit Doppel- ist.“

Beispiel 2 Eine Schülerin der 5. Klasse schreibt in der HSP folgende Wörter:

Früstüksei Giskanne

Anhang

585

Beispiel 3 Ein Schüler der 5. Klasse schreibt in einem Lückendiktat blüen (für blühen) und verblüten (für verblühten). Er äußert sich zur Schreibung von *verblüten auf Nachfrage folgendermaßen:

„Da hab ich auch die Befürchtung, dass da ein reinkommt.“ Er gibt an, dass dieses vor oder nach dem kommen könnte, und erklärt: „Ein hört man nicht so oft (…) eigentlich gar nicht. (…) zur Verlängerung oder so? Keine Ahnung.“ Zugrundeliegender Textausschnitt: (…) Diese Gefahr droht besonders in Zeiten, in denen die Pflanzen in der Umgebung des Bienenstocks aufhören zu blühen. Jetzt ist es die Aufgabe des Imkers, den Bienenstock schnell an ein schöneres Plätzchen zu stellen. Im Sommer zum Beispiel weg von den verblühten Obstbäumen und näher zu Spätblühern wie Lindenbäumen oder Sonnenblumen.

586

Anhang

A2. Materialauszüge des Interviewteils C Die Inputmaterialien für den Interviewteil C wurden den Lehrkräften in den Interviews ohne die unter dem jeweiligen Materialauszug angeführten Quellenangaben vorgelegt.

Beispiel 1 Diese Seite zum langen und kurzen Selbstlaut stammt aus einem Arbeitsheft für Klasse 4.

© Westermann Gruppe. Seite entnommen aus: Menzel, Wolfgang (Hg.) (2010): Pusteblume. Arbeitsheft 4. Braunschweig: Schroedel.

Anhang

587

Beispiel 2 Dieses Material stammt aus einem Arbeitsheft für Klasse 2 und thematisiert die Unterscheidung von und .

© Mildenberger Verlag GmbH. Seite entnommen aus: Kuhn, Klaus (Hrsg.) (2008): ABC der Tiere 2. Spracharbeitsheft Teil B. Offenburg: Mildenberger Verlag.

Anhang

588

Beispiel 3 Dieser Merkkasten findet sich in einem Arbeitsheft zur Sprachförderung in Klasse 5.

© Ernst Klett Verlag GmbH. Merkkasten entnommen aus: Utheß, Sabine (Hrsg.) (2011): deutsch.kombi plus 1. Arbeitsheft zur Sprachförderung (Klasse 5). Stuttgart, Leipzig: Klett, S. 17.

Beispiel 4 Diese Aufgabe zum stammt aus einem Sprach- und Lesebuch für Klasse 6.

© Ernst Klett Verlag GmbH. Aufgabe entnommen aus: Utheß, Sabine (Hrsg.) (2009): deutsch.kombi plus 2. Sprach- und Lesebuch für die 6. Klasse. Stuttgart, Leipzig: Klett.

589

Anhang

Anhang B: Übersicht über die verwendeten Transkriptionszeichen (in Anlehnung an Selting, Margret et al.: Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem 2 (GAT 2). In: Gesprächsforschung. Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion, (2009) 10, S. 353–402; sowie durch freundliche Anregung von Kerrin Kamzela) Es wird grundsätzlich wörtlich und vollständig transkribiert, d. h., Wiederholungen, Unvollständigkeiten in den Aussagen und Abbrüche, grammatische Fehler etc. werden beibehalten; Rezeptionssignale werden jedoch nur bei Sprecher/-innenwechsel transkribiert. Darüber hinaus werden umgangssprachliche Formen im Sinne der Lesbarkeit geglättet (betrifft v. a. Verben, z. B. (wir) gehn  (wir) gehen, (wir) ham (wir) haben). Es wird so weit wie möglich gemäß der gültigen Orthographie transkribiert. Sprecherkennzeichnung: ES: LXX:

Initialen der Interviewerin Kürzel der/des interviewten Lehrenden

Akzentuierung akZENT

besondere/auffällige Betonung einer Silbe oder eines Wortes

Sequenzielle Struktur/Verlaufsstruktur [ [

Überlappungen und Simultansprechen (ggf. eingerückt, um die simultan gesprochenen Wörter untereinander zu stellen)

