Akzeptanz von Großprojekten

Im Mittelpunkt des Buches stehen Konflikt und Akzeptanz von Großprojekten und die Rolle, die Kommunikation und Beteiligung hierbei einnehmen. Mit Hilfe eines projektübergreifenden Forschungsdesigns charakterisiert die Autorin die Großprojektlandschaft in Deutschland in qualitativer und quantitativer Weise. 60 Projekte verschiedener Themenbereiche werden hinsichtlich prognostizierter Konfliktdeterminanten, z.B. Kosten- und Nutzenaspekten sowie der Wirkung verschiedener Kommunikations- und Beteiligungsformen untersucht. Es zeigt sich unter anderem, dass sich Kommunikation und Beteiligung positiv auf die Findung einer gemeinsam akzeptierten Lösung auswirken können, z.B. durch ihre Effekte auf die Kosten- und Nutzenaspekte bei Großprojekten.

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Politik gestalten – Kommunikation, Deliberation und Partizipation bei politisch relevanten Projekten

Inkeri Märgen Schmalz

Akzeptanz von Großprojekten Eine Betrachtung von Konflikten, Kosten- und Nutzenaspekten und Kommunikation

Politik gestalten – Kommunikation, Deliberation und Partizipation bei politisch relevanten Projekten Reihe herausgegeben von F. Brettschneider, Stuttgart, Deutschland A. Vetter, Stuttgart, Deutschland A. Bächtiger, Luzern, Schweiz

Großprojekte aus den Bereichen Energie, Verkehr und Stadtentwicklung stoßen immer wieder auf Protest von Teilen der Bevölkerung. Stets artikulieren lokale Bürgerinitiativen ihren Unmut. Umwelt- und Naturschutzverbände springen ihnen bei. Und in der Regel werden die Konflikte auch von Parteien aufgegriffen, teilweise für Wahlen instrumentalisiert. Die Legitimation von Großprojekten beruht nicht nur auf gesetzlich vorgeschriebenen, formalen Rechtsverfahren, sondern sie bedarf auch einer frühzeitigen und dialogischen Bürgerbeteiligung. Das Gleiche gilt nicht nur für Großprojekte, sondern auch für andere politisch relevante Vorhaben: etwa die Integration von Flüchtlingen, für nachhaltige Kommunalentwicklung oder für Gesetzesvorhaben. In der Reihe sollen politik- und kommunikationswissenschaftliche Arbeiten zum oben genannten Themenfeld versammelt werden. Im Mittelpunkt stehen Fragen der Kommunikation, der Deliberation und der Bürgerbeteiligung – aus nationaler und aus international vergleichender Perspektive. Die Reihe richtet sich aber nicht nur an ein wissenschaftliches Publikum, sondern auch an Praktiker aus Politik und Verwaltung. Neben wissenschaftlichen Erkenntnissen werden sie daher auch Handlungsempfehlungen und Praxisbeispiele enthalten.

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/16100

Inkeri Märgen Schmalz

Akzeptanz von Großprojekten Eine Betrachtung von Konflikten, Kosten- und Nutzenaspekten und Kommunikation Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Frank Brettschneider

Inkeri Märgen Schmalz Stuttgart, Deutschland Dissertation, Universität Hohenheim, 2018 D100

Ergänzendes Material zu diesem Buch finden Sie auf http://extras.springer.com. ISSN 2524-4744 Politik gestalten – Kommunikation, Deliberation und Partizipation bei politisch relevanten ­Projekten ISBN 978-3-658-23639-7  (eBook) ISBN 978-3-658-23638-0 https://doi.org/10.1007/978-3-658-23639-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Allem voran

Weshalb erfahren eigentlich so viele Großprojekte in Deutschland Konflikt? Warum gibt es so wenig Akzeptanz für große Bauten oder Flächenprojekte? Der Bau bzw. die Einrichtung von Bahnhöfen, Windkraftanlagen, Nationalparks oder Flughäfen bewegt die Menschen – aber warum genau? Aus diesen Fragen heraus entstand das Interesse für das Forschungsprojekt über die Akzeptanz von Großprojekten in Deutschland. Ich danke meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Frank Brettschneider, der mit Expertise und Freiräumen, Inspiration und Motivation meine Forschung begleitet hat. In all den Jahren Ihrer Betreuung, lieber Herr Brettschneider, habe ich durch freies wissenschaftliches Arbeiten, durch Ihre Förderung und Forderung diese Doktorarbeit und auch mich selbst frei entwickeln dürfen. Die zahlreichen fachlichen Erkenntnisse sowie die persönlichen Erfahrungen, die ich während der Erstellung dieser Arbeit gemacht habe, haben mein Leben in jeder Hinsicht bereichert – herzlichen Dank. Mein Dank gilt auch Frau Prof. Dr. Claudia Mast, die freundlicherweise das Zweitgutachten übernommen hat. Liebe Frau Mast, ich weiß Ihren Einsatz ebenfalls sehr zu schätzen. Das große Vertrauen von Dr. Lothar Ulsamer in die Bedeutung der Kommunikation bei der Realisierung von Großprojekten war mir Ansporn und Leitmotiv zugleich. Lieber Herr Ulsamer, vielen lieben Dank für Ihr stets offenes Ohr und die praktischen Ratschläge. Familie und Freunden sowie allen anderen, die mich unterstützt und inspiriert, mich beraten und mit mir diskutiert haben, bin ich unendlich dankbar. Ein Hoch auf Euch! Hohenheim im Winter 2017 Inkeri Märgen Schmalz

Geleitwort

VII

Geleitwort

Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung bei Großprojekten – eine Investition, die sich auszahlt Großprojekte aus den Bereichen Energie, Verkehr und Stadtentwicklung stoßen immer wieder auf Protest von Teilen der Bevölkerung. Oft artikulieren lokale Bürgerinitiativen ihren Unmut. Umwelt- und Naturschutzverbände springen ihnen bei. Und in der Regel werden die Konflikte auch von Parteien aufgegriffen, teilweise für Wahlen instrumentalisiert. Dem Spiegel war dies im Jahr 2010 eine Titelseite wert. Darauf sah er Deutschland auf dem Weg in die „Dagegen-Republik“, angetrieben von „Wutbürgern“. Diese Begriffe sind umstritten. Unstrittig ist hingegen, dass der Protest viele Wurzeln hat. Unstrittig ist auch, dass gesellschaftlich tragfähige Lösungen ohne Kommunikation zwischen Vorhabenträgern, Bürgern, Verbänden, Initiativen sowie Politik und Verwaltung nicht möglich sind. Die Legitimation von Großprojekten beruht nicht nur auf gesetzlich vorgeschriebenen, formalen Rechtsverfahren, sondern sie bedarf auch einer frühzeitigen Kommunikation und einer dialogischen Öffentlichkeitsbeteiligung. Beides kostet Geld. Dabei handelt es sich aber um gut angelegtes Geld – um eine Investition, um zu gesellschaftlich tragfähigen Lösungen zu gelangen. Angesichts der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Relevanz und Aktualität des Themas überrascht es, dass die Forschung dazu sehr lückenhaft ist. Folgende Forschungsdefizite wurden von Inkeri Märgen Schmalz überwunden:  



Die Forschung konzentrierte sich bislang auf strittige Großprojekte. Inkeri Märgen Schmalz hat Theorie und Empirie um akzeptierte Großprojekte erweitert. In der Forschung dominieren Case-Studies. Inkeri Märgen Schmalz hat die erste Arbeit vorgelegt, die Protest und Akzeptanz, Kosten-Nutzen-Betrachtungen sowie Kommunikation bei Großprojekten auf einer umfassenden Basis von Fällen aus mehreren Themenbereichen analysiert. Akzeptanz wurde bislang vor allem auf der Einstellungsebene erfasst. Inkeri Märgen Schmalz hat diese Betrachtung um die Verhaltensebene erweitert und ein eigenes Modell für die Messung von Akzeptanz entwickelt und angewendet.

VIII

Geleitwort

Die Arbeit bietet Antworten unter anderem auf folgende Fragen: Welche Merkmale weist die Großprojekte-Landschaft in Deutschland auf? Welche Projekte sind eher durch Konflikt geprägt, welche durch Akzeptanz? Und von welchen Projektmerkmalen hängt dies ab? Welche Kosten- und welche Nutzen-Aspekte spielen bei Großprojekten eine Rolle (materielle, finanzielle, persönliche, soziale und ideell-kulturelle Formen von Kosten und Nutzen)? Und wie hängen sie mit Protest und Akzeptanz zusammen? Welche Bedeutung haben Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung für den Verlauf von Protest und Akzeptanz bei Großprojekten? Die Forschungsfragen werden aus einer theoretischen Perspektive sowie mittels einer aufwändigen eigenen empirischen Untersuchung beantwortet. Der Theorieteil integriert sehr unterschiedliche Forschungsfelder (Konflikt und Akzeptanz, Kosten und Nutzen, Kommunikation) in einem Modell wesentlicher Determinanten der Akzeptanz von Großprojekten. Der empirische Teil setzt sich aus zahlreichen, aufeinander aufbauenden Teilstudien zusammen. Zunächst wurden 60 Großprojekte identifiziert. Akteure aus diesen Großprojekten wurden mittels eines Online-Fragebogens befragt. An der Befragung haben 194 Personen teilgenommen. Sodann wurden zu 31 Großprojekten darüber hinaus leitfadengestützte Intensivinterviews mit Vorhabenträgern und High-Involvement-Akteuren durchgeführt. Zu den zentralen Akteursgruppen zählen: Vorhabenträger, Bürgerinitiativen, Politiker, Natur- und Umweltschützer, Behörden, Journalisten. Von den untersuchten Großprojekten galten 43 Prozent als gesellschaftlich weitgehend akzeptiert, 57 Prozent als wenig akzeptiert. Die Determinanten von Protest bzw. Akzeptanz sind sehr vielfältig. Als wesentliche projektbezogene Einflussgrößen werden die Gemeinwohlorientierung des Projektes, die Transparenz der Kosten für die Öffentlichkeit, die Befürwortung/Ablehnung des Standortes sowie die Art des Projektes und die Notwendigkeit einer Problemlösung identifiziert. Als wesentliche akteursbezogene Einflussgrößen werden hervorgehoben: fachliche Kompetenz, Empathie und Kooperationsbereitschaft des Vorhabenträgers. Unter den prozessbezogenen Einflussgrößen sind vor allem eine gute Prozessgestaltung sowie die rechtliche Korrektheit wichtig. Auch wird ein sichtbarer Baufortschritt als akzeptanzfördernd angesehen. Unter den kommunikationsbezogenen Einflussgrößen werden hervorgehoben: eine frühzeitige und dauerhafte Kommunikation, ein angemessenes Wording, vor allem eine positive Medienberichterstattung. Darüber hinaus wird dem angemessenen Verhalten der politischen Akteure und der Verwaltung eine große Bedeutung für die Akzeptanz beigemessen. Und die oft lange Dauer von Genehmigungsverfahren als akzeptanzmindernd angesehen. Der Kommunikation und der Öffentlichkeitsbeteiligung kommt bei Großprojekten eine erhebliche Bedeutung zu. Die in den untersuchten Großprojekten

Geleitwort

IX

eingesetzten Kommunikationsinstrumente decken die gesamte Bandbreite ab. Dabei stehen vor allem Gespräche im Mittelpunkt. Es folgen Informations- und Dialoginstrumente. Rund 45 Prozent der genannten Instrumente bieten einen zweiseitigen Informationsfluss, 55 Prozent sind Top-Down-Instrumente. Anhand der eingesetzten Kommunikationsinstrumente werden die Vorhabenträger zu Kommunikations-Typen zusammengefasst. Besonders interessant sind die Zusammenhänge zwischen diesen Kommunikations-Typen einerseits sowie dem wahrgenommenen Kosten-Nutzen-Verhältnis und dem Akzeptanzlevel andererseits: 1. 2.

3. 4.

Bei Projekten der Viel-Kommunizierer nehmen die Akteure im Schnitt einen größeren Nutzen wahr. Bei den Befürwortern eines Projektes entwickelt sich das wahrgenommene Kosten-Nutzen-Verhältnis bei intensiver Kommunikation positiv. Dies gilt vor allem dann, wenn Vorhabenträger Informations- und Mitgestaltungsinstrumente einsetzen. Bei den Kritikern eines Projektes entwickelt sich das wahrgenommene Kosten-Nutzen-Verhältnis bei intensiver Kommunikation geringfügig positiv, wenn die Kommunikation auf Mitgestaltungsebene stattfindet. Umfangreiche Kommunikation führt zu einer Depolarisierung. Und beide Seiten (Befürworter und Kritiker) lernen neue Argumente über Kosten und über Nutzen kennen, ohne ihre grundsätzliche Haltung zu verändern.

Inkeri Märgen Schmalz hat mit ihrer Arbeit einen wesentlichen Beitrag zur empirischen Erforschung von Kosten- und Nutzenaspekten, von Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung sowie der Akzeptanz-Bedingungen bei Großprojekten vorgelegt. Ihre Arbeit enthält zahlreiche theoretische und methodische Innovationen, die die weitere Forschung prägen werden. Frank Brettschneider

Inhaltsverzeichnis

XI

Inhaltsverzeichnis

1

Großprojekte zwischen Konflikt und Akzeptanz – eine Einführung ...... 1 1.1 Einführung und Fragestellungen ........................................................... 1 1.2 Vorgehensweise und Struktur der Arbeit .............................................. 6

2

Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel ..................................... 7 2.1 Gesellschaft und sozialer Wandel – Ausgangsbedingungen für Großprojekte ......................................................................................... 7 2.2 Der Begriff des Großprojekts .............................................................. 14 2.3 Akzeptanz und ihre Dimensionen ....................................................... 20 2.3.1 Das Konzept der Akzeptanz .......................................................... 21 2.3.2 Ausgewählte Ansätze zum Verhältnis von Einstellung und Verhalten ....................................................................................... 29 2.3.3 Objekt, Subjekt und Kontext – Elemente der Akzeptanz .............. 36 2.3.4 Konflikt und Akzeptanz ................................................................ 40 2.4 Conclusion zur Akzeptanz- und Großprojektforschung ...................... 46

3

Die Genese von Konflikt und Akzeptanz ................................................. 51 3.1 Einflussgrößen auf Konflikt und Akzeptanz ....................................... 52 3.1.1 Einflussgrößen mit Objektbezug ................................................... 53 3.1.2 Einflussgrößen mit Subjektbezug .................................................. 55 3.1.3 Einflussgrößen mit Kontextbezug ................................................. 58 3.2 Zentrale Ansätze und Modelle von Konflikt und Akzeptanz .............. 60 3.2.1 Input-Modelle ................................................................................ 62 3.2.2 Input-Output-Modelle ................................................................... 68 3.2.3 Rückkopplungsmodelle ................................................................. 70 3.2.4 Phasenmodelle ............................................................................... 74

XII

Inhaltsverzeichnis

3.3 Conclusion zur Genese von Konflikt und Akzeptanz ......................... 75 4

Kosten- und Nutzenaspekte von Konflikt und Akzeptanz ..................... 81 4.1 Konzepte des Kosten-Nutzen-Ansatzes .............................................. 83 4.2 Kostenaspekte und Nutzenaspekte bei Großprojekten ........................ 88 4.2.1 Materielle und finanzielle Formen von Kosten und Nutzen .......... 90 4.2.2 Individuelle, soziale und ideell-kulturelle Formen von Kosten und Nutzen ........................................................................ 96 4.3 Conclusion zu Kosten- und Nutzenaspekten bei Großprojekten ....... 102

5

Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten........................... 105 5.1 Ansätze zu Kommunikation und Beteiligung ................................... 106 5.2 Effekte und Funktionen von Kommunikation und Beteiligung ........ 116 5.2.1 Kommunikation mit geringem Öffentlichkeitseinfluss: Information .................................................................................. 117 5.2.2 Kommunikation mit mittlerem Öffentlichkeitseinfluss: Konsultation ................................................................................ 120 5.2.3 Kommunikation mit hohem Öffentlichkeitseinfluss: Mitgestaltung ............................................................................... 123 5.3 Conclusion zu Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten und Aufstellung eines integrierenden Modells wesentlicher Determinanten der Akzeptanz ........................................................... 131

6

Forschungsdesign zur Analyse von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten ......................................................................................... 137 6.1 Überblick über Forschungsdesign und Studienablauf ....................... 138 6.2 Ansatz zur Messung der Akzeptanz von Großprojekten ................... 140 6.3 Methodik von Studie S1: Analyse der deutschen Großprojektlandschaft....................................................................... 143 6.3.1 Grundsätzliche Überlegungen und Studienaufbau ...................... 143 6.3.2 Schritt 1: Scanning und Monitoring der Großprojektlandschaft.. 144 6.3.3 Schritt 2: Analyse der identifizierten Projekte hinsichtlich zentraler Kriterien........................................................................ 148

Inhaltsverzeichnis

6.3.4

XIII

Schritt 3: Auswahl relevanter Projekte ........................................ 148

6.4 Studie S2: Onlinebefragung von Akteuren deutscher Großprojekte . 153 6.4.1 Grundsätzliche Überlegungen und Studienaufbau ...................... 153 6.4.2 Konstruktion des Befragungsinstruments .................................... 155 6.4.3 Auswahlverfahren und Zusammensetzung der Stichprobe von Studie S2 .............................................................................. 159 6.4.4 Vorgehensweise und Ablauf........................................................ 161 6.5 Studie S3: Leitfadengespräche mit Projektträgern und High-Involvement-Akteuren ............................................................. 162 6.5.1 Grundsätzliche Überlegungen und Studienaufbau ...................... 162 6.5.2 Konstruktion der Interviewleitfäden............................................ 164 6.5.3 Auswahlverfahren und Zusammensetzung der Stichprobe von Studie S3 .............................................................................. 165 6.5.4 Vorgehensweise und Ablauf........................................................ 167 6.6 Exkurs: Teilnahmeverhalten, Feedback von Akteuren und Maßnahmen zur Erhöhung der Teilnahmebereitschaft ..................... 167 7

Empirische Erkenntnisse zu Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten ......................................................................................... 171 7.1 Großprojekte in Deutschland – ein Überblick................................... 171 7.1.1 Erkenntnisse auf Projektebene .................................................... 172 7.1.2 Erkenntnisse auf Akteursebene ................................................... 188 7.1.3 Conclusion zur Großprojektlandschaft in Deutschland ............... 197 7.2 Empirische Erkenntnisse zu Determinanten der Akzeptanz von Großprojekten ................................................................................... 200 7.2.1 Einflüsse mit Bezug zu Projekteigenschaften.............................. 200 7.2.2 Akteursbezogene Einflüsse ......................................................... 206 7.2.3 Prozessbezogene Einflüsse .......................................................... 211 7.2.4 Kommunikationsbezogene Einflüsse .......................................... 212 7.2.5 Einflüsse mit Bezug zu Staat und Gesellschaft ........................... 218 7.2.6 Conclusion zu Determinanten der Akzeptanz von Großprojekten.............................................................................. 221

XIV

Inhaltsverzeichnis

7.3 Empirische Erkenntnisse zu Kosten- und Nutzenaspekten bei Großprojekten ................................................................................... 227 7.3.1 Wahrgenommene Kosten- und Nutzenarten ................................ 227 7.3.2 Kosteneffekte, Nutzeneffekte und Kosten-NutzenVerhältnisse bei Großprojektakteuren ......................................... 239 7.3.3 Conclusion zu Kosten und Nutzen bei Großprojekten ................ 249 7.4 Empirische Erkenntnisse zu Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten ............................................................................. 255 7.4.1 Kommunikationsformen und Kommunikationstypen ................. 255 7.4.2 Projektträgerkommunikation und Kosten- und Nutzenwahrnehmungen von Akteuren ........................................ 264 7.4.3 Projektträgerkommunikation und Projektakzeptanz.................... 271 7.4.4 Akzeptanz, Kommunikation und Kosten- und Nutzenwahrnehmungen von Projektträgern ................................ 279 7.4.5 Conclusion zu Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten.............................................................................. 290 8

