Der Anfang des westlichen Rechts. Die Christianisierung der römischen Rechtskultur und die Entstehung des universalen Rechts

Karl-Heinz Ladeur entwickelt eine von der Rechtstheorie bestimmte neue Perspektive auf die römische Rechtskultur der Spätantike und deren Wandel im Prozess der Christianisierung. Damit gewichtet er auch die Bedeutung der Spätantike für die Herausbildung des neuzeitlichen Rechtsverständnisses anders. Die drei Gründungsorte der westlichen Rechtskultur, Jerusalem, Athen und Rom, bilden den Ursprung der Unruhe, die deren Evolution geprägt hat. Deren paradoxe »longue durée« hat Unterbrechungen nicht verhindert, aber die produktive wechselseitige Irritation zwischen Religion, Philosophie und Recht nie abgebrochen. Dadurch ist eine unfertige, unvollständige Rechtskultur ohne Einheit entstanden, die auf die Beobachtung und Ermöglichung des Wissens von der Welt eingestellt war. Die Bedingungen der Möglichkeit des subjektiven Rechts, der Rechtsperson, des universalen Rechts, sind in dieser Zeit entstanden. Karl-Heinz Ladeur Geboren 1943; Professor für öffentliches Recht, zunächst Universität Bremen, Europäisches Hochschulinstitut (Florenz) und zuletzt (bis zur Emeritierung) Universität Hamburg; danach (2008–12) Distinguished Bremen Professor an der Bremen International Graduate School of Social Sciences; Ehrendoktorwürde der Universität Fribourg (CH); Forschungsaufenthalte in Paris, an der Harvard und an der Stanford University.

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Karl-Heinz Ladeur Der Anfang des westlichen Rechts

Karl-Heinz Ladeur

Der Anfang des westlichen Rechts Die Christianisierung der römischen Rechtskultur und die Entstehung des universalen Rechts

Mohr Siebeck

Karl-Heinz Ladeur, geboren 1943; 1962–1967 Studium der Rechtswissenschaft (Köln und Bonn); Referendariat 1967–1971: Promotion 1976 (Bremen); Habilitation 1982 (Bremen); bis 2008 Professor für öffentiches Recht (Hamburg); 2008–2012 Honorarprofessor (Bremen International Graduate School of Social Sciences); 1994–2002 Professor am Europäischen Hochschulinstitut (Florenz); Dr. h.c. (Universität Fribourg, CH).

ISBN  978-3-16-155927-3 / eISBN  978-3-16-156233-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ biblio­graphie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mi­ kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Garamond Antiqua gesetzt und auf alterungs­beständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden.

Für Jakob und Moritz

Vorwort Der vorliegende Band schließt das Projekt „Religiöse Grundlagen des Rechts“ ab. Zuvor haben Ino Augsberg und der Verfasser einen längeren Aufsatz zum jüdischen Gesetzesbegriff geschrieben.1 In diesem Jahr hat der Verfasser dem einen Aufsatz zu Problemen des islamischen Rechts folgen lassen.2 Der Verfasser verdankt Ino Augsberg seit der gemeinsamen Arbeit am jüdischen Gesetzesbegriff und dem von der DFG geförderten Projekt „Talmudische Tradition und moderne Rechtstheorie“3 viele Anregungen zum Verhältnis von Religion und Recht.4 Für die Bestimmung des Verhältnisses von Recht und Kultur war für mich weit über die Zitate hinaus die Lektüre von Thomas Vestings vierbändigem Werk „Die Medien des Rechts“ von unschätzbarem Wert. Beide Kollegen haben das Manuskript dieses Buches vorher gelesen und mir wichtige Anregungen gegeben. Frau Isa Weyhknecht-Diehl, Universität Frankfurt, danke ich für das Korrekturlesen. Das Buch versucht auch, „Religion als Kultur“ zu lesen, darüber eine Verknüpfung mit dem Recht herzustellen und zugleich die Verwendung eines problematischen allgemeinen Begriffs des Religiösen zu vermeiden. Das Christentum hat durch seinen „unfertigen“ Charakter eine fruchtbare Beziehung sowohl zur griechischen Philosophie als auch zum römischen Recht entwickelt, ohne die es möglicherweise nicht zu deren Fortsetzung bis in die Gegenwart gekommen und beide zu Gegenständen von Spezialisten herabgesunken wären. Hamburg im Dezember 2017

1   Karl-Heinz Ladeur/Ino Augsberg, „Der Buchstaben tödtet, aber der Geist machet lebendig“?, Rechtstheorie 2009, S.  431–471. 2   Karl-Heinz Ladeur, Der Islam und sein Recht. Die Vermeidung der Unterscheidungen, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 103 (2017), S.  71–100. 3   Vgl. dazu die Beiträge in: Karl-Heinz Ladeur/Ino Augsberg (Hrsg.), Talmudische Tradition und moderne Rechtstheorie. Kontexte und Perspektiven einer Begegnung, Tübingen: Mohr 2013. 4   Vgl. auch Karl-Heinz Ladeur/Ino Augsberg, Toleranz – Religion – Recht. Die Herausforderung des „neutralen“ Staates durch neue Formen der Religiosität in der postmodernen Gesellschaft, Tübingen: Mohr 2007.

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

I.

Die römische Rechtskultur und ihre Vorleistungen für die Entstehung des neuzeitlichen Rechtsdenkens . . . . . 7 1. Das römische Recht und die Anfänge der Ausdifferenzierung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . 7 a) Gesetz und Recht in Rom und Athen . . . . . . . . . . . . . 7 b) Die „epistemische Revolution“ (A.  Schiavone) des römischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 c) Die Fiktion als Grundfigur des Rechts – das Operieren mit Vereinfachungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 d) Die Grenzen der internen Ausdifferenzierung des Rechts . 16 e) Recht – „mos maiorum“ – „exempla“: Die Durchlässigkeit der Grenzen des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 f) Die Grenzen der Entwicklung eines Rechtssubjekts in der römischen Rechtskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Das Recht und die Stadt als Quelle der Dynamik des Wissens 21 a) Die antike Stadt als praktischer Experimentierraum . . . . 21 b) Das Andere des römischen Rechts: das Provinzialrecht . . 22 c) Das multipolare Selbst des antiken Menschen . . . . . . . . 24 d) Das römische „ius naturale“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3. Die Kultur des römischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 a) Die kreative Ambiguität der römischen Rechtskultur . . . . 27 b) Grenzen der Abstraktionsleistung des römischen Rechts . 31 c) Die Notwendigkeit der Selbständerung als Merkmal der antiken Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

X

Inhalt

4. Römisches Recht und Religion – pagan und christlich? . . . . 34 a) Was bedeutet die Frage nach den römischen Anfängen des neuzeitlichen westlichen Rechts? . . . . . . . . . . . . . 34 b) Die römische Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 c) Die praxisorientierte Seite der paganen Religion und ihre Grenzen im Angesicht der Expansion des römischen Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

II.

Die griechische Philosophie und das neuzeitliche Subjekt . 41 1. Die griechische Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Die Entfernung der Philosophie von der Religion – ein Beitrag zur multipolaren kulturellen Ordnung . . . . . 41 b) Der Anfang der Arbeit am Selbst in Griechenland . . . . . 43 2. Inkurs zu Foucault . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 a) Das Subjekt bei Foucault . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 b) Das Subjekt und das praktische Register des Wissens der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 c) War die Antike weniger sexualfeindlich? . . . . . . . . . . . 55 d) Foucault und die Geschichte der Subjektivität . . . . . . . . 57 e) Die Multipolarität des Wissens und der „anonymen Konventionen“ (Descombes) der Gesellschaft . . . . . . . . 60 f) Die Einheit der Macht, der Souveränität und des Subjekts – eine Handlungen ermöglichende Fiktion . . . . . . . . . . . 62 g) Foucault und die Geschichtsschreibung . . . . . . . . . . . . 64

III. Die Christianisierung der römischen Rechtskultur und die Romanisierung des Christentums . . . . . . . . . . . 68 1. Was heißt Christianisierung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 a) Das Christentum als „unfertige Religion“ – Voraussetzung für die Änderung der römischen Kultur und der Selbständerung des Christentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Die wechselseitige Abstützung von römischer Kultur und Christianisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 c) Das Christentum und das römische Recht . . . . . . . . . . 73 2. Christentum – Kirche – Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Christliches Weltverständnis und antike Kosmologie . . . . 76

Inhalt

XI

b) Das Christentum und die Sicherung der „Weltheimischkeit“ des spätantiken Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 c) Die theologische Normalisierung des „persönlichen Schöpfergottes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 d) Der böse Schein der Welt und der gute Gott – das Problem der Häresien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 e) Der Wandel des Wissens und der „kulturellen Grammatik“ durch das „Studium“ der heiligen Bücher . . . . . . . . . . . 83 f) Das Buch des Lebens – und das Leben nach dem Buch . . . 84 3. Das neue christliche Subjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 a) Augustinus und die Christianisierung der Philosophie . . . 86 b) Das christliche Selbst als Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . 89 c) Das Wechselverhältnis von Christentum und griechischer Philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 d) Die weltliche Rolle der Kirche und der Bischöfe . . . . . . . 93

IV. Das römische Recht in der Spätantike und die Germanisierung der römischen Rechtskultur . . . . . . . . . 95 1. Das römische Recht in der Spätantike . . . . . . . . . . . . . . . 95 a) Der Codex-Gedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Ostrom und der Gedanke an ein universalistisches Recht . 96 2. Das römische Recht und die Germanisierung . . . . . . . . . . 98 a) Die „Romanitas“ ohne Zentrum . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Das „Einfrieren“ des römischen Rechts und das Papsttum als Platzhalter des kommenden Staates . . . . . . . . . . . . 99 c) Die Schwächung des römischen Rechts im Prozess der Germanisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Das Christentum und sein Übergang ins Mittelalter . . . . . . 100 a) Die Kirche als Erbin der römischen Rechtskultur . . . . . . 100 b) Das Papsttum als Platzhalter des kommenden Souveräns . 102 c) Von Paulus’ Antilegalismus zur kirchlichen Scholastik . . . 103 d) Die Aufbewahrung des römischen Rechts durch die Kirche 104 e) Die produktive Rolle der Germanisierung des römischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

XII

V.

Inhalt

Das Christentum im Mittelalter und die Spätfolgen der Germanisierung der römischen Rechtskultur . . . . . . . 107 1. Germanisierung des römischen Reiches und das Christentum 107 a) Zum Vergleich von Christianisierung und Germanisierung des römischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Die Germanisierung der Rechtskultur und die Krise der Städte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2 Die germanische Rechtsordnung im Mittelalter . . . . . . . . . 109 a) Bischöfe als Träger einer Ersatzverwaltung . . . . . . . . . . 109 b) Die Herrschaft der Karolinger und der Merowinger und ihr Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 Zwischenbemerkung zur Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

VI. Die Wiedergewinnung der Varietät der römischen Rechtskultur im Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Der Übergang zum kanonischen Recht des Mittelalters und der Aufschwung des römischen Rechts . . . . . . . . . . . 120 a) Die Bedeutung des kanonischen Rechts für den Übergang zum neuzeitlichen westlichen Recht . . . . . . . . . . . . . . 120 b) Der Wiederaufschwung des römischen Rechts und die städtische Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Fragmentierung als Chance und Problem . . . . . . . . . . . . 124 a) Die Wiedergewinnung der Varietät der römischen Rechtskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Ohne Scholastik kein neuzeitliches Recht! . . . . . . . . . . 127 3. Der Übergang zum Mittelalter und die Anfänge des subjektiven Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Der Niedergang der Wirtschaft und der Niedergang des Respekts vor der Würde des Menschen . . . . . . . . . . 128 b) Die Scholastik als eingelagerte Form der Rationalität des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 c) Voraussetzung des Aufschwungs des römischen Rechts im 10. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 d) Ohne das eingelagerte römische Recht keine neuzeitliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 e) Kein subjektives Recht ohne „Anfang“ . . . . . . . . . . . . 134

Inhalt

XIII

VII. Christianisierung – Arbeit – Subjekt – Vorleistungen für die Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 1. Die Christianisierung des römischen Rechts und die Vorstellung einer gesellschaftlichen Seite des Rechtssubjekts . 137 2. Bedingungen des Aufschwungs der römisch-christlichen Kultur in der Renaissance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

VIII. Ausblicke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Ausblick 1:  Das auf immer unfertige Subjekt . . . . . . . . . . . . 145 Ausblick 2:  Kein „Anfang“ ohne ein „Vorher“ . . . . . . . . . . . 148 Ausblick 3:  Die bleibende Irritation des römischen Rechts und die Vielfalt seiner Lesarten . . . . . . . . . . . . . 153

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

Einleitung Das Verständnis des Rechts als Kultur5 impliziert die Unterstellung, dass es nicht nur normativ als ein System von Normen (insbesondere Verhaltensre­ geln)6 oder sozial als (in Rechtsprogrammen ausdifferenziertes) Funktionssys­ tem zur Stabilisierung von Verhaltenserwartungen dient.7 Auch Max Webers8 Konzeption des Rechts als Movens der Rationalisierung eines Weltverhältnisses jenseits der Tradition erscheint nicht als ausreichende Charakterisierung der Leistung des Rechts im Prozess der Rationalisierung der Welt. Allerdings be­ steht ein Vorzug der Weberschen Konzeption des Rechts darin, dass sie auch die Veränderung der Binnenstruktur des Rechtssubjekts in den Blick nehmen kann und die Orientierung an Rechtsnormen, die eine Unterbrechung der Kontinui­ tät der Geschichte vornehmen, in der Figur der Disziplinierung abbilden kann. An Weber schließt im Grunde auch eine neomarxistische Lektüre des Rechts an, die das subjektive Recht als Ermächtigung eines Eigenwollens oder Eigenha­ bens versteht, das die Unterbrechung der Tradition als Unterbrechung der kol­ lektiven Traditionen insgesamt versteht. Darin sieht diese Konzeption, dies im Anschluss an Hegel, einen Bruch mit der Unterscheidung von Öffentlichem und Privatem und eine Entmächtigung des Politischen.9 Hier wird dagegen in Fortsetzung früherer Publikationen zum Verhältnis von Recht und kollektivem Wissen10 jenseits von Tradition und Religion der Prozess der Selbstirritation der Kultur als charakteristisches Moment des west­ lichen Denkens akzentuiert11, das trotz aller Ausdifferenzierung gesellschaft­ 5   Vgl. allgemein auch Werner Gephart, Recht als Kultur: Zur kultursoziologischen Analy­ se des Rechts, Frankfurt a. M.: Klostermann 2006. 6   Reinhold Zippelius, Einführung in das Recht, 7.  Aufl., Tübingen: Mohr 2017, S.  11. 7   Niklas Luhmann, Das Recht der Gesellschaft, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993, S.  131. 8   Jens Petersen, Max Webers Rechtssoziologie und die juristische Methodenlehre, 2.  Aufl., Tübingen: Mohr 2014, S.  36. 9   Vgl. allg. Christoph Menke, Kritik der Rechte, Berlin: Suhrkamp 2015. 10   Vgl. nur Karl-Heinz Ladeur, Recht – Wissen – Kultur. Die fragmentierte Ordnung, 2016. 11   Terry Eagleton, Culture, New Haven: Yale UP 2016, insbes. S.  85, 89, betont demgegen­ über (zu) stark Kultur als Träger des kollektiven Unbewussten; dabei wird m. E. die Praxis des „Machens“ als eines unpersönlichen, aber nicht notwendigerweise unbewussten Prozesses i. e. S. vernachlässigt. Bei Andreas Reckwitz, Die Gesellschaft der Singularitäten: Zum Struk­ turwandel der Moderne, Berlin: Suhrkamp 2017, wird ebenfalls das unpersönliche Machen

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Einleitung

licher Teilsysteme durch den Kontext der praktischen Nutzung des Wissens erst Sinn erzeugen kann.12 Dem entspricht eine Sichtweise des Rechtssubjekts, die dessen Binnenstruktur, seinen internen Aufbau, über die Disziplinierung hinaus in der Vermittlung von Rezeptionspraktiken und Handlungsmustern durch Figuren der Beobachtung der Gesellschaft im Spiegel der Anderen ge­ währleistet sieht. Die Beobachtung der Anderen ist selbst nur möglich, wenn das Denken und Handeln durch das Einüben der praktischen Kombinatorik der Möglichkeiten durch das Lesen von Büchern, Texten, Mustern und Figuren in Bewegung gesetzt wird. Die Entstehung des universellen Rechts und der sub­ jektiven Rechte ist nur im so bestimmten Kontext der Kultur verständlich. Das Buch will einen Beitrag zum Verständnis der Entstehung dieser westlichen Rechtskultur leisten. Für das jüdische Recht ist Heteronomie des von Gott gegebenen Gesetzes wich­ tiger Ausgangspunkt aller Überlegungen zum Charakter des jüdischen Rechts. Am Ende der hier vorgetragenen Überlegungen zeigt sich jedoch, dass die Un­ terschiede doch nicht so gravierend sind und dass das westliche Recht dem jü­ dischen nicht so fremd gegenübersteht, wie dies in Rechtstheorien erscheinen mag, die in kantianischer Manier um die Autonomie des Gesetzes zentriert sind. In umgekehrter Richtung wird hier gezeigt, dass das westliche Recht in Kants Verständnis auch an der Anerkennung eines „Vorher“ gegenüber der ver­ nünftig reflektierten Gesetzgebung nur schwer vorbeikommen kann. Dieses „Vorher“ entzieht sich der Gesetzgebung als eine Gabe, die sich selbst gibt und deren Bedeutung sich der Reflexion entzieht. Gerade wegen seines „unfertigen“ Charakters musste (und konnte) sich der Prozess der Christianisierung der (Rechts-)Kultur in hohem Maße auf das „Vorher“ des römischen Rechts einlas­ sen. Was das bedeutet, wird hier beschrieben. Was hier unter „Rechtskultur“ verstanden wird, lässt sich nicht begrifflich „vor die Klammer“ ziehen. Mit der Vorstellung einer notwendigerweise nicht scharf konturierbaren „Rechtskultur“ verbindet sich bei P. Mankowski die Möglichkeit der Benutzung der „Kultur“ als einer Projektionsfläche, die die Reflexion auf ein „System normativer Grundsät­ ze“ erlaubt.13 Hier wird demgegenüber „Kultur“ vor allem auch als kognitives zugunsten der persönlichen, vor allem vom Konsum oder bestimmten „kreativen“ Hand­ lungsbereichen bestimmten „Singularitäten“ unterbewertet. 12   Deshalb erscheint auch eine institutionentheoretische Perspektive auf das Recht und die Betonung der Bewältigung von gesellschaftlicher Ungewissheit und Komplexität, die durch die hohe Zahl der Akteure und ihrer Interaktionen entsteht, noch nicht ausreichend für die Formulierung einer rechtstheoretischen Konzeption, vgl. aber Simon Deakin, David Gindis, Geoffrey Hodgson, Kainan Huang, Katharina Pistor, Legal Institutionalism, Capitalism and the Constitutive Role of Law, Journal of Comparative Economics 45 (2017), S.  188–200. 13   Peter Mankowski, Rechtskultur, Tübingen: Mohr 2016, S.  5.

Einleitung

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Repertoire von Denk- und Handlungsmöglichkeiten interpretiert, auf das das Recht angewiesen ist und zu dem es seinerseits durch Figuren der Normativität Beiträge leistet. N. Luhmann hat früher14 Kultur als einen „Themenvorrat“ be­ zeichnet, der für „Kommunikationszwecke“ aufbewahrt wird. In seinem Opus Magnum, „Die Gesellschaft der Gesellschaft“15, wird stärker die Bedeutung der Kultur als gesellschaftlichem Gedächtnis akzentuiert. Dies erscheint auch nach der hier vertretenen Konzeption produktiv, wenn man den aktiven Teil des Ge­ dächtnisses, die Emergenz des Neuen, durch die großenteils unbewusst verlau­ fenden Assoziationsprozesse zwischen gesellschaftlichen Wissensbeständen hervorhebt. Gerade weil diese Prozesse weitgehend unbewusst verlaufen, wer­ den Zugangsformen auch und gerade durch den Vergleich von Kulturen ermög­ licht16 , die aufeinander gespiegelt werden und dadurch jedenfalls die Beobach­ tung zulassen, dass vieles alles andere als selbstverständlich ist. Der Vergleich spielt auch für den hier vertretenen Ansatz eine große Rolle, insbesondere der Vergleich des Verhältnisses von Recht und Religion. Hier wird es vor allem um die wechselseitige Veränderung zwischen römischer Kultur und Christianisie­ rung gehen. Mit einem solchen vergleichenden Verständnis der Kultur ist eine Sichtweise kaum vereinbar, die das Auftreten des Christentums zu einem sin­ gulären, einzigartigen Phänomen erklärt, das sich dann konsequenterweise dem Vergleich widersetzt. Die hier vertretene Sichtweise steht im Gegensatz zu religiösen wie antireligi­ ösen Konzeptionen wie etwa der A. Badious, der das Erscheinen Christi in der Welt zu einem „reinen Ereignis“ erklärt,17 das durch seine Intensität, das Erle­ ben und die Annahme dieses Erlebens, bahnbrechend wirkt und dem alle pro­ zesshafte Auseinandersetzung mit der Welt, wie sie vorher war, fremd ist. Das nicht abgeschlossene Ergebnis dieses Prozesses war die Herausbildung eines Rechtsverständnisses, das der Entwicklung eines beweglichen Rechts me­ thodisch, philosophisch und gegenständlich breiten Raum gelassen hat und da­ durch die Grundlagen des späteren westlichen Rechts gelegt hat. Es wird hier 14   Niklas Luhmann, Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1993, S.  224. 15   Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997, S.  589. 16   Luhmann, ebd., S.  987 f. 17  Vgl. Dominik Finkelde, Introductio – The Excrescence of Universality, in: ders. (Hrsg.), Badiou and the State, Baden-Baden: Nomos 2017, S.  9–18. Dies steht in einem Entsprechungs­ verhältnis zu seiner Einordnung des Heiligen Paulus und des ihm zugeschriebenen Univer­ salismus, den Badiou in dem „Ereignis“ der Verkündung im Römerbrief begründet sieht; das „Ereignis“ ist auch hier in dem intensiven Glauben und der Treue zu seiner Be-gründung konstituiert, vgl. Alain Badiou, Paulus – Die Begründung des Universalismus, München: Diapha­nes 2002.

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Einleitung

herausgearbeitet, dass durch den komplexen Prozess der Christianisierung in der römischen (Rechts-)Kultur „diskursive Felder“ generiert worden sind, die nicht nur semantischer Natur sind, sondern eine Vielzahl älterer und neuerer Praktiken und Lebensformen umfasst haben. Die pagane Kultur wie das Chris­ tentum waren durch Fragestellungen bestimmt, die jedenfalls partiell eine Durchlässigkeit für die Fragen der jeweils anderen Seite ermöglichten – auch wenn dies nicht ohne Konflikte blieb und nur über einen längeren Zeitraum der Öffnung und Schließung geschah. Dadurch sind die Grundlagen auch für die Entstehung der zentralen Figuren und Formen des neuzeitlichen Rechts18 gelegt worden. Hier sei wenigstens ein Seitenblick auf moderne Untersuchungen zur Rolle eines für die westliche Kultur in seiner Bedeutung nicht zu überschätzen­ den Begriffs erlaubt, des Begriffs der „Freiheit“ in der arabischen Kultur des 19. Jahrhunderts. W.  Abu-Uksa19 hat mit Recht hervorgehoben, dass zentrale ge­ sellschaftliche Begriffe immer mit anderen Begriffen „assoziiert“ und in ein „se­ mantisches Feld“ integriert seien. Das erklärt den Wandel ihrer Bedeutung im historischen Prozess, insbesondere die Möglichkeit des Rückfalls aus einer dy­ namischen Bewegung in einen „statischen Zustand“.20 Der hier verwendete Be­ griff „diskursive Netzwerke“ oder „diskursive Felder“ (A. de Libera) scheint besser auf die Verknüpfung der kulturellen semantischen Oberfläche mit der aus Praktiken bestehenden „Infrastruktur“ abgestimmt zu sein. Er bringt die rhizomartige Verflechtung zwischen unterschiedlichen religiösen, literarischen, wirtschaftlichen und praktischen Formen und Techniken innerhalb einer Kul­ tur zur Geltung.21 Nur eine solche Verflechtung macht die Diversität der Kultur fruchtbar. Ein bloßes Nebeneinander von Kulturen kann demgegenüber bei räumlicher Nähe die Fremdheit durch Bereitschaft zur Aggression verschärfen. Bei räumlicher Trennung (z. B. durch die Lebensform der Amischen in den USA) entsteht eher eine mehr oder weniger freundliche Indifferenz. Ein interessantes Phänomen bildet die auch zu erörternde Germanisierung, der zweite Schub der Transformation der römischen Kultur nach der Christia­ nisierung. Nach einer kurzen Zeit der gewaltsamen Eroberung großer Teile des 18   Dies betont auch Martin Rhonheimer, Christentum und säkularer Staat. Geschichte – Gegenwart – Zukunft, 2.  Aufl., Freiburg: Herder 2012, S.  17 ff.; vgl. allg. auch Philippe Nemo, Qu’est-ce que l’occident?, Paris: Presses Universitaires de France 2004. 19   Wael Abu-Uksa, Freedom in the Arab World, Cambridge: Cambridge UP 2016, S.  4 f. 20   Abu-Uksa, ebd., S.  5. 21  Die Bezeichnung „meta-narrative“ (William Ocasio/Michael Mauskapf/Christopher W. J.  Steele, History, Society, and Institutions: The Role of Collective Memory in the Emergen­ ce and Evolution of Societal Logics, Academy of Management Review 41 [2016], S.  676–699) für solche nur in begrenztem Maße der Reflexion zugängliche übergreifende Verknüpfungen erscheint weniger angemessen, weil sie den Anteil der praktischen Lebensformen an diesen Prozessen nur unzureichend zum Ausdruck bringt.

Einleitung

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römischen Reiches durch germanische Stämme wechselte deren Einstellung zur römischen Kultur in ein Verhältnis der Offenheit, des Interesses und der Über­ nahmebereitschaft. Allerdings war die Kultur der Germanen im Vergleich zur römischen wenig komplex und die Lernprozesse, zu denen die Germanen bereit waren, blieben eher unterentwickelt und wenig erfolgreich. Die Germanisie­ rung hat deshalb zur Rückbildung und Stagnation der christianisierten grie­ chisch-römischen Kultur beigetragen. Auch dies ist in der Retrospektive ein interessantes Phänomen. Das Unverständnis der Germanen, der Bedeutungs­ verlust der Städte, die geringere Ausdifferenzierung der Kultur führten trotz der Bereitschaft, sich für das Neue zu öffnen, zu einer kulturellen Stagnation, die erst im 10. Jahrhundert allmählich überwunden werden konnte. Charakteristisch für das jüdische Recht ist die Entwicklung einer Rechtsauf­ fassung, die sich vom Nachempfinden des göttlichen Willens weit entfernt hat und deshalb relativ frei bei der Anwendung des Rechts verfahren konnte. Die hermeneutisch-kritische Interpretation des Rechts ist weitgehend in der Litera­ tur anerkannt.22 Dies verdient eine Erwähnung, weil gerade dies der muslimi­ schen Theologie die größten Probleme bereitet. Dies soll selbstverständlich soll das nicht bedeuten, dass der Islam sich hier einem unlösbaren Problem ausge­ setzt sähe. Keineswegs! Tatsächlich ist es aber so, dass die Anwendung histo­ risch-kritischer hermeneutischer Verfahren auf das in arabischer Sprache ge­ sprochene Wort Gottes auf großen Widerstand stößt.23 Das Christentum hat eine sehr viel flexiblere Einstellung zu den heiligen Tex­ ten entwickelt und sich – nicht zuletzt abgestützt durch die Anverwandlung des römischen Rechts und der griechischen Philosophie – Ansätze einer „pragma­ tischen Epistemologie“ (A. Schiavone) aufgebaut, die es dem christianisierten römischen Recht erlaubt haben, sich mit hoher Flexibilität auf die Wandlungen der Welt einzustellen. Diese wenigen Anmerkungen zeigen, dass die Retrospek­ tive auf die Rechtsentwicklung der Spätantike auch von einem gegenwärtigen Interesse an den Bedingungen der Herausbildung eines kulturellen Gedächt­ nisses geleitet wird. Dies erscheint unvermeidlich. Gerade deshalb wird auch die Auseinandersetzung mit Michel Foucaults Lektüre der Christianisierung gesucht.

22   Vgl. nur Joel Roth, The Halakhik Process. A Systemic Analysis, New York: The Jewish Theological Seminary of America 1986, insbes. S.  313 ff. 23   Vgl. nur Ladeur (Fn.  2 – Der Islam und sein Recht), m. w. N.

I.  Die römische Rechtskultur und ihre Vorleistungen für die Entstehung des neuzeitlichen Rechtsdenkens 1.  Das römische Recht und die Anfänge der Ausdifferenzierung des Rechts a)  Gesetz und Recht in Rom und Athen Die Besonderheit des römischen Rechts, die ihm auch heute noch für das Ver­ ständnis des modernen westlichen Rechts entscheidende Bedeutung zuweist, ist die Entwicklung der Autonomie des Rechts, seine „Isolierung“ (F.  Schulz)24 , der Unterscheidung eines besonderen normativen Wissens, das sich insbesondere vom religiösen Wissen absetzte, aber damit eine Unterscheidung nach außen vollzog (abschließend), aber auch nach innen öffnete und damit einen Prozess der Anschließung immer neuer Unterscheidungen in Gang setzte und in Gang hält. Diese Besonderheit lässt sich erst in vollem Umfang ermessen, wenn man beachtet, dass das klassische Griechenland zwar durch die Unterscheidung ei­ nes rechtlichen Verfahrens von Fall zu Fall rechtliche Konstellationen situativ zu unterscheiden und zu verknüpfen erlaubte, doch nie die Ausdifferenzierung eines substantiellen Rechts im römischen Sinne hervorbrachte.25 Dies fand sei­ nen Niederschlag darin, dass das griechische Recht auch keine dem römischen vergleichbare „Rechtsdogmatik“ hervorgebracht hat und dementsprechend auch nicht die besondere Profession der Juristen als Hüter des juristischen Wis­ sens und der juristischen Techniken gekannt hat.26 Dennoch hat die griechische Gesetzesvorstellung wichtige Anschlussmöglichkeiten für das römische Rechts­ 24   Fritz Schulz, Prinzipien des römischen Rechts, Berlin: Duncker & Humblot 1934, S.  19; allg. Fabian Steinhauer, Vom Scheiden. Geschichte und Theorie einer juristischen Kultur­ technik, Berlin: Duncker & Humblot 2014; Yan Thomas, Le sujet de droit, la personne et la nature, Le Débat 100 (1998), S.  85, 96. 25  Vgl. Susanne Gödde, Recht ohne Gesetz: Verfahren der Rechtsprechung in der Literatur der griechischen Antike, Ancilla iuris 2015, S.  31; Karl-Heinz Ladeur, Prozeduralisierung zwei­ ter Ordnung, erscheint in: Tatjana Sheplyakova (Hrsg.), Prozeduralisierung des Rechts, Tübin­ gen: Mohr 2018; das römische Recht kannte seinerseits in seinem „Aktionendenken“ allerdings nicht die Trennung von materiellem und Verfahrensrecht, vgl. allg. Ernst Immanuel Bekker, Die Aktionen des römischen Privatrechts, Band 1, Reprint, London: Forgotten Books, 2017. 26   Dies gilt für die Antike als Voraussetzung für die Ausdifferenzierung des Rechts.

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I.  Die römische Rechtskultur und ihre Vorleistungen

denken geschaffen: „Gesetz“ ist eher das Ensemble von Figuren der gesellschaft­ lichen Ordnung, keine abstrakte Norm, die sich von der tatsächlichen Ordnung und den Ordnungsvorstellungen unterscheidet. Es hat insofern ein reflexives, nicht nur auf Erziehung zu reduzierendes Moment darin, dass das Gesetz als „Vermittler zwischen der Welt der Ideen und der der Menschen“ fungiert.27 Dies geschieht vor allem dadurch, dass das Gesetz nicht Unterwerfung verlangt, son­ dern die Übernahme in den eigenen Entscheidungsbereich, und damit reflexiv wird, indem es das Eigene für das gemeinsame Andere öffnet. Das Gesetz/Recht ist bei den Griechen und Römern nicht auf eine Regel zu reduzieren, die man zu akzeptieren hat, sondern eine unvollständige Ordnung, die sich der Einzelne durch Wissen und Durcharbeitung anverwandeln muss, um es am Ende zu ver­ stehen (und dadurch zu verändern). In der Stoa z. B. ist das Motiv sehr ausge­ prägt, als Bürger sich das Gesetz im und durch Handeln zu eigen zu machen.28 Daraus ergibt sich ein Selbstverhältnis, das die Ansätze zu einem sich später in der Philosophie ausfaltenden „Zugleich von Selbstbezug und Selbstentzug, von Selbstberührung und Trennung“ enthält.29 Die begrifflichen Unterscheidungen und Verallgemeinerungen des römischen Rechts30 waren dem griechischen Recht noch fremd. Die Rhetorik 31 kann als eine Vorform der juristischen Doktrin angesehen werden – oder als ihr Platzhalter, wenn man so will –, die eine gewisse An­ schlusswirkung gegenüber den in der Rhetorik ausgebildeten Rednern erzeugt, aber keine neue spezifisch rechtliche Technik des Argumentierens hervorge­ bracht hat. Rhetorik war verknüpft mit dem besonderen Wissen, das für recht­ liche Verfahren benötigt wurde.32 Ergänzt wurde die Rhetorik durch die Ach­ tung vor den „Grammatikern“ und den sprachlichen Unterscheidungen. Bil­ dung wurde auch in Rom als „moralische Qualität“ angesehen, die den Respekt vor anderen Meinungen implizierte, solange diese sich der gehobenen Sprache bedienen konnten.33 Das Beherrschen der Rhetorik entsprach der Selbstbeherr­   Jacqueline de Romilly, La loi dans la pensée grecque: des origines à Aristote, Paris: Les belles lettres 2002, S.  77, 195. 28  Vgl. Katja Maria Vogt, Law, Reason, and the Cosmic City. Political Philosophy in the Early Stoa, Oxford: OUP 2008, S.  163. 29   Bernhard Waldenfels, Platon. Zwischen Logos und Pathos, Berlin: Suhrkamp 2017, S.  96. 30   William Edmund Ball, St. Paul and the Roman Law and Other Studies on the Origin of the Form of Doctrine (1901), London: Forgotten Books 2012, S.  68. 31   Zu deren weit über die „Ausschmückung“ der Rede hinausgehenden Funktion, Manfred Fuhrmann, Die antike Rhetorik. Eine Einführung, Mannheim: Artemis & Winkler, 2011; ­Alexander Beck, Römisches Recht bei Tertullian und Cyprian, Aalen: Scientia 1967, S.  58. 32   Caroline Humfress, Orthodoxy and the Courts in Late Antiquity, Oxford: Oxford UP 2007, S.  233. 33   Robert A.  Kaster, The Guardians of Language: The Grammarian and Society in Late An­ tiquity, Berkeley: University of California Press 1988, S.  15, 61. 27

1.  Das römische Recht und die Anfänge der Ausdifferenzierung des Rechts

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schung mithilfe der nach innen gewandten „geistigen Übungen“ und trug zur Festigung und Kanonisierung eines gemeinsamen Wissens jenseits der Traditi­ onen bei. Dies förderte die Entwicklung juristischer Argumentationen, die auch jenseits des Rekurses auf die Tradition akzeptabel erschienen.34 Allerdings wa­ ren die Formen der Rhetorik nach außen ebenso wie das Praktizieren der „geis­ tigen Übungen“ nach innen in der und durch die griechische bzw. römische Kultur doch wieder begrenzt. Sie waren letztlich fundiert in einem statischen ideologischen wie institutionellen Rahmen.35 Die römisch-griechische Rechts­ kultur hat insofern einen Anfang gesetzt, der über sich selbst hinausweist, aber diese Dynamik zunächst wieder durch die Rückbindung an die bestehende Ordnung und die Interessen der römischen Elite blockiert. Auch hier lässt sich wieder eine Ambivalenz in der griechischen und römi­ schen Kultur erkennen, die einerseits Voraussetzungen für die Entwicklung ei­ nes universalistischen Denkens geschaffen hat, aber doch nicht dieses selbst. Zugleich wird dadurch auch verständlich, warum die Christianisierung der Welt und des Weltbildes gelingen konnte. Die Christianisierung konnte sich nur entfalten, weil und soweit die griechische Philosophie (in Rom) sowie das römische Recht im Grunde schon selbst Voraussetzungen für eine Universali­ sierung avant la lettre geschaffen hatten und zugleich die Perspektive einer An­ passung der römischen Institutionen an den religiösen Wandel für die Ober­ schicht vielversprechend erscheinen ließen. Anderenfalls hätte es auch zu einem selbstzerstörerischen Religionskrieg kommen können. b)  Die „epistemische Revolution“ (A.  Schiavone) des römischen Rechts Sowohl das römische als auch das griechische Recht haben eine höchst bedeut­ same Gemeinsamkeit darin, dass sie bereits ein Produkt der antiken Stadt wa­ ren.36 Dies ist in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung37: Rom wie Athen waren 34   Caroline Humfress, Roman Law, Forensic Argument and the Formation of Christian Orthodoxy (III – V centuries), in: Susanna Elm et al. (Hrsg.), Orthodoxie, christianisme, his­ toire, Rom: Collection de l’Ecole française de Rome 2000, S.  127. 35   Clifford Ando, Law, Language, and Empire in the Roman Tradition (Empire and After), Philadelphia: University of Pennsylvania Press 2011, S.  77. Michèle Lowrie ist der Auffassung, dass die Wendung des Selbst nach innen während des Kaiserreichs zugenommen habe: Cicero on Caesar or Exemplum and Inability in the Brutus, in: Alexander Ahrweiler/Melanie Möller (Hrsg.), Vom Selbstverständnis in Antike und Neuzeit, Berlin/New York: de Gruyter 2008, S.  131, 152. 36   Dies gilt nicht nur für das Recht i. e. S., sondern auch für die Kultur im Allgemeinen, S.  128, 134; vgl. auch Jacqueline de Romilly, L‘invention de l’histoire politique chez Thycidides, Paris: Editions de la rue D’Ulm 2017, S.  4 4, 55. 37   Vgl. dazu vor allem Josiah Ober, Democracy and Knowledge. Innovation and Learning in Classical Athens, Princeton: Princeton UP 2010; auch James I.  Porter, The Origins of Aes­ thetic Thought. Matter, Sensation, Experience, Cambridge: CUP 2010, S.  17.

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Zentren des Handels, der Kunst, des Handwerks und anderer Praktiken des „Machens“38 (der Herstellung) und des Austauschs. Ohne die Beobachtung der „Materialien der Welt“ ist auch keine Entstehung von Kunst denkbar.39 Auch diesseits der öffentlichen Institutionen (der Demokratie, der Republik und des Rechts) und ihren Regeln, die die griechisch-römische Kultur hervorgebracht haben, sind die klassischen antiken Städte Orte einer Dynamik des praktischen Wissens gewesen, das spontan durch Selbstorganisation im Medium der Beob­ achtung der Anderen generiert worden ist.40 Für Platon zielte das Nachdenken über die „Gesetze“ auf die Neugründung der Stadt, nicht eines Staates.41 Darin ist die Vorstellung impliziert, dass die Gesetze primär der Erziehung und Bil­ dung dienen.42 Auch das Selbst der griechischen wie der römischen Kultur ist eines, das sein Selbstverständnis aus der Stadt und nicht aus der Bindung an ein Territorium gewinnt.43 Die damit notwendig werdenden unterschiedlichen kommerziellen Transaktionen verlangten innerhalb der dafür erforderlich wer­ denden Rechtsformen des Zivilrechts nach der Möglichkeit des immer neuen Variierens von Fall zu Fall, also einen größeren Varietätspool. Ein Beitrag des römischen Zivilrechts zur Herausbildung eines universalistischen Rechts be­ steht in der „Pluralisierung der Beobachterstandpunkte“, die die andere Seite der situativen Fallorientierung bildet.44 Das juristische Verständnis des Selbst als eines rechtlichen Agenten kann gut an Überlegungen der modernen „Prozessphilosophie“ anknüpfen45, die das Selbst als „belonging to a space of occurrences“ versteht, also als prozessieren­ den „Knoten“ von Ereignissen und Anschlussmöglichkeiten, und dessen Ein­ heit eher durch den Fluss seiner Erfahrung bestimmt sieht. Auch dies indiziert den zukunftsweisenden Charakter der auch für die Gegenwart Sinn stiftenden römischen Kultur. Das traditionelle religiös basierte, ritualisierte Recht war dafür in seiner Starrheit und in seiner Bindung an eine vorfindliche Gemeinschaft nicht mehr

38  Vgl. Ober (Fn.  37 – Democracy and Knowledge); auch ders., Athenian Legacies. Essays on the Politics of Going On Together, Princeton: Princeton University Press, 2007. 39   Porter (Fn.  37 – The Origins of Aesthetic Thought), S.  175, 277. 40   Ober (Fn.  37 Democracy and Knowledge). 41   Romilly (Fn.  27 – La loi dans la pensée grecque), S.  218; Aldo Schiavone, IUS. L’invention du droit en occident, Paris: Belinn 2009, S.  350. 42   Jill Harries, Superfluous Verbiage? Rhetoric and Law in the Age of Constantine and Ju­ lian, Journal of Early Christian Studies 19 (2011), S.  345, 354. 43   Mario Vegetti, L’etica degli antichi, Rom/Bari: Laterza 1989, S.  47. 44   Thomas Vesting, Die Medien des Rechts:. Schrift, Weilerswist: Velbrück 2011, S.  138. 45   Johanna Seibt, Stanford Encyclopedia of Philosophy „Process Philosophy“, https://plato. stanford.edu/cgi-bin/encyclopedia/archinfo.cgi?entry=process-philosophy.

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geeignet.46 Für die Römer kam die Notwendigkeit hinzu, das entstehende Reich mit relativ einheitlichen Transaktionsregeln auszustatten, die eine Integration ermöglichen sollten. (Wie noch zu zeigen sein wird, bedeutet aber die Einheit des Reiches keineswegs von vornherein Einheit des Rechts). Für Rom bedeutete die Herausbildung eines autonomen Rechts zugleich die Herausbildung einer besonderen Profession von Juristen, die nicht nur einen eigenständigen Begriff des Rechts kultivieren, sondern auch eine bestimmte Mentalität zum Ausdruck bringen wollten, die über die Praxis des Rechts hinaus die römische Kultur prägte. A.  Schiavone47 nennt diesen Effekt der Rechtspraxis auf die Kultur des Wissens der Römer eine „epistemische Revolution“. Das ist eine nicht ganz un­ problematische Terminologie, aber sie kann auf dem Hintergrund der paganen Religion als Orthopraxie (die nicht auf einem gegebenen Gesetz basiert) durch­ aus als brauchbare Bezeichnung für das praktische Moment des römischen Rechts angesehen werden, das der gemeinsamen Tradition und ihrer Fortfüh­ rung geschuldet ist. Diese pragmatische Epistemologie, das Operieren mit dem praktischen Wissen und seine Weiterbildung, bildet den Übergang zwischen der Rhetorik der Griechen (und später der Römer), die auch Ausdruck des Bruchs zwischen der Dominanz des mythischen und religiösen Wissens ist – und das keinen Raum für den „unbewaffneten“ Blick auf das Reale zugelassen hat –, und dem späteren rationalen Weltbild, dessen Anfänge sich ebenfalls in Griechenland und Rom entfaltet haben. Die unverstellte – oder besser gesagt: nicht durch das mythische oder das religiöse Denken verstellte – Beobachtung der Welt, die tatsächlich im Medium des spontanen, von Fall zu Fall, von Nach­ bar zu Nachbar generierten praktischen Wissens entsteht48 , ist Voraussetzung des neuen juristischen Denkens.49 Die mit dem römischen Recht einsetzende Entwicklung hin zu subjektiven Rechten ist eine Entwicklung, die die Rechte zu Prozessrechten macht: Es gibt keine unmittelbare Verständigung, sondern viel­ mehr Rechte auf Beteiligung an einem Prozess der Erzeugung und Nutzung gesellschaftlichen impersonalen Wissens. Die Annahme, dass „Privatautonomie … zur Zirkulation schlechter Gründe“50 führe, geht daran vorbei, dass das Recht in erster Linie eine Praxis ist, die ihre eigene Rationalität entwickelt, die jeden­ falls nicht die eines moralischen Rigorismus mit potenziell totalitären Zügen ist. In dieser Rationalität wird selbstverständlich auch „der Andere“ nicht nur 46   Vgl. zu dessen Ablösung Marie Theres Fögen, Römische Rechtgeschichten. Über Ur­ sprung und Evolution eines sozialen Systems, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2002. 47   Schiavone (Fn.  41 – IUS), S.  280. 48   Ober (Fn.  37 – Democracy and Knowledge). 49   In einer stationären Gesellschaft kann es deshalb keine subjektiven Rechte geben. 50   So aber für das liberale Recht Daniel Loick, Juridismus. Konturen einer kritischen Theo­ rie des Rechts, Berlin: Suhrkamp, 2017, S.  46 [Herv. i. Orig.].

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als Grenze des eigenen Rechts wahrgenommen.51 Und die Rechtssubjekte ver­ folgen ihre Interessen keineswegs „isoliert und unkoordiniert“.52 Das Rechts­ subjekt beobachtet die Wissensnetzwerke, die zwischen den Individuen entste­ hen und schöpft daraus seine Handlungsmöglichkeiten.53 Es ist nur nicht an die Zustimmung der Anderen gebunden, weil dies der Logik des unpersönlichen, transsubjektiven Wissens widerspräche.54 Dagegen wird bei D.  Loick die „In­ tensität und Ganzheit der konkreten Existenz des Menschen“ in Anschlag ge­ bracht, der man „unter den Auspizien der Rechtspersönlichkeit gar nicht begeg­ nen“ könne.55 Das ist allerdings eine Stärke des Rechts (die selbst nicht ohne Ausnahme ist, wie sie z. B. im Schutz der Kunstfreiheit56 zur Geltung kommt): Wie sollte eine Gesellschaft möglich sein, wenn das Einbringen der „Intensität und Ganzheit der konkreten Existenz des Menschen“ generell möglich wäre? Die Orientierung der Griechen und Römer an ihren Vorfahren hat weit rei­ chende Auswirkungen auch auf die Entwicklung der Technik 57 und des univer­ salistischen Rechts gehabt.58 Ein solches Denken stellt sich nicht auf die zweck­ lose Offenheit einer zukunftsweisenden Technik 59 oder eine nicht an bestimm­ te, wenn auch variierte Traditionen gebundene Universalität des Rechts ein. Die Griechen und Römer verfügten über hervorragendes technisches Wis­ sen, soweit es für sie wichtig war. Für die Bestimmung ihres Orientierungshori­ zonts war wiederum auch die nur unvollständige Herausbildung der Form der Rechtssubjektivität60 von Bedeutung. Deren Herausbildung setzt die Unter­ scheidung von Öffentlichem und Privatem voraus. Für die Römer galt der Vor­ rang für das Leben in der Öffentlichkeit. Davon war auch das Interesse an Tech­   Loick, ebd., S.  38.   Loick, ebd., S.  45. 53   Es ist charakteristisch für die kritische Theorie, dass das praktische Wissen und seine Logik – wie auch bei M.  Foucault – keinerlei Relevanz für die Theoriebildung haben. 54   Karl-Heinz Ladeur, Die transsubjektive Dimension der Grundrechte, in: Stefan Korio­ th/Thomas Vesting/Ino Augsberg (Hrsg.), Grundrechte als Phänomene kollektiver Ordnung, Tübingen: Mohr 2014, S.  17–38. 55   Loick (Fn.  50 – Juridismus), S.  123. 56   Die Kunstfreiheit schützt aber ebenso wenig wie die Meinungsfreiheit vor der Erhebung von konkurrierenden „Geltungsansprüchen“ durch andere, Loick (Fn.  50 – Juridismus), S.  137, sondern nur vor deren gewaltsamer Durchsetzung. 57   Joel Mokyr, The Lever of Riches: Technological Creativity and Economic Progress, Ox­ ford: OUP 1992, S.  19. 58   Joel Mokyr, A Culture of Growth. The Origins of Modern Economy, Princeton: Prince­ ton UP 2016, S.  248. 59   Vgl. dazu Aldo Schiavone, The End of the Past and the Modern World. Ancient Rome and the Modern West, Cambridge (Mass.): Harvard UP 2002, wo allerdings die „unfreiwilli­ gen“ Vorleistungen der römischen Kultur für die Entwicklung des westlichen Denkens ver­ nachlässigt werden. 60   Schiavone (Fn.  41 – IUS), S.  457. 51

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niken bestimmt (Architektur, Kriegstechnik, Schiffsbau). Der Einsatz von Techniken für private Zwecke oder gar das technische Interesse an der Erzeu­ gung neuen Wissens lag ihnen eher fern.61 Zugleich war insbesondere die Bau­ technik, deren Entwicklung in Rom zu einer Vielzahl von komplexen Bauwer­ ken geführt hat, von der Schwäche der Speicherung des technischen Wissens bestimmt. Rom hatte viele große Baumeister, aber es ist symptomatisch, dass deren Wissen sich kaum in übertragbarer „Fassung“ (Schriften, Modelle, Mus­ ter etc.) niedergeschlagen hat, was die Entwicklung des Wissens begrenzte. c)  Die Fiktion als Grundfigur des Rechts – das Operieren mit Vereinfachungen Das begriffliche rechtliche Denken ist auch von der griechischen Philosophie geprägt, aber die Bildung des rechtlichen Blicks, der „Isolierung“ (F.  Schulz), ist eine Leistung der römischen Rechtskultur62 , die das spätere rechtliche Denken geprägt hat, auch wenn ihm, wie noch zu zeigen sein wird, entscheidende Merkmale des neuzeitlichen Denkens noch gefehlt haben. Die römischen Juris­ ten – in der Zeit des klassischen römischen Rechts – hatten die Vorstellung, dass das Recht objektiv den Relationen zwischen den Menschen und den Din­ gen innewohne und nur einer philosophischen oder begrifflichen Fassung durch die Juristen bedürfe.63 Die spezifisch juristische „Fassung“ dieser Relatio­ nen war aber natürlich nicht primär auf das Erkennen bezogen, sondern entwi­ ckelte ein konstitutives Moment der Anerkennung für die Vergangenheit und die Eröffnung neuer Anschlüsse für die Zukunft. Es kann keine Anerkennung des Anderen ohne Infragestellung, ohne Herausforderung durch das gemeinsa­ me Andere geben, das sich im ständigen Wandel befindet.64 Vor allem Y.  Tho­ mas hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass dieses Moment der „Iso­ lierung“ der Rechtsverhältnisse etwas Fiktives hatte65, nicht im Sinne der späte­ ren Setzung expliziter Fiktionen, die einen Grundsatz „rein“ halten sollten, indem sie eine Ausnahme so behandelten, „als ob“ sie ein Regelfall wäre. Die implizite, unausgesprochene Form der Fiktion liegt darin, dass die Technologie des „Machens“ des Rechts, der Veränderung der Welt66 , nicht nur die Abbil­ dung der Rechtsverhältnisse hervorbringt: Bestimmte Situationen und Kons­   Mokyr (Fn.  58 – A Culture of Growth), S.  20.   Everett Ferguson, Backgrounds of Early Christianity, 3.  Aufl., Grand Rapids: Eerdmans publishing 2003, S.  21. 63   Schiavone (Fn.  41 – IUS), S.  279, 280 ff. 64   Myriam Revault d’Allonnes, Le miroir et la scène. Ce que peut la représentation poli­ tique, Paris: Seuil 2016. 65   Thomas (Fn.  24 – sujet de droit); Schulz (Fn.  24 – Prinzipien des römischen Rechts), S.  13; allg. auch ders., Geschichte der römischen Rechtswissenschaft, Weimar: Böhlau 1961; Schiavone (Fn.  41 – IUS), S.  63. 66   Thomas (Fn.  24 – Le sujet de droit), S.  85; ders., L’extrême et l’ordinaire. Remarques sur 61

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tellationen werden vielmehr so behandelt, „als ob“ sie einem bestimmten Mo­ dell folgten, das die Rechtfertigung in einer Praxis findet, die es fortzusetzen gilt. Genauer gesagt: Die Fiktion, das „als ob“, macht erst die gesellschaftliche Differenzierung möglich, die Vereinfachungen, Standardisierungen erfordert, weil es sonst keine gemeinsamen Regeln geben kann.67 Dies ist nur durch eine – vor der Stabilisierung von Verhaltenserwartungen liegende – Stabilisierung und Introjektion von Normen möglich, die wiederum eine produktive Unter­ scheidung zwischen Relevantem und Irrelevantem verlangt und zum internen Aufbau einer ihrerseits „fiktiven“ Subjektivität führt, die Produkt und Produ­ zent von Normativität ist. Diese Grundstruktur kann durchaus im römischen Recht gefunden werden.68 Wiederum A.  Schiavone69 hat mit gutem Grund darauf aufmerksam gemacht, dass das Recht von einer für die Praxis bestimmten „Technologie“ be­ stimmt werde, für die z. B. Vermutungen, Beweisregeln, Wissensregeln benötigt werden, die auch bei der Herstellung der „Sachverhalte“ eine Form erzeugen, die der rechtlichen Bewertung „in der Sache“ vorausgehen. Wie muss man sich in einer Situation des Kaufs verhalten: Was muss man in Erinnerung behalten? Wer muss Beweise (welcher Art?) erbringen? Auch dies sind Regeln, die die Wirksamkeit des Rechts, seine Performativität, auf die noch einzugehen sein wird, abstützen.70 Die Performativität der Sprache darf demgegenüber nicht überbewertet werden. Letztlich geht es um die Wirksamkeit von praktischen kognitiven Schemata, die – um wirksam werden zu können – im „Dunkel der Gewohnheiten“ („obscurité des habitudes“) bleiben und die Sprache als Form der Reflexion zum „Verschwinden“ („effacement“) bringen müssen.71 Das le cas médiéval de la communauté disparue, in: ders.: Les operations du droit, Paris: Seuil/ Gallimard 2011, S.  207, 208. 67   Vgl. dazu aus psychoanalytischer Sicht Pierre Lévy-Soussan, Oedipe: de la fiction psy­ chique à la fiction juridique, Revue française de psychanalyse 76 (2012), S.  1701–1706. 68   Albrecht Koschorke sieht das Rechtssubjekt wie die Normativität durch die Funktion der „Unterbrechung“ von Interdependenzen, des Flusses des Alltäglichen, durch den Aufbau ei­ ner Form des Allgemeinen begründet, vgl. „Nichtwissen als Problem und Funktionsbedin­ gung des Rechts“, Vortrag an der Universität Hamburg, 14.6.2017, Video: https://lecture2go. uni-hamburg.de/l2go/-/get/v/mNpQjxcGWyvmSV7jOBZjJAxx, das wäre mit der hier vertre­ tenen Position vereinbar, wenn man nicht einen tiefen Einschnitt zwischen Besonderem und Allgemeinem vornimmt und vielmehr eine Verschleifung zwischen beiden Registern an­ nimmt; dies dürfte eher nicht Koschorkes Position entsprechen. Dann müsste man fragen, wo das Allgemeine herkommt. 69   Schiavone (Fn.  41 – IUS), S.  14. 70   Sie bilden kein geschlossenes System, sondern eher topische Momente in einem argu­ mentativen Prozess, Mario Bretone, Geschichte des römischen Rechts. Von den Anfängen bis zu Justinian, 2.  Aufl., München: Beck 1998, S.  206. 71   Philippe Descola, Par delà nature et culture, Paris: Gallimard 2015; ders., L’écologie des autres, L’anthropologie et la question de la nature, Versailles: Quae editions 2011, S.  74.

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„praktische Register“ des Rechts ist nur in geringem Maße auf „ritual reading“72 oder andere Figuren der sprachlichen Performativität angewiesen, die es „vor dem Fall“ schon in Anschlag gebracht haben. Deshalb ist gleichfalls zweifelhaft, dass das Dokument der Rechtsakt selbst ist. Es ist eher die Selbstorganisation des praktischen Feldes der Fälle, der nach Mustern und Anschlussmöglichkei­ ten verlangt. Der „mystische Grund der Autorität“, die „Gesetzeskraft“ (Derri­ da), ist selbst eine Mystifikation der Sprache! Auch die Realität ist vielfältig, das Erkennen ist ein Modus der Konstruktion. Im Falle der juristischen „Sach-ver­ halte“ geht es um das Machen von „Dingen“, die aus dem Materialitätsfluss „aus­ geschnitten“ und zum Gegenstand juristischer Operationen gemacht werden. Dies impliziert die Entwicklung zu einer (in Europa erst später entstehenden) „Culture of Fact“ (B. J.  Shapiro), die wiederum dazu führt, dass zwischen den Individuen insofern Gleichheit herrscht, als „Tatsachen“ jedenfalls von traditio­ nellen Wahrheitsunterstellungen, insbesondere der Religion, zu unterscheiden sind73: Die Realität wird konstruiert, nicht mehr vorausgesetzt. Dies ist auch die Grundlage für die Herausbildung eines „Subjekts“, das eigene Spielzüge inner­ halb eines abstrakteren „Spiels“ der Möglichkeiten formuliert74 , während in tra­ ditionellen lokalen Gemeinschaften eher „objektive“ Rituale vorherrschen, die das Lernen des „Anderen“ und die Operationalisierung von Handlungsstrategi­ en erschweren.75 Das römische Recht bleibt der griechischen Philosophie wegen deren Beitrag zur begrifflichen und systematischen Durcharbeitung des Rechts76 als eines Phänomens der „Isolierung“, das sich von der Integration in die traditionelle Kultur der Religion und den mythischen Vorstellungen entfernt hat, eng ver­ bunden. Aber die eigenständige Leistung des römischen Rechts besteht in der Herausarbeitung der Möglichkeit einer „variablen Geometrie“77 der Relationen 72   Michèle Lowrie, Writing, Performance, and Authority in Augustan Rome, Oxford: Ox­ ford UP 2009. S.  328; Michèle Lowrie, Reading and the Law in Ovid, in: Eva Horn/Bettine Menke/Christoph Menke (Hrsg.), Literatur als Philosophie – Philosophie als Literatur, Mün­ chen: Fink 2005, S.  333–346, 333. 73   Mary Poovey, A History of the Modern Fact: Problems of Knowledge in the Sciences of Wealth and Society, Chicago: University of Chicago UP 1998, S.  X X, 95; vgl. auch Barbara J.  Shapiro, A Culture of Fact: England, 1550–170, Syracuse: Cornell UP 2003, die überzeugend demonstriert, dass die „Tatsache“ zunächst kein naturwissenschaftlicher Begriff ist, sondern durch das Recht geschaffen wird. 74   Luke Wilson, Ben Jonson and the Law of Contract, in: Victoria Kahn/Lona Hutson (Hrsg.), Law and Rhetoric in Early Modern Europe, New Haven: Yale UP 2001 S.  143–165, 152. 75   James A.  Robinson, Why Regions Fail. The Mexican Case, 2012; http://scholar-harris. uchicago.edu/jamesrobinson/presentations/why-regions-fail-mexican-case; The Economist v. 19.9.2015. 76   Zur begrifflichen Seites römischen Rechts Schiavone (Fn.  41 – IUS), S.  275. 77   Schiavone, ebd., S.  64.