Pausen (-) (--) (---) (5sec)

kurze, mittlere, längere Pause (ca. 1-2; 2-3; 3-4 Sekunden) geschätzte Pause ab einer Dauer von 5 Sekunden

590 ((…)) [[Hinweis]]

Anhang

Auslassung zusätzliche Information (z. B. Unterbrechung durch andere Person)

Sonstige segmentale Konventionen :, ::, ::: äh, ähm

Dehnung, Längung von Segmenten, je nach Dauer Verzögerungssignale

Lachen ((lacht)) Beschreibung des Lachens Lachendes Sprechen wird als vorangestellte Beschreibung mit Angabe der Extension erfasst, d. h., die so umfassten Segmente enthalten Lachpartikeln bis zu dem Segment, nach dem die äußere Klammer '>' geschlossen wird Rezeptionssignale (werden nur bei Sprecherwechsel transkribiert) einsilbige Signale hm (neutral bis zustimmend) ja (neutral bis zustimmend) nein (verneinend) nee (verneinend) ne? fragendes Signal, das in der Regel an die Erwartung eines zustimmenden/verstehenden Signals durch den/die Gesprächspartner/-in geknüpft ist zweisilbige Signale hmhm (neutral bis zustimmend) ‘hm‘hm (verneinend) Tonhöhenbewegungen am Ende von Intonationsphrasen ? ,

steigend (Anheben der Stimme) gleichbleibend

591

Anhang

.

fallend (Absenken der Stimme, i. d. R. zum Ende einer Äußerung) Nonverbale Handlungen und Ereignisse Es werden nur solche nonverbalen Handlungen und Ereignisse notiert, die für das Gespräch relevant sind. ((blättert im Material))

Charakterisierung parasprachlicher und außersprachlicher ((seufzt)) Handlungen oder Vorgänge, ggf. mit Angabe der Dauer

{skeptisch}, {schmunzelnd}

interpretierende Kommentare

Sonstige Konventionen ( ) (sollte)

unverständliche Passage, je nach Länge vermuteter Wortlaut

/

Abbruch der Äußerung (wenn Wort abgebrochen, Satz(bau) verändert, abgebrochen und/oder ein neuer begonnen wird) silbisches Sprechen Äußerung bezieht sich auf Wort/eine Passage aus dem Inputmaterial (z. B. bei Schülerschreibungen) oder auf eine wiedergegebene wörtliche Rede innerhalb von Erzählungen aus dem Unterricht der Lehrperson

Sil.be Wort

Umgang mit Ebenen der Lautung und Schreibung , [a], [p], [ə] /p/ ü

Buchstaben (Grapheme) in spitzen Klammern (z. B. wenn der Buchstabenname gesprochen wird: [peː] =

) Laute (Phone) in eckigen Klammern Phoneme (nur bei eindeutigem Bezug auf abstrakte Einheit der Phoneme) Kursivsetzung, wenn kein klarer Bezug auf die graphematische oder phonologische Sprachebene erkennbar

592 [ˈʃɑː.fə]

[ˈblɪʦ̣ə]

Anhang

phonologische Transkription bei Thematisierung der Aussprache (v. a. Vokallänge/-kürze); der Wortakzent wird nur gekennzeichnet, wenn er klar erkennbar ist Kennzeichnung eines phonologischen Silbengelenks durch untergesetzten Punkt; Verzicht auf gesonderte Kennzeichnung von Affrikaten

Dehnungs-, silbentrennendes/-initiales

593

Anhang

Anhang C: Arbeitsprotokollbögen für den Strukturtyp 4 sowie die Fehlschreibung * Tab. 74 Arbeitsprotokollbogen für Inputschreibungen des Strukturtyps 4 1 Die vermuteten Schwierigkeiten werden zurückgeführt auf 1.1 eine ungenaue Aussprache ohne wortmediales/intersilbisches [h]. ungenaue/falsche Aussprache oder auditive Wahrnehmung 1.2 eine fehlende Wahrnehmung der Vokallänge im Wortstamm (mit Konsequenzen für die Schreibung). fehlende Differenzierung von Vokalquantitäten 1.3 eine rein phonographische Vorgehensweise mit fehlleitender 1:1-Abbildannahme zwischen Phonemen und Graphemen einzelsegmentales Vorgehen (Bezugsgröße: Lautung), fehlendes Bewusstsein über suprasegmentale Strukturen 1.4 eine fehlende Analyse der Silbenstruktur: zwischen den Silbenkernen. a) ohne Überlautung b) mit Überlautung fehlender Bezug auf Fuß-/Silbenstruktur (mit expliziter Silbennennung) 1.5 eine fehlende Analyse der Fußstruktur: zwischen zwei Vokalen. a) ohne Überlautung b) mit Überlautung fehlender Bezug auf Fuß-/Silbenstruktur (ohne explizite Silbennennung) 1.6 den fehlenden Einsatz von Problemlösestrategien. fehlender Bezug auf Morphemstruktur/konstanz 1.7 eine Missachtung von Regeln/orthographischen Konventionen (Dehnungs). fehlender Bezug auf orthographische Konvention 1.8 Sonstiges/nicht eindeutig 2 Die Erklärungsansätze beziehen sich auf