Quintessenz zur Akzeptanz von Großprojekten ................................... 299 8.1 Zusammenfassung wesentlicher Erkenntnisse zu Akzeptanz und Konflikt, Kosten- und Nutzenaspekten sowie Kommunikation bei Großprojekten ................................................................................... 299 8.2 Schlussfolgerungen zur Akzeptanz von Großprojekten .................... 306 8.3 Reflektion und Perspektiven für die Forschung ................................ 310 8.4 Zu guter Letzt.................................................................................... 316

9

Literaturverzeichnis ................................................................................ 317

Anhang............................................................................................................. 355

Abbildungsverzeichnis

XV

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Akzeptanzmodell „The system acceptance/rejection spectrum” von London (1976) ................................................... 30 Abbildung 2: „Inakzeptanz-Akzeptanz-Skala“ von Sauer et al. (2005) in Anlehnung an Hofinger (2001) .................................................. 31 Abbildung 3: Modell der „Benutzertypen entsprechend Verhaltens- und Einstellungsakzeptanz“ von Müller-Böling & Müller (1986) .... 32 Abbildung 4: „Dimensionen des Akzeptanzbegriffs“ von Schweizer-Ries et al. (2010) ................................................................................ 32 Abbildung 5: Modell „Akzeptanzniveaus“ von Liebecke et al. (2011)............ 34 Abbildung 6: Zweidimensionales Modell der Akzeptanz von Großprojekten ............................................................................ 45 Abbildung 7: Zweidimensionales Modell der Akzeptanz von Großprojekten, ergänzt um den Bereich des sozialen Konflikts .................................................................................... 46 Abbildung 8: Vereinfachtes Modell „Einflussfaktoren auf Großprojektkonflikte“ ................................................................ 52 Abbildung 9: „Ladder of Citizen Participation“ von Arnstein (1969) ........... 108 Abbildung 10: „Stufenmodell der Partizipation“ von Lüttringhaus (2000) ..... 110 Abbildung 11: „Formate der Beteiligung“ von Renn (2011a, 2013a) .............. 112 Abbildung 12: Ebenen von Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten .......................................................................... 115 Abbildung 13: Integrierendes heuristisches Modell wesentlicher Determinanten der Akzeptanz von Großprojekten ................... 135 Abbildung 14: Untersuchungsaufbau der vorliegenden Arbeit ........................ 139 Abbildung 15: Finale Merkmalsmatrix zur Projektauswahl der Studie S1 ...... 152 Abbildung 16: Prozentuale Häufigkeitsverteilung, Mittelwerte und Standardabweichungen der einzelnen Aktivitätsitems ............. 159 Abbildung 17: Verteilung der selektierten Großprojekte auf die Themenfelder ........................................................................... 173 Abbildung 18: Verteilung der selektierten Großprojekte hinsichtlich Projektträgerstrukturen............................................................. 175 Abbildung 19: Projekte des Themenbereichs „Mobilität und Verkehr“ .......... 176 Abbildung 20: Projekte des Themenbereichs „Energie und Klima“ ................ 177

XVI Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Abbildung 25: Abbildung 26: Abbildung 27: Abbildung 28: Abbildung 29: Abbildung 30: Abbildung 31: Abbildung 32: Abbildung 33: Abbildung 34: Abbildung 35: Abbildung 36: Abbildung 37: Abbildung 38: Abbildung 39: Abbildung 40: Abbildung 41: Abbildung 42: Abbildung 43: Abbildung 44: Abbildung 45:

Abbildungsverzeichnis

Projekte des Themenbereichs „Leben und Arbeiten“ .............. 178 Projekte des Themenbereichs „Natur und Umwelt“ ................ 180 Lage der Großprojekte ............................................................. 181 Lage der Großprojekte, unterteilt nach Themenbereichen ....... 182 Lage der Großprojekte, unterteilt nach Akzeptanzlevel ........... 183 Zentrale Ereignisse der Großprojektentwicklung..................... 184 Verteilung der Befragungsteilnehmer auf elf Akteursgruppenarten ................................................................ 189 Verteilung der Zustimmungsstärke der Befragungsteilnehmer .............................................................. 190 Durchschnittliche Zustimmungsstärke der Akteursgruppen ...... 191 Kombinationen von Aktivität und Zustimmung ...................... 195 Kombinationen von Aktivität und Einstellungsstärke.............. 196 Das empirische Verhältnis von Zustimmung (Einstellung) und Aktivität (Verhalten) bei Großprojekten ........................... 199 Ausgewählte, den Projekteigenschaften zuzurechnende Einflüsse auf die individuelle Zustimmung von Akteuren ....... 201 Ausgewählte, den Akteurseigenschaften zuzurechnende Einflüsse auf die individuelle Zustimmung von Akteuren ....... 207 Ausgewählte, prozessgezogene Einflüsse auf die individuelle Zustimmung von Akteuren .................................. 212 Ausgewählte, kommunikationsbezogene Einflüsse auf die individuelle Zustimmung von Akteuren .................................. 213 Ausgewählte Einflüsse aus Staat & Gesellschaft auf die individuelle Zustimmung von Akteuren .................................. 219 Empirisches Modell allgemeiner Determinanten der Akzeptanz von Großprojekten ................................................. 226 Bedeutung einzelner Nutzeneffekte bei Großprojekten ........... 240 Bedeutung einzelner Kosteneffekte bei Großprojekten ........... 241 Bedeutung der Kosten- und Nutzeneffekte je Zustimmungsgrad der Akteure ................................................. 245 Durchschnittliche Effektsummen von Kosten und Nutzen sowie das daraus resultierende Kosten-Nutzen-Verhältnis, unterteilt nach Trägerart ........................................................... 247 Durchschnittliche Effektsummen von Kosten und Nutzen sowie das daraus resultierende Kosten-Nutzen-Verhältnis, unterteilt nach vereinfachter Zustimmung ............................... 248 Empirisches Modell wesentlicher Aspekte des Kosten-Nutzen-Verhältnisses bei Großprojekten ..................... 253 Gesprächspartner in den persönlichen Gesprächen .................. 257

Abbildungsverzeichnis

XVII

Abbildung 46: Eingesetzte Kommunikationsformen ....................................... 258 Abbildung 47: Kennzahlen der Anwendungshäufigkeit verschiedener Kommunikationsstufen durch die Projektträger....................... 260 Abbildung 48: Kennzahlen der Anwendungshäufigkeit verschiedener Kommunikationsstufen durch die Projektträger, unterteilt nach Themenfeldern................................................................. 261 Abbildung 49: Kennzahlen der Anwendungshäufigkeit verschiedener Kommunikationsstufen durch die Projektträger, unterteilt nach Trägerart .......................................................................... 262 Abbildung 50: Typische Anwendungshäufigkeit verschiedener Kommunikationsstufen durch die Projektträger....................... 263 Abbildung 51: Arithmetisches Mittel der Effektsummen von Kosten und Nutzen sowie des Kosten-Nutzen-Verhältnisses aller Akteure je Kommunikations-Typus des zugehörigen Projektträgers ........................................................................... 265 Abbildung 52: Arithmetisches Mittel der Effektsummen von Kosten und Nutzen sowie des Kosten-Nutzen-Verhältnisses der Kritiker je Kommunikations-Typus des zugehörigen Projektträgers..... 266 Abbildung 53: Arithmetisches Mittel der Effektsummen von Kosten und Nutzen sowie des Kosten-Nutzen-Verhältnisses der Befürworter je Kommunikations-Typus des zugehörigen Projektträgers ........................................................................... 267 Abbildung 54: Korrelation der Kommunikationshäufigkeit der Projektträger je Kommunikationsebene mit dem wahrgenommenen Nutzen der Akteure .................................... 267 Abbildung 55: Korrelation der Kommunikationshäufigkeit der Projektträger je Kommunikationsebene mit den wahrgenommenen Kosten der Akteure .................................... 268 Abbildung 56: Korrelation der Kommunikationshäufigkeit der Projektträger je Kommunikationsebene mit dem Kosten-Nutzen-Verhältnis der Akteure.................................... 268 Abbildung 57: Korrelation der Kommunikationshäufigkeit der Projektträger je Kommunikationsstufe mit der individuellen Zustimmung der Akteure ......................................................... 273 Abbildung 58: Empirisches Modell wesentlicher Aspekte von Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten ............... 296 Abbildung 59: Integrierendes empirisches Modell wesentlicher Determinanten der Akzeptanz von Großprojekten ................... 305 Abbildung 60: Zweiseitiger Kausalzusammenhang zwischen Kommunikation und Akzeptanz bzw. Konflikt ....................... 316

XIX

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

B

Befürworter

BImSchG

Bundesimmissionsschutzgesetz

EK

Effektsumme Kosten

EN

Effektsumme Nutzen

H.i.O.

Hervorhebungen im Original

H.n.i.O.

Hervorhebungen nicht im Original

HOAI

Honorarordnung für Architekten und Ingenieure

K

Kritiker

KNV

Kosten-Nutzen-Verhältnis

N

Neutral/ambivalent eingestellte Personen oder Gruppen

PT

Projektträger

UVP

Umweltverträglichkeitsprüfung

UVPG

Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung

1 Großprojekte zwischen Konflikt und Akzeptanz – eine Einführung

1.1 Einführung und Fragestellungen „Wo immer heute in großem Stil Bauprojekte in Planung sind, formiert sich Protest, marschieren Bürger, Betroffene und Basisgruppen auf. Der Widerstand flackert in den großen Städten genauso auf wie auf dem flachen Land, er erfasst Küstenbewohner – und Schwarzwaldbauern. Es ist ein Protest, der sich oft gegen Projekte stemmt, die Veränderung bedeuten würden: Flughafenerweiterungen, Bahngleise, Windräder und Stromtrassen. Selbst U-Bahnen und Stadien sind nicht tabu. „Infrastruktur war immer ein Zeichen von Fortschritt, es waren die Leuchtturmprojekte einer Gesellschaft“, sagt der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig. Heute leuchtet nicht mehr viel. Nur noch wenige verlangen nach Aufbruch und Dynamik. Die Blockade ist zum Markenzeichen von Großprojekten geworden“ (Böll et al. 2014:47). In diesem Artikel des Magazins Der Spiegel nehmen die Autoren Bezug auf die zahlreichen Konflikte rund um infrastrukturelle Großprojekte in Deutschland. Aber nicht nur diese sind von Konflikt betroffen, auch Projekte des Natur- und Umweltschutzes genauso wie landwirtschaftliche oder kulturelle Projekte erfahren Gegenwind. Notwendige Anstrengungen im Umwelt- und Klimaschutz, demographische Entwicklungen, Urbanisierungstendenzen, veränderte Ressourcennachfragen sowie Veränderungen bei Mobilität und Verkehr (vgl. z.B. National Intelligence Council 2012; Voßebürger & Weber 1998; Walz et al. 2013): Diese globalen Megatrends zeigen nur einen Bruchteil der Herausforderungen auf, mit denen Gesellschaften konfrontiert sind. Hinzu kommen politische Entscheidungen wie der Beschluss der Bundesregierung 2011, aus der Atomenergie auszusteigen. Um solche Beschlüsse umzusetzen und sich den Technik-, Klima- und Umweltproblemen zu stellen, alternative erneuerbare Energieformen zu erzeugen, zu speichern und zu transportieren, den Umgang mit knappen Ressourcen ebenso wie den demografischen Wandel und Migrationsprozesse zu gestalten und auf veränderte Formen von Verkehr und Mobilität einzugehen, bedarf es konkreter Maßnahmen, zu denen unter anderem Großprojekte zählen (vgl. z.B. Feindt 2010; Gabriel 2011; Schuster 2013; Schweizer-Ries et al. 2010). Als Teil der Reaktion auf diese veränderten Umweltbedingungen sind Großprojekte damit ein essentieller Aspekt des (sozialen) Wandels einer Gesellschaft und notwendig für deren Weiterentwicklung und Erhalt. Allerdings sind nicht nur die Projekte selbst Teil © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 I. M. Schmalz, Akzeptanz von Großprojekten, Politik gestalten – Kommunikation, Deliberation und Partizipation bei politisch relevanten Projekten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23639-7_1

2

1 Großprojekte zwischen Konflikt und Akzeptanz – eine Einführung

des Wandels, sondern vor allem auch die mit ihnen einhergehenden Konflikt- und Akzeptanzprozesse als Triebfedern der Veränderung (vgl. u.a. Bonacker 2008; Luhmann 1991; Saretzki 2010; Giesen 1993). Während Konfliktprozesse rund um Großprojekte notwendig sind, um Wandel anzustoßen, bedarf es zugleich der Akzeptanz dieser Projekte, um eine nachhaltige Stabilität der Gesellschaft herzustellen (vgl. Bark 2012; Dahrendorf 1972; Hüsing et al. 2002). Obwohl gerade Technikkonflikte kein neues oder vorübergehendes Phänomen sind (vgl. Renn 2013a:400), ist nichtsdestotrotz die Konflikthaftigkeit bei vielen Projekten dieser Art zumindest im subjektiven Eindruck auffällig (vgl. hierzu z.B. Gans 1994; Schink 2011b; Benighaus et al. 2010; Kanngießer 2004; Hildebrandt et al. 2012; Hübner & Pohl 2011). Die Tatsache, dass viele der Projekte durch demokratische Beschlüsse zustande gekommen sind, reicht offensichtlich nicht mehr aus, um gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen (vgl. Renn 2012b: 184; Renn 2013c:73). Die Gründe, die hierfür genannt werden, sind so vielfältig wie die Disziplinen, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Genannt werden vor allem vier grundsätzliche Aspekte (vgl. Gabriel & Völkl 2005; Kuklinski & Oppermann 2010; Renn 2004, 2013a; Brettschneider 2016, 2013b; Schweizer-Ries et al. 2010; Reed 2008; Glaab & Kießling 2001; Glaab & Korte 1999): 







Die grundsätzliche Gestaltung eines Projekts, in der die Bürger eine Bedrohung ihrer Lebensqualität sehen und finanzielle oder ökologische Einbußen oder schlichtweg Veränderungen ihres Umfelds fürchten. Da bezüglich der zu erwartenden Effekte diesbezüglich mit fortschreitendem Prozess oftmals Expertenmeinung gegen Expertenmeinung steht, besteht hierbei zudem die Tendenz, dass sachliche Bewertungen eines Projektes an Gewicht verlieren und emotional gesteuerte Bewertungen zunehmen. Eine aus Sicht der Bürger ungerechte Verteilung von Kosten bzw. Risiken und Nutzen bei Großprojekten. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn der Eindruck entsteht, dass der Nutzen einer weitestgehend anonymen Öffentlichkeit zu Gute kommt, während die Bürger rund um den Standort des Projektes die Kosten bzw. Nachteile zu tragen haben. Auch hier ist es möglich, dass die subjektive Einschätzung bzw. Wahrnehmung von den Prognosen der Fachleute abweicht. Ein vermehrter Wunsch nach Individualität, punktueller Teilhabe und Selbstbestimmung der Bürger, der mit einem abnehmenden Vertrauen in Eliten und Experten bzw. vor allem in Wirtschaft und Politik und der Ablehnung jeglicher Formen von Bevormundung einhergeht. Die Tatsache, dass soziale Prozesse und Verfahren, vor allem die Kommunikation bei Projekten, nicht (mehr) den Anforderungen der Öffentlichkeit entsprechen. Im Mittelpunkt der Kritik stehen dabei vor allem Fragen des Umgangsstils zwischen Bürgern, Politik und Wirtschaft ebenso wie Aspekte

1.1 Einführung und Fragestellungen

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der Transparenz, der Zeitpunkte zu denen die Öffentlichkeit informiert wird sowie der Inhalte, die in diesem Zusammenhang kommuniziert werden. Hinzu kommt die Bemängelung unzureichender Teilhabe- bzw. Mitgestaltungsmöglichkeiten an prägenden gesellschaftlichen Themen und Projekten. Die Charakterisierung der Bürger mit Blick auf die aufgezeigten Protestgründe und Forderungen als selbstbezogene Fortschrittsblockierer ist jedoch zu kurz gegriffen, denn „die vielfach geäußerte Angst vor einer „Blockade-“ oder „Dagegen-Republik“ würdigt bürgerschaftliches Engagement herab und übersieht die schöpferischen Potenziale, die in diesen Protesten liegen können. Partizipation ist wichtige Grundlage eines funktionierenden Gemeinwesens und Quelle der Innovation für Zukunftsperspektiven unserer Gesellschaft. In der Forderung nach mehr Beteiligung und nach mehr Transparenz in Entscheidungs- und Meinungsbildungsprozessen liegen Chancen, die zu erkennen wichtig und für das Gemeinwohl zu erschließen sind“ (Bentele 1999:86). Energieprojekte, Wohn- und Städtebau, Naturschutzprojekte, Straßen, Brücken und Kulturbauten – die Vielfalt der Projekte spiegelt sich in den wissenschaftlichen Disziplinen wider, die sich Großprojekten und den mit ihnen einhergehenden (sozialen) Phänomenen widmen. Die Forschung zu Großprojekten ist interdisziplinär. Die technischen, ökologischen und ökonomischen, juristischen, politischen, sozialen, psychischen und raumplanungsbezogenen sowie die ethischen Dimensionen machen gleichermaßen eine wissenschaftliche Ergründung durch Umwelt- und Ingenieurswissenschaften wie Sozial-, Wirtschaft-, Rechts- und Geisteswissenschaften möglich und nötig1. Denn nur durch die umfassende Ergründung des Themenfeldes aus unterschiedlichen fachlichen Perspektiven und einem Verständigungsprozess zwischen diesen Disziplinen kann die Arbeit am Objekt vorangebracht werden (vgl. Kromp & Lahodynsky 2006:78f.). Diese Vielfalt der Disziplinen eröffnet auf der einen Seite zahlreiche Quellen des Erkenntnisgewinns. Auf der anderen Seite geht hiermit jedoch die Herausforderung einer Integration dieser Erkenntnisse einher, um nicht nur über einzelne Wissensfragmente über Großprojekte zu verfügen. Bei Betrachtung der beteiligten Disziplinen fällt jedoch schnell auf, dass vor allem zwei Arten von Untersuchungsformen dominieren. Zum einen (repräsentative) Studien, die den Fokus auf die Meinungs- und Einstellungsbildung in der Bevölkerung sowie mögliche damit einhergehende Handlungsformen, z.B. Protest legen (vgl. z.B. Henseling et al. 2016; Institut für Demoskopie Allensbach 2011; Bentele et al. 2015b). Zum anderen Fallstudien, die sich auf bestimmte Projekte bzw. Projektarten beschränken (vgl. z.B. Schäfer & Keppler 2013; Hübner & Hahn 2013; Ruschkowski 2010). Eine umfassende Charakterisierung von Großprojekten stellt jedoch höhere Ansprüche an die methodische Vorgehensweise. Es 1