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in der Gesellschaft. In der altphilologischen Literatur wird – ebenso wie allge­ mein in der poststrukturalistischen modernen Literatur – das performative Moment der Herstellung von „Sachverhalten“ und Entscheidungen akzentu­ iert.78 Die Ritualisierung des Entscheidens, das auch nach der Entfremdung des Rechts von seiner sakralen Tradition seine Bedeutung behält, auch wenn sie sich stärker mit dem gesprochenen oder geschriebenen Text79 des Entscheidens ver­ bindet, darf allerdings nicht von der spezifisch juristischen Leistung des Ent­ scheidens getrennt werden: diese besteht in einem Prozessieren des rechtlichen Wissens „par événements“80, das bestimmte Relationierungen wie Vertragsty­ pen (Kaufvertrag etc.) unterscheidet und von Fall zu Fall variiert, die Transak­ tionspraktiken beobachtet und systematisiert. Sich wiederholende Konstellatio­ nen werden durch Zergliederung in einzelne Elemente nach Kriterien geordnet unterschieden, die wiederum neue Variationen und Anschlüsse eröffnen.81 Die­ se die Selbst- und Fremdbeobachtung der kommerziellen Transaktionen er­ möglichende „Isolierung“ von rechtlichen Ereignissen war von der Wirtschaftsund Lebensform der Stadt geprägt82 , weil nur die Verdichtung und Wiederho­ lung von Beziehungsmustern in der Stadt die Herausbildung der „variablen Geometrie“ zuließ.83 Die Stadt, eine Lebensform, die selbst auf die griechische Kultur zurückging, schuf die Möglichkeit, Erfahrungen jenseits der stabilen Tradition zu machen.84 d)  Die Grenzen der internen Ausdifferenzierung des Rechts Die Verallgemeinerung der Dogmatik ist begrenzt, so kannten die Römer kei­ nen allgemeinen Begriff des Vertrages.85 Das römische Recht kannte eine Plura­ lität von Institutionen der Rechtsbildung. Dazu gehörten auch die „Gesetze“  Vgl. Schiavone, ebd., S.  114.   Vesting (Fn.  4 4 – Die Medien des Rechts: Schrift), S.  142. 80   Schiavone (Fn.  41 – IUS), S.  115. 81   Schiavone, ebd., S.  63; zur „Objektivität“ des römischen Rechts ebd., S.  279. 82   Schiavone, ebd., S.  350; Thomas (Fn.  27 – Sujet de droit); Ober (Fn.  37 – Democracy and Knowledge); allg. zur westlichen Kultur als einer städtischen: Pierre Manent, Les métamor­ phoses de la cité. Essai sur la dynamique de l’occident, Paris: Flammarion 2010. 83   Schiavone (Fn.  41 – IUS), S.  364. 84   Manent (Fn.  82 – Les métamorphoses de la cité), S.  26; von hier ist es ein weiter Weg zu (post-)modernen Erscheinungsformen tiefgreifender Entfremdung der Individuen von einer als chaotisch erlebten Stadt der (Post-)Moderne, Philippe Simay, Walter Benjamin: La ville comme expérience, in: Thierry Paquot/Chris Younès (Hrsg.), Le territoire des philosophes, Paris: La Découverte 2009, S.  63–79; Christiane Conrad von Heydendorff, Intertextualität nach der Postmoderne: Zolas und Savianos literarischer ‚Stadtkörper’, Philologie im Netz (PhiN) 2017, Nr.  81, Aufsatz 1. 85   Stephen C.  Neff, Decline and Emergence. Roman Law and the Transition from Late An­ tiquity to Feudalism, Journal of Legal History 1984 (5), S.  91. 78

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(leges), die Ausdruck des Willens des Volkes, des Senats oder anderer Beschluss­ gremien waren (bis zum Beginn des Kaiserreichs), und ähnliche Formen der Setzung des Rechts durch eine Willensentscheidung. Die Setzung des Rechts in diesem eher modernen Sinne war im römischen Recht aber eher die Ausnahme. In der Zeit des Prinzipats traten insbesondere kaiserliche „Edikte“ zu den Rechtsformen hinzu. Das eigentliche, für das klassische römische Recht cha­ rakteristische Institut der Rechtsbildung, die nicht die Form der expliziten, auf einen Willen rekurrierenden Rechtsentscheidung über neues Recht annahm, waren die Formen der „Edikte“ der Prätoren86 , die anders als die kaiserlichen Rechtsetzungsakte eng mit der Praxis der rechtlichen Transaktionen in der Stadt und auf dieser Grundlage sich entwickelnder Gewohnheiten verknüpft waren. Dazu gehörten vor allem diejenigen Edikte der Prätoren, die im moder­ nen Sinne materielles und Verfahrensrecht miteinander verbanden und zur He­ rausbildung des „Aktionensystems“ geführt haben.87 Mit der Gewährung einer „actio“ wurde einerseits die Voraussetzung der Geltendmachung von Ansprü­ chen (z. B. aus einem Vertrag) und zugleich das Verfahren der Entscheidung festgelegt. Die praktische Verschleifung des materiellen und des Verfahrens­ rechts hat ihre Entsprechung in der nur unvollständigen Trennung von Rechts­ bildung und Rechtsanwendung: zunächst wurde zwischen der expliziten Set­ zung einer „actio“ durch den Praetor und ihren Anwendungen im Einzelfall durch den grundsätzlich davon zu trennenden „iudex“ im engeren Sinne unter­ schieden. Später wurde diese Unterscheidung aber mehr oder weniger aufgege­ ben und auch die Entscheidung im Einzelfall dem Prätor überlassen. Gerade dadurch bildete sich das „ius civile “ zu einer typischen Form der Rechtspraxis heraus, in der die Setzung und Anwendung des Rechts aufeinander bezogen blieben und so mit der Praxis der privaten Operation des Rechts verbunden wurden. Das römische „ius civile“ ist paradigmatisch für das römische Ver­ ständnis des „ius“ – im Unterschied zur lex, dem gesetzten Recht: Das „ius“ ist ein Recht, das auf seine Weise auch mit der Vorstellung korrespondierte, die im Gegensatz zu dem nur partiell ritualisierten öffentlichen Recht das Zivilrecht geprägt hat. Damit wurde das Zivilrecht selbst praktisch mit seiner Anwendung verschleift, es blieb unbestimmt88: Die Privaten selbst waren partiell als prakti­ sche Rechtsproduzenten anerkannt.89 Die vorübergehende starke Betonung des   Bretone (Fn.  70 – Geschichte des römischen Rechts), S.  102.   Vgl. dazu Bernhard Windscheid, Die actio des römischen Civilrechts vom Standpunkte des heutigen Rechts, Düsseldorf: Budäus 1856. 88   Bretone (Fn.  70 – Geschichte des römischen Rechts), S.  71. 89  Vgl. Jill Harries, Cicero and the Jurists. From Citizens’ Law to the Lawful State, London: Bristol Classical Press, S.  186; Yan Thomas, Les opérations du droit, Paris: Seuil/Gallimard 2011, S.  105. Dies steht im Gegensatz zum islamischen Recht, das Gott als den Urheber des 86 87

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Formalrechts90, dessen Erfordernisse strikt zu beachten waren, war paradoxer­ weise selbst eine Voraussetzung für den Übergang von der durch die Form ge­ stifteten Verselbständigung des römischen Rechts gegenüber den religiösen Praktiken. Die Form war zunächst der Platzhalter der schwindenden religiösen Grundlagen.91 e)  Recht – „mos maiorum“ – „exempla“: Die Durchlässigkeit der Grenzen des Rechts Das „Amtsrecht“ über die öffentlichen Institutionen und Kompetenzen der rö­ mischen Entscheidungsorgane war im verfassungsrechtlichen Sinne – wiede­ rum modern gesprochen – von der ebenfalls oder sogar als primär angesehenen Legitimation des öffentlichen Handelns durch den Rekurs auf die „mos mai­ orum“ nur wenig „isoliert“ und unterschieden.92 Deshalb konnte in Fällen eines gravierenden Konflikts die fragile Grenze zur Gewalt relativ leicht unter Beru­ fung auf „exempla“, das Vorbild des Verhaltens eines der Vorväter, überschrit­ ten werden. Von der Beschwörung solcher „exempla“ war das moralische wie das politische Denken vor allem in der römischen Republik bestimmt. Das „ex­ emplum“ war selbst ein „Medium der Vorstellung“93, das eine produktive Unbe­ stimmtheit mit sich führte und auf die Produktion eines Wiedererkennungsef­ fekts angelegt war. Zugleich verwies es gerade wegen seiner Unbestimmtheit immer auch auf die Ausnahme94: Das Exemplum ruft eine Erwartung auf, die es nicht erfüllen kann und die Ausnahme freigibt. Das, was wir heute Verfassungsrecht nennen, hatte in Rom eher eine geringe Bedeutung. Die Grenze zur Gewalt war immer prekär.95 Man darf die Häufig­ Rechts ansieht, Patricia Crone, Roman, Provincial, and Islamic Law, Cambridge: Cambridge UP 2010, S.  98. 90   Bretone (Fn.  70 – Geschichte des römischen Rechts), S.  71. 91   Vgl. zu Aufstieg und Wandel des Formalrechts Vesting (Fn.  4 4 – Die Medien des Rechts: Schrift), S.  144 ff. 92   Lowrie (Fn.  72– Writing, Performance), S.  290; dies., Sovereignty Before the Law. Agam­ ben and the Roman Republic, Law and Humanities 1 (2007), S.  31, 55. 93   Lowrie (Fn.  72 – Writing, Performance), S.  X I. 94   Melanie Möller, Exemplum and Exceptio. Building Blocks for a Rhetorical Theory of the Exceptional Case, in: Michèle Lowrie/Susanne Lüdemann (Hrsg.), Exemplarity and Singula­ rity. Thinking Through Particulars in Philosophy, Literature, and Law, Abingdon: Routledge 2015, S.  96–110, 97; Michèle Lowrie, Making an Exemplum of Yourself: Cicero and Augustine, in: Stephen J.  Heyworth/Peta G.  Fowler/Stephen J.  Harrison Fowler (Hrsg.), Classical Con­ structions. Papers in Memory of Don Fowler, Oxford: Oxford UP 2007a, S.  104. 95   Die Gewalt wurde aber gerade innerhalb der herrschenden Schichten eingesetzt, des­ halb ist der weite Begriff der „Souveränität“, den G.  Agamben für die Grundlage schon des römischen Rechts hält, problematisch; vgl. Lowrie (Fn.  92 – Sovereignty before the Law), S.  31. Die Herrschaft benötigt „auctoritas“ und Loyalität, Jon E.  Lendon, Empire of Honour, S.  10, 14, 18, aber von Souveränität kann noch keine Rede sein.

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keit der Bürgerkriege nicht vergessen.96 Hier zeigen sich die Grenzen der Evolu­ tion des römischen Rechts, das eben trotz des Bruchs, den es mit dem archai­ schen religiösen Recht vollzogen hat, deutlich vom modernen Recht unterschie­ den war. Allenfalls im Zivilrecht war das Recht von der Politik getrennt, im Übrigen waren die rechtlichen Begriffe für politische Strategien durchlässig.97 Darin schlägt sich nicht eine strukturelle Problematik der römischen Republik wie des späteren Prinzipats nieder, nämlich dass es kein im modernen Sinne universalistisches Recht ist – trotz der weitgehenden „Isolierung“ des Rechts gegenüber der Politik, der Religion und der Moral. Das eine wird durch das andere nicht präjudiziert. Im römischen Zivilrecht findet das „exemplarische“ Denken aber seinen Ausdruck nicht in bestimmten als modellhaft angesehenen Personen („maiores“) und ihrem Verhalten zueinander, sondern eher in einer abstrakteren Fassung von unpersönlichen Fallkonstellationen, die exempla­ risch über den einzelnen Fall hinauswirken. Das römische Recht, insbesondere das ius civile, war ein Recht, das primär von einer relativ kleinen Oberschicht und mit deren (insbesondere) kommerziellem Handeln und derer Familienver­ hältnisse entwickelt worden ist.98 Eine Selbstbegrenzung des ius civile – im Ver­ gleich zum modernen Zivilrecht – liegt noch nicht darin, dass es nicht zur Ent­ wicklung des Regelwerks einer universellen Geldwirtschaft in Rom gekommen ist.99 Allein die Verallgemeinerung der Geldwirtschaft führt noch nicht zur Entwicklung eines modernen universalistischen Zivilrechts. f)  Die Grenzen der Entwicklung eines Rechtssubjekts in der römischen Rechtskultur In der hier untersuchten Zeit (Spätantike bis frühes Mittelalter) kann man eben diesen Prozess der Herausbildung des Subjekts in den Anfängen beobachten, aber allenfalls von einem „Proto-Subjekt“ sprechen, das dementsprechend auch nicht Objekt strategischer politischer Beherrschung sein konnte, zumal in der paganen Zeit nur die Angehörigen der herrschenden Schicht insbesondere als 96   Claude Moatti, Tradition et raison chez Cicero: L’émergence de la rationalité politique à la fin de la république romaine, Mélanges de l’Ecole Française de Rome. Antiquité 1988 (100), Nr.  119 S.  385. 97   Lowrie (Fn.  92 – Sovereignty before the Law), S.  43 98   Dass hier zugleich die Ansätze einer abstrakten Rechtssubjektivität entwickelt worden sind, zeigt, dass Foucaults Perspektive auf die Form der Subjektivität als Form der politischen Machtausübung verfehlt ist (vgl. dazu näher unten): Die Abhängigen hatten in Rom gerade nicht die Stellung von Rechtsinhabern wie die Angehörigen der Oberschicht. Wenn man die­ se Form ganz allgemein als eine Form der Selbstunterdrückung ansehen wollte, geht aber das Moment der politischen Herrschaft verloren. 99   Vgl. zu den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Grenzen des römischen Rechts allgemein Schiavone (Fn.  59 – The End of the Past).

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„Agenten“ des Rechts, noch nicht als Rechtssubjekte in Betracht kamen. Die römischen „Proto-Subjekte“ haben sich, der instituierten „empiristischen Lo­ gik“ der (von ihnen) „erlebten Situationen“100 (z. B. der Vertragschließung) fol­ gend, selbst als reflektierte Individuen ihrer Gesellschaft entwickelt101, sind aber nicht von einer „fremden“ politischen Macht strategisch überdeterminiert wor­ den. Der Prozess der Bildung des Subjekts folgte auch keiner Teleologie, deren Ende schon absehbar gewesen wäre. Dies gilt umso mehr, als die gesellschaftli­ che Dynamik im Frühmittelalter zunächst zum Erliegen gekommen ist. Das Wiederaufleben dieser Dynamik ist auch keineswegs auf einen zentralen Beob­ achtungspunkt zu beziehen, vielmehr bleibt sie azentrisch, multiform, un­ gleichzeitig, von einem „Werden“ ohne Ziel bestimmt.102 Darin ist aber schon ein Moment angelegt, das eine Möglichkeitsbedingung des späteren emergen­ ten Prozesses der Entstehung des modernen (Rechts-)Subjekts schuf. Der „em­ piristischen Logik“ des römischen Rechts entsprach ein Proto-Subjekt, das selbst eine „alliance of a multiplicity of modes and relations“ war103, eben eine „Vielheit“, die schon Nietzsche als das charakteristische Merkmal des moder­ nen Subjekts angesehen hat. Die Einheit des Subjekts (wie des christlich-römi­ schen Proto-Subjekts) ist selbst ein Produkt der „Vielheit“, ein „Modus“104 des Handelns, des Sehens, des Denkens, der auf bestimmte Lebensformen einge­ stellt ist, aber nicht das „Wesen“ des Subjekts ausmacht. Gerade weil das Rechts­ subjekt nicht auf einen fixen Zurechnungspunkt reduziert werden kann, son­ dern auch für das Recht als ein „sujet processuel“ begriffen werden muss105, das eine komplexe Architektur aufweist, kann es nicht auf die Einheitsbildung al­ lein oder auf die Wahrnehmung subjektiver Rechte als einsinniger Durchset­ zungsform eines „Interesses“ reduziert werden.106 Dies ist nur ein „Knoten“ im Netzwerk der Subjektivität. Die Wahrnehmung der subjektiven Rechte ist nur 100  Vgl. Paolo Napoli, Foucault et l’histoire des normativités, Revue d’histoire moderne et contemporaine 60 (2013), S.  29–48. 101  Vgl. Guy G.  Stroumsa, Barbarian Philosophy. The Religious Revolution of Christianity, Tübingen: Mohr 1999, S.  169. 102   Vgl. im Anschluss an den „medial turn“ in den Sozialwissenschaften (hier: der Reli­ gionswissenschaft) Birgit Meyer, Introduction, in: dies. (Hrsg.), Aesthetic Formations /Reli­ gion/Culture/Critique), New York: Palgrave Macmillan 2009, S.  1 ff. 103   So eine nicht auf die römische Kultur bezogenen Formulierung von Tracy B.  Strong, Texts and Pretexts: Reflections on Perspectivism in Nietzsche, in: ders. (Hrsg.), The Self and the Political Order, New York: New York UP 1992, S.  174. 104   Strong, ebd., S.  174. 105   So die Perspektive der Psychoanalyse erweiternd François Richard/Steven Wainrib, In­ troduction, in: dies. (Hrsg.), La subjectivation, Paris: Dunod 2006, S.  1–5; Raymond Cahn, Origines et destins de la subjectivation, in: ebd., S.  7–18. 106   Problematisch deshalb Menke (Fn.  9 – Kritik der Rechte); zur Kritik dieser Kritik Ladeur (Fn.  10 – Recht – Wissen – Kultur), S.  68 ff.

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die eine Seite des Subjekts, das seine Position festlegt, im gleichen Moment aber das Netzwerk der potentiellen weiteren Beziehungen im „Spiegel der anderen“ (A.  Smith) beobachtet und in seinen Entscheidungsbereich übernimmt.107 Ge­ nau deshalb muss das Rechtssubjekt oder das subjektive Recht nicht ex nihilo geschaffen werden, sondern kann sich in einem längeren Prozess allmählich entwickeln. Das Rechtssubjekt ist gerade im Gegenteil aufgrund seiner „archi­ tecture de réseau“ das „Subjekt der Bindungen“, „le sujet qui se noue“. Es aggre­ giert die Möglichkeiten, die an den Verknüpfungen innerhalb der Gesellschaft abgelesen werden können, selektiv innerhalb einer Strategie, die von seiner ei­ genen subjektiven Infrastruktur mit bestimmt ist.108

2.  Das Recht und die Stadt als Quelle der Dynamik des Wissens a)  Die antike Stadt als praktischer Experimentierraum Nach der hier vertretenen Auffassung, die die Entwicklung des gesellschaftli­ chen Wissens als das bedeutendste movens für das Recht ansieht, ist darauf abzustellen, dass die Dynamik der Wissensentwicklung auch für die Evolution des ius civile von entscheidender Bedeutung war, dass es aber nicht zu einer Entwicklung der Wissenschaft im modernen Sinne oder einer Technik gekom­ men ist, die sich von der Bindung an die Befriedigung der Bedürfnisse der Oberschicht emanzipiert hätten. Die Verselbständigung der Wissenserzeugung unabhängig von bestehenden Bedürfnissen, also in einer experimentellen Form, und die Verknüpfung zwischen Wissenschaft und Technik als deren Mo­ tor war aber unter den Bedingungen des klassischen römischen Rechts (noch) nicht möglich (denkbar). Die antike Stadt war aber durchaus von Beziehungs­ netzwerken geprägt, die eine rudimentäre Technikentwicklung durch Beobach­ tung der sich in der Stadt entfaltenden Praktiken erlaubte. Der damit akzentu­ ierte Zusammenhang zwischen Stadt- und Rechtsentwicklung wird negativ am Beispiel des (noch zu konkretisierenden) Niedergangs der spätantiken Stadt109 107  Ebendieses Spanungsmoment wird in Axel Honneths Konstruktion (Das Recht der Freiheit. Grundriss einer demokratischen Sittlichkeit, Berlin: Suhrkamp 2011) verfehlt: Die Anerkennung der Rechte des Einzelnen verbindet sich mit der im „Spiegel der anderen“ (nicht der Beobachtung ihres Wissens, ihrer Handlungen wie bei A.  Smith) jenseits der Symbolisie­ rung gesellschaftlicher Kommunikationsformen erfolgenden unmittelbaren Verschmelzung mit den anderen. 108   Richard/Wainrib (Fn.  105 – Introduction), S.  2. 109   William V.  Harris, Roman Power. A Thousand Years of Empire, Cambridge: CUP 2016, S.  225, 232; für die Zeit der Germanisierung der Kultur vgl. Lucien Musset, Les invasions. Les vagues germaniques, Paris: PUF 1994, S.  171 ff.; Neff (Fn.  85 – Decline and Emergence), S.  91, 97; Sean D.  Lafferty, Law and Society in the Age of Theoderic the Great: A Study of the Edic­

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innerhalb des römischen Reiches (Westrom) und des Verlustes der größeren Städte durch Byzanz (und damit die Verlagerung der sozialen Basis des Reiches auf die ländliche und dörfliche Lebensform) belegbar. (Darauf wird noch mehr­ fach zurückzukommen sein.) Die erhebliche Verschlechterung der ökonomi­ schen Situation der Städte in der Spätantike hatte auch einen Bedeutungsverlust des römischen Rechts zur Folge. Umgekehrt ließe sich zeigen, dass die „Wieder­ entdeckung“ des römischen Rechts im Hochmittelalter mit dem Wiederaufle­ ben des Handels und der Produktion zunächst in den vor allem norditalieni­ schen Städten korrespondiert. Wenn wir zunächst den Blick zurückwerfen auf das klassische, in der Repu­ blik entstandene ius civile, so lässt sich festhalten, dass die begrenzte Beweglich­ keit des römischen Rechts der begrenzten Bewegung der „exempla“ (Fälle) ent­ spricht. Es ist eine Erklärung für die Entstehung der historisch neuen, aber dennoch begrenzten „beweglichen Grammatik“ der gesellschaftlichen Verhält­ nisse, die der Stellung des Wissens in der Gesellschaft entspricht. Das „exemp­ larische“ Denken ermöglicht die flexible Verknüpfung110 der rechtlichen Kons­ tellationen in der Gesellschaft durch Stabilisierung von Mustern (z. B. von typi­ schen Kaufverträgen) und löst sich damit von einer rein situativen, am Einzelfall orientierten fluiden Rechtskultur, die nur wenig Reflexionsvermögen über den einzelnen Fall hinaus erzeugen kann, auf der Stufe einer relativ statischen Ge­ sellschaft verharrt und kein systematisches oder begriffliches Denken über den Prozess der Rechtsbildung zulässt. Das römische Recht hat Anfänge einer „jus­ tiziellen Abstraktion“111 hervorgebracht, die sich später insbesondere im engli­ schen Common Law entfaltet hat, die zwischen den Texten (auch der anderen Entscheidungen) immer wieder neue Verknüpfungen ermöglicht hat, die sich nur sehr begrenzt in begrifflichen Abstraktionen niedergeschlagen haben. Dar­ in ist zugleich die Möglichkeit angelegt von den beteiligten besonderen Perso­ nen zu abstrahieren und damit eine Perspektive auf die bewegliche Figur des subjektiven Rechts zu eröffnen. b)  Das Andere des römischen Rechts: das Provinzialrecht Die Grenzen des römischen Rechts, seine Bindung an die stadtrömischen Bür­ ger und deren Lebenswelt, zeigen sich auch an der Unterscheidung von römi­ schem Recht im engeren Sinne (das für die Stadt Rom galt) und dem Provinzial­ tum Theodorici, Cambridge: Cambridge UP 2013, S.  8 f., 242; Henri Pirenne, Les villes du moyen âge (1927), Paris: Nouveau Monde 2017, S.  10. 110   Schiavone (Fn.  41 – IUS), S.  275. 111   Alain Boureau, La loi du royaume. Les moines, le droit et la construction de la nation anglaise (XIe-XIIIe siècles, Paris: Les Belles Lettres 2004, S.  19.

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recht, das im Wesentlichen seinen eigenen Regeln und Regelmäßigkeiten folgte. Seine Weiterentwicklung war aber vielfach (dies gilt vor allem für das Verfah­ ren112) durch das römische Recht beeinflusst. Insbesondere das Zivilverfahrens­ recht war nicht nur für die Römer im engeren Sinne von Bedeutung, sondern hatte auch zur Flexibilisierung des Verfahrens auf der Grundlage des Provin­ zialrechts geführt, auch soweit lokales materielles Recht anzuwenden war. Zugleich entstand eine Verknüpfung durch den Erlass von vor allem prozes­ sualen Edikten in der Provinz, die im Interesse der dort ansässigen römischen Bürger ergingen.113 Auch dieses Phänomen wirft ein charakteristisches Licht auf die Stellung des römischen Rechts i. e. S.: Es beanspruchte trotz der Expan­ sion des römischen Reiches keine universalistische Geltung. Es blieb begrenzt durch eine – für die Antike – eindrucksvolle „bewegliche Geometrie“, fand aber in der vor allem ideologisch und legitimatorisch wichtigen Rückkopplung an die „mos maiorum“ und die Stadt Rom ihre Entwicklungsschranke.114 Über die Schwelle der Stadtkultur hinaus konnte das römische Recht nur mittelbar und punktuell das Provinzialrecht verändern. Der Charakter des römischen Rechts als eines spezifisch städtischen Rechts ist zugleich in der Stellung des (vielfach ebenfalls städtischen) Provinzialrechts selbst widergespiegelt worden. Die Stadt war mit ihrer Vermittlung zwischen dem „Einzelnen“ und dem „Pluralen“ („le singulier et le pluriel“) vorangegangen; einen weiteren Schritt auf dem Weg zur modernen Subjektivität tat dann das römische Imperium.115 Andere Stadtkulturen folgten ihrem eigenen Stadtrecht. Auf einer Metaebene hat sich der rationalisierende Effekt des römischen Rechts allerdings doch nie­ dergeschlagen und zur jahrhundertelangen Stabilität des Reichs beigetragen. Die römischen Statthalter haben in den Provinzen einerseits mit den lokalen Eliten kooperiert und ihnen viel Raum zur Entfaltung gelassen, andererseits hat die römische Aufsicht vielfach die Willkür lokaler Akteure im Bereich des Rechtssystems begrenzen können, weil hier eine Art „Proto-Universalisierung“ des Rechts mit der grundsätzlichen Trennung der beiden Rechtsschichten ver­ einbar war. Dies hat zusammen mit dem Eindruck der Stärke und des durch 112   John Richardson, Provincial Administration, in: Paul J. du Plessis/Clifford Ando/Kaius Tuory (Hrsg.), The Oxford Handbook of Roman Law and Society, Oxford: Oxford UP, S.  111– 123, 117. 113   Jane F.  Gardner, Being a Roman Citizen, Oxford: Routledge 2010, S.  83; für die Römer galt das Provinzialrecht grundsätzlich nicht, vgl. auch zu den Grundlagen des Verwaltungs­ rechts Richardson (Fn.  109 – Provincial Administration), S.  114, 117. 114  Vgl. auch zum griechischen Denk- und Erlebensmodell der Polis Wolfgang Detel, Foucault und die klassische Antike. Macht, Moral, Wissen, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998, S.  78. 115   Jean-Claude Milner, L’universel en éclats. Court traité politique 3, Lagrasse: Verdier 2014, S.  71.

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erfolgreiche Eroberungen gewonnenen Wohlstands lange Zeit zur Integration des Reiches trotz der administrativ lockeren Verknüpfung beigetragen.116 Die Steuerbelastung in den Provinzen konnte deshalb relativ niedrig bleiben, eine Entwicklung, die in der Spätantike im Gefolge schwerer Niederlagen der römi­ schen Heere abgebrochen ist. Das römische Provinzialrecht hat seinerseits die Entwicklung anderer Rechtskulturen, insbesondere das islamische Recht, be­ einflusst.117 Das gilt weniger für die Formen der begrifflichen Durcharbeitung des Rechts als seine Anwendung in der Praxis.118 c)  Das multipolare Selbst des antiken Menschen Vor diesem Hintergrund ist auch das multipolare Selbst des Menschen in der Spätantike zu lesen, wie es E.  Rebillard119 im Anschluss an B.  Lahire120 formu­ liert – die „interne Pluralität“ des kulturellen Gedächtnisses121, wie sie sich in der Spätantike herausgebildet hatte, legte den Grund für die Entwicklung der Öffnung des Rechts durch das subjektive Recht und die Konstruktion des Rechtssubjekts sowie den Universalismus des „objektiven“ Rechts. Das Zusam­ mentreffen von griechisch-römischen, christlichen und germanischen kulturel­ len Formen und Figuren hat keine stabile Referenz auf ein einheitliches Welt­ bild oder eine stabile Realitätskonstruktion zugelassen. Die Komplexität des Realen, die durch die plurale Kultur selbst erst ermöglicht worden ist, bedeutete immer wieder eine Überforderung der Orientierungsleistung des sozialen Ge­ dächtnisses. Allerdings entspricht die „lose Kopplung“ (Karl E.  Weick) der he­ terogenen Bestandteile der (Rechts-)Kultur den nicht hintergehbaren Spannun­ gen innerhalb einer multipolaren Welt. Diese Konstellation erlaubte ein experi­ mentelles Denken und Handeln, das immer wieder eine der Komponenten der Kultur herausforderte und die Herausforderungen zugleich durch Festlegung auf „respektvolle Überschreitung“ („transgression respectueuse“)122 in Grenzen 116   Clifford Ando, Imperial Ideology and Provincial Loyalty in the Roman Empire, Ber­ keley: University of California Press 2000, S.  19 ff., 206 f.; vgl. auch Peter Heather, Der Unter­ gang des Römischen Reichs, 3.  Aufl., Reinbek: Rowohlt 2011; diese lose Verknüpfung zwi­ schen Rom und den Provinzen legte sicher auch den Grund für die sich in der Spätantike ausbreitende Korruption durch „Privatisierung” öffentlicher Ämter, vgl. dazu allg. Ramsay MacMullen, Corruption and the Decline of Rome, New Haven: Yale UP 1990. 117   Crone (Fn.  89 – Roman, Provincial, and Islamic Law), S.  91. 118   Crone, ebd., S.  92. 119   Eric Rebillard, Christians and Their Many Identities in Late Antiquity North Africa 200–450, Ithaca: Cornell 2012, S.  3. 120   Bernard Lahire, The Plural Actor, Cambridge: Polity, 2003, S.  36 ff. 121   Guy G.  Stroumsa, Religious Memory. Between Orality and Writing, Memory Studies 9 (2016), S.  332, 333. 122   Patrick Bloch/Yossef Berdah, Les secrets de la Torah orale. La méthodologie rabbinique au fil des siècles, Paris: PUF 2012, S.  169 ff.

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hielt. Der Universalismus des Rechts konnte sich erst dann entwickeln, als sich ein einheitliches relativ flexibles, praktische Kontinuität stiftendes Gewohn­ heitsrecht in der Neuzeit in England herausgebildet hatte.123 Es liegt aber die Vermutung nahe, dass erst die Entwicklung einer neuen städtischen Wissens­ kultur in norditalienischen Städten des Hochmittelalters die darin enthaltenen Möglichkeiten zur Entfaltung bringen konnten. Die Entwicklung des prakti­ schen Wissens in Wirtschaft und Wissenschaft blieb hinter den kulturellen und rechtlichen Möglichkeiten zurück. In den offenen „diskursiven Feldern“, die zwischen und über den kulturellen Praktiken Irritationen prozessieren und so Wissensbestände für einander durchlässig halten124 , ist zugleich die Kreativität der beweglichen, der „lebendi­ gen Metaphern“ im Sinne Paul Ricoeurs125, aber auch Hans Blumenbergs, ange­ legt, die die Fähigkeit aktualisiert, unter den Bedingungen des Wandels der his­ torischen Situationen „das Ähnliche des Unähnlichen“ („le semblable à travers le dissemblable“) in den sprachlichen und kulturellen Formen und Figuren zu se­ hen und neue Handlungsmuster zu erfinden und zu erproben. Dies wird durch die Erfahrung des Zwangs zur Anpassung an und der produktiven Um-schrei­ bung kultureller Traditionen erleichtert. Gerade in Zeiten der kulturellen Stag­ nation kann aber auch die von Ideen relativ unabhängige Technik eine gesell­ schaftliche Erfahrung hervorbringen, die auch zu einer Veränderung des Den­ kens führt. Es ist zu vermuten, dass es im Bereich der Technik und des Handwerks auch im Mittelalter ständig Fortschritte gegeben hat, die von der Ideenwelt weit­ gehend unabhängig waren.126 Dadurch werden Veränderungsprozesse angesto­ ßen, die über die Technik selbst hinausweisen, indem sie praktisch demonstrie­ ren, dass etwas hervorgebracht werden kann, das nicht eine schon vorgedachte Idee abbildet oder konkretisiert, sondern etwas Neues erzeugt. Technik und Handwerk haben in dieser Eigenschaft einen Vorzug, der die Kehrseite ihrer Missachtung durch die Welt der Ideen bildet: Die „Armut der Sprache“ der Ideen gegenüber der Technik spiegelt sich auch im Selbstverständnis ihrer Praktiker darin wider, „sich selbst ‚nicht der Rede wert’“ zu sein.127 Das hat aber auch den Vorteil, dass das Ausprobieren sich nicht der Rückversicherung der Ideenwelt bedienen muss und ex nihilo Dinge produzieren kann.   James G. A.  Pocock, Political Thought and History. Essays on Theory and Method, Cam­ bridge: Cambridge UP 2009, S.  167, 178. 124   Lawrence Rosen, Law as Culture. An Invitation, Princeton: Princeton UP 2008, S.  34; Vesting (Fn.  41 – Die Medien des Rechts: Schrift), S.  161. 125   Paul Ricœur, La métaphore vive, Paris: Seuil 1975; Jean Greisch, L’herméneutique com­ me sagesse de l’incertitude, La Pleine St. Denis: Le cercle herméneutique 2015, S.  165. 126   Hans Blumenberg, Geistesgeschichte der Technik, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2009, S.  57, 60, 79. 127   Blumenberg, ebd., S.  67. 123

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d)  Das römische „ius naturale“ Vor allem durch das Nebeneinander von römischem Recht, Provinzialrecht und dem Recht neu eroberter Gebiete hat sich in Rom eine Vorstellung von ei­ nem „ius naturale“ oder „ius gentium“ entfalten können, die nicht von der Vor­ stellung eines göttlichen Ursprungs, einer göttlichen Setzung, basaler Normen ausging, sondern – der unterstellten „sozialen Epistemologie“ entsprechend – von der Beobachtung grundlegender Gemeinsamkeiten zwischen den Rechten unterschiedlicher Völker beherrscht war.128 Charakteristisch für den prakti­ schen, nicht in seinen Grundlagen systematisch durchkonstruierten Bau des römischen Rechts ist, dass dieser Begriff, oder besser: diese Referenz, schwer zu fassen war. Bei F.  Schulz129 heißt es treffend: “Aber wir schöpfen anscheinend unbewusst aus dieser Quelle, ohne weiter darüber nachzudenken und jedenfalls ohne darüber zu reden oder zu schreiben.“ In den Werken Ciceros130 finden sich vielfach Referenzen auf das ius naturale. Dafür wird zum Teil auch eine Begründung in der göttlichen ratio gesucht. Dies ist aber entsprechend der paganen Vorstellung von den Göttern nicht als Rekurs auf eine Setzung durch deren Willen zu verstehen, sondern im Sinne der Be­ schwörung einer in ihren Grundlagen kosmologischen Ordnung zu verstehen, die die Stabilität und Unergründlichkeit der Ordnung der Welt und der Natur unterstellt131 – eine Ordnung, deren Bestandteil die Götter sind, nicht aber de­ ren Urheber, wie nach der christlichen Schöpfungslehre. Bei Cicero132 wird auch eine andere Unterscheidung von lex und ius vorgenommen: das Letztere ist das Recht, das in der Natur seinen Grund findet, während die leges die von den ir­ dischen Gesetzgebern erlassenen Normen sind. Diese Annahme setzte im Pro­ zess der Christianisierung des römischen Reiches christliche Denker unter ei­ nen Druck, der schließlich zu einer Umformulierung der Naturrechtskonzep­ tion führte, die auf die göttliche Vernunft verweist. Ebenso wichtig ist für die römische Rechtskultur das notwendigerweise un­ scharfe Denken eines Anfangs, der immer schon gegeben war und sich infolge­ dessen für die Konstruktion grundlegender naturrechtlicher Normen ver­ schließt. Damit ist m. E. auch die Unklarheit des römischen Denkens über das „ius naturale“ zurückzuführen, das in vielen Ausprägungen, soweit es die Le­ bensformen unterschiedlicher Völker zum Ausdruck bringt und sich in prakti­ schen Regeln ausdrückt, beobachten, aber nicht explizit in eine als Hierarchie 128  Vgl. Bretone (Fn.  70 – Geschichte des römischen Rechts), S.  229; Thomas (Fn.  86 – Les opérations du droit), S.  23. 129   Schulz (Fn.  65 – Geschichte der römischen Rechtswissenschaft), S.  84. 130   Cicero, De republica, Stuttgart: Reclam 2013, S.  3, 22, 33. 131   Bretone (Fn.  70 – Geschichte des römischen Rechts), S.  229. 132   Cicero (Fn.  130 – De Republica).

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verstandene Regelordnung einfügen lässt. 133 Hier zeigt sich die Konsequenz des Naturrechtsdenkens, wie es in der Moderne von L.  Strauss134 zum Ausdruck gebracht worden ist: Das Naturrechtsdenken setzt danach voraus, dass be­ stimmte Lebensformen als unabänderlich, als Voraussetzung gedacht werden müssen. Sonst sind allenfalls religiös begründete, auf den Willen Gottes rekur­ rierende Versionen eines Naturrechts vorstellbar – dies wäre dann die christli­ che Version, auf die weiter unten noch einzugehen sein wird. Für das römische Rechtsdenken galt die erste Variante, die damit auf übergreifende Gemeinsam­ keiten aller bekannten Rechtsformen zurückgreifen konnte, aber nicht auf ei­ nen höheren göttlichen Ordnungswillen. Diese nur skizzenhaften Anmerkun­ gen zum römischen Stadtrecht und zum ius naturale135 zeigen jedenfalls, worauf es hier mit Blick auf die Evolution des römischen Rechts im Zuge der Christia­ nisierung ankommt.

3.  Die Kultur des römischen Rechts a)  Die kreative Ambiguität der römischen Rechtskultur Nach dem hier vertretenen Ansatz zu einer Kulturtheorie des Rechts lässt sich vermuten, dass die Herausbildung des universalen Rechts im Allgemeinen mit der Entwicklung einer Konstruktion des subjektiven Rechts, die für das westli­ che Recht von paradigmatischer Bedeutung ist, ein äußerst komplexer und vor­ aussetzungsvoller Vorgang ist. Dessen Entwicklung kann man sich nur inner­ halb von „Transformationsräumen“ vorstellen136 , in denen über einen längeren Zeitraum sehr unterschiedliche Ideen, Figuren und Formen prozessiert werden, deren Verhältnis zueinander im Unbestimmten bleibt und nicht auf „festgelegte Ideen“ verweist.137 Dies kann – im Anschluss an die Begriffsbildung bei Rei­ chenbach und Whitehead – nur in einer „Ereignissprache“138 in Metaphern139 gedacht werden, die sich für das Unvorgedachte öffnet und die Darstellung des Rechts mit dem Prozess der eigenen Herstellung verschleift. Die Beteiligten be­ finden sich im Verfahren in einem Wettbewerb, an dessen Ende die Anerken­   Paul Veyne, L’empire gréco-romain, Paris: Seuil 2005.   Leo Strauss, Natural Right and History, Chicago: Chicago UP, 1965. 135   Schiavone (Fn.  41 – IUS), S.  391. 136  Vgl. Katrin Trüstedt, Nomos and Narrative. Zu den Verfahren in der Orestie, in: Ino Augsberg/Sophie-Charlotte Lenski (Hrsg.), Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt des Rechts, München: Fink, S.  59. 137   Karl Heinz Bohrer, Das Erscheinen des Dionysos, Berlin 2015, S.  380. 138   Bohrer, ebd., S.  357. 139   Rosen (Fn.  124 – Law as Culture), S.  10. 133

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nung der Entscheidung (in) der Gemeinschaft steht. Die noch mangelnde Aus­ differenzierung des Rechts lässt zugleich aber etwas erkennen, was es später in seiner Praxis verdrängt: Es ist „not solely of its own making“.140 Was Kultur ist, lässt sich hier nicht nebenbei „definieren“ – im Gegenteil! „Recht als Kultur“ bedeutet im Kontext dieser Arbeit die Akzentuierung einer „creative ambigui­ ty“ (Roy Wagner), die die Einheit des Rechts als Problem ansieht. Die „Dekons­ truktion“ macht weitgehend auf verborgene Voraus-setzungen insbesondere des Rechts aufmerksam, die gar nicht zu leugnen sind. Sie sind aber weitgehend (nicht immer) den Erfordernissen des praktischen Funktionierens des Rechts, nicht einer bloßen Ideologie geschuldet. Dass erscheint dann anders, wenn man den Sinn des Rechts als eines „nützlichen Wissens“ (J.  Mokyr) gering achtet und überall nur Machtverhältnisse sieht. Die „Isolierung“ des römischen Rechts und die Autonomie des Rechtsden­ kens gegenüber insbesondere religiösen Vorstellungen ist nur eine der Voraus­ setzungen für ein universalistisches Rechtsdenken. Es wird noch zu zeigen sein, dass die Lebensform der römischen Oberschichten einerseits, aber auch die rö­ mische Religion und die in Rom das Denken der gebildeten Schichten bestim­ mende griechische Philosophie andererseits selbst den Weg zu einer Universa­ lisierung des römischen Rechts zunächst versperrt haben. Die griechische Phi­ losophie und ihre Vorstellung einer kosmologischen Ordnung setzte der Herausbildung einer wissenschaftlich geordneten Beobachtung der Natur und der wissenschaftlichen Konstruktion von „Gesetzen“, die eine wichtige Voraus­ setzung für die Universalisierung und Rationalisierung des Rechts waren, kaum überwindbare Grenzen. Für die Griechen wie für die Römer waren alle Formen des Wissens miteinander verbunden, auch wissenschaftliche und ästhetische.141 Die Abstraktion des wissenschaftlichen und technischen Wissens aus der Ge­ samtheit der kulturellen Wissensbestände war eine der Voraussetzungen des neuzeitlichen Wissens, aber auch der Entwicklung eines die Gesellschaft beob­ achtenden Subjekts.142 Allerdings legte die griechische Philosophie wiederum die Grundlage für die Entwicklung des christlichen Selbstverständnisses in der Welt, da jene die Fragen nach den „fundamental shape of the world“ aufgewor­ fen hatte.143 Möglich wurde dies wiederum nur dadurch, dass die Römer die griechische Philosophie einem grundlegenden, wenn auch zunächst unschein­   Rosen, ebd., S.  23.   Pierre Vesperini, Lucrèce: Archéologie d’un classique de la culture européenne, Paris: Fayard 2017. 142   Zu den historischen Bedingungen der Entstehung der gesteigerten Sensibilität der Sub­ jektivität im Gegensatz zum archaischen Ich, das an der Tradition orientiert ist, Vesting (Fn.  4 4 – Die Medien des Rechts: Schrift), S.  77. 143   Troels Engberg-Pedersen, Cosmology and Self in the Apostle Paul: The Material Spirit, Oxford: Oxford UP 2010, S.  2. 140 141

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baren Wandel unterzogen: Die Philosophie war in Rom einem Prozess der Pro­ fanierung ausgesetzt, der sie aus der Bindung an die Welt der Götter löste: „du culte à la culture“.144 Dadurch wurde erst der spätere Anschluss des Christen­ tums an die Philosophie vorstellbar. Der antike römische Mensch suchte sich durch geistige Übungen in die Natur zu stellen und deren Ordnung zu erleben, nicht aber sie zu verändern.145 Auch die Dynamik des technischen Wissens war nicht nur dadurch nur begrenzt möglich.146 Wenn A.  Schiavone den entscheidenden Unterschied zwischen dem römischen Recht und dem späteren rationalen universalistischen Recht der Neuzeit – wie erwähnt – allein im Mangel einer entwickelten Logik des Marktes und der Geldwirtschaft sieht, so erscheint diese Bewertung fragwürdig. Genau­ er ist danach zu fragen, unter welchen Bedingungen sich eine solche Wirt­ schaftsform und mit ihr das universalistische Recht herausbilden können. Dies ist nach der hier vertretenen Konzeption nur dann möglich, wenn die Kultur insgesamt eine Beweglichkeit des Wissens und der Lebensformen ebenso wie in der Religion hervorbringt. Von einer solchen weitreichenden Dynamik der Selbsttransformation der Gesellschaft, die damit einhergeht, war aber das römi­ sche Reich ebenso wie zuvor etwa das klassische Athen weit entfernt. Eine sol­ che Entwicklung wiederum, auch dies wird noch zu zeigen sein, ist nur dann möglich, wenn mehrere kulturelle Systeme zusammenwirken und einen Varie­ tätspool bilden, innerhalb dessen sich unterschiedliche Wissenssysteme und -paradigmen wechselseitig irritieren und einen heterarchischen Prozess des Ex­ perimentierens „ohne Zentrum“ auslösen. Diese Sichtweise kontrastiert mit ei­ ner statischen Betrachtung der Ideengeschichte, die den Wandel eher als durch bewusste Akte der Übernahme oder die Kontinuität stabil gestellter geistesge­ schichtlicher Formen bestimmt sieht.147 Nur in dem beschriebenen Kontext kann sich eine Trajektorie herausbilden, die die Dynamik des westlichen Denkens und den Prozess der Bildung westli­ cher Institutionen generiert haben. Die erste Voraussetzung dafür war das Zu­ sammenwirken der griechischen Kultur, insbesondere der Philosophie, und des 144   Pierre Vesperini, La philosophia et ses pratiques d’Ennius à Ciceron, Rom: Ecole française de Rome 2012. 145  Allg. Schiavone (Fn.  59 – The End of the Past). 146   Zu dessen Bedeutung für die Entwicklung der Wirtschaft einer Gesellschaft Schiavone (Fn.  56 – The End oft he Past). 147   Vgl. dazu etwa Carl Schneider, Geistesgeschichte des Christentums, 2 Bde., München: Beck 1954, Hans Blumenberg, Epochenschwelle und Rezeption, Philosophische Rundschau 1958 (6), S.  94–120. Auch der Begriff „shared imaginary“, den Michèle Lowrie verwendet (Di­ vided Voices and Imperial Identity in Propertius 4.1 and Derrida, Monolingualism of the Other and Politics of Friendship, Dictynna 8 [2011], 711), erscheint zu statisch.

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römischen Rechts mit seiner „variablen Geometrie“148 , deren Abstraktionsleis­ tung eine produktive Unruhe innerhalb des Rechts erzeugt hat. Damit ist die das statische Gewohnheitsrecht überschreitende „soziale Epistemologie“ der reflexiven, ihrer eigenen Praxis folgenden Selbstbeobachtung des Rechts durch die Suche nach der Möglichkeit unterschiedlicher Musterbildungen hervorge­ bracht worden. Das Rechtssystem benötigt für die Entwicklung der „produkti­ ven Unruhe“, die eine Dynamik der Vielfalt rechtlicher Operationen in Gang setzt, mehr als die Version einer „variablen Geometrie“, die von Fall zu Fall mit einem begrenzten Bestand von Relationierungsmustern rechtliche Transaktio­ nen beobachtet. Dazu wird auch die Inkaufnahme eines produktiven „Kontroll­ verlusts“149 erforderlich, einer Periode, in der das Rechtssystem seine Formen und Muster durchlässig macht auch für grundlegend neue Experimente, die nicht nur neue Varianten innerhalb etablierter Muster ermöglichen, sondern neue Muster sich herausbilden lässt, die vor allem auf der Grundlage der Selb­ storganisation der Rechtsakteure und der von ihnen zunächst selbst gesuchten Koordinationsmuster sich entfalten.150 Damit wird eine Zwischenstellung, ein Spalt zwischen subjektivem und objektivem Recht betont, der für die Beobach­ tung der weiteren Entwicklung von Bedeutung ist: Es geht um den transsubjek­ tiven Prozess der Irritation zwischen den Subjekten151, der weder subjektiv noch objektiv ist, sondern emergenten Charakter hat, d. h. der nie reduziert werden kann auf die eine oder die andere Seite eines stabilen Verhältnisses, sondern in Bewegung ist und sich so der genauen Beschreibung entzieht. Das sich im Mittelalter herausbildende Verständnis des subjektiven Rechts („ius“) als „potestas“ ist nur die Oberfläche des transsubjektiven „Flusses“ der Ereignisse zwischen den Individuen, die in Permanenz die „Arbeit am Selbst“ verlangt. Diese Arbeit vollzieht sich in historisch wandelbaren Mustern und mit unterschiedlichen Folien (in der Antike insbesondere mit dem „Anderen“ der heiligen Schriften, ständig mit der Beobachtung der „anderen“). Ohne diese „innere“ Seite der Durcharbeitung ist der Gegenstand des subjektiven Rechts nur das unstillbare Bedürfnis, immer neue Rechte zu erhalten.152 Die Arbeit am Selbst, vor allem im praktischen Sinne des Erwerbs von Wissen durch Beobach­ tung der Anderen, der Einfügung in gesellschaftliche Lebensformen, ist auch   Schiavone (Fn.  41 – IUS), S.  64.   Vgl. dazu Ladeur (Fn.  25 – Prozeduralisierung zweiter Ordnung). 150  Dazu Karl-Heinz Ladeur, Postmoderne Rechtstheorie, 2.  Aufl., Duncker & Humblot 1995. 151   Vgl. allg. Karl-Heinz Ladeur, Negative Freiheitsrechte und gesellschaftliche Selbstorga­ nisation. Zur Erzeugung von Sozialkapital durch gesellschaftliche Institutionen, Tübingen: Mohr 2000. 152   Vgl. dazu in postmoderner Perspektive François Richard, Le surmoi perverti, Revue française de psychanalyse 81 (2017), S.  338–350. 148 149

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das, was die zentrale Bedeutung des Rechtssubjekts und des subjektiven Rechts als ein Recht, Beziehungen zu entwickeln und zu erproben, ausmacht. Die Ar­ beit am Selbst ist das Inganghalten eines Prozesses „vers un moi toujours plus sujet de lui-même“.153 Das Abwehrrecht, das Recht, ein eigenes Interesse als „Anspruch“ durchzu­ setzen, hat nur eine untergeordnete instrumentelle Bedeutung. Dies zeigt ein gedanklicher Test: Wenn eine Gesellschaft keinen lebendigen über „die ande­ ren“ distribuierten Ideenpool hat, ist das „Abwehrrecht“ weitgehend bedeu­ tungslos. Es kann allenfalls elementare (und insofern wichtige) Existenzrechte sichern. Die ganz unterschiedliche Geschichte der Gesellschaft in Frankreich, England und den USA demonstriert ad oculos, wie wenig die formale Konstruktion des subjektiven Rechts als ein Bestimmen-Können bedeutet: In Frankreich sind die subjektiven Rechte eher Rechte auf Neugründung der Gesellschaft jenseits der Tradition, in den USA wie in England dient der Schutz der subjektiven Rechte der Selbstorganisation der Gesellschaft durch den Prozess der Ausübung indi­ vidueller Rechte.154 b)  Grenzen der Abstraktionsleistung des römischen Rechts Die Grenze der Entwicklung des römischen Rechts – die vor allem in der Re­ trospektive deutlich wird – wird vor allem darin sichtbar, dass es jenseits der o.g. Blockierungen, und damit im Zusammenhang stehend, keine allgemeine Vorstellung von einem Rechtssubjekt und vom subjektiven Recht hervorge­ bracht hat – die Abschwächung oder Auflösung dieser Blockierung aber scheint auch eine der Voraussetzungen für die Entwicklung eines universalistischen Rechtsmodells zu sein. Das römische Recht hat eine Pluralität der Formen von Handlungsfähigkeit und der Vertretung in die Rechtspraxis eingeführt, aber dies zeigt umso deutli­ cher, dass die Form des Rechtssubjekts und vor allem des subjektiven Rechts selbst ihm fremd geblieben ist. Erst ein solcher Entwicklungsschritt setzt vor allem die das Zivilrecht westlicher Gesellschaften auszeichnenden Ursachen frei, die die Selbstorganisation rechtlicher Traditionsaktionen zulässt und er­ möglicht. Dem römischen Recht liegt die Vorstellung zugrunde, dass die „Frei­   François Richard, L’actuel malaise dans la culture, Paris: Ed. de l’Olivier 2011, S.  218.   Vgl. zur Unterschiedlichkeit der Konzeption der Rechte Lynn Hunt, Inventing Human Rights. A History, New York/London 2007; zur Grundierung der subjektiven Rechte in der Selbstorganisation der Gesellschaft in den USA vgl. Michael P.  Zuckert, The Natural Rights Republic: Studies in the Foundation of the American Political Tradition, Notre Dame: Uni­ versity of Notre Dame Press, 1999. 153

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heit“ des Einzelnen eine faktische Möglichkeit in den Grenzen des Rechts ist.155 (Dem ist auch die spätere Scholastik gefolgt, die das Recht selbst als einen Be­ stand von Regeln angesehen hat, der seine Quelle als Naturrecht156 außerhalb des Einzelnen hat.) Vor allem das aktionenrechtliche Denken, das keine klare Trennung zwi­ schen materiellem Recht und Prozessrecht vollzieht, lässt eben auch die perma­ nente Intervention einer öffentlichen Institution (hier des Prätors) in den Pro­ zess der Rechtserzeugung zwischen den privaten Akteuren erkennen. Erst mit der Trennung von Verfahrensrecht und materiellem Recht wird auch die priva­ te Selbstorganisation von Vertragsformen, Konventionen und damit die Dyna­ mik der Selbsttransformation des Rechts denkbar, wie sie das moderne Recht charakterisieren. Ähnliches gilt auch schon für das griechische Recht, das in der klassischen Zeit vor allem ein Verfahren bereitgehalten hat, das dazu diente, die ohnehin nur rudimentär ausgeformten Rechtsfiguren in der Gestalt von Grup­ pen von „Konstellationen“ in begrenztem Maße für Anschlussmöglichkeiten bereit zu halten, aber eben vor allem kein subjektives Recht hervorgebracht hat. Das griechische Recht selbst ist eher in einer „Ereignissprache“157 zur Geltung gebracht worden, die nicht an vorgedachte Ideen anknüpft, sondern die Wie­ der(an)erkennung des Selbst in der Gemeinschaft appräsentiert. Ob dadurch überhaupt materielles Recht generiert worden ist158 , erscheint nicht zuletzt des­ halb zweifelhaft, weil es auch nicht zu einer Professionalisierung rechtlicher Akteure gekommen ist. Die griechischen und römischen Varianten des Verfahrens haben der Ent­ wicklung der Transaktionen des Rechts (oder einer Art Recht) für die handeln­ den Individuen in einer pragmatisch begrenzten Gewährleistung159 durchaus erhebliche Bewegungsfreiheit verschafft160, aber die Grenzen der Selbsttranszen­ denz des Rechts waren eher eng, soweit es um die Entwicklung neuer Rechtsfor­ men ging. Es ist aber vor allem die „objektive“ Seite der Rechtssubjektivität und des subjektiven Rechts, die für die Entwicklung einer Dynamik der Schaffung von Anschlussmöglichkeiten für Dritte von entscheidender Bedeutung ist, die 155   Annabel S.  Brett, Changes of State. Nature and the Limits of the City in Early Modern Natural Law, Princeton: Princeton UP 2011, S.  97. 156   Vgl. zum christlichen Naturrecht Matthew Levering, Christians and Natural Law, in: Anver M.  Emon/ders./David Novak (Hrsg.), Natural Law: A Jewish, Christian, and Muslim Trialogue, Oxford: Oxford UP 2014, S.  66–110. 157   Vgl. zum Begriff Bohrer (Fn.  137 – Dionysos), S.  357. 158   Vgl. zur Dominanz des Verfahrens Lin Foxhall/A. D. E.  Lewis, Introduction, in: dies. (Hrsg.), Greek Law in Its Political Setting: Justifications not Justice, Oxford: Clarendon 1996, S.  1–8. 159   Bretone (Fn.  70 – Geschichte des römischen Rechts), S.  230. 160   Thomas (Fn.  89 – Opérations du droit), S.  105.

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im römischen Recht begrenzt bleibt (noch stärker gilt dies für das griechische „Recht“). Das subjektive Recht ist ebenso wie das Rechtssubjekt selbst in einer universalistisch gedachten Form des Rechts nicht einmal primär die Form der Durchsetzung individueller Interessen (auf Kosten anderer, auch öffentlicher Interessen), vielmehr dient es sogar in erster Linie dazu, den transsubjektiven „Varietätspool“ der Möglichkeiten durch Freisetzung eines Prozesses des Expe­ rimentierens in Bewegung zu versetzen. Das bedeutet aber zugleich, dass die Form der Rechtssubjektivität und des subjektiven Rechts sich erst voll entfalten können, wenn einmal – wie erwähnt – auch die kognitive (im Gegensatz zur normativen) Seite der Beobachtung der Gesellschaft durch einen Prozess der Wissenserzeugung und des Wissensaustauschs, also durch wechselseitige Be­ obachtung ohne Kontrolle durch eine starre Kultur in Gang gesetzt worden ist. Voraussetzung dafür ist die Entstehung eines „objektiven“ Verhältnisses zur Natur (jenseits von Mythos und Religion), eines wissenschaftlichen methodi­ schen Suchprogramms, aber auch die positive Bewertung der Handarbeit (Technik) und ihrer Verknüpfung mit dem gesellschaftlichen Wissen. Das Rechtssubjekt und seine scheinbare „Leere“ als bloße „Adresse“ im Rechtssys­ tem verweisen im Grunde auf einen kollektiven Prozess der Erfahrung, der durch wechselseitige Beobachtung der Individuen als Rechtssubjekte in Gang gehalten und als Quelle einer Vielzahl von überwiegend ungeschrieben bleiben­ den Konventionen, Erwartungen und Mustern verstanden wird.161 Diese wer­ den in einer modernen Rechtsordnung selbst wieder an den Prozess der Ent­ wicklung des Rechts angeschlossen. Das römische wie das griechische Recht haben eine Fülle von Voraussetzungen für diese Entwicklungen geschaffen, aber eben letztlich die ungeschriebenen Grenzen der Tradition nicht über­ schritten und Prozesse der Selbsttranszendenz der gesellschaftlichen Normen blockiert. c)  Die Notwendigkeit der Selbständerung als Merkmal der antiken Kultur Shulman/Stroumsa162 , zwei Historiker der Spätantike, haben darauf aufmerk­ sam gemacht, dass schon in den spätantiken religiösen Gemeinschaften, den jüdischen wie den christlichen, die Notwendigkeit der ständigen Selbstände­ rung der Personen als Problem gesehen und dessen Abspannung in spezifisch religiösen Ritualen institutionalisiert worden ist. Damit ist die Kultur statt der 161   Darauf geht auch Georg Jellineks Lehre von den negativen Freiheitsrechten als „Ab­ wehrrechten“ zurück, vgl. ders., System der subjektiven öffentlichen Rechte (1892), 2.  Aufl. 1905 (hrsg. v. Jens Kersten), Tübingen: Mohr 1999, S.  86. 162   David Shulman/Guy G.  Stroumsa, Introduction: Persons, Spaces and Shifting Cultural Space, in: dies. (Hrsg.), Self and Self-Transformation in the History of Religions, Oxford: Ox­ ford UP 1996, S.  3–18.

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Natur in der Person als „inner self“ verankert und verinnerlicht worden und eine aktive, bewegliche „kulturelle Matrix“ in Gang gesetzt worden. Auch für das jüdische Gesetz, das kein Gesetzesbefehl ist, lässt sich eine interessante Pa­ rallele ziehen: Das, was das Gesetz verlangt, ist nicht die Unterwerfung, sondern das Studium – d. h. letztlich die Teilhabe an Prozessen der Selbständerung von Personen in einer Gemeinschaft, die nicht staatlich konstituiert wird. Insbesondere die griechische Kultur hat, wie J.  Ober überzeugend dargelegt hat, nicht nur die Formen der demokratischen Institutionen entwickelt, son­ dern vor allem den Anfang einer Dynamik des Wissens durch wechselseitige Beobachtung erzeugt und praktisch genutzt. Die technische Dimension der griechischen Kultur wird gegenüber der ästhetischen, philosophischen politi­ schen Entwicklung eher vernachlässigt; dies hängt nicht zuletzt damit zusam­ men, dass die Technik bis zum Beginn der Neuzeit von der offiziellen Kultur eher missachtet wird und sie selbst keine angemessene Reflexionsform der tech­ nischen Selbstbeobachtung jenseits des Machens entwickelt.163 Auch die Entste­ hung der Ästhetik in Griechenland setzte die Resonanz in einer geteilten ge­ meinsamen Erfahrung voraus.164 . Das fiktive Moment des römischen Rechts165 und seiner (Unter-)scheidungen oder seiner „Isolierung“ bestand auch und gerade darin, dass das Individuum so behandelt wird, als ob es nur seine eigenen Interessen verfolgte. Tatsächlich verbindet sich mit dieser Funktion die Erwartung, dass schon aus Gründen der Erhaltung einer gemeinsamen „Innenwelt“ der Gesellschaft rechtliche Trans­ aktionen der Form und dem Inhalt nach die Beobachtung „der Anderen“ und des „Anderen“ der Gesellschaft und des gesellschaftlichen Wissens enthalten müssen.166

4.  Römisches Recht und Religion – pagan und christlich? a)  Was bedeutet die Frage nach den römischen Anfängen des neuzeitlichen westlichen Rechts? Die in diesen Überlegungen eingenommene Perspektive ist, wie gezeigt, von der Frage nach den religiösen Anfängen des westlichen Rechts bestimmt. Histori­   Blumenberg (Fn.  126 – Geistesgeschichte der Technik).   Porter (Fn.  37 – The Origins of Aesthetic Thought), S.  1, 7. 165   Thomas (Fn.  89 – Opérations du droit), S.  135. 166  Vgl. zu diesem Wechselverhältnis im mittelalterlichen Denken David Gary Shaw, Necessary Conjunctions. The Social Self in Medieval England, New York: Palgrave Macmil­ lan 2005. 163

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4.  Römisches Recht und Religion – pagan und christlich?

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sche Untersuchungen sind notwendigerweise von gegenwärtigen Problemen beeinflusst oder geprägt, dies ist kaum vermeidbar. Die Tatsache, dass ein Autor sich dessen bewusst ist, heißt nicht, dass er diesem Problem aus dem Wege ge­ gangen ist, aber jedenfalls sollte die Offenlegung dieser nicht hintergehbaren Selektivität zu einer gewissen Vorsicht im Angesicht eines Dilemmas führen. Dies vorausgeschickt, sei angemerkt, dass schon die Frage nach den „Anfängen“ die Unterstellung eines „vorläufigen“ Endes dessen, was in der Vergangenheit „angefangen“ hat, indiziert: Hier wird zunächst davon ausgegangen, dass es kei­ ne lineare Entwicklung von der antiken Philosophie und dem römischen Recht bis hin zum modernen Recht gegeben hat. Sonst müsste man annehmen, dass die griechischen und römischen „Anfänge“ im Mittelalter „unterbrochen“ wor­ den seien167, um dann später wieder aufzuleben und den Grund für das moder­ ne Recht zu legen. Im Folgenden wird zu zeigen sein, dass die „Christianisie­ rung“ keineswegs eine lineare Entwicklung bestimmt hat, die dann in der Renaissance jenseits des Christentums einen ganz neuen geraden Weg bis zur Entstehung des westlichen Rechts genommen hätte. Eine Fülle von Faktoren hat in der und nach dem Ende der Spätantike auf das römische Recht eingewirkt. Zu diesen gehört auch die Germanisierung168 , die ebenfalls eine ungebrochene Fortsetzung der Evolution des römischen Rechts verhindert hat. Die Germanen standen der römischen Kultur nicht feindselig gegenüber, aber sie waren – an­ ders als Römer und Christen – nicht durch eine städtische Kultur geprägt.169 Beide genannten Transformationsprozesse, sowohl die Christianisierung als auch die Germanisierung, haben vielmehr selbst einen starken Einfluss auf die Herausbildung des westlichen Rechts ausgeübt. Zunächst muss deshalb ver­ sucht werden, die Rolle der römischen Religion, insbesondere in der Spätantike, herauszuarbeiten und die Bedeutung der Christianisierung der Kultur und des Rechts in den Blick zu nehmen. Die letztere Entwicklung ist vor allem im Ver­ gleich zur späteren Islamisierung eines großen Teils der römischen Provinzen besonders interessant, weil sich dieser Prozess der Christianisierung „von un­ ten“ vollzogen hat. Demgegenüber hatte die Islamisierung des Mittelmeerraums den Charakter einer gewaltsamen Expansion. Daraus ergibt sich, dass, wie noch näher zu zeigen sein wird, ein ganz anderes Verhältnis zur griechisch-römi­ schen Kultur in den durch den Islam eroberten Gebieten entstanden ist. Auch 167  Vgl. Alain de Libera, La philosophie médiévale, 6.  Aufl., Paris: Presses Universitaires de France 2015, S.  11. 168  Vgl. Paul-André Turcotte, Major Social Science Theories: Origins, Developments, and Contributions, in: Anthony J.  Blasi/ders., Jean Duhaim (Hrsg.), Handbook of Early Christia­ nity. Social Science Approaches, Walnut Creek, Cal.: Altamira Press, S.  50. 169   James C.  Russell, The Germanization of Early Medieval Christianity. A Sociohistorical Aproach to Religious Transformation, OUP 1994, S.  4.

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I.  Die römische Rechtskultur und ihre Vorleistungen

das römische Recht ist seinerseits selbst nach der – immer nur relativen – „Iso­ lierung“ von religiösen Ritualen nicht von der Religion völlig unabhängig gewe­ sen. Der Einfluss der Religion ist eher mittelbar gewesen; ein völlig areligiöses Recht wäre auch in der Spätantike nicht denkbar gewesen. Dies ist auch der Grund für die Schwierigkeiten des Christentums, sich auf die römische Rechts­ kultur einzustellen; zugleich bietet aber das schon vorgefundene Verhältnis der Wechselwirkung zwischen Recht und Religion auch die Anschlussmöglichkeit für die Christianisierung der Rechtskultur. In einem ersten Schritt soll zunächst die Stellung der römischen Religion in der Spätantike für die Rechtskultur dargestellt werden, soweit sie für das Ver­ ständnis der daran anschließenden Christianisierung der Kultur im Allgemei­ nen und des Rechts im Besonderen von Bedeutung geworden ist. b)  Die römische Religion Hervorzuheben ist zunächst, dass die römische Religion eine praktische Reli­ gion, eine „Religion des Machens“170, eine „Loyalitätsreligion“ war.171 Der Ge­ brauch des sehr allgemeinen Begriffs „Religion“ für die Einordnung ganz unter­ schiedlicher Verständnisse des „Heiligen“ ist schon für sich genommen proble­ matisch, er muss jedenfalls mit Vorsicht erfolgen: die religiöse Praxis der Römer war ihrerseits – wie die des Rechts – letztlich an die Stadt Rom gebunden.172 Die Stadt Rom bestimmte bis in die Spätantike den Raum der römischen Kultur. Auf diesem Hintergrund ist die auf den ersten Blick als „Toleranz“ zu be­ schreibende Tendenz in der römischen Geschichte zu verstehen, den Göttern „der Anderen“ ebenfalls (zum Teil) einen Platz in den römischen Tempeln ein­ zuräumen. Dies war eine ambivalente Haltung, sie indizierte auch, dass bei den Römern die Religion nicht um das Individuum, sondern um den Staat, die Ge­ meinschaft, allerdings die der Oberschicht, zentriert war. Dies wiederum hatte die Folge, dass weder eine Universalisierung der Religion erfolgen konnte, die das gesamte Reich hätte verändern können, noch die oben beschriebenen Gren­ zen des römischen Rechts durch die Religion einen Anstoß zur Weiterentwick­ lung, zur Universalisierung erhalten konnten. Auch hier blieb es bei einer Art von „Pluralisierung“ der Religionen (ebenso wie des Rechts), aber eine dem rö­   Marie-Françoise Baslez, Comment notre monde est devenu chrétien, Paris: Seuil 2015,

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S.  11.