B2a *

B3a *

B3b *

594 2.1 eine (vermeintliche) 1:1-Zuordnung von zu [h]. Phonem-Graphem-Korrespondenzen: mit Überlautung 2.2 eine Differenzierung der Vokalquantitäten im Wortstamm mit Konsequenzen für die Schreibung (Dehnungs-). Differenzierung von Vokalquantitäten 2.3 ein Strukturwissen zur Silbe im Zweisilber. a) allgemein: keine zwei graphematischen Vokalkerne direkt hintereinander = (ggf. explizit) ohne Überlautung b) Anfangsrand der zweiten Schreibsilbe muss belegt sein = (ggf. explizit) ohne Überlautung c) im zweisilbigen Fuß: [h] in zweiter Sprechsilbe (silbentrennend) hörbar = mit Überlautung Fuß/Silbe(nstruktur) (mit expliziter Silbennennung) 2.4 ein Strukturwissen zum zweisilbigen Fuß. a) wortmedial nötig = ohne Überlautung b) [h] wortmedial hörbar = mit Überlautung Fuß/Silbe(nstruktur) (ohne explizite Silbennennung) 2.6 orthographisches Wissen. orthographische Konvention 2.7 Sonstiges/nicht eindeutig 3 Die Handlungsvorschläge beziehen sich auf 3.1 konsonantisch überlautierende sprech/bewegungsrhythmische/auditive Hilfestellungen im Zweisilber. sprechrhythmisch/auditiv (ohne expliziten Silbenbezug) 3.2 sprech- und bewegungsrhythmische/auditive Hilfestellungen zur Differenzierung der Vokalquantität: (stummes) Dehnungs-. sprechrhythmisch/auditiv 3.3 sprech- und bewegungsrhythmische/auditive Hilfestellungen zur Wahrnehmung oder Erschließung der Silbenstruktur im Zweisilber.

Anhang

595

Anhang

sprechrhythmisch/auditiv 3.4 visuelle Strukturierungen zur Wahrnehmung oder Erschließung der Silbenstruktur im Zweisilber. visuell strukturierend 3.5 sprachanalytische Operationen (z.B. Verlängern, Untergliedern) zur Analyse der komplexen Wortstruktur. (schrift-)sprachanalytische Operationen + Fokus Morphemkonstanz 3.6 Merkwörter, Merksätze. Merkhilfen, Merkwort, Merksatz 3.7 Sonstiges/nicht eindeutig

Einige regularitätsspezifische Anmerkungen sind auch für Strukturtyp 4 vorzubringen: Wird auf ein 2.3 Strukturwissen zur Silbe im Zweisilber oder 2.4 Strukturwissen zum zweisilbigen Fuß verwiesen, dieses aber gleichzeitig als Zugang zur Hörbarkeit des in der zweiten Silbe verstanden (s. 2.3c) oder 2.4b)), deutet dies auf die Annahme einer Gleichsetzung von Sprech- und Schreibsilbe bzw. die Vorstellung der silbentrennenden Funktion als gleichermaßen schreib- wie sprechsilbische Eigenschaft hin. In diesem Fall wird daher zusätzlich zur silbenstrukturellen Erklärung ein [x] bei 2.1 – eine (vermeintliche) 1:1-Zuordnung von zu [h] – gesetzt. Für die vertiefende Analyse des Umgangs der befragten Lehrenden mit der Fehlschreibung * im Interviewteil B wurde folgende Tabelle entwickelt: Tab. 75 Arbeitsprotokollbogen zur Inputschreibung * (Strukturtyp 1) 1 Die vermuteten Schwierigkeiten werden zurückgeführt auf 1.1 eine fehlende Wahrnehmung oder Berücksichtigung des Langvokals [i:] und seiner Entsprechung fehlende Differenzierung von Vokalquantitäten 1.2 eine fehlende Analyse der Silbenstruktur: in offener Silbe, in geschlossener Silbe. fehlender Bezug auf Fuß-/Silbenstruktur (mit expliziter Silbennennung) 1.3 den fehlenden Einsatz von Problemlösestrategien: Das Wort wurde nicht verlängert. fehlender Bezug auf Morphemkonstanz 1.4 eine Missachtung von Regeln/orthographischen Konventionen. fehlender Bezug auf orthographische Konvention