Auszugsweise Darstellung ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

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1 Großprojekte zwischen Konflikt und Akzeptanz – eine Einführung

bedarf einer Vorgehensweise, die interdisziplinär ausgelegt ist und projektvergleichende Betrachtungen vornimmt, um die Lücke zwischen Fallbetrachtungen und Bevölkerungsstudien zu schließen. Thematisch gesehen, empfehlen sich für die wissenschaftliche Ergründung von Großprojekten in diesem Zusammenhang vor allem vier Aspekte, die sich in Teilen bereits in den Gründen für die mangelnde Akzeptanz von Projekten (s.o.) widerspiegeln. Erstens präsentiert sich das Forschungsgebiet der Großprojekte als äußerst vielfältiges Themenfeld, jedoch mit ebenso vielen Unklarheiten bezüglich der eindeutigen Umrandung des Großprojektbegriffes, der zugehörigen Akteure und der Themenfelder, denen Großprojekte zugeordnet werden können. Obwohl es zahlreiche Versuche der Konkretisierung dieser Aspekte gibt (vgl. z.B. Thießen 2012; Schreck 1998; Beyer et al. 2002; Ruschkowski 2010), reichen diese Ansätze noch nicht aus, um eine konkrete Beschreibung bzw. empirische Definition einer Grundgesamtheit von Großprojekten auszugestalten, die jedoch für die Gewinnung projektübergreifender und nach Möglichkeit repräsentativer Erkenntnisse von zentraler Bedeutung ist. Ein zweiter Aspekt bezieht sich auf die vielfältigen Protestgründe, von denen einige oben genannt wurden. Zahlreiche Studien zeigen diese und weitere Faktoren auf, die potentiell Einfluss auf die Entstehung und Entwicklung von Akzeptanz und Konflikt nehmen. Hierzu zählen beispielsweise die Eigenschaften eines Projektes, z.B. sein Standort oder die optischen Ausmaße, Aspekte mit Bezug zu den Akteuren, beispielsweise deren soziodemografische Eigenschaften, ihr Organisationsgrad oder ihre Kooperationsbereitschaft wie auch Fragen der Transparenz, der Legitimität oder der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen (vgl. z.B. Schäfer & Keppler 2013; Benighaus et al. 2010; Saretzki 2010; Weidner 1996; Schweizer-Ries et al. 2010; Hornig & Baumann 2013; Schmalz 2013). Da viele dieser Faktoren jedoch entweder sehr spezifischen Kontexten oder Fallstudien entstammen oder bislang rein in Form von Thesen behandelt wurden, ist unklar, welche empirische Relevanz einzelnen Faktoren zugeordnet werden kann, vor allem dann, wenn keine Beschränkung auf einzelne Projektarten oder -kontexte und Faktoren vorgenommen, sondern eine themen- und projektübergreifende Betrachtung angestrebt wird. Das dritte Themenfeld, dessen Integration in eine umfassende Betrachtung von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten sich empfiehlt, ist der oben bereits angesprochene Aspekt aufkommender Kosten- und Nutzeneffekte bei Großprojekten. Dieser wird zu den zentralen Determinanten von Akzeptanz bzw. Konflikt gezählt (vgl. z.B. Hüsing et al. 2002; Granoszewski & Spiller 2012a; Huijts et al. 2012; Renn & Webler 1998). Trotz zahlreicher Beschreibungen von Kosten (z.B. finanzielle, ökologische oder gesundheitliche Belastungen; vgl. z.B. Schreck 1998; Ohlhorst & Schön 2010; Benighaus et al. 2010) und Nutzen (z.B. effizientere Ressourcennutzung, Schutz der Natur, Arbeitsplätze; vgl. z.B. Hüsing et al. 2002;

1.1 Einführung und Fragestellungen

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Ohlhorst & Schön 2010) sind diese Ausführungen meist kursorischer Art und es bleibt unklar, welche Kosten- und Nutzeneffekte insgesamt auftreten, in welches Verhältnis sie gesetzt werden können und welche Bedeutung den einzelnen Effekten mit Blick auf die Akzeptanz von Großprojekten zugeordnet werden kann. Der vierte und letzte Aspekt bezieht sich auf die, ebenfalls bei den Protestgründen bereits angesprochene, Bedeutung von Kommunikation und Beteiligung. Die Hoffnungen, die in Kommunikation und Beteiligung bei der Gestaltung von Großprojekten gesetzt werden, allem voran die Unterstützung bei der Findung einer gemeinsam akzeptierten Lösung und die Verhinderung bzw. Verminderung zeit- und geldintensiver Konflikte (vgl. z.B. Brettschneider 2016; Renn & Webler 1994; Renn 2013b; Appel 2013; Beierle & Cayford 2002), sind vielfältig, jedoch werden auch zahlreiche Bedingungen und Herausforderungen diesbezüglich angemerkt (vgl. z.B. Masser 2008; Neunecker 2015; Brettschneider 2016; Ewen 2009). Auch hier ist bislang unklar, wie sich diese Bedingungen und Chancen der Kommunikation projekt- und themenübergreifend gestalten und in welchem Verhältnis die Kommunikation zu den anderen Determinanten von Konflikt und Akzeptanz sowie der Akzeptanz selbst mit Blick auf ihre katalysatorischen Potentiale (vgl. Schiersmann & Thiel 2011; Schmalz 2013) steht. Mit Blick auf diese Herausforderungen bezüglich der Akzeptanz von Großprojekten sollen folgende Fragen die wissenschaftliche Ergründung des Themas anleiten: Leitfrage L1 Wie lässt sich die deutsche Großprojektlandschaft empirisch charakterisieren, vor allem mit Blick auf die Projektarten, Akteure und Formen von Akzeptanz und Konflikt? Leitfrage L2 Welche Determinanten von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten lassen sich identifizieren? Auf welche Weise beeinflussen die einzelnen Faktoren die Genese von Akzeptanz bzw. Konflikten bei Großprojekten? Leitfrage L3 Welche Kosten- und Nutzeneffekte entwickeln bei Großprojekten Bedeutung? In welchem Zusammenhang stehen diese Kosten und Nutzen mit der Akzeptanz bzw. Konflikten bei Großprojekten? Leitfrage L4 Welche Rolle nehmen Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten ein? Welche Zusammenhänge bestehen hierbei zu den anderen Dimensionen bei Großprojekten, z.B. den Kosten- und Nutzeneffekten und der Akzeptanz?

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1 Großprojekte zwischen Konflikt und Akzeptanz – eine Einführung

1.2 Vorgehensweise und Struktur der Arbeit Die Akzeptanz von Großprojekten wird in der vorliegenden Arbeit am Beispiel deutscher Großprojekte aus den Bereichen „Mobilität und Verkehr“, „Energie und Klima“, „Leben und Arbeiten“ sowie „Natur und Umwelt“ (mit Land- und Forstwirtschaft) untersucht. In Kapitel 2 wird der Begriff der Akzeptanz in den Gesamtzusammenhang gesellschaftlicher Entwicklung eingeordnet und genauer spezifiziert. Ebenso wird mit dem Phänomen des Großprojekts verfahren. In Kapitel 3 werden die Grundlagen zur Genese von Akzeptanz und Konflikt dargelegt. Der Integration von Ansätzen unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen wird hierbei besondere Beachtung geschenkt. Neben potentiellen Einflussgrößen der Entstehung von Akzeptanz und Konflikt bei Großprojekten werden Ansätze und Modelle aus der Akzeptanz- und Konfliktforschung näher beleuchtet, die Wirkungsweisen dieser Determinanten aufzeigen. Kapitel 4 widmet sich den Kosten- und Nutzenaspekten bei Großprojekten. Neben Ausführungen zur Konzeptionierung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses werden einzelne Kosten- und Nutzenaspekte erörtert, die im Zusammenhang mit Großprojekten seitens verschiedenster Autoren als relevant erachtet werden. Der Block fachlicher Grundlagen wird durch Kapitel 5 abgerundet, indem in die Bedeutung von Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten eingeführt wird. Neben der Erläuterung verschiedener Sichtweisen und Ansätze bzgl. Kommunikations- und Beteiligungsformen werden verschiedene Effekte und Funktionen dieser Formen näher betrachtet. Im Anschluss daran wird die methodische Vorgehensweise dieser empirisch-analytischen Arbeit vorgestellt. Aufgrund der Komplexität des Forschungsfeldes und der integrativen Vorgehensweise dieser Arbeit unter Heranziehung von Erkenntnissen verschiedenster Disziplinen, wird diesem Kapitel – und damit der Methodik der drei durchgeführten Studien – besonderer Raum gegeben (Kapitel 6). Das darauffolgende Kapitel 7 zeigt die empirischen Ergebnisse dieser Studien mit Blick auf die zugrundeliegenden Forschungsfragen auf und ermöglicht eine Einordnung in den Gesamtzusammenhang. Das letzte Kapitel (Kapitel 8) legt zentrale Erkenntnisse dieser Arbeit dar, sowohl für die praktische Anwendung bei der Großprojektkommunikation als auch für die weitere Forschung.

2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

2.1 Gesellschaft und sozialer Wandel – Ausgangsbedingungen für Großprojekte Die Frage nach Stabilität und Wandel zählt trotz unterschiedlicher Denkweisen, Paradigmen und Perspektiven zu den zentralen Fragen soziologischer Gesellschaftsbetrachtungen (vgl. Weymann 1998:14f.). Die Stabilität gesellschaftlicher Gesamtordnungen wie sie z.B. bei systemtheoretischen Ansätzen von Parsons betrachtet werden, steht gleichauf mit Ansätzen, die in gesellschaftlichen Strukturen „gewisse Widerspruchsmomente“ (Lamla 2008:210) erkennen, aus denen Kräfte des Wandels entstehen können (vgl. ebd.). Letztere Ansätze fokussieren dabei die vorantreibenden Elemente einer Gesellschaft, ohne jedoch die stabilisierenden Elemente abzulösen. Dahrendorf (1979) erkennt hier die Notwendigkeit einer Kombination von Konsens und Konflikt und damit Stabilität und Wandel zur Erklärung gesellschaftlicher Prozesse und Phänomene. Simmel (1968: 187) bezeichnet die heutige Gesellschaft als „Resultat beider Kategorien von Wechselwirkungen“. Dem zu Folge kann eine rein auf Konsens oder Konflikt basierende soziale Situation real nicht vorkommen (vgl. Giesen 1993:103). Dahrendorf (1961) formuliert, aus seiner auf Wandel und Konflikt fokussierten Perspektive, vier Annahmen über die Gesellschaft: „1. Jede Gesellschaft und jedes ihrer Elemente unterliegt zu jedem Zeitpunkt dem Wandel (Annahme der Geschichtlichkeit). 2. Jede Gesellschaft ist ein in sich widersprüchliches und explosives Gefüge von Elementen (Annahme der Konfliktualität). 3. Jedes Element in einer Gesellschaft leistet einen Beitrag zu ihrer Veränderung (Annahme der Dysfunktionalität oder Produktivität). 4. Jede Gesellschaft erhält sich durch den Zwang, den einige ihrer Mitglieder über andere ausüben (Annahme des Zwanges)“. Als Schlüsselkonzept für strukturelle Wandlungsdynamiken wurde dabei der soziale Konflikt identifiziert, dessen endogene Faktoren und Kräfte die Gesellschaft maßgeblich in Bewegung halten (vgl. Dahrendorf 1972:73). Die wandelnden Kräfte von Konflikten waren schon immer Teil gesellschaftlicher Reflektionen (vgl. hierzu Bark 2012): Positiv besetzt fungiert der soziale Konflikt nach Kant (vgl. Kant & Malter 2008) als Voraussetzung allen Lebens und des ewigen Friedens, nach Simmel (1968) als Form sozialer Beziehungen zwischen Individuen und Gruppen sowie nach Ideen von Weber oder Marx sowie beispielsweise feministischer Theorien als notwendiger Bestandteil gesellschaftlicher Entwicklungen und Fortschritte (vgl. Bonacker 2008:22; Coser © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 I. M. Schmalz, Akzeptanz von Großprojekten, Politik gestalten – Kommunikation, Deliberation und Partizipation bei politisch relevanten Projekten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23639-7_2

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2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

1967:15ff.). Eine negative Konnotation erhält der Konflikt z.B. bei Hobbes (vgl. Krysmanski 1971:52ff.) mit der Betonung seiner zerstörerischen Macht über gesellschaftliche Ordnungs- und Entwicklungsprozesse, bei Galtung (1972) als gewaltsamer Kampf um Überleben, Freiheit und Grundbedürfnisse oder im allgemeinen Alltagsverständnis (vgl. Bonacker & Imbusch 2010:67f.). Doch egal, ob positiv oder negativ besetzt – die Bedeutung des sozialen Konflikts als primäre Triebkraft für gesellschaftliche Wandlungsprozesse wird von Vertretern unterschiedlichster Forschungstraditionen anerkannt (vgl. z.B. Giesen 1993; Coser 2009; Bonacker 2008; Bonacker & Imbusch 2010; Simmel 1968; Saretzki 2010; Pfetsch & Bubner 2005). Die Infragestellung momentaner Situationen und damit die Schaffung einer Gegenposition zum aktuellen Zustand bereitet den ersten Schritt eines Wandels, zugleich aber auch den eines Konflikts2. Die (Weiter)Entwicklung von individuellen und sozialen Fähigkeiten, der Anstoß technischer und technologischer Innovationen sowie die Veränderung von Kultur und Entwicklungsstand sind dabei kein Selbstzweck. Sie sind vielmehr Reaktionen auf sich verändernde Umwelt- und Umfeldbedingungen, auf vorangegangene Entwicklungsprozesse (vgl. z.B. Luhmann 1991:118) oder auf Spannungen zwischen Kulturbereichen, die nach Aufhebung drängen (vgl. z.B. Passoth 2008; Biedenkopf 1991; Weber & Winckelmann 1960). „Wandel ist kein Übergangsstadium auf dem Weg zu einem (neuen oder alten) Gleichgewicht. Auf Wandel folgt Wandel“ (Boos et al. 2004:13) und damit neue Konflikte (vgl. Senghaas 1998:21). Die Auslöser von Wandel können für darauffolgende Prozesse zugleich als Rahmenbedingungen dienen. Zu den Faktoren, die in eben solcher Weise zugleich als Auslöser und Randbedingung von Wandlungsprozessen zählen, gehören beispielsweise globale Megatrends. Dies sind Faktoren, die Gesellschaften in unterschiedlichem Maße beeinflussen, sich deren Einfluss selbst jedoch weitestgehend entziehen (vgl. National Intelligence Council 2012). Der Begriff wurde durch den Trendforscher Nasbitt (1982:XXIII) geprägt, der unter Megatrends „[…] large social, economic, political, and technological changes […]“ verstand. „They influence us for some time – between seven and ten years, or longer“ (ebd.). Bezog sich diese Formulierung ursprünglich auf den Begriff der Globalisierung, so zählen mittlerweile Entwicklungen wie der Wertewandel oder die zunehmende Mobilisierung dazu (vgl. Riemann 2013:65). Ein zentraler Trend der nächsten Jahre ist die Stärkung des Einzelnen (vgl. National Intelligence Council 2012), welche die Bedeutung der globalen Mittelklasse für den Sozial- und Wirtschaftssektor stärker betont und der Armut Einhalt gebietet, die sowohl mit einem höheren Bildungsniveau, besserer Gesundheitsversorgung als auch neuen Kommunikations- und Produktionstechniken ein2

Für ausführliche Erläuterungen zu den Bedingungen und Merkmalen eines Konflikts vgl. Kapitel 2.3.4.1.

2.1 Gesellschaft und sozialer Wandel – Ausgangsbedingungen für Großprojekte

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hergeht. Da die Stärkung des Einzelnen sich zugleich auf andere Megatrends auswirkt, wird ihr eine besondere Bedeutung zugeschrieben (vgl. National Intelligence Council 2012). Zu den Effekten zählen beispielsweise die Streuung der weltweiten Macht ebenso wie demographische Entwicklungen und die erhöhte Nachfrage nach Ressourcen Nahrung, Wasser und Energie aufgrund der weiter wachsenden Bevölkerung (vgl. National Intelligence Council 2012). Die europäische bzw. deutsche Ebene betreffend, können vor allem Entwicklungen wie die Urbanisierung, eine allgemeine Wohlstandssteigerung (vgl. Voßebürger & Weber 1998: 22ff.) und ein demographischer Wandel, der vor allem mit einer sinkenden Bevölkerungsgröße und der Alterung der Gesellschaft einhergeht (vgl. Walz et al. 2013), identifiziert werden. Auch veränderte Anforderungen an Verkehr und Mobilität sowie eine zunehmende Bedeutung eines nachhaltigen Ressourcenverbrauchs werden deutlich (vgl. ebd.). Letzterer ist vor allem in Bezug auf die aus ihm gewinnbare Energie relevant, denn „Energie ist das treibende Moment aller Naturprozesse. Sie ist die Bedingung für die Entwicklung des Lebens auf der Erde wie auch der menschlichen Gesellschaft“ (Scheffran 2010). Aber auch die Abfallverwertung wird bedeutsamer. Sowohl die Suche nach geeigneten Endlagern für nukleare Abfälle (vgl. Grunwald & Hocke 2006; Kromp & Lahodynsky 2006) als auch die Behandlung konventionellen Abfalls aus Haushalten (vgl. Schmitt-Tegge 1993; Rasch 1993) zeigen die Notwendigkeit dauerhafter Lösungen auf. Zwischenlösungen wie der Transport von Abfall zu europäischen Nachbarn sind nur begrenzt möglich und kaum nachhaltig (vgl. Rasch 1993). Allgemein sind jedoch, bezogen auf die festzustellenden Trends und Herausforderungen gegensätzliche Entwicklungen spürbar: Beispielsweise geht eine Verschärfung und Konkretisierung gesetzlicher Regelungen z.B. zu umweltfreundlicher Energieproduktion und Ressourcenschutz mit zunehmend weniger Akzeptanz von Projekten einher, die diese Gesetze umsetzen sollen (vgl. Schmitt-Tegge 1993). Bedingt durch Trends wie die Urbanisierung oder die sich verändernden Mobilitätsformen und Verkehr wird die Bedeutung einer leistungsfähigen Infrastruktur deutlich. Bis dato wird eine hervorragende Infrastruktur bescheinigt (vgl. World Economic Forum 2013), jedoch wird auch auf die Notwendigkeit der Erhaltung und Erweiterung eben dieser hingewiesen (vgl. Walz et al. 2013). Vor allem beim Blick auf kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) und deren Wettbewerbsfähigkeit wird ein verstärkter Bedarf an Investitionen und Reinvestitionen in die Infrastruktur deutlich. Sie beschäftigen mehr als 60 Prozent der Berufstätigen in Deutschland (vgl. Söllner 2014) und sind besonders auf eine moderne Infrastruktur also z.B. leistungsfähige Strom- und Breitbandnetze angewiesen (vgl. Homann 2013). Neben Megatrends als Auslöser und Randbedingung gesellschaftlichen Wandels sind auf Makroebene auch kulturelle Randbedingungen wie Normen und Rollen, sozial standardisierte Erwartungen, Deutungsmuster und Werte zu

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2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

verorten (vgl. Schneider 2005:168). Werte und der bereits erwähnte Wandel dieser (vgl. Riemann 2013:65) nehmen dabei eine besondere Rolle ein. Als Leitinstanzen des Verhaltens (Klages & Gensicke 2006) sind Werte nicht nur auf der Makroebene bedeutsam, sondern können auch auf Meso- und Mikroebene Funktionen wahrnehmen (vgl. Krobath 2009). Friedrichs (1968:3) sieht in Werten ein Bindeglied zwischen Individuen und Gesellschaft3, nach Kluckhohn (1951:395, H.i.O.) sind sie als „conception, explicit or implicit, distinctive of an individual or characteristic of a group, of the desirable which influences the selection from available modes, means, and ends of action” zu verstehen. Trotz der individuellen Auslegung der Handelnden sind Werte prinzipiell als intersubjektiv und damit als gesellschaftlich prägend zu verstehen (vgl. u.a. Hillmann 1981). Wie Riemann (2013) betont auch Scheuer (2013:377) trotz der gewissen zeitlichen Stabilität die Dynamik des Werteinflusses: „Wertorientierungen […] sind keine unveränderlichen Größen, sondern unterliegen dem gesellschaftlichen Wandel und den sich wandelnden wirtschaftlichen Bedingungen.“ Der Wertewandel ist damit eine „kulturelle Anpassungsleistung an sich wandelnde Lebensumstände“, so Welzel (2009:110). Diese beruht auf der Annahme, dass handelnde Individuen vor allem jene Werte besonders verinnerlichen, die ihnen dabei helfen, die gegebenen Lebensumstände zu meistern (vgl. Flanagan 1987). Hillmann (1981) untersuchte z.B. in diesem Zusammenhang, ob und wie veränderte Bedingungen wie beispielsweise Umweltkrisen (Umweltverschmutzung in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts) eine Auswirkung auf gesellschaftliche Werte und das individuelle Verhalten haben. Die Thematik des Wertewandels ist umstritten und neben der Frage, wie und in welcher Form ein Wertewandel vonstattengeht (vgl. z.B. Oesterdiekhoff & Jegelka 2001), wird auch diskutiert, ob dieser überhaupt existiert (vgl. z.B. Luthe & Meulemann 1988). Die Mehrheit in der wissenschaftlichen Werteforschung geht jedoch von einem umfassenden Wertewandel seit Ende der 1960er Jahre in liberaldemokratischen und postindustriellen Gesellschaften wie Deutschland aus und stellt trotz der heterogenen Erkenntnisse gemeinsam einen Trend der Individualisierung hin zu Selbstverwirklichung und -entfaltung sowie der wachsenden Bedeutung von Entscheidungsfreiheit und Gleichberechtigung fest (vgl. Welzel 2009:111; Schild 1998:245; Wolf 2012:105). Explizit der Trend der Individualisierung kann dabei als eine Art Megatrend des Wertewandels aufgefasst werden: Wie der globale Megatrend der Stärkung des Einzelnen (vgl. National Intelligence Council 2012), der weitere Trends nach sich zieht und beeinflusst, so kann auch der Wandel hin zu einer individuelleren Lebensweise Einfluss auf weitere Werte und Wertentwicklungen nehmen, beispielsweise wenn Umweltschutz und eine 3

Für eine ausführlichere Betrachtung der Wertfunktionen und ihrer Verortung wird auf die Ausführungen von Wolf (2012) verwiesen.