171   Clifford Ando, The Matter of God: Religion and the Roman Empire, Berkeley, Cal: Uni­ versity of California Press, 2008; auch John Scheid, Les dieux, l’Etat et l’individu. Réflexions sur la religion civique à Rome Paris: Seuil 2013. 172   Dies galt dann auch zunächst für das Christentum, das erst später die quasi-staatliche Formen annahm, Stephen Mitchell, A History of the Later Roman Empire. AD 284–641, Ox­ ford: Wiley 2007, S.  230.

4.  Römisches Recht und Religion – pagan und christlich?

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mischen Reich entsprechende Religion oder ein universalistisches Recht konnte sich so nicht entwickeln. Das römische Recht hat seinerseits – wie oben be­ schrieben – die Rationalisierung des Rechts so weit getrieben, dass Vorausset­ zungen für eine Selbsttranszendierung zum universalistischen Recht geschaf­ fen worden sind, die durch den Einfluss des Christentums weiter verstärkt wur­ den und die die erst sehr viel später erfolgende Universalisierung ermöglicht haben. Die römische Religion war aber nicht nur nicht in der Lage, dem Recht produktive Anstöße zu einer dem Reichscharakter der Herrschaft entsprechen­ den Universalisierung zu geben, noch war sie überhaupt in der Lage, sich als eine religiöse Praxis auf die Bedingungen des Prinzipats einzustellen. Zwar konnte sie dem Kaiser eine quasi-göttliche Stellung vermitteln, die dem unsi­ cheren Status Legitimität verschaffen konnte und insofern dazu beitrug, dass die Ordnung des Himmels und die irdische Ordnung aufeinander abgestimmt waren. Die Religion der Römer blieb aber einer Kosmologie verhaftet, die in der griechischen Tradition ebenso wie die Götter als „immer schon“ gegeben vor­ ausgesetzt war. Die Philosophie Epikurs, die allerdings wegen ihrer Radikalität der Weltverneinung im Streben nach „Weisheit“ in Rom selbst wenig verbreitet war, ist Autonomie des Kosmos, um dessen Ordnung sich die Götter selbst im Idealzustand der perfekten „Heiterkeit“ und Ruhe wenig kümmern173, auf die Spitze getrieben. Damit war die Annahme ausgeschlossen, dass die Natur ihrer­ seits (wie im Christentum) auf einen ordnenden (Regeln setzenden und folgen­ den) Willen eines persönlichen Gottes zurückzuführen gewesen wäre oder gar menschlicher kognitiver Ordnung zugänglich wäre – wie teilweise die Sophis­ ten annahmen.174 Sowohl für die Religion als auch für das Recht galt die Unter­ stellung, dass Entdeckung und Erhaltung der Stadt Rom auf die „Sitte der Vor­ fahren“ („mos maiorum“) zurückging, die weitgehend ungeschrieben geblieben war und sich eher in den gelebten und beschworenen „exempla“, der Lebensfüh­ rung großer Vorfahren, aber auch in den Regeln des Politischen niedergeschla­ gen hatte.175 (Dies ist ein Indiz der mangelnden Ausdifferenzierung des Rechts.176) C.  Ando hat ähnlich wie J.  Scheid gefragt, was denn der „Glaube“ der Römer gewesen ist, wem er entsprach und wie das religiöse Wissen weitergegeben und als Tradition erhalten worden ist. Im Zentrum der römischen Religion standen

  André-Jean Festigière, Epicurus and His Gods, Cambridge, Mass: Harvard UP 1956,

173

S.  57.

  Bruno Delorme, Le Christ grec, Paris: Bayard 2009, S.  101.   Vgl. zu Ciceros stark auf Vertrauen und gutem Glauben basierenden Rechtsverständnis Harries (Fn.  89 – Cicero and the Jurists), S.  16. 176   Ian Henderson, Jesus, Rhetoric and Law, Leiden: Brill, 1996, S.  360. 174

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I.  Die römische Rechtskultur und ihre Vorleistungen

Praktiken der Opfer- und Konsultationsrituale177, die ihrerseits durch eine Pra­ xis, nicht durch ideologische Unterstellungen und Konstruktionen gestiftet wa­ ren. In diesem Sinne lässt sich Religion als ein „ästhetisches“ Verhältnis178 be­ stimmen, das sich in Praktiken artikuliert, die ohne Zentrum sind. Die Liturgie wiederholt und bekräftigt das Verhältnis zu einer Ordnung, die immer wieder erinnert werden muss.179 Das Opfer war ein Ritual der Vermittlung zwischen einer Gemeinschaft und den Göttern.180 Es verwandelt beispielhaft eine Materie in ein Medium der Präsenz des Heiligen.181 c)  Die praxisorientierte Seite der paganen Religion und ihre Grenzen im Angesicht der Expansion des römischen Reiches Auch in Bezug auf die Religion blieben die Römer einer „fallorientierten Episte­ mologie“ verhaftet, die keine abstrakte „theologische“ Reflexion der Religion ermöglicht hätte. Im Vordergrund standen Erklärungen und (auch literarische) Interpretationen von Ritualen, die auf die Begründung praktischen Handelns182 gerichtet waren (dies gilt insbesondere für die religiösen Orakel) und einen auch für moderne Religionen nicht unüblichen Interpretationsspielraum boten. Darin lag zugleich eine Schwäche, die wohl auch zum Niedergang der paganen Religion geführt hat: Einerseits waren die Interpretationspraktiken flexibel (ebenso wie die Rechtspraxis), andererseits waren sie aber auch prekär, weil es schwierig war, in einer Religion ohne kognitive Anleitung eine Theologie des Wandels der Gesellschaft zu entwickeln und diese in der Anpassung an eine sich verändernde Welt zu verarbeiten, wie es eben die Juden und die Christen konnten. Die römische Religion entsprach keinem modernen Religionsver­ ständnis: Sie war abhängig von den gesellschaftlichen Institutionen. Insbesondere für den Kaiser war der Rekurs auf die „mos maiorum“ kaum ausreichend tragfähig, auch wenn republikanische Traditionen sich nicht als unüberwindbares Hindernis erwiesen. Die tradierte Offenheit des Götterhim­ mels war prinzipiell offen für die Zuschreibung quasi-göttlicher Aura an den Kaiser. Dennoch zeigten sich auch in dieser Hinsicht, bei der Frage nach der Legitimation des Kaisers und der Rechtsordnung, wieder die Grenzen des rö­ mischen Rechts und des religiösen Denkens, in denen sich nicht zuletzt die Bin­   Ando (Fn.  171 – The Matter of God).   Meyer (Fn.  102 – Introduction), S.  7. 179   Daniel Fabre, Matérialités religieuses et horizons apocalyptiques, Archives de sciences sociales des religions 2016 (16), Nr.  174, S.  35–46. 180   Jonathan Sheehan, Sacrifice before the Secular, Representations 105 (2009), S.  12–36 181  Vgl. Anouk Cohen/Damien Mottier, Pour une anthropologie des matérialités religieu­ ses, Archives de sciences sociales des religions 2016, Nr, 174, S.  349–368. 182   Ando (Fn.  171 – The Matter of God), S.  X. 177 178

4.  Römisches Recht und Religion – pagan und christlich?

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dung der gesellschaftlichen Ordnung an eine relativ homogene Oberschicht niedergeschlagen hatte, die die Herausbildung eines universellen, sich von der Tradition der „mos maiorum“ unterscheidenden, seine Kontinuität unterbre­ chenden Denkens im Wege stand.183 Andererseits stand das pragmatische Den­ ken der Römer der Durchsetzung der ernsthaften Überzeugung entgegen, dass der Kaiser tatsächlich eine göttliche Natur habe.184 C.  Ando185 vertritt aus guten Gründen die Auffassung, dass die römische Re­ ligion den starken Wandel der spätantiken Gesellschaft seit dem Ende des 3. Jahrhunderts nicht verarbeiten konnte, sondern zerbrechen musste. Den äuße­ ren Grund dafür bildete – neben den genannten strukturellen Problemen – eine für das römische Reich ungewöhnliche Kumulation von militärischen Nieder­ lagen, Versorgungsproblemen und – damit zusammenhängend – Verlusten für die öffentlichen Haushalte.186 In den Provinzen mussten die bis dahin niedrigen Steuern erhöht werden. Dieser Wandel fand seinen Niederschlag auch in einer religiösen Krise: Der Siegeszug Roms, der – wie oben erwähnt – selbst Teil der Legitimation der römischen Herrschaft geworden war, war nicht mehr selbst­ verständlich. Die damit einhergehende Ungewissheit verschärfte die Legitima­ tionsprobleme, die mit der schmalen sozialen und kulturellen Basis der römi­ schen Ordnung verbunden waren. Es ist diese Krise, die den Hintergrund für die Suche nach einer neuen, wenn auch nicht universalistischen, aber doch brei­ teren ideologischen Legitimation des Kaiserreichs abgibt.187 Dies ist die Erklä­ rung dafür, dass erstens auch die herrschende Oberschicht das Christentum als mögliche religiöse Grundlegung der neuen römischen Ordnung in Betracht zog und dass zweitens ein solcher fundamentaler Wandel, die Ablösung einer ar­ chaischen paganen Religion durch eine universalistische Religion mit ganz an­ derem Selbstverständnis, gelingen konnte. In der Religion hatte sich der Uni­ versalismus einer für alle geltenden Glaubenspraxis jenseits der Tradition einer historisch bestimmten Gemeinschaft schon durchgesetzt. Dieser Wandel voll­ zog sich nicht ohne Widerstand, aber dies waren eher Rückzugsgefechte. Ge­ 183   Auch dies ist ein Argument gegen die Bedeutung der „Souveränität“ und ihrer Kehrsei­ te, der Ausschließung des „homo sacer“ als Anfang einer das Andere ausschließenden Ord­ nung: Dem römischen Rechtsdenken ist dieses Denken in scharfen Unterscheidungen gänz­ lich fremd; vgl. Veyne (Fn.  133 – L’empire gréco-romain), S.  51. Diese Konstruktion Agambens ist eine der Erscheinungsformen eines philosophischen Denkens, das die praktischen Lebens­ formen auf ihre „verdoppelten Versionen“ in der „Doktrin“ reduziert, Veyne, ebd., S.  833. 184   Veyne, ebd., S.  80, 507; Glen W.  Bowersock, Greek Intellectuals and the Imperial Cult in the second century A. D., in: Willem den Boer (Hrsg.), Le culte des souverains dans l’Empire Romain: Entretiens sur l’antiquité classique, XIX, Genf: Fondation Hardt 1973, S.  184. 185   Clifford Ando, Imperial Rome AD 193–284 – The Critical Century, Edinburgh: Edin­ burgh UP 2000a; vgl. auch Scheid (Fn.  171 – Les dieux, l’Etat et l’individu). 186   Ando (Fn.  185 – Imperial Rome). 187  Vgl. Harris (Fn.  109 – Roman Power), S.  211.

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I.  Die römische Rechtskultur und ihre Vorleistungen

meinsam gemessen an der langen Tradition der römischen Stadtreligion188 und der Tragweite der Umwälzung, die mit der Christianisierung der Kultur einher­ ging, ist dieser Transformationsprozess erstaunlich. Bevor darauf im Einzelnen eingegangen wird, soll zunächst noch ein Blick auf die Bedeutung der griechi­ schen Philosophie für die politische Herrschaft und das Selbstverständnis der römischen Oberschicht geworfen werden.

  Keine Religion des Glaubens, vgl. Ando (Fn.  171 – The Matter of God).

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II.  Die griechische Philosophie und das neuzeitliche Subjekt 1.  Die griechische Philosophie a)  Die Entfernung der Philosophie von der Religion – ein Beitrag zur multipolaren kulturellen Ordnung Die griechische Philosophie ist für die Beantwortung der Frage nach den Be­ dingungen der Veränderung der römischen Kultur (und des Rechts) durch das Christentum ebenfalls von Interesse.189 Dazu sind hier nur einige Anmerkun­ gen erforderlich, die dazu dienen können, einen weiteren Aspekt des Bruchs der griechisch-römischen Welt mit der archaischen Welt des Mythos und der Stif­ tung der Einheit des Kosmos durch die Religion einzuführen. Zunächst ist her­ vorzuheben, dass die besondere Leistung der griechischen Philosophie für das westliche Denken darin besteht, dass sie sozusagen innerhalb eines Entspre­ chungsverhältnisses zum römischen Recht die Einheit der religiösen Weltsicht partiell aufbricht. Die griechische Philosophie ist ihrerseits von der Religion weitgehend unabhängig geworden. Sie entwickelt Anfänge eines Denkens der Materie und einer immateriellen Welt der Ideen, die von religiösen Vorstellun­ gen weitgehend abgekoppelt waren. Dem entsprach die den Göttern zuge­ schriebene Stellung im Kosmos, die zeitgleich („schon immer“) in der Welt existierten, nicht aber die Schöpfer der Natur waren.190 Dies ist wiederum eine für die Entwicklung der griechisch-römischen Kultur ambivalente Unterstel­ lung: Auf der einen Seite erlaubt sie es, die Natur jedenfalls teilweise als unab­ hängig vom Willen der Götter zu denken und auch eine Welt der Ideen zu kon­ struieren, die von der Materie unabhängig ist. Andererseits fehlt dann der Welt der nach Regeln verfahrende Konstrukteur. Die gleiche Ambivalenz lässt sich im Hinblick auf das Denken des Individuums beobachten: Einerseits wird das Individuum noch als Teil der Gesellschaft, nicht als autonome „Monade“ ge­ dacht. Andererseits erlaubt die Existenz der Welt der immateriellen Ideen dem   Vgl. nur Stroumsa (Fn.  104 – Barbarian Philosophy).   Vgl. aber zur christlichen Vorstellung nur Ernst-Wolfgang Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Sozialphilosophie. Antike und Mittelalter, Tübingen: Mohr 1999, S.  172 f. 189

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II.  Die griechische Philosophie und das neuzeitliche Subjekt

Individuum die Möglichkeit zur Selbsterkenntnis seiner Stellung in der Welt. Diese ist aber wiederum durch die vorausgesetzte Struktur der Welt gegeben und begrenzt. Darin ist zugleich impliziert, dass Religion und anderes Wissen jedenfalls nicht vollständig getrennt sind.191 Dies ist auch der Hintergrund für das von M.  Foucault192 mit „Sorge um das Selbst“ bezeichnete Problem: Foucault tendiert dazu, diese „Selbstsorge“ in einem modernen Sinne zu verstehen. Doch insbesondere die „geistigen Übungen“193, die die Stoa dem Individuum der ­Antike abverlangt hat, sind sicher nicht als eine Art Kult des Individuums zu verstehen, das sich selbst transzendiert und sich darin neue Handlungsräume jenseits bestehender sozialer Grenzen erschließt. Vielmehr geht es darum, das unbeherrschte Individuum der Leidenschaften und der Unkenntnis zu über­ winden, um auf diese Weise mit dem Wissen der Gesellschaft eins zu sein und ein Leben im „inneren Frieden“ innerhalb einer Welt der Ideen zu führen194 , die durch eine stabile kosmologische Einheit konstituiert ist und so auch im Ideal­ fall im Individuum nachgebildet und erlebt wird.195 „Das Leben kam nicht von den Göttern.“196 Die griechisch-römischen Götter waren selbst eine Art Projek­ tionsfläche für die Beobachtung des Spalts, der das Individuum durchzieht und dessen Herrschaft über sich selbst wie über die Welt ihrerseits unsichere Gren­ zen setzt. Das Besondere an der griechisch-römischen Welt der Götter ist in dem Versuch zu sehen, die Unsicherheit der Welt in Konflikten auszutragen, die sich innerhalb des Selbst abbilden und das Leben als Unruhe, als innere Span­ nung zwischen konkurrierenden Gefühlen – im Gegensatz zum bloß auferleg­ 191   Taneli Kukkonen/Pauliina Remes, Divine Word and Divine Work: Late Platonism and Religion, Numen 63 (2016), S.  139, 141. 192   Michel Foucault, Histoire de la sexualité, Tome 3: Le souci de soi, Paris: Gallimard 1884; vgl. allg. auch Paul A.  Miller, The Negative in History, in: David H. J.  Larmore/ders./Charles Plattner (Hrsg.), Rethinking Sexuality: Foucault and Classical Antiquity, New Haven: Prince­ ton UP 1997, S.  171–203. 193   Zu den Übungen vgl. Pierre Hadot, La figure du sage dans l’antiquité gréco-latine, in: Gilbert Gadoffre (Hrsg.), Les sagesses du monde, Paris: Etudes Universitaires 1991, S.  9; ders., Qu’est-ce que la philosophie antique?, Paris: Gallimard 1995; David Brakke/Michael L.  Satlow/Steven Weitzman, Introduction, in: dies. (Hrsg.), Religion and the Self in Antiquity, Bloo­ mington: Indiana UP 2005, S.  1, 6. 194   Pierre Vesperini, Droiture et mélancolie. Sur les écrits de Marc Aurèle, Paris: Verdier 2016. Auch bei Augustinus dominiert jedenfalls zunächst das Motiv des Rückzugs aus der Welt, Pierre Courcelle, Recherches sur les „Confessions“ de Saint Augustin, 2.  Aufl., Paris: Boccard 1968, S.  178; vgl. auch Moreno Simonazzi, La formazione del soggetto nell’antiquità. La lettura di Michel Foucault e di Pierre Hadot, Rom: Aracne 2007, S.  31. 195   Brad Inwood, Seneca and Self Assertion, in: Shadi Bartsch/David Wray (Hrsg.), Seneca and the Self, Cambridge: CUP 2009, S.  39. 196   Hermann Beland, Die politische Funktion der sophokleischen Tragödien. Eine psycho­ analytische Interpretation, in: Claudia Benthien/Hartmut Böhme/Inge Stephan (Hrsg.), Freud und die Antike, Göttingen: Wallstein 2011, S.  268–295, 274.

1.  Die griechische Philosophie

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ten äußeren Zwang – auf dem forum internum inszenieren. In diesem Spalt ist eine Dynamik der Selbsttranszendierung angelegt, die je neue Kompromissbil­ dungen und deren Überwindung endlos in Anschlag bringt. Diese Entwick­ lung, die die Beobachtung der Welt doch immer wieder an die Selbst-Beobach­ tung zurückkoppelt, aber die Entstehung eines objektiven unpersönlichen Ver­ hältnisses zur Welt eher blockiert, setzt sich auch später in der Philosophie fort. Das ist gemeint, wenn Pierre Hadot197 von der griechischen Philosophie als Le­ bensform spricht: Das Verhältnis zur Welt hat noch nicht die objektive Seite der Weltbeobachtung erreicht, die viel später in Hegels Diktum von der Philoso­ phie, die „ihre Zeit in Gedanken erfasst“, zum Ausdruck kommt. Auch das rö­ mische Recht bleibt in diesem Sinne an das Selbstverständnis der Griechen/ Römer in der Stadt Rom/Athen gebunden. Die Stellung der Philosophie „im Übergang“ – wie sie gleichfalls das Recht beherrscht – lässt sich auch bei der Beobachtung der Entwicklung des „Kommentars“, der Textexegese, feststellen. Der „Kommentar“ hat nicht die Aufgabe der Vermittlung zwischen den Men­ schen und ihrem „Erbe“, sondern dient nur der persönlichen Vermittlung zwi­ schen Schülern (aus der Oberschicht) und einem Meister oder Lehrer der Philo­ sophie. Deshalb war der Kommentar auch ganz von den Bedürfnissen des Lehrverhältnisses (Verständnis der Schülers, Alter etc.) abhängig und konnte auch stark vom Text abweichen.198 Auch das Recht wird von einem Verständnis des „nomos“ als einer selbstbe­ züglichen Praxis bestimmt. Voraussetzung ist dabei ein Verständnis des „no­ mos“ als einer Praxis, die der Tradition und ihren Spezifizierungen geschuldet ist.199 Die Vorstellungen von der Normativität in der Stoa hatten sich aber teil­ weise von den etablierten Formen schon abgelöst.200 b)  Der Anfang der Arbeit am Selbst in Griechenland Bei Marc Aurel wird einerseits von einer Spaltung im Selbst ausgegangen, das Andere im Subjekt ist aber nicht der Blick des Anderen, sondern die „Seele“, das göttliche Andere im Subjekt, das zur Vervollkommnung des Selbst aufruft.201

  Pierre Hadot, Qu’est-ce que la philosophie antique?, Paris: Gallimard 1995.   Ilsetraut Hadot, Le commentaire philosophique continu dans l’antiquité, Antiquité tar­ dive. Revue Internationale d’Histoire et d’Archéologie (IVe – VIIe siècle) (5) 1997, S.  169–176. 199   Vgl. zur Entwicklung der Bedeutung des Begriffs Mario Vegetti, Chi comanda nella città? I Greci e il potere, Rom: Einaudi 2017, S.  39 ff. 200   Böckenförde (Fn.  190 – Geschichte der Rechts- und Sozialphilosophie), S.  180. 201   Vgl. allg. zum Motiv der Selbsterforschung in der griechischen und der christlichen Kultur Pierre Courcelle, Connais-toi toi-même: De Socrate à Saint Bernard, Bd.  1, Paris: Insti­ tut d’Etudes Augustiniennes 1974. 197 198

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II.  Die griechische Philosophie und das neuzeitliche Subjekt

Das Innere des Subjekts bildet eine „komplexe Topologie“202 , die von einem Spannungsverhältnis bestimmt wird und das Individuum aufruft, ein anderer zu werden.203 Auch wenn dies noch wenig mit der späteren Figur des Subjekts zu tun hat, so ist doch hier schon die Anschlussmöglichkeit für eine „Umbeset­ zung“ (H.  Blumenberg) der Form des Selbst durch andere Formen und Figuren der Selbstwahrnehmung und des Eigenhandelns gegeben. Das Selbst war auch in der Antike in einem „state of flux“.204 Die Selbstwahrnehmung wurde in ei­ nen durch „Arbeit am Selbst“ zu eröffnenden „inneren Raum“ projiziert, dessen Einheit in einem Entsprechungsverhältnis zur göttlichen Ordnung stand.205 Die in der griechischen Philosophie entstandene Zuschreibung einer „privaten In­ nenwelt“ an den Einzelnen vollzieht einen folgenreichen Einschnitt zwischen „empirischer Außenwelt“ und dem einzelnen „Erleben als Innenwelt“206 , der die Vorstellung von einer „Sorge um das Selbst“ entstehen lässt, aber auch für den Aufbau des Rechts genutzt werden kann. An die Konstruktion eines „Innen­ raums“, die die Kontinuität der Welt durch Unterscheidung von Außenwelt und Innenwelt unterbricht, kann die christliche Vorstellung von der Doppelnatur des Menschen an seinen Anteil an der Natur und am Göttlichen anknüpfen.207 Die Arbeit am Selbst hat bei den klassischen griechischen und römischen Auto­ ren immer zwei Seiten, eine innere und eine äußere, die der Beobachtung der Anderen, zu denen auch die Götter gehören, dient.208 In diesem Spalt ist die Fiktion situiert, die die rechtliche Operation, z. B. die Konstruktion einer „Willenserklärung“ erlaubt, die ihrerseits den Aufbau einer Eigenwelt des Rechts ermöglicht, die nicht nur die Wiederholung der Tradition darstellt, sondern das Erzeugen des Neuen zulässt. Deshalb ist die Entstehung des Subjekts auch nicht nur ein Produkt des „Netzwerks aus Begriffen“ („réseau de concepts“)209, von dem Alain de Libera plastisch sagt, es „kommuniziere“ mithilfe von „Koexistenzformen“ zwischen unterschiedlichen „Aussagen“ („énoncés“).210 Dies steht in einem gewissen Widerspruch zu dem Erfordernis   Frédéric Ildefonse, La multiplicité intérieur chez Marc Aurèle, Rue Descartes Nr.  43, 2004, http://www.ruedescartes.org/articles/2004-1-la-multiplicite-interieure-chez-marc-au rele/Jean-M. Narbonne, Antiquité critique et modernité, Paris: Les Belles Lettres 2016. 203   Veyne (Fn.  130 – L’empire gréco-romain), S.  573, 600. 204   Richard Miles, Introduction, in: ders. (Hrsg.), Constructing Identities in Late Antiqui­ ty, London: Routledge 1999, S.  1, 5 ff. 205   Veyne (Fn.  133 – L’empire gréco-romain), S.  599 f. 206   Hermann Schmitz, Zur Epigenese der Person, Freiburg/München: Alber 2017, S.  64. 207   Alain de Libera, Archéologie du sujet, Band 2: La quête de l’identité, Paris: Vrin 2008, S.  133. 208   Vesperini (Fn.  194 – Droiture et mélancolie). 209   de Libera (Fn.  207 – Archéologie du sujet), S.  133, 210   de Libera, ebd., S.  409 – z. T. im Anschluss an Michel Foucault, L’archéologie du savoir, Paris: Gallimard 1969, insbes. S.  83, 96, wo mit Recht darauf insistiert wird, dass sich die 202

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der „geistigen Übungen“, die man nur als eine Praxis verstehen kann, die in dem begrifflichen Feld nicht aufgehen kann. Die Subjektivität zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie immer unvollständig, unfertig, aber offen ist für das An­ dere und die Anderen und damit den sich ändernden Mustern von deren Beob­ achtung. Eine spätere Form der (eben nicht nur) „geistigen Übungen“ bilden insbesondere die literarischen Gespräche in den bürgerlichen Salons Eng­ lands211, die die Wahrnehmungs- und Unterscheidungsfähigkeit der Subjekte weiterentwickelten – und deren Übertragung auch auf die Wahrnehmung tech­ nischer Probleme möglich war. Das Ziel der Stoa ist vor allem die Vermeidung der Abhängigkeit des Handelns in der Gesellschaft von Leidenschaften, nicht die Steigerung des persönlichen Lustempfindens.212 Es geht um die Arbeit an der „Besserung“ des Selbst durch Aneignung der gemeinsamen Vernunft, die das „Ganze“, die Person, die Gemeinschaft wie die Welt zusammenhält.213 Die höchste Form der Weisheit besteht aber darin, einen Zustand der vollständigen Ruhe zu erreichen, der es ermöglicht, sich zwar für das öffentliche Wohl einzu­ setzen, aber dennoch die Grenzen des individuellen Handelns zu akzeptieren, die durch die kosmologische Ordnung gesetzt sind.214 Und dies ist auch die dif­ ferentia specifica, die die griechisch-römische Kultur von der sich später entwi­ ckelnden christlichen unterscheidet: Das Individuum wird neu gedacht – letzt­ lich bleibt es aber als Angehöriger der Oberschicht eingebunden in eine histo­ risch begründete Gemeinschaft.215 Dies ist die Idee des „philosophischen Lebens“ im Einklang mit der Gemeinschaft, nicht getrennt von ihr. Die Paideia 216 war als theoretische und praktische Lehre eines solchen Lebens (aber auch für die Vermittlung rhetorischer Techniken) konzipiert. Sie war als Schule der Aneignung der griechisch-römischen Kultur radiziert und betrachtete die Rhetorik (jenseits der erwähnten technischen Seite des zielorientierten Spre­ „Formation“ der Subjektivität nicht im Bewusstsein der Individuen vollziehe, sondern viel­ mehr im „Diskurs“, der eher ein anonymes Kraftfeld bildet. 211   John Brewer, The Pleasures of Imagination. English Culture in the 18th Century, Ox­ ford: Chicago: Chicago University Press 2000. 212   Arnold Davidson, Ethics as Aesthetics: Foucault, the History of Ethics, and Ancient Thought, in: The Cambridge Companion to Foucault, hg. v. Gary Gutting, Cambridge: Cam­ bridge UP 2006, S.  123, 129; Hadot (Fn.  193 – La figure du sage), S.  9, 19. 213   Davidson (Fn.  205 – Ethics as Aesthetics), S.  129; vgl. auch Hubert Faes, Généalogie de l’éthique et Christianisme, Revue d’éthique et de théologie morale, Nr.  233, 2005, S.  9–27, 9 ff. 214   John Marenbon, Pagans and Philosophers. The Problem of Paganism: From Augustine to Leibniz, Princeton: Princeton UP 2013. 215   Francis Oakley, The Medieval Experience: Foundations of Western Cultural Singulari­ ty, Toronto: The Medieval Academy Reprints for Teaching/Toronto UP 1994, S.  174. 216   Werner Jaeger, Early Christianity and Greek Paideia, Cambridge, MA: HUP 1961; Peter Brown, Power and Persuasion in Late Antiquity. Towards a Christian Empire, Madison/Lon­ don 1992, S.  4, 39.

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chens) als eine Form der Rede zur Verständigung unter grundsätzlich Gleichge­ sinnten.217 Sie diente ihrerseits der ästhetischen und literarischen Bildung, dar­ über hinaus aber der intellektuellen und ideologischen Integration der Ober­ schicht, insbesondere für diejenigen, die öffentliche Ämter innehatten. Sie war ein Bestand an Formen der kontrollierten Rede, die auf das Einvernehmen der Sprecher zielte. Die Rhetorik war in dieser Stellung durchaus auch eine Form der Verarbeitung der Reflexivität des Wissens jenseits des Mythos und der Reli­ gion, wie es auch die Philosophie war. Sie war eine Methode, die insbesondere vor der Ausdifferenzierung eines rationalen rechtlich begrifflichen Denkens so­ zusagen als deren Platzhalter fungieren konnte, da sie Formen des Argumentie­ rens, der Verarbeitung von wahrscheinlichem Wissen bereithielt218 , die in der dynamisch werdenden Welt der Antike eine zunehmend größere Bedeutung gewannen. Sie war die Form der Trennung eines säkularen Wissens vom religi­ ösen Ritual.219 Wenn man noch die Grammatik hinzufügt, vervollständigt sich das Bild einer Sprache, die wie das römische Recht offen für eine pragmatische Beobachtung und Gestaltung durch Ausdifferenzierung der Ausdrucksformen angelegt war.220 Man könnte im Anschluss an H.  Blumenberg Begriffe unter­ scheiden, deren Leistung darin besteht, die „Verfügbarkeit des Gegenstandes potentiell bereitzuhalten“ und sich darin als „Instrument der Entlastung“ anzu­ bieten und „Lücken im Erfahrungshorizont“ zulassen zu können.221 Demgegen­ über repräsentieren Metaphern „das nie erfahrbare, nie übersehbare Ganze der Realität“222 , sie nehmen vor allem auch situationsübergreifend „Erwartungen“ auf. Die Sprache des römischen Rechts und die Rhetorik sind dann durch das Prozessieren situativer lebensweltlicher Figuren bestimmt, die einem Erfah­ rungszusammenhang heterarchisch und pragmatisch von Fall zu Fall An­ schlüsse bieten und praktische Kontinuität stiften. Sie operieren mit dem Wahr­ scheinlichen. Die Sprache des römischen Rechts und die Rhetorik sind dann durch das Prozessieren situativer lebensweltlicher Figuren bestimmt, die einem Erfah­ rungszusammenhang heterarchisch und pragmatisch von Fall zu Fall An­   Vgl. allg. Fuhrmann (Fn.  31– Die antike Rhetorik).   Jacqueline de Romilly, Les grands Sophistes dans l’Athène de Périclès, Paris: de Fallois 2011, S.  93 219  Die Christen konnten sich mit dieser Funktion der Rhetorik arrangieren, Martin L.  Clarke, Rhetorik bei den Römern. Ein historischer Abriss, Göttingen: Vandenhoek & Rup­ recht 1968, S.  96. 220   Kaster (Fn.  33 – Guardians of Language), S.  85, 95. 221   Hans Blumenberg, Theorie der Unbegrifflichkeit, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2007, S.  27, 76. 222   Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt a. M: Suhrkamp 1998, S.  25. 217 218

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schlüsse bieten und praktische Kontinuität stiften. Sie operieren mit dem Wahr­ scheinlichen. Daraus entsteht ein produktives Spannungsverhältnis zwischen dem praktischen Register, für das das römische Recht steht, und dem theoreti­ schen Register, für das die Christianisierung steht: Jenseits der Bindung des rö­ mischen Rechts an die Interessen einer Oberschicht bringt der praktische, an historische Erfahrungen und ihr Prozessieren gebundenen Charakter des römischen Rechts dauerhaft einen produktiven Widerspruch in die christianisierte Kultur ein: Das Moment des körperlich-genealogischen Besondere von Erfah­ rungen, das immer neu interpretiert werden muss, bringt ein praktisches Mo­ ment in Anschlag, das nie stabil einer Universalisierung unterworfen werden kann – auch wenn das Recht selbst ausdrücklich universell geworden ist. Das Prozessieren von Fall zu Fall ändert sich damit nicht. Umgekehrt kann die Christianisierung als Universalisierung nur in einem Spannungsverhältnis zum praktischen Register sich entwickeln. Es hat den körperlichen Buchstaben des jüdischen Gesetzes überdeterminiert durch den Rekurs auf die Einheit aller im spirituellen Körper Christi und der Kirche, aber das praktische Register er­ steht wieder neu in der Kirche als juristischer Person und in der Anerkennung der Nichthintergehbarkeit des Rechts. Die rechtliche Praxis hat eine Gemein­ samkeit mit der Psychoanalyse insofern, als sie keine Wahrheiten (oder univer­ selle Normen) prozessiert, sondern immer nur eine praktische Relation zwi­ schen praktischen Erfahrungen223, die in dementsprechend in der Rechtstheo­ rie oder in der Rechtswissenschaft nicht vollkommen „aufgeklärt“ werden kann. Ihre „Wahrheit“ ist immer aufgeschoben, sie verweist immer auf das „Abenteuer einer Interpretation“, das Recht hat es immer mit Menschen zu tun, die Erfahrungen „machen“, von Fall zu Fall, die Gegenstand von Interpretatio­ nen sind, auf die Universalitätsansprüche einwirken, die sie aber niemals in ei­ ner Wahrheit aufheben können. Diese Orientierung an den Erfahrungen hat sich in die Sprache eingetragen und prägt auch ihre Leistung.224 Dies prägt auch das römische Beweisrecht, das weitgehend auf allgemeine Regeln verzichtet, wenngleich es auch Vermutungs­ regeln herausgebildet hat, die modern gesprochen: „default reasoning“ ermögli­   Vgl. dazu Maud Mannoni, ça n’empêche pas d’exister, Paris: Seuil 1982.   Neuere geisteswissenschaftliche Arbeiten über die Performativität der Sprache im all­ gemeinen und die des Rechts im besonderen unterschätzen die Bedeutung des Flusses der Fälle für das Recht, die je Anschlüsse an ältere Fälle halten und zugleich Anschlüsse für neue Fälle erzeugen. Nur auf dieser Grundlage können auch Metaphern wie der „Körper“ des Staa­ tes „Vorstellungen“ und „soziale Identität“ prägen; vgl. aber Susanne Lüdemann, Metaphern der Gesellschaft. Studien zum soziologischen und politischen Imaginären, München: Fink 2003, S.  41, 107; Albrecht Koschorke, in: ders. u. a. (Hrsg.), Der fiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der Geschichte Europas, Frankurt a. M.: Fischer 2007. 223

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chen. Diese Vermutungsregeln sind ebenso wie die Beweispraxis stark von dem Willen bestimmt, „nahe am Fall“ zu bleiben.225 Genau dies bietet die Möglichkeit, das christliche Selbst im Anschluss an das antike zu modellieren – bis hin zu den verschiedenen Varianten der Verinnerli­ chung, die sich später im Protestantismus bildeten und eine wichtige Vorausset­ zung für das moderne Konzept des Individuums schufen.226 Das „Selbst“ impli­ ziert immer auch eine Weise, ein Verhältnis in und zu der Welt zu gewinnen und zu erhalten.227 Das christliche Selbst kann die Form der „geistigen Übun­ gen“ der römischen Kultur der „Selbstverbesserung“ verwandeln in die Befas­ sung mit Episoden aus der Bibel228 – und mit dieser „creative recomposition“229 zugleich die Voraussetzungen für eine weitere Umbesetzung der Subjektivität im Mittelalter schaffen. Von dieser christlichen Sichtweise unterscheidet sich das islamische Denken, das – nach der dominierenden Sichtweise – von schar­ fen Trennungen zwischen dem Reich des Göttlichen und dem Menschlichen bestimmt wird.230 Dies ist ein Hindernis für die Entwicklung einer hermeneuti­ schen Tradition, die das Verständnis des Texts von dem, in diesem Fall mensch­ lichen, Erleben abhängig macht.

2.  Inkurs zu Foucault a)  Das Subjekt bei Foucault M.  Foucaults Rekurs auf „die“ Macht und die Form des Managements der „gou­ vernementalité“231, die ihr Pendant in der „verinnerlichten Disziplin“ des Indi­ viduums findet 232 , führt immer auch den Gedanken einer Manipulation des 225   James Franklin, The Science of Conjecture: Evidence and Proof before Pascal, 2.  Aufl., Baltimore: Johns Hopkins UP 2015, S.  4, 7, 9. 226   Jonathan Sheehan, The Enlightenment Bible. Translation, Scholarship, Culture, Prince­ ton UP 2005, S.  59. 227   Brakke/Satlow/Weitzman (Fn.  193 – Introduction), S.  1. 228   Joanna Picciotto, Labors of Innocence in Early Modern England, Harvard UP 2010, S.  274. 229   Picciotto, ebd., S.  269, 87. 230   Navid Kermani, Nasr Hamid Abu Zayd and the Literary Study of the Qur’an, in: Suha Taji-Farouka (Hrsg.), Modern Muslim Intellectuals and the Qur’an, Oxford: Oxford UP 2004, S.  169–190, 177. 231   Michel Foucault, De la Gouvernementalité. Leçons d’introduction aux cours des années 1978 et 1979, Paris: Seuil 1989. 232   Vgl. dazu Jean-François Pradeau, Le sujet ancien d’une éthique moderne. À propos des exercices spirituels anciens dans l’histoire de la sexualité de Michel Foucault, in: Frédéric Gros (Hrsg.), Michel Foucault. Le courage de la vérité, Paris: PUF 1996, S.  131–154; ders., Le sujet ancien d’une politique moderne. Sur la subjectivation et l’éthique anciennes dans les Dits

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Denkens und Fühlens des Subjekts mit sich.233 Dieser Gedanke ist zwar prak­ tisch besonders wirksam, weil er durch das Bewusstsein des Individuums hin­ durch auf die „Binnenstruktur“ des Subjekts durchgreift, zugleich wird damit aber die produktive Seite eines materialistischen Ansatzes wieder verspielt, der in der Orientierung an der Produktion und Instituierung der Subjektivität be­ steht. Wie sollte es ein Subjekt ohne verinnerlichte Disziplin geben können? Die prozesshafte Selbstorganisation des Materiellen in der gesellschaftlichen Arbeit und im gesellschaftlichen Wissen wird in der Beschwörung des „Machens“ der Dinge oder der Produktivität der Macht234 aber noch nicht erreicht. J.  Mokyr hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass Foucault und seine Anhänger die Eigenständigkeit dessen, was er (Mokyr) „useful knowledge“ nennt, die Beherr­ schung der Natur, das Herstellen von Dingen, die das Leben aller verändern, vollkommen vernachlässigt.235 Ohne diesen Zusammenhang sind das Politische und der Vorrat an Strategi­ en der Macht nur die prekäre einheitsbildende Kehrseite der Diskontinuität und des disruptiven Charakters des ständigen Wandels236 und der Konflikte, der zu­ gleich das Politische dazu nötigt, „ohne Plan“ zu agieren und das Individuum zum „relais“ im Netzwerk der Macht werden lässt237, die Gesetze des Prozessie­ rens dieses Netzwerks aber nicht historisch ausreichend spezifiziert. Die „post-hermeneutische“ Herangehensweise M.  Foucaults bringt die Momente des Wissens in Anschlag, die dem traditionellen hermeneutischen „aneignen­ den Verstehen“, der Fortsetzung des gesellschaftlichen Sinns, nicht zugänglich sind.238 Die Unterstellung der trotz wandelnder Erscheinungsformen im Kern immer gleichen Macht scheint Foucault zu der Annahme der Eindeutigkeit des historischen Anfangs der „autosubjectivation“ zu verhelfen und diese Linie bis in die Gegenwart auszuziehen, um am Ende darauf die Forderung zu stützen: et Ecrits de Michel Foucault, in: Pierre-François Moreau (Hrsg.), Lectures de Foucault 3. Sur les Dits et Ecrits, Lyon: ENS Editions 1997, S.  35–51. 233   Matthew Engelke, Religion and the Media Turn: A Review Essay, American Ethnologist 37 (2010), S.  371–379; vgl. zum „medialen turn“ auch Tim Ingold, Toward an Ecology of Mate­ rials, Annual Review of Anthropology 2012 (41), S.  427–442. 234  Vgl. Michel Senellart, La question de l’Etat de droit dans Michel Foucault, in: Jean-Pier­ re Potier/Jean-Louis Fournel/Jacques Guilhaumou (Hrsg.), Libertés et libéralismes, Lyon: ENS Editions 2012, S.  294–314. 235   Joel Mokyr, The Enlightened Economy. Britain and the Industrial Revolution 1700– 1850, London: Penguin 2009, S.  35. 236   Fabrice de Salies, L’histoire critique de la raison par Foucault comme remise en cause de la rationalité, Philosophie 2014, Nr.  123, S.  68–97, 77; Stephen Frosh, Psychoanalysis outside the Clinic, Basingstoke: Palgrave, S.  119. 237   de Salies (Fn.  228 – L’histoire critique de la raison par Foucault), S.  95. 238   David E.  Wellbery, Vorwort zu: Friedrich A.  K ittler, Discourse Networks 1800/1900, Stanford: Stanford UP 1992, S.  VII–XXXIII, IX.

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„… nous libérer, nous, de l’Etat et du type d’individualisation qui s’y attache.“239 Demgegenüber wird hier gegen die Staatsfixierung der Machtkonstruktion (von der man trotz der Lokalisierung der Macht in den individuellen Verhält­ nissen ausgehen muss) die Uneindeutigkeit und Offenheit des gesellschaftlichen Prozesses des Experimentierens mit den situativ offenen „losen Enden“ der in die Lebensformen eingetragenen Grammatik der Möglichkeiten ausgegangen. Foucaults Denken ist – wie das Jean-Luc Nancys – orientiert am „Einzelnen“, der sich durch den Widerstand gegen die Unterjochung durch die Internalisie­ rung des Staates wehrt. Das Denken vom Einzelnen her führt dann zur Über­ steigerung der Aufmerksamkeit für dessen existenzielle Krisen (und die Macht, die sich in dem Wahnsinn, der Krankheit, der Strafbarkeit, in der Sexualität zur Geltung bringen.240 Die „Unruhe“ des Einzelnen überspielt damit zugleich die möglicherweise anders zu sehende Unruhe in der Kultur, im Wissen. Das Subjekt (oder auch das römische „Protosubjekt“), das sich aus dem Ein­ schluss in die starre Tradition „befreit“ und sich scheinbar einer atomisierten Gesellschaft gegenübersieht241, ist aber selbst ein gesellschaftliches Produkt der Regeln, Praktiken und Lebensformen.242 Foucault nimmt im Grunde hier die mangels revolutionärer Situation leere Position des Revolutionärs ein, für den sich alles auf den Umsturz der Vergangenheit reduziert. Die Gegenwart wider­ ruft die Vergangenheit und sieht alles in der Perspektive auf die Machtergrei­ fung.243 Dies läuft auf den Bruch mit der Ordnung der „Zeichen der geerbten Differenzen“ hinaus, die nicht mehr weitergeschrieben werden. Statt auf die gemeinsame, wenn auch unterschiedlich gelesene und zu lesende Erfahrung kommt es auf das Erleben der „Intensität des gegenwärtigen Moments“ an244 – dies ist auch die Bedeutung des „Widerstands“. Dieser „Widerstand“ ist nichts als das rein subjektiv gewordene (Vor-)Erleben einer Revolution, die die Ur-

  Michel Foucault, Dits et Ecrits II, Paris: Gallimard (1994), S.  1047.   Foucault, ebd., S.  542 f. 241   Pierre Fasula, Moi et les autres: Une critique wittgensteinienne de Foucault, in: Pascale Gillot/Daniele Lorenzini (Hrsg.), Foucault/Wittgenstein: Subjectivité, politique, éthique, Pa­ ris: Edition du CNRS 2016, S.  197–212; allerdings hat Isabelle Thomas-Fogiel, Le lieu de l’uni­ versel. Impasses du réalisme dans la philosophie contemporaine, Paris: Seuil, 2015, mit Recht auf die Grenzen der „realistischen” Theorie des Sprachgebrauchs als eines „Erbes” aufmerk­ sam gemacht, das seinen Gebrauch mit der Institution Sprache gleich setzt, die nicht hinter­ gehbar ist. Das „Erbe” bleibt immer in einem gewissen Grade rätselhaft und uneindeutig. 242   Fasula (Fn.  233 – Moi et les autres); Vincent Descombes, Le complément de sujet: En­ quête sur le fait d’agir de soi-même, Paris: Gallimard 2004, S.  310 f. 243   Vgl. dazu allg. Marie-Hélène Huet, Mourning Glory. The Will of the French Revolution, Philadelphia: University of Pennsylvania Press 1997. 244   Richard (Fn.  153 – L’actuel malaise), S.  217. 239

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sprünge der Gesellschaft noch einmal ins Spiel bringt245 – gegen das Erbe der differentiellen Ordnung. Das ist das genaue Gegenteil der „Arbeit am Selbst“, wie sie in der Spätantike entstanden ist. Die Bedeutung der Aufklärung und der französischen Revolution soll hier nicht verkleinert werden, aber sie haben auch gravierende Probleme in das westliche Denken eingeführt, angesichts deren die Grenzen des spätantiken Denkens an Bedeutung verlieren. Die „Arbeit am Selbst“ war immer eine Antwort auf den Anruf der Religion oder der Philoso­ phie. Demgegenüber war der Mythos der Revolution die Selbsterzeugung ohne Frage und ohne Antwort. Die „Natur“ ist nichts als ein leerer Signifikant, der für das ganz Andere jenseits der Gesellschaft und ihrer Institutionen steht.246 Nach der hier vertretenen Position ist die institutionalisierte Vorstellung der Gesellschaft als bestehend aus einer Vielzahl von Relationen ohne Zentrum nicht gleichbedeutend mit der Illusion einer Freiheit der Selbstsetzung des Indi­ viduums, sondern nichts anderes als eine praktische, Handlungen ermögli­ chende Fiktion247 in einer Umgebung, die von einer sich entwickelnden experi­ mentellen, das Neue erprobenden gesellschaftlichen, über eine Vielzahl von Individuen distribuierten Erfahrung (nicht die Ausblendung des realen Lebens, wie Foucault meint) bestimmt wird. Foucaults Machtverhältnisse bleiben anti­ thetisch auf die (vermeintliche) Illusion des sich selbst setzenden Subjekts bezo­ gen. Sie sind selbst die wahren Setzungen, vermögen aber die Dynamik des praktischen Wissens und die kognitive Praxis des Handelns der Subjekte nicht zu erfassen. Man muss dabei allerdings die Besonderheit einer Kultur des Ver­ dachts, der Negativität, berücksichtigen, die die Möglichkeit des Aufhaltens der Aneignung des Nichtaneignungsfähigen zu blockieren, in der Schwebe zu hal­ ten sucht.248 Foucault rekurriert dann eher auf an den „Rändern“ offene Situati­ onen, die nicht vollständig von einem Subjekt kontrolliert werden können.249 Die sich selbst als „kritisch“ verstehende Sichtweise der Gesellschaft in der Moderne ist von einer Fixierung auf das theoretische Register der Beobachtung   Vgl. zum Erleben der französischen Revolution Jacques André, La Révolution fratrici­ de, Paris: Presses Universitaires de France 1993, S.  11 f. 246   Dies gilt vor allem für die Revolution nach der ersten Verfassung, die noch mit der Einsetzung des Königs in das Verfassungssystem eine „Verankerung in der Tradition“ gesucht hat, André (Fn.  237 – La Révolution fratricide); daneben gab es nur noch den Rekurs auf die römisch-griechische Antike, der aber keinerlei Anschauung entsprach und die daher eher einen „dunklen Raum“ („espace d’obscurité“) bildete, der ohne Anschlussmöglichkeit blieb. Die Referenz auf die Antike, die keinerlei reale zeitliche Kontinuität sucht, indiziert im Ge­ genteil – nicht anders als die Referenz auf die Natur – die Stelle der Leere der Zeit, von der aus das „Gesetz im Kommen“ gedacht werden kann. 247   Thomas (Fn.  89 – Les opérations du droit), S.  135. 248   Roberto Esposito, Da fuori. Una filosofia per l’Europa, Turin: Einaudi 2016, S.  132 f. 249   Vgl. etwa Paul Veyne, Foucault. Der Philosoph als Samurai, Stuttgart: Reclam 2010, S.  35. 245

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der Konstituierung der Subjekte, ihrer Reflexion in der Philosophie, aber auch in Praktiken der „Zurichtung“ des Bewusstseins bestimmt. Ihr kommt es dar­ auf an – so ist auch der Dekonstruktivismus zu begreifen250 – die Subjekte dem Netz der Konventionen zu „entfremden“, die einen praktischen Zusammenhang zwischen diesen instituieren.251 An dessen Stelle soll die Konstitution eines ge­ meinsam reflektierten Zusammenhangs oder wenigsten ein unspezifischer „Widerstand“ gegen die herrschenden „Werte“ treten, eine Logik des Einzelnen (singulier)252 , die die Selbstdurchsetzung der „Macht“, der „Einheit“, unterläuft. b)  Das Subjekt und das praktische Register des Wissens der Gesellschaft Dabei wird im Rückblick aus der Geschichte auf die Gegenwart ignoriert, dass die Einheitsstiftung sich primär innerhalb des praktischen Registers vollzieht, dessen Materialität der prozesshaften Spannung zwischen Kräften und Dingen sich der theoretischen Reflexion weitestgehend entzieht. Die Generierung der Formen ist immer prozesshaft, Emergenz entzieht sich der begrifflichen Be­ schreibung. Doch das „Machen“253 erlaubt die „Erfindung“ des Neuen, das Be­ nutzen von unsichtbaren, ja, eben (noch) nicht wirklichen Möglichkeiten inner­ halb des praktischen Registers durch Verknüpfung der „losen Enden“, die in praktischen Konstellationen entstehen. P.  Legendre meint, das westliche Recht sei durch einen „Spalt“ („faille“), ei­ nen Riss, geprägt, und zwar zwischen der Konstruktion der „Legitimität“ als Ausdruck der Rationalität und den Begriffen, die die „Kasuistik der Regeln“ organisieren. Er spricht sogar von einer „schize“.254 Die Trennung von „Metaphysik“ und Realität ist nur fiktiv, aber in einem produktiven Sinne fiktiv255, d. h. sie erlaubt das Ziehen von Unterscheidungen, die die intersubjektive Abstimmung ermöglichen, die wechselseitige Beobach­ tung und das Verstehen von vor allem praktischem Wissen, das die Vorausset­   Vgl. allg. Karl-Heinz Ladeur, Die Textualität des Rechts, Weilerswist: Velbrück 2016.   Descombes (Fn.  242 – Le complément de sujet), S.  310 f., S.  4 42. 252   Das ist etwas ganz anderes als die durchaus ernst zu nehmende Beobachtung von realen Tendenzen zur Vereinzelung von Menschen in der Postmoderne. 253   Tim Ingold, Making. Anthropology, Archaeology, Art, and Architecture, Abingdon: Routledge 2013; ders. (Fn.  233– Toward an Ecology of Materials). 254   Pierre Legendre, L’autre Bible de l’occident: Le monument romano-canonique. Etude sur l’architecture dogmatique des sociétés, Paris: Fayard 2009, S.  23; im Judentum und im Is­ lam seien die beiden Seiten untrennbar verbunden. Ob diese Annahmen über das islamische und das jüdische Recht zutreffend sind, sei dahingestellt, für die christliche Rechtsordnung ist aber das positive, das gesetzte Recht eine größere Herausforderung als für die anderen Religi­ onen. Es geht im Grunde um zwei verschiedene Rhythmen der Rechtsbildung, die hierarchi­ sche Abstraktion von den Fällen und das heterarchische Prozessieren von Fall zu Fall. Sie stehen beide in einem engen Zusammenhang. 255   Roy Wagner, The Invention of Culture, Chicago: Chicago University Press 1975. 250 251

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zung von Lernprozessen ist.256 Es geht um das, was T.  Ingold einfach und tref­ fend als „Machen“ („Making“) bezeichnet hat. Genau das, die „Arbeit und die Produktivität“257 in Wissensverhältnissen, die auf Machtverhältnisse nicht zu reduzieren sind, ist der Referenzrahmen, der den Überlegungen in dieser Arbeit zugrunde liegt. Das mag man als ideologisch bezeichnen, jedenfalls aber wird der Referenzrahmen offengelegt. Und die Produktivität des Operierens mit des­ sen Ordnungsmustern stellt sich der Kritik. Insbesondere bei Foucault bleibt sein „Einsatz“ bei der Blockierung der „Einheit“ diffus. Er changiert zwischen der Beobachtung von realer „Entwurzelung“ der Individuen und der theore­ tisch begründeten Setzung der „Entwurzelung“ („déracinement“)258 , die zu Wi­ derstandsprozessen führen soll. Foucault bekämpft mit seinem Einsatz „le jeu consolant des reconnaissances“259, das Spiel des Wiedererkennens, aber er ver­ fehlt damit die unpersönliche Materialität der gesellschaftlichen praktischen Wissensverhältnisse. Die genealogische Konzeption Foucaults betont das Kontingente und Wider­ sprüchliche der Entstehung von Ideen und ihrer Verknüpfung mit Praktiken260, während der Historismus gerade in der deutschen Version das „Organische“, die Ordnung der zersplitterten Welt durch einheitsbildende Ideen zur Geltung bringt. Dies gilt auch für die „historische Rechtsschule“, die – so Savigny – die dem Recht „innewohnende Einheit“ herauszuarbeiten beanspruchte.261 Auch die Überwindung des Historismus durch Ernst Troeltsch läuft letztlich doch auf eine Art Teleologie hinaus, die unter den Bedingungen der kulturellen Krise Deutschlands im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zwar stärker die Abhän­ gigkeit der Geschichte von den Veränderungen in der Gesellschaft akzentuiert, aber doch übergreifende „Kulturprinzipien“ hervorhebt, deren Träger das Christentum sein soll. Auf diesem Weg wird dann auch ein Kontinuität grün­ dendes „Erinnerungsvertrauen“ postuliert, das dann zwar nicht mehr die aktu­ ellen Machtverhältnisse in Bezug nimmt, aber doch dem Christentum eine überhistorische Einheit und Sinn stiftende Rolle zuweist.262   Ingold (Fn.  233 – Toward an Ecology of Materials).   Wagner (Fn.  255 – The Invention of Culture). 258   Dies ist der von Alain Finkielkraut, La défaite de la pensée, Paris: Gallimard 1975, S.  86, gebrauchte Begriff. 259  Vgl. Michel Foucault, Nietzsche, la généalogie, l’histoire, in: Hommage à Jean Hyppoli­ te, Paris: Presses Universitaires de France 1971, S.  160; vgl. zur subjektlosen Struktur von Wis­ sen und Macht Detel (Fn.  111 – Foucault und die klassische Antike). 260   Mark Bevir, What is Genealogy?, Journal of the History of Philosophy 2 (2008), S.  263– 275. 261   Vgl. dazu nur Joachim Rückert, Die Historische Rechtsschule nach 200 Jahren. Mythos, Legende, Botschaft, in: ders., Savigny-Studien, Band 9, Frankfurt a. M.: Klostermann 2011, S.  77 ff. 262   Vgl. dazu Friedrich Wilhelm Graf, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Ernst Troeltsch, Der 256 257

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Der Historismus geht zurück auf die Legitimationserfordernisse des Staates. Genealogische Konzeptionen können aber leicht in eine Art negativen Historis­ mus umkippen, wenn sie glauben, der Zusammenhalt zwischen den Kompo­ nenten z. B. der kulturellen Ordnung werde nur durch eine (diskretionäre) Macht hergestellt.263 Demgegenüber erscheint es vielversprechender, nach einer „Hermeneutik des Ereignisses“264 zu suchen, die auf eine vorbegriffliche Welt verweist265, deren Bildung einen unüberbrückbaren Hiatus zwischen Denken und Welt prozessiert.266 Texte werden dann selbst zu „Ereignissen“, die zu einer „Matrix“ unterschiedlicher Lesarten als Lebensarten verknüpft werden267 oder die in Krisensituationen ihre Lesbarkeit verlieren, weil sich unter dem Druck der Zwänge des Überlebens keine komplexeren Lesarten mehr verknüpfen las­ sen. Die Welt stiftet jeweils einen historischen Horizont, der eine Verknüpfung zwischen den unterschiedlichen Komponenten eines „Universums der Mög­ lichkeiten“ in der Schwebe hält und ihn zugleich untergräbt.268 Einheit ist immer nur ein Spannungsverhältnis aus heterogenen Lebensformen und Lesarten.269 Die Stelle der Macht bei Foucault wird eher von Praktiken eingenommen, die fortgeschrieben werden, aber jeweils dem historischen Wandel der Formen und Figuren der Verknüpfung zu einem Muster unterliegen. Die „Einheitsstiftung“ hat dann eher den Charakter einer Art Selbstbestätigung der so prozessierten historischen Lebenswelt, die als „Ereigniswelt“ („monde événementiel“)270 nur in begrenztem Maße der Reflexion zugänglich ist. Darin ist der emergente Cha­ rakter der Ordnung und ihres Wandels begründet. M.  Foucault ist demgegen­ über stark an der Legitimation der politischen Herrschaft (nicht dem prakti­ schen Prozessieren der Lebenswelten) interessiert. In der geschichtlichen Zeit wird in der westlichen Kultur ein „Universum der Möglichkeiten“ (C.  Romano) Umbesetzungen unterworfen, die in dem selbst eher praktisch fungierenden Horizont 271 den Ereignissen einen selbst von Pluralität und Ambivalenz be­ Historismus und seine Probleme. Das logische Problem der Geschichtsphilosophie (1922), Teilband 1, Berlin/New York: de Gruyter 2008, S.  1–82, 59. 263   Bevir (Fn.  260 – What is Genealogy?). 264   Jean Greisch, Ce que l’événement donne à penser, Recherches de science religieuse 102 (2014), S.  39–62 265   Guillaume Saint-Laurent, Claude Romano et la thèse herméneutique de la linguisticité, in: Philippe Cabestan (Hrsg.), L’événement et la raison. Autour de Claude Romano, La PlaineSaint Denis: Le cercle herméneutique 2016, S.  135. 266   Claude Romano, L’événement et le monde, 2.  Aufl., Paris: PUF 1999, S.  139. 267   Pocock (Fn.  123 – Political Thought and History), S.  106 f. 268   Romano (Fn.  266 – L’événement). 269  Vgl. Ino Augsberg, Die Lesbarkeit des Rechts: Texttheoretische Lektionen für eine post­ moderne Methodologie, Weilerswist: Velbrück 2009. 270   Greisch (Fn.  264 – Ce que l’événement donne à penser). 271   Romano (Fn.  266 – L’événement), S.  54.

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stimmten Sinn zuweisen.272 Der aktualisierte, den praktischen Herausforderun­ gen entsprechende Sinn bleibt immer „neben der Spur“ der Möglichkeiten und eröffnet damit immer neue Erfahrungsräume. Auf die Spitze getrieben wird der „negative Historismus“ des Verfallsdenkens „von Anfang an“ in einer Art politischer Theologie des Neoliberalismus von D.  Leshem273: Die von allen Grenzen befreite Produktion in der Postmoderne – daran ändert der Aufstieg des Sozialstaats nichts – ist danach auf das christli­ che Verständnis des Anteils des Menschen an der Göttlichkeit, auf Gott als den „produktiven Grund“ zurückzuführen.274 Die Protagonisten des negativen His­ torismus lassen sich nicht dadurch irritieren, dass der Neoliberalimus von der „Ursprüngen“ bis zur Gegenwart so lange gebraucht hat, um sich durchzuset­ zen und so viele Wege und Abwege beschritten und so viele unterschiedliche Formen und Irrtümer hervorgebracht hat – vor allem hat er sich erst dann als sog. Neoliberalismus durchsetzt, als die Religiosität sich schon im Niedergang befand. Dabei hat sich überdies die „Produktivität“ mehr und mehr vom Men­ schen abgelöst und ist auf einen anonymen Prozess der Produktivität des Wis­ sens übergegangen. Der „hermeneutische Schlüssel“ zur „Ökonomie der Inkar­ nation“275, zur Verschleifung von Sichtbarem und Unsichtbarem, ist paradoxer­ weise erst gefunden worden, nachdem diese Ökonomie durch eine Art „Ex-karnation“ des Menschen in der Wirtschaft abgelöst worden ist. Es wäre auch zu fragen, warum sich die Gravitationszentren des Kapitalismus ständig verschieben konnten: von den oberitalienischen Städten in das absolutistische Frankreich, dann nach England und Deutschland, in die USA, Japan und Chi­ na etc. Dann wäre gleichfalls zu fragen, warum offenbar Juden und konfuziani­ sche Kulturen so erfolgreich waren (ohne die „Anleitung“ der Inkarnation), während die islamische Kultur ökonomisch eher unproduktiv blieb.276 c)  War die Antike weniger sexualfeindlich? Die Antike war keineswegs so tolerant gegenüber sexuellen Freuden, wie dies im Unterschied zum Christentum häufig vermutet worden ist. Auch der Gegen­ satz zwischen einem „ethisch-poetischen“ Selbstverhältnis277 der Individuen in   Romano, ebd., S.  135, 139.   Romano, ebd., S.  54. 274   Dotan Leshem, The Origins of Neoliberalism: Modelling the Economy From Jesus to Foucault, New York: Columbia UP 2016, S.  19. 275   Leshem, ebd., S.  43. 276   Lawrence Harrison, Jews, Confucians, and Cultural Capital and the End of Multicultu­ ralism, Lanham, MD: Rowman & Littlefield 2012. 277   Joel Birman, Le dire vrai et la psychanalyse: À propos de Foucault et Lacan, Recherches 272 273

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der Antike278 und der Dominanz eines kognitiven „objektiven“ Verhältnisses im Christentum war keineswegs so ausgeprägt 279, wie dies insbesondere aus der Bedeutung der Selbsterforschung in der Institution der Beichte – und damit der Selbstunterdrückung in der Aneignung des wahren Diskurses280 – im Christen­ tum abgeleitet wird, wie dies bei Foucault geschieht.281 Auch in dieser Hinsicht war die Kontinuität zwischen Antike und Christentum stärker. P.  Manent282 hat in der Auseinandersetzung mit der Kritik an der „unreinen“ Synthese des christlichen Denkens (von objektivem Wissen und göttlicher Offenbarung) bei L.  Strauss283 mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass das Verhältnis von Glauben und Wissen, das aus der Beobachtung der objektiven Welt gewonnen wird, nicht von der Vorstellung einer „Entmischung“ bestimmt sein kann. (Dies gilt letztlich auch für das Judentum.) Die Gläubigen leben notwendiger­ weise in einem „régime mixte“ aus objektivem Verhältnis zur und in der Welt sowie zur Offenbarung des göttlichen Weisheit. Die Kirche ist dann die not­ wendige Vermittlerin, da das Verhältnis der Christen in der Welt nicht völlig aus dem Glauben bestimmt sein kann.284 Der Glaube war aber eine Form der „Identitätsbildung“.285 Dies gilt paradoxerweise umso mehr, als schon im frü­ hen Christentum die Tendenz einsetzt, alle Erfahrung und Geschichte auf die persönliche Verstrickung des Individuums zu reduzieren.286 Der individuelle

en Psychanalyse 9 (2010), S.  63–72, 65; vgl. dazu auch Page DuBois, The Subject in Antiquity after Foucault, in: David H. J.  Larmour/ders./Charles Platter (Hrs.), Rethinking Sexuality: Foucault and Classical Antiquity, New Haven: Princeton UP, S.  85, 102. 278  Dazu Pradeau (Fn.  232 – Le sujet ancien d’une éthique moderne); ders. (ibid. – Le sujet ancien d’une politique moderne). 279   Birman (Fn.  277 – Le dire vrai), S.  65. 280   Vgl. zu Foucault Faes (Fn.  213 – Généalogie de l’éthique), S.  9–27. 281   Guy G.  Stroumsa, The Scriptural Universe of Ancient Christianity, Cambridge (MA) 2016, S.  73. Vgl. allg. Hadot (Fn.  197 – Qu’est-ce que la philosophie antique?). 282   Pierre Manent, Raison et révélation. Quelques remarques sur l’analyse straussienne et la synthèse chrétienne, Archives de Philosophie 79 (2016), S.  513–522. 283   Leo Strauss, Jerusalem and Athens, in: ders., Studies in Platonic Political Philosophy, Chicago: Chicago UP 1983, S.  149–153. 284  Vgl. Jacob Taubes, Abendländische Eschatologie, Berlin: Matthes & Seitz 2007, S.  103; vgl. zu der jahrhundelangen Praxis der „Um-schreibung“ der heiligen Schriften in einen „Text“, der Gott „definierte“ und die Verwaltung des Glaubens durch die Kirche ermöglichte, Ramsay MacMullen, Voter pour définir dieu, Paris: Les Belles Lettres 2008. 285   Polymnia Athanassiadi, Vers la pensée unique: La montée de l’intolérance dans l’anti­ quité tardive, Paris: Les belles Lettres 2010, S.  14. 286   Peter Brown, Glorious Obitus: The End of the Ancient Other World, in: William E.  K lingshirn/Mark Vessey (Hrsg.), The Limits of Ancient Christianity. Essays on Late An­ tique Thought and Culture in Honor of R.  Markus, Ann Arbor: University of Michigan Press 1999, S.  289–314, 313.