B2b *

596 1.5 Sonstiges/nicht eindeutig. 2 Die Erklärungsansätze beziehen sich auf 2.1 die regelhafte Zuordnung von [i:] zu . Phonem-Graphem-Korrespondenzen: 2.2 ein Strukturwissen zur Silbe im Zweisilber: Eine offene Silbe verlangt . Fuß/Silbe(nstruktur) 2.3 den Zusammenhang von Vokallänge und Silbenstruktur: Offene Silbe korrespondiert mit Langvokal [i:]. Fuß/Silbe(nstruktur) 2.4 die Ableitung des aus dem Wortstamm. Morphem(konstanz) 2.5 orthographisches Wissen. orthographische Konvention 2.6 Sonstiges/nicht eindeutig. 3 Die Handlungsvorschläge beziehen sich auf 3.1 sprech-/bewegungsrhythmische/auditive Hilfestellungen zur Wahrnehmung des Langvokals im Wortstamm. sprechrhythmisch/auditiv 3.2 (schrift-)sprachanalytische Operationen (z.B. Verlängern, Wörter gliedern) zur Analyse der Wortstruktur (schrift-)sprachanalytische Operationen + Morphemkonstanz a) allgemein: sprechrhythmisch/auditiv (ohne Silbenbezug) b) gesprochenes Wort: sprechrhythmisch/auditiv (mit Silbenbezug) c) geschriebenes Wort/Schriftstruktur: visuell strukturierend (mit Silbenbezug) 3.3 Merkwörter, Merksätze Merkhilfen, Merkwort, Merksatz 3.4 Sonstiges/nicht eindeutig.

Anhang

597

Anhang

Anhang D: Arbeitsprotokollbögen zur Einzelfallanalyse L07159  zum orthographischen Strukturtyp 1 (): Tab. 76 Arbeitsprotokoll * (L07) B2b *

1 Die vermuteten Schwierigkeiten werden auf 1.1 eine fehlende Wahrnehmung oder Berücksichtigung des Langvokals [iː] und seiner Entsprechung fehlende Differenzierung von Vokalquantitäten 2 Die Erklärungsansätze beziehen sich auf 2.1 die regelhafte Zuordnung von [i:] zu . Phonem-Graphem-Korrespondenzen: 3 Die Handlungsvorschläge beziehen sich auf 3.1 sprech-/bewegungsrhythmische/auditive Hilfestellungen zur Wahrnehmung des Langvokals im Wortstamm. sprechrhythmisch/auditiv

x

x

x

 zum orthographischen Strukturtyp 3 (Silbengelenkschreibungen): Tab. 77 Arbeitsprotokoll und * (L07) 1 Die vermuteten Schwierigkeiten werden auf 1.3 eine rein phonographische Vorgehensweise mit fehlleitender 1:1-Abbildannahme zwischen Phonemen und Graphemen. einzelsegmentales Vorgehen (Bezugsgröße: Lautung) 2 Die Erklärungsansätze beziehen sich auf 2.2 eine Differenzierung der Vokalquantitäten im Wortstamm mit Konsequenzen für die Schreibung (Doppelkonsonantenschreibung). Differenzierung von Vokalquantitäten

159

B1

B2a *

X

x

x

x

Hinweise zur Darstellungsweise der Arbeitsprotokolle (dazu ausführlich: 7.3.2.3): Abgebildet werden nur diejenigen Abschnitte aus den Protokollen, die für den Einzelfall relevant sind. Ein einfaches Kreuz x in der rechten Spalte steht für „trifft zu“.