2.1 Gesellschaft und sozialer Wandel – Ausgangsbedingungen für Großprojekte

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nachhaltige Lebensweise nicht aus rein altruistischen Gründen, sondern zu Befriedigung des eigenen Gewissens durchgeführt werden (vgl. z.B. Buß 2008:298; Wolf 2012:106). Hiermit geht nach Schild (1998) auch das Bedürfnis politischer Partizipation einher, also der Teilhabe an gesellschaftlichen, vor allem politischen Entscheidungen. Diese Aussage beruht auf der These Ingleharts (1989), der eine Bewegung weg von einer stark institutionalisierten und durch Eliten gelenkten politischen Beteiligung hin zu einer die Eliten lenkenden, politischen Beteiligung mit mehr Individualität, Flexibilität und geringerer Halbwertszeit erkennt und hierzu beispielsweise neue soziale Bewegungen und weitestgehend kurzfristige Formen von Protest zählt. Mit diesem Wandel von Werten und Beteiligungsformen geht auch ein Wandel der gesellschaftlichen Themen einher. Postmaterialistische Themen wie Fragen der Lebensqualität, des Umweltschutzes, Gleichberechtigung oder Antirassismus werden wichtiger (vgl. Hildebrandt & Dalton 1977:236f.). Rekurrierend auf die obigen Erläuterungen lässt sich Folgendes feststellen: Megatrends, die natürlicher, sozialer, wirtschaftlicher oder technischer Art sind, nehmen unvermeidbar Einfluss auf die Rahmenbedingungen gesellschaftlicher Strukturen und Prozesse. Handlungsleitende Werte, deren Wandel seit den 1960er Jahren festzustellen ist, zeigen vor allem eine stärker werdende Ich-Orientierung, die auf Makro-, Meso- und Mikroebene zum Tragen kommt und sich durch Forderungen nach mehr Mitsprache, mehr Entscheidungsfreiheit und mehr individuellen und gleichzeitig geringerer Akzeptanz repräsentativ entwickelter Lösungen auszeichnet. Politische Prozesse, die diesen Herausforderungen knapper werdender Ressourcen, neuer Technologien und Märkte, steigender Nachfrage nach Energie und Kommunikation sowie der Erhaltung des Lebensstandards begegnen wollen, werden mit dem veränderten Werteprofil der Gesellschaft konfrontiert. Das Zusammenspiel der Kräfte und ihrer Auswirkungen auf Mikro-, Meso- und Makroebene ist dabei komplex. Das Modell von Coleman (1991), das die Verbindung zwischen den Ebenen in Anlehnung an den Ansatz des methodologischen Individualismus beschreibt, erklärt das Zustandekommen gesellschaftlicher Phänomene und Strukturen auf der Makroebene durch das Handeln von Akteuren auf der Mikroebene. Coleman unterscheidet in seinem Modell zur Erklärung sozialer Sachverhalte, das auch als Badewannenmodell bezeichnet wird, keine explizite Mesoebene, sondern unterteilt vielmehr die Mikroebene in individuelle und korporative Akteure (vgl. ebd.). Andere Ansätze beschreiben die Mesoebene als eine Nahtstelle zwischen der Mikro- und der Makroebene (vgl. Altmeppen & Arnold 2013). Ihr sind soziale Gruppen und Organisationen zuzuordnen (vgl. Quandt & Scheufele 2011:12), die durch ihre organisationalen Strukturen die individuellen Akteure einbinden und zugleich untereinander Beziehungen ausbilden. Aufgrund ihrer Funktionen und Wirkungen sind sie zugleich mit der Makroebene verknüpft (vgl. Altmeppen & Arnold 2013:6). Nach Coleman (1991) wirken kollektive Phänomene auf Makroebene nicht direkt auf andere Makrophänomene, sondern über soziale

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2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

Vorgänge auf der Mikroebene, bei denen das Individuum zwischen verschiedenen Handlungsalternativen auswählen kann. Die Vielzahl an sozialen Vorgängen auf der Mikroebene lässt neue oder veränderte Makrophänomene entstehen (vgl. Coleman 1991:9ff.). Esser (1993) greift das Grundmodell von Coleman auf und erweitert bzw. modifiziert die Handlungsprinzipien des Individuums. Geht Coleman noch vom nutzenmaximierenden homo oeconomicus aus, erweitert Esser diese Sichtweise um den Wunsch eines Individuums nach sozialer Konformität, welche die Angst vor sozialer Isolation, das Streben nach Konsens und damit sozial konformes Verhalten in die Entscheidung bei verschiedenen Handlungsalternativen einbringt (vgl. Schrott 2008:24f.). Esser (1993) beschreibt in diesem Modell der soziologischen Erklärung die soziale Situation auf Makroebene als Ausgangssituation für das handelnde Individuum, welche die Grundgegebenheiten (Logik der Situation) vorgibt. Auf Basis dieser Bedingungen wählt das Individuum eine Handlungsalternative aus (Logik der Selektion) und führt die Handlung durch. Viele Handlungen individueller oder korporativer Akteure, die durch gewisse Transformationsregeln (Logik der Aggregation) zusammengeführt werden, führen wiederum zu neuen kollektiven Effekten (Situationen). Die Kräfte des Wandels bleiben dabei nicht abstrakt. In Form von technologischen und technischen, sozialen und ökologischen Großprojekten werden sie umgesetzt. Die Liste der Ziele, die mit ihrer Umsetzung verfolgt werden, ist lang. Großprojekte dienen beispielsweise  

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der Erhaltung und Weiterentwicklung des Lebensstandards im westeuropäischen Sozialstaat (vgl. Eilfort & Raffelhüschen 2013), der Lösung von Technik- und Umweltproblemen (vgl. hierzu umfassend Feindt 2010), vor allem nachhaltiger Energieversorgung und dem Umgang mit knappen Ressourcen sowie dem Klimawandel (vgl. Schweizer-Ries et al. 2010; Schuster 2013; Gabriel 2011), der Gestaltung von urbanen Räumen und der Erhaltung und Neuerrichtung von Infrastruktur (vgl. Pütter 2011; RWE 2012; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2014), der Umsetzung des gesellschaftlichen Wunsch nach einer nachhaltigen Lebensweise (Ruschkowski 2010) sowie der Umsetzung politischer und rechtlicher Vorgaben, die sich ihrerseits ebenfalls an den Einflüssen orientieren (vgl. z.B. Paap & Katz 2004).

Die Motive für Wandel lassen sich dabei in zwei Arten unterteilen. Dörre (2002) beschreibt dieses Zweierlei an Triebkräften durch Becks (1996) Theorie reflexiver Modernisierung und der darin vorgenommen Unterscheidung zwischen erster und zweiter Moderne. Als „Antrieb“ der ersten Moderne fungiert die Zweckrationalität, die in linearer Form bewusste und gewollte Verbesserungen von Effizienz und Effektivität hervorbringt. Kräfte der zweiten Moderne wirken anders, „in einem

2.1 Gesellschaft und sozialer Wandel – Ausgangsbedingungen für Großprojekte

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radikalen Sinne, keineswegs unbedingt bewusst oder gewollt, sondern eher unreflektiert, ungewollt, eben mit der Kraft verdeckter Nebenfolgen“ (Beck 1996:27)4. Vor allem letztere Kräfte werden in politischen und rechtlichen Vorgaben im Umwelt-, Natur- und Ressourcenschutz deutlich, der Anfang der 1960er Jahre, vor allem aber in den 1970er Jahren Eingang in die politische Arena fand (vgl. Erdmann & Jessel 2012: 69). Mittlerweile liefern vor allem internationale und europäische politische Prozesse Impulse für den Umwelt-, Natur- und Ressourcenschutz. Auf europäischer Ebene sind z.B. die Richtlinie Flora-Fauna-Habitat (1992) und die Vogelschutzrichtlinie (1979), welche die Basis für den Aufbau des Schutzgebietsnetzes Natura 2000 lieferten, zu nennen – wie auch die Wasserrahmenrichtlinie. Politische Termine wie die Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (UNCED), die auch als Rio-Konferenz bezeichnet wird und zum ersten Mal 1992 in Rio de Janeiro und nachfolgend 1997 in New York (Rio+5) stattfand, sowie der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg 2002 und die weitere UN-Konferenz Rio+20 wirken von internationaler Seite (vgl. Erdmann & Jessel 2012). Wie die Ausführungen zu Beginn des Kapitels bereits darlegen, gehen Wandel und Veränderung mit Konflikt bzw. Konflikt mit Wandel einher (vgl. u.a. Mensch & Schroeder-Hohenwarth 1977; Neuloh 1977:26f.). Feindt (2010) sieht die grundlegenden Auslöser für Konflikte im Umwelt- und Technikbereich, der als taktgebender Bereich für gesellschaftlichen Wandel angesehen wird (vgl. Jacob et al. 2007) in der Verteilung finanzieller Kosten, Verteilung von Nutzen und Lasten sowie in Bestimmung bzw. Festlegung geeigneter politischer Instrumente. Allein aus Konflikten heraus bildet sich jedoch noch kein Wandel, der mehr als der Hinweis auf ein bestehendes Problem ist. Vor allem politische, technologische und technische Veränderungen sind auf aktive Elemente angewiesen. Erst durch den Prozess der Verdrängung alter durch neue Zustände (vgl. Fazel 2014:83), also durch die Nicht-Akzeptanz alter Zustände gefolgt von einer Akzeptanz neuer Zustände (vgl. Lucke 1995:146f.) und damit der Durchdringung sozialer Systeme, kann Wandel angestoßen werden. Das Konzept der Akzeptanz zählt damit zu den bedeutendsten Elementen einer aktiven Veränderung, vor allem mit Blick auf die Durchsetzung von Innovationen in Markt und Gesellschaft (vgl. Kollmann 1998). Akzeptanz wird hierbei als wesentliche Voraussetzung für die dabei stattfindenden Annahme- und Übernahmeprozesse verstanden (vgl. Königstorfer 2008:10f.)5. Differenziert betrachtet wird die Akzeptanz dies4 5

Hierunter werden ökologische Risiken, Klimaveränderungen, Umgang mit Atommüll oder Folgen der Industrialisierung verstanden, so Dörre (2002:58). Wann wem welches Maß an Akzeptanz bzw. Ablehnung entgegengebracht wird und welche Neuerungen hierdurch hervorgerbacht werden können, erörtern z.B. Mensch & SchroederHohenwarth (1977). Sie vermuten, dass je nach Phasen z.B. ökonomischen Auf- und Abschwungs progressive oder konservative Neuerungen den Wandel gestalten.

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2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

bezüglich beispielsweise durch die Innovations- und Diffusionsforschung, die Art und Ausmaß von Annahme und Übernahme bzw. Ablehnung von Innovationen (vgl. hierzu z.B. Rogers 2003) sowie nachfolgenden Nutzungsentscheidungsprozessen analysiert (vgl. hierzu z.B. Königstorfer 2008). Das Maß an Akzeptanz, das Elementen in einer Gesellschaft entgegengebracht wird, unterliegt selbst ebenfalls einem Wandel. Im Rahmen der seit Ende der 1970er Jahre geführten Wertewandeldiskussion wird unter anderem von einem abnehmenden Maß an Akzeptanzwerten in westlichen Gesellschaften ausgegangen – und einer größeren Wahrscheinlichkeit von Nicht-Akzeptanz, wozu auch Konflikte zählen (vgl. Lucke 1995:10f.) „Vor allem sind größer werdende Bevölkerungsteile nicht mehr willens, Rationalisierungsfolgen unbesehen mit Rationalisierungserfolgen gleichzusetzen und als durchgängig positive Begleiterscheinung der gesellschaftlichen Modernisierung zu betrachten“ (Lucke 1995:18). Nicht-Akzeptanz und Konflikt finden damit unter anderem als potentielle Risiken für Modernisierungs- und Entwicklungsprozessen Beachtung, wodurch ein Rückbezug auf die Kombination von Konflikt und Konsens als Triebfedern gesellschaftlichen Wandels vorgenommen wird (vgl. Lucke 1995:10f.,196ff.; Tschiedel 1989:92ff.). 2.2 Der Begriff des Großprojekts „Ob Elbphilharmonie oder Berliner Flughafen: Sind deutsche Großprojekte immer Murks?“ (Diekmann 2015) Dieses Zitat spiegelt ein alltägliches Begriffsverständnis des Terminus „Großprojekt“ wider, denn längst unterliegt der Begriff des Großprojektes im Zuge der vermehrten öffentlichen und medialen Aufmerksamkeit dem Spagat zwischen wissenschaftlichem Begriffsverständnis und Alltagsbegriff. Der Alltagsbegriff versteht unter Großprojekten meist Bau- und Infrastrukturprojekte (optisch) großen Ausmaßes. Ergänzt wird der Begriff durch die Nennung bekannter Fallbeispiele, die meist durch (negative) Auffälligkeiten in die Schlagzeilen geraten sind. Für die wissenschaftliche Arbeit ist diese Art der Definition jedoch nicht ausreichend. So genügt nicht allein die bloße Größe eines Artefakts, um es als Großprojekt im wissenschaftlichen Sinne zu bezeichnen. Auch der Fokus auf Bau- und Infrastrukturprojekte ist nicht ausreichend, da dieses Verständnis doch vor allem aus dem wahrgenommenen Anteil von Bauprojekten und weniger aus einer umfassenden Betrachtung des Themenfeldes stammt. Ebenso ist das wissenschaftliche Verständnis des Begriffes keineswegs einheitlich, da es eine Vielzahl an wissenschaftlichen Disziplinen gibt, die sich Großprojekten als Forschungsobjekt zuwenden. Ein präziser wissenschaftlicher Großprojektbegriff, der in dieser Arbeit Anwendung finden kann, sollte daher auf folgende Fragen eingehen: Welche Themenbereiche umfasst der Großpro-

2.2 Der Begriff des Großprojekts

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jektbegriff? Anhand welcher Kriterien wird Größe definiert? Anhand welcher Kriterien wird die Bezeichnung als Projekt vorgenommen? Die eingangs erwähnte Fokussierung des Großprojektbegriffs auf Projekte des Baubereichs umfasst vermutlich die meisten spontanen, themenbezogenen Assoziationen mit Großprojekten. Des Weiteren können jedoch auch Projekte in den Begriff einbezogen werden, die diesem Themenbereich nicht ohne weiteres zuzuordnen sind, beispielsweise die Einrichtung von Naturschutzgroßgebieten. Eine feste Beschreibung spezifischer Themenbereiche gibt es dabei nicht, vielmehr ist eine empirische Festlegung des Bezugsbereiches notwendig. Als Basis hierfür können die oben beschriebenen Entwicklungen, die globalen Trends als Motor des gesellschaftlichen Wandels (vgl. hierzu Kapitel 2.1, National Intelligence Council 2012), herangezogen werden. Diese individuellen und sozialen, politischen, ökologischen und ökonomischen Triebfedern finden ihre Umsetzung für die Gesellschaft in Form von konkreten Projekten. Grundsätzlich lassen sich dabei vier Themenbereiche unterscheiden: „Mobilität und Verkehr“, „Energie und Klima“, „Leben und Arbeiten“ sowie „Natur und Umwelt“ (mit Land- und Forstwirtschaft). In den Themenbereich „Mobilität und Verkehr“ fallen Projekte, deren Kern sich auf die Themen Mobilität, Fortbewegung oder Logistik, aber auch Verkehrswege oder Verkehrsmittel beziehen (beispielsweise Straßenbau, Bau von Teststrecken, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs). Projekte des Bereiches „Energie und Klima“ beschäftigen sich mit der Gewinnung, dem Transport und der Speicherung von Energie sowie dem Klimaschutz (beispielsweise Stromtrassen, Windkraftanlagen, Pumpspeicherkraftwerke). Der Themenbereich „Leben und Arbeiten“ umfasst Projekte, die sich auf die Lebenswelt der Bürger bezieht, also Wohn- und Arbeitsstätten, Versammlungs-, Religions- sowie Sportund Kultureinrichtungen (beispielsweise Kirchenbauten, Bau von Einkaufszentren, Konzerthäuser, Sportstätten). Projekte, deren Kern sich explizit auf den Natur- oder Umweltschutz bezieht oder auch forst- oder landwirtschaftliche sowie gartenbauliche Belange betrifft (beispielsweise Einrichtung von Naturschutzgebieten, Gartenschauen, Tiermastanlagen) können dem Themenbereich „Natur und Umwelt“ zugeordnet werden. Diese Einteilung verdeutlicht zugleich einen Bezug zu Materie, auf Artefakte, auf greifbare Projekte und weniger auf rein als geistige Idee oder als Gedanke existierende Projekte. Der thematischen Vielfalt von Großprojekten verleiht der Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) Ausdruck. Hierbei wird von Vorhaben gesprochen, z.B. der Errichtung und dem Betrieb technischer Anlagen, dem Bau sonstiger Anlagen, sonstigen Eingriffen in Natur und Landschaft sowie sämtliche Änderungs- oder Erweiterungsmaßnahmen bei diesen Punkten (vgl. Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz 2016a:§2). Die Vielfalt bezieht sich dabei nicht ausschließlich auf die Vorhabenformen, sondern auch auf die möglichen Auswirkungen, die diese mit sich bringen können. Beson-