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Glaube der Christen konnte jedoch die unpersönliche Praxis des Kults nicht vollkommen aufheben.287 Die Grenzen der Foucaultschen Methoden zeigen sich daran, dass er „das“ Subjekt nur als Abschluss einer Entwicklung, als „Operator vereinheitlichender Systeme“ und als Träger „universeller Werte“ denken kann – später auch als Produkt einer sich ihm aufprägenden Macht 288 , die sich über das Subjekt repro­ duziert289, nicht aber den Prozess seiner Herausbildung selbst denken kann. d)  Foucault und die Geschichte der Subjektivität M.  Foucault290 hat in seinen Überlegungen zur „Sorge um das Selbst“ einen Bruch der Kontinuität zwischen griechisch-römischen Traditionen der geisti­ gen Übungen und der christlichen Askese gesehen (die dann vor allem in den Klöstern291 praktiziert worden ist). Die Wendung zur Sexual- und Körperfeind­ lichkeit im Christentum wird aber bei Foucault mit Sicherheit zu scharf kontu­ riert292: Ohne dass auf Einzelheiten eingegangen werden kann, muss jedenfalls darauf insistiert werden, dass die christliche Lehre sich zunächst grundsätzlich von der antiken dadurch unterschied, dass sie nicht mehr nur an eine Ober­ schicht adressiert war und sehr viel stärker die Kontinuität mit der grie­ chisch-römischen Tradition gewahrt hat.293 Sie richtete sich an breite Massen von Konvertiten, für die ganz unterschiedliche Versionen und Praktiken bereit­ gehalten werden mussten und konnten, die das eine Prinzip durch „Ausnah­ men“ und „Interpretation“ flexibel hielten. Hier bestand eine Kontinuität zu der jüdischen Praxis der Askese, die ein Leben für ein kontinuierliches Studium des Gesetzes und die Annahme eines als Prüfung verstandenen harten Lebens be­

287   David Hunt, Christianising the Roman Empire. The Evidence of the Code, in: Jill Har­ ries/Ian Wood (Hrsg.), The Theodesian Code. Studies in the Imperial Law of Late Antiquity, 2.  Aufl., London: Duckworth 2010, S.  143–158, 147. 288   Frédéric Gros, Michel Foucault, Paris: PUF 1996, S.  93. 289   Michel Foucault, Dits et écrits, vier Bände: Bd.  II, Paris: Gallimard 1994, S.  538–549. 290   Michel Foucault, Subjectivité et vérité. Cours au Collège de France 1980–1981, Paris: Seuil 2014; vgl. dazu auch Henry Chadwick, The Early Church, London: Penguin 1993, S.  177; Susanna Elm, Virgins of God’. The Making of Ascetism in Late Antiquity, Oxford: Oxford UP 1996, S.  1; vgl. auch Courcelle (Fn.  201 – Connais-toi toi-même), S.  73. 291   Die Klöster sind vor allem zu „communities of learning“ geworden, Stroumsa (Fn.  281 – Scriptural Universe), S.  95. 292   Vgl. dazu auch Patricia Cox Miller, Shifting Selves in Late Antiquity, in: Brakke/Satlow/ Weitzman (Fn.  193 – Religion and the Self), S.  15–33, 15, 28; Susan Ashbrook Harvey, Locating the Sensing Body, ebd., S.  143 f. 293   Harris (Fn.  109 – Roman Power), S.  281; Johannes Zachhuber/Alexis Torrance, Introduc­ tion, in: dies. (Hrsg.), Individuality in Late Antiquity, Farnham: Ashgate 2014, S.  1–10.

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deutete.294 Diese Härten sind nicht nur selbstauferlegt, sie werden als das Leben selbst angenommen. Die Christen benötigten einen neuen „sense of practicality“.295 Sie konnten dabei auch an die in das römische Recht eingetragene „soziale Epistemologie“ anknüpfen. Das christliche Selbst musste sich in die römische Kultur einord­ nen.296 Wichtig ist aber festzuhalten, dass die Christen selbst arbeiten mussten – daraus ergibt sich ein anderes Weltverhältnis als bei den griechischen und römischen Bürgern der Oberschicht.297 Auch dies ist ein Merkmal der Instituti­ on „Kirche“ im Gegensatz zu einer relativ kleinen homogenen Oberschicht, wie sie die Kultur sowohl in Griechenland als auch in Rom geprägt hat. Die christ­ liche Kirche hat für den römischen Staat eine Stabilisierung und Verbreiterung nicht nur der Legitimation, sondern vor allem der praktischen Erziehung und Bildung einer führenden Schicht zustande gebracht298 , die von den Zufällen der Begabung einzelner Mitglieder der Oberschicht unabhängig wurde.299 Die Or­ ganisation „Kirche“ muss immer eine Vielzahl von Lesarten und Praktiken ei­ nes einheitlichen Hypertexts zur Verfügung stellen und Ambivalenzen zulas­ sen, die die Gläubigen mit ihrer jeweiligen Lebensform kompatibel halten. Praktisch wird deshalb die Sexualfeindlichkeit unter den christlichen Massen der Spätantike nicht sehr viel Resonanz gefunden haben.300 Die Sexualfeind­ lichkeit hat einen ehr ambivalenten Ursprung bei Paulus: Sie wendet sich gegen den Körper als Hindernis der Einheit der Menschen in Christus. Der Körper, das Fleisch, setzt Unterschiede, die auf die jüdische Genealogie verweist, wäh­ rend das Christentum als universalistisch in dem Sinne gedacht wird, dass es alle Menschen im spirituellen Körper Christi vereinigt.301 Dieses Spannungs­ verhältnis zwischen der öffentlichen und der privaten Seite des Individuums vernachlässigt Foucault, weil er von vornherein die Einheit des Subjekts durch Unterwerfung unterstellt. Doch war das Subjekt schon immer fragmentiert, nur

  Georges Vajda, Le rôle de la signification de l’ascétisme dans la religion juive, Archives de Sociologie de la Religion 18 (1964), S.  35. 295   Miller, P. C. (Fn.  292 – Shifting Selves), S.  31. 296   Guy G.  Stroumsa, From Master of Wisdom to Spiritual Master in Late Antiquity, in: Brakke/Satlow/Weitzman (Fn.  189 – Religion and the Self), S.  184. 297   Peter Brown, Die Entstehung des christlichen Europa, München: Beck 1996, S.  68. 298   Mitchell (Fn.  172 – A History of the Later Roman Empire), S.  179. 299   Peter Brown (Fn.  216 – Power and Persuasion), S.  73. 300   Vgl. allg. zum Problem der Beschreibung der christlichen Lebensformen in der Antike Christoph Markschies, Das antike Christentum. Frömmigkeit, Lebensformen, Institutionen, München: Beck, S.  94 ff. 301   Daniel Boyarin, A Radical Jew. Paul and the Politics of Identity, 2.  Aufl., Berkeley: Uni­ versity of California Press 1997, S.  106; Todd Berzon, „O, Foolish Galatians!“ Imaging Pauline Community in Late Antiquity, Church History 85 (2016), S.  435–457, 461. 294

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die Bruchlinien verliefen unterschiedlich.302 So vermutet P.  Veyne, dass die Griechen „öffentlich“ an ihre Götter geglaubt haben (im Interesse der Erhaltung der Gemeinschaft), sich aber „privat“ durchaus Zweifel erlaubten.303 Auf der anderen Seite wurde die griechisch-römische stoische Les- und Le­ bensart der Selbsttranszendenz, der Selbstreinigung von allem Fremden304 , als Selbstkontrolle305 dadurch bestimmt, dass sie für Angehörige der Oberschicht eine relativ einheitliche Bedeutung gehabt hat. Für die griechische oder römi­ sche Oberschicht ging es bei ihren „geistigen Übungen“ zwar nicht um Unter­ drückung von Sexualität, aber doch um die Vermeidung des Verlustes der Selbstbeherrschung durch die Abhängigkeit von Leidenschaften.306 Die christli­ che „Sorge um das Selbst“ war Gegenstand einer Lehre, die sich an breite Mas­ sen wendete und deshalb eine gewisse Vereinfachung und „Totalisierung“307 erforderte und zugleich unterschiedliche Lesarten und Praktiken im Zusam­ menhang mit unterschiedlichen Formen des Alltags zuließ. Die „Techniken des Selbst“ können aber nicht im Anschluss an M.  Foucault auf das Wirken bloßer Machtstrategien reduziert werden. Die christliche Versi­ on des „management of the self“ unterschied sich nicht wesentlich von älteren paganen Formen. Das Selbst der Spätantike ist nicht als eine Form der Hand­ lungsfähigkeit des Einzelnen zu konstruieren, vielmehr geht es auch schon in der Spätantike um die Instituierung eines „strukturierten“308 , eher „unpersön­ lichen Selbst“, dessen Innenwelt den Anforderungen der Gesellschaft und der Vernunft entsprach309, das Selbst zum „objective participant“310 in einer Viel­ zahl von exemplarischen Situationen machte311 und ein Verhältnis zum Ande­

  Descombes (Fn.  242 – Le complément de sujet), S.  8; Richard (Fn.  153 – L’actuel malaise), S.  211. 303   Paul Veyne, Les grecs ont-ils cru à leurs mythes?, Paris: Seuil 2002; Richard (Fn.  153 – L’actuel malaise), S.  249. 304   Hadot (Fn.  194 – La figure du sage), S.  19. 305   Colin Morris, The Discovery of the Individual. 1050–1200, reprint, Toronto: University of Toronto UP, 1987, S.  15. 306   Vesperini (Fn.  194 – Droiture et mélancolie); Robert A.  Markus, The End of the Ancient Christianity, Cambridge: CUP 1990, S.  61, 65. 307   Averil Cameron, Redrawing the Map. Early Christian Territory After Foucault, Journal of Roman Studies 76 (1986), S.  266–271. 308   Christopher Gill, The Structured Self in Hellenistic and Roman Thought, Oxford: Ox­ ford UP 2006. 309   Michael Frede, Free Will. Origins of the Notion in Ancient Thought, Berkeley: Univer­ sity of California Press 2013, S.  27; Anthony Arthur Long, Greek Models of Mind and Self, Cambridge (Mass.) 2015. 310   Gill (Fn.  308 – Structured Self). 311   Brad Inwood, Reading Seneca: Stoic Philosophy at Rome, Oxford: Oxford UP 2008. Die Regelorientierung ist vor allem in der stoischen Morallehre immer durch einen Vorbehalt für 302

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ren impliziert.312 Die Person (das Subjekt) kann nicht ohne eigene interne „Or­ ganisation“ sein.313 Insofern ist es konsequent, wenn in der Neuzeit J.  Locke314 dem Subjekt eine Fähigkeit zur Selbstkontinuierung zuschreibt, die – so wäre zu ergänzen – nicht als ein Effekt bloßer Machtstrategien zu verstehen wäre. Die interne Organisation des sich der unpersönlichen gesellschaftlichen Arbeit zu­ wendenden Subjekts wird durch das historische Zusammenwirken einer Viel­ zahl unterschiedlicher Faktoren entwickelt. Die „Episteme“ Foucaults, die die Emergenz des denkbaren Wissens bestimmt315, scheinen selbst eher in einem retrospektiv formulierten „Erwartungshorizont“ generiert worden zu sein, weil sie sehr viel mehr Einheit beobachten, als sie in einer auf die Selbstorganisation des Wissens orientierten Perspektive zur Erscheinung kommt. Die „Episteme“ strukturiert ein Wissensfeld neu und hat darin den Charakter einer Fiktion316 , wenngleich möglicherweise einer nützlichen Fiktion. e)  Die Multipolarität des Wissens und der „anonymen Konventionen“ (Descombes) der Gesellschaft Das Subjekt wird aber nicht primär durch die „Macht“ angerufen, sondern durch die „anonymen Konventionen“ (V.  Descombes), die in die Wissensver­ hältnisse eingetragen sind und dem Subjekt deren Variation abverlangt. Die von Foucault mit Recht betonte Diskontinuität des Wissens317 ist im Grunde mit seiner eigenen Theorie der Machtverhältnisse kaum vereinbar, da der Wandel in der „longue durée“ (F.  Braudel) auch sich gerade den nur in der „durée moyen­ ne“ zu entwerfenden Strategien der Macht ebenso entzieht wie dem Widerstand und der Gegenmacht. Letztlich erklärt sich der gesellschaftliche Prozess nach Foucault nur aus unpersönlichen systemischen Kräfteverhältnissen innerhalb des Wissens und seiner Praktiken, innerhalb deren die „connaissance accu­ mulée“318 immer wieder „Attraktoren“ als Wendepunkte herausbildet, die die die Flexibilität im Angesicht von Situationen charakterisiert; dies geht auf die griechische Kultur zurück, Manent (Fn.  82 – Métamorphoses de la cité), S.  171. 312   Inwood (Fn.  302 – Reading Seneca). 313   So in einer psychoanalytischen Perspektive Janine Chasseguet-Smirgel, Le corps com­ me miroir du monde, Paris: PUF 2004, S.  173. 314  Vgl. Gill (Fn.  308 – Structured Self). 315   Jean-Claude Vuillemin, Réflexions sur l’épistème foucauldienne, Cahiers Philoso­ phiques 2012/13, Nr.  130, S.  39, 40. 316   Luca Paltrinieri, Biopouvoir. Les sources historiennes d’une fiction politique, Revue d’histoire moderne et contemporaine 2013/4, Nr.  60, S.  49 317   Hervé Inglebert, Le monde, l’histoire. Essai sur les histoires universelles, 2.  Aufl., Paris: PUF 2015, S.  110; Francis Oakley, Empty Bottles of Gentilism: Kingship and the Divine in Late Antiquity and the Early Middle Ages (to 1050), New Haven: Yale UP 2010, S.  220. 318   Inglebert (Fn.  317 – Le monde, l’histoire), S.  118.

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Wissensfelder neu organisieren. Doch der „Raum der Möglichkeiten“319, inner­ halb dessen sich neues Wissen selbstorganisiert, kann sehr komplex sein und sich über Jahrhunderte aufbauen. Foucault hat in späteren Veröffentlichungen stärker den heterogenen Charakter der „Wissensformationen“ akzentuiert.320 Doch führt dies nicht zu einer Änderung der sehr einseitigen Fixierung auf die Macht – das gilt auch für das nicht mehr wirklich ausgearbeitete Plädoyer für eine Ethik der Wahrheit („parrhesia“). Dann stellt sich immer noch die Frage, warum es zum Wandel innerhalb der Wissensformationen kommt. Das Subjekt „im Widerstand“ bleibt letztlich ein Subjekt, das seine „imaginäeren Identifika­ tionen“ aufgegeben hat, aber dann „im Widerstand“ nichts ist als eben ein Sub­ jekt, das sich aufgehoben hat321, ein Nicht-Subjekt der Meditation außerhalb der Gesellschaft, wie es das Ziel der geistigen Übungen der Stoa war. Der Rückblick auf die Geschichte und die Konstruktion von Geschichtsver­ läufen ist immer von den aktuellen Problemen und dem aktuell zur Verfügung stehenden Begriffsarsenal bestimmt – dies gilt auch für die hier vertretene Posi­ tion. Foucaults Fixierung auf die „Macht“ oder Agambens Hypostasierung der „Souveränität“ sind geprägt von dem Eindruck des Souveränitätsanspruchs des französischen Absolutismus322 , der ebenso einen Anfang zu setzen beanspruch­ te wie seine revolutionären Antipoden mit dem Vorgriff auf die „republic to come“.323 Vor allem der Rekurs auf die Natur hat eher eine antiinstitutionelle Wendung324: Das Neue soll auf nichts gegründet sein – ebenso wie der neue Mensch. Die Vorstellung einer „Gründung“ des Staates durch die „Souveräni­ tät“ ist ein Faszinosum für linke Theorie.325 Dadurch wird der Blick auf die   Ian Hacking, Historische Ontologie, Zürich: Chronos 2006, S.  23  Vgl. Ian Hacking, Michel Foucaults Archäologie, in: ders., Historische Ontolologie“ (Fn.  319), S.  89 ff. 321   Pascale Gillot, Foucault/Wittgenstein: Une subjectivité sans sujet?, in: dies./Lorenzini (Fn.  241 – Foucault/Wittgenstein), S.  55–76. 322   Dies gilt, auch wenn die „Souveränität“ geradezu mit dem Anfang der politischen Ge­ schichte gleichgesetzt wird. Interessanterweise benutzten umgekehrt die Revolutionäre in Frankreich den Rekurs auf das Naturrecht dazu, denjenigen, der sich außerhalb dieses nicht gesetzten Rechts stellt, für vogelfrei zu erklären – mit der Folge, dass er ohne ein rechtliches Verfahren getötet werden kann, vgl. dazu Dan Edelstein, The Terror of Natural Law: Republi­ canism, the State of Nature, and the French Revolution, Chicago: Chicago UP 2010. 323   Edelstein, ebd., S.  206; vgl. zur Figur der „Demokratie, die im Kommen ist“ die Beiträge in: Marie-Louise Mallet (Hrsg.), La démocratie à venir. Autour de Jacques Derrida, Paris: Galilée 2004; zur Figur des Subjekts Paul A.  Miller, Postmodern Spiritual Practices. The Con­ stitution of the Subject and the Reception of Plato in Lacan, Derrida, and Foucault, Columbus: Ohio State UP 2007. 324  Vgl. Paul Henri Thiry Baron d’Holbach, Système de la nature ou des lois du monde phy­ sique et du monde moral, Band 1, CreateSpace Amazon Reprint 2016, S.  8, 71. 325   Vgl. auch Jacques Derrida, The Beast and the Sovereign, Vol. I, Chicago: Chicago UP 2009, wo die Abgrenzung von einem anderen nach innen wie nach außen im Staat den „An­ 319

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Wirklichkeit der „Souveränität“ verstellt, insbesondere die alles andere als sou­ veräne, sondern eher chaotische, man könnte auch sagen „differentielle“ Ver­ waltung, die durch innere Widersprüche gelähmt war. Auch die „panoptischen“ Institutionen waren im Grunde nichts als Phantastereien ohne jeden Realitäts­ bezug.326 Wenn man so sehr auf das Programm der „Souveränität“ fixiert ist, kann man auch zu der Annahme kommen, dass das Subjekt, das durch die Ver­ innerlichung der Einheit der Macht entsteht, nicht vor dem 16. Jahrhundert „angefangen“ haben kann.327 Letztlich nimmt es von vornherein den Platz des künftigen revolutionären oder vorher: widerständigen Subjekts ein. f)  Die Einheit der Macht, der Souveränität und des Subjekts – eine Handlungen ermöglichende Fiktion Eine postmoderne Sichtweise kann den Wandel des Sprachverständnisses und der Dezentralisierung der Stellung des Subjekts nicht mehr in den alten Tren­ nungsbegriffen328 denken und muss die Welt und die Wirklichkeit eher als ein „web of interrelated processes of which we are integral part“ ansehen.329 Das Denken der Welt in Kategorien der Subjektivität und des Universalismus kann dann sehr wohl viel früher „angefangen“ haben als im 16. Jahrhundert. 330 Die Fixierung auf die Alternative des unbestimmt bleibenden nicht-instituti­ onellen Widerstandes lässt die andere Seite der Institution nur noch als Einheit der Macht oder der Souveränität erscheinen – trotz der oben konstatierten „strukturellen Instabilität“331 der postmodernen Kultur. Sie besteht aus den In­ stitutionen, auf deren Folie sich die „republic to come“ als das schlechthin Offe­ ne abhebt. Die Sorge der gemäßigten Revolutionäre galt den Formen und Figu­ ren des Lebens, „with which we are acquainted“.332 Die Vorstellungen der Radi­ fang“ bildet, während es nach der hier vertretenen Konzeption zunächst um das sich ohne Anfang fortsetzende Prozessieren des Alltags geht. 326   Dazu allgemein Richard (Fn.  153 – L’actuel malaise dans la culture). 327   Alain de Libera, L’invention du sujet moderne, Paris: Vrin 2015, S.  11. 328   Vgl. zu dem letztlich auf Heidegger zurückgehenden Wandel des Sprachverständnisses Michael Friedman/Angelika Seppi, Die Falte der Sprache. Zur Einführung, in: dies. (Hrsg.), Martin Heidegger: Die Falte der Sprache, Wien/Berlin: Turia & Kant 2017, S.  7–35; Samo Tomšič, Sein und Lust. Der ontologische Skandal der Sprachautonomie, ebd., S.  89–119, 93. 329   C.  Robert Mesle, Process-Relational Philosophy. An Introduction to Alfred N.  W hite­ head, West Conshohocken: Templeton Press 2008, S.  9, 11. Gerade dies ist der Grund für die die Verschleifung der Netzwerke des Realen unterbrechende und neu organisierende norma­ tive Intervention des Rechtssystems durch operative „Fiktionen“; zum Modus der Fiktion Augsberg (Fn.  269 – Die Lesbarkeit des Rechts), S.  80. 330   de Libera (Fn.  327 – L’invention du sujet), S.  11. 331   Tomšič (Fn.  328 – Sein und Lust), S.  93. 332   Adam Ferguson, Principles of Moral and Political Science (1792), Band 1, Lexington: Ulan Press 2012, S.  317.

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kalen zielten auf die Überwindung des Bekannten oder gar des Vertrauten – in der Hoffnung auf das namenlose Unbekannte, das Andere. Wenn man jenseits solcher antithetischer Fixierungen die dauerhafte Lage der „strukturellen In­ stabilität“ als nicht hintergehbar annimmt, die mit der Christianisierung der römischen Rechtskultur333 als „Anfang“ gesetzt worden ist, wird man mit der produktiven Dynamik der „begrifflichen Netzwerke“334 rechnen müssen, die immer in einem Verweisungsverhältnis zu den historischen Praktiken des Wis­ sens steht. Demgegenüber zeigt sich im Vergleich der Kulturen das Problem des Islam gerade daran, dass er geradezu darauf festgelegt zu sein scheint, die „strukturel­ le Instabilität“, die nicht zuletzt mit der Hervorbringung der Subjektivität und einer universalistischen Kultur verbunden ist335, immer wieder in ein hierarchi­ sches Unterordnungsverhältnis gegenüber der Religion zu verwandeln. Das be­ griffliche „semantische Feld“336 z. B. des Begriffs „Freiheit“ verbindet im Westen sich mit historisch möglichen gesellschaftlichen Praktiken der Ausübung der Freiheit, die immer wieder neue Spannungsverhältnisse generieren, die nicht durch die Unterordnung unter die Religion bewältigt werden können. Es ließe sich die These aufstellen, dass gerade der historische Anspruch des Islam nicht dazu beigetragen hat, dass insbesondere im 19. Jahrhundert die Rezeption west­ licher Figuren und Formen der Kultur (der Subjektivität und des Universalis­ mus) an dem Mangel einer eigenständigen säkularen Welt im islamischen Kul­ turkreis scheitern mussten.337 Insbesondere die Schwächen des politischen Sys­ tems in der islamischen Welt ließen sich immer wieder als Herausforderung zur Wiederherstellung der religiösen Ordnung deuten. Der Begriff der „Freiheit“ stellt sich dann als eine Art „leerer Referent“338 dar, der unter dem Druck von Krisen schnell seinen Halt verliert.339

333  Vgl. Martin Rhonheimer, Die Aufklärung fällt nicht vom Himmel, NZZ v. 24.1.2017; auch ders., Christentum und säkularer Staat: Geschichte – Gegenwart – Zukunft, mit einem Vorwort von Ernst-Wolfgang Böckenförde, 3.  Aufl., Freiburg: Herder 2012. 334   Alain de Libera, La Scolastique: Une faillite? Louis Rougier, historien in partibus, Phi­ losophia Scientiae 2016 (10), S.  177–206, 195. 335   Vgl. für das Mittelalter Alain de Libera, When Did the Modern Subject Emerge?, Ame­ rican Catholic Philosophical Quarterly 82 (1998), S.  181–220. 336   Abu-Uksa (Fn.  16 – Freedom in the Arab World), S.  3. 337   Vgl. allg. Leonard Wood, Islamic Legal Revival. Reception of European Law and Trans­ formation in Islamic Legal Thought in Egypt 1875–1952, Oxford: Oxford UP 2016, S.  236 f.; auch Christopher de Bellaigue, The Islamic Enlightenment. The Modern Struggle Between Truth and Reason, London: The Bodley Head 2017, S.  352 f. 338   Alain de Libera, La référence vide. Théorie de la proposition, Paris: Presses Universi­ taires de France 2002. 339   Abu-Uksa (Fn.  18 – Freedom in the Arab World), S.  206.

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Die Sprache wird von diskursiven Feldern340 durchsetzt, die die Öffnung und Schließung der Anschlüsse im Strom der Fallkonstellationen prozessieren341 und dabei auch den „hermeneutischen Akteur“ für die Interpretation durch die Situationen öffnet.342 Die Produktivität der diskursiven Felder, über die kultu­ rell Anschlusszwänge aggregiert werden, benötigt auf der subjektiven Seite die „innere Vielfalt“, die „preparation for responsiveness“ von Individuen343, die zum Medium der Verknüpfungen zwischen Anschlüssen an die Lebensformen beitragen. Die Sprache wird von den kulturellen Praktiken, den Lebensformen, dem dadurch erzeugten Varietätspool der Möglichkeiten und der davon be­ stimmten Beweglichkeit der Intelligenz der Akteure auf eine azentrische distri­ buierte Weise geprägt, die auch die Vorstellung erlaubt, dass ein Rückgang der Dynamik der Sprache – etwa im Mittelalter – deren Wiedergewinnung zu einer späteren Zeit nicht ausschließt. g)  Foucault und die Geschichtsschreibung Foucault steht in der Tradition Nietzsches, wenn er Wissen untrennbar mit der politischen Macht verbunden sieht. Er nimmt eine beinahe begriffsrealistische Verschiebung der historischen „inquisitorischen Untersuchung“ zur wissen­ schaftlichen „Untersuchung“ innerhalb einer verallgemeinerten „inquisitori­ schen Zivilisation“ der empirischen Wissensanhäufung vor.344 Allerdings hat Nietzsche einen gewissen Respekt vor einem Wissen, mit dessen Hilfe wir ver­ suchen, uns „eine Welt zurechtzumachen, bei der unsre Existenz ermöglicht wird“.345 Bei Foucault geht es nur noch um „Macht“ der Herrschenden, zu der nur die Macht-ergreifung durch die Unterdrückten eine Alternative darstellt. Da dies aber nur eine Frage der Macht ist346 , stellt sich die Frage, warum die mit einem moralischen Anspruch ergriffene Macht der Unterdrückten besser sein soll, wenn es für deren Ausübung keine Kriterien gibt: Die Gegenmacht ist im­   de Libera (Fn.  338 – La référence vide), S.  353.   Der Unterschied lässt sich im Vergleich mit der arabischen Sprache schärfen, die offen­ bar stärker von einem religiösen holistischen Verständnis der Sprache als von Gott gegeben betrachtet und eher von poetischen Konstellationen und geprägt wird, Yasir Suleiman, Lan­ guage and Society in the Middle East and North Africa, London: Routledge 2015. 342  Vgl. Jean-Luc Marion, Givenness and Hermeneutics, Milwaukee: Marquette UP 2012, S.  43, 41. 343   Vgl. für die Moderne George Kaleb, Walt Whitman and the Culture of Democracy, in: Tracy B.  Strong (Fn.  103), S.  208–229, 209, 227. 344   Michel Foucault, Théories et institutions pénales. Cours au Collège des France 19711– 1972, Paris: Gallimard 2015, S.  233; vgl. auch Jacques Bouveresse, Nietzsche contre Foucault: Sur la vérité, la connaissance et le pouvoir, Marseille: Agone 2016, S.  17 f. 345   Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente Herbst 1887–März 1888, Kritische Stu­ dienausgabe, Band 12, Berlin: de Gruyter, 1999, S.  418. 346   Vgl. allgemein zur Kritik Paul Boghossian, Fear of Truth, Oxford: Clarendon 2007. 340 341

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mer richtig! Diese Sichtweise ist ein problematischer Ausdruck der Selbstlegiti­ mation der Moderne347, die die Neuzeit in einem „Projekt des Bruchs“ mit der Tradition derart konstituiert sieht, dass es der Zuschauer ist, der letztlich im Nachhinein, nach den Ereignissen der Revolution, den Sinn der Geschichte in seiner Bereitschaft zur permanenten Öffnung für dieses Projekt begründet.348 Mit der Selbstbegründung der Philosophie in der und durch die Gegenwart geht eine andere Sichtweise der Vergangenheit einher, die selbst nicht mehr die Emergenz des Gegenwärtigen bestimmt.349 Die Beobachtung der Vergangenheit erfolgt immer (auch) im Spiegel der Probleme der Gegenwart.350 Doch neigt die den „Anfang“ der Neuzeit, den Bruch mit der alten Welt, akzentuierende Sicht­ weise der Geschichte dazu, die komplexe Realität der Vergangenheit retrospek­ tiv mit „modernen Abstraktionen“ zu bearbeiten, weil die Vergangenheit zur Vorgeschichte des Neuen wird.351 Etwas anders wird der Akzent bei Foucault gesetzt, der eher eine „Ästhetik der Existenz“ auch für die Gegenwart zur Gel­ tung bringen will.352 Das produktive Moment der Ästhetik wird aber in eine Ästhetik des Widerstands, des Bruchs mit der praktisch fungierenden Einheit der Gesellschaft als Wissen produzierender „Körper“, umgewandelt. Diese Äs­ thetik lebt selbst zum erheblichen Teil davon, dass sie die prekäre praktische Einheit der Lebensformen, deren Wirklichkeit von einer „unbestimmten Zone nicht-verwirklichter Möglichkeiten umgeben“ ist353, in eine Einheit der Doktrin verwandelt. Die „nicht-verwirklichten Möglichkeiten“ bleiben mit der „einen“ Wirklichkeit notwendig verbunden; die „Einheit“ basiert stets auf einer Fiktion, mit der praktisch operiert werden kann; und nur dadurch lassen sich die Kon­ tingenzen unter Kontrolle halten. Um die Wahrheit geht es dabei zu allerletzt.354 Die Fiktion ist eine Paradoxie: Sie erlaubt es, die gesellschaftlichen Verhältnisse als das Ergebnis individuellen Handelns zuzurechnen, während gerade dadurch 347   Dazu allgemein Hans Blumenberg, Legitimität der Neuzeit, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1996. 348   Myriam Revault d’Allonnes, Qu’est-ce qu’une philosophie de l’actualité?, Esprit 2009, Heft 4, S.  213–224; ähnlich James I.  Porter, Foucault’s Ascetic Ancients, Phoenix 59 (2005), S.  121, 131. 349   Myriam Revault d’Allonnes, Ce que disent les modernes: Sécularité ou sécularisation?, in: Michael Foessel et al. (Hrsg.), Modernité et sécularisation. Hans Blumenberg, Karl Löwith, Carl Schmitt, Leo Strauss Paris: CNRS Editions 2016, S.  45–60. 350   Anca Dan/François Queyrel u. a., Les concepts en sciences de l’ antiquité: Mode d’em­ ploi, Dialogues d’histoire ancienne 41 (2015), S.  313–370. 351   Carlin A.  Barton/Daniel Boyarin, Imagine No Religion. How Modern Abstractions Hide Ancient Realities, New York: Fordham UP 2016, S.  3 f. Weil das Neue nie aufhören darf, spielen auch die Opfer der Revolutionen keine Rolle. Sie sind „Details der Geschichte“. 352  So Pierre Hadot, zit. nach Elettra Stimilli, Esercizi spirituali o tecniche di vita? Pierre Hadot e Michel Foucault, Il Pensiero 2008, XLVII, S.  91, 98. 353   Paul Veyne, Die Originalität des Unbekannten, Frankfurt a. M.: Fischer 1988, S.  42. 354   Vgl. auch Veyne, ebd., S.  42.

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ein transsubjektives Gewebe der Verhältnisse entsteht, das den Handelnden Anschlüsse und Zwänge vorgibt, die Unterscheidungen innerhalb des Materia­ litätsstroms der Wirklichkeit erst möglich machen. „Vorher“ ist gar keine Inter­ vention vorstellbar. Dies ist im Grunde eine Ausfaltung der Verknüpfung von göttlicher Vorsehung und menschlicher Freiheit.355 Eine Antwort auf die darin angelegte Aporie gibt Augustinus in der Konstruktion der „civitas dei“, die den Rückzug aus der politischen Geschichte zugunsten der eschatologischen Er­ wartung einer Zukunft jenseits der Gegenwart des Niedergangs propagiert, wenn auch nicht ohne Vorbehalte. Eine säkulare Abspannung dieser Aporie bildet in der Neuzeit das liberale Denken, das das „Vorher“ der subjektiven privaten Verhältnisse zu einer tragi­ schen Verstrickung der Individuen macht, die durch den Staat nicht aufgeho­ ben, sondern nur abgemildert werden kann. Die andere Variante besteht in ver­ schiedenen Formen des Vorgriffs auf die öffentliche Gründung eines Gesamt­ zusammenhangs der Vernunft vor den Entscheidungen des Einzelnen, einer paradoxen eschatologischen Zukunft in der Gegenwart. Die politische Ver­ schärfung dieser Aporie findet sich bei Autoren wie Carl Schmitt, der die Ent­ scheidung nicht als zerstreut ansieht wie das neuzeitliche liberale Denken, son­ dern die öffentliche Entscheidung ohne Bindung durch eine Vorgeschichte der individuellen Handlungen oder das Postulat einer erst zu realisierenden kollek­ tiven Vernunft zu einem Gründungsakt erhebt, der jeder Frage nach einer Bin­ dung durch eine Vorgeschichte den Boden entzieht. 356 Doch auch diese Sichtweise postuliert die Möglichkeit der Selbstkonstitution der Gegenwart im Bruch mit der Vergangenheit. Mit Löwith ist zu konstatieren, dass die „moderne Geschichtsphilosophie dem biblischen Gedanken an eine Erfüllung entspringt“.357 Die noch nicht um das Individuum zentrierte Vergan­ genheit wird zur „Vorbereitung“ der Zukunft“, während die „Interpretation der Vergangenheit rückwärts gewandte Prophetie“ wird.358 Auch wenn ein gewisses voluntaristisches Moment jeder Epistemologie nicht zu leugnen ist, so müsste man konstatieren, dass für Foucault die wissenschaft­ liche Erzeugung einer Welt und ihre Begriffsbildungen einfach ganz ohne Inte­ resse ist – außer unter dem Gesichtspunkt der Macht. Nach der hier vertretenen Position erzeugt die westliche Kultur in der Spätantike durch eine produktive „strukturelle Instabilität“ (Samo Tomšič), durch offene „diskursive Felder“ (de Libera), die das theoretische und das praktische Register des Wissens und der 355  Vgl. Mark Lilla, The Shipwrecked Mind. On Political reaction, New York: New York Review Books 2016, S.  68. 356   Vgl. dazu auch Lilla, ebd., S.  69 f. 357   Karl Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, Stuttgart: Kohlhammer 1953, S.  11. 358   Löwith, ebd., S.  15.

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Prozesse nicht in bestimmte Teilsysteme oder Lebensformen einschließen, son­ dern einen Systeme oder Lebensformen übergreifenden „Varietätspool“, ein „noisy reservoir“359 der Möglichkeiten, bilden. Darüber wird permanent eine produktive Unruhe erzeugt, aus der immer wieder Neues durch „Selektion von Markierungen“ generiert wird. Dies ist das, was das westliche Modell auszeich­ net. Es weist immer über sich selbst hinaus. Die Kritik ist selbst nicht hintergeh­ barer Bestandteil dieser Kultur, nicht ein Anderes, das ihr von außen entgegen­ gehalten werden müsste. Die Grundlegung der westlichen Rechtskultur ist in der Spätantike geschaffen worden. Es kann im Zusammenhang dieser Untersu­ chung nicht genauer darauf eingegangen werden, warum es zur kulturellen Stagnation des Mittelalters gekommen ist, allerdings sollte plausibel geworden sein, dass und warum die prägende Kraft der römischen Kultur dadurch nicht verloren gegangen ist. Im nächsten Schritt soll näher auf die Bedeutung der Christianisierung der römischen Rechtskultur eingegangen werden.

  Wellbery (Fn.  238 – Vorwort), S.  X II.

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III.  Die Christianisierung der römischen Rechtskultur und die Romanisierung des Christentums 1.  Was heißt Christianisierung? a)  Das Christentum als „unfertige Religion“ – Voraussetzung für die Änderung der römischen Kultur und der Selbständerung des Christentums Vorausgeschickt sei, dass der Übergang weder für die Christen noch für die pagane römische Kultur von schmerzhaften Anpassungen frei verlaufen ist. In der griechisch-römischen Kultur war zwar die Religion eher eine starre Ord­ nung, aber die Reflexivität des Symbolischen war auf Grund des Einflusses der griechischen Philosophie schon relativ stark ausgeprägt und ermöglichte da­ durch den Übergang zum Denken einer anderer Ordnungsform und zu einer anderen Ordnungsform des Denkens. F.  Schulz360 hat mit gutem Recht die Auffassung vertreten, dass das römische Recht keiner nachhaltigen Transformation im Zuge der Christianisierung des Reiches ausgesetzt war und dass die „Humanisierungstendenz“, die die unper­ sönliche Form der Argumentation und Reflexion im Rechtssystem relativiert hat, eher einem immanenten Prozess der Selbstveränderung der Rechtsord­ nung geschuldet war. Dennoch hat die Christianisierung erhebliche Bedeutung insofern gehabt, als die paganen Elemente des römischen Rechts ein weiteres Mal abgeschwächt wurden. Dies gilt vor allem für die kulturelle Einbettung in eine Kontinuität der „mos maiorum“, und damit die Erhaltung der römischen Traditionen. Für die Christen rückte an deren Stelle immer mehr die Vorstel­ lung der göttlichen Vernunft, die sich allerdings durchaus auch der paganen Praxis zur Durchsetzung der Vernunft bedienen konnte. Die bruchlose Konti­ nuität der Traditionen ist dadurch jedenfalls gestört worden.361 Dadurch ist auch der kulturelle Kontext des römischen Rechts verändert362 und für eine Evolution auf einer Trajektorie zum universalistischen und zu einem um das   Schulz (Fn.  65 – Geschichte der römischen Rechtswissenschaft), S.  377.   Gabriella Aragione, Les chrétiens et la loi. Allégeance et émancipation aux IIe et IIIe Siècles, Genf: Labor et Fides 2011, S.  68, 88. 362   Marenbon (Fn.  214 – Pagans and Philosophers). 360 361

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Individuum zentrierten Recht vorbereitet worden. Das Gewicht der römischengrie­chischen Tradition darf auch für die Spätantike nicht unterschätzt werden. Die Umstellung auf ein Denken in regelhaften göttlich gestifteten abstrakteren Ordnungsbegriffen hatte zwar unmittelbar keine weitreichenden Folgen, aber längerfristig hat sie auch erst die Öffnung des römischen Rechts für eine offene Zukunft bewirkt363, die im Mittelalter zu einem neuen Aufschwung jenseits der klassischen Tradition geführt hat. Wie noch zu zeigen sein wird, ist die Bezeichnung „Christianisierung“ für die Transformation des römischen Reiches (und des römischen Rechts) in der Spätantike missverständlich: Sie darf nicht so verstanden werden, als ob eine neue „Idee“ und ihre Praxis, ihr Kult, ihre Rituale und ihre Vermittlungsfor­ men, eine ältere, hier: die pagane Kultur, unterworfen hätten. Tatsächlich geht auch das Christentum aus diesem Prozess unter dem Einfluss der griechisch-rö­ mischen Kultur seinerseits völlig verändert hervor. In den ersten beiden Jahr­ hunderten nach Christi Geburt war das Christentum eine geduldete, zeitweise verfolgte Minderheit, zu der zunächst nur wenige Angehörige der Oberschicht gehörten. Das Christentum hatte eine Fülle von Problemen mit der Formulie­ rung eines „Glaubens“, da deren zentraler Gegenstand, die Vorstellung eines Mensch gewordenen Gottes, zwar neu, aber wenig konturiert erschien. Das Christentum war selbst „unfertig“364 , unabgeschlossen, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil die anfängliche Erwartung der baldigen Wiederkehr des Messias als Ereignis die theologische Verarbeitung der damit verbundenen Herausfor­ derung im Einzelnen eher sekundär erscheinen lassen konnte. Das für die Rö­ mer Besondere des Christentums war gerade angesichts der kulturellen Domi­ nanz der Oberschicht und in der Krise des Endes des dritten Jahrhunderts das nicht-hierarchische Verhältnis der Gemeindemitglieder zueinander und insbe­ sondere die Fürsorge untereinander.365 Die Gleichheit der Menschen vor Gott366 war auch ein Moment, das zur Universalisierung des Rechtsdenkens beitrug. Für viele Römer war dies eine Alternative zur kulturellen Tradition Roms und der Kontinuität der nie als ausreichend angesehenen Legitimation der Gesell­ schaftsordnung durch die „mos maiorum“. Dies galt umso mehr, als das Reich gegen Ende des 3. Jahrhunderts infolge einer Serie von militärischen Niederla­ 363   Caroline Humfress, Law and Custom under Rome, in: Alice Rio (Hrsg.), Law, Custom and Justice in Late Antiquity and the Early Middle Ages. Proceedings of the 2008 Byzantine Colloquium, London: Hellenic Studies Institute 2011, S.  23. 364   Ladeur (Fn.  250 – Textualität des Rechts), S.  142. 365   Vgl. zum Erfolg des christlichen Weltbildes Paul Veyne, Quand notre monde est devenu chrétien (312–394), Paris: Albin Michel 2007, S.  39; auch Markschies (Fn.  292 – Das antike Christentum), S.  213 f. 366   Mitchell (Fn.  172– A History of the Later Roman Empire), S.  186.

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III.  Die Christianisierung der römischen Rechtskultur

gen in eine Krise geriet.367 Für Kaiser Konstantin erschien das Christentum als eine mögliche Legitimationsquelle368 im Angesicht sich vermehrender Krisen­ phänomene wie ein neues universalistisches Kaisertum jenseits der kulturellen Überlieferung.369 Das christliche Denken war vom Individuum und der unmit­ telbaren Beziehung des Einzelnen zu Gott bestimmt370 und erschien als eine produktive kulturelle Herausforderung. Die Ambivalenz dieser Entwicklung, der Sprung aus der Konstellation der randständigen – „inward looking“371 – kulturellen und religiösen Minderheit, zur herrschenden universalistischen Re­ ligion des römischen Reichs stellte auch für das Christentum selbst, das darauf in keiner Weise vorbereitet war, eine schwer zu bewältigende Bewährungsprobe dar – und zwar vor allem wegen seiner „Unfertigkeit“372: Das Christentum hatte selbst auf viele Fragen (noch) keine befriedigende Antwort. So lässt sich im Vor­ griff auf ein später zu ziehendes Resümee dieser Überlegungen feststellen, dass das Christentum notwendigerweise seinerseits auf die Rezeption und Adoption derjenigen Teile der griechisch-römischen Kultur angewiesen war373, die im Ansatz schon eine Weiterentwicklung zu einem universalistischen Denken enthielten und nicht mehr primär von der archaischen Tradition geprägt waren. Das römische Recht und die griechische Philosophie boten dem Christentum selbst die Formen für seine eigene Rationalisierung.374 Das Christentum als „unvollständige“, zunächst primär auf die Erwartung der Wiederkehr des Mes­ sias angelegte Religion adaptierte die Formen und Figuren der griechischen Philosophie zum Zwecke der Erkenntnis der göttlichen Offenbarung, die auch in den Dingen selbst ihren Niederschlag gefunden hatten.375 Dies bedeutet einen grundsätzlichen Wandel gegenüber der Kosmologie der Griechen und Römer, die die Welt als für Götter wie Menschen vorfindlich begründet hat. 367   Peter Brown, The Rise of Western Christendom. Triumph and Diversity, AD 200–1000, Malden/Oxford: John Wiley 2013, S.  19. 368   Jörg Rüpke, Reichsreligion? Überlegungen zur Religionsgeschichte des antiken Mittel­ meerraums in der römischen Zeit, Historische Zeitschrift 2011 (292), S.  297, 298. 369   Mitchell (Fn.  172 – A History of the Later Roman Empire), S.  155. 370   René Pfeilschifter, Die Spätantike. Der eine Gott und die vielen Herrscher, München: Beck, 2014, S.  97. 371   Robert A.  Markus, Between Marrou and Brown, in: Philip Rousseau/Manolis Papoutsa­ kis (Hrsg.), Transformations of Late Antiquity. Essays for Peter Brown, Abingdon: Ashgate 2009, S.  1, 8. 372   Legendre (Fn.  254 – L’autre Bible de l’occident), S.  373, spricht von einer „normativen Leere“ („vide normatif“); das geht aber m. E. zu weit: Christus “als Gesetz” zu folgen, war ein durchaus wirkmächtiger Appell. 373   Mitchell (Fn.  172 – A History of the Later Roman Empire), S.  187. 374   Jaeger (Fn.  216 – Early Christianity and Greek Paideia), S.  38. 375   Francis Oakley, Mortgage of the Past. Reshaping the Ancient Historical Inheritance, 1050–1300, New Haven: Yale UP 2012, S.  59.

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b)  Die wechselseitige Abstützung von römischer Kultur und Christianisierung Das Christentum war selbst keine homogene Einheit und musste dies zunächst auch nicht sein. Doch der Aufstieg zur Mehrheitsreligion hat das Christentum auch nach innen verändert. Es konnte aus der neuen Stellung auch eine neue religiöse Einheit gewinnen, die es vorher nicht gab.376 Dies war jedoch nicht die Einheit eines „Volkes“, wie dies bei den Juden der Fall war. Das Christentum konnte sich mit der „Geschichtsphilosophie“ der Römer arrangieren, weil seine eigene Geschichte – anders als die der Juden – nicht „streng religiös zu denken“ war.377 Wie noch zu zeigen sein wird, hat das Christentum sich diesen beiden Trägern der griechisch-römischen Kultur nicht nur opportunistisch angepasst, sondern sich mit neuen theologischen Reflexionen, die sich der griechischen Philosophie verdankten378 , und der Entwicklung einer Kirchenorganisation, die ohne das römische Recht nicht denkbar gewesen wäre379, zu einer eigenständi­ gen kulturellen Kraft entwickelt. Der Christianisierungsprozess bedeutete nicht nur für die paganen Römer, sondern auch für die Christen eine hohe intellektuelle und praktische Heraus­ forderung, da die Grundlagen des christlichen Denkens und die der römischen Kultur zunächst unvereinbar erschienen.380 Dies ist nicht nur von den Christen so gesehen worden, sondern auch von den in der paganen Welt befangenen Rö­ mern. Gerade weil die Römer ein eher praktisches Verhältnis zu ihrer Religion hatten, also Religion von Politik, Recht, Philosophie und Literatur getrennt hielten, erschien vielen Gebildeten das Christentum mit seiner Tendenz zur In­ tegration der Kultur durch ihre Religion inkonsistent und schwer vereinbar mit ihrem Verständnis der griechischen Philosophie oder ihrem praktischen Ver­ hältnis zur Politik – nach innen wie nach außen.381 Der „klassenlose“ Charakter des Christentums erschien den paganen Römern politisch inakzeptabel, aber auch unter ästhetischen Gesichtspunkten abstoßend.382 Ähnliches gilt auch für   Mitchell (Fn.  172 – A History of the Later Roman Empire), S.  277.   Löwith (Fn.  357 – Weltgeschichte und Heilsgeschehen), S.  178. 378   Jaeger (Fn.  216 – Early Christianity and Greek Paideia), S.  31. 379   Russell (Fn.  172 – Germanization), S.  133; Jean Gaudemet, Formation du droit cano­ nique et gouvernement de l’église de l’antiquité à l’âge classique, Strasbourg: Presse Universi­ taires de Strasbourg 2008, S.  42, 53. 380   John Witte jr., Law and Religion in the Western Tradition, in: Silvio Ferrari (Hrsg.), Routledge Handbook of Law and Religion, Oxford: Routledge 2015, S.  31. 381   Kaiser Julian wollte die Christen deshalb zunächst vom Besuch der klassischen Gram­ matikschulen ausschließen, Kaster (Fn.  33 – The Guardians), S.  74. 382   Joseph Bidez, Kaiser Julian. Der Untergang der heidnischen Welt, Reinbek: Rowohlt 1956, S.  230; da der Aufstieg des Christentums jedenfalls in den weströmischen Gebieten mit dem Machtverfall des alten römischen Reiches einherging, lag für die verbliebenen paganen Kräfte die Herstellung eines Zusammenhangs nahe: Die Vernachlässigung des traditionellen 376

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III.  Die Christianisierung der römischen Rechtskultur

die Heraushebung des Menschen aus der Natur und dem Götter und Menschen übergreifenden Kosmos.383 Die Christianisierung konnte nur durch ein kompromisshaftes Denken er­ möglicht werden, das nicht nur zu einer grundlegenden Veränderung des religi­ ösen Denkens und Handelns der Christen führte, sondern zugleich das römi­ sche Rechtsdenken fortsetzte384 und zu einem kaum zu überschätzenden Be­ standteil des späteren westlichen rationalen Rechts gemacht hat – bei aller Mobilität und Autonomie aber auch seine Grenzen hatte. Es war vor allem kein universalistisches, auf andere Länder und Regionen übertragbares Recht, jeden­ falls solange der kulturelle Kontext Bestand hatte. Das römische Recht hat wich­ tige Schritte auf dem Weg zu einem solchen Recht getan, die für sich genommen, angefangen mit dem Bruch zwischen Rechtswissen und religiösem Wissen, der Einschränkung des Monopols der Priester für die Rechtsentscheidungen, gera­ dezu grundstürzende und „weltlegitimierende“ Bedeutung gehabt haben – aber das Recht hat eben den entscheidenden Schritt zur universalistischen Ordnung nicht vollzogen. Diese Begrenzung teilte das römische Recht mit dem nicht auf der gleichen kulturellen Höhe befindlichen griechischen Recht. Das Christentum benötigte seinerseits die Teile der bestehenden Kultur, die es ihm erlaubten, eine neue Rolle innerhalb der römischen Gesellschafts- und Institutionenordnung zu spielen, aber auch seine eigene diffuse Organisation, die kaum über einen lockeren Verbund sehr unterschiedlich orientierter auto­ nomer Gemeinden hinausging, auf eine andere Grundlage zu stellen und erst zur „Kirche“ zu werden. Das christliche religiöse Moment des neuen Universa­ lismus hat sich sozusagen auf den älteren Beständen des Proto-Universalismus in Recht und Philosophie des römischen Reiches etabliert und dadurch etwas Neues schaffen können. Das römische Reich konnte selbst als göttliches Instru­ ment angesehen werden, weil es dem Christentum zur Durchsetzung verholfen hatte.385 Diese Anverwandlung auch der griechischen Philosophie zeigt sich etwa in den frühen Auseinandersetzungen um die Tragfähigkeit von Anschlüssen des Religiösen an die Kultur der paganen Welt. Zunächst hatten christliche Denker die griechische Philosophie als zu stark von der paganen Religion bestimmt ver­ Opferkults hatte danach den Zorn der Götter erregt, Festigière, aaO (Epicurus and His Gods), S.  54. 383   Armin Pfahl-Traughber, Antike Philosophen als Kritiker des Christentums. Eine Fall­ studie zu Celsus, Porphyrios und Julian, Aufklärung und Kritik 2010, S.  133–147, 141, 143. 384   Ball (Fn.  30 – St. Paul and Other Studies), S.  47. 385   Hervé Inglebert, Les Romains chrétiens face à l’histoire de Rome, Paris: Institut d’étu­ des augustiniennes 1996, S.  71; zu Eusebius, ebd., S.  103; für das römische Recht John Witte jr., Introduction, in: ders./Frank S.  A lexander (Hrsg.), Christianity and the Law. An Introducti­ on, Cambridge: Cambridge UP 2008, S.  9.

1.  Was heißt Christianisierung?

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worfen. Sie wurde als ein Hindernis auf dem Weg zu einer neuen Beziehung zwischen Individuum und Gott (Christus) wahrgenommen. Doch das Chris­ tentum war durch seine Grundlegung in den Schriften des Alten und des Neuen Testaments auf die Notwendigkeit einer Interpretation dieser Schriften verwie­ sen386 , es war sozusagen (anders als die pagane Religion) eine Religion auf kog­ nitiver Grundlage387, die sich nicht von selbst verstand, während die pagane Religion durch eine Praxis der Ritualisierung bestimmt war, die auf einem Ver­ ständnis der Religion als Orthopraxie aufruhte: D. h. es ist das richtige Handeln und die Selbststilisierung des Einzelnen als Träger von Fähigkeiten zum richti­ gen Handeln nach den Traditionen, der „mos maiorum“, die das Religiöse aus­ machen – und nicht ein von den Göttern gegebenes und zu interpretierendes Gesetz. Mit der Schrift (des Gesetzes) sind paradoxerweise auch immer mehrere Lesarten verknüpft.388 Dies war der Grund dafür, dass sich später die Auffas­ sung durchsetzte, die griechische Philosophie sei nicht insgesamt ein paganes Wissen389, sondern sie bilde in einer frühen Form, vor allem in der platonischen Ideenlehre, selbst eine Vorform390 des christlichen Denkens aus, das in der christlichen Offenbarung später auf eine neue Grundlage gestellt worden sei.391 c)  Das Christentum und das römische Recht Für das Christentum stellte auch das römische Recht zunächst eine schwer zu bewältigende Herausforderung dar. Das römische Recht wurde in der Zeit, in der sich das Christentum selbst noch in einer Minderheitenposition befand und die Zwänge der weltlichen Ordnung jedenfalls in der religiösen Ordnung nicht abgebildet wurden oder als sekundär galten, eher abgelehnt. Die christliche Lehre sah einen Konflikt vor allem zwischen dem paganen Charakter des Na­ turrechts, das ebenso wie die Ordnung des Kosmos als vorgefunden bzw. durch die Praxis der Völker geprägt erlebt wird. Dagegen wurde das ewige Recht, das wie die Regeln der Schaffung der Welt letztlich von Gott gegeben ist, als die christliche Antithese gesetzt, die zugleich die Erscheinung des göttlichen Wil­ lens in der Historizität der menschlichen Natur in Anschlag bringen will.392 Al­ 386   Stroumsa (Fn.  281 – The Scriptural Universe), S.  2, 5; Miller (Fn.  284 – Shifting Selves), S.  15, 21 f. 387   Stroumsa (Fn.  281 – Scriptural Universe), S.  9. 388   Jean Soler, L’invention du monothéisme. Aux orgines du Dieu unique, Band 1, Paris: de Falois 2002, S.  95, für das jüdische Gesetz. 389   Dies war aber durchaus umstritten, anders hat dies z. B. Tertullian gesehen, Inglebert (Fn.  385 – Les Romains chrétiens), S.  80, 102 390   Zum Verständnis der griechischen Philosophie als Vorform des Christentums und zu Tertullian, Inglebert (Fn.  385– Les Romains Chrétiens), S.  102. 391   Jaeger (Fn.  216 – Early Christianity and Greek Paideia), S.  45. 392   Vgl. auch Pierre Maravel, L’idéologie impériale de Constantin selon Eusèbe de Césarée,

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III.  Die Christianisierung der römischen Rechtskultur

lerdings unterscheidet sich diese christliche Rechtsauffassung vom Natur­ recht393, da dessen Regeln selbst nicht auf den ausdrücklichen Willen Gottes zurückgeführt werden können und von der jüdischen Gesetzeskonzeption, die in der Torah als objektives Recht verankert ist. Das bedeutete für die Juristen allerdings noch keine Fixierung auf einen stabilen Sinn des Gesetzes, vielmehr führt das Gesetz eine reflexive prozedurale Komponente mit sich: Es muss vom ganzen Volk als Erbe angenommen und vor allem studiert werden.394 Der nicht kodifizierte Charakter des „ewigen Gesetzes“ erleichterte den Christen aller­ dings auch, wie sie die Einstellung auf die römische Konstruktion des „ius na­ turae“, die mindestens partiell auch als Ausdruck der in die Natur eingetrage­ nen Regeln der Schöpfung395 und damit als Teil des göttlichen Logos angesehen werden konnten und zum anderen – soweit sie darüber hinaus als ethische Re­ geln der Lebensführung galten – eher den Charakter von Leitideen überneh­ men sollten. Das christliche Naturrechtsverständnis ist eben primär von der Vorstellung geprägt, dass der Mensch sich durch Auseinandersetzung mit dem Wort Gottes erst in ein wahrhaftes Subjekt des Gesetzes verwandeln muss. Darin ist auch eine Differenz der Stellung des Kaisers zum Recht begründet. Wie mehrfach erwähnt, hatte auch die Ablösung des Rekurses auf die Gemein­ schaft der Vorfahren („maiores“) durch eine eher am Individuum orientierte Rechts- und Gerechtigkeitsvorstellung, die sich im unmittelbaren Verhältnis des Einzelnen zu Gott niederschlug, ihrerseits einen Einfluss auf die Entwick­ lung des römischen Rechts.396 Insgesamt ist es nicht leicht, die Christianisierung des römischen Rechts genauer zu beschreiben, weil sich der Aufstieg des Chris­ tentums selbst in einer Zeit der Krise (auch) des römischen Rechts vollzog und sich die römische Kultur eher in einer Phase des „Experiments“ befand. Viel­ leicht ist dies die angemessenere Bezeichnung als der vielfach beschworene „Niedergang“397 (auch) des römischen Rechts, wenngleich auch die christliche Kultur zwischen 400 und 600 Erscheinungsformen einer Vereinfachung und Entleerung zeigte.398 Dies gilt umso mehr, als nach der hier vertretenen Auffas­ sung die Umstellung der Orientierung von Recht und Gerechtigkeit auf den „Anfang“ in Gott und im Verhältnis zum Individuum weitreichende Folgen für in: Marie-Françoise Baslez et al. (Hrsg.), Les dieux et le pouvoir, Rennes: Presses Universi­ taires de Rennes 2016, S.  135–141, 139. 393   Vgl. allg. Levering (Fn.  156 – Christians and Natural Law), S.  66–110. 394   Shmuel Trigano, La Torah céleste ou terrestre?, Pardès 2012 Nr.  51, S.  27–42, 33. 395   Vgl. für das Mittelalter: Oakley (Fn.  215 – Medieval Experience), S.  160. 396   Vgl. allg. Gillian R.  Evans, Law and Theology in the Middle Ages, London/New York: Routledge 2002. 397   Markus (Fn.  371 – Between Marrou and Brown), S.  1, 3. 398   Peter Brown, Through the Eye of a Needle. Wealth, the Fall of Rome, and the Making of Christianity in the West. 350–550 AD, Princeton: Princeton UP 2014, S.  514.

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die Zukunft des westlichen Rechts haben sollte, die sich aber noch nicht in der Spätantike zeigen konnten. Es ist kühn, fast ohne Auseinandersetzung mit einer reichhaltigen Literatur, die wegen der durch das Thema gesetzten Grenzen auch hier nur partiell berücksichtigt werden konnte, dem spätrömischen Reich (We­ strom) eine Dekadenz der öffentlichen Moral und damit den „Rückzug ins Pri­ vate“399 zu attestieren und dabei die exogenen Faktoren, insbesondere den An­ sturm der gewaltigen Truppen der Hunnen und in ihrem Gefolge der Westgoten zu vernachlässigen.400 „Angesichts dieser Sachlage wird kein ernstzunehmender Historiker annehmen, dass das Westreich nur aufgrund innerer Widersprüche oder ausschließlich einer von außen kommenden Erschütterung wegen zer­ fiel.“401 P.  Heather weist mit Recht darauf hin, dass Gibbon, Hegels und Loicks (einziger) Gewährsmann, an die durch Polybios begründete Tradition der frü­ heren Historiker anknüpfte, „persönliche Tugenden und Laster als die zentrale Kraft im Kausalzusammenhang der Geschichte“ zu behaupten.402 Die Germa­ nenstämme mit ihrer ganz anderen Kultur wandelten sich, wie hier betont wird, schnell zu Bewunderern der römischen Kultur – nicht ohne dem römischen Reich zunächst erhebliche Schäden zuzufügen.403 Vor allem das hier akzentuierte Phänomen des Weiterlebens des Gedächtnis­ ses des römischen Rechts und der römisch-griechischen Kultur sowie ihres Wiederauflebens um die erste Jahrtausendwende sprechen gegen die Fruchtbar­ keit der Unterstellung eines „Niedergangs“ des (west-)römischen Reiches. Es handelt sich vielmehr um einen komplexen Prozess der Transformation. Die gegenteilige These ist auch Ausdruck des Wunsches nach der Projektion von Untergangsängsten (oder –wünschen auf der Linken) in die Vergangenheit.404 Sowohl dem paganen römischen Recht als auch dem Christentum war die Vorstellung vertraut, dass Recht und Gesetz eine Voraussetzung in der Selbstund Fremderziehung des Individuums haben, in der Fähigkeit, sich an Regeln zu orientieren. Hier, in der Öffnung und Dynamisierung des Kontexts des rö­ mischen Rechts ist eine weitere Bedingung für den Anfang des westlichen Rechts zu lokalisieren – und nicht erst in der ausdrücklichen Formulierung des subjektiven Rechts bei Ockham.   Loick (Fn.  50 – Juridismus), S.  143, auch schon S.  45.  Dies akzentuiert vor allem Heather (Fn.  113 – Untergang des Römischen Reichs), S.  496 ff. Deren Rolle bezeichnet Heather als „paradox“, weil sie auch zur Stabilisierung der römischen Herrschaft beigetragen hatten und erst mit dem Zusammenbruch ihrer Herrschaft nach Attilas Tod die Desintegration der östlichen Grenzgebiete Westroms und den Aufstieg der Goten beförderten. Damit wurde die Steuerkraft des Reiches ein weiteres Mal geschwächt. 401   Heather, ebd., S.  509. 402   Heather, ebd., S.  507. 403   Heather, ebd., S.  497. 404  Vgl. Bertrand Lançon, La chute de l’Empire Romain, Paris: Perrin 2017. 399

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2.  Christentum – Kirche – Staat a)  Christliches Weltverständnis und antike Kosmologie Die Heilsgeschichte, die immer die der „Einzelseele“405 ist, verbindet sich auf diese originelle Weise mit der Ideengeschichte, ein Schritt, der für eine Religion nicht leicht zu leisten ist. Es setzte sich unter den Christen die Erkenntnis durch, dass die Interpretation und Aneignung der Schriften ein hohes Maß an Wissen und Reflexionsvermögen voraussetzte406 , das christliche Denker allein wegen ihrer früher randständigen Stellung in der römischen Gesellschaft nicht zu ent­ wickeln vermochten. Zugleich setzte das christliche Denken die Anfänge einer rationalen Weltkonstruktion und die Trennung von Materiellem und Immate­ riellem bei den Griechen in einer neuen Form fort: Die Annahme, dass Gott die Welt nicht einfach vorgefunden habe (so die Religion bei den Griechen, die nicht ohne Einfluss auf die Naturphilosophie geblieben ist), sondern vielmehr Schöpfer der Welt sei, hatte eine wichtige Fortentwicklung darin, dass dem Schöpferwillen Gottes eine regelhafte Rationalität zugeschrieben werden konn­ te, die das Erkennen der Welt einem wissenschaftlichen Denken im Allgemei­ nen selbst als eine Art „Gottesdienst“ ansehen ließ. Dies unterschied sich zu­ gleich deutlich von den kosmologischen Ideen des Hellenismus. Die Schöpfung der Welt geht auf Gott zurück, sie ist aber keine Emanation seines „Wesens“.407 Der objektive Diskurs (der Wahrheit und der Wissenschaft) hat deshalb nicht den gleichen Charakter wie die göttliche Offenbarung.408 Dies bedeutete einen geradezu revolutionären Bruch mit dem Weltverständ­ nis der Antike, der seinen Niederschlag in verschiedenen christlichen Häresi­ en409, insbesondere der Gnosis, fand, die darauf hinausliefen, das christliche Denken umzuschreiben und das Göttliche der irdischen Schöpfung zu verleug­ nen (dazu näher weiter unten). Diese Tendenz zur Bildung von Häresien ist wie­ derum darauf zurückzuführen, dass viele Christen der Spätantike ein (berech­ tigtes) Gespür dafür entwickelt haben, dass in der Schöpfungslehre Elemente einer Säkularisierung des Verhältnisses zur Welt enthalten waren.