598

Anhang

 zum orthographischen Strukturtyp 4 (silbeninitiales ): Tab. 78 Arbeitsprotokoll * und */* (L07) 1 Die vermuteten Schwierigkeiten werden auf 1.1 eine ungenaue Aussprache ohne wortmediales/intersilbisches [h]. ungenaue/falsche Aussprache oder auditive Wahrnehmung 1.7 eine Missachtung von Regeln/orthographischen Konventionen (Dehnungs-). fehlender Bezug auf orthographische Konvention 2 Die Erklärungsansätze beziehen sich auf 2.1 eine (vermeintliche) 1:1-Zuordnung von zu [h]. Phonem-Graphem-Korrespondenzen: mit Überlautung 2.2 eine Differenzierung der Vokalquantitäten im Wortstamm mit Konsequenzen für die Schreibung (Dehnungs-). Differenzierung von Vokalquantitäten 2.6 orthographisches Wissen. orthographische Konvention 3 Die Handlungsvorschläge beziehen sich auf 3.5 sprachanalytische Operationen (z.B. Verlängern, Untergliedern) zur Analyse der komplexen Wortstruktur. (schrift-)sprachanalytische Operationen + Fokus Morphemkonstanz 3.6 Merkwörter, Merksätze. Merkhilfen, Merkwort, Merksatz

B2a *

B3a *

B3b *

X

X

x

x

X

x

x



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Anhang

599

Anhang E: Ergänzend kodierte Oberkategorien der Kategorienteilsysteme A, B und C Tab. 79 Ergänzend genutzte Oberkategorien der Kategorieteilsysteme





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600 Anhang



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Anhang

Anhang F: Interviewleitfaden

Tab. 80 Interviewleitfaden

601



 



&KHFN±:XUGHGDVHUZlKQW" 0HPRIUP|JOLFKH1DFKIUDJHQ :QVFKHIUGHQ58LQ++6+1'6  6WHOOHQ6LHVLFKYRU6LHN|QQWHQGLH.RQ  ]HSWLRQGHV5HFKWVFKUHLEXQWHUULFKWVLQ  ,KUHP%XQGHVODQGPLWEHVWLPPHQ±  ZRUDXIZUGHQ6LH:HUWOHJHQZDV  ZUGHQ6LHYHUlQGHUQ"    )DFKOLFKH(LQVFKlW]XQJGHV  /HUQJHJHQVWDQGV  :LHZUGHQ6LH5HFKWVFKUHLEXQJDOV /HUQEDUNHLW /HUQJHJHQVWDQGLQ%H]XJDXI/HUQEDUNHLW .RPSOH[LWlW XQG.RPSOH[LWlWEHZHUWHQ"      5ROOHGHU6LOEH  (VJLEWMDLQ]ZLVFKHQYLHOH6SUDFKEFKHU VLOEHQEH]RJHQH(OHPHQWH%DXVWHLQH GLHPLWGHU6LOEHDUEHLWHQZHOFKH5ROOH 5ROOHLPYHUZHQGHWHQ0DWHULDO VSLHOWGLH6LOEHLQ,KUHP568"8QGZLH  VFKlW]HQ6LHLKUH%HGHXWXQJHLQ"    $XVZDKOGHU/HUQLQKDOWH  :RUDQRULHQWLHUHQ6LHVLFKEHLGHU .ULWHULHQIU9RUJHKHQ7KHPHQ $XVZDKOGHU/HUQLQKDOWH" :RUWDXVZDKO   %HLVSLHO'LGDNWLVFKHV9RUJHKHQEHLP  7KHPD6LOEHQJHOHQNVFKUHLEXQJHQ  6WHOOHQ6LHVLFKYRUGLHVH:RFKHZUGHQ IDFKOLFKH(UNOlUXQJGHU5HJXODULWlW 6LH'RSSHONRQVRQDQWHQWKHPDWLVLHUHQ 9RUDXVVHW]XQJHQ ZROOHQ±ZLHZUGHQ6LHYRUJHKHQZDV 3ODQXQJ:RUWhEXQJVDXVZDKO6FKULWWH ZlUH,KQHQZLFKWLJ"

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602 Anhang



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Anhang

603





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604 Anhang

Smile Life

When life gives you a hundred reasons to cry, show life that you have a thousand reasons to smile

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