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2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

ders hingewiesen wird auf die Auswirkungen auf „1. Menschen, einschließlich der menschlichen Gesundheit, Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt, 2. Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft, 3. Kulturgüter und sonstige Sachgüter“ (Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz 2016a:§2). Art und Ausmaß lassen sich zugleich als Indikator für die Größe eines Projektes heranziehen. Die Technikakzeptanzforschung zieht z.B. als Anhaltspunkt für Größe das Ausmaß der Zumutungen (Aufwand, Risiko etc.) heran, die mit der Einführung und Anwendung eines Objekts einhergehen (vgl. Grunwald 2005:58), oder die Art, durch die Menschen mit Technik konfrontiert werden, z.B. individuell durch Alltags- und Arbeitstechnik bis hin zu externer Technik, die in Form eines Nachbars auftritt (vgl. Renn 2005b:31 sowie die Ausführungen hierzu in Kapitel 2.3.3). Technische und wirtschaftswissenschaftliche Betrachtungen beziehen sich zur Größenbestimmung auf Kriterien finanzieller und personeller Art sowie Zeit- und Zielvorgaben, Risiko- und Komplexitätseinschätzungen (vgl. z.B. Litke 2007; Deutsches Institut für Normung 2009). Auch die soziale Komplexität kann Auskunft über das Ausmaß geben (vgl. Bruijn & Leijten 2008). Boos & Heitger wie auch Beyer et al. greifen die Bedeutung dieser Dimensionen auf und formulieren z.B. Kriterien der politischen Brisanz, der Interdisziplinarität, komplexer Ursache-Wirkungs-Beziehungen und verschiedener Interessenslagen (vgl. Boos & Heitger 1996) sowie wirtschaftlicher oder verkehrsbezogener Auswirkungen (vgl. Beyer et al. 2002). Kolb (1999:51) zählt zu den Hauptmerkmalen eines Großprojektes die vielfältigen Auswirkungen, die zahlreichen und langanhaltenden Wirkungen, Folgewirkungen und Nebeneffekte sowie gegensätzliche Wirkungen und allgemein die schwere Abschätzbarkeit aller Auswirkungen, die technische Komplexität sowie die beschränkte Möglichkeit, ein Projekt in mehrere kleine Projekte zu unterteilen. Auch mediale Aktivitäten können hierbei als Indizien für die Bedeutung eines Projektes herangezogen werden. Zum einen hinsichtlich der Frage, wie ein Projekt in der klassischen massenmedialen Berichterstattung dargestellt wird, zum anderen, wie es in sozialen Medien von Nutzern aufgegriffen wird und Anschlusskommunikation erzeugt (vgl. Maier 2013; Krüger 2011:107). Schreck (1998) unterteilt zur Bewertung von Größe und Ausmaß bei Einrichtungen bzw. Vorhaben hingegen in eine raumwirksame und eine soziopolitische Dimension. Erste bezieht sich auf räumliche, standortbezogene Auswirkungen aller Art, wobei Großprojekte hier eine „über den lokalen Rahmen hinausgehen[de]“ Bedeutung (Schreck 1998:3) haben. Hier wird erneut die Relevanz der Materialität eines Projektes deutlich (vgl. hierzu auch Ruschkowski 2010:14). Die soziopolitische Dimension von Schreck bezieht die gesellschaftlichen und politischen Vorgänge eines Vorhabens ein, wozu auch Planungs- und Genehmigungsprozesse zählen. Rechtliche bzw. politische Verfahren zur Unterscheidung zwischen Vorhaben mit weitreichender Bedeutung und eher in kleinem Rahmen bedeutsamer Pro-

2.2 Der Begriff des Großprojekts

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jekte (z.B. innerhalb eines Unternehmens oder privat) stellen ein weiteres wichtiges Kriterium dar. Thießen (2012:9) schlägt zur Abgrenzung, welche Vorhaben als Großprojekte einzustufen sind, eine verfahrensbezogene Abgrenzung vor. Als Großprojekte sind demnach Vorhaben einzustufen, die eines Instrumentes der Entwicklungssteuerung (z.B. Raumordnungspläne, Landes- und Regionalentwicklungspläne) unterliegen oder anderen, konkretisierenden Verfahren zur Planung und Umsetzung von Vorhaben (z.B. Planfeststellungsverfahren, allg. Bauleitplanung, Verfahren zur Genehmigung nach Bundesimmissionsschutzgesetz, vgl. auch Gans 1994:4ff.). In den meisten Fällen ist dabei die Genehmigung einer übergeordneten Verwaltungsbehörde notwendig (vgl. auch Schreck 1998:3). Da jedes Verfahren neben den entsprechenden Prüfungsanforderungen auch die Vorhaben beschreibt, auf die es anzuwenden ist, enthalten die Verfahrensregelungen ebenfalls zentrale Kriterien, die für die Bestimmung des Großprojektbegriffes herangezogen werden können. Bei den vorwiegend zum Tragen kommenden, selbstständigen Verfahren sind vor allem Planfeststellungsverfahren und Genehmigungsverfahren nach Bundesimmissionsschutzgesetz zu nennen. Das Planfeststellungsverfahren6 ist ein Verwaltungsverfahren zur Anwendung auf geplante Vorhaben, die raumbedeutsam sind oder die Infrastruktur betreffen (z.B. Bundesstraßen, Hochspannungsleitungen) und eine Vielzahl von Menschen sowie öffentliche und private Interessen berühren (vgl. Peine 2003:349)7. Das Verfahren besteht aus drei grundsätzlichen Schritten (vgl. ebd.:350ff.): Schritt 1 umfasst die Erstellung des Vorhabenplanes, auf dessen Basis die Erörterung durchgeführt wird. Im zweiten Schritt (Anhörungsverfahren) muss der Plan bei der zuständigen Behörde eingereicht und dann öffentlich ausgelegt werden. Dies ist notwendig, um die Möglichkeit für Stellungnahmen und Einwendungen zu schaffen, die dann im Rahmen eines Erörterungstermins dargelegt werden. Auf Basis dieser Anhörung folgt der Planfeststellungsbeschluss, in dem geregelt wird, ob und wie das Vorhaben verwirklicht werden darf (vgl. ebd.:355). Das Genehmigungsverfahren nach Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG)8 regelt die Errichtung und den Betrieb genehmigungsbedürftiger Anlagen oder Abläufe im Sinne des Immissionsschutzes. Es wird hierbei nach anlagenbezogenem, produktbezogenem, verkehrsbezogenem sowie gebietsbezogenem Immissionsschutz unterschieden (vgl. Michaelis 1999:31). Prinzipiell gelten die Vorschriften des Gesetzes für Anlagen oder Abläufe, die „das Herstellen, Inverkehrbringen und Einführen von Anlagen, Brennstoffen und Treibstoffen“ (Bundesmi6 7 8

Das Verfahren ist im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), Paragraph 72-78 geregelt (vgl. Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz 2016c). Für ähnliche Verfahren, z.B. der Plangenehmigung, vgl. z.B. Peine (2003). Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge (Bundesimmissionsschutzgesetz – BimSchG, vgl. Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz 2016b).

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2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

nisterium für Justiz und Verbraucherschutz 2016b:§2) und weiteren ähnlichen Stoffen (z.B. Stoffe in Verbindung mit Treibhausgasen, vgl. Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz 2016b:§37ff.) zum Zweck haben sowie für „die Beschaffenheit, die Ausrüstung, den Betrieb und die Prüfung von Kraftfahrzeugen und ihren Anhängern und von Schienen-, Luft- und Wasserfahrzeugen sowie von Schwimmkörpern und schwimmenden Anlagen“ und „den Bau öffentlicher Straßen sowie von Eisenbahnen, Magnetschwebebahnen und Straßenbahnen“ (Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz 2016b:§2)9. Im Rahmen des Gesetzes werden schädliche Umwelteinwirkungen (z.B. Luftverunreinigungen, Lärm-, Licht- oder Strahlenbelastung) auf die Allgemeinheit und die Nachbarschaft10 geprüft. Beim Genehmigungsverfahren wird zwischen förmlichem (mit fest geregelter Öffentlichkeitsbeteiligung, vgl. Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz 2016b:§10) und vereinfachtem Verfahren (ohne Öffentlichkeitsbeteiligung, vgl. Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz 2016b:§19) unterschieden. Der Ablauf des förmlichen Verfahrens ähnelt dem Planfeststellungsverfahren. Nach Antragstellung und Vorprüfung durch die entsprechende Behörde (auf Vollständigkeit etc.) erfolgt die öffentliche Auslegung mit der Möglichkeit, Einwendungen einzureichen. Daraufhin folgt ein Erörterungstermin. Mit den Erkenntnissen aus der Öffentlichkeitsbeteiligung wird der Antrag endgültig geprüft und per Genehmigungsbescheid das Urteil über das Vorhaben gefällt. Beim vereinfachten Verfahren wird auf öffentliche Bekanntmachung, Auslegung von Antrag und Antragsunterlagen sowie den Erörterungstermin verzichtet. Ob ein Verfahren als förmlich oder vereinfacht eingestuft wird, hängt vereinfacht gesagt von Vorhabenart und -größe sowie den dadurch vermuteten Auswirkungen und den Einwirkungen auf die Umwelt ab.11 Neben Fragen zu Themenbereich und Ausmaß eines Großprojektes und den dadurch notwendigen Genehmigungsverfahren bedarf auch der Begriff des Projektes einer Konkretisierung. Der Projektbegriff impliziert eine Aufgabe mit zeitlicher Befristung (vgl. Voigt & Schewe 2013), es bedarf damit einer zeitbezogenen Einteilung in Projektstadien der infrage kommenden Vorhaben. Einen möglichen Anknüpfungspunkt hierfür bietet die Honorarordnung für Architekten- und Ingenieurleistungen (HOAI, vgl. Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz 2013), die Projekte in einzelne Leistungsphasen einteilt. Von 9 10 11

Welche Anlagen hier exakt genehmigungsbedürftig im Sinne des Bundesimmissionsschutzgesetzes sind, regelt die vierte Bundesimmissionsschutzverordnung (vgl. Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz 2015). „Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter“ (Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz 2016:§3). Diese Aussage gibt die Entscheidungskriterien nur vereinfacht wieder. Die genaue Zuordnung ist in der vierten Verordnung zur Durchführung des Bundesimmissionsschutzgesetzes (Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen – 4. BImSchV) geregelt (vgl. Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz 2015).

2.2 Der Begriff des Großprojekts

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ersten Gesprächen und der Grundlagenermittlung bis hin zum Übergang eines Projektes in eine endgültige Nutzungsform werden einzelne Phasen formuliert. Dadurch wird zugleich der konkrete Beginn und die Beendigung eines Projektes formuliert. Vereinfacht können die in der Honorarordnung aufgeführten Leistungsphasen in vier Projektstadien unterteilt werden, die eine zeitbezogene Einteilung und damit auch die Kennzeichnung eines Vorhabens als Projekt zulassen:    

Entwurfsphase: Phase einer ersten Vision, der Grundlagenermittlung, erster Vorgespräche und -überlegungen sowie Phase der Vorplanungen und Entwurfsplanung. Planungs- und Genehmigungsphase: Phase der Konkretisierung vorangegangener Planungen, Vorbereitung und Durchführung sämtlicher mit den notwendigen Genehmigungen in Verbindung stehenden Prozesse. Einrichtung- und Erstellungsphase: Phase der Einrichtung und Erstellung/ Bau des Projekts. Anlaufphase/Phase der Inbetriebnahme: Das Projekt geht in die Phase des Betriebs bzw. der Nutzung über. Sobald Betrieb und Nutzung über einen dem Vorhaben entsprechenden Ablauf verfügen, endet die Anlaufphase.

Begriffsverständnis dieser Arbeit Aufbauend auf den obigen Ausführungen zur Konkretisierung des Großprojektbegriffes können abschließend zentrale Kriterien formuliert werden, die den Begriff des Großprojektes präzise umranden. Unter einem Großprojekt kann nachfolgend ein Vorhaben verstanden werden, welches:   



einem der globalen Trends „Energie und Klima“, „Mobilität und Verkehr“, „Leben und Arbeiten“ oder „Natur und Umwelt“ zuzuordnen ist, über eine überdurchschnittliche zeitliche, räumliche und finanzielle Bedeutung verfügt (z.B. Anzahl betroffener Personen/Institutionen, Fertigstellungsdauer, Flächenbedarf, Investitionsvolumen), zudem eine sozial-mediale Dimension besitzt, also Folgen für die Gesellschaft und ihre Elemente mit sich bringt und dabei eine öffentliche Wirkung hat (z.B. in Form medialer Berichterstattung, Bürgerbewegungen und Bürgerbeteiligung, gesellschaftliche Diskussionen etc.) und eine politisch-administrative Dimension umfasst, also beispielsweise eines spezifischen Verfahrens durch Politik und/oder übergeordnete Verwaltungsebene bedarf (z.B. Planfeststellungsverfahren, Genehmigung nach Bundesimmissionsschutzgesetz, gesonderte politische Beschlüsse etc.) sowie

20 



2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

sich in einem Projektstadium befindet, das sich zwischen einem ersten Gedanken und der vollumfänglichen Inbetriebnahme befindet (bereits in den Normalbetrieb übergegangene Projekte sind damit ausgeschlossen) und nicht zuletzt als Artefakt bezeichnet werden kann, also Materie umfasst oder bezeichnet. Dies schließt z.B. rein politische/gesellschaftliche Diskussionsthemen aus.

2.3 Akzeptanz und ihre Dimensionen Der (soziale) Wandel einer Gesellschaft geht mit einer Vielzahl an Dynamiken einher, ist jedoch selbst auch das Ergebnis komplexer Prozesse. Das vorige Kapitel hat die hierbei zentrale Rolle von Akzeptanz, aber auch von Nicht-Akzeptanz z.B. in Form von Konflikt bereits angedeutet. In Form von Adaptions- und Adoptionsprozessen, im Alltag bekannt als „Popularisierung von Kunst“ oder „Trivialisierung der Wissenschaft“, als „Verbreitung neuer Lebensstile“ oder die „Diffusion und Installation technischer Neuerungen“ (Lucke 1995:112), zählen Formen der Akzeptanz zu den zentralen Mechanismen gesellschaftlichen Wandels: Die mit ihr einhergehenden Maßstabskriterien fungieren als Abstimmungsund Auswahlmechanismen für sämtliche gesellschaftliche Prozesse (vgl. ebd.: 156ff.)12 und sind damit auch bei der Entwicklung von Großprojekten von entscheidender Bedeutung. Nachfolgend wird dem Konstrukt der Akzeptanz, ihren Dimensionen, dem Begriffsverständnis und geeigneten (Mess)Modellen Platz eingeräumt. Dabei wird auch auf den Begriff des Konflikts, seine Ursachen und Folgen eingegangen und eine Abgrenzung des Akzeptanzbegriffs zu verwandten Konstrukten vorgenommen. Die Begriffe Akzeptanz und Konflikt fallen oft im Zusammenhang mit der Frage nach sozialverträglicher Technikgestaltung, die Teil einer Forschungs- und Technologiepolitik wie auch der begleitenden sozialwissenschaftlichen Forschung sind (vgl. Tschiedel 1989:92). Akzeptanz- und Konfliktforschung verfügen über zwei Eigenschaften, die bei der Arbeit in diesen Themengebieten bedacht werden müssen: Die Betrachtung der beiden Konstrukte zeigt erstens eine Vielzahl von Ansätzen auf, die von strikt abgegrenzten Positionen bis hin zu nachhaltig integrierten Perspektiven der Konstrukte alles abdecken, jedoch zugleich auch eine Reihe unzureichend abgegrenzter und unklar definierter Herangehensweisen enthalten. Zweitens führt die Vielzahl an Akzeptanzsubjekten, -objekten und -kontexten zu einer großen Vielfalt beteiligter Forschungsdisziplinen und -ansätze, wodurch ein gemeinsamer Erkenntnisgewinn erschwert wird. 12

Akzeptanz verfügt darüber hinaus über zahlreiche weitere Funktionen, z.B. Integrationsfunktionen und Kontrollfunktionen, vgl. hierzu vor allem Lucke (1995:160ff.).

2.3 Akzeptanz und ihre Dimensionen

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Zu den beteiligten Disziplinen zählen z.B. Sozialwissenschaften, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Sprach- und Religionswissenschaften, Philosophie, Bau- und Ingenieurswissenschaften, Agrarwissenschaften, Natur- oder Umweltwissenschaften (vgl. unter anderem Lucke 1995) sowie integrativ-interdisziplinäre Ansätze wie beispielsweise die Begleitforschung, die als gesellschaftlich geforderte Forschung zur Förderung von Technologieentwicklung zu sehen ist (vgl. Fiedeler & Nentwich 2009:94). Lucke (1995) spricht bei Fragen der Akzeptanz von „latente[n] Dauerfragestellungen“, die sich bis zu frühen Ansätzen der Sozio- und Psychologie der Philosophie sowie der Politologie zurückverfolgen lassen. 2.3.1 Das Konzept der Akzeptanz 2.3.1.1 Sichtweisen der Akzeptanzforschung Der Akzeptanzbegriff wird im alltäglichen Sprachgebrauch vielfach verwendet (vgl. Pressmar 1982:324; Lucke 1995:33ff.). Er ist ein terminologisches Modewort (vgl. Hitzler & Honer 1984:57; Lucke 1995:37), das seit langem Teil wissenschaftlicher Überlegungen13 ist, zugleich jedoch wenig beachtet wird im Vergleich zu anderen zentralen Begriffen der klassischen Sozialwissenschaft14. Ihm liegt eine „äußerst heterogene Begriffsfassung zugrunde“ (Schönecker 1980:80) und er wurde zeitweise als wissenschaftlich untaugliche „Leerformel“ (Degenhardt 1986:36) bezeichnet. Die Vielfalt der Bedeutungen und Definitionen, die dem Begriff der Akzeptanz zugeordnet werden, ist ähnlich groß wie die Bandbreite der sich diesem Phänomen widmenden Forschungsdisziplinen (vgl. hierzu die Ausführungen in den vorigen Teilkapiteln). Zusätzlich sind Vermischungen und Sprachungenauigkeiten mit Begriffen wie Akzeptabilität, Einstellung oder Adoption (vgl. Müller-Böling & Müller 1986:18f.; Lucke 1995:35ff.) festzustellen. Eine differenzierte Betrachtung des Begriffs, seiner Charakteristika und Unterschiede zu verwandten Konstrukten soll in dieser Arbeit anhand einer Betrachtung unterschiedlicher Verständnisse vorgenommen werden. Ziel ist die Generierung eines anwendungsbezogenen Begriffsverständnisses mit Blick auf die leitenden Fragestellungen. Für besonders umfassende und begriffsgeschichtliche Herleitungen sei daher z.B. auf die Ausführungen von Lucke (1995)15 oder Kollmann (1998) verwiesen. Aufgrund des heterogenen Forschungsfeldes wird bereits zu Beginn eine Schwerpunktsetzung auf Ansätze sozial- und wirtschafts13 14 15

Zur Bedeutung von Akzeptanz z.B. bei Machiavelli vgl. Schröder (2004). z.B. Konflikt, Herrschaft oder soziale Kontrolle (vgl. Lucke 1995). Lucke nimmt sich dem Phänomen der Akzeptanz vor allem hermeneutisch in Form der Verstehenden Soziologie an und ergänzt damit eine empirisch-analytische Sichtweise um wertvolle kontextuelle Elemente.