  Löwith (Fn.  357 – Weltgeschichte), S.  179.   Guy G.  Stroumsa, Reading Practices in Early Christianity and the Individualization Process, in: Jörg Rüpke/Wolfgang Spickermann (Hrsg.), Reflections on Religious Individuali­ ty. Greco-Roman and Judeo-Christian Texts, Berlin: de Gruyter 2012, S.  175 f. 407   Lucie Kaennel, Foi et savoir. Quelles articulations pour quels enjeux?, Pardès 2001, Nr.  31, S.  29–45 408   Vgl. auch Fabre (Fn.  175 – Matérialités religieuses et horizons apocalyptiques), S.  35– 46. 409   Athanassiadi (Fn.  285 – Vers la pensée unique), S.  106. 405

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b)  Das Christentum und die Sicherung der „Weltheimischkeit“ des spätantiken Menschen Die Christianisierung bedeutete einen wichtigen Impuls zur Veränderung der griechisch-römischen Kultur – wie gezeigt –, der allerdings von einer problema­ tischen Ambivalenz begleitet war. Die rationalen Komponenten des Christen­ tums, insbesondere die Ablösung der Vorstellung eines vorfindlichen Kosmos, die die Antike geprägt hatte, und die im Grunde eine Überhöhung der klassi­ schen griechischen Polis zu einem Weltbild war, bedeutete zugleich die Siche­ rung einer „Weltwirklichkeit“410, eine „Bestandssicherung“ der Ordnung der Welt, die für die Menschen zugleich, wie es bei H.  Jonas heißt, „Weltheimisch­ keit“411 bedeutete. Dies hatte eine zentrale Bedeutung für das Denken der Men­ schen in der Antike und für die gebildeten Schichten auch für die Konstruktion ihrer Subjektivität, die auf die Einordnung in die Harmonie der Welt angelegt war. Dies galt auch – so wiederum Jonas – für die „vorbildlichen Formen“ in Platons Ideenlehre, die die „Symbole der Weltauslegung“412 bereitstellte. Der Übergang zum Christentum in der Spätantike führte, verstärkt durch den sich praktisch vollziehenden Austausch der öffentlichen Eliten (von der paganen zur christlichen Kultur)413, zu einer Erschütterung der Grundlagen des spätantiken Welterlebens. An die Stelle der Einheit des Kosmos und des Mythos trat eine „begriffliche Abstraktion“.414 Die Erzählungen und literarischen Formen der alten Welt wandten sich immer auch an den Einzelnen, allerdings einen Einzel­ nen, der fest in eine Gemeinschaft, in eine Tradition eigebettet war, durch ein „ontologisches Seinsdenken“415 und eine Subjektivierung der Weltsicht, deren Halt in den Traditionen unterbrochen wurde. Insbesondere H.  Jonas sieht mit gutem Grund diesen radikalen Wandel als Grund für das Auftreten gnostischer Bewegungen an, die den Aufstieg des neuen Weltbildes, das auf einer unmittel­ baren Beziehung des Menschen zu einem abstrakten Gott bestand, als „tiefe Aussichtslosigkeit“ erlebte. Dies findet in der Gnosis ihren Niederschlag, die die Welt ohne die reale Anwesenheit Gottes (oder der Götter) in der Welt (außer durch die Vermittlung abstrakter Regeln und abstrakten Wissens) eine Welt gegen und ohne Gott sehen, von der sich der Einzelne durch die Bemühungen um das Erkennen und Durcharbeiten des Bösen in der Welt, der Gottlosigkeit, befreien muss. Diese Seite der Christianisierung, die auch die Kirche beschäf­ 410   Hans Jonas, Gnosis und spätantiker Geist, Band 1, Göttingen: Vandenhoeck & Rup­ recht, S.  146 411   Jonas, ebd., S.  141; vgl. auch Russell (Fn.  169 – Germanization), S.  78. 412   Jonas, ebd. 413   Jonas, ebd., S.  141. 414   Jonas, ebd., S.  86. 415   Jonas, ebd., S.  86.

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III.  Die Christianisierung der römischen Rechtskultur

tigt, ist auch der Grund für den Aufstieg der von Foucault sogenannten „Tech­ nologien des Selbst“ der „Sorge um das Selbst“ in der Version des Christentums, die den Verlust der Einheit der Welt durch eine abstraktere Form der Identifi­ zierung des Einzelnen mit Gott über geistige Übungen, das Lesen heiliger Texte usw. ersetzen müssen, weil die Welt als Kosmos nicht mehr selbst-verständlich vorausgesetzt werden kann. Das Aufkommen der Gnosis ist eine Begleiterschei­ nung des Auftretens begrifflicher Abstraktionen, die das traditionelle Erleben der Einheit der Welt erschütterte und in immer neuen Formen das spätere west­ liche Denken herausforderte. Die Gnosis stellte in Wahrheit für die Christen ein größeres Problem dar als für die Juden, weil den Christen die Objektivität des Gesetzes und die Stiftung einer gemeinsamen Tradition durch die Abstammung von einem Volk fremd war. Zugleich führt aber die Abschwächung des Motivs, das persönliche Heil in sich selbst zu finden, partiell auch zu einer Abschwächung des Vertrauens in das Wissen als Grundlage der Identitätsbildung.416 c)  Die theologische Normalisierung des „persönlichen Schöpfergottes“ Die Annahme eines persönlichen Schöpfergottes417 war allerdings wiederum in der Lage, die Verbindung zu den Legitimationsbedürfnissen der römischen Kaiser herzustellen: In einer von einem Schöpfergott nach Regeln geschaffenen Welt schien durchaus Platz zu sein für die Vorstellung eines Kaisers, der als ein Vermittler zwischen dem regelsetzenden und nach Regeln handelnden Gott und dem weltlichen Kaiserreich agieren konnte. Insofern konnte das spätantike christliche Denken in einer neuen Form an die Parallelität zwischen irdischer und göttlicher Ordnung anknüpfen.418 Dadurch entstand zugleich Raum für eine Verschränkung der Rolle des Kaisers als weltlichem Herrscher und als Träger geistlicher Autorität.419 Allerdings kommt nach der christlichen Vorstel­ lung zwar jede Macht von Gott, aber dies ist eher eine Paradoxie, da damit die autonome Selbstbegründung der Macht verworfen wird. Damit wird zugleich keine Theorie der politischen Macht begründet, sondern auf die Notwendigkeit einer Lebenspraxis des Vollzugs des göttlichen Willens verwiesen.420 Grund­   Stroumsa (Fn.  296 – From Master of Wisdom), S.  187, 192.   Für das Mittelalter Oakley (Fn.  215 – Medieval Experience), S.  169. 418   Dies gilt z. B. für Eusebius, vgl. Aaron P.  Johnson, Eusebius. Understanding Classics, London: I. B.  Tauris 2013, S.  4 4, 150, 168. 419   Eric Wickman, Shaping Church-State Relations After Constantine: The Political Theo­ logy of Hilary of Poitiers, Church History 2017 (86), S.  287–310, 292. 420   Vgl. allg. Emilie Tardivel, Tout pouvoir vient de Dieu – Un paradoxe chrétien, Paris: Vrin 2015; auch dies., Die christliche Politeia als Problem – Kommentar zur Apologie des Justin, in: 416

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sätzlich ist aber das menschliche Gesetz das Werk des menschlichen Gesetz­ gebers.421 Für die Christen bedeutete die Doppelnatur Christi als Mensch und als Gott einerseits eine Chance, den Wert des christlichen Individuums zu akzentuieren, das durch die Aneignung des Leibes und des Gesetzes Christi gottähnlich wer­ den konnte und zwar durch seine eigenen spirituellen Exerzitien, insbesondere das Lesen und Durchdenken der christlichen Grundlagentexte, zum anderen bedeutete dies eine erhebliche intellektuelle Herausforderung nicht nur für die sich etablierende Theologie sondern auch für die Konversionsbewegungen der „gewöhnlichen“ Christen. Auch dies stellte ein Problem dar, dessen Ausmaß kaum zu überschätzen ist. Wie sollte man eine so komplexe Konstruktion den massenhaft dem Christentum folgenden Konvertiten begreiflich machen? In der Komplexität dieses theologischen Problems, die zu einer Fülle von mitein­ ander konkurrierenden Interpretations- und Erklärungsansätzen führte, liegt auch der Grund für die alsbald einsetzende Unterscheidung zwischen dem wahren Glauben und Häresien422 , die es zum Beispiel im Judentum in dieser Form nicht gegeben hat: trotz der vielen unterschiedlichen Interpretationen war doch an dem einen objektiven Gesetz, der einen Tradition, nicht zu zweifeln. Die Tendenz zur Pluralisierung des Religionsverständnisses war deshalb stark.423 Die Ersetzung des jüdischen Gesetzes durch Christus als Gesetz war in der Gemeinschaft von Konvertiten nicht leicht zu vereinheitlichen. Zugleich war das Christentum eine Art Staatsreligion und musste gegenüber der staatli­ chen Ordnung gewisse Erwartungen an die Einheit der Religion befriedigen.424 Die beginnende Intoleranz in der christlichen Bewegung425 ist m. E. darauf zu­ rück zu führen, dass Entwicklung und Aufrechterhaltung einer komplexen Jean-Luc Marion/Walter Schweidler (Hrsg.), Christentum und Philosophie, Freiburg/Mün­ chen: Alber 2014, S.  97–413, 400; für das Mittelalter Oakley (Fn.  317 – Empty Bottles), S.  161, 183; ders. (Fn.  375 – Mortgage of the Past), S.  114: der König steht in Bezug auf die Setzung von Schranken durch Recht selbst über dem Gesetz, aber soweit es z. B. in religiösen Angelegenhei­ ten um die „Leitungsgewalt“ geht, soll der Monarch sich dem Recht unterwerfen. 421   Francis Oakley, The Watershed of Modern Politics: Law, Virtue, Kingship, and Consent 1300–1650, New Haven: Yale UP 2015, S.  42, für die neuzeitliche Rechtsauffassung, die sich aber von der früheren nicht grundsätzlich unterschied. 422   Athanassiadi (Fn.  285 – Vers la pensée unique), S.  106. 423   Guy G.  Stroumsa, Die Gnosis und die christliche Entzauberung der Welt, in: Wolfgang Schluchter (Hrsg.), Max Webers Sicht des antiken Christentums. Interpretation und Kritik, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1987, S.  486, 498. 424   Baslez (Fn.  170 – Comment notre monde est devenu chrétien), S.  195. 425   Robert A.  Markus, The Problem of Self-Definition: From Sect to Church, in: E. P.  San­ ders (Hrsg.), Jewish and Christian Self-Definition, Band 1: The Shaping of Christianity in the Second and Third Century, London: SCM Press 1980

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Theologie mit vielen Varianten426 (wie das im Judentum mit den relativ voraus­ setzungsvollen Erfordernissen der Beteiligung am Studium der Gesetze mög­ lich war) in einer auf Massenkonversion angelegten religiösen Bewegung an Grenzen stößt. Für die Juden war die Frage der Zugehörigkeit viel leichter zu bestimmen. Für die Christen kam hinzu, dass sie sich sehr viel stärker als die Juden (oder später die Muslime) auf die Herausbildung eines primär säkularen „sapiential activism“ eingelassen hatten, der im Gegenzug die schärfere Akzen­ tuierung des Eigenen der Religion nahelegte. d)  Der böse Schein der Welt und der gute Gott – das Problem der Häresien In diese Konstellation sind auch die Grenzen eingetragen, die zwischen einer auf Interpretation der heiligen Texte und Integration von Massen angelegten „Kirche“ und den auf Reinheit und Ausschluss basierenden Häresien427, insbe­ sondere der Gnostiker428 , besteht: Die verschiedenen Varianten der christlichen Gnosis (vergleiche dazu unten), die im Kern weltfeindlich waren und das wahre Christentum in einer hinter dem bösen Schein der schlechten Wirklichkeit ver­ borgenen heiligen Welt bewahren zu können glaubten, gefährdeten ein Denken der Einheit der Kirche, das nicht nur auf dem Wesen des Monotheismus beruht, sondern auf den komplexen Voraussetzungen, unter denen sich die Christiani­ sierung der Welt vollzog. Die römisch-christliche Verknüpfung zwischen Glau­ ben und rationalem weltlichem Denken hat aber neben der Gefahr der Intole­ ranz des Denkens auch die Möglichkeit der produktiven Rückwirkung der rati­ onalen Theologie auf die Entwicklung von Philosophie und Bildung gehabt und den Einfluss des griechischen Denkens gesichert.429 Zwischen der klassischen römisch-griechischen Bildung und deren Christianisierung bestand eine weit­ gehende Übereinstimmung.430 So stellte sich das Christentum nach Eusebius einerseits selbst als eine Art „Nation“, allerdings ohne territoriale Radizierung  Vgl. Martin Goodman, Rome and Jerusalem. The Clash of Ancient Civilisations, Lon­ don: Penguin 2008, S.  520; vgl. auch Guy G.  Stroumsa, On the Roots of Christian Intolerance, in: Francesca Prescendi/Youri Volokhin (Hrsg.), Dans le laboratoire de l’historien des reli­ gions, Genf: Labor et fides 2011, S.  193–200. 427   Stroumsa (Fn.  423 – Die Gnosis und die christliche Entzauberung der Welt), S.  498. 428   Guy G.  Stroumsa, Gnostische Gerechtigkeit und Antinomismus: Epiphanes’ „Über die Gerechtigkeit“ im Kontext, in: Jan Aßmann/B.  Janowski/M.  Welker (Hrsg.), Gerechtigkeit. Richten und Retten in der abendländischen Tradition und ihren altorientalischen Ursprün­ gen, München: Fink 1998, S.  149–161. 429   Vgl. allgemein Charles Freeman, The Closing of the Western Mind. The Rise of Faith and the Fall of Reason, New York: Vintage 2009, S.  338 f.; Jaeger (Fn.  216 – Early Christianity and Greek Paideia), S.  8. 430   Henri-Irénée Marrou, L’école de l’antiquité tardive, in: Publications de l’Ecole française de Rome 1978, Band 25, S.  49 f., 130. 426

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dar, und zugleich als eine Art philosophische Schule, die an das Vorbild der griechischen Philosophie anknüpfen konnte.431 Das auf Ausgrenzung angelegte häretische Denken wäre von vornherein nur einer Minderheit zugänglich gewesen – und genau dies, die Beschränkung des Christentums auf eine aufgeklärte Minderheit432 , wäre das Ziel der Häresie der Gnosis gewesen. „Kirche“ und „Sekte“ sind im Grunde zwei Stereotype der Or­ ganisation religiösen Wissens.433 Diese Unterscheidung zwischen christlicher Kirche und Gnosis findet eine gewisse Entsprechung in der jüdischen Unter­ scheidung zwischen der „himmlischen Torah“ und der „weltlichen Torah“434: die als weltlich verstandene Torah ist nach einer jüdischen Lehre „nicht (mehr) im Himmel“ – und dies bedeutet, dass die Menschen sie studieren und interpre­ tieren müssen, ohne dass es eine himmlische Heilsversicherung geben könn­ te.435 (Vergleiche dazu die berühmte Geschichte des Ofens von Aknai.) Die Leh­ re von der „himmlischen Torah“ besteht darauf, dass es eine Reinheit des gött­ lichen Sinns der Torah gibt, der unter den Bedingungen der irdischen Zwänge und Irrtümer immer nur verfehlt werden kann. Dies mündet in eine radikale Variante des jüdischen Messianismus: Erst die Wiederkehr des Messias ver­ wirklicht „das Gesetz“.436 Die irdische Lehre hat keinen Eigenwert, sie dient der Vorbereitung auf die Wiederkehr des Messias. Auch die jüdischen Bewegungen, die eher der Lehre von der „irdischen Torah“ anhängen, konnten mit ihrer Leh­ re für die römische Gesellschaft keine Alternative einer universalistischen Ord­ nung bieten. Dies wäre weder mit dem jüdischen Selbstverständnis des Bundes zwischen Gott und dem Volk Israel vereinbar gewesen437, noch mit den relativ strengen Anforderungen an das „Studium“ des Gesetzes. Eine solche Lehre wäre nicht für die Übernahme durch eine große Zahl von relativ einfachen, auf das Studium der Torah nicht durch Übung in der Familie vorbereiteten Menschen in einer weitgehend agrarischen Gesellschaft geeignet gewesen. Das Christen­ tum musste ohnehin auch diesseits der großen Fragen nach der Kon­troverse um   Johnson (Fn.  418 – Eusebius), S.  99.   Vgl. dagegen zu den internen Problemen einer wachsenden Kirche Jean-Marie Salamito, Ambivalence de la christianisation, in: Hervé Inglebert et al. (Hrsg.), Le problème de la christianisation du monde antique, Paris: Picard 2010, S.  63–75. 433   Giovanni Tabacco, Le metamorfosi della potenza sacerdotale nell’alto medievo, Brescia: Morcelliana 2012, S.  22. 434   Trigano (Fn.  394 – La Torah céleste ou terrestre?), S.  87; Ronen Reichman, Autorität, Tradition, Argumentation bei der Formierung des rabbinischen Rechtsdiskurse, ancilla iuris v. 26.102016, http://www.anci.ch/beitrag/beitragreichman_authority; dazu den Kommentar von Karl-Heinz Ladeur, ebd. 435   Roth (Fn.  22 – The Halakhic Process), S.  130. 436   Vgl. allg. Martin Kavka, Jewish Messianism and the History of Philosophy, Cambridge: Cambridge UP 2004. 437   Martin Sicker, The Political Culture of Judaism, Westport, Con.: Praeger 2001, S.  16 f. 431

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die Gestalt Christi und die Organisation der Kirche eine Vielzahl von Kompro­ missen mit dem paganen Denken schließen: nicht zuletzt die Stellung der Hei­ ligen in der Kirche hat dazu beigetragen, die Zentralität des einen Gottes abzu­ mildern und konkrete „exempla“ des christlichen Lebens – in der römischen Tradition – bereit zu halten.438 Für die eher gebildeten Konvertiten wurde die griechisch-römische „Paideia“439, eine Art Schule der Philosophie und der Rhe­ torik für die Söhne der Oberschicht, mehr oder weniger fortgesetzt. Auch hier wurde ein Kompromiss in doppelter Hinsicht gesucht: Es ging nicht nur um die Erhaltung einer Kontinuität zwischen paganer und christlicher Welt, vielmehr verstanden die an Theologie interessierten Christen, dass die Interpretation und Ordnung der heiligen Texte eine gewisse formale Bildung voraussetzten440, die auch über die Fortsetzung der Tradition der Paideia gewonnen werden konn­ te.441 Unter diesem Gesichtspunkt fiel es nicht allzu schwer, die Beibehaltung der archaischen Opferkulte im Zuge der Christianisierung zu verfolgen, aber die nicht eindeutig religiös konnotierten philosophischen und literarischen Schrif­ ten (auch die Poesie oder die in „Literatur“ verwandelten griechischen Tragödi­ en – vergleiche zur Poesie C.  Morris442 – im Bildungskanon der Spätantike zu belassen. Vordergründig folgten die christlichen Lehrer eher pragmatischen Überlegungen, tatsächlich ist dadurch auch das Christentum selbst wesentlich verändert worden. Diese Anknüpfung wurde ermöglicht durch die der römi­ schen Rechtskultur zugrundeliegende Vorstellung, dass das Recht ein Produkt historischer Kräfte sei443, nicht aber primär auf einen metaphysischen oder reli­ giösen Ursprung verweise. Deshalb darf auch der Einfluss der literarischen Sprache444 auf die „Performativität“ des Rechts, durch Ausdrucksweise, Intona­   Zur Ambivalenz der Stellung der Heiligen im Christentum vgl. Peter Brown, Autorität und Heiligkeit. Aspekte der Christianisierung des römischen Reiches, Stuttgart: Reclam 1998, S.  100; Ramsay MacMullen (Christianizing the Roman Empire in the Fourth to Eight Century, New Haven: Yale UP 1977) hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die Christianisierung auch schon in Rom nicht nur der Siegeszug einer „Idee“ war, sondern dass auch der Glaube an Wunder einen erheblichen Einfluss auf die Christianisierung gehabt hat. 439   Vgl. auch Brown (Fn.  216 – Power and Persuasion), S.  4, 39. 440   Marrou (Fn.  430 – L’école), S.  136; ders., Décadence romaine ou Antiquité tardive?, IIIe – VIe siècles, Paris: Seuil 1977, S.  61, 71, 441   James I.  Porter, Foucault’s Antiquity, in: Charles Martindale/Richard F.  Thomas (Hrsg.), Classics and the Uses of reception, Oxford: Wiley 2006, S.  168–179; zur Rolle der Kirche in der Erziehung Ramsey MacMullen, Christianity and Paganism in the Fourth to Eighth Centuries, New Haven: Yale UP, 1997, S.  144. 442   Morris (Fn.  305 – Discovery of the Individual). 443   Paul J.  Du Plessis, Clifford Ando/Kaius Tuori, A Word From the Editors, in: dies. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Roman Law and Society, Oxford: Oxford UP 2016, S.  3–7, 4. 444  Vgl. Michèle Lowrie, Roman Law and Latin Literature, in: Plessis, Paul J.  du/Clifford Ando/Kaius Tuori (Hrsg.), The Oxford Handbook of Roman Law and Society, Oxford: Oxford UP 2016, S.  70–84. 438

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tion etc., nicht überschätzt werden – das Recht organisiert primär eine Praxis, deren Zwänge ein größeres Gewicht als die sprachliche Ritualisierung haben. e)  Der Wandel des Wissens und der „kulturellen Grammatik“ durch das „Studium“ der heiligen Bücher G. G.  Stroumsa hat mit Recht im Übergang vom heidnischen Opferkult der Ah­ nenverehrung in der römischen Religionspraxis zum Studium der „Schrift“ in der christlichen Kultur einen grundlegenden „Wandel des Wissens“ und der Kultur gesehen. Dieser besteht vor allem darin, dass die „kulturelle Gramma­ tik“ beweglicher geworden ist (im Vergleich zu dem an bestimmte tradierte For­ men gebundenen paganen Denken) – das ist auch der Grund dafür, dass die christliche „Sorge um das Selbst“ unter der Form der Einheit doch unterschied­ liche Versionen und Praktiken mit sich führen konnte. Das christliche (wie das jüdische) Denken verlangen ein fortwährendes „Studium“ der heiligen Texte (für die Juden vor allem des Gesetzes) und produzieren immer neue Versionen für die Vereinbarkeit bestimmter weltlicher Praktiken oder Vorstellungen mit diesen heiligen Texten. Stroumsa nennt dies zu Recht den „sapiential activism“, der im Gegensatz zur griechischen „Sorge um das Selbst“ auch darauf angelegt war, die Welt zu verstehen und zu verändern.445 Hier entsteht eine Tradition des Lesens und Lernens, die weit über das christliche Denken hinaus wirkt446 und vor allem in ihren anspruchsvolleren intellektuellen, literarischen und theolo­ gischen Formen in den Klöstern ihren Ort hatte.447 Der Umbruch, der sich mit der Christianisierung der klassischen Kultur vollzog, lässt sich auch am Wandel der klösterlichen Praktiken der Wissensentwicklung und der Frömmigkeit be­ obachten: Waren die Formen der Frömmigkeit zunächst unpersönlich, rein auf die Gemeinschaft bezogen, so haben sich später im Übergang zum Mittelalter eher persönliche Formen der Frömmigkeit aus einer neuen „otherworldlines­ s“448 entwickelt.449 Die Befassung mit der „Schrift“ legte eine neue Suche nach dem persönlichen „Weg“ nahe450, der eine offenere, vielfältigere Art der „Auf­ merksamkeit für das Selbst“ begründete. Wegen der Öffnung für die klassische Literatur und Philosophie schloss so das Lernen auch die Texte dieser Tradition mit ein. In der römischen Kultur hatte sich aber auch schon insbesondere eine   Stroumsa (Fn.  281 – The Scriptural Universe), S.  53, 73.   Hervé-Irénée Marrou, Saint Augustin et l’augustinisme (1955), Paris: Seuil 2003, S.  67. 447   Nicht nur hat die Christianisierung der Welt von der griechischen Philosophie profi­ tiert, es gilt auch das Umgekehrte: Das Christentum hat der griechischen Philosophie neues Leben vermittelt, vgl. Stroumsa (Fn.  281 – Scriptural Universe), S.  4. 448   Markus (Fn.  371 – Between Marrou and Brown), S.  11. 449   Oakley (Fn.  215 – Medieval Experience), S.  175 f., 181. 450   Vgl. allg. Stroumsa (Fn.  281 – Scriptural Universe). 445

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Poesie entfaltet, die ganz von der Beobachtung und Spiegelung der Befindlich­ keiten des Individuums geprägt war – genannt sei hier nur Ovid.451 Dass es für die Christen nicht mehr um die Verfeinerung des Selbst wie in der griechischen Stoa ging, sondern um die Anerkennung des einen, einzigen Individuums, nämlich Christi, ist zu einseitig gesehen. Dazu trat immer die Auseinanderset­ zung mit den komplexen christlichen Texten.452 Außerdem mussten immer ver­ schiedene Lesarten bereitgehalten werden, weil das Christentum nicht mehr nur die Oberschicht ansprechen konnte und sollte.453 f)  Das Buch des Lebens – und das Leben nach dem Buch G.  Stroumsa454 hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass Foucault in sei­ nen Überlegungen zur christlichen „Sorge um das Selbst“ eben die Bedeutung des Buches vernachlässige455, das stets die Einheit des Textes mit der Vielfalt der Lesarten verbinden könne. Auch in der Schriftlichen Spätantike lässt sich schon die Annahme formulieren, dass das christliche Proto-Subjekt ein „container of multitudes“ war.456 Stroumsa457 hat gleichfalls zu Recht hervorgehoben, dass das Heilige Buch für die Christen auf der Grundlage einer gewissen Bildung die Möglichkeit bot, das Drama des Lebens, wie es sich im Text darstellte, auf ihr eigenes zu beziehen und es darin zu spiegeln und zu verbessern. Das Leben nach dem Buch verlangte in gewissem Umfang nach innerer Sammlung, Selbstkont­ rolle und einem asketischen Leben.458 Für die Lektüre werden Methoden entwi­ ckelt, die letztlich dem Einzelnen die Möglichkeit anbieten, in unterschiedli­ chen Versionen der gesellschaftlichen Stellung (nicht nur für die Oberschicht) das eigene Leben als Einheit wahrzunehmen und als sinnvoll in seiner Bezie­ hung auf Gott zu leben. Die Entwicklung der frühen christlichen Kirche außer­   Lowrie (Fn.  72 – Reading and the Law in Ovid).   Stroumsa (Fn.  406 – Reading Practices), S.  177. 453   Auch dies ist ein Grund dafür, dass die Christen mit ihrer Schriftkultur zunächst nicht den durch die römisch-griechische Literatur gesetzten Erwartungen entsprachen, Harry Y.  Gamble, Books and Readers in the Early Church. A History of Early Christian Texts, New Haven: Yale UP S.  1, 13. 454   Stroumsa (Fn.  281– Scriptural Universe), S.  73; ders. (Fn.  406 – Reading Practices), S.  176. 455   Dies gilt auch für Legendre (Fn.  254 – L’autre Bible de l’occident), S.  65, der das Buch als „einseitige Manifestation des Göttlichen“ betrachtet; das Durcharbeiten des Buches erfordert eine das Selbst erweiternde Reflexionsfähigkeit, kein bloßes Auswendiglernen. 456   Strong (Fn.  103 – Texts and Pretexts), S.  161, 174. 457   Guy G.  Stroumsa, A New Science. The Discovery of Religion in the Age of Reason, Cam­ bridge (Mass.): Harvard UP 2010, S.  8; ders. (Fn.  121– Religious Memory), S.  336. 458   MacMullen (Fn.  4 41 – Christianity), S.  107; Guy G.  Stroumsa, The New Self and Reading Practices, in Late Antique Christianity, Church History and Religious Culture 95 (2015), S.  1, 2. 451

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halb der relativ homogenen, durch gemeinsame ritualisierte kulturelle Formen (Rhetorik) integrierten Oberschicht führte zu einer lebendigen Vielfalt unter­ schiedlicher Lesarten der Religion459, innerhalb deren die Suche nach der „Wahrheit“ allenfalls als Prozess zu verstehen war. Insofern ist Mark Lillas Ein­ schätzung provokant, aber produktiv, dass die Geschichten der Bibel460 „messy documents“ seien, „messy like reality“. Sie demonstrieren nicht die „unwider­ stehliche Kraft der Vorsehung“, sondern sie lehren, „that you must choose to be chosen.“ Das Selbst und das „Buch des Lebens“ werden dazu benutzt, sich wechselsei­ tig zu entziffern.461 Stroumsa nimmt mit Recht an, dass sich auf der Grundlage von Anfängen, die wiederum durch die griechische Philosophie gelegt worden sind, eine neue Selbstwahrnehmung entwickelt462 , die über die Spannungen zwischen der persönlichen und der kollektiven Identität prozessiert wird und reflektiert werden kann. Das christliche Selbst „kultiviert“ nicht mehr nur das als Eigenes erlebte Selbst (wie im klassischen Griechenland), sondern „transfor­ miert sein Selbst in einem dauernden Lernen“ vor allem der heiligen Schrif­ ten463, die, in der griechischen Tradition gelesen, auch die Vernunft verkörpern. Gerade der Aufstieg des Buches führte allerdings zu einer gewissen Ambivalenz in der christianisierten Kultur: Das private Studium des Buches ließ auch die Vielfalt der Interpretationen, ja, der Häresien, entstehen, die eine Gegenbewe­ gung gegen die Privatheit auslöste: Das öffentliche Gemeindeleben, die Teilnah­ me an Gottesdiensten, sollte die drohende Zersplitterung der Lesarten des Bu­ ches wie der Welt begrenzen.464 Intolerant sind nach G. G.  Stroumsa nur die universalistischen Religionen – wahrscheinlich weil diese Struktur der Religion stärker auf eine Selbstreflexion und Selbstbegrenzung angelegt ist als eine stär­ ker ritualisierte Form der Religion.465 Der von M.  Foucault466 akzentuierte Diskurs der Wahrheit im allgemeinen und der Wahrheit des Textes insbesondere ist auch vor diesem Hintergrund zu verstehen. Die konstitutive Bedeutung der „Schrift“, der Kultur der Schriftlich­ 459   Peter Brown, The Body and Society. Men, Women, and Social Renunciation in Early Christianity, New York: Columbia UP 1988, S.  429. 460   Lilla (Fn.  355 – The Shipwrecked Mind), S.  68; dies ist dort vor allem auf die “jüdische Bibel” bezogen. 461   Stroumsa (Fn.  458 – The New Self and Reading Practices), S.  176. 462   Stroumsa (Fn.  281 – Scriptural Universe), S.  75. 463   Stroumsa (Fn.  458 – The New Self and Reading Practices), S.  17. 464  Vgl. Kim Bowes, Private Worship, Public Values, and Religious Change in Late Antiqui­ ty, Cambridge: Cambridge UP 2008, S.  189, 199. 465   Guy G.  Stroumsa, The Making of the Abrahamic Religion, Oxford: Oxford UP 2015, S.  18 f. 466   Michel Foucault, L’herméneutique du sujet. Cours au Collège de France, 1981–1982, Paris: Gallimard 2001, S.  20, 245.

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keit, in ihren oben beschriebenen Erscheinungsformen, zu denen später auch der Codex des geschriebenen Rechts gehört467, wird darin unterschätzt. Der Codex ist eher die Form der Durchsetzung der Schrift im Recht.468

3.  Das neue christliche Subjekt a)  Augustinus und die Christianisierung der Philosophie Auch hier zeigt sich, dass die Evolution der christianisierten griechisch-römi­ schen Kultur keine einseitige „Umprägung“ der letzteren bedeutete, sondern zugleich auch die Philosophie und (wie noch zu zeigen sein wird) in einem ge­ wissen Rahmen auch das Recht sich verändert haben und den prozesshaften Wandel des kirchlich organisierten Christentums mit konstituiert haben.469 Der wichtigste christliche Philosoph, der diese Veränderung gedacht und ihr Form gegeben hat, ist Augustinus, der die Selbsterkenntnis als einen Prozess des Durcharbeitens der heiligen Texte und der Selbsttranszendenz der mit dem Glauben unvereinbaren Komponenten des Denkens, Handelns und des Emp­ findens entworfen hat.470 Auf Augustinus geht eine neue christliche Form der „Überschreibung“ des Selbst-Prozesses des klassischen Subjekts in der griechi­ schen Prägung zurück. Dieses Subjekt ist entsprechend der Komplexität der Darstellung der Welt und des Geistes in den heiligen Schriften eher konzipiert als ein vielschichtiger Prozess der Selbsttransformation, nicht als das Selbstge­ nügsame, in Harmonie mit der kosmologischen Ordnung zu sich selbst kom­ mende Subjekt des klassischen Griechenlands.471 Die griechische Philosophie war für Augustinus Teil der einen Weisheit, die Gott als eine Art Vorstufe der Offenbarung den Griechen eröffnet hatte, deren Philosophie deshalb mit dem christlichen Denken kompatibel war.472 Nach dieser Lehre war die Offenbarung 467   Vgl. zum Codex-Gedanken die Beiträge in Jill Harries/Ian Wood (Fn.  279 – The Theo­ dosian Code). 468   Bretone (Fn.  70 – Geschichte des römischen Rechts), S.  245. 469   Troels Engberg-Pedersen, Setting the Scene: Stoicism and Platonism in the Transitional Period in Ancient Philosophy, in: Tuomas Rasimus/Ismo Dunderberg/ders. (Hrsg.), Stoicism in Early Christianity, Grand Rapids: Baker Academic 2010, S.  14. 470   Vgl. dazu Marenbon (Fn.  214 – Pagans and Philosophers), S.  23 ff. 471   Susan Mennel, Augustine’s „I“: The Subject and the Self, Journal of Early Christian Studies 2 (1994), S.  291; zu Mark Aurel Vesperini (Fn.  194 – Droiture et mélancolie). 472   Robin Lane Fox, Augustine. Conversions and Confessions, London: Penguin 2016, S.  253; vgl. dazu auch Anthony Meredith, Christian Philosophy in the Early Church, London/ New York: T&T Clark 2012, S.  116; es geht aber eher um einen nicht spannungsfreien Prozess der Kompatibilisierung, nicht um die bloße „Übernahme“ griechischer Formen in das christ­ liche Denken, Averil Cameron, Remaking the Past, in: Glen W.  Bowersock/Peter Brown/Oleg Grabar (Hrsg.), Late Antiquity. A Guide to the Postclassical World, Cambridge (MA): Har­

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eher als ein Prozess anzusehen, der sich auch durch die Geschichte selbst und die Widerstände gegen die Offenbarung vollzog. Nachdem Paulus zunächst die „innere Wahrheit“ des Christentums gegen die Oberflächlichkeit der römischen Kultivierung der Rhetorik und der Gramma­ tik in Anschlag gebracht hatte, hat Augustinus in seinen späteren Schriften die weltliche Kommunikation und ihre Logik von der der religiösen Sprache ge­ trennt und damit einen weitreichenden Beitrag zur Ausdifferenzierung einer Pluralität von Sprachen geleistet.473 Den Christen wurde dadurch eine pragma­ tische Einstellung zur Welt möglich, „with which they had much in common“.474 Zugleich erscheint die andere Seite dieser Unterscheidung problematisch, dass nach Augustinus das eigentliche Leben das des „Pilgers“ durch die irdische zu einer höheren Welt ist. Andere Kirchenväter wie Eusebius haben dies anders gesehen und die Stellung der Kirche in der Welt stärker betont.475 Das neue Subjekt ist sehr viel komplexer und voraussetzungsvoller als das klassische Subjekt der griechischen Oberschicht und deren Suche nach dem Einklang mit der Stabilität der kosmologischen Ordnung. Das christliche Sub­ jekt ist von vornherein konstituiert durch die Notwendigkeit der Antwort auf einen „Anruf“, eine Antwort, die an das andere, letztlich das Andere Gottes, zu adressieren ist.476 Diese Antwort an das Andere (das Heilige) ist vor allen kon­ kreten historischen, inhaltlichen Sinnsetzungen des Lebens vorgängig ein Ver­ hältnis zu Gott – und in dieser Hinsicht ist das Subjekt kein auf objektive Er­ kenntnis der Welt gerichtetes einheitliches Subjekt. Zugleich entsteht dadurch aber ein Problem für die Bewältigung eines christlichen Lebens, da zugleich – wiederum anders als in der griechischen „Sorge um das Selbst“ – immer wieder die Frage nach der Möglichkeit eines Sinns innerhalb der Welt aufzuwerfen und in der Selbsterforschung zu beantworten ist. Das weltabgewandte Suchen nach dem Einklang mit Gott, vermittelt über die beständige Lektüre der heiligen Schriften, ist nur noch als eine Version unter anderen zu denken, in der klöster­ lichen Lebensform. Zugleich wurden dadurch die Klöster zu bedeutsamen Stät­ ten des Wissens.477 Doch das Augustinische Subjekt hat etwas grundlegend

vard UP 1999, S.  1–20, 1, 10, 13; Marenbon (Fn.  214 – Pagans and Philosophers), S.  3, 43; Ludger Honnefelder, Albertus Magnus und die kulturelle Wende im 13. Jahrhundert: Perspekti­ ven auf die epochale Bedeutung des großen Philosophen und Theologen, Münster: Aschen­ dorff 2012, S.  8. 473   Kaster (Fn.  33 – The Guardians), S.  85, 95, 71. 474   Kaster, ebd., S.  74. 475   Vgl. allg. Johnson (Fn.  418 – Eusebius), S: 44, 150 (der Kaiser als Repräsentant des „Lo­ gos“). 476   Mennel (Fn.  471– Augustine’s „I“), S.  323. 477   Stroumsa (Fn.  281 – Scriptural Universe), S.  4 4.

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III.  Die Christianisierung der römischen Rechtskultur

Neues in den Möglichkeitsraum der Kultur eingeführt: Das Selbst gegen die Permanenz der sich wiederholenden archaischen Kultur.478 Der politische Zusammenhang der „romanitas“ wird auch diesseits der Frage nach der Staatlichkeit z. B. von Augustinus dahin beantwortet, dass das römi­ sche Reich als Instrument Gottes auf Erden fragwürdig geworden sei.479 Auch in Bezug auf das Recht hatte Augustinus zunächst die Notwendigkeit einer Ablei­ tung aus dem ewigen göttlichen Recht akzentuiert.480 Später hat er das ewige Recht eher als einen Bestand beweglicher Formen angesehen, die eher als mo­ dellhaft, nicht als unmittelbar verpflichtend anzusehen waren481, da ein absolu­ tes Verständnis von göttlicher Gerechtigkeit in der Welt sinnlos sei.482 In die Natur sind danach die „verborgenen Prinzipien“ des Schöpfers eingeschrieben, die aber der dem menschlichen Handeln und Denken breiten Raum lassen.483 Demgegenüber versucht z. B. Theoderich das Festhalten am römischen Recht damit zu begründen, dass das römische Recht die Vermittlung von Selbstkon­ trolle durch Erziehung voraussetze, ohne die das römische Recht nicht funktio­ nieren könne.484 Das Verhältnis des Individuums zum Recht entspricht stets einem darauf bezogenen Selbstverhältnis.485 Dies ist ein wichtiger Gesichts­ punkt für die Bestimmung der Leistung des Rechts überhaupt: Es erlaubt die Abstimmung der Selbst- und Fremdbeobachtung des Eigenen und des Fremden innerhalb eines variablen Referenzrahmens für die gesellschaftlichen Prakti­ ken. Die Erzeugung des Rechtssubjekts und des subjektiven Rechts sowie des   Mennel (Fn.  471 – Augustine’s „I“), S.  321.   Inglebert (Fn.  385 – Les Romains chrétiens), S.  494; vgl. auch Alain Boureau, La religion de l’État. La construction de la République étatique dans le discours théologique de l’Occident médiéval (1250 – 1350), 2006, Paris: Les Belles Lettres, S.  117. 480   Robert A.  Markus, Saeculum: History and Society in the Theology of St. Augustine, Cambridge: Cambridge UP 1970, 88. 481   Markus, ebd., S.  89; Horst Fuhrmann, Die Sorge um den rechten Text, Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters (1969 (25), S.  1, 10; Mitchell (Fn.  172 – A History of the Later Roman Empire), S.  160; Bischof Eusebius von Caesarea ging sogar so weit, das römische Im­ perium zum Abbild der göttlichen Herrschaft zu erklären, Anton Grabner-Haider/Johann Maier, Kulturgeschichte des frühen Christentums, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008, S.  127. 482   Kevin Uhalde, Expectations of Justice in the Age of Augustine, Philadelphia: University of Pennsylvania Press 2013, S.  136; vgl. auch Ernest Fortin, Classical Christianity and the Po­ litical Order: Reflections on the Theologico Political Problem, Lanham: Rowman & Littlefield 1996, S.  205. 483   Markus (Fn.  480 – Saeculum), S.  90. Hier zeigt sich, dass die Rolle der Schöpfung Gottes keineswegs in einem Gegensatz zum menschlichen Handeln nach eigenen Regeln stehen muss; vgl. aber S.  Adam Seagrave, How old Are Modern Rights? On the Lockean Roots of Contemporary Human Rights Discourse, Journal of the History of Ideas 72 (2011), S.  305–327. 484  Vgl. Chris Wickham, The Inheritance of Rome: A History of Europe from 400 to 1000, London: Penguin 2009, S.  31. 485   Faes (Fn.  213 – Généalogie de l’éthique), S.  9. 478

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universalistischen Rechtsverständnisses ist eine komplexe Praxis („exempla“ als Vorformen der Subjektivität) oder besser einem komplexen multipolaren Netz­ werk von Praktiken, keine Setzung (oder Entdeckung). Die herrschende Sicht­ weise kann diese Praktiken, die auch theoretisch nur partiell erschließbar sind, nicht denken. Der Beitrag des Christentums als einer „neuen“ Religion bestand auch darin, das Heilige stärker – gegen die Bedeutung der paganen „exempla“ der Vergangenheit – im Sinne eines „moralischen Imperativs“ zu interpretie­ ren486 , der sich an jeden einzelnen wendet und Selbstbeobachtung und Selbststi­ lisierung verlangt. Die Frage nach der Identität des Selbst in der römischen Spätantike487 wird vielfach auch mithilfe von Begriffsbildungen beantwortet, die sich erst sehr viel später an neuzeitlichen Phänomen (insbesondere) des Nationalstaats und seiner „Konstruktion“ als „imagined community“ gebildet haben.488 Hier wird viel­ fach auf das Paradigma eines „Narrativs“ über eine flexible Identität zurückge­ griffen und die „Performativität“ der Sprache in Anschlag gebracht.489 Dies er­ scheint zu einseitig, da die Begriffsbildung den Gedanken nahelegt, dass es primär um eine Ideologie gehe, die entwickelt, verbreitet, geglaubt werden muss. Die Identität von Kultur und Identität wird primär über die Praktiken und Technologien entwickelt, in denen sich das Individuum selbst konstruiert. Bei den Römern diente die Auseinandersetzung mit komplexeren Texten (auch Philosophie und Literatur), die als Nebenprodukt Askese, Selbstdisziplinierung vermittelten. Die Literatur (nicht eine Ideologie der römischen Kultur) hat zur Entwicklung des Selbst in der Spätantike beigetragen. Auf der anderen Seite konnte die Arbeit an und mit Texten der politischen Herrschaft nicht nur Legi­ timität sondern den Eingang in die Institutionen, in die Diskurse und in die Rechtspraktiken erlauben. b)  Das christliche Selbst als Prozess Das christliche Selbst ist nicht mehr das des griechischen Individuums in ei­ nem letztlich unveränderlichen Kosmos490, sondern ein Selbst, das für den An­ 486   Tabacco (Fn.  433 – Metamorfosi della potenza sacerdotale nell’ alto medievo), S.  14. Man kann vermuten, dass auch der Sozialismus der westlichen säkularen Welt eher diesem Grundmuster der Wissensorganisation folgt: er hat weniger Züge eines politischen Pro­ gramms als die der Lebensform einer säkularen Sekte. 487  Vgl. allg. Emma Dench, Roman Identity, in: Alessandro Barchiesi/Walter Scheidel (Hrsg.), The Oxford Handbook of Roman Studies, Oxford: Oxford UP 2010, S.  266–280 488   Benedict Anderson, Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London: Verso 2006. 489  Vgl. Jacques Derrida, Gesetzeskraft. Der „mystische Grund“ der Autorität, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1991. 490   Mennel (Fn.  471 – Augustine’s „I“).

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ruf durch Gott verändert, sich auf den Anruf „einstellt“. Die Schrift bildet auch hier die Grundlage für die Herausbildung des Selbst als eines Prozesses der Selbsttransformation, der Selbsttranszendenz und – eine Bewegung, die dazu in einem Entsprechungsverhältnis steht – in der Pluralität der Interpretationen, die für das Christentum zu einer Herausforderung wird, die keine Einheitslö­ sung zulässt, aber später zu einer grundlegenden methodischen Antwort, der Herausbildung der Scholastik führte, erstmals in der Kulturgeschichte eine Art Wissenschaft vom Menschen hervorbringen wollte, die in einem Entspre­ chungsverhältnis zur theologischen Wissenschaft von Gott stand.491 Die Scho­ lastik ist eine Form der Bewältigung der neu entstehenden Spannungen zwi­ schen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Institutionen und innerhalb des kulturellen Erbes. Sie ist eine Form des „Managements“ der Pluralität inner­ halb dieses kulturellen Erbes.492 Die Vervielfältigung der Lebensformen und der Lebenswelten erschweren dem Einzelnen die Sinngebung für sein gottge­ fälliges Leben in der Welt. Eine Reaktion auf diese Schwierigkeit stellt die Her­ ausbildung methodischer Ansätze zur Befassung mit den heiligen Texten, mit den zwischen ihnen bestehenden Widersprüchen und ihrer Interpretation im Hinblick auf eine Ethik des praktischen Lebens, eben die Scholastik, auf die weiter unten einzugehen sein wird. Schriftkultur und die Systematisierung des Glaubens Die schriftliche Kultur des Christentums mit der Herausbildung einer reflek­ tierten Theologie auf der Grundlage der heiligen Schriften (und nicht mehr der Tradition) hat einen fundamentalen Wandel des kulturellen Wissens bewirkt, der wiederum, wie noch einmal zu betonen ist, dem Zusammentreffen der christlichen Schriftkultur mit der griechischen Philosophie zu verdanken ist. Auf der einen Seite stand für die Gebildeten die identitätstiftende Praxis der Auseinandersetzung mit Gott in der Form der verständigen Auslegung der hei­ ligen Texte, auf der anderen Seite erforderte das objektiv eine Methode der Sys­ tematisierung und der Auslegung der Schriften, der Befassung mit Widersprü­ chen und Unterschieden, der Anpassung an neue Fragen. Dies bedeutete auch für die Juden ein Problem, das sich in der Herausbildung der Stellung der Rab­ biner und einer lebendigen Praxis von „Responsen“ zur Geltung brachte, in de­ nen praktische Fragen des jüdischen Rechts von rechtskundigen Rabbinern beantwortet wurden. Aber dies hatte für die jüdische Kultur eine andere Bedeu­ tung, weil die “Objektivität493“ des göttlichen Gesetzes nicht in Frage stand.   Boureau (Fn.  479 – La religion de l’État), S.  20; Elsa Marmursztejn, L’autorité des maît­ res. Scolastique, normes et société au XIIIe siècle, Paris: Les Belles Lettres 2009, S.  101. 492   Vgl. dazu Greisch (Fn.  125 – L’herméneutique), S.  258. 493   Im Gesetz ist dann alles schon vorgesehen – auch die Zukunft, Robert M.  Cover, Obli­ 491

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Eben dies war aber für die Christen und das von ihnen angestrebte unmittelba­ re Verhältnis des einzelnen Gläubigen zu Gott in der Liebe zu Christus ein Pro­ blem, da das Christentum ein nicht zuletzt aufgrund seiner „staatstragenden“ Bedeutung unter einem relativ großen Druck zur Vereinheitlichung der Ausle­ gung der heiligen Texte stand494 , die auch paradigmatischen Charakter für die Auslegung der staatlichen grundlegenden Rechtstexte haben musste. Damit war ein zu großer Pluralismus der Auslegungen und Lesarten, der allzu sehr auf das Vertrauen in einzelne Rechtsgelehrte gesetzt hätte, nicht vereinbar, da Reli­ gion und die kaiserliche Herrschaft eben nicht im modernen Sinne getrennt waren. Es lässt sich annehmen, dass die sich entwickelnden Methoden der Be­ arbeitung von Texten sozusagen an die Stelle der Substanz des Gesetzes traten. Insgesamt lässt sich aber festhalten, dass die unterschiedlichen Legitimati­ onsquellen von Staat und Kirche eine mehr oder weniger bruchlose Verbindung zwischen Staat und Kirche verhindert haben.495 c)  Das Wechselverhältnis von Christentum und griechischer Philosophie Durch die Entwicklung von Bedingungen496 der Selbstreflexivität des christli­ chen Individuums innerhalb der religiösen Praxis497 und des Lebens in der Welt so wie der Anfänge einer christlichen Theologie, die sich die griechische Philo­ sophie anverwandelt hat, werden beide Seiten grundlegend verändert498 , auch die griechische Philosophie, die dadurch überlebensfähig gemacht wird, wäh­ rend zugleich die Theologie sich selbst Rationalitätsansprüchen aussetzte, die eine erhebliche Sprengkraft besaßen. Diese Spannung führte schließlich zur expliziten Aufgabe der Position einer Meta-Wissenschaft, einer privilegierten Stellung insbesondere gegenüber den Naturwissenschaften, aber auch der Phi­ losophie, die immer mehr eigene, nicht mehr von theologischen Fragestellun­ gen bestimmte Probleme im Mittelalter bearbeitete. (Hier zeigt sich ein bemer­ kenswerter Unterschied im Verhältnis zwischen Religion und Philosophie im frühen Christentum und im Islam499: Das Christentum verwandelt sich die griechische Philosophie an und verändert dabei nicht nur sich selbst, sondern gation: A Jewish Jurisprudence of the Social Order, Journal of Law and Religion 5 (1987), S.  65–74. 494   Zu den damit verbundenen Schwierigkeiten vgl. Jaeger (Fn.  216 – Early Christianity and Greek Paideia), S.  70. 495   Vgl. auch Gareth Fowden, Empire to Commonwealth. Consequences of Monotheism in Late Antiquity, New Haven: Princeton UP 1993, S.  172. 496  Vgl. Stroumsa (Fn.  273 – Scriptural Universe), S.  4. 497   Stroumsa (Fn.  458 – The New Self and Reading Practices), S.  5. 498   Meredith (Fn.  472 – Christian Philosophy in the Early Church), S.  6 f., 116. 499   Rocio Daga Portillo, The Relation between Religion and Philosophy in Islam – a Histo­ rical Perspective, in: Jean-Luc Marion/Walter Schweidler (Hrsg.), Christentum und Philoso­

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schafft zugleich die Bedingungen für die spätere Emanzipation der Philosophie und der Wissenschaft von der Religion. Auf der anderen Seite bindet sich der Islam von der griechischen Philosophie ab500, die zunächst im Mittelalter inner­ halb der islamischen Kultur sehr viel intensiver verbreitet und gelehrt wurde als im christlichen Mittelalter. In der Spätantike rückte die christliche Theologie mindestens partiell in die kulturelle und politische Rolle der klassischen archaischen normbasierten „Lo­ yalitätsreligion“ insofern ein501, als ihre Entwicklung auch von den Bedürfnis­ sen des Prinzipats bestimmt war. Das Christentum musste sich deshalb zu einer auch politisch integrativen, mit unterschiedlichen Ideen und Anforderung ope­ rierenden, religiöse Praktiken koordinierenden „Kirche“ als Organisation ent­ wickeln. Dies hat für das Christentum Probleme der Abgrenzung von weltli­ chen und geistlichen Aufgaben mit sich gebracht502: Der Satz: „gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“, bringt keinen Opportunismus zum Ausdruck, sondern ein Problem. Offenbar wäre auch die Übernahme einer religiös begründeten Verantwortung für das Politische unter den Bedingungen der Spätantike für die christliche Vorstellung von einem an Christus orientier­ ten Leben schwierig zu bewältigen gewesen.503 Diese Spannung schuf schon früh die Grundlagen einer Säkularisierung der Kultur und des Politischen, nicht als fremdgesetzte Begrenzung, sondern als selbstaufgelegte Form, um das christliche Denken und die christliche Ethik des Selbst in einer politischen „Konfliktordnung“ vor den Zumutungen der Realität der gesellschaftlichen Konflikte zu schützen. Wenn Gott der Schöpfer der Welt war, wenn Gott in der Welt war, war trotz der Spannungen und Konflikte ein christliches Leben in der Welt und mit Gott möglich? Eine stabile Grenze ließ sich kaum dauerhaft be­ stimmen, die private Lebensführung im öffentlichen und politischen Handeln war nicht starr zu trennen, wenngleich die Herausbildung des privaten Raums der Familie und der engeren Gemeinde eine Version zur Abspannung der Kon­ flikte bot. Hier entsteht also im Grunde schon ein Ansatz zu einer grundsätzlich durchaus produktiven Abgrenzung von Privatem und Öffentlichem. Das insta­ bile Verhältnis von weltlichen und ideellen christlichen Angelegenheiten findet seine Entsprechung in den Schwierigkeiten des Prinzipats (und der späteren phie, Freiburg: Alber 2014, S.  494–516, 497; Rémi Brague, The Law of God, Chicago: Chicago UP 2007, S.  167; Stroumsa (Fn.  281 – Scriptural Universe), S.  134. 500   Stroumsa, ebd., S.  134. 501   Ando (Fn.  171 – The Matter of God), S.  15. 502   Vgl. allg. Jean Gaudemet, L’église dans l’empire romain – IVe–Ve siècles, Paris: Sirey 1997. 503   Barnabas Lindars, All foods Clean: Thoughts on Jesus and the Law, in: ders. (Hrsg.), Law and Religion: Essays on the Place of the Law in Israel and Early Christianity, Cambridge: James Clarke 1988, S.  61–71.

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kaiserlichen Ordnung), staatliche und kirchliche Aufgaben zu definieren und auf dieser Grundlage eine stabile staatliche Ordnung aufzubauen: d)  Die weltliche Rolle der Kirche und der Bischöfe Die Präsenz Roms in den Provinzen war immer eher schwach, bis in die Spät­ phase des Reiches gab es nur wenig Staatspersonal504; vor allem die Verwaltung der Städte basierte auf einer Art kontrollierten Selbstverwaltung durch die loka­ le Oberschicht. Dies änderte sich allerdings in der Spätantike.505 Die lokalen Bischöfe506 rückten gerade wegen der Schwäche der Hierarchie häufig in eine Art Fürsprecherrolle ein507, die ihnen die lokalen Bürger antrugen, ohne dass dies theologisch oder religiös begründet worden wäre. Bischöfe gewannen auf­ grund ihres privilegierten Zugangs zu den heiligen Schriften eine besondere kulturelle Anerkennung, die sich auch in dieser politischen Rolle niederschlug. Auch darüber hinaus übernahmen Bischöfe teilweise faktische Verwaltungs­ aufgaben und eine Art von Gerichtsbarkeit 508 , weil die Anerkennung der loka­ len Gerichte mehr vom Vertrauen in die Amtsträger als von der Einordnung in die staatliche Hierarchie abhing. Zugleich rückten Bischöfe in die Stellung „au­ ßerordentlicher Richter“ („exceptional judges“) ein509, denen aufgrund ihrer Stellung ein besonderes Unterscheidungsvermögen für das Verständnis unkla­ rer geistlicher wie weltlicher Texte zugeschrieben wurde.510 Auch in einer praktischen Form rückte die Kirche damit mehr und mehr in den Raum des Öffentlichen ein, ohne dass damit der Anspruch einer Überord­ nung des Religiösen über das Politische verbunden gewesen wäre. Umgekehrt übernahm die Kirche teilweise auch Formen der lokalen Administration in ihre Organisation. Der Herrschaftsanspruch der Kirche, wie er im Investiturstreit 504   Lendon (Fn.  95 – Empire of Honour), S.  3. Dies hat sich teilweise unter den späten christlichen Kaisern geändert, Aline Rousselle, Porneia. On Desire and the Body in Antiquity, Oxford: Blackwell 1988, S.  196: das Alltagsleben wurde im Interesse der Unterdrückung pag­ aner Kulturen stärker kontrolliert. 505   Peter Garnsey/Caroline Humfress, The Evolution of the Late Antique World, Cam­ bridge: Orchard Academic 2001, S.  3. 506   Uhalde (Fn.  482 – Expectations of Justice), S.  10. 507   Mitchell (Fn.  172 – A History of the Later Roman Empire), S.  181. 508   Jill Harries, Resolving Disputes: The Frontiers of Law in Late Antiquity, in: Ralph W.  Mathisen (Hrsg.), Law, Society and Authority in Late Antiquity, Oxford: Oxford UP 2001, S.  68, 73; Caroline Humfress, Bishops and Law Courts in Late Antiquity: How (Not) to Make Sense of the Legal Evidence, Journal of Early Christian Studies 19 (2011), S.  375, 379; Julia M. H.  Smith, Europe after Rome. A New Cultural History 500–1000, Oxford: Oxford UP 2005, S.  220. 509   Uhalde (Fn.  482 – Expectations of Justice), S.  10 ff., 45 ff. 510   Kristina Sessa, The Formation of Papal Authority in Late Antique Italy. Roman Bishops and the Domestic Sphere, New York: Cambridge UP 2012, S.  169.

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III.  Die Christianisierung der römischen Rechtskultur

zur Geltung kam, ist aber nicht auf die theologisch abgestützte Erhaltung der Kirche zwischen Welt und Gott zu reduzieren; vielmehr hat die Kirche selbst eine Fülle praktischer Staatsfunktionen übernommen. Der oben erwähnte Ansatz Foucaults zur Bestimmung einer letztlich auf eine Technologie der Macht durch Verinnerlichung des Verzichts der Christen auf „ihr“ Selbst – im Gegensatz zum griechischen Kult der Selbstbestimmung und der Selbststeigerung – geht an der Komplexität der spätantiken Kultur und ih­ ren Widersprüchen vorbei. Sie ist eher an der präsentistischen Idee einer totali­ sierenden Macht orientiert, nicht aber an der Rekonstruktion der multipolaren spätantiken römischen Kultur und ihren (auch) produktiven Spannungen: Hier zeigt sich der Vorzug des hier verfolgten eher „prozessualen“ Ansatzes zur Be­ obachtung des antiken kulturellen Wandels, der seinerseits nicht frei von re­ trospektiven Fixierungen auf die Beobachtung der Pluralität der Bedingungen der Entstehung der neuzeitlichen westlichen Welt bestimmt wird. Während hier die Dominanz der widersprüchlichen Stellung der Kultur als paradigma­ tisch für die spätere Herausbildung der westlichen Kultur als gegeben unter­ stellt wird, wirken in Ansätzen wie denen von Foucault, Derrida, Agamben etc. 511 Häresien der Spätantike nach, die das spannungsreiche Verhältnis des Chris­ tentums zu Philosophie, Politik, Kultur der Spätantike als ein übergreifendes Moment der im Wandel stets gleichbleibenden „Macht“ registrieren, die die göttliche Gerechtigkeit verfehlen (müssen).

  Vgl. allg. Ladeur (Fn.  250 – Textualität des Rechts).