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2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

wissenschaftlicher Herkunft vorgenommen, die sich den Phänomenen der Umweltund Technikakzeptanz sowie im Speziellen der Akzeptanz von Infrastruktur- und Großprojekten widmen. Der Vielzahl an Ansätzen ist gemein, dass unter Akzeptanz, egal von wem sie ausgeht, auf was sie sich bezieht oder in welchem Kontext sie gebildet wird, eine Form der nicht negativen Bewertung eines Phänomens (Komponente der Meinungen und Einstellungen mit oder ohne Verhaltensabsicht) verstanden wird, die in unterschiedlichem Maße ihren Ausdruck und ihre Wirkung im sozialen Raum (Komponente des Handeln und Verhaltens) findet und entfaltet (vgl. Wahl 2001:31; Müller-Böling & Müller 1986:24). Kollmann (1998:52f.) definiert dies als Einstellungsebene und Handlungsebene der Akzeptanz16. Anhand der Frage wie nicht negativ (bzw. positiv) die Bewertungen ausfallen und welche Entfaltung in Form von Verhalten diese im sozialen Raum finden muss, um als Akzeptanz zu gelten, unterscheiden sich die Konzepte. Es kann zwischen eindimensionalen und mehrdimensionalen Konzepten differenziert werden (vgl. Schierz 2008), je nachdem, ob nur eine der beiden Dimensionen (Einstellung oder Verhalten) vorliegen muss oder ob beide Dimensionen von Bedeutung sind und in welchem Zusammenspiel sie wirken (vgl. Küpper 2005:129). Die theoretischen Ausprägungen dieses Zusammenspiels reichen dabei von einer rein nicht negativen psychischen Grundhaltung (diese kann also positiv oder auch neutral ausgeprägt sein), einem rein nicht negativem Verhalten (ebenfalls in positiver oder neutraler Ausprägung möglich) bis hin zu ausdrücklich positiver Einstellung bzw. positivem Verhalten und sämtlichen Kombinationsmöglichkeiten dieser Ausprägungen. Dabei gilt: Je gleichgerichteter das Zusammenspiel beider Komponenten und je explizit positiver Verhalten und Einstellung existent sein müssen, desto enger konzipiert sich der Akzeptanzbegriff. Unter Einstellung wird aus Sicht der Drei-Komponenten-Theorie (vgl. Kroeber-Riel et al. 2011:242f.) ein relativ beständiger, mit Wissen verknüpfter Zustand gegenüber einem Objekt verstanden (vgl. Trommsdorff & Teichert 2011), der neben affektiven (gefühlsbasierten, motivationalen) und kognitiven (verstandesmäßigen) auch konative (handlungsorientierte) Elemente in sich vereint (vgl. Müller-Böling & Müller 1986:25f.). Trotz des hierbei einbezogenen verhaltensorientierten Elements, das „habituelle, nicht direkt beobachtbare Verhaltensdispositionen erfass[t]“ (Hartmann & Wakenhut 1973:196) und über dessen Anteil 16

Aus Perspektive der ökonomischen Nutzungsforschung wird zudem die Nutzungsebene der Akzeptanz ergänzt, die sich auf die tatsächliche Anwendung und Nutzung von Innovationen (vor allem Konsumgüter) im Alltag bezieht (vgl. Kollmann 1998:53). Mit Blick auf den Fokus dieser Arbeit wird die Nutzungsebene vorerst nicht beachtet, da Nutzer- und Verbraucherkreise bei vielen Großprojekten erst zu späteren Zeitpunkten relevant werden (z.B. Stadtbahnbau), eine andere Art der „Nutzung“ vorliegt (z.B. Gefängnisbau) oder die Projekte vollständig in privater Hand sind, wodurch keine direkt allgemeine Nutzung impliziert wird (z.B. Teststreckenbau) oder eine Nutzung nur im Sinne von Wirtschaftsbeziehungen (Stichwort business-to-business) vorliegt, die anderen bzw. ergänzenden Bedingungen unterliegt.

2.3 Akzeptanz und ihre Dimensionen

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am Kernkonstrukt der Einstellung ebenfalls verschiedene Ansichten zu finden sind17, wird zusätzlich die beobachtbare Verhaltenskomponente beim Akzeptanzkonstrukt unterschieden, wodurch dem komplexen Verhältnis zwischen Einstellung und Verhalten18 Ausdruck verliehen wird. Kollmann (1998:67) greift diese Gedanken integrierend auf und weist auf die Zusammenhänge zwischen Handlungsbereitschaft und gesellschaftlichen Wert- und Zielvorstellungen hin, womit eine weitere, normativ-evaluative Komponente der Einstellungsebene eingebracht wird19. Andere Ansätze behandeln diese Wertdimension der Akzeptanz nicht als Bestandteil der Einstellungsdimension, sondern als eigenständige Dimension und betonen damit einerseits die Bedeutung eines gesellschaftlichen Wertesystems, andererseits des individuellen subjektiven Wertesystems im Hinblick auf die Übereinstimmung einer Akzeptanzentscheidung mit dem persönlichen Wertesystem und damit dem Zwang (oder nicht Zwang), unter dem dies geschieht (vgl. Schäfer & Keppler 2013:14; Kollmann 1998:62f.). Beobachtbares Verhalten kann in zwei Arten unterteilt werden: verbales Verhalten (z.B. sämtliche Kommunikationsformen für oder gegen ein Akzeptanzobjekt) und nicht verbales Verhalten (z.B. Kauf-, Nutzungs-, Implementierungsverhalten, aber auch wirtschaftliches, politisches oder soziales Verhalten) in konkreten Situationen (vgl. Kromrey 2009; übersichtlich dargestellt durch Schäfer & Keppler 2013:13). Die Ansichten über Zusammenhänge zwischen Einstellung und Verhalten reichen hierbei, ähnlich wie bei Ansätzen des Akzeptanzverständnisses, von keinerlei Zusammenhängen (vgl. z.B. LaPiere 1934) bis hin zu einem unter bestimmten Bedingungen und weiteren Faktoren20 möglichen Zusammenhang von Einstellung und Verhalten (vgl. Wicker 1969; 1971). Teil hiervon ist beispielsweise die Determinierung von Verhalten durch vorhergehende Einstellung(en). Mummendey (1979, 1988) zweifelt diese Chancen der direkten Verhaltensvorhersage durch die Messung von Einstellungen an, betont jedoch die Relevanz der weiteren Erforschung dieser mit Hilfe von komplexeren

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18 19 20

Beispielsweise sehen Fishbein & Ajzen (1975) in ihrem eindimensionalen Ansatz Affektionen als einziges originäres Element von Einstellungen an, wohingegen kognitive Elemente Einstellungen nur zugrunde liegend und konative Elemente als Folge von Einstellungen angesehen werden. In Anbetracht dessen, dass Großprojekte von zahlreichen und komplexen Bewertungen geprägt sind, erfolgt bei dieser Art komplexer Einstellungsobjekte keine rein eindimensionale, affektive Einstellungsbildung, diese tritt vielmehr nur bei mehrheitlich widerspruchsfreien und verhältnismäßig simplen Objekten auf (vgl. Frey & Stahlberg 1996:222). Zur Attitude-Behavior-Kontroverse vgl. z.B. Wicker (1969;1971); Benninghaus (1976); Meinefeld (1977); Ajzen (1988) oder Eagly & Chaiken (1993). Vgl. hierzu auch Lucke (1995:81f.). Hierzu werden vor allem normative Einflüsse gezählt, die in Form subjektiver Normen wirksam werden können (vgl. allgemein Fishbein & Ajzen 1975:16;mit Akzeptanzbezug Lucke 1995:81f.).

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2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

Ansätzen, um das Verhältnis zwischen Einstellung und Verhalten präziser beschreiben zu können21. Dieses Spektrum der Sichtweisen spiegelt sich in der Begriffsbestimmung von Akzeptanz wider. Rechtswissenschaftliche Definitionsansätze sehen Akzeptanz als Anerkennung (Würtenberger 1987), ökonomische Ansätze definieren Akzeptanz als Tolerierung von Entscheidungen dominierender Interessensgruppen (vgl. Schmidt 1969), die Fähigkeit eines Marktes zur Aufnahme von Innovation (vgl. Meffert 1976) oder als Übereinstimmung mit Wertvorstellungen und Zielen gesellschaftlicher Gruppen (vgl. Kollmann 1998:65). All diese Definitionen lassen jedoch noch keine exakte Aussage über die Rolle von Einstellung und Verhalten zu. Unter dem Stichwort „Technologienakzeptanz am Arbeitsplatz“ (Renn 1986) finden sich Definitionsansätze, die vor allem die Nutzung von Kommunikationsund Informationstechnologien umfassen (vgl. z.B. Olbrecht 2010; Schnell 2008)22. Neben der Toleranz von Entscheidungen (vgl. Schönecker 1982:51), ohne Hinweis auf irgendeine positive psychische oder verhaltensbezogene Reaktion, sieht die hiermit eng verwandte Innovations- und Diffusionsforschung in Akzeptanz die Adoption einer Innovation (vgl. Rogers 2003), die „positive Annahme […] einer Idee, eines Sachverhalts oder eines Produktes [verstanden], und zwar im Sinne aktiver Bereitwilligkeit und nicht nur im Sinne reaktiver Duldung“ (Dethloff 2004:18) oder auch eine Innovationseigenschaft, die bei Einführung positive Reaktionen der von der Innovation Betroffenen erhält (vgl. Endruweit et al. 1989). Ähnlich definiert Pressmar (1982) Akzeptanz als „zustimmendes Hinnehmen oder Bejahen des Annehmens einer Situation, eines Objektes oder einer Person“. Vor allem sozialpsychologisch verankerte Arbeiten interpretieren Einstellung als zentrale Dimension von Akzeptanz (vgl. z.B. König 1967:300; Simon 2001:87; Kirsch & Klein 1977:45; Dierkes 1982:12; Müller-Böling & Müller 1986:20ff.; Müller-Böling 1978:55ff.; Rentsch 1988:10) und sprechen bei Akzeptanz von einer „positiven Einstellung eines Individuums einem Objekt gegenüber“ (Rentsch 1988:10) als Ergebnis eines sozialen Wahrnehmungs- und Bewertungsprozesses (vgl. z.B. Schreck 1998:5; Renn 1984) „zu einem bestimmten Zeitpunkt“ (Dierkes 1982:12). Hinzu kommt (nicht zwingend notwendig) eine Handlungsbereitschaft (vgl. Reichwald 1981:114; Schweizer-Ries et al. 2010:12; Trommsdorff 1975:8). Ergänzt wird diese Sichtweise durch Begriffsbestimmungen, die zwar den Rahmen und die Bedingungen für Akzeptanz klar umreißen (z.B. ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung), jedoch bei der Frage, ob einstellungs- und/oder verhaltensbezogene Komponenten gemeint sind, unklar bleiben. Verhaltensorientierte 21 22

Ein guter Überblick über verschiedene Ansätze bzw. Studien und deren Verhältnis zur Einstellungs-Verhaltens-Frage findet sich in Kollmann (1998:73ff.) sowie in Müller-Böling & Müller (1986:24f.). Mit Bezug auf ältere Kommunikationssysteme auch durch Müller-Böling & Müller (1986) dargestellt.

2.3 Akzeptanz und ihre Dimensionen

25

Ansätze hingegen setzen Akzeptanz mit Verhalten oder Handeln gleich (vgl. z.B. Moore & Benbasat 1991; Schierz 2008:72), wodurch beispielsweise eine passive Haltung, z.B. ausbleibender Widerspruch (Ausbleiben eines ablehnenden Verhaltens, vgl. Luhmann 1969:33f.; 2000:93, ähnlich passiv auch Kindermann 1986:66) oder auch ein wohlgesonnenes Verhalten (vgl. z.B. Müller-Böling & Müller 1986:21; Schweizer-Ries et al. 2010:12) bereits als Akzeptanz zu werten ist, unabhängig davon, wie sich die psychische Einstellung dazu verhält23. Der Aspekt des beobachtbaren Verhaltens wird dabei wiederum in enger Verbindung mit dem Begriff der Adoption gesehen (vgl. z.B. Pressmar 1982:324) und ist somit eigentlich wieder der Innovations- und Diffusionsforschung zuzurechnen. Vertreter der zweidimensionalen Perspektive (vgl. z.B. Lucas 1975; Helmreich 1980; Müller-Böling & Müller 1986:25) erkennen in Akzeptanz prinzipiell beide Elemente (vgl. Wiendieck 1992:91). Über die Ausrichtung der Dimensionen sagt die zweidimensionale Betrachtung jedoch noch nichts aus: Liegt der Fokus auf sichtbarem Verhalten, so ist prinzipiell gleichzeitig eine gegensätzlich gerichtete Einstellung möglich, beispielsweise wenn Akzeptanz unter Zwang erfolgt, eine „Akzeptanz ohne Anerkennung“ (Lucke 1995:77). Umgekehrt könnte auch eine verhaltensmäßige Ablehnung mit gleichzeitiger einstellungsbezogener Zustimmung vorliegen, hierbei würde die Auslebung der Akzeptanz im sozialen Raum also verhindert. Lucke (1995:104) definiert diesbezüglich Akzeptanz in Anlehnung an Max Webers Herrschaftsdefinition (1968:215) als „die Chance, für bestimmte Meinungen, Maßnahmen, Vorschläge und Entscheidungen bei einer identifizierbaren Personengruppe ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung zu finden und unter angebbaren Bedingungen aussichtsreich auf deren Einverständnis rechnen zu können“. Sie intendiert hierbei eine positiv gerichtete Einstellung gegenüber dem Akzeptanzobjekt, fordert jedoch nicht unbedingt aktives Verhalten ein24 (vgl. auch Schweizer-Ries et al. 2010). Passive Formen von Duldung mit weniger aktiven und demonstrativen Elementen werden dabei eher der Toleranz zugeordnet (vgl. Lucke 1995: 64). In ihrer engsten Definitionsform wird für Akzeptanz das gleichzeitige und gleichgerichtete Vorliegen von positiver Einstellung gegenüber einem Objekt und einem entsprechend positiv gerichtetem, aktivem Verhalten, z.B. durch Mitwirkung oder Eigeninitiative (vgl. z.B. Schönecker 1985; Schierz 2008) gefordert. Für eine klare und stringent anwendbare Begriffsbestimmung, die für die Arbeit gelten soll, reicht die reine Definition des Begriffes jedoch nicht aus. Erst durch die Abgrenzung von verwandten Konstrukten, durch das Aufzeigen von 23 24

Lucke (1995:80f.) unterscheidet hierbei aus handlungstheoretischer Perspektive fünf Formen und Funktionen von Akzeptanz. Sie kann demnach Handlungsvoraussetzung, Handlungsstrategie, Handlungsziel, Handlungsergebnis oder Handlungsfolge sein. Gleichzeitig formuliert Lucke (1995) jedoch an anderer Stelle, dass Akzeptanz nicht die „passive Hinnahme“, sondern auch „aktive Komponenten“ beinhaltet. Inwiefern sich dies jedoch auf Aspekte des Verhaltens bezieht, bleibt unklar.

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2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

gegensätzlich gerichteten Phänomenen (z.B. Nicht-Akzeptanz, vor allem Konflikt) sowie durch die Operationalisierung durch Überführung der Definitionen in einzelne Konzepte kann eine für diese Arbeit geltende Begriffsbestimmung vorgenommen werden. 2.3.1.2 Verwandte Elemente der Akzeptanz Akzeptanz und Akzeptabilität Um den Akzeptanzbegriff schärfer fassen zu können, ist besonders eine Abgrenzung vom Terminus der Akzeptabilität notwendig. Letztere ist nach Tschiedel (1989) „eine mehr oder weniger unabhängig vom aktuellen Akzeptanzverhalten der Bevölkerung feststellbare Eigenschaft des technisch sozialen Systems.“ Damit bezieht sich der Begriff auf die Eigenschaften, die ein System (bzw. eine Innovation, ein Projekt etc.) überhaupt akzeptanzwürdig machen (vgl. Deutsche Akademie der Technikwissenschaften 2011:7) bzw. für das Zustimmungs- und Einverständnispotential (Lucke 1995:107) eines Systems stehen. Akzeptabilität kann daher als eine Vorstufe von Akzeptanz verstanden werden, wenngleich auf Akzeptabilität nicht zwingend Akzeptanz folgen muss. Lucke (1995) führt den Begriff der Akzeptabilität auf Chomsky (1969) und die Soziolinguistik zurück. In diesem Kontext „wird der Akzeptabilitätsbegriff teilweise synonym mit „Grammatizität“, bedeutungsgleich zu „Sprachrichtigkeit“ verwendet und bezeichnet dort Äußerungen, die in Einklang mit dem „Sprachgefühl der Sprecher“ stehen“ (Lucke 1995:47). Obwohl es sich zeigt, dass diese Identität nicht in jedem Fall zutreffen muss (z.B. dass Äußerungen aufgrund von Widersprüchen nicht akzeptiert werden, obwohl sie grammatikalisch korrekt gebildet wurden, vgl. ebd.:48), deutet dieser Ansatz auf Wert- und Zielvorstellungen hin, von denen Akzeptabilität im Endeffekt abhängt (vgl. Dierkes & Thienen 1982; Lucke 1995:106f.). Lucke (1995:106) bezeichnet dies auch als „die prinzipielle Erwartbarkeit mehrheitlichen Einverständnisses auf der objektivierbaren Grundlage allgemein anerkannter und rational begründeter gesellschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher etc. Oberziele“. Schäfer & Keppler (2013) beschreiben die Unterscheidung zwischen Akzeptanz und Akzeptabilität prägnant anhand des gesellschaftlichen und des individuellen, subjektiven Wertesystems: Während für die individuelle Akzeptanz beide Wertesysteme relevant werden und diese an empirischen Befunden gemessen wird, ist für die Akzeptabilität ausschließlich das gesellschaftliche Wertesystem und damit normative Maßstäbe entscheidend (vgl. auch Grunwald 2005:54)25. Wolkenstein (2014) spricht dabei 25

Die Differenzierung zwischen den beiden Begriffen wird in dieser Arbeit verkürzt und mit konkretem Bezug zum vorliegenden Forschungsprojekt dargestellt. Für umfassenden Ausführungen zu diesem Thema, vor allem zu Operationalisierungs-, Bewertungs-, Mess- sowie Prognoseproblemen vgl. z.B. Grunwald (2005); Lucke (1995); Renn (2005b) und Bechmann (2011).

2.3 Akzeptanz und ihre Dimensionen

27

von „Faktizität versus Normativität“. Stransfeld (1993) verweist diesbezüglich darauf, dass Akzeptabilität eine Frage objektiver Bedingungen ist, wohingegen Akzeptanz von subjektiven Faktoren abhängig ist. Bezugnehmend auf den hier gewählten Forschungsschwerpunkt ist in der vorliegenden Arbeit nicht ein an Normen gekoppeltes Zustimmungspotential eines Großprojektes die entscheidende Größe, sondern die individuell gebildete, ggf. aggregierte, empirisch messbare Akzeptanz eines Großprojektes. Akzeptanz und Legitimität Im Zusammenhang mit Akzeptanz wird vielfach auch der Begriff der Legitimität erwähnt. Nach Sarcinelli (1998) bezeichnet diese die „Anerkennenswürdigkeit eines Gemeinwesens und seiner Herrschaftsordnung“, „wobei Legitimität historisch veränderliche und theoretisch unterschiedlich begründete Maßstäbe zur Bewertung des Geltungsanspruches politischer Herrschaft umfasst“ (Goldschmidt 2012:199). Anders formuliert liegt der Schwerpunkt der Legitimation auf Ordnungsprinzipien und -verfahren sowie der Frage ihrer Anerkennung. Ob eine Entscheidung bzw. ein Sachverhalt als legitim anzusehen ist, bezieht sich damit auf die Art und Weise ihres Zustandekommens. „Legitimation durch Verfahren“ (Luhmann 1969) drückt dabei den prozessualen Charakter des Konstrukts sowie Elemente wie die Unabhängigkeit von Verfahren und Entscheidungsprozessen aus (vgl. Goldschmidt 2012:202). Die Verbindung zum Konstrukt der Akzeptanz entsteht durch den Zusammenhang von Entscheidungsverfahren und Entscheidungsergebnis: Wenn ein Verfahrensergebnis durch seinen Prozess legitimiert wird, ist es dann auch automatisch in der Gesellschaft akzeptiert? Es zeigt sich gerade bei Großprojekten, dass trotz prozedural legitimierter Entscheidungen (vgl. Grunwald & Hocke 2006:20f.) Nicht-Akzeptanz wahrzunehmen ist. Im Kern bezieht sich diese Beobachtung auf die Frage, wann Akteure einen Prozess und sein Ergebnis als legitim ansehen können (also das Verfahren akzeptieren), auch wenn sie selbiges inhaltlich nicht unterstützen (vgl. z.B. Goldschmidt 2012:216; Dietz & Stern 2008:71; Grunwald 2005:58f.). Grunwald (2000:58) konkretisiert dies: „So sind z.B. bei der Planung einer Autobahn akzeptierte und legitimierte Verfahren (z.B. Planfeststellungsverfahren) zu beachten mit der Konsequenz, dass die resultierende Entscheidung auch von den Betroffenen akzeptiert werden soll, wenn das Verfahren korrekt durchgeführt wurde. Mit Hilfe solcher Verfahren definiert die Gesellschaft bis zu welchem Maß die Akzeptanz bestimmter Zumutungen unter „öffentlichem Interesse“ erwartet werden kann26. Dies reicht bis hin 26

Unter der zu erwartenden Akzeptanz wird die Akzeptabilität eines Objektes verstanden (vgl. Luhmann 1983:31).