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IV.  Das römische Recht in der Spätantike und die Germanisierung der römischen Rechtskultur 1.  Das römische Recht in der Spätantike a)  Der Codex-Gedanke In der Spätantike haben sich die klassischen Formen des römischen Rechts nur wenig weiterentwickelt. Man kann aber davon ausgehen, dass die Idee eines „Codex“ des römischen Rechts von der christlichen Kultur der Schriftlichkeit mit beeinflusst worden ist. Der Codex (Justinians oder Theodosius) war kein Codex im modernen Sinne (also kein systematisch durchgearbeitetes und auf­ gebautes Gesetzeswerk), sondern eher der Versuch einer Zusammenfassung al­ ler vorfindlichen Rechtsquellen, die eben durch ihre Zusammenfassung als in den kaiserlichen Willen aufgenommen galten.512 Man muss allerdings bei der Einschätzung der Bedeutung des Christentums für die Entwicklung der Rechts­ ordnung auch berücksichtigen, dass der Gedanke des Codex schon wegen der wirtschaftlichen und politischen Schwäche Westroms (militärische Niederla­ gen, Völkerwanderung, Germanisierung Roms etc.) sich eher im byzantini­ schen Teil des römischen Reiches entfaltet hat. Byzanz513 war weit weniger als Westrom von einer städtischen Kultur bestimmt. Dies war für die kulturelle Entwicklung umso bedeutender, als das oströmische Reich schon bald infolge der Expansion des Islam gerade seine städtischen Gebiete in Kleinasien verlor. In Byzanz wurde auch die Praxis der „responsa“, der kaiserlichen (oder auf Ju­ risten delegierten) Antwort auf Fragen des Rechts im Einzelfall stark ausgewei­ tet.514 Der Codex-Gedanke konnte die Vorstellung abstützen, dass jede Form der rechtlichen Äußerung des Kaisers zugleich Recht schafft und über den Ein­ zelfall hinaus wirke.515 Daraus ergab sich auch ein Verbot der „juristischen 512   John F.  Matthews, Laying Down the Law. A Study of the Theodosian Code, New Haven: Yale UP 2000, S.  17, Harris (Fn.  42 – Superfluous Verbiage), S.  345 513   Michel Kaplan, Pourquoi Byzance? Un Empire de onze siècles, Paris: Gallimard 2016. 514   Pfeilschifter (Fn.  370 – Die Spätantike), S.  145; Harries (Fn.  39 – Superfluous Verbiage?), S.  361 ff.; Wolfgang Waldstein/J.  Michael Rainer, Römische Rechtsgeschichte, 11.  Aufl., Mün­ chen: Beck 2014, §  33 Rn.  5; Schiavone (Fn.  41 – IUS), S.  112. 515  Vgl. Elizabeth DePalma Digeser, The Making of a Christian Empire. Lactantius and

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IV.  Das römische Recht in der Spätantike

Kommentierung“, die aber die Auseinandersetzung um die Bedeutung des Codex im Einzelfall nicht ausschließen konnte.516 Das byzantinische Recht hat wenig „Eigenes“ zur Rechtsentwicklung im rö­ mischen Reich beigetragen. In der Literatur ist deshalb vielfach von einem „Niedergang“517 des Rechts die Rede. Ob dies angemessen ist, soll hier offen bleiben. Alles Recht in geschriebenes Recht zu verwandeln, war ein Leitgedanke des oströmischen Reichs – ein Gedanke, der dem fallorientierten Recht der re­ publikanischen Zeit fremd war. Zugleich hat das nachklassische Recht parado­ xerweise aber einen viel eher situativen Charakter angenommen518 , da es nicht mehr gelang, den Rechtsstoff begrifflich durchzuarbeiten. b)  Ostrom und der Gedanke an ein universalistisches Recht Das klassische römische Recht war (ebenso wie früher für die Griechen die Phi­ losophie) für die Römer auch eine Lebensform der (Selbst)Disziplin519 und nur in zweiter Linie von äußerem Zwang bestimmt.520 Daraus ergab sich auch eine Rome, Ithaca. Cornell UP 2000, S.  46; zum (unrealistischen) Anspruch, die Ungewissheit es Rechts durch schriftliche Texte zu beseitigen vgl. Detlef Liebs, Das Recht der Römer und die Christen, Tübingen: Mohr 2015, S.  83; ders., Systembrüche im römischen Recht. Juristen, Prä­ tor, Gesetzgeber, in: Felix Maultzsch (Hrsg.), Fuchs oder Igel? Fall und System in Recht und Wissenschaft, Symposium zum 70. Geburtstag von Günter Hager, Tübingen: Mohr, 2014, S.  13–38; Tony Honoré, Emperors and Lawyers, 2.  Aufl., Oxford: Oxford UP 1994, S.  12, 33; Gerhart B.  Ladner, Justinian’s Theory of Law and the Renewal Ideology of the Leges Barba­ rorum, Proceedings of the American Philosophical Society 1975 (119), S.  191–200, 192; Noel Lenski, Constantine and the Cities. Imperial Authority and Civic Politics, Philadelphia: U of Phil. Press 2016, S.  16, 95. 516   Caroline Humfress, Law and Legal Practice in the Age of Justinian, in: David Johnston (Hrsg.), The Cambridge Companion to Roman Law, Cambridge: Cambridge UP, S.  161–184, 161, 173; dazu diente die auf den Einzelfall bezogene Rhetorik, dies. (Fn.  32 – Orthodoxy), S.  3, 120. 517   Vgl. zur Kontroverse nur Rosamond McKitterick, The Carolingians and the Written Word, Cambridge: Cambridge UP 1989, S.  213, die mit Recht vorsichtig mit dieser Metapher umgeht, die dazu eingesetzt wird, das Neue als Verfall des Alten anzusehen und die neuen emergenten Formen der Selbstorganisation einer Kultur zu übersehen; differenzierend auch Garnsey/Humfress (Fn.  505 – The Evolution), S.  54, 58, die aber mit Recht darauf hinweisen, dass der Niedergang der begrifflichen Kultur nichts daran änderte, dass auch das spätere rö­ mische Recht durch das „Alltagsleben“ und seine Beobachtung geprägt blieb; vgl. auch Jean-Michel Carrié/Aline Rousselle, L’empire romain, Nouvelle Histoire de l’Antiquité 10, Pa­ ris: Gallimard 1999, S.  16, 25; vgl. auch Jill Harries, Law and Empire in Late Antiquity, Cam­ bridge: Cambridge UP 1999, S.  8, die kritisch darauf hinweist, dass die spätrömische Gesell­ schaft weitaus komplexer war als die frühere. Dagegen: Edward Gibbon, History of the Decline and Fall of the Roman Empire, London: Penguin 2000. 518   Jean Gaudemet, Droit et société aux derniers siècles de l’Europe Romain, Neapel: Jove­ ne 1992, S.  13. 519   Humfress (Fn.  32 – Orthodoxy), S.  238. 520   Humfress, ebd., S.  199.

1.  Das römische Recht in der Spätantike

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Möglichkeit der Verknüpfung von christlichem Selbstverständnis und dem als Lebensform verstandenen Zivilrecht521, das Selbstdisziplin und überlegtes Han­ deln verlangte. Die gesellschaftliche Dynamik, die damit einherging, war nicht mehr die die des klassischen römischen Rechts. Das byzantinische Recht war eher von der orientalischen Kultur geprägt, in der der Kaiser und der Beam­ tenapparat eine starke Stellung innehatten. Der Kaiser und sein Stab tendierten dazu, die Askese als Einübung von (Eigen-)Disziplin eher abzuschwächen und stattdessen unpersönliche Werte wie Arbeit, Ordnung und Stabilität zu propa­ gieren.522 Für die oströmische523 wie die weströmische Rechtsentwicklung lässt sich aber mit C.  Ando524 festhalten, dass es im Grunde nicht mehr gelang, die Ideen eines im Ansatz universalistischen Rechts für die heterogene Kultur des römi­ schen Reiches hervorzubringen. Dafür ließ sich auch das christliche Weltbild jenseits der römischen Welt mobilisieren.525 Dies war im Grunde eine der Hoff­ nungen gewesen, die nach dem Prinzipat (ab 284) mit dem Aufstieg des Chris­ tentums verbunden gewesen war. Zur Stagnation trug auch – wie erwähnt – die wirtschaftliche und kulturelle Schwächung der Städte des Mittelmeerraumes in der Spätantike bei.526 Das römische Recht war von der multipolaren Ordnung in der Stadt geprägt. Die wirtschaftlichen Probleme in den Städten (einschließlich der Stadt Rom selbst) während der Zeit der Völkerwanderung im Westen, aber auch der Kriege im östlichen Mittelmeer bis hin zu den Folgen der Expansion der islamischen Herrschaft, haben die städtische Kultur grundsätzlich für meh­ rere Jahrhunderte geschwächt und verhindert, dass sich ein produktiver Reso­ nanzboden für neue Impulse der Christianisierung und der Universalisierung des Rechts bilden konnten. Dies war m. E. für die Unterbrechung der Entwick­ lung zu einer universalistischen Ordnung entscheidend. Es fehlte der Rechts­ kultur die Dynamik der früheren distribuierten Kultur und ihres Ideenpools.

  Tony Honoré, Law in the Crisis of Empire, 379–455 AD, Oxford: Clarendon 1998, S.  4,

521

8.

  Elm (Fn.  290 – Virgins of God), S.  1.   Vgl. allg. Kaplan (Fn.  513 – Pourquoi Byzance?). 524   Ando (Fn.  35 – Law, Language, and Empire), S.  6, 21. 525   Vgl. auch Peter Brown, Welten im Aufbruch: Die Zeit der Spätantike. Von Marc Aurel bis Mohammed, Bergisch-Gladbach: Lübbe 1980, S.  82. 526   Zur Schwächung der auf die Stadt bezogenen Herrschaftsverhältnisse hatte schon die imperiale Herrschaft beigetragen, J. H. W. G.  Liebeschütz, The Decline and Fall of the Roman City, New York: OUP 2001, S.  30, 43. 522 523

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IV.  Das römische Recht in der Spätantike

2.  Das römische Recht und die Germanisierung a)  Die „Romanitas“ ohne Zentrum Die starke Abhängigkeit der römischen Kultur und des römischen Rechts ins­ besondere von den Traditionen der Stadt Rom kam am Ende des römischen Reiches deutlich zum Ausdruck. Zwar bestanden beide fort, wie noch zu zeigen sein wird, aber der „romanitas“ fehlte ein geistiges Zentrum. Immer mehr brachten sich deshalb die lokalen Verhältnisse mit ihrer Heterogenität der Sprachen, der lokalen Herrschaftseliten, der Haltung gegenüber der eigenen „barbarischen“ und der neuen römischen Tradition zur Geltung.527 Dies belegt noch einmal, dass der römischen Kultur das universalistische Denken fehlte, das nur in Ansätzen sich entwickelt hatte. Hinzu kam, dass die germanischen Eroberer dem städtischen Leben des Mittelmeerraums fremd gegenüberstan­ den. Das Verhältnis der Germanen zur römischen Kultur war keineswegs ab­ lehnend528 , die Bereitschaft zur Nachahmung war in vielen Regionen des Rei­ ches auch nach seinem Zusammenbruch vorhanden.529 Doch die literarische Bildung auch des christianisierten römischen Reiches verfiel allmählich.530 Auch die lateinische Sprache wurde für Amtszwecke, wenn ihr Gebrauch nicht ohnehin fortgeführt wurde, weiter gepflegt. In begrenztem Maße bestanden auch Elemente der römischen Schriftkultur an den Höfen der germanischen Könige (in eher unzulänglicher Form) oder in den Klöstern (in durchaus geho­ bener Form) fort. Allerdings fehlten die gesellschaftlichen Praktiken und Insti­ tutionen, die das Recht und die Kultur „gebraucht“ hätten. Soweit das römische Recht fortbestand, entwickelte es sich zum „Vulgarrecht“ zurück, das sich ins­ besondere durch eine Tendenz zur Simplifizierung auszeichnete. Die Klöster wurden vor allem auch Zufluchtsort für den älteren Adel, der politisch in vielen Regionen verdrängt wurde. Am römischen Recht wurde in vielen Regionen festgehalten (z. T. neben germanischen Rechten, die in einer „quasi-römischen“ Form zusammengefasst wurden). Für die germanischen Herrscher war die Selbstlegitimation durch die römische Rechtskultur naheliegend, da damit auch die Stellung der adligen Grundherren in der Feudalordnung abgewertet werden konnte.531   Ando (Fn.  35 – Law, Language, and Empire), S.  6.   Pfeilschifter (Fn.  370 – Die Spätantike), S.  16. 529  Vgl. Patrick Wormald, The Making of English Law. King Alfred to the Twelfth Century, Oxford: Blackwell 2001, S.  38; Neff (Fn.  85 – Decline and Emergence), S.  91. 530   Liebeschütz (Fn.  526 –Decline and Fall of the Roman City), S.  402. 531   James G. A.  Pocock, Barbarism and Religion, Band VI: Barbarism: Triumph in the West, Cambridge: Cambridge UP 2015, S.  471 ff. 527

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2.  Das römische Recht und die Germanisierung

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b)  Das „Einfrieren“ des römischen Rechts und das Papsttum als Platzhalter des kommenden Staates Diese Repräsentanten der römischen Kultur haben die klassische römische Kul­ tur erhalten. Neben dem Papsttum als Platzhalter des kommenden Staates („Souveränität“)532 bestand das „Netzwerk“ der Bischöfe, das die Infrastruktur für die Einheit der Kirche bilden konnte. Die Bischöfe etablierten sich als Auto­ ritäten, die Unstimmigkeiten und Unsicherheiten im Hinblick auf die rituellen Praktiken der lokalen Kirchengemeinden aufgrund ihrer Kenntnis rechtlicher Begriffe und vor allem der prozeduralen Rationalität des Rechts plausibel aus­ räumen konnten.533 Die spätmittelalterliche und neuzeitliche Konstruktion eines Anfangs des ob­ jektiven Rechts im subjektiven Recht sind eher theoretische Reflexionen, fortge­ schrittene Stadien eines Prozesses, der schon viel früher, nämlich in der Spätan­ tike, angefangen hat, sich dort aber wegen der Krisen des römischen Reiches im Allgemeinen und der Krise der städtischen Kultur534 im Besonderen nicht mehr entfalten konnten. Stattdessen hat das christliche Denken in der Organisation der Kirche einen weiteren grundlegenden Beitrag zur Entwicklung des westli­ chen Rechtsdenkens geleistet, dessen Bedeutung sich ebenfalls erst später (im Mittelalter) zeigen konnte. Die Stagnation der oströmischen Herrschaft und die Krisen, die sich mit den Eroberungen der Germanen im Westen verbinden las­ sen, haben letztlich im Osten wie im Westen eine Weiterentwicklung, vor allem einer neuen universalistischen Komponente des christianisierten Rechtsden­ kens nicht mehr zugelassen. Der Universalismus hat sich dann sozusagen außer­ halb der staatlichen Formen innerhalb der Kirche und des kirchlich-christli­ chen Denkens institutionalisiert und hat auch dort lange Zeit stagniert. c)  Die Schwächung des römischen Rechts im Prozess der Germanisierung Das römische Recht war in der klassischen Zeit bestimmt von Prozessen der „Normbildung durch eine von der Jurisprudenz angeleitete Praxis“. Die späte­ ren Kodifikationen waren, so etwa der Codex Justinians oder der Codex Theo­ dosius‘ diesem Denken eher fremd.535 Es ist kein Zufall, dass sie im oströmi­   Als „Theokratie“ (so aber Legendre [Fn.  254 – L’ autre Bible de l’occident], S.  23, 299) lässt sich dieses Herrschaftsverhältnis nicht beschreiben: Der Papst ist der Stellvertreter Got­ tes, aber auch der Vertreter auf der prekären Stelle des Kaisers der noch kein – im neuzeitli­ chen Sinne – Souverän ist. Durchaus treffend erscheint allerdings die Bezeichnung des Papst­ tums als „imitatio imperii“ (ebd., S.  100). 533   Sessa (Fn.  510 – The Formation of Papal Authority), S.  169. 534   Kaplan (Fn.  513 – Pourquoi Byzance?), S.  126. 535  Vgl. Caroline Humfress, Law and Justice in the Later Roman Empire, in: D. M.  Gwynn (Hrsg.), A. H. M.  Jones and the Later Roman Empire, Leiden/Boston: Brill 2007, S.  121–142. 532

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IV.  Das römische Recht in der Spätantike

schen Reich entstanden sind, das stärker einerseits vom Wiederaufleben der griechischen Kultur in einer neuen Form sowie von einer Bürokratie geprägt war, die sich in dieser Gestalt im weströmischen Reich nicht entwickeln konnte. Darin spiegelt sich die geringere Bedeutung der städtischen Kultur Ostroms wi­ der. Gerade eine kulturelle Praxis war jedoch in den Turbulenzen der spätanti­ ken und frühmittelalterlichen Zeit ohne entsprechende praktische Autorität der Städte und ohne die frühe wirtschaftliche Entwicklung nicht im kulturellen Gedächtnis zu konservieren. Vor allem ist an eine Weiterentwicklung und Sta­ bilisierung des römischen Rechts mit seiner in der klassischen Zeit entwickelten Leistungsfähigkeit und Flexibilität nicht mehr zu denken. D. h. aber nicht, dass eine ungebrochene Teleologie des Aufstiegs des universalistischen Denkens nicht unterstellt werden dürfte. Die Vorstellung eines „allgemeinen Gesetzes“, das deutlich von der Praxis der Anwendung zu unterscheiden war, hat sich erst später entwickelt.536 Fritz Schultz‘ Annahme ist durchaus plausibel, dass das römische Recht von den Ger­ manen eher „vergessen“ worden ist, jedenfalls für Jahrhunderte keine lebendige Praxis hervorbringen konnte – dies gilt jedenfalls für den weströmischen Teil des Reiches, in gewisser Weise aber, wie angedeutet, auch für das oströmische Reich. In den germanischen Territorien lebte im Grunde jede Gemeinschaft nach ihrem eigenen Recht – auch dies ist nicht nur als Zeichen des Verfalls der römischen Rechtskultur zu sehen, in dieser Zersplitterung der Gruppenrechte ist selbst eine Durchgangsform für das spätere individuelle Recht zu sehen. Erst im Mittelalter kam es vor allem in der Rechtsschule von Bologna (aber auch der von Ravenna) zu einer Renaissance des römischen Rechts. In der Krise war nur die kirchliche Erinnerung an das römische Recht (im Westen) oder in der büro­ kratischen Form der Fortschreibung der Erinnerung (im Osten) haltbar.

3.  Das Christentum und sein Übergang ins Mittelalter a)  Die Kirche als Erbin der römischen Rechtskultur Aus diesen Anfängen hatten sich später die Methoden der Scholastik entwickelt, die für die Kultur des Mittelalters eine große Bedeutung gehabt haben537, aber auch hier ist nicht zu übersehen, dass deren Voraussetzungen in der Spätantike geschaffen worden sind. Die Scholastik entspricht in ihrer formalisierten Vorge­   Vgl. die Beiträge in: Harries/Wood (Fn.  287 – The Theodesian Code), S.  6, 51.   Zum Recht vgl. Harold J.  Berman, Recht und Revolution, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995; allg. Boureau (Fn.  479 – La religion de l’État), S.  20; Pocock (Fn.  120 – Political Thought), S.  163, 167. 536 537

3.  Das Christentum und sein Übergang ins Mittelalter

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hensweise der Interpretation von Texten, der Bearbeitung von Unstimmigkeiten und Widersprüchen zwischen Texten538 einer Vorstufe des wissenschaftlichen universalistischen Denkens und auf der anderen Seite der institutionellen orga­ nisierten Selbststabilisierung der christlichen Welt in der Gestalt des Papsttums. Das Erbe des römischen Rechts hat die katholische Kirche in einer Weise ange­ treten, die der Komplexität der kulturellen Entwicklung der Spätantike ent­ sprach, nämlich durch die Schaffung des kanonischen Rechts539 und die Ent­ wicklung des Papsttums als neuer Organisierungsform der Kirche. Beide Insti­ tutionen sind in der Spätantike eher vorbereitet als entwickelt worden, sie haben sich erst im Mittelalter entfaltet, aber diese Evolution wäre ohne die Schaffung der Bedingungen in der Spätantike nicht denkbar gewesen. Zugleich setzte die mittelalterliche Scholastik in einer stärker systematisierten Form die schon in der Spätantike entwickelten Ansätze z. B. Boetius’ fort, die darauf zielten, das Wissen der Antike mit dem christlichen Glauben zu verknüpfen und insbeson­ dere die Vereinbarkeit von Glauben und Wissen über ein Netzwerk aus Begriffen zu organisieren540. Dies war schwierig und erforderte neue Denkansätze, gerade weil sich aus dem Neuen Testament keine verallgemeinerungsfähigen Vorstel­ lungen von der Ordnung der Welt und der Geschichte ableiten ließen. Die Scho­ lastik ging zu abstrakteren Denkformen paradoxerweise gerade deshalb über, weil die Heiligen Texte nicht aussagekräftig zu sein schienen. Die methodische Interpretation der Texte sollte dies kompensieren.541 Auch dies zeigt, dass die Scholastik durchaus ein „Vektor“ der Universalisierung war. Die Kritik, dass die Scholastik sich mit „Pseudo-Problemen“ befasst habe542 , geht an der Historizität der Dynamik innerhalb der und zwischen den „begrifflichen Netzwerken“ vor­ bei543, die die römisch-christliche Kultur bestimmt hat und die nicht auf eine Statik der Begriffe festgelegt werden kann, wie sie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt darzustellen scheinen. Die „strukturelle Instabilität“ (Samo Tomšič), die in die Kultur eingetragen ist, erzeugt eine Unruhe, die dem Mangel stabiler Referenzen geschuldet ist. Ähnlich wie im Judentum kann „das Wesentliche nicht gesagt werden, weil alles wiedergefunden werden muss“.544 538   Oakley (Fn.  375 – Mortgage), S.  56; Evans (Fn.  387 – Law and Theology in the Middle Ages), S.  2 f.; de Libera (Fn.  167 – La philosophie médiévale), S.  29. 539   Vgl. zur Entwicklung allg. Anne Bamberg, Introduction au droit canonique. Principes généraux et méthodes de travail, Paris: Elipses 2013. 540   de Libera (Fn.  334 – La scolastique: une faillite?), S.  177–206, 195 541   Alain Boureau, L’empire du livre. Pour une histoire du svoir scolastique, Paris: Lettres 2007, S.  166 f. 542   Louis Rougier, Histoire d’une faillite philosophique: La Scolastique, Paris: Gauthier-Vil­ lars & Pauvert 1966, S.  15 f. 543   de Libera (Fn.  334– La scolastique: une faillite?), S.  195. 544   Bloch/Berdah (Fn.  122 – Les secrets de la Torah orale), S.  169.

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IV.  Das römische Recht in der Spätantike

In der Organisation der Kirche entwickelt sich die universalistische Form des Staatlichen avant la lettre, zu deren Herausbildung das römische Reich in der Kumulation verschiedener Krisen nicht in der Lage war. Erst durch den Zusam­ menbruch des römischen Reiches entstanden die Bedingungen dafür, dass die Kirche sich als Instrument der göttlichen Herrschaft präsentieren konnte.545 Dies gilt auch für die Form der Körperschaft, die in der späteren Rechtsent­ wicklung sowohl des Privatrechts als auch des öffentlichen Rechts eine große Bedeutung gehabt hat – und zwar für die Bildung der Formen der Staatlichkeit, aber auch der privatrechtlichen juristischen Person, die auf die Wirtschaftsent­ wicklung (Haftungsbeschränkung) enormen Einfluss ausgeübt hat. b)  Das Papsttum als Platzhalter des kommenden Souveräns Das Papsttum wird mehr und mehr zum Platzhalter einer Frühform der Souve­ ränität546 und der Universalität, an deren Gestalt und Institutionalisierung spä­ ter der Staat i. e. S. am Beginn der Neuzeit anknüpfen konnte547 – nachdem das römische Reich untergegangen war. Die Rivalität zwischen Kaiser und Papst im späteren Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation war nur in sekundärer Hinsicht ein Kampf zwischen weltlicher und geistlicher Herrschaft. Die Unter­ scheidung zwischen den „zwei Reichen“ war ohnehin, wie oben angedeutet, schon im römischen Reich der Spätantike nur unzulänglich ausgeprägt. Zum anderen war die Kirche mit all ihren Versuchen, den Anschluss an die bleiben­ den kulturellen Bestände der römisch-griechischen Kultur herzustellen und daran anzuknüpfen, ein Experimentierraum für die spätantike Kultur. Staatli­ che und kirchliche Öffentlichkeit waren nicht starr voneinander getrennt, des­ halb konnte das Papsttum durchaus als eine moderne universalistische Form der Souveränität angesehen werden, die auch für die spätere staatliche Entwick­ lung paradigmatisch werden konnte. Dies gilt umso mehr nach dem Zusam­ menbruch des römischen Reiches, weil die Verbindung des römischen Kaisers mit Gott erschüttert wurde.548 Die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ konnten nicht ohne weiteres an die Legitimation der römi­ schen Kaiser anknüpfen.549   Charles Freeman, A New History of Early Christianity, New Haven: Yale UP 2009.   Oakley (Fn.  375 – Mortgage), S.  71; vgl. auch Berman (Fn.  537 – Recht und Revolution), S.  169, 186, 190. 547   Oakley (Fn.  317 – Empty Bottles), S.  223; Heather (Fn.  116 – Untergang des römischen Reichs), S.  507. 548   Miles (Fn.  204– Introduction), S.  1–15. 549   Die bruchlose Verknüpfung zwischen römischem Kaiser und Gott, als dessen Instru­ ment jener dargestellt werden konnte, ist allerdings auch schon von Augustinus in Zweifel gezogen worden, Inglebert (Fn.  385– Les Romains chrétiens), S.  103, 494. 545

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Legendre ist demgegenüber der Auffassung, das „Papsttum“ habe sich im Mittelalter als „theokratische Instanz“550 in Szene gesetzt und sich als Paradig­ ma für die Fundamente der Legitimität in der Organisation der europäischen Gesellschaften gesetzt. Dadurch habe es (auch) die Trennung von Legitimität und Normativität im christlichen Recht begründet. Diese Trennung habe das Ende des theokratischen Papsttums überdauert, deshalb sei es „nie zur Ab­ schaffung der Errungenschaften der juridischen Begrifflichkeiten“ gekommen, „die sich dieser Erfahrung verdanken“. Dies ist zwar eine wichtige Beobach­ tung, aber eben doch eine, die auf die „Inszenierung“, die Theatralik, auf allge­ meine symbolische Figuren beschränkt ist, denen eine prägende Bedeutung nachgesagt wird. Dass diese Spaltung eine praktische Kehrseite hat, nämlich die historisch begründete Unvollständigkeit des christlichen Rechts, spielt kei­ ne Rolle. Genau dies bietet aber eine Erklärung für die Trans-formation der symbolischen Ordnung des Rechts. c)  Von Paulus’ Antilegalismus zur kirchlichen Scholastik Die zunächst bestehende Zentrierung der christlichen Religion um den Leib Christi hatte ihre Entsprechung in einem stark ausgeprägten, auf Paulus zu­ rückgehenden „Antilegalismus“551. Allerdings muss man diesen „Antilegalis­ mus“ relativieren: Die Buchstäblichkeit des Gesetzes operiert mit Unterschei­ dungen, mit dem Körper der Schrift und dem Körper, der sich der Schrift unter­ wirft. Das Gesetz insistiert auf der Bedeutung des Körpers, des Fleisches, und damit des je Besonderen. Demgegenüber ist das Einswerden mit dem Körper Christi ein spiritueller Prozess, der potentiell alle Menschen einschließt.552 Das Ausbleiben des Messias hatte dann aber die Notwendigkeit zur Folge, vor allem mithilfe des römischen Rechts die Lücken der christlichen Rechtsvorstellungen zu kompensieren. Das „scholastische Wissen“ (A.  Boureau) wird von einer intel­ lektuellen Gemeinschaft entwickelt und verwaltet. Diese besondere Konstellati­ on trägt zum Aufstieg der Vorstellung bei, dass die „maîtrise du livre“ eine intel­ lektuelle Herrschaft begründen könnte – der christliche Text wird im Vergleich zum jüdischen dynamischer und beweglicher.553 Das Rechtsdenken öffnet sich stärker für die „Untersuchung“, die logische Argumentation.554 Das Spannungs­ verhältnis zwischen weltlicher und geistlicher Herrschaft ließ den Konflikt zwi­   Legendre (Fn.  254 – L’autre Bible de l’occident), S.  23, 299.   Vgl. nur Elsa Marmursztejn, Loi ancienne, loi nouvelle et normes chrétiennes dans la théologie scolastique du XIIIe siècle, Revue de l’histoire des religions 228 (2001), S.  509; Ladeur/Augsberg (Fn.  1 – „Der Buchstaben tödtet“). 552   Boyarin (Fn.  301 – A Radical Jew), S.  69, 85. 553  Dazu Boureau (Fn.  541 – L’empire du livre). 554   Boureau, ebd., S.  169, 183. 550 551

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IV.  Das römische Recht in der Spätantike

schen den Quellen des neuen Rechts als möglich555, ja, sogar die Unterscheidung der weltlichen Formen der Herrschaft nach ihrem „Nutzen“ zu.556 Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass eine der zentralen Errungenschaften des kanonischen Rechts die Herausbildung der Rechtspersönlichkeit der Kirche war, zu deren „Organ“ der Papst wurde. Daran konnte auch die Konstruktion der juristischen Persönlichkeit des Staates anknüpfen.557 „Das“ Papsttum war eher Ausdruck und Produkt eines spannungsreichen Prozesses, an dem die Kir­ che als „juristische Person“ einen prägenden Anteil hatte: Die Kirche war die Institution, die mit ihrer territorialen Organisationsstruktur das kanonische Recht zu einer der Grundlagen des späteren staatlichen Verwaltungsrechts ge­ macht hat. d)  Die Aufbewahrung des römischen Rechts durch die Kirche Die kulturelle und rechtliche Evolution der Institutionen der Staatlichkeit blieb aber in der Spätantike wie im frühen Mittelalter sowohl in den Resten der we­ strömischen Gebiete als auch in Byzanz blockiert. Die äußeren Bedingungen in West- wie in Ostrom waren allerdings auch äußerst schwierig. Im Westen wie im Osten fehlte es vor allem an der Weiterentwicklung einer städtischen Kultur, von der auch die Konstruktion der Staatlichkeit und die Rechtsentwicklung ab­ hängig waren. Das Christentum hatte in den Klöstern, in einer Vielzahl gebil­ deter Kirchenväter und Bischöfe eine Führungsschicht, die sie in gewissem Um­ fang gegen die Folgen der Krise der staatlichen Institutionen absichern konnte. Auch dies lässt die Qualifizierung der Spätantike als eine Zeit des „Niedergangs“ als polemisch erscheinen.558 P.  Veyne hat dazu kurz und bündig erklärt: „Le problème de la chute de l’Empire romain … n’existe pas.“559 Der Zusammenbruch des Reiches hat zugleich eine Vielzahl von „Bruchstü­ cken“ einer Kultur hinterlassen, die für die Ordnungsbildung in der nachrömi­ schen Zeit höchst produktiv gewesen sind. Die römische Kultur zog sich – so könnte man sagen – in die Kirche zurück, nicht ohne selbst dabei allerdings an 555   Marmursztejn (Fn.  491 – L’autorité des maîtres), S.  74, 87; dies., Une fabrique de la nor­ me au XIIIe siècle, in: Beaulande/Claustre/dies. (Hrsg.), La fabrique de la norme: Lieux et modes de production des normes au moyen âge et à l’époque moderne, Rennes: Presses Uni­ versitaires de Rennes, S.  31, 36. 556   Alain Boureau, Un obstacle à la sacralité royale en occident: Le principe hiérarchique, in: ders./Claudio Ingerflom (Hrsg.), La royauté sacrée dans le monde chrétien, Paris 1992, S.  29, 32: „rex inutilis“. 557   Vgl. auch Jean Bethke Elshtain, Sovereignty, God, State, and the Self. “The Gifford Lec­ tures”, New York N.Y.: Basic Books 2008, S.  63. 558   Vgl. auch Humfress (Fn.  535 – Law and Justice), S.  121–142. 559   Paul Veyne, Vorwort, in: Peter Brown, Genèse de l’antiquité tardive, Paris: Gallimard 1983, S.  X III.

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Vitalität und intellektuellem Reichtum zu verlieren. Im Konflikt zwischen mit­ telalterlichem Kaiser und Papst stand der letztere, wie schon erwähnt, für eine neuzeitliche Form der Souveränität, die auch ihre Voraussetzungen in der Ratio­nalität der römischen Rechtskultur und in der griechischen Philosophie gefunden hatte, und gegen ein mittelalterliches Reichsverständnis, das jeden­ falls an das römische Selbstverständnis der politischen Herrschaft nicht an­ knüpfen konnte. Bevor dies konkretisiert werden kann, müssen aber einige Zwischenüberlegungen zur „Germanisierung“ des römischen Reichs und der römischen Kultur angestellt werden. Auch diese Entwicklung, dies sei voraus­ geschickt, ist ein Indiz dafür, dass der römische Kulturraum durch das Zusam­ mentreffen einer Vielzahl von politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und religiösen Strömungen unter „Stress“ gesetzt worden ist, eine Entwicklung, die lange Zeit eine produktive Weiterentwicklung blockiert hat. Man könnte ver­ muten, dass die Zahl der Möglichkeiten und der Hindernisse so groß war, dass nichts anderes als Stagnation und Selbstblockierung erwartet werden konnte. e)  Die produktive Rolle der Germanisierung des römischen Rechts Der Mangel an einer stabilen zentralen politischen Organisation im Mittelal­ ter560 ist aber durchaus ambivalent: Er kann nicht nur als Zeichen des „Nieder­ gangs“ des römischen Reiches gelesen werden.561 Die vielfältigen Gruppenfrei­ heiten, die insbesondere – im Gegensatz zur römischen imperialen Herrschaft 562 – (auch) für das städtische Leben charakteristisch waren563, trugen auch zur Wiederbelebung der Städte seit dem 9. Jahrhundert, zur Entstehung einer Mit­ telschicht564 und über das kanonische Recht zur Anerkennung der Idee eines individuellen Naturrechts bei.565 Die Anerkennung von Gruppen als Träger von Freiheiten geht auf den germanischen Einfluss zurück. Die germanische Akzen­ tuierung von persönlichen Treueverhältnissen hatte einen ambivalenten Cha­ rakter: Sie hat einerseits zur Auflösung der Elemente universalistischer Herr­ schaft in Rom beigetragen, andererseits aber im Zuge von deren Wiederbele­ bung im Mittelalter das Moment der Subjektivität innerhalb des beginnenden Universalismus gestärkt.566 Dies wird durch einen vergleichenden Blick auf den   Brian Tierney, Western Europe in the Middle Ages: 300–1475, 6.  Aufl., New York: Mcgraw Hill 1998, S.  24. 561   Tierney, ebd., S.  1, 20. 562  Vgl. Berman (Fn.  537 – Recht und Revolution), S.  106. 563   Tierney (Fn.  560 – Western Europe in the Middle Ages), S.  137, 165, 278, 313. 564   Pirenne (Fn.  109 – Les villes du moyen âge), S.  173 ff. 565   Tierney (Fn.  560 – Fn.  550 – Western Europe in the Middle Ages), S.  276, 316. 566   Giovanni Tabacco, Universalismes et idéologies politiques de l’antiquité tardive à la Renaissance, Paris: Monfort 2005, S.  89, 37. 560

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IV.  Das römische Recht in der Spätantike

Einfluss der griechische-orientalischen Kultur der Stadt im byzantinischen Reich bestätigt: Dort hat sich unter dem Einfluss des Staates zwar ein florieren­ de Wirtschaftsleben in der gleichen Zeit wieder entwickelt, jedoch blieb die Fä­ higkeit zur Erneuerung schwach.567 Plausibel erscheint die pointierte, sich gegen die These vom „Niedergang der Kultur“ in der Spätantike wendende These Averil Camerons: Die Spätantike sei ein Zeitalter des massenhaften Experimentieren gewesen.568 Die Komplexität des Wandels der politischen Herrschaft gegen Ende des rö­ mischen Reiches und in der Übergangszeit, die sich daran anschloss, können den wenigen hier möglichen Anmerkungen kaum gerecht werden.

  Tierney (Fn.  560 – Western Europe in the Middle Ages), S.  89.   Cameron (Fn.  472 – Remaking the Past), S.  1, 16.

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V.  Das Christentum im Mittelalter und die Spätfolgen der Germanisierung der römischen Rechtskultur 1.  Germanisierung des römischen Reiches und das Christentum a)  Zum Vergleich von Christianisierung und Germanisierung des römischen Rechts Auch diese zweite Herausforderung der römischen Kultur durch die Germanen (nach der Christianisierung) darf nicht übergangen werden. Vorauszuschicken ist zunächst, das auch die Germanisierung des römischen Reiches sich trotz der Kriege ebenso wenig wie die Christianisierung als Eroberung und Zerstörung in feindlicher Absicht vollzog: vielmehr wurde die weltliche wie die religiöse Ordnung erneut auf eine erhebliche Belastungsprobe durch Auseinanderset­ zung gestellt. Die Belastung durch die Germanisierung war aber von ganz an­ derer Art als diejenige, die im 3. Jahrhundert mit der Christianisierung einge­ treten war. Das Christentum musste sich als eine relativ komplexe Hochreli­ gion, die beachtliche praktische und theoretische Ausdifferenzierungen entwickelt hatte, auf Angehörige eines Kulturraums einstellen, der von der griechisch-römischen Kultur gänzlich unberührt geblieben war und noch ar­ chaische Züge trug. Umgekehrt mussten sich die Germanen sowohl auf die He­ rausforderungen durch die christliche Religion als auch durch die der christia­ nisierten Staatlichkeit und des Rechts einstellen. Aber auch das Christentum musste einige Konzessionen erbringen, damit die neue Kultur für die Germa­ nen anschlussfähig werden konnte. Dies war nur möglich, weil das Christen­ tum als „Kirche“ sehr viel mehr auf Konzessionen und Anpassungen eingestellt war als sowohl die pagane römische Religion als auch zum Beispiel das Juden­ tum. Mit der Übernahme der jüdischen Religionskultur wären die noch aus ei­ ner archaischen und vor allem agrarischen Kultur stammenden Germanen gänzlich überfordert gewesen. Innerhalb der kirchlichen Institution entwickel­ ten sich auch die christliche Hochkultur und die Theologie weiter. Im Hinblick auf die Perspektiven der Emergenz eines neuen Universalismus der griechisch-römischen christianisierten Kultur muss beachtet werden, dass die germanischen Traditionen ihrerseits alles andere als anschlussfähig für ein

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V.  Das Christentum im Mittelalter und die Spätfolgen der Germanisierung

neues universalistisches Denken und darauf aufbauende Institutionen waren – von der griechischen Philosophie ganz zu schweigen. Das gleiche gilt für das römische Recht: zwar galt das römische Provinzialrecht in den verschiedenen Regionen des alten römischen Reiches fort, aber die Germanen hielten zugleich an ihrem eigenen Recht fest, das nicht die formale Ausdifferenzierung aufwies wie das römische Recht.569 Eine städtische Kultur hatte es für die Germanen noch nicht gegeben. Ihre Lebensweise war weitgehend von der agrarischen Le­ bensform bestimmt. Zugleich befanden sich auch die Städte innerhalb des Ter­ ritoriums des früheren weströmischen Reiches in einem Prozess des Nieder­ ganges, der ebenfalls nicht zu weiteren Impulsen für die Ausdifferenzierung der formalen Strukturen des römischen Rechts beitrug. b)  Die Germanisierung der Rechtskultur und die Krise der Städte Auf einzelne Erscheinungsformen des Zusammentreffens der germanischen Kultur mit der römischen und dem Christentum kann hier nicht eingegangen werden. Hervorzuheben ist aber vor allem, dass die erwähnte wirtschaftliche Krise der Städte seit dem Ende des 3. Jahrhunderts durch das Eindringen der Germanen in den römischen Kulturraum noch einmal verstärkt und zu Ten­ denzen einer Fragmentierung geführt haben.570 Dadurch wurden dem Auf­ schwung des universalistischen Denkens und universalistischer Institutionen Grenzen gesetzt. Die relativ statische Struktur der Wirtschaft und der Lebens­ formen findet ihren Niederschlag auch in einer Philosophie, die mit den Le­ bensformen verknüpft ist und nur wenig Mobilität der Ideen entwickelt.571 Immer mehr Städte in Oberitalien entwickelten eigene und untereinander unterschiedliche Formen einer Stadtregierung, die zunächst sowohl den Auf­ schwung der Städte als auch eine Entwicklung zu einer universalistischen Ord­ nung behinderte. Unter dem Druck konkurrierender wirtschaftlicher, politi­ scher und kultureller Einflüsse entstand immer mehr eine regionale institutio­ nelle Diversität. Auch die Stadt Rom selbst verlor ihre zentrale kulturelle und politische Stellung zugunsten der Provinzen. Dadurch wurde auch das institu­ tionelle Denken der Stadt und über die Stadt sowie ihr Verhältnis zum Staat vernachlässigt. Es existierte kein anerkanntes Muster oder Ideal einer städti­ 569   Allerdings kann noch nicht von einem ausdifferenzierten Recht im Sinne der system­ theoretischen Begriffsbildung gesprochen werden, Berman (Fn.  537 – Recht und Revolution), S.  144, dort wird dieser Vorgang der Ausdifferenzierung des Rechts als Teilsystem der Gesell­ schaft in der Zeit seit dem 11. Jahrhundert lokalisiert; vgl. allg. Luhmann (Fn.  7 – Das Recht der Gesellschaft), S.  117 ff. 570   Liebeschütz (Fn.  526 – Decline and Fall of the Roman City), S.  30. 571   de Libera (Fn.  167 – La philosophie médiévale), S.  4.

2  Die germanische Rechtsordnung im Mittelalter

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schen und staatlichen Kultur mehr. Neff572 geht so weit zu formulieren, dass auf dem Gebiet der Stadt Rom und der römische Provinzen das römische Recht geradezu „vergessen“ wurde. Dies ist angesichts des Wechselverhältnisses zwi­ schen der städtischen Kultur und den politischen und Rechtsformen plausibel: Wenn die städtische Wirtschaft und Kultur einem Prozess der Enddifferenzie­ rung unterworfen werden, wird auch das komplexe, auf die Bedürfnisse der Städte abgestimmte römische Recht weniger bedeutsam und verliert die Impul­ se zu seiner Weiterentwicklung. Auch in den oberitalienischen Städten entwi­ ckelte sich eine lokale Organisation von Interessen eher in der Form von Zünf­ ten und kaufmännischen Vereinigungen, aber keine Konzeption einer über­ greifenden städtischen Ordnung.573 Diese Fragmentierung konnte angesichts der Fortexistenz der einzelnen Komponenten der griechisch-römischen Kultur (nicht ihres Zusammenhangs) auch die Voraussetzung dafür sein, dass durch das Experimentieren Einzelner mit neuen insbesondere Handelsbeziehungen eine neue Ordnung aus dem Cha­ os generiert werden konnte574 , wenn lokale Herrscher eine komplexere Rechts­ ordnung abstützten. Die auf die Germanisierung zurückgehende Zersplitterung der politischen und gesellschaftlichen Ordnungen konnte auch von Vorteil sein, da der Staat die wirtschaftliche Entwicklung wegen seiner institutionellen Schwäche nur in begrenztem Umfang kontrollieren konnte.575

2  Die germanische Rechtsordnung im Mittelalter a)  Bischöfe als Träger einer Ersatzverwaltung Was oben zum Verhältnis der Stellung des Papsttums zum Kaiserreich gesagt worden ist, lässt sich auch auf die Städte in der Zeit vor und nach dem Ende des west-römischen Reiches übertragen. Auch zur Zeit des Zerfalls des west-römi­ schen Reiches waren die Bischöfe geistige Erben des institutionellen staatsbezo­ genen Denkens. Sie übernahmen verstärkt wieder praktische Verwaltungsauf­ gaben und spielten eine große Rolle innerhalb der kommunalen Institutionen. Die Verwüstungen in den Städten, u. a. infolge der Kriege, erschütterten die   Neff (Fn.  85 – Decline and Emergence), S.  108.   Oakley (Fn.  375 – Mortgage), S.  71. 574   Chris Wickham, Sleepwalking into a New World. The Emergence of Italian City-Com­ munes in the twelfth Century, Princeton: Princeton UP 2015, S.  20, 66; Oscar Gelderblom, Cities of Commerce. The Institutional Foundations of International Trade in the Low Coun­ tries 1250–1650, Princeton: Princeton UP 2015, S.  3. 575   Gelderblom, ebd., S.  1. 572 573

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V.  Das Christentum im Mittelalter und die Spätfolgen der Germanisierung

städtische Kultur aber auch die administrativen und justiziellen Institutionen576 – und dies wiederum in unterschiedlicher Gestalt. Die war umso problemati­ scher, als die Ansätze einer universalistischen Kultur und ihre Institutionen eher auf der städtischen Ebene prosperiert hatten, während die Entwicklung eines universalistischen Staatsverständnisses nur rudimentär gelungen war. Die Germanen hatten sich nach anfänglichen kriegerischen Eroberungen in die römische Staats- und Gesellschaftsordnung einfügen wollen, aber die kulturel­ len Voraussetzungen dafür waren innerhalb der zerbrochenen römischen Kul­ tur, die selbst keine Integrationsleistung mehr erbringen konnte, nicht günstig für die Emergenzen einer produktiven Trajektorie. b)  Die Herrschaft der Karolinger und der Merowinger und ihr Recht Auch die Existenz des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation war ein wichtiges Indiz für den Willen der Karolinger, das Reich und dessen Kultur fortzusetzen.577 Unter den Karolingern entstanden neue „leges“, die auch die Form des römischen Kodex partiell imitierte, zugleich aber auch den Anspruch zum Ausdruck brachte, dass das Fränkische Reich fortzusetzen sei. Die Regeln der „leges“ waren weniger ausdifferenziert und hatten für die Streitentschei­ dung im Einzelfall offenbar nur geringe Bedeutung578 , weil primär auf das kon­ kretere lokale Gewohnheitsrecht zurückgegriffen werden konnte und musste. Dies war offenbar anders, wenn es um die Klärung von Kontexten der Rechts­ regeln ging. Praktisch dominierten verschiedene germanische Gewohnheits­ rechte, nicht weil das römische Recht „aufgehoben“ worden wäre, sondern die römische Rechtskultur ihre praktischen institutionellen wie professionellen Grundlagen eingebüßt hatte. Als Rechtskultur lebte das römische Recht durch­ aus in der Kirche und in den Klöstern fort, und nur deshalb konnte es später, etwa ab dem 10. Jahrhundert, einen neuen Aufschwung erleben, auf dessen Be­ dingungen noch einzugehen sein wird. Während der Zeit der Merowinger (5. Jahrhundert bis Mitte des 8. Jahrhun­ derts) entfaltete sich in den Klöstern nur in bescheidenem Umfang neues kultu­ relles Leben. Dennoch bestand die Achtung vor der römischen Tradition fort.   Rousselle (Fn.  495 – Porneia), S.  196.   Vgl. auch John Marenbon, Carolingian Thought, in: Rosamond McKitterick (Hrsg.), Carolingian Culture, Emulation and Innovation, Cambridge: Cambridge UP 1994, S.  171– 192, 171; Rosamond McKitterick, The Legacy of the Carolingians, ebd., S.  317–323, 317; Peter Garnsey, Aspects of the Decline of the Urban Aristocracy in the Empire, in: Hildegard Tem­ porini (Hrsg.), Aufstieg und Niedergang der römischen Welt, II 1, Berlin: de Gruyter 1978, S.  229. 578   Thomas Faulkner, Law and Authority in the Early Middle Ages: The Frankish leges in the Carolingian Period, Cambridge: CUP 2016, S.  346; Jocelyn N.  Hillgarth, Christianity and Paganism 350–750, Philadelphia: University of Pennsylvania Press, S.  113 ff. 576

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2  Die germanische Rechtsordnung im Mittelalter

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Erst die sog. Karolingische Renaissance579 führte zu einer neuen Blüte der römi­ schen Kultur. Dies schlug sich vor allem in einer neuen Achtung vor dem Wert des Lernens nieder, das als permanente „correctio“, als Schaffung der kulturel­ len Voraussetzungen für die Wahrnehmung der göttlichen Offenbarung ange­ sehen wurde.580 Auch die Organisation der Kirche machte Fortschritte – Anfänge dazu hat­ ten auch schon die Merowinger gelegt. Die Erscheinungsformen dieser karolin­ gischen Kultur wiesen allerdings wenig Originalität auf und bestanden eher in erneuerten Praktiken der Wiederaneignung der Traditionen. Ein Schwerpunkt des Rechts lag im Verfahrensrecht.581 Vor allem die Schriftlichkeit der Regie­ rungs- und Rechtspraxis wurde gegen die zunehmende Disparatheit des karo­ lingischen Reiches in Stellung gebracht.582 Die Verbindung älterer und neuerer Rechtsformen und -figuren steigert aber die Ungewissheit des Rechts.583 Im spä­ ten 9. und im 10. Jahrhundert setzte wieder ein gewisser Verfall dieser Kultur des Wissens und des Lernens ein. Man kann in einer vorsichtigen Analogie zur Überlastung gegenwärtiger Gesellschaft mit Ungewissheit infolge einer Über­ fülle an Optionen auch für das Mittelalter von einer zu großen Vielfalt an Opti­ onen sprechen, der zu wenig an praktischer Bereitschaft und Fähigkeit zur Er­ probung von Möglichkeiten entsprach, über die eine strukturbildende Trajek­ torie sich hätte herausbilden können.584 Dem germanischen Recht wird vor allem in der deutschen Rechtsgeschichte des 19. Jahrhunderts, die sich stark an übergreifenden prozesshaft, aber doch teleo­ logisch rekonstruierbaren „Ideen“ orientiert hat, die Fähigkeit zugeschrieben, eher im Gegensatz zur „Scheidekunst“ des römischen Rechts Widersprüche und Spannungen zwischen unterschiedlichen Rechtsformen denken und zum Ausgleich bringen zu können.585 Dies mag im Einzelnen zutreffend sein, aller­ dings können große Ideen geschichtlicher Konstruktionen, die Rechtskulturen (hier die römische oder die germanische) bestimmten „Leitideen“ zuordnen, 579   Giles Brown, Introduction, S.  1, in: Rosamond McKitterick (Hrsg.), Carolingian Cul­ ture: Emulation and Innovation, CUP 1994, S.  1–51; Marrou (Fn.  446 – Saint Augustin), S.  155. 580   Brown (Fn.  579 – Introduction). 581   Alan Harding, Medieval Law and the Foundations of the State, Oxford: Oxford UP 2002, S.  39. 582   McKitterick (Fn.  517 – The Carolingians and the Written Word), S.  20, 24, 38. 583   Maurizio Lupoi, Alle radici del mondo giuridico europeo, Rom: Istituto poligrafico de­ llo Stato 1994, S.  61. 584   Vgl. zum Verhältnis von Wissen und Nichtwissen in postmodernen Gesellschaften Daniel Innerarity, Well-informed Ignorance, Common Knowledge 21 (2015), S.  184–189. 585   Giovanni Tabacco, Sperimentazioni del potere nell’alto medievo, Turin: Einaudi 1993, S.  296.

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V.  Das Christentum im Mittelalter und die Spätfolgen der Germanisierung

durch die deren Entwicklung bestimmt zu sein scheint, kaum mehr als über­ zeugende Konstruktionen in Betracht gezogen werden. Der Vorzug dieser Her­ angehensweise besteht allerdings darin, dass auch längerfristige Entwicklungen zu beschreiben sind, also etwa wie die „longue durée“ (F.  Braudel) bestimmter Rechtsformen. Diesen Vorteil glaubt die hier vertretene Position dadurch ihrer­ seits für sich gewinnen zu können, dass sie eine „longue durée“ der Pluralität der kulturellen Formen und vor allem des gesellschaftlichen Wissens in Bezug nimmt. Auch daraus lässt sich kein „Gradient des Universellen“ ableiten, der auf einer stabilen Beziehung zwischen vier großen Kräften der Geschichte basiert, dem jüdischen Gesetz, dem Christentum, der Demokratie und der griechischen Philosophie.586 Die Untersuchung der historischen „longue durée“ kann, wenn die Fragestellung sehr allgemein gefasst wird, auch selbst zu einer ideologischen Wiedererkennung „des Selben“ führen.587 Wenn der Gegenstand enger gefasst wird, kann es sich als fruchtbar erweisen, eine konkretere, von den Interessen der Gegenwart bestimmte Fragestellung nach der Haltbarkeit gesellschaftlicher Institutionen offenzulegen und der Analyse zugrunde zu legen.588 Was hier in den Vordergrund des Interesses gerückt wurde, ist aber nicht die Geschichte einer Institution, die wiederum auf die Reproduktion von Einheit im Wandel angelegt sein könnte, sondern vielmehr die Geschichte einer Differenz, wie man formulieren könnte, die der Herausbildung der Bedingungen der Unterscheidung von Religion, Philosophie, Recht und Technik (sowie anderem praktischen Wissens) und ihrer kontinuierlichen wie diskontinuierlichen wech­ selseitigen Irritation. Dann geht es um eine historische Fragestellung, die sich von der „prozessualen Soziologie“ Andrew Abbotts inspirieren lässt, die also die Geschichte des Wandels als Emergenz, Verknüpfung und Trennung von Ereig­ nissen zu bestimmen sucht und auch die Durchlässigkeit der Grenzen zwischen Teilsystemen der Gesellschaft stärker als die Systemtheorie betont.589

 So Manent (Fn.  82 – Les métamorphoses de la cité), S.  378.   Christian Lamouroux, Longue durée et profondeurs chronologiques, Annales 70 (2015), S.  339–350. 588   David Armitage/Jo Guldi, Le retour der la longue durée: une persective angloaméricai­ ne, Annales 70 (2015), S.  289–318; Morgan Jouvenet, Contextes et temporalités dans la socio­ logie processuale d’Andrew Abbott, Annales 71 (2016), S.  597–630. 589   Die „prozessuale Ontologie“ (Andrew Abbott, Processual Sociology, Chicago: Universi­ ty of Chicago Press 2010) ist mehr als die Analyse einer „Evolution“, die immer schon die Einheit des Systems voraussetzt; vgl. zur grenzüberschreitenden Verbreitung von Denkmus­ tern zwischen wissenschaftlichen Dsiziplinen ders., Chaos of Disciplines, Chicago: University of Chicago Press 2001. 586 587

Zwischenbemerkung zur Methode

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Zwischenbemerkung zur Methode Diese Überlegung gibt Anlass zu einer Zwischenbemerkung zur Methode: Die­ se Arbeit geht davon aus, dass es für kulturelle Entwicklungen keine einfachen Kausalitäten gibt. Weder die Unterstellung eines Gesamtzusammenhangs („Geist“) des römischen (oder später auch des germanischen Rechts, wie dies in der deutschen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts verbreitet war)590 noch die Fixierung auf bestimmte ausgezeichnete Erscheinungsformen der grie­ chisch-römischen Kultur („Souveränität“ oder „Homo sacer“591 oder Foucaults „Sorge um das Selbst“) lassen sich für weitreichende Zuschreibungen von Kau­ salzusammenhängen oder die Reproduktion relativ stabiler Trajektorien in An­ schlag bringen. Dennoch muss mit bestimmten nicht hintergehbaren Unterstel­ lungen gearbeitet werden, wenn etwa die Herausbildung des subjektiven Rechts auf der einen Seite oder der Universalismus des Rechtssystems auf der anderen Seite beobachtet und beschrieben werden soll. In diese Beobachtungen gehen immer Erwartungen ein, die von der Beobachtung gegenwärtiger Rechtsver­ hältnisse bestimmt werden, Erwartungen, die zwangsläufig den Referenzrah­ men für historische Beobachtungen bilden. Jedenfalls stellt sich die Frage, wann und wie das subjektive Recht (und das Rechtssubjekt) sowie die „isolierbaren“ Formen592 des modernen Rechts (im Sinne von F.  Schulz), entstanden sind. Hier wird die Auffassung vertreten, dass die Beschreibung weder bei der „ersten“ ausdrücklichen Frage nach der Unterscheidbarkeit dieser beiden Phänomene einsetzen kann (für das subjektive Recht zum Beispiel die Schriften Ockhams593) noch bei der Herausbildung der ersten Erscheinungsformen der Zurechnung von situativen Konstellationen auf Personen im griechischen Recht (im Zusam­ 590   Vgl. nur Giovanni Tabacco, The Struggle for Power in Medieval Italy. Structures of Po­ litical Rule, Cambridge: Cambridge UP, S.  22. Damit ist zugleich eine Geschichtsteleologie verbunden, die die deutsche (Rechts-)Kultur als Einheit unterstellt, die ihre Apotheose im Deutschen Kaiserreich findet. 591   Giorgio Agamben, Homo sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2002; kritisch Lowrie (Fn.  92 – Sovereignty Before the Law), S.  31, 55. Das römische Recht hat, gerade weil es noch kein im vollen Umfang ausdifferenziertes Recht war, nicht mit den von Agamben unterstellten scharfen Unterscheidungen gearbeitet. Das Prob­ lem kritischer Theorien des Rechts besteht vor allem darin, dass sie die praktische Verschlei­ fung des Rechts mit der Dynamik der sich permanent in der westlichen Welt „fern vom Gleichgewicht“ (I.  Prigogine) befindenden Wissensprozesse missachten und deren Wirkung in einer „enthüllenden“ Geste der „Performativität“ bestimmter Sprachformen zuweisen. Vgl. zu Untersuchung der realen Bedeutung der Figur des „homo sacer“ Roberto Fiori, Homo sa­ cer: Dinamica politico-costituzionale di una sanzione giuridico-religiosa, Neapel: Jovene 1996. 592   Schulz (Fn.  24 – Prinzipien des römischen Rechts), S.  19. 593   Vor allem Brian Tierney: vgl. z. B. Religion and Rights: A Medieval Perspective, Journal of Law and Religion 5 (1987), S.  163–177, 163.

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menhang mit den ersten oben beschriebenen Prozeduralisierungen) oder im römischen Recht. Stattdessen wird hier davon ausgegangen, dass die charakte­ ristischen Merkmale des westlichen Rechts gerade durch die Pluralität des Zu­ sammentreffens unterschiedlicher kultureller Voraussetzungen und die Vielfalt der „Ursachen“ bestimmt werden, die dieser Entstehung einen emergenten, pro­ zesshaften Charakter geben, der aus einem Zusammenspiel relativ variabler und andererseits konstanter Komponenten generieren. Dass das römische Recht „Freiheit“ nur als faktische Handlungsmöglichkeit „unter“ dem Recht zu­ gestanden hat, ist weitaus weniger wichtig für die Entwicklung des subjektiven Rechts als die transsubjektiv, zwischen den Individuen wirkende „pragmatische Epistemologie“ des objektiven Rechts, die den Prozess des gesellschaftlichen Experimentierens mit dem Wissen „der Anderen“ in Gang hält. Da dieser Prozess nicht frei von Zufällen ist, lässt sich ein solches emergentes Phänomen nur ex post mit einem gewissen Anspruch auf Plausibilität konstru­ ieren. Vor allem aber muss angenommen werden, dass die Möglichkeit der aus­ drücklichen Beschreibung des subjektiven Rechts selbst594 durch einen multipo­ laren Prozess in der Zeit vorbereitet worden ist, der in das Rechtssystem eine „Unruhe“ eingetragen hat, die die Bedingung für die Emergenz des subjektiven Rechts und des universalistischen Rechtsdenkens gesetzt hat, ohne die dessen Entstehung nicht möglich gewesen wäre. Das Denken der Universalität des Christentums – die im Gegensatz sowohl zur jüdischen Singularität des „Bundes“ eines Volkes mit Gott als auch der paganen römischen Zivilreligion steht – reduziert sich bei Paulus in der Lesart A.  Badi­ ous595 auf das universelle Gesetz der Subjektivierung, das auf der Anerkennung einer Wahrheit durch die Individuen basiert. Diese Anerkennung einer „Wahr­ heit für alle“ annulliert nach Alain Badiou die Singularität der Individuen und verwandelt sie in „irgendjemand“ („quelconque“).596 (Diese Auffassung findet sich auch schon in Foucaults Konzept der Subjektivität.) Identität ist dann letzt­ lich nichts anderes als die leere „Identifikation durch das Gesetz“ – und mit dem 594   Tierney, ebd.; vgl. auch Seagrave (Fn.  483 – How Old Are Modern Rights?). ders., Iden­ tity and Diversity in the History of Ideas: A Reply to Brian Tierney, Journal of the History of Ideas 73 (2012), S.  163–166, der das moderne subjektive Recht im Bruch mit dem früheren, insbesondere dem mittelalterlichen Recht begründet sieht; dagegen bringt Tierney die Multi­ polarität der historischen Prozesse in Anschlag, die zur Herausbildung des subjektiven Rechts geführt haben, Brian Tierney, Response to Adam Seagrave’s „How Old Are Modern Rights? On the Lockean Roots of Contemporary Human Rights Discourse“, Journal of the History of Ideas 2011 (72), S.  461–468. 595   Badiou (Fn.  17 – Paulus); dazu Anoush Ganjipour, Si c’est un nom: L’universel intensif, Critique 2016, Nr.  833, S.  807–822. 596   Ganjipour, ebd.

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Gesetz, so wäre hinzuzufügen. Damit wird aber das spezifisch religiöse Mo­ ment der christlichen Universalität überspielt. Die Geburt Christi ist danach das Ereignis, das den Bruch der körperlichen Existenz, der Bindung an und durch die Tradition, überführt in eine nicht mehr hierarchisch bestimmte Ein­ heit in einer neuen Gemeinschaft, die für die Transformation offen ist.597 So entsteht ein pathologisches Spannungsverhältnis zwischen der universellen Ge­ meinschaft der Gläubigen und der Zugehörigkeit zur u. a. römischen Kultur – die ihrerseits ein die Tradition überschießendes abstraktes Moment zur Gel­ tung gebracht hat und sich damit für die Christianisierung geöffnet hat. Die göttliche Gabe des Lebens ist eine creatio ex nihilo, aber sie ist darin ein Wer­ den, das Werden eines „Self that is not One“.598 Dieses Moment des Werdens impliziert die Möglichkeit des Anschlusses an die römische Konzeption der Bildung, die auch die Aneignung der römischen Kultur umfasst. Darin ist zu­ gleich die Möglichkeit des Wandels allgemein angelegt, die von den Bedingun­ gen der gegebenen Kultur geprägt wird.599 Es entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen der universellen Gemeinschaft der Gläubigen und der Zugehörigkeit zur u. a. römischen Kultur – die ihrerseits ein die Tradition überschießendes abstraktes Moment zur Geltung gebracht hat. In dieser Perspektive wird in Badious Schrift von einem problematischen Verständnis der Universalität und der Subjektivität ausgegangen: Beide Begriffe scheinen auf die Unterstellung der logischen Notwendigkeit eines leeren An­ fangs, eine creatio ex nihilo festgelegt zu sein. Was den Christen durch das Ge­ setz Christi aufgegeben (nicht vorgegeben) wird, ist aber alles andere als die Annahme eines Gesetzes. Vielmehr wird ihnen das praktische wie das ideelle Arbeiten an einem unfertig formulierten Ziel vorgegeben, das sowohl im Vor­ ausblick auf die Zukunft des Christentums als auch im Rückblick auf die vorge­ fundenen römisch-griechische Kultur auf den Glauben (nicht die Wahrheit) verweist. Darin ist eine für die Kultur der Spätantike charakteristische produk­ tive Ambivalenz enthalten, die unterschiedliche Lesarten zulässt. Weder ist ge­ klärt, was das Gesetz Christi für den Entwurf der Zukunft aussagt, noch ist si­ cher, was aus der römischen Kultur übernommen werden kann. Das Christen­ tum vollzieht einen Bruch mit den früheren Religionen (Judentum und paganes Weltverständnis), ohne aber alle Referenzen auf das Bestehende zu verwerfen. 597   Boyarin (Fn.  301 – A Radical Jew), S.  106; Berzon (Fn.  301 – „O, Foolish Galatians!“), S.  461. 598   Deirdre Nicole Green, A Self that is Not One. Kierkegard, Niebuhr, and Saiving on the Sin of Selflessness, Journal of Religion 97 (2017), S.  151–180. 599   Dies lässt zugleich Rückbildungen, Blockierungen und Pluralisierungen zu, aber nicht die dauerhafte Stilllegung der Unruhe des Suchens nach dem jeweils historisch möglichen „Text“.