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2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

zu der Situation, dass bestimmten Personen oder Gruppen die Lasten solcher Entscheidungen aufgebürdet werden können“. Werden die Formen des Anerkennens von Sachverhalten in eine Ordnung gebracht, so bezieht sich 1) Legitimation auf die Akzeptanz eines Verfahrens in Bezug auf einen Sachverhalt, 2) Akzeptabilität auf die daraus entstehende, erwartbare Akzeptanz und 3) die Akzeptanz des Sachverhalts auf die schlussendlich empirisch zu messende Zustimmung durch Einstellung und Verhalten. Lucke (1995:92) spricht bei Akzeptanz von der subjektiven Kehrseite der Legitimation. Diese Ausführungen machen deutlich, dass grundsätzlich zwischen Verfahrensakzeptanz und Ergebnisakzeptanz unterschieden werden muss. Erstere bezieht sich auf die Akzeptanz der durchgeführten Prozesse und Verfahren, letztere auf deren schlussendliches Ergebnis. Aus der grundsätzlichen Akzeptanz eines Verfahrens wird nicht immer die Akzeptanz des Verfahrensergebnisses folgen (vgl. Kahle 2014:76), jedoch ist die Verfahrensakzeptanz ein wichtiger Baustein der Ergebnisakzeptanz (vgl. Brettschneider 2013c:15). Akzeptanz und Konsens Der gesellschaftliche Umgang mit Großprojekten und dem Konfliktpotential dieser wirft die Frage auf, welcher Zustand denn diesbezüglich erstrebenswert ist. Wird im täglichen Sprachgebrauch das Gegenstück eines Konflikts gerne im Konsens gesehen, so definiert Giesen (1993) Konsens als einen Zustand vollkommener Integration und Form einer sozialen Überdetermination als das Gegenstück zu einem anarchischen Urzustand mit Ausübung von purer Gewalt und einem geringen Rationalisierungsgrad. Konflikt nimmt dabei also nicht die antagonistische Rolle, sondern vielmehr eine vermittelnde Rolle zwischen rohem Urzustand und sozialem Stillstand ein. Die Verwandtschaft von Konsens und Akzeptanz wiederum ergibt sich aus dem Gedanken der Übereinstimmung zweier Überzeugungen: Bei vollkommenem Konsens wird von einer völligen Übereinstimmung zweier Überzeugungen bezüglich eines Sachverhalts ausgegangen, womit eine psychische Korrelation impliziert wird (vgl. Luhmann 1997:82). Streng genommen kann diese jedoch nicht nachgewiesen, sondern nur durch Beobachtung von kommunizierten Übereinstimmungen angenommen werden (vgl. Kleidat 2011:129f.; Bonacker 1997:120). Diesem hehren Anspruch kann mit Blick auf das Fortbestehen und die Entwicklung einer Gesellschaft27 sowie auf die Schwierigkeit bei der Nachweisbarkeit kaum nachgekommen werden. Das Konzept der Akzeptanz nimmt sich (unter anderem deshalb) dieser pragmatischen Übersetzung der kommunizierten 27

Für die Bedeutung von Konflikt und Konflikt für den Wandel und das Fortbestehen von Gesellschaften vgl. auch Kapitel 2.1.

2.3 Akzeptanz und ihre Dimensionen

29

Übereinstimmung an und reduziert sie auf die Vermutung einer kommunikativen Übereinstimmung bezüglich eines Sachverhalts (vgl. Luhmann 1969:33f.). Makrosoziologisch fungiert Konsens auch als eine Art „kleinster gemeinsamer Nenner“ einer Gesellschaft hinsichtlich selbstverständlicher Normen und Werte (vgl. hierzu z.B. Lucke 1995:149ff.) sowie als Element gesellschaftlicher Stabilität und Zusammenhaltes (vgl. hierzu z.B. Bonacker 1997). Großprojekte als praktische Umsetzung gesellschaftlichen Wandels entwickeln sich dabei unter dem Schirm gesellschaftlichen Konsens, sind aber in der praktischen Umsetzung auf ein empirisch wahrnehmbares Maß an Übereinstimmung, also auf Akzeptanz angewiesen. 2.3.2 Ausgewählte Ansätze zum Verhältnis von Einstellung und Verhalten Die Vielfalt der Definitionsansätze und das komplexe Verhältnis von Einstellung und Verhalten legen eine Betrachtungsweise nahe, die das Kontinuum zwischen positiver und negativer Einstellung ebenso wie das Kontinuum von positiv bis hin zu negativ gerichtetem Verhalten aufgreift (vgl. Beckmann 2003:61f.). Obige Ausführungen zum Akzeptanzbegriff lassen vermuten, dass Akzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz nicht nur in Form von Einstellungen spürbar werden, sondern sich auch in Form sichtbaren Verhaltens äußern können, dies aber nicht müssen. Der Blick auf Großprojekte als Akzeptanzobjekte legt die Beachtung der Verhaltenskomponente unbedingt nahe, da allein schon Beobachtungen im Alltag vielfältiges Verhalten (z.B. Proteste, Kampagnen, Veranstaltungen) für oder gegen Projekte zeigen. Ansätze, die ausschließlich die Einstellungskomponente als relevant ansehen, werden deshalb hier nicht weiterverfolgt. Einen frühen Ansatz zum Verhältnis zwischen Einstellung und Verhalten legt London (1976) in seiner Arbeit über die Veränderungen durch Computersysteme vor (vgl. Abbildung 1). Er definiert sowohl psychische als auch soziale Effekte, also einstellungs- wie auch verhaltensbezogene Elemente. Diese teilt er in fünf Einstellungen und Verhaltensstufen ein. Den Stufen werden insgesamt 14 einzelne Verhaltensweisen zugeordnet, die mit einem entsprechend ansteigenden (bzw. abfallenden) Maß an positiver (bzw. negativer) Einstellung einhergehen. Die aufeinander aufbauenden Stufen der Akzeptanz (aktiver Widerstand, passiver Widerstand, Gleichgültigkeit, passive Annahme und aktive Annahme) stellen sowohl Formen von Akzeptanz wie auch von Nicht-Akzeptanz dar. Inhaltlich lässt das Modell erkennen, dass Einstellung und Verhalten nicht grundsätzlich in die gleiche Richtung gehen bzw. nicht in gleichem Ausmaß miteinander einhergehen müssen (z.B. „cooperation under pressure“). Die optische Anordnung spiegelt dies jedoch nicht wider. Bezüglich des Verhaltens umfasst das Modell positives Verhalten gegenüber dem Akzeptanzobjekt, es lässt jedoch konkrete proaktiv fördernde Maßnahmen vermissen.

30 Abbildung 1:

2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

Akzeptanzmodell „The system acceptance/rejection spectrum” von London (1976)

Ähnlich ist das Modell nach Hofinger (2001) aufgebaut, bei dem sieben Stufen zwischen Akzeptanz und Nicht-Akzeptanz unterschieden werden: Gegnerschaft, Ablehnung, Duldung, Gleichgültigkeit, Zustimmung, Engagement, Zwiespalt. Hofinger beschreibt für jede Stufe die Ausprägung der kognitiven und emotionalen Komponenten sowie der Handlungsbereitschaft. Explizites (sichtbares) Verhalten findet hierbei jedoch keine Berücksichtigung. Sauer et al. (2005) modifizieren das Modell von Hofinger (2001). Sie ergänzen eine weitere Stufe (konditionale Akzeptanz), nehmen eine leichte Umstellung der Stufen vor, fassen die emotionale und die kognitive Komponente zusammen und ergänzen sichtbares Verhalten. Die Stufen zwischen Akzeptanz und Nicht-Akzeptanz beschreiben sie dabei wie folgt (Sauer et al. 2005:I-2f.):

2.3 Akzeptanz und ihre Dimensionen

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

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Aktive Gegnerschaft gegen die Sache bzw. das Akzeptanzobjekt. Sie entspricht einer sehr starken Inakzeptanz und äußert sich in Handlungen; Ablehnung, entspricht einer starken Inakzeptanz die verbal oder nonverbal geäußert wird; Zwiespalt kann innerlich (innerhalb einer Person) oder intern (innerhalb einer Organisation) auftreten; Er kann unterschiedliche Tendenzen haben und kann daher weder der Akzeptanz noch der Inakzeptanz zugeordnet werden; Gleichgültigkeit: keine subjektive Betroffenheit; weder Akzeptanz noch Inakzeptanz; Duldung: sehr geringe Akzeptanz, entsteht aufgrund von Machteingriffen; Konditionale Akzeptanz: geringe Akzeptanz die auf rationalen Überlegungen basiert und an Bedingungen wie z.B. Ausgleichszahlungen gekoppelt ist; Zustimmung, Wohlwollen entspricht hoher Akzeptanz, bei der das Akzeptanzobjekt vom Akzeptanzsubjekt aus innerer Überzeugung positiv bewertet wird; Engagement für die Sache: sehr hohe Akzeptanz die sich in Handlungen oder Verhalten aufgrund innerer Überzeugung äußert.

Abbildung 2:

„Inakzeptanz-Akzeptanz-Skala“ von Sauer et al. (2005) in Anlehnung an Hofinger (2001)

Die Modelle von Sauer et al. (2005) bzw. von Hofinger (2001) deuten an, dass Verhalten und Einstellung nicht unbedingt in gleichem Ausmaß sowie gleichgerichtet positiv oder negativ ausgeprägt sein müssen und teilweise ganz bestimmten Bedingungen unterliegen (z.B. Ausgleichszahlungen). Eine völlig freie Kombination, mit unterschiedlichen Ausmaßen von Einstellung und Verhalten28, lassen jedoch auch diese Modelle nicht zu, da jede Stufe feste Vorgaben zu Ausprägung und Ausmaß von Einstellung und Verhalten enthält. Das Akzeptanzmodell von Müller-Böling & Müller (1986) hingegen lässt diese Kombination von Einstellungs- und Verhaltenskomponente zu. MüllerBöling & Müller zeigen, dass durch freie Kombination von Einstellung und Verhalten vier Typen entstehen, bei denen Einstellung und Verhalten gleich oder 28

Unerheblich, ob diese Einstellungs-Verhaltens-Kombinationen empirisch vorzufinden sind.

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2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

gegensätzlich zueinander gerichtet sein können. Beispiel ist der gezwungene Benutzer, bei dem eine negative Einstellung, jedoch ein positiv gerichtetes Verhalten (in diesem Fall Anwendung der Kommunikationsform) vorliegt. Abbildung 3:

Modell der „Benutzertypen entsprechend Verhaltens- und Einstellungsakzeptanz“ von Müller-Böling & Müller (1986)

ja Einstellungsakzeptanz

nein

Verhaltensakzeptanz ja nein (1) überzeugter (2) verhinderter Benutzer Benutzer (3) gezwungener (4) überzeugter Benutzer Nicht-Benutzer

Mit der Möglichkeit, auch gegensätzlich ausgerichtete Verhaltens- und Einstellungsausprägungen zu erfassen, zeigt das Modell Anknüpfungspunkte zu Ansätzen der Diffusionsforschung. Während bei der Adoptionsakzeptanz die Übernahme bzw. Annahme eines Objektes ohne externen Druck und damit freiwillig erfolgt, erfolgt bei der Adaptionsakzeptanz die Übernahme bzw. Annahme eines Objektes unter Druck durch das herrschende Werte- und Zielsystem (vgl. Kollmann 1998:62ff.). Schweizer-Ries et al. (2010) greifen die Gedanken des Modells von MüllerBöling & Müller (1986) auf und passen es auf Akzeptanzobjekte technischer Art an, die Renn (2005b) als Technik als Nachbar beschreibt. Gemeint sind damit größere, technische Objekte, die sich auch in der eigenen Nachbarschaft befinden könnten, im Falle von Schweizer-Ries et al. (2010) bezieht sich dies auf Projekte erneuerbarer Energien. Abbildung 4:

„Dimensionen des Akzeptanzbegriffs“ von Schweizer-Ries et al. (2010)

BEWERTUNG

positiv

BEFÜRWORTUNG

UNTERSTÜTZUNG/ ENGAGEMENT Aktive Akzeptanz

INDIFFERENZ

passiv

HANDLUNG

DULDUNG negativ

ABLEHNUNG

WIDERSTAND

2.3 Akzeptanz und ihre Dimensionen

33

Schweizer-Ries et al. (2010) stellen Einstellung und Verhalten in Form von Bewertung und Handlung ebenfalls in Matrixform dar, gehen jedoch mit der Handlungsebene anders um als Müller-Böling & Müller (1986). Während MüllerBöling & Müller beispielsweise bei einer positiven Einstellung (Einstellungsakzeptanz „ja“) davon ausgehen, dass das Akzeptanzsubjekt, also in diesem Fall der Benutzer, auch auf jeden Fall aktiv, also mit Handlung, seiner Einstellung in dieser Weise nachkommen möchte (anderenfalls wird er im Modell als „verhinderter“ Benutzer gekennzeichnet), so erlaubt das Modell von Schweizer-Ries et al. (2010) wertfrei auch die Kombination beispielsweise einer äußerst positiven Einstellung mit einem passiven Verhalten. Müller-Böling & Müller (1986) definieren positives Verhalten als aktive Nutzung (negatives Verhalten als Nichtnutzung) und schließen damit aus, dass beispielsweise eine negative Einstellung auch mit einem negativen, aktiven Verhalten einhergehen kann. Schweizer-Ries et al. (2010) ermöglichen dies, indem Handlung offener definiert wird. Sie kann in unterschiedlichen Aktivitätsgraden in positiv gerichteter Weise vorliegen (z.B. in der Nutzung von erneuerbaren Energien, aber auch in Form des „sich für eine Sache stark Machens“), zugleich aber auch in unterschiedlichen Aktivitätsgraden in negativ gerichteter Weise vorliegen, beispielsweise in der Nicht-Nutzung von erneuerbaren Energien, aber auch in der Form aktiver Gegnerschaft („Stimmung dagegen machen“). Das Modell wird damit den Hinweisen auf die möglichen, aber nicht unbedingt immer notwendigen miteinander einhergehenden Zusammenhänge zwischen Einstellung und Verhalten gerecht. Der Aspekt des Zwangs bzw. der Verhinderung, den Müller-Böling & Müller in ihrem Modell durch ihre Vorgehensweise mit aufnehmen, findet bei Schweizer-Ries et al. (2010) keine Beachtung: Das Modell von Schweizer-Ries et al. fokussiert auf die Art der Bewertung sowie die Stärke der Handlung, die damit einhergeht. Ob diese Handlung gezwungener Maßen oder auf freiwilliger Basis erfolgt, wird dabei nicht erfasst. Liebecke et al. (2011) gehen auf ähnliche Weise wie Schweizer-Ries et al. (2010) vor. Auch sie sehen verschiedene Einstellungen, von positiven, über neutralen/ambivalenten bis hin zu negativen Einstellungen, ergänzt durch verschiedene Stärken von Aktivität. Liebecke et al. gehen dabei einen ersten Schritt in Richtung Konkretisierung der Handlungsdimension und weisen Aktivitätsstärken konkrete Handlungen zu, beginnend bei keiner Handlung, über verbale Aktionen, hin zu konkret aktiven Handlungen. Mit Blick auf den von ihnen gewählten Anwendungsschwerpunkt eines Großprojektes aus dem Naturschutz identifizieren Liebecke et al. (2011:5) drei Gruppen von Handlungsstärke, die fünf Akzeptanzniveaus abbilden: Die erste Gruppe besteht aus Personen und/oder Gruppen, die inaktiv sind, also keine Handlungen in Bezug auf das Projekt vornehmen. Die Einstellungen in dieser Gruppe können sowohl negativ als auch positiv sein. Diejenigen, die dieser Gruppe angehören und eine wertneutrale Meinung vertre-

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2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

ten, bezeichnet Rentsch (1988:13) als Gruppe von Unentschlossenen, die ggf. über ein Informationsdefizit verfügen und je nach sozialer Erwünschtheit urteilen. Auch mangelndes Interesse kann ein Grund sein (vgl. Liebecke et al. 2011:5). Die zweite Gruppe setzt sich aus Akteuren zusammen, die über eine klare positive (wohlwollende) oder negative (ablehnende) Einstellung verfügen und diese verbal kundtun. Die dritte Gruppe setzte sich aus aktiven Befürwortern und aktiven Kritikern zusammen, die ihre positive bzw. negative Einstellung auch durch tatkräftige Handlungen zeigen. Abbildung 5:

Modell „Akzeptanzniveaus“ von Liebecke et al. (2011)

Die aufgezeigten Modelle zeigen die Entwicklung von ersten Modellen, die einen starken Bezug zur Kommunikations- und Informationstechnologie aufweisen, hin zu Modellen, die explizit Bezug auf Großprojekte nehmen und das Verhältnis von Einstellung und Verhalten differenzierter ausarbeiten. Für diese Arbeit wurde ein eigenes Modell zur Messung und Abbildung der Akzeptanz von Großprojekten entwickelt, das eng an Liebecke et al. (2011) angelehnt wurde. Bei der Entwicklung standen zum einen inhaltliche Aspekte, zugleich aber auch methodische Aspekte der Modellbildung im Vordergrund. Vor allem hinsichtlich der konkreten Operationalisierung bleiben die bislang vorhandenen Modelle ungenau. Für die Entwicklung eines eigenen Modells bzw. eines umfassenden Akzeptanzverständnisses scheinen daher folgendes Aspekte relevant:

2.3 Akzeptanz und ihre Dimensionen









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Die Beachtung sowohl der Einstellungs- als auch der Verhaltensdimension ist mit Bezug auf den Untersuchungsschwerpunkt von zentraler Bedeutung. Dabei sollte eine freie Kombination aller denkbarer Ausprägungen von Einstellung und Verhalten möglich sein. Dies entspricht dem Gedanken einer ergebnisoffenen Herangehensweise und lässt die Entdeckung bislang nicht vermuteter Zustände von Akzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz zu. Es wird dabei beachtet, dass Handeln und Verhalten nicht alleine von Einstellungen, sondern auch von weiteren Faktoren geprägt werden können, z.B. situativen, sozialen und subjektiven Normen sowie von situativen Handlungsoptionen (vgl. z.B. Schoser 2001). Wie bei Liebecke et al. (2011) und Schweizer-Ries et al. (2010) orientiert sich das Akzeptanzverständnis dieser Arbeit nicht an der Frage von Zwang und Duldung (vgl. hierfür Müller-Böling & Müller 1986), sondern betrachtet die Einstellungen, die sich im Rahmen von Großprojekten entwickeln, und die Stärke von Aktivität, mit der diese einhergehen. Konkret geht es darum, wer ein Projekt wie bewertet und wie er seine Einstellung kundtut. Zur Anwendung des Akzeptanzverständnisses und des darauf aufbauenden Modells ist eine detaillierte und valide Operationalisierung sowohl der Einstellungs- als auch der Verhaltensdimension notwendig. Während zur Abbildung von Einstellungen im Bereich der Akzeptanzforschung vielfach gängige Elemente der Meinungs- und Einstellungsforschung herangezogen werden, zeigt sich, dass bei der Messung der Verhaltensstärke weniger einheitlich vorgegangen wird und auch keine Tendenzen hinsichtlich einer einheitlichen Vorgehensweise zu erkennen sind. Für die vorliegende Arbeit wird eine Zuordnung konkreter Handlungen zur Abbildung verschiedener Aktivitätsstärken als unbedingt notwendig erachtet. Ob zur validen Abbildung der Aktivitätsstärke bei Großprojekten dabei dem Ansatz inaktiv-verbal-aktiv von Liebecke et al. (2011) gefolgt werden kann, oder differenziertere/abgeänderte Formen abgebildet werden müssen, ist eine empirische Frage. Auch für eine valide Abbildung der Einstellungsdimension sowie das sich schlussendlich aus beiden Dimensionen konstituierende Akzeptanzlevel ist eine sensible Betrachtung des Anwendungsgebiets notwendig. Der methodischen Vorgehensweise und dem für diese Arbeit entwickelten Konzept zur Messung der Akzeptanz von Großprojekten widmet sich detailliert Kapitel 6.2.