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Die neue Universalität setzt bei der Notwendigkeit eines Prozesses der Ausein­ andersetzung mit der historischen „Zugehörigkeit“ ein, von der der Glaube aus­ gehen muss600 – aber eben nicht von einem völligen Bruch mit den lokalen Tra­ ditionen.601 Damit wird eine prozesshaft verfahrende „hermeneutische Ver­ nunft“ instituiert (die Salanskis „raison transmissive“ nennt602), der die dem Christentum zugeschriebene Logik der Gründung fremd ist. Es geht dann eher um eine paradoxe „Topik des Universellen“, einen „Archipel“ der Erzeugung von historischem Sinn in multipler Form603, von dessen „Orten“ aus immer wie­ der neue Grenzen sichtbar sind und überschritten werden.604 Dies indiziert die „notwendige Unvollendung“ („inachèvement essentiel“) des Prozesses auch der Universalisierung des Rechts und der Rechte. Der Prozess schließt immer ande­ res aus, ohne es aber einfach beiseite zu schieben. Das Ausgeschlossene kann in einer anderen Form in den Raum der Möglichkeiten wieder eingeführt wer­ den605, der aber selbst nicht hintergehbar ist, wenn man in ihm in der neueren Lesart „des“ Ödipus den Zwang zur Produktion von Differenzierungsregeln verkörpert sieht. Die „Kontextualiiserung“ der Subjekte, ihr Leben nach geteil­ ten, nicht notwendig akzeptierten, aber doch zu verinnerlichenden Regeln des gesellschaftlichen „Dritten“606 , der aber nicht einfach der Staat ist, bilden das Gesetz, gegen das man sich nicht auflehnen kann. Die Bewegung der Differenzen und ihrer Regeln ist nur als eine textuelle Ra­ tionalität607 der historischen Generierung unterschiedlicher Effekte von Uni­ versalität und von Subjektivität, als variabler multipolarer Prozess von Selbst­ verstrickungen in das Gewebe von Schriften und Praktiken denkbar.608 Auch dies wäre eher eine prozedurale Rationalität vor dem Gesetz609, die mit Entwür­   Jean-Michel Salanskis, Talmud, science et philosophie, Paris: Les Belles Lettres 2004, S.  311, 313. 601   Berzon (Fn.  301 – „O, Foolish Galatians!“), S.  466; Karen L.  King, Factions, Variety, Di­ versity, Multiplicity: Representing Early Christian Difference for the 21st Century, Method and Theory in the Study of religion 23 (2011), S.  216–237. 602   Salanskis (Fn.  600 – Talmud), S.  314. 603  Zu Elie During, L’universel en archipel, Critique 2016, Nr.  833, 789–806. 604   Thomas-Fogiel (Fn.  241 – Le lieu de l’universel), betont für den Prozess der Wahrheit diese Kontinuität und Dikontinuität der Setzung und Überwindung von Grenzen. Die Set­ zung oder – so wäre ergänzend hinzuzufügen – die Anerkennung von Grenzen des Mögli­ chen ist notwendig, damit unter Bedingungen von Ungewissheit gehandelt werden kann. Zugleich werden dadurch aber die Grenzen selbst in Frage gestellt. 605   Vgl. dazu im Hinblick auf die Möglichkeit der „Wahrheit“ Thomas-Fogiel (Fn.  241– Le lieu de l’universel) – dies lässt sich auch auf die Universalisierung des Rechts und der Rechte übertragen. 606   Lévy-Soussan (Fn.  67 – Oedipe: de la fiction psychique à la fiction juridique). 607   Jean-Michel Salanskis, Territoires de sens, Paris: Vrin 2007, S.  227. 608   During (Fn.  603 – L’universel en archipel), S.  792; Salanskis (Fn.  588 – Talmud), S.  311. 609   Ladeur (Fn.  25 – Prozeduralisierung zweiter Ordnung). 600

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fen operiert, die Faktizität und Normativität miteinander verschleifen. Diese Logik der azentrischen transsubjektiven Generierung von Sinn im allgemeinen und Normativität im besonderen aus einer multipolaren Welt in Bewegung ist das, was vor allem das westliche Denken auszeichnet: der permanente Prozess des Aufbaus und des Ausprobierens von möglichem Sinn in einer heterogenen multipolaren Kultur. Das, was „Identität“ in der Postmoderne ausmacht, ist eine „mélange de déliaison/organisation“, d. h. unterschiedliche Gruppen bil­ den durch Austritt aus dem gesellschaftlichen Prozess der Symbolisierung, der spannungsreichen Konstruktion, Dekonstruktion und Rekonstruktion des Verhältnisses von Universellem und Singulärem ihr je eigenes Muster einer umkehrenden Unterwerfung des Universellen unter das Singuläre.610 Das christliche Denken selbst enthielt eine Fülle von Elementen, die die Vorbe­ dingungen für die Entstehung subjektiver Rechte waren.611 Auch der Dualismus von Papsttum und Kaisertum hat einen Freiheit fördernden Charakter, weil die Einheit der Staatsgewalt aufgegeben wurde.612 Dabei wird mitgedacht, dass vor allem die Funktionsweise des subjektiven Rechts, aber auch des Universalismus im Einzelnen sehr voraussetzungsvoll sind und ohne einen produktiven Kon­ text des Operierens613 mit subjektiven Rechten und mit einer sich selbst verstär­ kenden Resonanz im Prozess des Wissens der Gesellschaft nicht entwicklungs­ fähig ist oder nur in einem larvierten Format auftritt. So ist schon mehrfach die Annahme formuliert worden, dass die Entwicklung des Wissens in der spätan­ tiken sowie später der mittelalterlichen Stadt für die Entfaltung der rationalen „Scheidekunst“ des römischen Rechts614 ohne ihre Konservierung durch die spätantike Bürokratie und das kirchliche Recht – auf das noch einzugehen ist – sich nicht hätte entwickeln können.615 Zugleich lässt die hier entwickelte Per­ spektive auch eine Erweiterung des Beschreibungs- und Beobachtungshori­ zonts zu, die es erlaubt, die Komplexität einer nicht linear verlaufenden Emer­ genz zu denken und die Unterstellung einfacher linearer Verläufe zu vermeiden. Vor allem der vergleichende Blick auf die Evolution des islamischen Rechts, dessen Entwicklung sehr viel stärker von der Religion beeinflusst worden ist, legt die Annahme nahe, dass die Entstehung der beiden Rechtstraditionen auch  Vgl. Richard (Fn.  153 – L’actuel malaise), S.  223.   Tierney (Fn.  593 – Religion and Rights), S.  163–177, 163. 612   Brian Tierney, Religion, Law and the Growth of Constitutional Thought: 1150–1650, Cambridge: Cambridge UP 1982, S.  10. 613   Thomas (Fn.  92 – Opérations du droit). 614   Schulz (Fn.  65 – Geschichte der römischen Rechtswissenschaft), S.  19; Steinhauer (Fn.  21 – Vom Scheiden). 615   Rosamond McKitterick, Introduction, in: dies. (Hrsg.), The Uses of Literacy in Early Medieval Europe, Cambridge: Cambridge UP 1990, S.  1, 7. 610 611

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von der Wirkung der „Vorläufer“ (römisches Recht, Entwicklung der Stadt, die griechische Philosophie) mitbestimmt worden ist bzw. von deren Abwesenheit oder Schwäche in der Entwicklung des islamischen Rechtsdenkens. Das subjektive Recht ist nicht ohne Öffnung der christlichen Religion für das unmittelbare Verhältnis des Individuums zu Gott und damit dem Bruch mit der historisch vorfindlichen lokalen Gemeinschaft mit dem Denken in einer ebenso vorfindlichen Kosmologie wie bei den Griechen vorstellbar. Von diesen Überlegungen wird auch der Blick auf das kanonische Recht in der Kirche, das Wiederaufleben des Interesses am römischen Recht und der Aufschwung der (vor allem norditalienischen) Stadt im Hochmittelalter bestimmt616: Auch diese Entwicklungen werden sicher im Lichte der späteren Herausbildung des subjek­ tiven Rechts interpretiert, zugleich wird aber exemplarisch das nicht-lineare Moment der Rechtsbildung auf diese Weise beschreibbar und interpretierbar. Dem entspricht auch das multipolare Selbst des Menschen in der Spätantike, wie es E.  Rebillard617 im Anschluss an B.  Lahire618 formuliert – die „interne Plu­ ralität“ des kulturellen Gedächtnisses, wie sie sich in der Spätantike herausge­ bildet hatte, legte den Grund für die Entwicklung der Öffnung des Rechts durch das subjektive Recht und die Konstruktion des Rechtssubjekts sowie den Uni­ versalismus des „objektiven“ Rechts. Es liegt aber die Vermutung nahe, dass erst die Entwicklung einer neuen städtischen Wissenskultur in norditalienischen Städten des Hochmittelalters die darin enthaltenen Möglichkeiten zur Entfal­ tung bringen konnten. Die Entwicklung des praktischen Wissens in Wirtschaft und Wissenschaft blieb zunächst hinter den kulturellen und rechtlichen Mög­ lichkeiten zurück. Wegen der unterschiedlichen Quellen der spätrömischen Kultur und ihres Wissens sowie der Unvollständigkeit des Christentums, das wie gezeigt – kei­ neswegs eine neue Kultur an die Stelle der älteren setzen konnte, verfügten die gesellschaftlichen Akteure über unterschiedliche soziale und kulturelle „Skrip­ ten“, die je nach der Konstellation vor allem im Alltag christliches Denken und pagane kulturelle Figuren und Praktiken des Urteilens aufriefen. Wiederum im Anschluss an E.  Rebillard619 lässt sich von einem „lateralen Arrangement“, von einer heterarchischen Kartierung des spätantiken Bewusstseins sprechen; Re­ billard sieht die mangelnde Konsistenz der Individualitäten, die durch Grup­ 616   Für die Reformation vgl. John Witte jr., Law and Protestantism. The Legal Teachings of the Lutheran Reformation, Cambridge: Cambridge UP 2002, S.  77. 617   Rebillard (Fn.  122 – Christians and Their Many Identities), S.  3. 618   Bernard Lahire, L’homme pluriel: Les ressorts de l’action, Paris: Armand Colin 2005, S.  54. 619   Rebillard (Fn.  122 – Christians), S.  91; dort (S.  130) wird dieses Oszillieren der Individu­ alitätsformen als „intermittency“, als „Unstetigkeit“, charakterisiert.

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penzugehörigkeiten in Grenzen gehalten wurde. Die christliche Dimension der Handlungs- und Denkmuster wurde nur bei Gelegenheit aktiviert. Viele Prak­ tiken und Lebensformen der paganen Welt existierten unverändert fort. Auch für die politischen Verhältnisse lässt sich nicht von einer Christianisierung im strengeren Sinne sprechen. Der Schwerpunkt des christlichen Denkens lag eher auf dem Gebiet der Moral als auf dem der Politik. Diese Heterogenität der spätantiken Kultur war aber charakteristisch sowohl für die Kombinatorik un­ terschiedlicher Lebenswelten als auch für die Formierung der spätantiken „Selbstverhältnisse“, die alles andere als Einheit zum Ausdruck brachten.

VI.  Die Wiedergewinnung der Varietät der römischen Rechtskultur im Mittelalter 1.  Der Übergang zum kanonischen Recht des Mittelalters und der Aufschwung des römischen Rechts a)  Die Bedeutung des kanonischen Rechts für den Übergang zum neuzeitlichen westlichen Recht In der Spätantike waren das kirchliche und das weltliche Recht vielfach nur wenig voneinander getrennt. Die Integrationsleitung der Kirche für die weltli­ che Herrschaft der Kaiser entsprach deren Anspruch, auch kirchliche Angele­ genheiten durch „staatliches“ Recht regeln zu können. So bestand ein erhebli­ cher Teil des Codex Theodosius620 aus – im modernen Sinne – Regelungen für kirchliche Angelegenheiten. Nach dem Ende des (weströmischen) Reiches kam es aber erst in der Karolinger Zeit zu systematischen Sammlungen des kirchli­ chen Rechts.621 Es ist bezeichnend, dass die ersten Sammlungen von Karl dem Großen angeregt worden sind, und zwar zu Beginn des 9. Jahrhunderts. Am Ende des 9. Jahrhunderts entstand eine neue Sammlung von eher „privater“ Na­ tur622 , das heißt, sie entstand ohne den Auftrag der Kirche. Weitere Sammlun­ gen folgten. Erst im 13. Jahrhundert entstand die erste offizielle Sammlung des kanonischen Rechts, die auch deutlicher zwischen theologischen und rechtli­ chen Gegenständen unterschied.623 Sie wurde auch der neu entstanden juristi­ schen Fakultät von Bologna übersandt. Seit dieser Zeit ist das kanonische Recht auch zum Gegenstand der Lehre in den neu entstehenden Universitäten gewor­ den, die sich aber weitgehend unabhängig von der Kirche entfalten konnte.624 Auch dies ist ein interessantes Phänomen, das die Offenheit der Kirche für die 620   Dies war nicht ohne Konsequenz, weil das christliche Rechtsverständnis von der Vor­ stellung geprägt war, dass die Kaiser Zugang zu den göttlichen Rechtsregeln hatten, Humfress (Fn.  32 – Orthodoxy), S.  1. 621   Bamberg (Fn.  539 – Histoire du droit canonique), S.  13. 622   Bamberg, ebd., S.  15. 623   Bamberg, ebd., S.  13. 624   Richard Helmholz, Kanonisches Recht und europäische Rechtskultur, Tübingen: Mohr 2014, S.  7.

1.  Der Übergang zum kanonischen Rechts des Mittelalters

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wissenschaftliche Befassung mit dem kirchlichen Recht indiziert. Es ist sicher kein Zufall, dass die zumindest teilweise von der Kirche unabhängige eigen­ ständige Entwicklung des kanonischen Rechts seit dem 13. Jahrhundert mit dem Wiederaufleben des römischen Rechts im Allgemeinen zusammentraf. Zugleich zeigt sich, dass das römische Recht selbst, auch wenn es im Mittel­ meerraum praktisch nur noch wenig Bedeutung nach dem Ende des römischen Reiches gehabt hat, nicht tot war, sondern sich sowohl in den kirchlichen als auch in der städtischen Institutionen als Teil des kulturelle Wissens erhalten, wenngleich auch nicht mehr weiterentwickelt hat. Das neue praktische und wissenschaftliche, von zeitgenössischen Problemen bestimmte Interesse am rö­ mischen Recht wurde durch die Entwicklung der Scholastik in der Theologie abgestützt und beeinflusst. Dies war deshalb möglich, weil die Scholastik keine rein kirchliche Lehre war, sondern eine Methodik der Untersuchung des Ver­ gleichs, der Koordination und Subordination sowie zur Interpretation von Textstellen im großen Korpus der heiligen Texte diente. Da sie sich dabei weit­ gehend rationaler Methoden der Textanalyse bediente, eine Nachwirkung der Integration des römischen Rechts und der griechischen Philosophie in die kirchliche Lehre von den heiligen Schriften, war sie auch für die Weiterent­ wicklung einer Methode des römischen Rechts anschlussfähig, die nicht mehr die Kontinuität eines Zusammenhangs mit der Tradition der „mos maiorum“ voraussetzen konnte, sondern stärker am Text orientiert war. Kanonisches Recht ist ebenso wie das römische auf die Beobachtung der Welt angelegt, wenngleich diese als Inbegriff der offenbarten Dinge angesehen wird, die im­ mer wieder neu angeeignet werden müssen.625 b)  Der Wiederaufschwung des römischen Rechts und die städtische Kultur Mittelalter: Für das frühe und das Hochmittelalter muss es im Rahmen dieses Textes mit einigen skizzenhaften Überlegungen im Blick auf das Wiederaufle­ ben des römischen Rechts etwa um das Jahr 1000 sein Bewenden haben. Das römische Recht hat in den fragmentierten Herrschafts- und Lebensverhältnis­ sen der Feudalordnung zwar immer eine praktisch begrenzte Rolle gespielt, über die im frühen Mittelalter nur wenige Quellen Auskunft geben können. Je­ denfalls ist aber anzunehmen, dass das römische Recht zwar – neben dem ger­ manischen (seinerseits Gewohnheitsrechten) anerkannt blieb –, ob es aber nen­ nenswerte Bedeutung für die Ordnung juristischer „Operationen“ gehabt hat, ist aber zweifelhaft.626 Jedenfalls hat es als eine eher larvierte Rechtskultur sozu­ 625   Vgl. in moderner Perspektive Philippe Greiner, Fides et ratio: Perspectives pour guider la recherche en droit canonique, Transversalités 110 (2009), S.  163–168. 626   Vgl. allg. Paul Vinogradoff, Roman Law in Medieval Europe, 3.  Aufl., Oxford: Oxford UP.

122 VI.  Die Wiedergewinnung der Varietät der römischen Rechtskultur im Mittelalter sagen im Ruhestand seine Bedeutung insofern erhalten, als es den neuen Auf­ schwung im 10. Jahrhundert erst ermöglicht hat. Die Texte des römischen Rechts mögen für die Rechtsanwendung weniger bedeutsam als Rechtsnormen denn als philosophisches, kulturelles und vor allem praktisches Wissen gewe­ sen sein. Es war sozusagen ein Speicher für einen Bestand von juristischen For­ men und Handlungsmustern, der „auf Abruf“ bereitlag. Die mittelalterliche Welt war weitgehend eine „ent-urbanisierte“ Welt, die nicht über das Irritati­ onspotential einer städtischen Kultur verfügte. Das römische Rechtsdenken war demgegenüber, wie mehrfach gezeigt, von der Vielfalt des Wissens und der Praktiken der Stadt als „Resonanzboden“ abhängig gewesen. Die Spannungen zwischen Papsttum und Kaiser haben aber ebenso wie die zersplitterte Feudal­ ordnung auch dazu beigetragen, ein Reservoir an Möglichkeiten für die unter­ schiedlichen Trajektorien künftiger Entwicklung bereitzuhalten. Dazu gehört auch die Möglichkeit der Entfaltung sowohl des subjektiven Rechts als auch ei­ ner universalistischen Rechtsordnung, wie sie potentiell schon im römischen Recht angelegt, aber nicht entfaltet war. Über die Theologie waren zugleich Ein­ flüsse für ein Wiederaufleben der (griechischen) Philosophie „im Wartestand“ konserviert wie die Bedingungen der Entwicklung der Methoden des römi­ schen Rechts im Mittelalter, die über die Scholastik und die Entwicklung des kanonischen Rechts wichtige Impulse erhielt.627 Das wiederauflebende römi­ sche Recht erkannte sich sozusagen im Spiegel des kanonischen Rechts wieder und war, losgelöst von den Traditionen Roms, in der Lage, Ansätze zu einem universalistischen Rechtsdenken zu entfalten. Die Kultur des Spätmittelalters und der Beginn der Renaissance war bestimmt von einer größeren Distanznah­ me zwischen der wiederentdeckten und wieder angeeigneten römischen Kultur, die aus ihrem alten Kontext herausgelöst worden ist, und dem Selbst der Juris­ ten, Theologen, Kaufleute etc., was eine größere Abstraktionsleistung ermög­ lichte. Das römische Recht musste wieder „eingesetzt“ werden und erzeugte dadurch – ähnlich wie in der Kunst – die Bedingungen für eine abstraktere Lesart des römischen Rechts und schuf dadurch zugleich die Bedingungen für die Entstehung eines flexibleren, abstrakteren universalistischen Rechtsden­ kens einerseits sowie andererseits eines abstrakten Verständnisses des subjekti­ ven Rechts.628 Neue und andere Wissensarten wurden in den Horizont des   Vgl. allg. zur Bedeutung der Scholastik Marrou (Fn.  4 46 – St. Augustin), S.  159.   Legendre (Fn.  254 – L’autre Bible de l’occident), S.  91 ff., interpretiert diesen Vorgang, der hier sozusagen „von unten“, im Blick auf die Gesellschaft, als Ermöglichung neuer Rechts­ verhältnisse interpretiert wird, in einer etatistischen Perspektive „von oben“: Die „abstractivité généralisée“ bilde den Anfang der „délires généalogiques abstraits“ (Herv. i. Orig.) des tota­ litären Staates des 20. Jahrhunderts. Schon der Perspektivenwechsel ist wenig überzeugend, da es um die erste Jahrtausendwende noch gar keinen Staat im neuzeitlichen Sinne gab; im Übrigen kann man den totalitären Systemen, die in ihren totalitären Erscheinungsformen im 627

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1.  Der Übergang zum kanonischen Rechts des Mittelalters

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Rechts einbezogen. Dies wurde möglich durch die Aktivierung der Verknüp­ fungen zwischen den kulturellen Wissensbeständen des Rechts, der Religion, der Philosophie und der Kunst, die übergreifende diskursive Felder erzeugen. Dies ist ein charakteristisches Merkmal der westlichen Kultur. Darüber werden die Formen und Figuren über die Grenzen der gesellschaftlichen Teilsysteme hinaus rezipiert. Die hier sogenannte (Wieder-)Einsetzung des römischen Rechts folgt einer prozesshaft distribuierten experimentellen Logik; sie kann nicht als eine „Instrumentalisierung“ für die Zwecke der Entwicklung einer „Rechtsprechung ohne territoriale Grenzen“ durch das Christentum gelesen werden.629 Trotz der Krise des Papsttums, insbesondere in den Zeiten, in denen Gegen­ päpste die Einheit der Kirche infrage stellten, gelang es durch das Wirken eini­ ger großer Päpste, wie Papst Gregor, die Entwicklung einer eigenständigen sta­ bilen Form der Souveränität zu entwickeln, die die Vorarbeit für den späteren neuzeitlichen Staat bieten konnten. Demgegenüber waren die Fragmentierun­ gen der Feudalordnung der Grund für eine politische Krise, die die Gesellschaft durch „zu viele“ gleichzeitig auftretende Herausforderungen überforderte (man denke nur an den wirtschaftlichen Niedergang, an die kriegerischen Zerstörun­ gen, den Niedergang der Institutionen des Reiches, schließlich das Ende des weströmischen Reiches, die Christianisierung, Germanisierung etc.). Pluralität ist ein wichtiges Merkmal der Produktivität der westlichen Kultur gewesen, aber Pluralität kann auch in eine chaotische Struktur führen, wenn sich keine kulturellen oder wirtschaftlichen „Attraktoren“ herausbilden, die eine „Ord­ nung fern vom Gleichgewicht“ ermöglichen. So lässt sich vielleicht die frühmit­ telalterliche Gesellschaft als ein Zustand charakterisieren, der sich auch in ei­ nem Mangel an überzeugenden ordnungsbildenden politischen Modellen nie­ derschlug. Auch die politische Ordnung des „Heiligen römischen Reiches deutscher Nation“ war ein Ausdruck dieser Schwäche. Dementsprechend war auch die politische Ordnung in den Städten sehr heterogen, ein Zustand, der der Herausbildung modellhafter, anschlussfähiger Ordnungsmuster im Wege stand. Vor allem Tabacco630 hat am Beispiel der oberitalienischen Städte gezeigt, wie schwierig auch die lokale Integration der Stadtgesellschaft während der wirtschaftlichen Krise war. Grunde keine Staaten mehr waren, sondern eher „Bewegungen“, kaum einen Abstraktionis­ mus vorwerfen. 629   So aber Legendre (Fn.  254 – L’autre Bible de l’occident), S.  161; das römische Recht war ursprünglich kein staatliches Recht im neuzeitlichen Sinne, deshalb kann es auch nicht das „Material und der notwendige Rahmen der normativen Kreativität der Staaten“ sein, ebd., S.  174. 630   Tabacco (Fn.  585 – Sperimentazioni del potere nell’alto medievo), S.  250, 297 f.

124 VI.  Die Wiedergewinnung der Varietät der römischen Rechtskultur im Mittelalter

2.  Fragmentierung als Chance und Problem a)  Die Wiedergewinnung der Varietät der römischen Rechtskultur Während sich in Byzanz eine relativ zentralisierte rigide Form bürokratischer Herrschaft herausbilden konnte, kam es in den ehemaligen weströmischen Ge­ bieten wegen der Schwäche der staatlichen Ebene, aber auch wegen der Hetero­ genität der politischen Gruppen und des Mangels einer neuen politischen Mo­ dellvorstellung zur Organisation und Integration der Stadt zu einer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Stagnation. Im Hochmittelalter übernahmen wiederum teilweise Bischöfe Aufgaben der weltlichen Verwaltung, während sich über die und zwischen den verschiedenen Gruppen ein dichtes Netzwerk aus Konventionen entfaltete. Auf dem Hintergrund der Annahme, dass die kul­ turelle Heterogenität der Feudalordnung und der mittelalterlichen Stadtgesell­ schaft wegen der Fragmentierung der Kräfte und der schwer zu koordinieren­ den Institutionen nicht nur schädlich war, sondern auch einen Experimentier­ raum eröffnete, stellt sich das Urteil, dass das römische Recht einen Niedergang erlebt habe, in dieser apodiktischen Form als problematisch dar.631 Unter ande­ rem die Bischöfe besaßen aufgrund ihrer kulturellen Stellung große Bedeutung für die Herausbildung eines Vertrauens in ein neues „Gemeinwohl“, das zu­ nächst nur einen städtischen Bezug hatte. Zugleich entwickelten sich in italieni­ schen wie in deutschen Städten kooperative Organisationen (Zünfte632 etc.), die eine wichtige Rolle bei der Ermöglichung der Herausbildung lokaler Normen spielten, andererseits aber dem Wandel eher skeptisch gegenüberstanden. Dies war jedenfalls kein politischer und kultureller Kontext, in dem sich der Univer­ salismus des Rechts hätte entwickeln können. Es ist aber bezeichnend für die Produktivität, die dieser Experimentierraum auch hervorgebracht hat, dass sich vor allem in oberitalienischen Städten633 lokale kooperative Institutionen zu­ nächst vereinzelt, dann aber immer mehr auf die Öffnung der lokalen Ordnung für weniger kontrollierbare prozesshafte neue Formen des überregionalen Han­ dels einließen. Dies ist ein bemerkenswertes Phänomen, da in vielen Regionen und zu unterschiedlichen Zeiten korporatistische Institutionen eher dazu nei­ gen, Veränderungen zu blockieren. Dass dies in den oberitalienischen Städten z. T. anders war ist m. E. durchaus auf das Fortwirken des römischen kulturellen Paradigmas der kognitiven, ihre eigene Praxis systematisierenden „sozialen Epistemologie“ des Ausprobierens und des Fortschreitens von Fall zu Fall zu­ rückzuführen. Die Kaufmannsgilden waren im 11. und 12. Jahrhundert immer   Tabacco (Fn.  590– Struggle for Power), S.  1.   Berman (Fn.  537 – Recht und Religion), S.  564, 569. 633   Liebeschütz (Fn.  526 –Decline and Fall of the Roman City), S.  415. 631

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2.  Fragmentierung als Chance und Problem

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wieder bereit, auf die Durchsetzung der korporatistischen Normen zugunsten von Einzelnen zu verzichten, wenn es der lokalen Macht gelang, dafür rechtli­ chen Schutz zu gewährleisten.634 Dazu trug auch die Konkurrenz zwischen den Städten bei. Das griechisch-römische rationale Denken und die darauf aufbauende Rechtskultur standen Innovationen nicht von vornherein feindselig gegenüber, da sich das prozedurale Denken für die Entstehung des Neuen schon früher geöffnet hatte und auch die Bedeutung des Individuums und seines Handelns nicht zuletzt im Zusammenwirken von griechisch-römischer Kultur und christlichem Denken herausgebildet hatte. Dieses Zusammenwirken lässt sich nicht in einer traditionellen Ideengeschichte erfassen, die Rezeption kultureller Formen eher als bewusste Anknüpfung und Übernahme versteht. Die Perspek­ tive verändert sich, wenn man historischen Sinn nicht als Produkt subjektiven Verstehens (auch nicht nur im hermeneutischen Zirkel des an andere anknüp­ fenden Verstehens) betrachtet, sondern als „avènement-événément“635, als das impersonale Sich-Ereignen sprachlichen Sinns in kulturellen Kontexten be­ greift. Auch dafür bedarf es eines methodischen Anknüpfungspunkts: Dieser wird hier in der Beobachtung der Generierung und der Reflexion praktischen Weltwissens gesehen. Mit dem sich an seinen Erfolgen selbstverstärkenden Aufschwung der Städte, der auch auf die Erholung im oströmischen Reich zurückging, begann auch re­ flexiv und explizit die Erneuerung des Interesses am römischen Recht (Bologna, Ravenna). Nach der hier vertretenen Position muss aber davon ausgegangen werden, dass die impliziten Potentiale der Reflexivität und Erneuerung der For­ men des römischen Rechts unter dem Einfluss der Christianisierung stärker auf das Individuum und nicht mehr primär auf die Tradition der Römer („mos maiorum“) bezogen wurden. Die Erneuerung der städtischen Kultur und Wirt­ schaft ist nicht ohne die Anknüpfung an die Leistungen und Institutionen des Römischen Rechts und der griechischen Kultur in ihrer christianisierten Form denkbar. Diese Öffnung der Institutionen für individuelle Operationen als „Experi­ mente“ finden ihre Möglichkeitsbedingungen ebenfalls in produktiven Ver­ knüpfung des römischen Recht mit seiner pragmatischen Orientierung und dem Christentum: Es entsteht im Mittelalter eine Vorform des liberalen wirtschaftli­ chen Denkens, das seine Grundlage in der Variabilität des römischen Rechts und einer christlichen Vorstellung davon hat, dass aus einzelnen, nicht aus einem   Gelderblom (Fn.  574 – Cities of Commerce), S.  2.   Jean Greisch, Les multiples sens de l’expérience et l’idée de vérité, Recherche de sciences religieuses 91 (2001), S.  591–610. 634 635

126 VI.  Die Wiedergewinnung der Varietät der römischen Rechtskultur im Mittelalter Gesetz abgeleiteten Handlungen in der Welt ein produktiver Zirkel von Ver­ knüpfungen entsteht, der am Ende ein zu einem produktiven Gleichgewicht führt. Das Zusammenspiel von einzelnen Handlungen und der Herausbildung eines der göttlichen Ordnung entsprechendes, aber nicht durch Intervention zu erzeugendes Gleichgewicht entsteht.636 Dies wird bestätigt durch den verglei­ chenden Blick auf die Dominanz der Religion im Islam, der sich in der Zeit, in der die Expansion zum Erliegen kam, ganz von der griechischen Philosophie abwandte, obwohl er im frühen Mittelalter geradezu ein Hort der Überlieferung griechischer Philosophie gewesen war, deren Schriften (zum Beispiel die von Aristoteles mit Ausnahme der „Logik“) im westlichen Europa kaum noch be­ kannt waren.637 Das rationalisierende Potential der Kirchen und des römischen Rechts wurde auch durch die neu entstehenden Universitäten und Rechtsschu­ len (Bologna, Ravenna) stabilisiert und verstärkt.638 Durch die Weiterentwick­ lung des römischen Rechts (nunmehr ohne Bindung an das frühere römische Reich und die Stadt Rom) und abgestützt durch die Form der Kirche als eines Platzhalters des Universalismus und der Form der Souveränität des Staates sind nicht nur die Bedingungen für die Entstehung des subjektiven Rechts wesentlich mitgeschaffen worden, sondern auch – und dies ist eine weitere Voraussetzung, für die Entfaltung des subjektiven Rechts und des Rechtssubjekts. Durch die Scholastik ist ein methodisches Denken entfaltet worden, das mit dazu beigetra­ gen hat, aus dem städtischen Raum des Experimentierens, des Ausprobierens einen ordnungsbildenden „Attraktor“ im Spiel der unterschiedlichen Kräfte, eine „number of smaller state changes“639, zu generieren, der einen neuen Uni­ versalismus sowie die Figur des subjektiven Rechts und des Rechtssubjekts her­ vorbrachte. Explizit kam es dazu erst in den Werken Ockhams. Doch ist dies nur als eine Akzentverschiebung zu interpretieren, die ihren eigentlichen Sinn in der objektiven Vervielfältigung der praktischen Handlungsmöglichkeiten in Han­ del und Technik gefunden hat. Auch die spätere protestantische Rechtsphiloso­ phie nach der Reformation hat zunächst keine scharfe Unterscheidung zwischen ius als objektivem Recht und ius als subjektivem Recht vorgenommen640, son­ 636   Giacomo Todeschini, I mercanti e il tempio. La società cristiana e il cerchio vertuoso della richezza fra medievo e età moderna, Bologna: Il Mulino 2002; Joel Kaye, A History of Balance. 1250–1375. The Emergence of a New Model of Equilibrium and its Impact on Thought, Cambridge: Cambridge UP 2016. 637   Vgl. zum Aufschwung der westlichen Kultur im 11. Jahrhundert, insbesondere zur Wiederentdeckung von Aristoteles Marrou (Fn.  437 – St. Augustin), S.  15. 638   Brian Tierney, The Crisis of Church and State 1050–1300, Toronto: University of Toro­ nto Press 1988, S.  2, 97. 639   Stroumsa (Fn.  465 – The Making of the Abrahamic Religions), S.  7. 640   Dieter Wyduckel, Recht und Jurisprudenz im Bereich des reformierten Protestantis­ mus, in: Christoph Strohm (Hrsg.), Martin Buer und das Recht, Genf: Droz 2002, S.  1–28, 6.

2.  Fragmentierung als Chance und Problem

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dern als eine – wie Annabel Brett641 formuliert – „inter-subjective rightfulness or lawfulness“. Nur die Verstärkung der Dynamik des gesellschaftlichen Wan­ dels führt zu einer das subjektive Recht (scheinbar) als Freiheit der Wahl gegen­ über dem objektiven Recht verselbständigenden neuen Lesart, die das Offene des „Zwischen“ der transsubjektiven Prozesse nicht mehr in dem objektiven Recht glaubt subsumieren zu dürfen. Aber ein entscheidender Schritt auf diesem Weg stand schon in der Trennung der Theologie von anderen Wissenschaften, ein Schritt, der die Anerkennung des Individuums als eines rationalen Akteurs einschloss.642 Die Notwendigkeit der Etablierung und Erhaltung der Konsistenz eines „Glaubens“, der im Ein­ klang mit einer bestehenden politischen und Rechtskultur, der des römischen Reiches, bleiben musste, lässt auch das Interesse an der Dogmatik643 als Aus­ druck des Interesses an der „Auslegung der Welt“644 , der Projektion der Ein­ heitserwartungen auf den Text, verständlich erscheinen.645 Das römische Recht war aus dem Kontext der römischen kulturellen Praktiken herausgelöst worden und erlaubte als Text die Öffnung einer Perspektive auf einen unbestimmten neuen Kontext der Universalisierung. Daran konnte auch in der Entwicklung wissenschaftlichen Denkens angeknüpft werden. b)  Ohne Scholastik kein neuzeitliches Recht! Mit Whitehead646 ist anzunehmen, dass die neuzeitliche Wissenschaft nicht ohne die Vorarbeiten der Scholastik und die Vorstellung eines Schöpfergottes, der nach allgemeinen Prinzipien handelt, möglich gewesen wäre. Dies gilt auch für die Wiederentdeckung des römischen Rechts in einer neuen, europäisierten Variante. Und ohne das kanonische Recht und die Vorform der Souveränität des Papstes wären auch das neuzeitlichen Staatsdenken und der neuzeitliche Rationalismus sowie der Rekurs auf das Individuum als seines Protagonisten   Brett (Fn.  155 – Changes of State), S.  91 – Herv. i. Orig.   Tierney (Fn.  593 – Religion and Rights), S.  164; Ludger Honnefelder, Zweiter Anfang des freien Denkens, FAZ v. 16.10.2016, Nr.  250, S. N 3. 643   Stroumsa (Fn.  406 – Reading Practices), S.  179; Christopher Stead, Philosophy in Chris­ tian Antiquity, Cambridge: Cambridge UP 1994, S.  79; vgl. auch Patreigh M.  O’Cleirigh, The Meaning of Dogma in Origen, in: E. P.  Sanders (Hrsg.), Jewish and Christian Self-Definition, Band 1, London: CSM 1980, S.  201–216. 644   Taubes (Fn.  284 – Abendländische Eschatologie), S.  103. 645   Humfress (Fn.  32 – Orthodoxy), S.  199, 238; Roger Scott, The Treatment of Religion in Sixth Century Byzantine Historians and Some Questions of Religious Affiliation, in: Brouria Bitton-Ashkelony/Lorenzo Perrone (Hrsg.), Between Personal and Institutional Religion: Self, Doctrine and Practice in Late Antique Christianity, Turnhout, Belgien: Brepols Publis­ hers 2013, S.  195–225, 199, 238. 646  Vgl. Oakley (Fn.  215 – Medieval Experience), S.  168. 641

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128 VI.  Die Wiedergewinnung der Varietät der römischen Rechtskultur im Mittelalter nicht denkbar gewesen. In einer Perspektive auf das Recht wäre daran anschlie­ ßend die These zu formulieren, dass auch die subjektiven Rechte und das auto­ nome Rechtssubjekt ohne den Prozess der Christianisierung des Rechts und die darin eingeschlossenen paradoxen Elemente der Säkularisierung nicht vorstell­ bar gewesen. Vor allem lässt sich wieder zeigen, dass dieser Prozess der Weiter­ entwicklung des römischen Rechts und der griechischen Philosophie in ihrer christianisierten Version zugleich als Resonanzkörper auf die Unruhe der Wis­ sensentwicklung in den Städten angewiesen war. Im Mittelalter konnte sich auf­ grund der Vorbereitung der kulturellen Transformationen in der Spätantike ein von der Religion weitgehend getrenntes wissenschaftliches Denken entwickeln, das in den Universitäten institutionalisiert wurde und sein Entsprechungsver­ hältnis in praktischen Verfahren der Erprobung des Neuen jenseits der Traditi­ on fand, ein Prozess, der ebenfalls durch die griechischen Anfänge der Erzeu­ gung des Wissens durch Beobachtung „von Nachbar zu Nachbar“ und die An­ fänge eines wissenschaftlichen Weltbildes präfiguriert worden war.

3.  Der Übergang zum Mittelalter und die Anfänge des subjektiven Rechts a)  Der Niedergang der Wirtschaft und der Niedergang des Respekts vor der Würde des Menschen Gibbon647 legt in seiner Arbeit über den Niedergang des römischen Reiches nahe, dass die Christianisierung zu einer Barbarisierung der römischen Rechts­ kultur geführt und die Identifikation mit der „Romanitas“ geschwächt habe. Dies erscheint aber in der heutigen Diskussion über die Rolle der Spätantike in der Geschichte kaum mehr plausibel.648 Dagegen spricht schon, dass das oströ­ mische Reich sehr viel länger überlebt hat als das weströmische. Man muss eher davon ausgehen, dass die wirtschaftliche Krise und die Niederlagen in den Kriegen mit den Germanen649 und die daran anschließende Germanisierung der Kultur zu einem Verfall der um das Individuum zentrierten Komponenten des Rechts und zur Unterbrechung der Entwicklung universalistischer Strö­   Gibbon (Fn.  517 – History of the Decline and Fall).   Unter den modernen Autoren betont vor allem Bryan Ward-Perkins (The Fall of Rome: and the End of Civilization, Oxford: Oxford UP 2006) die endogenen Faktoren, die zum „Nie­ dergang“ Roms beigetragen haben; vgl. auch Heather (Fn.  116 – Untergang des Römischen Reichs). 649   Die exogenen Faktoren (die im Gegensatz zu Theorien über die Dominanz der endoge­ nen Wirkungen innerhalb der römischen Kultur stehen), werden auch von Heather, ebd., stark gemacht. 647

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3.  Der Übergang zum Mittelalter und die Anfänge des subjektiven Rechts

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mungen beigetragen haben.650 Diese Entwicklung hat auch innerhalb der Kir­ che ihren Niederschlag darin gefunden, dass das persönliche Moment der Bil­ dung des Glaubens an Gott zugunsten der Unterwerfung unter die Autorität der Kirche geschwächt worden ist. Papst Innozenz ging in einem Traktat aus dem Jahre 1195 sogar so weit, den Menschen als „gemacht aus Staub, Kot und Asche“ abzuwerten.651 Diese – von der der Spätantike abweichende – theologische Sicht scheint gerade auf den Niedergang der rationalen Ideen und Praktiken im Mit­ telalter zurückzugehen. Vor allem der letztere Gesichtspunkt ist hervorzuhe­ ben: der Niedergang der Praktiken des Wirtschaftens, des (römischen) Rechts, des Bauens, der Technik. In einer stationären Gesellschaft, in der die prakti­ schen Lebensformen keine Dynamik entfalten, ist auch das philosophische Denken vom Vorrang der Sprache vor der Erfahrung, der Ausblendung des Konkreten, der Vernachlässigung des Selbst gegenüber den von Gott gegebenen Formen des Intelligiblen bestimmt.652 Das christliche Mittelalter hat die zweck­ lose, d. h. die nicht durch ein religiöses Motiv bewegte Suche nach Wissen für vergeblich und bedeutungslos erklärt. Auch dies darf man nicht einfach als eine kontextfreie religiöse Doktrin ansehen: Diese Lehre ist selbst nicht vom tatsäch­ lichen Niedergang des Wissens und dem Verlust des Interesses an der Suche nach Wissen in der Welt zu trennen. Wegen der Überwirkungen der „diskursi­ ven Felder“ der Kultur ist das eine, die Praxis, nicht vom anderen, der religiösen Beobachtung zu trennen. Diese Praktikabilität des Wissens und die in die ge­ sellschaftlichen „diskursiven Felder“ eingetragene wechselseitige Irritierbarkeit zwischen Philosophie, Religion, Recht und Technik erscheint als das eigentliche Movens der westlichen Kultur.653 b)  Die Scholastik als eingelagerte Form der Rationalität des Rechts Dies wird dadurch bestätigt, dass wenige Jahrzehnte später Albertus Magnus den Aufschwung des rationalen Denkens und Arbeitens im Spätmittelalter zum Anlass für eine Neubewertung des Menschen und seines Verhältnisses zu Gott nimmt.654 Albertus Magnus ist es auch, der auf dieser Grundlage den Verzicht 650   Morris (Fn.  305 – Discovery of the Individual, 24; Musset (Fn.  109 – Les invasions), S.  171 ff. 651   Loris Sturlese, Von der Würde des unwürdigen Menschen. Theologische und philoso­ phische Anthropologie im Spätmittelalter, in: Martina Neumeyer (Hrsg.), Mittelalterliche Menschenbilder, Regensburg: Pustet 2000, S.  21–34, 21. 652   de Libera (Fn.  167 – La philosophie médiévale), S.  98 f. 653   Demgegenüber erscheint Max Webers Fokus auf die disziplinierende Wirkung des Pro­ testantismus zu eng, vgl. Max Weber, Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalis­ mus, hrsg. v. Dirk Kaesler, 3.  Aufl., München: Beck. 654   Honnefelder (Fn.  472 – Albertus Magnus), S.  12; Ben Morgan, Relating Ourselves With­ out a Self: Eckhart and Neuroscience, Medieval Mystical Theology 20 (2011), S.  66.

130 VI.  Die Wiedergewinnung der Varietät der römischen Rechtskultur im Mittelalter auf die Leitfunktion der Theologie als Einheitswissenschaft und die Autonomi­ sierung der Wissenschaft postuliert.655 Erst im 13. Jahrhundert ändert sich die Grundstruktur des mittelalterlichen Denkens: Das Denkvermögen wird nicht mehr primär als Ausdruck einer von Gott eingegebenen Idee angesehen, son­ dern als Selbst-Begründung, die sich durch die aktive Aneignung der göttlichen Idee vollzieht und so zu sich selbst kommt.656 Honnefelder macht mit Recht da­ rauf aufmerksam, dass diese Entwicklung nur denkbar war nach dem Auf­ schwung der Stadt als pluraler Lebensform der Menschen. Für Meister Eckhart ist es die Unbestimmtheit des Menschen, die ihm in mystischem Erleben den Zugang zu Gott eröffnet.657 Das Urteil des Papstes Innozenz ist auf dem Hinter­ grund der hier angestellten Überlegungen nicht als Ausdruck des Machtwillens der Kirche zu interpretieren, sondern als Symptom des Verlusts der Offenheit und Pluralität der diskursiven Felder der christlich-römischen Kultur. Dieser Verlust ist wesentlich der Stagnation der Entwicklung der kulturellen Praktiken geschuldet. Die Dominanz der Referenz der Kultur und der Philosophie auf die Kirche ist das Symptom eines Vakuums. Es ist bezeichnend, dass die Kirche zugleich das symbolische Gedächtnis der Spätantike war, innerhalb dessen die Formen und Figuren der diskursiven Felder, die für die offene Kombinatorik zwischen den kulturellen Praktiken wichtig waren, für die Zukunft der westli­ chen Gesellschaften aufbewahrt worden sind. Die Überwindung der Stagnation des Denkens erfolgte innerhalb der von den Kirchen gespeicherten Denkfor­ men, die damit zugleich ihre Offenheit für die Beobachtung unterschiedlicher Erscheinungsformen kultureller Pluralität demonstriert haben und nicht selbst an eine bestimmte kulturelle Konstellation gebunden waren. Die ohnehin ohne den Fortbestand einer dynamischen Rechtspraxis nur partiell mögliche Fort­ setzung der Kontinuität des römischen Rechts unter dem Dach der Kirche lässt sich nicht als Prozess der „Reinigung“ des römischen Rechts von seiner „Ge­ schichtlichkeit“ charakterisieren658: Dem römischen Recht fehlte nach dem Ende des weströmischen Reichs und dem Ende der wirtschaftlichen Dynamik der Städte sein unabdingbarer praktischer Unterbau. Jedenfalls ändert Innozenz’ Urteil nichts an der Bedeutung des christlichen Beitrags zur Entwicklung der Stellung des Selbst in der Kirche und im Glauben in der Neuzeit.659 Im frühen Mittelalter waren die Lebenswelten der Menschen, vor allem der wirtschaftlich handelnden, durch ein kaum mehr rational geord­   Honnefelder (Fn.  472 – Albertus Magnus), S.  11.   de Libera (Fn.  167 – La philosophie médiévale), S.  111 f. 657   Morgan (Fn.  654 – Relating Ourselves Without a Self), S.  66; vgl. auch Sturlese (Fn.  638 – Von der Würde des unwürdigen Menschen), S.  24. 658  So Legendre (Fn.  254 – L’autre Bible de l’occident), S.  373. 659   Morris (Fn.  305 – The Discovery of the Individual), S.  11. 655

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3.  Der Übergang zum Mittelalter und die Anfänge des subjektiven Rechts

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netes Durcheinander lokaler Normen und Gewohnheiten geprägt.660 Die Wie­ derherstellung der rationalen Elemente des (römischen) Rechts und der Kultur seit dem Mittelalter sind aber kein plötzlich auftretendes Phänomen, sondern sie sind als ein emergentes prozesshaftes Ereignis zu verstehen, dessen Bedin­ gungen in der christlich-römischen Kultur der Spätantike zu suchen sind. Die Zentrierung des Denkens um das Individuum im Glauben ist, auch wenn es nicht zur Herausbildung der Vorstellung subjektiver Rechte gekommen war, doch eine unumgängliche Voraussetzung für die Entwicklung zum Übergang zu einem rationalen Recht in der Neuzeit gewesen.661 c)  Voraussetzung des Aufschwungs des römischen Rechts im 10. Jahrhundert Insbesondere gilt das für die Weiterentwicklung des Rechts in den oberitalieni­ schen Städten. Seit dem 10. Jahrhundert spielt dort einerseits die Anerkennung von Rechten lokaler Gemeinschaften als Zünfte etc. eine große Rolle (dafür dient als Modell der „Körper“ der Kirche662), auf germanische Einflüsse geht wahrscheinlich die Anerkennung der Rechtsetzungsbefugnis solcher korpora­ tistischer Gruppen zurück.663 Andererseits öffnen sich diese Gemeinschaften für individuelle Freiheiten (der Mitglieder) zum Experimentieren mit neuen Möglichkeiten jenseits der bestehenden korporativen Selbstverwaltung. Auch dies wäre ohne vorbereitende Schritte zur Anerkennung der Rechte und der Bedeutung Einzelner nicht möglich gewesen. Die Radikalität der Legitimation der politischen Ordnung und später der marktgesellschaftlichen Ordnung der Wirtschaft durch den Rekurs auf das Individuum als Anfang, wie er in den unterschiedlichen Konstruktionen des Gesellschaftsvertrages664 zur Geltung gebracht worden ist, entsprachen in dieser rationalen Form nicht christlichen naturrechtlichen Vorstellungen. Dieses Denken verknüpfte die Rechte des Ein­ zelnen stärker mit einer objektiven Ordnung des Naturrechts. Später nimmt das Naturrecht auch die Entscheidungsfreiheit in ihren Canon auf.665 Auch wenn   Tierney (Fn.  638 – Crisis of Church and State), S.  97.  Brian Tierney, Natural Law and Natural Rights. Old Problems and Recent Approaches, Review of Politics 64 (2002), S.  389–406. 662   Luke T.  Johnson, Law in early Christianity, in: John Witte jr./Frank S.  A lexander (Hrsg.), Christianity and Law. An Introduction, Cambridge 2008, S.  53–70, 69. 663   Toby E.  Huff, The Rise of Early Modern Science. Islam, China, and the West, Cambrid­ ge: Cambridge CUP 1993, S.  81. 664   Tierney (Fn.  661 – Natural Law and Natural Rights), S.  165. 665   Brian Tierney, Liberty and Law. The Idea of Permissive Natural Law. 1100–1800, Was­ hington D.C.: American University Press, 2014, S.  I X; demgegenüber betont Adam Seagrave (Fn.  594 – Identity and Diversity), gegen Tierney die „kopernikanische Wende“, die er mit dem Aufstieg des Konzepts der subjektiven Rechte im Mittelalter situiert. Bis zum Mittelalter seien Rechte der Individuen nur Reflexe des objektiven Naturrechts gewesen. Die „Erzeu­ 660 661

132 VI.  Die Wiedergewinnung der Varietät der römischen Rechtskultur im Mittelalter man stärker die operative Seite des Rechts (statt der Legitimation) in den Vor­ dergrund rückt (Adam Smith) wird auch das christlich-römische Moment der Selbst- und Fremdbeobachtung des Einzelnen in seinem Verhältnis zu Gott wiederum als Voraussetzung für das Eingehen von Rechtsbeziehungen ohne Bindung an gesellschaftliche Traditionen erkennbar. In den rationalen Theori­ en des Gesellschaftsvertrages verschwindet das transsubjektive, laterale Mo­ ment des individuellen Handelns (es wird in der Fiktion des Gesellschaftsver­ trages gesetzt). Das Prozessieren des Rechts und seine Voraussetzungen, die Entstehung eines rechtlichen Akteurs, der jenseits der Tradition mit unter­ schiedlichen Konstellationen und Situationen als eine Art „Proto-Subjekt“ fin­ det keinen begrifflichen Status in der Theorie des Gesellschaftsvertrages. Der Theorie des Gesellschaftsvertrages fehlt notwendigerweise die Fähigkeit, die Paradoxie des transsubjektiven Prozesses der Erzeugung des Rechtssubjekts als eines möglichen Partners des Gesellschaftsvertrages mitzudenken. Das Rechts­ subjekt im Kontext des transsubjektiven impliziten Wissens der Gesellschaft und der wechselseitigen Beobachtung („von Nachbar zu Nachbar“) kann in ei­ ner auf die theoretische Grundlegung der Gesellschaft und des Rechts fixierten Sicht keinen Platz haben. Der Prozess der Selbsterzeugung des Subjekts, der sich – wie gezeigt – über einen jahrhundertelangen Prozess vollzogen hat, ist inner­ halb des „praktischen Registers“ des Rechts zu verorten, das mit dem theoreti­ schen Register (und umgekehrt) nur in begrenztem Maße kommunizieren kann. Die Theorie des Gesellschaftsvertrages nimmt geradezu für sich in An­ spruch, diese Realität des Prozesses der Selbsterzeugung des Subjekts und des universalistischen Rechtsverständnisses aus einer Setzung ableiten zu können. Dies wird auch in der theoretischen Beobachtung der Entstehung der Theorie des Gesellschaftsvertrages fortgesetzt, wenn der Akzent bei der Legitimation gesellschaftlicher Herrschaft gesetzt wird – oder heute würde man sagen: bei dem entsprechen „Narrativ“. Das Rechtssubjekt und seine Stellung in der Ge­ sellschaft und in der Politik ist aber nur sekundär Gegenstand eines „Narrativs“, das seinerseits dem Subjekt äußerlich bleibt. Das Subjekt wird nicht als Form des Bewusstseins durch ein anderes, das kollektive Bewusstsein konstruiert, sondern es wird produziert durch einen Prozess, der seinerseits nur in Grenzen theoretisch reflektiert werden kann. „What we find in history is mostly the pre­

gung“ der Dinge sei allein der „workmanship“ Gott zugeschrieben worden (322, 325). Darauf antwortet Tierney (Fn.  594 – Response to Adam Seagrave), S.  461, mit Recht, dass der Wandel des Rechts, der Aufstieg der subjektiven Rechte innerhalb der westlichen Kultur einen emer­ genten Charakter gehabt habe. Dies entspricht auch der hier vertretenen Position. Die konti­ nuierlichen Verschiebungen und Spannungen innerhalb der Kultur des Rechts sprechen ge­ gen die Annahme einer „kopernikanischen Wende“.

3.  Der Übergang zum Mittelalter und die Anfänge des subjektiven Rechts

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cise opposite of that kind of clear-cut logical consistency on which we insist in our theories.“666 d)  Ohne das eingelagerte römische Recht keine neuzeitliche Entwicklung Die Entwicklung von „Strings“ und von „Knoten “ in einem verzweigten azent­ rischen selbstorganisierten Prozess ist ihrerseits von Setzungen in der Retros­ pektive, in einem präsentistischen Blick auf Erklärungsbedürfnisse in der Ge­ genwart bestimmt. Die Selbstverstärkungen innerhalb des Prozesses, von dem hier angenommen wird, dass er zur Herausbildung des subjektiven Rechts, des Rechtssubjekts und des universalistischen Rechtsverständnisses geführt hat, haben in der Praxis weitgehend den Charakter einer Fiktion, die in praktischer Hinsicht Anschlüsse ermöglicht, erzwingt oder aber ausschließt, ohne dass die­ ser Prozess Gegenstand einer rationalen Reflektion sein könnte. Die Rationali­ sierung erfolgt immer nur ex post und hat ihrerseits mehr oder weniger den Charakter einer Fiktion, deren Sinn wiederum von der praktischen Abschät­ zung der als produktiv oder weniger produktiv erscheinenden Anschlussmög­ lichkeiten und Zwänge für die Zukunft bestimmt werden. Unter diesem Ge­ sichtspunkt erscheint Foucaults Überlegung zu den „Technologien“ des Selbst zwar einseitig, aber im Ansatz sehr weiterführend: Subjekte werden nicht durch gesellschaftliche Ideologien, durch „Narrative“ geprägt, sondern durch Prakti­ ken des Selbst. Dazu gehören die von Foucault mit Recht akzentuierten „geisti­ gen Übungen“ in der Kultur der griechischen oder römischen Antike sowie in der christlich geprägten Spätantike. Hinzu tritt allerdings die Praxis des Ver­ handelns, in der sich Subjektivität herausbildet (aber nicht konstruiert wird) oder das Lesen der Heiligen Schriften (auch dies ist eine, wenn man so will, „Technologie“ des Selbst und keine bloße passive Rezeption von Botschaften. Diese „Technologien“ können ihrerseits aber nicht auf die Exekution von Ideo­ logien oder „Narrativen“ reduziert werden, sie sind die eigentliche „Produktiv­ kraft“ des Subjektiven, die in den „Narrativen“ nur nacherzählt wird. Das nicht hintergehbare transsubjektive oder objektive Moment der Subjektivität wird nur partiell auf der „Innenseite“ des Subjekts lokalisierbar, wenn man erkennt, dass die Selbstbeobachtung des Einzelnen auf die Fremdbeobachtung der An­ deren und des Anderen der Gesellschaft verweist, ohne aber von dort ein ferti­ ges „Abbild“, eine Konstruktion der Subjektivität in den eigenen Wahrneh­ mungs- oder Handlungsbereich übernehmen zu können. Adam Smiths Kon­ zeption der Selbstbeobachtung des Individuums im „Spiegel der Anderen“ wäre dann eine späte säkularisierte Form der auf christliche und griechische sowie römische Anfänge zurückzuführenden Introjektion. Diese verweist immer auf   Jaeger (Fn.  216 – Early Christianity and Greek Paideia), S.  39.

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134 VI.  Die Wiedergewinnung der Varietät der römischen Rechtskultur im Mittelalter ein Anderes, in der griechisch-römischen Kultur auf die Selbstfindung in der Harmonie mit dem gleichbleibenden Kosmos, in der christlichen Version der Selbstauseinandersetzung mit den heiligen Texten (im römischen Recht im Me­ dium der auf den Wandel angelegten „sozialen Epistemologie“ des Rechts) auf die Beobachtung der Musterbildung in der Praxis der Vertragsschlüsse. All dies sind Praktiken des Selbst in denen die Verweisung der Selbstfindung auf ein transsubjektives Wissen erfolgt, das von den Individuen generiert und prozes­ siert wird, ohne von einem privilegierten Beobachtungspunkt aus zentral ver­ fügbar zu sein. e)  Kein subjektives Recht ohne „Anfang“ Der nur scheinbar abstrakte Individualismus der frühneuzeitlichen Gesell­ schaftsvertragstheorie hält damit eine Leerstelle frei, die durch emergente his­ torische Prozesse ausgefüllt werden muss, ohne dass sie genau beschreibbar wären. Nach der hier vertretenden Position ist ein abstraktes Rechtssubjekt und „sein Recht“ erst dann denkbar, ebenso wie sein Pendant, der Universalismus des Rechts, wenn und soweit sich eine vielfältige gesellschaftliche Erfahrung he­ rausgebildet hat, die praktisches Wissen weitgehend jenseits bestimmter Be­ dürfnisse und jenseits der Tradition generiert und über eine Vielzahl von Betei­ ligten distribuiert ist.667 Die scheinbare Leere des Rechtssubjekts steht in einem Entsprechungsverhältnis zu der Offenheit und Selbstveränderung des gesell­ schaftlichen praktischen Wissens, innerhalb dessen die Subjekte handeln müs­ sen. Das subjektive Recht wird zu sehr auf das Verhältnis zum Staat (als Ab­ wehrrecht oder demokratisches Beteiligungsrecht) beschränkt, wenn vor allem auf die ausdrückliche Anerkennung des ius als „potestas“ abgestellt wird.668 Der Vorrang des objektiven Naturrechts vor dem Individualrecht in der kirchlichen Doktrin ist ohne Bedeutung für die Rolle des Letzteren, solange der Blick auf Beweglichkeit der Natur wie der Gesellschaft dadurch nicht verstellt wird. Auch wenn die Natur auf den Willen Gottes zurückgeführt wird und sich damit die Frage nach der Stellung des Individuums in der und zur Welt stellt, kommt es doch vor allem darauf an, ob und wieweit Handeln in der Gesellschaft und in der Natur nicht ständig und umfassend als fremdbestimmt gesehen wird. Das ist aber, wie gezeigt, schon in der Antike nicht der Fall. Dies ist wiederum damit 667   Auch der Sinn der Römer für die Erzeugung von „Erfahrung(en)“ ging auf die griechi­ sche Philosophie zurück, Manent (Fn.  79 – Les métamorphoses de la cité), S.  174. 668   So etwa bei William Ockham, vgl. Annabel S.  Brett, Liberty, Right and Nature: Indivi­ dual Rights in Later Scholastic Thought, Cambridge: Cambridge UP 2010, S.  51; allg. ebd., S.  3 f.; die Frage, ob das subjektive Recht „abgeleitet“ aus dem objektiven Naturrecht ist, hat jedenfalls für die Bestimmung der Bedeutung des subjektiven Rechts oder seiner Vorläufer für die Selbstorganisation der Gesellschaft nur marginale Bedeutung.

3.  Der Übergang zum Mittelalter und die Anfänge des subjektiven Rechts

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zu erklären, dass Religion, Philosophie, Recht und das in die Lebensformen ein­ geschriebene praktische Wissen (Technik, wirtschaftliche Organisation, Hand­ werk etc.) über „diskursive Felder“ immer miteinander verbunden waren und sich wechselseitig irritiert haben. So steht der Vorrang des objektiven Natur­ rechts im Mittelalter669 in einem Entsprechungsverhältnis zu der objektiv gerin­ gen Bedeutung der gesellschaftlichen Kreativität. Sobald sich dies ändert, än­ dert sich auch das religiöse Verständnis des Naturrechts und die Stellung des Individuums in Natur und Gesellschaft. Die Selbstirritation des Wissens, die seit den Anfängen der griechischen Kul­ tur für das westliche Denken charakteristisch geworden ist, führt die paradoxe Ermöglichung eines „Kontrollverlusts“ mit sich, der aus der azentrischen Plura­ lität kultureller „Strömungen“ und des Experimentierens mit gesellschaftlichen Praktiken immer neue Formen der Subjektivität und des Rechts entstehen lässt. Diese Konstellation ist sozusagen ein funktionales Äquivalent zu der zentralen Form des jüdischen Studiums des Gesetzes, des weltlich gewordenen Gesetzes, das in den Turbulenzen des Wirklichen immer neue Fragen aufwirft und Ant­ worten verlangt, weil es „nicht mehr im Himmel ist“. Auch das subjektive Recht und das Rechtssubjekt sowie das universalistische Rechtsverständnis der west­ lichen Kultur verweisen nicht auf die Willkür des Einzelnen oder eine fertige gesellschaftliche Konstruktion, sondern ihrerseits auf die Notwendigkeit des Studiums des Gesetzes, auf die Beobachtung der Emergenz von praktischen Re­ geln, Mustern und Anschlusszwängen, die nicht ohne den Rückgriff auf ein nur begrenzt zu reflektierendes „Erbe“ interpretierbar sind. Der Poststrukturalis­ mus hat mit Recht die andere Seite, den Ausschließungseffekt der Setzungen, der Fiktionen, des westlichen Denkens zur Geltung gebracht. Die „andere Frei­ heit“ des Ausgeschlossenen, des unmöglich gewordenen Anderen wird inner­ halb der westlichen Kultur mindestens partiell durch die Meinungsfreiheit, vor allem aber durch die Kunstfreiheit wieder appräsentiert und in den kulturellen Prozess zurückgeführt – wenn auch nicht als gleichberechtigte Möglichkeit. Dies wiederum ist darauf zurückzuführen, dass das hier beschriebene Erbe der westlichen griechisch-römisch-christlichen Kultur nur um einen unkalkulier­ baren Preis ausgeschlagen werden könnte. Dies wäre dann die von Derrida, und nicht nur von Derrida, apostrophierte Revolution ohne Programm, also ein „Kontrollverlust“, der anders als in der Geschichte des westlichen Rechts nicht mehr nur durch „Umbesetzungen“ innerhalb der durch das Erbe gesetzten An­ schlussmöglichkeiten und -zwänge Neues eröffnet, sondern Kräfte freisetzen würde, die eine ganz „andere Freiheit“ eröffnet, über die man nichts sagen könnte, als dass sie in einem antithetischen Verhältnis der Ablehnung zu den   Vgl. zur Ablehnung des subjektiven Rechts in der thomistischen Lehre Brett, ebd., S.  3.

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136 VI.  Die Wiedergewinnung der Varietät der römischen Rechtskultur im Mittelalter westlichen Ordnungsmodellen steht. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass bisher alle Versuche der Revolution zu einer Überbietung der Bürokratie durch eine noch größere Bürokratie und der Willkür des subjektiven Rechts in der universalistischen Ordnung durch die Willkür der Abschaffung der Realität durch eine Welt der Zeichen geführt hat.

VII.  Christianisierung – Arbeit – Subjekt – Vorleistungen für die Neuzeit 1.  Die Christianisierung des römischen Rechts und die Vorstellung einer gesellschaftlichen Seite des Rechtssubjekts Man mag mit M.  Gauchet und einer verbreiteten Auffassung annehmen, dass der Staat erst gedacht werden konnte, als Politik und Religion getrennt waren. Allerdings hat sich dadurch das Problem der Subjektivität und ihrer Infrastruk­ tur nur verschoben, wenn nicht sogar verschärft. In der Neuzeit war noch der Eindruck vorherrschend, dass der „corporate body“, das Kollektivsubjekt, das durch die Kirche und ihre Organisation (die den Körper Christi appräsentiert) „vorgedacht“ worden war, ohne die Subjektivität der Einzelnen nicht vorstellbar gewesen wäre. Andererseits konnte jedenfalls nach Hobbes das öffentliche Staatssubjekt seine Existenzberechtigung nicht aus der seine private Meinung (jenseits der Religion) zur Geltung bringenden Subjektivität des Einzelnen ge­ winnen. Sowohl im Hinblick auf den Staat als auch auf die individuellen Subjek­ te bestand die Notwendigkeit fort, „die Erzeugung des Menschen als Prozess“ („man in creation“) zu denken, wie sie in der Spätantike das Christentum in der Form von Praktiken oder „Technologien des Selbst“ (M.  Foucault) in geistigen, religiösen Übungen, in der Aneignung der heiligen Texte, exerziert hat. Wie erwähnt, geht es dabei nicht nur um den Erwerb von Wissen, sondern vor allem um die Selbst-Gestaltung, Selbst-Disziplinierung der Gläubigen, um die prakti­ sche Instituierung, um die „Einrichtung“ des Subjekts. In der liberalen neuzeit­ lichen Gesellschaftstheorie konnte die Anerkennung des Eigenwerts der Arbeit, der Umgestaltung der Gesellschaft in Permanenz, ein produktives Spannungs­ verhältnis von Religion und säkularen gesellschaftlichen Prozessen eine Zeit­ lang erhalten. H. S.  Maine hat die Auffassung vertreten, dass auch die neuzeitliche Rechts­ entwicklung davon abhängig war, dass nicht mehr alle Lebensäußerungen als von Gott gesteuert gedacht werden mussten. Dies erscheint zu einseitig, wenn man bedenkt, wie sehr sowohl die römische als auch die spätantike christliche Kultur in den Technologien des Selbst, in der Bildung ebenso wie im römischen Recht und seiner „sozialen Epistemologie“ ein die kultischen bzw. religiösen

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VII.  Christianisierung – Arbeit – Subjekt – Vorleistungen für die Neuzeit

Dimensionen des Selbst überschießende Komponente enthielt. Für das Chris­ tentum war dies schon darin begründet, dass der Glaube auch ein praktisches Verhältnis zur Welt als dem Reich realisierter göttlicher Vernunft einschloss. J.  Picciotto670 hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die in der Neu­ zeit (nach Hobbes) stark verabsolutierte öffentliche Seite der Subjektivität als der dem Staat zugewandten Seite sowie des ebenfalls darauf bezogenen Raums der gesellschaftlichen Öffentlichkeit als Raum des „Zusammenkommens“ ihre Voraussetzung darin hat, dass die Menschen sich (letztlich auf religiöser Grundlage) auf einer vorpolitischen Ebene als „potentielle intellektuelle Autori­ tät“ (an-)erkennen oder setzen. Und dies ist begründet in dem gemeinsamen Werk des „experimentellen Wissens“, das erst den „sozialen Körper“ entstehen lässt, der sich auf eine „world of fact“ (B. J.  Shapiro) bezieht.671 Auch dies ist nicht ohne die Vorleistungen der Christianisierung vorstellbar: Die gemeinsame Pro­ duktion, das artifizielle Wissen und die Herstellung der Dinge rücken in die Stelle der die Gemeinschaft stiftenden Opfer in der Antike ein. All dies scheint weit von den spätantiken „Technologien des Selbst“ entfernt zu sein, aber nichts davon wäre ohne diese Vorleistungen der Christianisierung vorstellbar. Die kontinuierliche, Selbstbeherrschung und Selbststilisierung verlangende Lektü­ re insbesondere später von Romanen, die Bereitschaft zu „angenehmer“ Kon­ versation672 , fördern die Bereitschaft zur Abstimmung mit anderen, Ausdauer, Zuverlässigkeit, das Durchspielen einer Welt von „Möglichkeiten“.673 Diese „in­ stituierte“ Seite der Rechtssubjektivität hat die Fähigkeit zum Verhandeln zwi­ schen Fremden und die Stiftung des notwendigen unpersönlichen Vertrauens hervorgebracht.   Joanna Picciotto, The Public Person and the Play of Fact, Representations 2009 (105), S.  85–132, 87. 671   In den Arbeiten über den „politischen Körper“ des Staates steht auch die Formierung als Einheit im Vordergrund, die Legitimation von Hierarchie Koschorke u. a. (Fn.  224 – Der fiktive Staat). Das ist eine sehr einseitige, selbst von einer – vielleicht könnte man sagen: kon­ tinentalen – Staatsfixierung bestimmte Sichtweise. In der englischen und schottischen Litera­ tur der Neuzeit wird sehr viel stärker der im emphatischen Sinne „soziale Körper“ der Gesell­ schaft akzentuiert. D. h. die Stadt, und nicht der Staat, ist der „soziale Körper“, der arbeitet (und nicht wie der Staat formiert), der Wissen erzeugt, das beobachtet und kopiert, abgewan­ delt revolutioniert werden kann. Dies ist der soziale Körper, der sich bewegt, verwandelt, öff­ net, einen „Stand“ des Wissens ordnet und Abstimmungen zwischen Akteuren ermöglicht; vgl. Picciotto (Fn.  228 – Labors of Innocence), S.  297. Die bürgerliche Gesellschaft ist von der Orientierung an der Universalität des Gesetzes bestimmt, aber dies ist nur die eine Seite, das theoretische Register des Expliziten, davon zu unterscheiden ist das praktische Register, das seine eigene, stumme Logik des Prozessierens in und von Lebensformen hat, die nie völlig subsumiert werden können. 672   Brewer (Fn.  211 – The Pleasures of Imagination). 673   Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, 2. erw. Aufl., Opladen: Westdeut­ scher Verlag 1996, S.  103 ff. 670

1.  Die Christianisierung des römischen Rechts

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Die Arbeit, körperlich und intellektuell, wird zu einem gemeinsamen experi­ mentellen Projekt674 – das den Vorrang vor der öffentlichen „Konstitution“ einer politischen Gemeinschaft hat.675 Sie stellt die Wendung der Person von der blo­ ßen Innerlichkeit der Selbstbeobachtung auf die Kollektivität einer die Wirk­ lichkeit verändernden Person dar, die dem „mystischen Körper“ Christi ent­ spricht.676 Es zeigt sich auch an der für ein solches gesellschaftliches Projekt er­ forderlichen Alphabetisierung der Bevölkerung in England zu Beginn des 19. Jahrhunderts (68% der Männer und 43% der Frauen) noch eine Nachwirkung der frühchristlichen „klassenlosen“ Kultur des Lesens.677 Demgegenüber lag die Alphabetisierungsrate in islamischen Ländern wie dem Iran, Ägypten und der Türkei bei 3%!678 Dies ist auch der Hintergrund für die Entstehung des abstrakten Rechtssub­ jekts, das nicht plötzlich gedacht werden konnte, sondern als emergenter Effekt eines komplexen Prozesses gedacht werden muss, der mit dem römischen Den­ ken in einer Vielzahl von beweglichen Konstellationen zwischen Personen und dem christlichen Selbstverhältnis zu Gott in der Welt einsetzt. Das Rechtssub­ jekt wird schließlich zum Selbst zum Medium der unpersönlichen gesellschaft­ lichen Erfahrung, die mit der römisch-christlichen Kultur in Gang gesetzt worden ist, die aber keine klare Richtung zur Universalität des Denkens hin impliziert. Die Praktiken (Technologien) der Formation des „inneren“ wie des „äuße­ ren“ Selbst sind in der Geschichte des Christentums immer wieder Prozessen der „Umbesetzung“ unterworfen worden. Die Säkularisierung ist selbst ein Mo­ ment des Religiösen dadurch geworden, dass das „Paradigma der Rationalität“ der Welt als Ausdruck der Weisheit Gottes gelesen werden kann. Die Praxis des 674   Die allzu starke Fixierung auf die religiös gestützte Disziplin (des Einzelnen) in Max Webers „protestantischer Ethik“ vernachlässigt den kollektiven Effekt dieses „Zwischen“ des Experimentierraums des gesellschaftlichen Wissens, der den „Gesellschaftskörper“ generiert hat, dem gegenüber die Genese und Bedeutung des „Staatskörpers“ in der Literatur vielfach überschätzt wird, vgl. etwa Koschorke u. a. (Fn.  224 – Der fiktive Staat). 675   Jedenfalls für England dürfte z. B. die bei Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öf­ fentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Öffentlichkeit, Frankfurt a. M. 1990, zu findende Überschätzung der Grundlegung der Öffentlichkeit in den Kaffeehäu­ sern eine reine Mystifikation sein: Die Kaffeehäuser sind Orte der abendlichen Entspannung und Erholung von der wirklichen Arbeit, die ihrerseits nicht als Fron, sondern als Beteiligung an dem großen Laboratorium des gesellschaftlichen Wissens gesehen wird; Picciotto (Fn.  228 – Labors of Innocence), S.  298. 676   Picciotto, ebd., S.  3, 9, 46. 677   Malise Ruthven, The Islamic Road to Modernity, New York Review of Books v. 22.6.2017. 678   Ruthven, ebd. Diese Unterschiede sind auf die Unterschiede zwischen den Religionen zurückzuführen: Die Rechtsgelehrten des Islam („Ulama“) hatten gerade kein Interesse an der Alphabetisierung, weil die Gefahr der Missdeutungen des Korans durch Unberufene da­ durch nur vergrößert worden wäre.

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VII.  Christianisierung – Arbeit – Subjekt – Vorleistungen für die Neuzeit

rationalen Handelns und der darauf zielenden Erziehung erlaubt es, die „Wild­ heit“ des Menschen (auch) im öffentlichen Raum zu überwinden und ein gestei­ gertes Bewusstsein seiner selbst zu gewinnen. Zugleich wird die sinnliche Er­ fahrung der Welt und ihrer Umgestaltung in der Arbeit zu einem „Supplement“ des abstrakten Glaubens. Dies wird auch auf die Sicht des Rechts als eines Reichs der Vernunft übertragen. Das „äußere Selbstverhältnis“ zur Welt und die prak­ tische (Um-)Gestaltung des „inneren Selbst“ stehen in einem Entsprechungs­ verhältnis zueinander, wenngleich der Spalt zwischen beiden die größere innere Freiheit an die Ästhetik verweist, während die Hermeneutik der heiligen Texte wie der säkularen Rechtstexte auf die Beobachtung und Achtung der ihrerseits von Gott in die Welt eingetragenen praktischen Vernunft angewiesen ist.679 Auch diese Wendung der lutherischen Theologie lässt sich noch als eine neue Lesart der in die römische Kultur eingetragenen Dominanz der praktischen Er­ fahrung lesen. Die Aneignung der göttlichen Ordnung durch „äußere“ Praktiken (Techno­ logien) lässt zugleich das Individuum sein „inneres Selbst“ als Prozess der Selbstveränderung erleben.680 Das „innere Selbst“, „the inner man“681, ist eine diskontinuierlich auftretenden „Umbesetzungen“ unterworfene Form der Selbstreflexion der Transformation der westlichen Kultur. Die in der (post-) strukturalistischen Literatur beschworene und dekonstruierte Einheit des Sub­ jekts hat auch in der Spätantike immer nur innerhalb des praktischen Registers funktioniert, zu dem auch das Recht gehört. Das praktische Leben muss orga­ nisiert werden, dazu bedarf es gerade angesichts des Chaos in der Kultur der Selbstorganisation einiger Formen der Koordination des Handelns und Den­ kens, deren Existenz nichts an der Herausforderung durch die Fülle der Kon­ flikte und Konkurrenzen in der Produktion des kulturellen Sinns geändert hat. In der Bedeutung der Arbeit(skraft) während der Epoche der Frühindustria­ lisierung Englands kommt deutlich zum Vorschein, dass die praktische Insti­ tuierung des Subjekts (im Gegensatz zu einer rein theoretisch reflektierten Konstitution) nunmehr primär ein praktisches Problem zu bewältigen sucht – ebenso wie das mit „Fiktionen“ operierende Recht682 , der den Aufstieg des Sub­ jekts erst im Prozess der expliziten Reflexion in den Schriften Ockhams lokali­ 679   Vgl. zu diesem Motiv in der Lutherischen Theologie Niklaus Largier, Mysticism, Mo­ dernity, and the Invention of Asthetic Experience, Representations 105 (2009), S.  37–60, 47. 680   Largier, ebd. 681   Patricia Cox Miller, The Corporeal Imagination. Signifying the Holy in Late Ancient Christianity, Philadelphia: University of Pennsylvania Press 2009. 682   Dies wird stark vernachlässigt von Thomas Pfau, Minding the Modern. Human Agen­ cy, Intellectual Traditions, and Responsible Knowledge, Notre Dame (Indiana): University of Notre Dame Press 2015.

2.  Bedingungen des Aufschwungs der römisch-christlichen Kultur in der Renaissance 141

siert.683 Der Aufstieg des Rechtssubjekts ist nicht erst in der expliziten Referenz in den Schriften Ockhams zu lokalisieren: Das Subjekt kann sich nicht plötz­ lich selbst denken. Die Reflexion ist nur die Form der Vermittlung zwischen der Selbsterzeugung des Subjekts unter historischen Bedingungen und dem objektiven, transsubjektiven Wissen, den Regeln und Mustern, die das Subjekt innerhalb des Prozesses durch Beobachtung der Anderen generieren kann.684 Auch die Reflexivität des Rechtssubjekts ist nur als emergenter Effekt eines lan­ gen Prozesses denkbar, nicht als Gegenstand einer plötzlichen Entdeckung etwa durch Ockham. Das Subjekt löst sich in der dekonstruktivistischen Sicht in ein Feld von Rela­ tionen auf, deren Zusammenhalt eine Illusion bleibt. Dass dies vom Individu­ um nicht als Unterwerfung unter die normalisierenden Muster der Macht erlit­ ten, sondern als Versprechen der Möglichkeit der Selbsttransformation und der Aneignung des gesellschaftlichen Wissens erlebt wird685, wäre für Foucault kein Einwand. Nach der hier vertretenen Konzeption wäre aber darauf zu insistie­ ren, dass die Eigenlogik des Wissens (und dementsprechend auch die „Binnen­ struktur“ des Subjekts zum ganz erheblichen Teil Produkt einer „longue durée“ (F.  Braudel) stillschweigend sich vollziehender Praktiken und Muster ist, die sich zumindest partiell der Wahrnehmung und der Überdeterminierung durch Strategien der Macht entziehen, weil sie sich über einen azentrischen Evolu­ tionsprozess bildet686 , der einer anderen Zeit unterliegt als explizit verfolgte Machtstrategien.

2.  Bedingungen des Aufschwungs der römisch-christlichen Kultur in der Renaissance Die mittelalterliche Konstellation von Kultur, Recht und Wirtschaft hat sich grundlegend in der Renaissance verändert. Es lässt sich vermuten, dass die Wendung des Mittelalters zu einem eher pessimistischen Menschenbild und zu einem Aufstieg der religiösen Komponente der Kultur und der „Sorge um das Selbst“ beigetragen hat. Der niedrigere Stand der wirtschaftlichen, technischen und kulturellen Entwicklung hat zu einer Geringschätzung des Menschen bei­ getragen, der primär über sein religiös vermitteltes Selbstverhältnis bestimmt worden ist. Der Beginn der Renaissance hat diese Konstellation vor allem in zweierlei Hinsicht grundlegend verändert: Seit dem Vierten Kreuzzug, der ge­   Tierney (Fn.  665 – Liberty and Law), S.  X I.   Vgl. auch Vuillemin (Fn.  315 – Réflexions sur l’épistème foucauldienne), S.  39–50, 45 ff. 685   Napoli (Fn.  100 – Foucault et l’histoire), S.  46. 686   Mokyr (Fn.  58 – A Culture of Growth), S.  47 f.) 683

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VII.  Christianisierung – Arbeit – Subjekt – Vorleistungen für die Neuzeit

gen den Willen des Papstes vor allem gegen Byzanz gerichtet war und dessen Niedergang eingeleitet hat, hat zu einer beträchtlichen Einwanderung von Phi­ losophen, Wissenschaftlern, Baumeistern, Künstlern, Mathematikern etc. in das weströmische Reich geführt. Dies gilt vor allem für die oberitalienischen Städte. Dies hatte nicht nur einen erheblich Zustrom von Wissen zur Folge, das in den früheren weströmischen Gebieten nicht (mehr) vorhanden gewesen war. Zugleich hat umgekehrt der Wettbewerb der Städte um die Neuankömmlinge deren Position in der Gesellschaft und gegenüber dem Staat grundlegend verän­ dert. Anders als in Byzanz hatten die neuen intellektuellen Eliten die Wahl zwi­ schen unterschiedlichen Landesherren und städtischen Herrschern, die Reich­ tum und Führung durch repräsentative Kunst demonstrieren wollten. Dies wiederum hatte eine stärkere Unabhängigkeit zur Folge und bekräftigte die Rolle des gebildeten Individuums. Auch die Rolle und das Selbstverständnis der städtischen Herrscher (z. B. der Medici) unterschieden sich von dem der römi­ schen Elite, die ihre Legitimation in der Tradition der „mos maiorum“ begrün­ det sah. Die oberitalienischen Herrscher der Renaissance verstanden ihre Herr­ schaft funktional als Neugründung, die einer künstlerischen, wissenschaftli­ chen, architektonischen Symbolisierung neuer Art bedurfte. Es wäre aber auch verfehlt, die Rolle der Kirche im Mittelalter auf die Unterdrückung individuel­ ler Freiheiten und die Ausdehnung der Dominanz der Religion über das gesell­ schaftliche Leben zu reduzieren. Die Kirche hat einerseits die Erinnerung an die römisch-christliche Kultur aufgehoben, andererseits ist sie eher in ein Vakuum gestoßen, das durch die Rückbildung der säkularen Kultur entstanden ist. Die Renaissance wäre als Re-naissance nicht möglich gewesen, wenn die Fähigkeit der Kultur zur Resonanz für das Neue nicht schon vorhanden gewesen wäre. 687 Die Annahme liegt nahe, dass auf diese Weise die problematische Germani­ sierung der römischen Kultur doch noch eine wichtige positive Wirkung auf die Kultur gehabt hat, weil diese mit dazu beigetragen hat, dass in der Renaissance ein Wettbewerb zwischen politischen Organisationen und Organisationsfor­ men entstand. Die fruchtbare Wirkung dieses Zustroms von Intellektuellen nach Westrom wurde aber wiederum erzeugt und bekräftigt durch die Mög­ lichkeit der Anknüpfung an die älteren Traditionen. Dadurch hat sich nicht nur ein Aufschwung der Kultur des Wissens in den früheren weströmischen Gebie­ 687   Hier besteht ein grundlegender Unterschied zu dem Niedergang des insbesondere phi­ losophischen und wissenschaftlichen Wissens in der islamischen Kultur nach dem erzwunge­ nen Rückzug aus Europa. Im Mittelalter waren Wissenschaft und Philosophie im islamischen Herrschaftsbereich sicher höher entwickelt als im „Westen“, dennoch waren sie von der Reli­ gion eher toleriert als rezipiert worden. Deshalb konnte es mit dem Rückzug aus Europa auch zu einem Rückzug aus der säkularen Kultur kommen, vgl. Ladeur (Fn.  2 – Der Islam und sein Recht).

2.  Bedingungen des Aufschwungs der römisch-christlichen Kultur in der Renaissance 143

ten vollzogen, sondern zugleich hat auch die „weströmische Kultur“ in erhebli­ chem Umfang die Fähigkeit zur Resonanz bereitgehalten und dadurch Anstöße zur Weiterentwicklung der genannten Wissenszweige geben können. Dies hat insbesondere zur Entwicklung von sowohl handwerklich anspruchsvollen als auch zur Entwicklung von (Bau-)Maschinen und abstrakteren Wissensformen geführt, einschließlich der den Handel grundlegend verändernden Einführung der doppelten Buchführung. Der Gebrauch von Maschinen (Baukräne etc.) in der Bautechnik hat die Möglichkeiten der Speicherung von Wissen gesteigert, das früher eng mit der Persönlichkeit des einzelnen Baumeisters verbunden war und mit seinem Tod verloren ging. Diese Entwicklung trägt in einem mehrfa­ chen Sinn zur Abstraktion bei: Zur Abstraktion von der einzelnen Persönlich­ keit des Baumeisters und zur stärker arbeitsteiligen Bau- und Konstruktions­ weise. Dazu hat auch die neue Sichtweise der Bauten der Antike geführt, die (wenn auch vielfach nur als Ruinen) in Italien Architekten und Baumeistern nicht nur zur Bewunderung Anlass gaben, sondern das Nachmessen, Durch­ denken, Nachkonstruieren der Formen jenseits der längst verstorbenen Urhe­ ber ermöglichte. Auch diese abstrahierende und objektivierende Sichtweise ver­ stand sich offenbar nicht von selbst: Zugleich zeigt dies die nun sichtbar wer­ dende Bedeutung des technischen Wissens nicht nur für das „Machen“ von Dingen, sondern auch die Entwicklung des abstrakter werdenden Denkens. Die Bauwerke hatten sich auch im Mittelalter dem Blick nicht entzogen. Die aus verschiedenen früheren Quellen (Handel, Religion, Philosophie etc.) gespeiste Abstraktionsarbeit ist dafür die Voraussetzung gewesen. Zu diesen Quellen ge­ hörte auch die neu gewonnene Erfahrung der reichen Kaufleute, die in Italien meist die Auftraggeber der Maler waren. Die Malerei wird zu „deposit of a soci­ al relationship“.688 Dies betrifft nicht nur die Verträge zwischen Maler und Auf­ traggeber, sondern auch die Erfahrung, die dabei zur Geltung gebracht wird und die aus der neuen Lebenswelt der großen international agierenden Kaufleu­ te stammt.689 Deshalb spielt auch die „kommerzielle Mathematik“, die in der Renaissance einen Aufstieg erlebt, eine große Rolle in der Entwicklung neuer künstlerischer Formen und Figuren – dazu gehören das Messen und die Ab­ schätzung von Größen- und Gewichtsverhältnissen und in der Malerei vor al­ lem die Fähigkeit, komplexe Formen durch Modellbildung und Vorstudien auf einfache elementare Formen analytisch zurückzuführen.690 Die Übungen in der „Kunstbetrachtung“, die für die Entwicklung der Kunst als einer gesellschaftli­ chen Institution von großer Bedeutung sind, konnten an die geistigen Übungen   Michael Baxandall, Painting and Experience in Fifteenth Century Italy. A Primer in the Social History of Pictorial Style, 2.  Aufl., Oxford: Oxford UP 1988, S.  1. 689   Baxandall, ebd., S.  32. 690   Baxandall, ebd., S.  32, 34. 688

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VII.  Christianisierung – Arbeit – Subjekt – Vorleistungen für die Neuzeit

der frühchristlichen Zeit anknüpfen und diese für religiöse Sujets fortsetzen und sublimieren.691 Die Renaissance demonstriert ad oculos, dass und wie die Kunst nicht nur in ihren Sujets und in der Bezahlung der Künstler von gesell­ schaftlichen Institutionen abhängig ist, sondern in einer viel fundamentaleren Weise in ihren Ausdrucksformen, ihren Techniken, ihrer Evolution selbst von ihrer gesellschaftlichen Umwelt bestimmt wird: Ohne den Aufschwung des Handels und der neuen Techniken, der „kommerziellen Mathematik“, die Ver­ vielfältigung der politischen Herrschaftsformen des römischen Rechts, aber auch natürlich der religiösen Praktiken des Christentums in der Spätantike wäre die Kunst der Renaissance nichts. Die beweglichen „diskursiven Felder“, die sich in der westlichen Sprache und Kultur niedergeschlagen haben, sind die Rezeptoren für die neuen Impulse aus dem Osten gewesen – die letztlich ihrerseits der griechisch-römischen Kultur entstammten, sich dort aber innerhalb der zentralisierten byzantinischen Kul­ tur nicht in einem mit dem Westen vergleichbaren Maße entfalten konnten. Wenn man dies in Rechnung stellt, muss man auch die Autonomie der gesell­ schaftlichen Teilsysteme im Sinne N.  Luhmanns relativieren: mithilfe der „dis­ kursiven Felder“ in der westlichen Kultur, die einerseits Materialitätsströme, andererseits aber auch „Ideenströme“, Praktiken des Wissens, in den Lebens­ formen der Gesellschaft prozessieren, kommt es sehr wohl zu Resonanzen über die Grenzen der Teilsysteme hinweg, die von erheblicher formgebender Bedeu­ tung sind. Man könnte es geradezu als das Charakteristikum der westlichen Kultur betrachten, dass die einzelnen Teilsysteme über die Kultur so resonanz­ fähig sind, dass es ständig zu produktiven Proliferationen von Impulsen aus einem Teilsystem in die anderen kommt.

691   Vgl. dazu das Beispiel einer Verknüpfung künstlerischer und religiöser „Kunstbetrach­ tung“ durch „innere Visualisierung“ Baxandall, ebd., S.  45, 46, in einem zeitgenössischen Handbuch für die Gebete und Exerzitien für junge Mädchen.

VIII. Ausblicke Ausblick 1:  Das auf immer unfertige Subjekt Die Vorstellung einer stabilen Einheit des Rechtssubjekts und der Herausbil­ dung des universalistischen Rechtsdenkens – dies sollte deutlich geworden sein – ist eher ein Mythos der Kritik des Rechts und des Subjekts. Die „Einheit des Rechtssubjekts“ hat es in der Spätantike ebenso wenig wie im Mittelalter gege­ ben. Subjektivität ist immer ein Spannungsfeld unterschiedlicher kultureller Kräfte gewesen. Der „Widerstand“, den M.  Foucault im Konflikt zwischen dem Subjekt und der Zwangswirkung der Vereinheitlichung des Denkens und Han­ delns beobachten zu können glaubte692 , ist primär ein Spannungsfeld innerhalb der Subjektivität gewesen, die immer nur als Prozess der Auseinandersetzung zwischen religiösen, rechtlichen und gesellschaftlichen Kräften gedacht werden kann. Ohne die griechischen, römischen und christlichen Praktiken der Insti­ tuierung des Selbst, der Selbst-Erzeugung in geistigen Übungen wären weder das moderne universalistische Recht noch das Rechtssubjekt vorstellbar. Im Christentum wie im Judentum stehen Praktiken des Lernens bzw. des Studiums des göttlichen Gesetzes bzw. des Textes der von Gott geschaffenen Welt im Vor­ dergrund. Im Christentum ist dieses Verhältnis stärker auf die Mittelbarkeit des Erlebens des Verhältnisses zu Gott eingestellt, während das jüdische „Studium“ eher durch die Objektivität des Gesetzes bestimmt wird, die deshalb aber immer wieder auf die durch die Welt selbst aufgeworfenen Fragen bezogen wird. Auch wenn diese Arbeit ein Beitrag zur Rechts- und Kulturgeschichte der Spätantike ist, so ist doch – dies ist immer wieder betont worden – ihre Perspek­ tive, oder besser gesagt: sind ihre Perspektiven von einem Interesse an der Ge­ genwart der Rechtskultur bestimmt. Dennoch ist versucht worden, die Unter­ stellung einer Teleologie zu vermeiden. Eine Überlegung, die dieser Vermei­ dung Plausibilität geben soll, besteht darin, die Zeit zwischen den Anfängen der Herausbildung der Universalität des Rechts, der Rechtssubjektivität in Rom und dem „langen Mittelalter“ als eine Phase der Latenz zu charakterisieren. In 692  Vgl. Brendan Boyle, Foucault among the Classicals, Foucault Studies, Nr.  13, 2012, S.  138–156, 144.

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VIII. Ausblicke

dieser Zeit hat sich die Dynamik des Rechts und der Entwicklung zu einer uni­ versellen Rechtsordnung weitgehend erschöpft. Dies zeigt, dass von einer Teleologie der Entfaltung der Universalität und der Rechtssubjektivität keine Rede sein kann. Es wird im Folgenden noch weiter darzulegen sein, worin die immer wieder neu zu formulierenden und zu inter­ pretierenden Erbschaften der Spätantike bestanden haben und bestehen. Vorab lässt sich die Frage stellen, ob die sich nach der Christianisierung der römischen Rechtskultur vollziehende Germanisierung im Anschluss an die vorhergehende Christianisierung nicht als „Stress“ interpretiert werden kann, der die Anpas­ sungsfähigkeit der christlich gewordenen römischen Kultur und ihrer komple­ xen Architektur überfordert hat. Dies könnte zu einer Schwächung des säkula­ ren Pols des Dreiecks Athen-Rom-Jerusalem geführt haben. Die Dominanz der Kirche steht in einem spannungsreichen multiplen Entsprechungsverhältnis zu der griechisch-römischen Zivilisation. Die Plastizität der griechischen Philoso­ phie und des römischen Rechts693 konnten sich in der germanisierten Kultur nicht mehr in dem früheren Maße behaupten. Die Folge der Herausbildung ei­ ner neuen germanisierten Ordnung war kein primitives Ordnungsmodell. Sein Vorzug bestand z. B. darin, dass es die aristokratischen Schichten in einem hö­ heren Maße als das in der römischen Kultur der Fall war in die politische Ord­ nung integrieren konnte. Doch war das neue Modell keine auf die Dynamik der Städte gestützte Ordnung, wie sie die griechische und die römische Kultur ge­ prägt hatte. Das römische Recht und die griechische philosophische Kultur sind im Mit­ telalter nie ganz verschwunden, aber in der frühmittelalterlichen Rechtsord­ nung ist das römische Recht eher respektiert als praktiziert worden. Dies hängt sicher auch mit der zurückgehenden Bedeutung der städtischen Kultur zusam­ men, die die Unruhe des römischen Rechts erzeugt und in Gang gehalten hat. Die Kirche setzte allerdings die Tradition des römischen Rechts mit der Ent­ wicklung eines Souveränitätsdenkens und einer effizienten quasi-staatlichen Verwaltung in der eigenen Kirchenorganisation fort. Die Grenze zwischen Staat und Kirche war schon in der Spätantike unscharf geblieben. Es ist nicht ver­ wunderlich, dass die säkularen Ansprüche und das säkulare Selbstverständnis der Kirche sich angesichts der schwachen politischen Form des Heiligen Römi­ schen Reiches deutscher Nation erweiterten. Zugleich wurde in der Kirche die „Romanitas“, insbesondere das römische Recht, in einer quasi-staatlichen und proto universellen Form fortgesetzt und für spätere staatliche Anschlüsse offen­ gehalten. Im Westen ist die Kirche dadurch in eine ambivalente Position gera­ ten. Dies ist auch die Grundlage für die problematisch erscheinende Annahme,   Manent (Fn.  82 – Les métamorphoses de la cité), S.  171.

693

Ausblick 1:  Das auf immer unfertige Subjekt

147

die „Erfindung des Individuum“694 habe erst gegen den Widerstand der Kirche sozusagen von Grund auf neu entwickelt werden müssen. Damit würde die im­ personale Dynamik der römischen Rechtskultur unterschätzt, die sich auch ge­ gen historisch vorübergehende Politiken der Kirche in der „longue durée“ durchgesetzt hat. Nach der hier vertretenen Position wird diese historische kul­ turelle Dynamik, wie sie hier dargestellt worden ist, auf die strategische Dimen­ sion einer als politisches Groß-Subjekt handelnden Kirchenorganisation redu­ ziert und das spannungsreiche transsubjektive Erbe der griechisch-römischen Traditionen vernachlässigt695, das in den religiösen Formen eingefroren, aber nicht verschwunden war. Der praktische Bedeutungsverlust des Staates und der wirtschaftlich-gesellschaftlichen Dynamik, die durch das römische Recht abge­ stützt worden ist, haben zu einem Ungleichgewicht innerhalb der und zwischen den Komponenten der römisch-christlichen Kultur geführt. Ohne die Ausein­ andersetzung des Christentums mit der römischen Kultur und deren Anver­ wandlung, insbesondere der Christianisierung der antiken „Sorge um das Selbst“ und die praktische explorative Epistemologie des römischen Rechts, wäre es nicht zur Herausbildung von proto-universellen Formen des Religiösen gekommen und wäre das moderne Individuum und die moderne Rechtssubjek­ tivität im wahrsten Sinne des Wortes undenkbar gewesen. Die Entwicklung des Christentums hat die Frage nach dem Individuum erst ermöglicht.696 Und die Antworten können nicht gegeben werden, wenn die Ant­ wortenden nicht selbst schon der universellen Ordnung zugehören.697 Das gilt insbesondere für die mittelalterliche Wiederanknüpfung an die griechisch-rö­ mische Rechtskultur, die zur ausdrücklichen „Erfindung des Individuums“ ge­ führt hat.698 Dies wäre nicht möglich gewesen, wenn die Bedingungen und For­ men der Denkbarkeit des Individuums und der (Rechts-)Subjektivität nicht schon „da“ gewesen wären. Mit Jean-Luc Marion699 lässt sich dies dahin spezifi­ zieren, dass der sich selbst interpretierende Akteur durch das Gegebene der Kultur, des kulturellen Erbes, selbst erst angerufen wird. Sonst ist eine Antwort nicht möglich. Salanskis beobachtet hier das Wirken einer „Rationalität der Übertragung“ („rationalité transmissive“).700 Die Assoziation mit dem psycho­ analytischen Begriff der „Übertragung“ ist nicht zufällig. Es entsteht kein be­ herrschbares Verhältnis zwischen zwei getrennt zu denkenden Kulturen. Für 694   Larry Siedentop, Die Erfindung des Individuums: Der Liberalismus und die westliche Welt, 2.  Aufl., Stuttgart: Klett Cotta 2016. 695  Vgl. Greisch (Fn.  125 – L’herméneutique), S.  165. 696   Manent (Fn.  82 – Les métamorphoses de la cité), S.  378. 697   Salanskis (Fn.  600 – Talmud, science et philosophie), S.  313 f. 698   Siedentop (Fn.  694 – Die Erfindung des Individuums). 699   Marion (Fn.  342 – Givenness and Hermeneutics), S.  43. 700   Salanskis (Fn.  600– Talmud, science et philosophie), S.  314.

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VIII. Ausblicke

das Recht bedeutet dies die Herausforderung, mit der Paradoxie der Gleichzei­ tigkeit von Hermeneutik und Post-Hermeneutik arbeiten zu müssen: Das Recht muss einerseits hermeneutisch Anschlüsse an ein (nicht selbst-verständliches) Erbe suchen, während es zugleich posthermeneutisch hinnehmen muss, dass das Recht von einer Dynamik durchzogen wird, die ihm in dem Sinne „äußer­ lich“ bleibt, dass es sie nicht vollständig verinnerlichen kann.701 Die Tradition muss sich geben, damit das Subjekt sich sehen kann! Es gibt immer ein „Vorher“, das wiedergefunden werden muss702 , aber keinen Ein­ schnitt, der zu einem Neuanfang führt. Dies wird in der jüdischen Tradition als Erscheinungsform der Unterwerfung unter das Vorher des Gesetzes anerkannt. Das Christentum hat sich das „Vorher“ der griechisch-römischen Kultur anver­ wandelt, nicht nur reflektierend angeeignet, ohne aber das Verhältnis von Reli­ gion und paganer Kultur „ab-schließend“ bestimmen und beherrschen zu kön­ nen.703 Schon hier öffnet sich ein Spalt, der unaufhebbar ist und immer wieder aufs Neue haltbar gemacht werden muss. Die Abstimmung von paganer Rechts­ kultur und christlicher (unfertiger) Selbstinterpretation bedurfte einer „Kollisi­ onsordnung“, die durch die geistigen Übungen der Christen haltbar geworden ist, aber keinen Gleichgewichtszustand erreichen konnte. Die Schwierigkeiten bei der Herausbildung dieser „Kollisionsordnung“ zeigen sich auch am Konflikt um die Herausforderung der Kirche und der Interpretation der heiligen Texte im Angesicht neuer wissenschaftlicher Entdeckungen, insbesondere Galileis. Marion704 spricht im Hinblick darauf von einem auf beiden Seiten des Konflikts bestehenden Mangel an „prudence épistémologique“, da auch die Grenzen der Wissenschaft nicht beachtet worden seien. Das ändert nichts daran, dass die Kirche den „acquis des Grecs“ und später des römischen Rechts aufbewahrt hat705 und damit auch sowohl für die eigene Sache als auch darüber hinaus Wis­ senschaft und Philosophie erst ermöglicht und deren Autonomie gegenüber der Theologie unterstützt hatte.

Ausblick 2:  Kein „Anfang“ ohne ein „Vorher“ Die Stagnation von Wissenschaft, Philosophie und des römischen Rechts im Mittelalter bis ins 10. Jahrhundert sind eher der im Zuge der Germanisierung 701   Vgl. auch Wellbery (Fn.  238 – Vorwort), S.  X II; auch Ladeur (Fn.  25 – Prozeduralisie­ rung zweiter Ordnung). 702   Bloch/Berdah (Fn.  122 – Les secrets de la Torah orale), S.  169. 703   Jean-Luc Marion, Le croire pour le voir, Paris: Parole et silence 2010, S.  19. 704   Marion, ebd., S.  20. 705   Marion, ebd., S.  19.

Ausblick 2:  Kein „Anfang“ ohne ein „Vorher“

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des Westens und der in ihrem Gefolge auftretenden Schwächung der Schriftkul­ tur geschuldet. Weil gerade die Kirche als kulturelles Gedächtnis der grie­ chisch-römischen Kultur fungieren konnte und das tradierte Wissen und seine Formen aufbewahrt hat, konnte daran insbesondere im Bereich des Rechts seit dem 10. Jahrhundert nicht zuletzt dank der Förderung der Universitäten durch die Kirche angeknüpft werden – und das heißt auch, dass die Entwicklung zur Herausbildung des universellen Rechts und der Rechtssubjektivität weitergehen konnte. Die an der Rolle der Kirche im Prozess der Entwicklung des Subjekts geübte Kritik geht vor allem an der Einsicht vorbei, dass die radikale Beseitigung aller tradierten Hindernisse einer Neugründung des Subjekts in der und durch die Revolution im wahrsten Sinne des Wortes ins Leere führt, nämlich die Re­ volution „ohne Programm“, der Vorgriff auf die „république à venir“, eine Zu­ kunft ohne Abkunft und ohne positives Recht.706 Der „Terror des Naturrechts“ in der Lesart der französischen Revolution ist das leere Recht eines Anfangs ohne „Vorher“, ohne Voraussetzungen, oder wie F.  Nietzsche dies formuliert hat: Der Text der Revolution ist verschwunden, d. h. die unterschiedlichen Interpre­ tationen hatten keinen gemeinsamen Bezugsrahmen mehr.707 Es ist das Recht, das die Möglichkeit eines Beobachtungspunktes unterstellt, der nicht der Zeit unterworfen ist und von dem aus alle Institutionen als falsch verurteilt werden können. Der Anschluss an die zeitabhängigen Bedingungen der das Erkennen vermittelnden „diskursiven Felder“708 , in die das vielfältige kulturelle Erbe ein­ getragen ist, wird durch eine „Epistemologie des Gefühls“709, der Unmittelbar­ keit ersetzt. Mit dem kulturell vermittelten Verständnis der Natur im tradierten Sinne hat das revolutionäre Naturrecht nichts mehr zu tun. C.  Blum710 hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die Herrschaft des Terrors nicht nur auf der Auflösung der Anschlüsse an das Recht basiert, sondern an die Stelle der prozeduralen, rechtlich vermittelten Logik der Herrschaft die „innere Überzeu­ gung“ setzt: Eines Beweises gegen die „Feinde des Volkes“ bedarf es nicht mehr, das Verfahrensrecht erleichtert nur die Verstellung.711 Die Infragestellung aller Institutionen ist letztlich auch die eigentliche Bedeutung des Gesellschaftsver­ trages in der Lesart Rousseaus: Er zerstört mit dem universalen Recht auch das Rechtssubjekt. Die Unmittelbarkeit der Volksherrschaft ist nichts als die Zerstö­   Edelstein (Fn.  322 – The Terror of Natural Rights), S.  206, 289; vgl. auch Carol Blum, Rousseau and the Language of Virtue. The Language of Politics and the French Revolution, Ithaca: Cornell UP 1986, S.  63. 707   Strong (Fn.  103 – Texts and Pretexts), S.  173. 708   de Libera (Fn.  338 – La référence vide), S.  353. 709   Blum (Fn.  706 – Rousseau and the Language of Virtue), S.  256. 710   Blum, ebd. 711   Darauf basiert letztlich auch Menkes Idee der „Entsetzung des Rechts“, Christoph Menke, Recht und Gewalt, Berlin: August 2012, S.  106 f. 706

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VIII. Ausblicke

rung der Institutionen. Die unmittelbare Herrschaft des Volkes ist tatsächlich nichts anderes als die Herrschaft eines Volkstribuns, mit dem man sich zu iden­ tifizieren hat. Die eigentliche Herrschaftsform der Revolution ist deshalb die Herrschaft des sich selbst zum Kaiser krönenden Napoleon. Deshalb kann von einer „Selbstentmächtigung der Politik durch die Rechtsform“712 keine Rede sein: Rechte verweisen immer auf eine gesellschaftliche Infrastruktur aus sozi­ alen Normen; die radikale Fraktion der Revolutionäre hatte diese Verweisung unterbrechen wollen.713 Dann tritt die von Ch. Menke sog. „Entsetzung“ des Rechts und der Rechte ein.714 Das bedeutet aber nicht, dass dann eine demokra­ tische Verständigung über soziale Normen diesseits des Rechts einsetzt, sondern vielmehr droht die Gefahr einer durch keinerlei Institutionen begrenzten und begrenzbaren Willkür bis hin zur Auslöschung der (Rechts-)Subjekte als Ver­ körperung „des Alten“ (d. h. der alten sozialen Regeln); dies schließt wie in der russischen Revolution auch die körperliche Vernichtung ein.715 Während der „andere A.  Smith“ jenseits des marktwirtschaftlichen Denkens die praktische Selbstbegründung der Subjektivität (the „man within“) an der wechselseitigen Beobachtung der Bürger im „Spiegel der Anderen“ lokalisiert hat, ist der „andere Rousseau“, der Denker des Subjekts jenseits des Gesell­ schaftsvertrags, der Theoretiker der Auflösung des Subjekts und der Arbeit in der (scheiternden) Vermittlung zwischen Innen und Außen des Subjekts. Bei Rousseau erscheint auch ein Pendant zur Selbstbeobachtung im Spiegel der An­ deren und der darauf aufgebauten Sorge um das Selbst“, eines, das in Rousseaus „Emile“716 verflüssigt, keine Substanz mehr hat: Rousseau spiegelt sein Selbst in verschiedenen anderen Personen, ohne dass dabei die Integration einer Subjek­ tivität/eines Subjekts zustande kommen kann.717   Loick (Fn.  50 – Juridismus), S.  165, im Anschluss an Menke (Fn.  9 – Kritik der Rechte),

712

S.  8.

713  Wenn D.  Loick meint, die Figur des subjektiven Rechts könne „jederzeit in eine Unter­ werfung unter das Protektorat eines Mächtigen umschlagen“ (Fn.  50 – Juridismus, S.  43 N.  22), so ist zunächst nach der Kausalität zu fragen, aber auch die Gegenfrage nach den Mög­ lichkeiten einer „Entgleisung“ der Revolution (J.  Derrida) zu fragen, ob nicht die Vernichtung der Subjekte als Entsubjektivierung Teil der politischen Theologie des Kommunismus (oder auch der französischen Revolution) ist. Die Diktatur ist auch bei Carl Schmitt eine Figur der Vernichtung und keine neue Ordnung, vgl. Karl-Heinz Ladeur, Carl Schmitt und die politi­ sche Theologie des Wunders, in: ders./Ino Augsberg (Hrsg.), Politische Theologien, erscheint 2018. Darin besteht m. E. ein wichtiges Motiv des linken Interesses an Carl Schmitt. 714   Menke (Fn.  711 – Recht und Gewalt), S.  100 f.; vgl. dazu Ladeur (Fn.  250 – Textualität des Rechts), S.  112. 715  Vgl. Stephan Kossmann mit dem treffenden Titel „Die Stimme des Souveräns und die Schrift des Gesetzes. Zur Medialität dezisionistischer Gestimmtheit in Literatur, Recht und Theater, München: Fink 2012. 716   Jean-Jacques Rousseau, Emil oder Über die Erziehung, 13.  Aufl., Stuttgart: UTB 2003. 717   Blum (Fn.  706 – Rousseau and the Language of Virtue), S.  61 ff.; die amerikanische Vor­

Ausblick 2:  Kein „Anfang“ ohne ein „Vorher“

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R.  Pippin718 hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, dass die Entwicklung des modernen Individuums und des universellen Rechts sich nicht der plötzli­ chen Entdeckung einer Wahrheit verdanken kann. Dann muss konsequenter­ weise der Beitrag des römischen Rechts, der römisch-christlichen Kultur, die Scholastik und das kanonische Recht als Voraussetzungen der modernen Rechtsentwicklung angenommen und gewürdigt werden. Das kanonische Recht verlangt die Bereitschaft und Fähigkeit zur Erzeugung von Kohärenz, ein Erfordernis, das für das neuzeitliche Recht formbestimmend war. Die Aporien der Theorie des Gesellschaftsvertrages bei Rousseau entsprechen in der Philosophie in gewissem Maße den Aporien der Kantschen Theorie der transzendentalen Setzung des autonomen Rechts.719 Kant sieht selbst, dass eine Selbstgesetzgebung ohne Anfang, ohne historische Möglichkeitsbedingungen nicht denkbar ist. Deshalb verweist er auch auf die jenseits der Grenzen der Spontaneität der Gesetzgebung zu situierende Möglichkeit der Erfahrung.720 Damit wird die Abhängigkeit der Selbstbeobachtung der Gesellschaft und ihrer Institutionen von den Setzungen anerkannt, die aber selbst auf die emer­ genten Bedeutungen dieser Setzungen in der Zeit verweisen (müssen)721 und dadurch auf eine paradoxe Weise gefunden werden, also nicht fundiert sind. Im Anschluss an Hofstadter/Sander722 muss man sich die Beobachtung der Welt als basiert in einem „Strom von Analogien“ vorstellen, innerhalb dessen unbewusst ständig „Entscheidungen“ durch neue Situationen provoziert werden, die auf die eine oder andere Weise an vergangene „Entscheidungen“ anknüpfen kön­ nen, weil die verwendeten Abstraktionen immer schon auf eine paradoxe Weise zu weit gefasst sind und sein müssen: Sie basieren auf heterarchischen Verknüp­ fungen zwischen Konkretionen und verweisen auf notwendigerweise erweite­ rungsbedürftige „families of action“. Dies ist eine Abhängigkeit, die St. Cavell723 in der Paradoxie des „finding as founding“ in Anschlag bringt, eine Figur, die anschlussfähig für das Recht ist. stellung der Menschenrechte knüpft an die private Ausübung der Menschenrechte an und setzt sie voraus, Zuckert (Fn.  154– The Natural Rights Republic). 718   Robert Pippin, Modernism as a Philosophical Problem. On the Dissatisfactions of Eu­ ropean High Culture, 2.  Aufl., Oxford: Blackwell 1999, S.  25. 719  Vgl. Ino Augsberg, „Das moralische Gefühl in mir“. Zu Kants Konzeption menschlicher Freiheit und Würde als Auto-Heteronomie, Juristenzeitung 2013, S.  533–539. 720   Pippin (Fn.  718 – Modernism as a Philosophical Problem), S.  51. 721   Pippin, ebd., S.  165. 722   Douglas Hofstadter/Emmanuel Sander, Surfaces and Essences: Analogy as the Fuel and Fire of Thinking, New York: Basic Books 2013, S.  10, 13, 161. 723   Stanley Cavell, This New Yet Unapproachable America, Chicago: Chicago UP 1989, S.  77.

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VIII. Ausblicke

Für das Recht noch produktiver erscheint C.  Geertz’ Figur für die Verschleifung von Handlung und emergenter (Selbst-)Bindung „finding our text“.724 Das be­ deutet, dass das Recht nicht ohne einen Verweisungszusammenhang von Nor­ mativität und Faktizität gedacht werden kann. Deshalb kann es auch mit der Entlastung von Begründungspflichten durch Lebenswelten gut auskommen.725 Die Herrschaft des Rechts über die Wirklichkeit ist begrenzt, und diese Grenze wird durch die Möglichkeit des Operierens mit Fiktionen (aus-)haltbar, die neue, aber zwangsläufig wegen des fiktiven Charakters dieser rechtlichen Ope­ rationen (z. B. Verträge) immer wieder überraschende Ergebnisse hervorbrin­ gen. Die Entscheidung trotz Unentscheidbarkeit ist eine Stärke des Rechts, mit deren Hilfe Ungewissheit erträglich wird. So wird nicht nur entschieden, son­ dern es werden „diskursive Netzwerke“726 produziert und prozessiert, über die die Verfügbarkeit von Möglichkeiten definiert, erprobt und verändert wird. Sie enthalten immer mehr Möglichkeiten als aktuell gebraucht werden. Deshalb lässt sich mit annehmen, dass die Universalität des Rechts eher metaphorisch offen (nicht mit einem begrifflich befestigten Kontext) als eine Art „Archipel“, eine „Topik“ des Universellen gebraucht wird.727 Zugleich muss das Subjekt im­ mer wieder neu „eingerichtet“ werden, weil sein gebrochenes Erbe weder nach der objektiven noch nach der subjektiven Seite frei verfügbar ist. Ohne eine ana­ logische Verknüpfung des Neuen mit erprobten Elementen wären die Beschrei­ bung der Welt und das Entscheiden unter Bedingungen von Ungewissheit völlig orientierungslos.728 Diese Schwierigkeit hat das römische Recht mithilfe einer „pragmatischen Epistemologie“ bewältigen wollen, die den transsubjektiven Prozess des gesell­ schaftlichen Handelns in variablen, auf den Wandel eingestellten Rechtsformen reflektieren. Die damit verbundene Internalisierung von Ungewissheit ist eine der nicht hintergehbaren Bedingungen des Funktionierens des Rechts. Damit sind Rechtstheorien nicht vereinbar, die das Recht auf eine Normati­ vität der Gewährleistung von Zuständen (der Gerechtigkeit) festlegen wollen. 724   Karl-Heinz Ladeur, „Finding our text“: Der Aufstieg des Abwägungsdenkens als ein Phänomen sekundärer Oralität und die Wiedergewinnung der Textualität des Rechts in der Postmoderne, in: Ino Augsberg/Sophie-Charlotte Lenski (Hrsg.), Die Innenwelt der Außen­ welt der Innenwelt des Rechts. Annäherungen zwischen Rechts- und Literaturwissenschaft, München: Fink 2013, S.  72–104; vgl. auch ders., Vom Verstehen des Rechts zu seiner Konkre­ tisierung, in: Susanne Lüdemann/Thomas Vesting (Hrsg.), Was heißt Deutung? Verhandlun­ gen zwischen Recht, Philologie und Psychoanalyse, Fink: München 2017, S.  125–144. 725   Hans Blumenberg, Theorie der Lebenswelt, Berlin: Suhrkamp 2010, S.  90 ff. 726   de Libera (Fn.  338 – La référence vide), S.  353. 727   During, aaO (Fn.  603 – L’universel en archipel), S.  792; Salanskis (Fn.  588 – Talmud), S.  311. 728   Hofstadter (Fn.  722 – Surfaces and Essences), S.  33, 313.

Ausblick 3:  Die bleibende Irritation des römischen Rechts

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Dies mag als ethischer Anspruch wohlfeil sein, mit dem Recht ist ein solches Denken nicht kompatibel. Eine radikale Universalisierung des Rechts läuft auf die methodische Unterdrü­ ckung der Unterschiede zwischen den Subjekten hinaus729 – dies verbirgt sich auch hinter der Forderung nach Anerkennung der Gleichheit als Gerechtig­ keitspostulat. Die bleibende Stärke des römischen Rechts bestand und besteht darin, dass es den „Archipel“ der universellen Ordnung begründet hat, innerhalb dessen auch die Infrastruktur der Rechtssubjektivität und damit die Bereitschaft zur Selbstund Fremdbeobachtung innerhalb der sich wandelnden Rechtskultur entstehen konnte. Damit wird der Spalt im Verhältnis von Gesetz und Subjekt, die nicht aufheb­ bare Spannung zwischen der transzendentalen Idee der Autonomie und der Heteronomie der Kontingenzen des Entscheidens730 und ihrer Wirkungen igno­ riert. Was bei Kant zur Irritation des Gesetzesverständnisses führt, wird poli­ tisch in der französischen Revolution ins Extrem der Auflösung des Gesetzes getrieben.

Ausblick 3:  Die bleibende Irritation des römischen Rechts und die Vielfalt seiner Lesarten In einer anderen Version vollzieht sich die Auflösung des Gesetzes und seiner gesellschaftlichen Rationalität im Deutschland des 19. Jahrhunderts. Die beiden Seiten dieses Prozesses lassen sich an der Entwicklung R.  v. Jherings belegen. Mit der Ablösung des römischen Rechts von der Referenz auf die Erfahrungen, die Gebräuche und Handlungsmuster der römischen Gesellschaft, ging nicht ohne weiteres eine Universalisierung auch der Grundlagen des Rechts einher. Vielmehr war damit eine „leere Referenz“ (de Libera) auf eine Ordnung jenseits der Lebensformen der römischen Oberschicht verbunden. Die nur praktisch zu beantwortende Frage nach der Möglichkeit des Einrückens neuer kognitiver Bezugsgrößen und Wissensspeicher an die Stelle der älteren lokalen Erfahrun­ gen erübrigte sich nicht in der Neuzeit mit der Referenz auf das jedem zustehen­ de subjektive Recht oder die sich herausbildende, sich in Schritten vollziehende formale Universalisierung des objektiven Rechts oder später die Referenz auf 729   Monique David-Ménard, Les constructions de l’universel. Psychanalyse, Philosophie, Paris: Presses universitaires de France 2015, S.  56. 730   Augsberg (Fn.  719 – „Das moralische Gefühl in mir“).

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VIII. Ausblicke

das Volk als zentrale Bezugsgröße der Gesetzgebung. Das subjektive Recht und die Universalisierung des objektiven Rechts sind die erwähnten „leeren Refe­ renten“ auf eine andere Bezugsgröße, die selbst nur als etwas Werdendes nicht genau benannt werden konnte. Dies galt sowohl für die objektive als auch die subjektive Seite des Rechts: Nach der einen Seite war dazu die Bildung und Be­ obachtung gesellschaftlicher Normen, Handlungsmuster und Orientierungen erforderlich, während das „Selbst“ des Subjekts ebenfalls anders „möbliert“ werden musste als in der Zeit des klassischen römischen Rechts: Die Selbst- und Fremdbeobachtung des aktuell Üblichen tritt immer stärker an die Stelle der älteren Erfahrung. Gerade weil es sich hier um die Referenz auf Praktiken han­ delt, die selbst im Werden waren und der verallgemeinernden Begrifflichkeit und Systematisierung nicht ohne weiteres zugänglich waren. Konnten sich z. B. in Deutschland im 19. Jahrhundert auch andere Referenzen auf mögliche Infra­ strukturen des Rechts bilden, so etwa die Referenz auf die römischen Begriffe als „Destillate des Laboratoriums der Rechtswissenschaft“.731 Die von F.  Schulz und später F.  Steinhauer angerufene „Scheidekunst“ als Methode des römischen Rechts, die vorsichtig von Fall zu Fall vorgeht, ist bei Jhering, der den Begriff „juristische Scheidekunst“ verwendet, Teil der Arbeit an einer „Chemie des Rechts“ und der Begriffsverbindungen geworden.732 Dies entsprach ebenso dem Mangel einer in der Gesellschaft basierten Praxis der sozialen Normbildung und ihrer Beobachtung durch das Recht wie später die Herausbildung der „Interessenjurisprudenz“, die jedenfalls zunächst im Ap­ pell an das „Rechtsgefühl“ die „lebendige Kraft“733 des Rechts und dabei letzt­ lich institutionell die Verschiebung der Gewichte von der Gesetzgebung zur Rechtsprechung betrieb. In beiden Versionen ist die pragmatische Epistemolo­ gie des römischen Rechts zunächst zugunsten einer Begriffslehre, dann eines vitalistischen Vorgriffs auf den Zweck als „Vorstellung eines Zukünftigen“734 aufgegeben worden. Die letztere Referenz führt zu einer noch stärkeren Akzen­ tuierung des Staates gegen die Selbstorganisation des Rechts in der Gesellschaft. Demgegenüber steht die Reflexion des Spannungsverhältnisses von römischem Recht, griechischer Philosophie und christlicher Religion im Widerspruch auch zu der Suche nach einer dem Recht „innewohnenden Einheit“ (Savigny), als Bei­ 731   Rudolf von Jhering, Der Geist des römischen Rechts, Band II 2, 2.  Aufl., Leipzig: Breit­ kopf & Härtel 1858, S.  425. 732   Jhering, ebd., S.  363. 733   Rudolf von Jhering, Der Kampf um’s Recht, hg. von Felix Ermacora, Berlin: Propyläen, 1997, S.  137. 734   Rudolf von Jhering, Der Zweck im Recht, Band 2, 5.  Aufl., Leipzig: Breitkopf & Härtel 1916, S.  7.

Ausblick 3:  Die bleibende Irritation des römischen Rechts

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trag zur Herstellung der Einheit der Nation.735 Damit werden die Spiegelungen des Anderen, Fremden, in das (römische) Recht ignoriert, das nur als Textur aus unterschiedlichen Praktiken und historisch bestimmten Reflexionsformen, als heterogenes Erbe angenommen werden kann.736 Doch ohne die Auseinander­ setzung mit einem Erbe geht es nicht. Wie soll die Setzung eines universalen Gesetzes ohne vorgängige Erfahrung seiner Möglichkeiten und Grenzen denk­ bar sein? Auch dies könnte eine Lesart der autonomen Setzung des Gesetzes sein, auch wenn das Erbe nicht einfach gelten kann. Das Erbe bleibt in seiner Bedeutung unbestimmt, aber es ist nicht völlig strukturlos. Diese Paradoxie kommt darin zum Ausdruck, dass die Gabe Erwartungen erzeugt, die sie zu­ gleich in der Schwebe, im Unbestimmten halten muss – sonst ist es keine Gabe. Das Gesetz gibt sich selbst und bringt damit die „Autonomie des Nomos selbst“ zur Geltung737 und damit die Unbestimmtheit erster Ordnung des Gesetzes, während eben deshalb durch Praktiken und Muster, durch Interpretationen, die Projektionen sind, eine praktikable Bestimmtheit zweiter Ordnung durch die Techniken des Rechts hergestellt werden muss. Das wieder entdeckte, wie­ der aktivierte römische Recht hält aufgrund seiner Geschichte diesen Spalt zwi­ schen den beiden Ordnungen offen.

  Vgl. allg. Rückert (Fn.  261 – Die Historische Rechtsschule), S.  77–102.  Die Verknüpfung der unterschiedlichen Praktiken und Wissensbestände zu einer „Textur“ ist die Bewegungsform der „Textur“ des Rechts als Verfahren; vgl. dazu Augsberg (Fn.  269 – Die Lesbarkeit des Rechts), S.  165. 737   Jacob Rogozinski, Le don de la loi. Kant et l’énigme de l’éthique, Paris: Presses Univer­ sitaires de France 1999, S.  91. 735

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Sachregister Aktionensystem 17 Arbeit am Selbst  30 f., 43 f., 51 Askese  57, 89, 97 Ausdifferenzierung des Rechts  7, 9, 11, 13, 15 ff., 19, 28, 37, 108 Bildung  8, 10, 13, 20, 29, 46, 54, 58, 76, 80, 82, 84, 98, 102, 115, 129, 137, 154, 158 Bischöfe  93, 99, 104, 109, 124 Byzanz  22, 95, 104, 124, 142 Christianisierung  2 ff., 9, 26 f., 35 f., 40, 47, 63, 67 ff., 80, 82 ff., 86, 88, 90, 92, 94, 97, 107, 115, 119, 123, 125, 128, 137, 138 ff., 142, 144, 146 f., 159 christlichen Theologie  92 civitas dei  66 Codex  86, 95 f., 99, 120 Culture of Fact  15, 175 Denken, universalistisches  70, 98, 108 diskursive Felder  4, 66, 123, 135 Dogmatik  16, 127 Doppelnatur Christi  79 epistemische Revolution  9, 11 Epistemologie, pragmatische  11, 114, 154 exempla  18, 22, 37, 82, 89 Fiktion  13 f., 44, 60, 62, 65, 132 f. Gedächtnis, kulturelles  149 genealogische Konzeption  53 Germanisierung  4 f., 21, 35, 95, 98 f., 105, 107 ff., 112, 114, 116, 118, 123, 128, 142, 146, 148

Gnosis  76 ff., 166, 175 gouvernementalité  48, 162 Häresien  76, 80, 85, 94 Hochmittelalter  22, 118, 121, 124 Interpretation  5, 42, 47, 57, 64, 66, 73, 76, 79 f., 82, 90, 101, 121, 148, 175 Islamisierung 35 ius civile  17, 19, 21 f. ius gentium  26 ius naturale  26 Judentum  52, 56, 79 f., 101, 107, 115, 145 Juristen  7, 11, 13, 74, 95f., 122, 168 juristische Person  104 Kaiser, Legitimation des  38 Karolinger  110, 120 Kirche  47, 56, 58, 72, 76 f., 79 ff., 87, 91 ff., 99 ff., 104, 107, 110 f., 118, 120 f., 123, 126, 129 f., 137, 142, 146 ff. Klöster  57, 87, 98 Kommentar  43, 78, 81, 167, 176 Konventionen  32 f., 52, 60, 124 Kosmologie  37, 70, 76, 118 Kultur  1 ff., 9 ff., 15 f., 20 f., 24, 27 ff., 31, 33 ff., 40 f., 43, 45, 47 f., 50 f., 54 f., 58, 60, 62 f., 66 ff., 74 f., 77, 83, 85 f., 88 ff., 92, 94 ff., 104 ff., 113, 115, 117 ff., 121 ff., 125 f., 128 ff., 137, 139 ff., 146 ff., 151, 163, 167 Kultur, griechische  16, 34, 60, 115 Kunst  10, 122 f., 142 ff. mos maiorum  18, 23, 37 ff., 68 f., 73, 121, 125, 142

180

Sachregister

Naturrecht  32, 61, 131, 134, 149 nomos  3, 27, 43, 155, 161, 177 Oberschicht  9, 19, 21, 36, 39 f., 43, 45 ff., 57 ff., 69, 82, 84 f., 87, 93, 153 Paideia  45, 70 f., 73, 80, 82, 91, 133, 165 Papsttum  99, 102 ff., 117, 122 Performativität  14 f., 47, 82, 89, 113 Philosophie, griechische  9, 28, 41 ff., 52, 54, 56, 58, 60, 62, 64, 66, 70, 72 f., 85 f., 91, 118, 134 Praetor 17 Proto-Universalisierung 23 Proto-Subjekt  19 f., 84, 132 Provinzialrecht  22 ff., 26, 108 Prozessrecht 32 Rationalisierung  1, 28, 37, 70, 133 Recht, Autonomie  7, 28 Recht, jüdisches  2, 5, 52 Recht, subjektives  1, 21, 24, 32 f., 113 f., 118, 127, 134 f., 153 f. Recht, universalistisches  19, 29, 37, 96, 145 Rechtskultur  2, 7 ff., 12, 14, 16, 18 ff., 22, 24, 26 ff., 30, 32, 34, 36, 38, 40, 67 f., 70, 72, 74, 76, 78, 80, 82, 84, 86, 88, 90, 92, 94 f., 97 f., 100, 105, 107 f., 110, 120 ff., 124 ff., 130, 132, 134, 136, 145 ff., 153, 164, 169 Rechtssubjekt  12, 14, 20 f., 31, 33, 113, 128, 132, 134 f., 139, 145, 149 Religion, pagane  73 Religion, römische  28, 36 ff., 107 Renaissance  35, 100, 105, 141 ff., 176

Revolution, epistemische  9, 11 Rhetorik  8 f., 11, 45 f., 82, 85, 87, 96, 160, 162 Scholastik  32, 90, 100 f., 103, 121 f., 126 f., 129, 151 Schöpfungslehre  26, 76 Schrift  10, 16, 18, 25, 28, 73, 83, 85 f., 90, 103, 115, 150, 166, 177 Selbstsorge 42 Souveränität  18, 39, 61 f., 99, 102, 105, 113, 123, 126 f. Stadt, antike  10, 21 Stadt, spätantike  22 Städte, norditalienische  25, 118 Stoa  8, 42 f., 45, 61, 84, 177 Subjekt, christliches  86 f., 89, 91, 93 Subjektivität  14, 19 f., 23, 28, 45, 48 f., 57, 62 f., 77, 89, 105, 115 ff., 133, 135, 137 f., 145, 147, 150 Technik  8, 21, 25, 33 f., 112, 126, 129, 135, 158 Techniken des Selbst  59 Torah  24, 74, 81, 101, 148, 158, 177 Übungen, geistige  29, 78 universalistischen Rechts  19, 37, 96 Verfahren  5, 7 f., 17, 27, 32, 61, 128, 155, 163, 177 Wissen, kollektives  Wissen, praktisches  12, 122, 134 f. Zivilrecht  17, 19, 31

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