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2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

2.3.3 Objekt, Subjekt und Kontext – Elemente der Akzeptanz Mit Blick auf einen konzeptionellen Rahmen des Akzeptanzbegriffs beschreibt Lucke (1995:88ff.) eine „sensitivierende Charakterisierung der Akzeptanz“, aus der nachfolgend einzelne Elemente aufgeführt und ergänzt werden. Einen Bezugsrahmen erhält Akzeptanz durch die Unterscheidung von Akzeptanzobjekt, -subjekt und -kontext. Lucke (1995:88ff.) formuliert dies verkürzt als „Akzeptanz wovon?“, ergänzt durch „Akzeptanz durch wen und unter welchen Voraussetzungen und Bedingungen?“, eingebettet in soziale Kontexte, die sich beeinflusst durch die Objekt- wie auch durch die Subjektbezogenheit konstituieren29. Diese Betrachtung macht zugleich deutlich, dass „Akzeptanz keine Eigenschaft, sondern das Ergebnis eines wechselseitigen Prozesses“ ist (Lucke 1995:91), keine räumliche und zeitliche Konsistenz aufweisen muss und jederzeit widerrufen werden kann (vgl. Kleidat 2011:136). Jeder Akzeptanzprozess ist demnach ein Prozess, bei dem ein Subjekt (im vorliegenden Kontext Konfliktakteure, beispielsweise Einzelpersonen, Organisationen, andere Gruppierungen oder die allgemeine Öffentlichkeit) die Wahrnehmung und Bewertung eines bestimmten Objektes (im Kontext dieser Arbeit ein Großprojekt selbst, seine Prozesse, Einflüsse, Auswirkungen und Lösungsansätze) innerhalb eines bestimmten Kontextes (im vorliegenden Thema Rahmenbedingungen, beispielsweise politische und soziale Gegebenheiten) vornimmt (vgl. hierzu z.B. auch Schweizer-Ries 2013:20). Das Akzeptanzobjekt Das Akzeptanzobjekt ist der Bezugspunkt der Akzeptanz. Bezeichnet werden damit Objekte, Zustände oder Sachverhalte, die Akzeptanz oder Nicht-Akzeptanz finden können. Neben Kunst-, Kultur-, und Lebensformen stehen vor allem technische bzw. technologische Neuerungen im Mittelpunkt wissenschaftlicher Forschungsinteressen (vgl. Lucke 1995:111f.; Schäfer & Keppler 2013:19), wozu auch Großprojekte gezählt werden können. Renn (2005b) unterteilt Akzeptanzobjekte dieser Art in Alltags- und Arbeitstechnik sowie externe Technik: Alltagstechnik bezieht sich auf Technik bzw. auf Konsumgüter, für die individuelle Kauf- und Nutzungsentscheidungen getroffen werden können. Das zentrale Allokationsverfahren dabei ist der Markt. Arbeitstechnik bezeichnet Technik, die in und über Unternehmen und Institutionen allokiert werden. Zentral ist hierbei die Nutzung durch die Akteure. Externe Technik bezieht sich auf die „Technik als Nachbar“ (Renn 2005b:31) und ähnelt damit der Definition von Großprojek29

Ähnliche Definitionen finden sich z.B. auch bei Schweizer-Ries et al. (2010:12); Hüsing et al. (2002:24); Sauer et al. (2005:I-2).

2.3 Akzeptanz und ihre Dimensionen

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ten in dieser Arbeit. Anstatt eines nach ökonomischen Spielregeln funktionierenden Marktes stehen hier politische Verfahren im Raum, die sich in konventionelle Verfahren (z.B. Abstimmungen, Beschlüsse, Verwaltungsverfahren) und unkonventionelle Verfahren (z.B. soziale Bewegungen, Protestformen) unterteilen lassen. Empirische Anknüpfungspunkte an zentrale Themenfelder einer globalisierten, westeuropäischen Gesellschaft findet externe Technik bei den globalen Megatrends (siehe hierzu auch Kapitel 2.1). Diese stellen den Ausgangspunkt für konkrete Akzeptanzobjekte in Form von Großprojekten dar und ermöglichen dadurch eine weitere Unterteilung der externen Technik in die Bereiche „Mobilität und Verkehr“, „Energie und Klima“, „Leben und Arbeiten“ sowie „Natur und Umwelt“ (mit Land- und Forstwirtschaft). Das Akzeptanzobjekt als Ausgangspunkt für wissenschaftliches Arbeiten wählt die sozialwissenschaftliche Begleitforschung (z.B. Evaluationsforschung, Wirkungsforschung, Technikfolgenabschätzung, vgl. Kollmann 1998:55), die jedoch in Teilen negativ als gesellschaftliche und ökonomische „Legitimationsund Alibiforschung“ (ebd. nach Fabris & Luger 1981:64) konnotiert ist. Als Akzeptanzobjekt muss jedoch nicht unbedingt ein fest vorgegebenes Objekt, Zustand oder Sachverhalt gelten, dessen Akzeptanz es mit allen Mitteln zu erreichen gilt (so der Vorwurf an die Forschung), wodurch eine Anpassung des Akzeptanzsubjektes bzw. des Akzeptanzkontextes impliziert wäre, vielmehr stellt sich die Frage ob und wie ein Objekt/Zustand/Sachverhalt konzipiert ist und zu welchem Akzeptanzlevel dies führt. Dies lässt im Umkehrschluss zu, auch das Akzeptanzobjekt an die Akzeptanzsubjekte und den -kontext anzupassen (vgl. hierzu auch Schäfer & Keppler 2013:42f.). Mit Blick auf das Anwendungsfeld der Großprojekte zielt der Akzeptanzbegriff also nicht auf die unbedingte Akzeptanz eines feststehenden bzw. fertiggeplanten Projektes ab, sondern auch auf die Gestaltung von verschiedenen Projektalternativen und Prozessen in einer Weise, die Akzeptanz auf Mikro-, Meso- und Makroebenen finden können. Das Akzeptanzsubjekt Das Akzeptanzsubjekt entspricht Luckes (1995) Ausdruck „Akzeptanz durch wen“ und bezeichnet individuelle Akteure (Mikroebene), kollektive Akteure (Mesoebene) sowie Gesamtgesellschaften (Makroebene), von denen Akzeptanz bzw. NichtAkzeptanz ausgehen kann (vgl. Kollmann 1998; Reichwald 1982:36ff.). Die die Akzeptanzforschung lange Zeit dominierende Innovations- und Diffusionsforschung fokussiert dabei auf den Anwender bzw. Nutzer von Gütern als Akteur, oder in einem zweiten, differenzierteren Schritt Forscher und Entwickler, betriebliche Entscheider, Arbeitnehmer und die Bevölkerung (vgl. Hüsing et al. 2002). Dieser Ansatz scheint jedoch für die Anwendung auf Großprojekte unvollständig. Sinn-

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2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

voller scheint das Konzept der Einteilung in Stakeholder (vgl. Freeman 1984) oder in Publics (vgl. Grunig & Hunt 1984). Unter Stakeholdern können (im unternehmerischen Kontext) Gruppen oder Einzelpersonen verstanden werden, die eine Organisation, ihr Handeln und ihren Handlungsspielraum beeinflussen können oder davon beeinflusst werden (vgl. Freeman 1984:52). Bei Großprojekten bezieht sich dies nicht auf eine Organisation, sondern auf das jeweilige Projekt, seine Prozesse und den oder die Projektträger. In Bezug auf erneuerbare Energien zeigen Walker & Cass (2007) auf, in Form welcher Akteure die Öffentlichkeit für ein Projekt zum Tragen kommt: Protestierende und Demonstrierende, Betroffene der Planung, des Projekts oder von Entscheidungsprozessen, Konsumenten und Nutzer, Arbeitnehmer, ehrenamtlich Engagierte in Initiativen und Investoren (vgl. auch Schäfer & Keppler 2013:19f.). Diese induktive Betrachtung lässt jedoch noch keine umfassende Einteilung der Öffentlichkeit in Akteure, also Stakeholder eines Projekts, zu. Die Systematik von Liebl (2000) definiert allgemeinere Kriterien für die Bestimmung von Stakeholdern. Demnach werden Personen/Gruppen zu Stakeholdern, also Akteuren, wenn sie    

mit einem Unternehmen (hier: einem Großprojekt) in formalen/vertraglichen Beziehungen stehen (z.B. Investoren, Planer, Baufirmen, Berater, Gutachter etc.), Stellung zu einem Projekt beziehen (z.B. Bürgern und Bürgerinitiativen, Verbände, Medien, Kirchen etc.), Interesse zu vermuten ist (Personen/Gruppen, die vermutlich betroffen sind, z.B. Nachbarn, interessiertes Publikum) oder als Meinungsführer (Personen/Gruppen, die nicht direkt betroffen sind, jedoch Schlüsselpositionen innehaben und/oder starken Einfluss auf die Meinung anderer haben, z.B. lokale Persönlichkeiten, Prominente) fungieren.

Das Konzept der Publics (vgl. Grunig & Hunt 1984) teilt die Öffentlichkeit nicht anhand von Beziehungsformen in Akteursgruppen ein, sondern anhand des Ausmaßes an Problembewusstsein sowie der Stärke der Handlungsbereitschaft, die die Öffentlichkeit bzw. Teile davon zu einem Issue30 einnehmen, worunter auch Großprojekte fallen. Grunig & Hunt (1984) unterscheiden dabei Publics, die z.B. Mast (2010) folgendermaßen beschreibt: Nicht-Teilöffentlichkeiten sind nicht von einem Issue betroffen und wissen auch nichts davon, latente Teilöffentlichkeiten sind betroffen, wissen aber nicht von ihrer Betroffenheit, bewusste Teilöffentlichkeiten sind betroffen, wissen dies, handeln aber nicht, aktive Teilöffentlichkeiten sind betroffen, wissen dies und handeln entsprechend. Die Hervor30

Hierunter werden öffentliche Streitfragen verstanden, vgl. hierzu ausführlich Kapitel 6.3.

2.3 Akzeptanz und ihre Dimensionen

39

hebung des Elements der Handlungsbereitschaft zieht dabei die Parallele zum Grundgedanken der zweidimensionalen Struktur von Einstellung und Verhalten/ Handeln des Akzeptanzkonstrukts. Eine weitere Möglichkeit der Unterteilung schlägt Glasl (2013) vor. Er unterteilt aus konflikttheoretischer Perspektive maßgeblich nach individuellen und kollektiven Akteuren sowie nach formlosen und organisierten Akteuren. Unabhängig von einzelnen Konzepten der Strukturierung von Öffentlichkeit wird deutlich, dass Akteure von Großprojekten sowohl der Mikro-, als auch der Mesound/oder der Makroebene entstammen können, unterschiedliche Formen von individuellen Situationsbewertung und Handlungsmotivation einbringen und überindividuell unterschiedlich strukturiert sind. Die Frage, welche Gruppen und Personen einer Öffentlichkeit im Detail für ein spezifisches Großprojekt relevant werden, wie sie strukturiert und charakterisiert werden können, muss jedoch im jeweiligen Kontext eines Projektes empirisch bestimmt werden31. Der Akzeptanzkontext Der Akzeptanzkontext umfasst alle Gegebenheiten und Faktoren, die „weder Akzeptanzsubjekt, noch -objekt sind, aber auf den Prozess der Akzeptanzgenese einwirken, also für diesen relevant sind“ (Schäfer & Keppler 2013:22). Dadurch findet zugleich auch der Kontext der Akzeptanzsubjekte und Akzeptanzobjekte Eingang in den Prozess (vgl. Lucke 1995:80). Lucke (1995:193) zeigt die aus ihrer Sicht maßgeblichen Strukturdimensionen auf und zählt z.B. beim Akzeptanzkontext den gesellschaftlichen Entwicklungsstand oder die Zeit- und Werthintergründe eines Akzeptanzprozesses dazu. Bezugnehmend auf Großprojekte als Akzeptanzobjekte, weisen diese als Objekte externer Technik mit Akzeptanzsubjekten, die sowohl der Mikro-, wie auch der Meso-, oder Makroebene entstammen können, ein ähnlich komplexes Netz möglicher Kontextfaktoren auf. Hinzu kommen strukturell-kulturelle Eigenschaften und Prozesse sowie politische und rechtliche Eigenschaften und Prozesse einer Gesellschaft. Katalysiert werden diese Kontexteinheiten durch zeitliche Aspekte, sich entwickelnde Dynamiken sowie die Ebenen, auf denen die Prozesse ablaufen (vgl. Schmalz 2013 sowie ausführlich hierzu Kapitel 3).

31

Im empirischen Teil dieser Arbeit wird darauf näher eingegangen.

40

2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

2.3.4 Konflikt und Akzeptanz 2.3.4.1 Konflikt und Akzeptanz: Gegensätze? Der Konfliktbegriff Der Begriff des sozialen Konflikts stellt einen der zentralen Ausgangspunkte der vorliegenden Arbeit dar, der zum einen über eine ganz eigene, historisch gewachsene Forschungslinie verfügt und zu den Grundbegriffen der Sozialwissenschaft gehört (vgl. Bonacker 2008:9). Zum anderen steht er in enger Verbindung zum Akzeptanzbegriff. Als strategisches Spiel zwischen rationalen Akteuren beschrieb Machiavelli (1925) schon früh den sozialen Konflikt, der in der fortentwickelten Sozialwissenschaft ausdifferenziert wurde. Dadurch umfasst der Konfliktbegriff ebenso wie der Akzeptanzbegriff ein breites und uneinheitliches Spektrum an Definitionen (vgl. Bonacker & Imbusch 2010:67). Die Definitionsweisen unterscheiden sich darin, wie eng der Konfliktbegriff gefasst wird (vgl. Imbusch 2010:146ff.). Anhut (2008) z.B. schlägt eine Unterteilung zwischen intrapersonalen-, interpersonalen-, Intergruppen- und Interstaaten-Konflikten vor, wodurch eine enge und spezifische Konfliktdefinition impliziert wird – ebenso wie bei der Definition von Konflikt als „strategisches Verhalten unter Gewaltandrohung“ (Giesen 1993:92). Bonacker (2008) unterscheidet diesbezüglich neben klassischen, ideengeschichtlichen Ansätzen (z.B. Hobbes, Marx, Simmel, Weber) nach immer kleiner werdenden Konfliktarenen zwischen Theorien internationaler Beziehungen, soziologischen Gesellschaftstheorien (z.B. Theorien kollektiver Akteure) und akteursbezogenen Theorien (z.B. sozialpsychologischer Art). Bark (2012) betont hingegen den Mehrwert weiter gefasster Ansätze und Konfliktdefinitionen, um die Gemeinsamkeiten unterschiedlicher Konflikte herausarbeiten zu können. Dies erfüllt beispielsweise das Verständnis von Konflikt als „Inkonsistenzen zwischen sozialen Strukturen oder Institutionen ebenso wie intrapsychische Spannungen und Krisentendenzen oder semantische Missverständnisse und Widersprüche zwischen symbolischen Äußerungen“ (Giesen 1993:92). Trotz aller Differenzierungen bestehen gewisse Übereinstimmungen hinsichtlich der Definition des Konfliktbegriffs: Es handelt sich beim sozialen Konflikt 

um soziale Tatbestände (vgl. Bonacker & Imbusch 2010:69) bzw. soziale Beziehungen und Prozesse (vgl. Giesen 1993:92), z.B. Widersprüche, Diskussionen, Streitgespräche, Wortgefechte bis hin zu körperlichen, bewaffneten und kriegerischen Auseinandersetzungen (vgl. Bark 2012:20),

2.3 Akzeptanz und ihre Dimensionen









41

also von Gegensätzen geprägte Interaktionen unterschiedlicher Intensität (vgl. Hillmann 2007:443; Glasl 2013:17). Ein rein auf psychischer Ebene ablaufender Prozess reicht demnach nicht aus (anders als beim intrapersonalen Konflikt). Messmer (2003) sieht im Konflikt sogar ein „Elementarereignis der Interaktion“. Impliziert wird damit Handeln als soziales Handeln, das Max Weber präzise beschreibt: „Nicht jede Art von Handeln – auch von äußerlichem Handeln – ist soziales Handeln im hier festgehaltenen Wortsinn. Äußeres Handeln dann nicht, wenn es sich lediglich an den Erwartungen des Verhaltens sachlicher Objekte orientiert. Das innere Sichverhalten ist soziales Handeln nur dann, wenn es sich am Verhalten anderer orientiert. […]nicht jede Art von Berührung von Menschen ist sozialen Charakters, sondern nur ein sinnhaft am Verhalten des anderen orientiertes eigenes Verhalten“ (Winckelmann 1985:562)32. Soziale Situationen verlaufen zwischen wenigstens zwei (vgl. Dahrendorf 1965; Bonacker & Imbusch 2010:69) bzw. drei (vgl. Bühl 1976) Elementen bzw. sozialen Gruppierungen (vgl. Anhut 2008:388), die in einen situationsrelevanten Kontext bzw. in eine Struktur eingebettet sind (vgl. Dahrendorf 1972:24). Entscheidend sind dabei die vorherrschenden Interessensgegensätze (Anhut 2008:388) bzw. unvereinbaren Zielvorstellungen (vgl. Galtung 1972), Erwartungen (vgl. Bonacker 2009:184) oder Unterschiede in der sozialen Lage (vgl. Bonacker & Imbusch 2010:69). Die Unvereinbarkeit wirkt sich in Form von Beeinträchtigungen (vgl. Glasl 2013:21), gegenseitiger Abhängigkeiten und Einflussnahmen (vgl. Schneider 2010:21) sowie auch gegen den Willen anderer Konfliktakteure (vgl. Giesen 1993:93) aus.

Diese allgemeine Bestimmung des Konfliktbegriffs lässt sich durch die genauere Charakterisierung individuellen Kontexten anpassen. Unterscheidungen werden dabei vor allem hinsichtlich folgender sieben Dimensionen gemacht, die hier nur zusammengefasst dargestellt werden (vgl. Schmalz 2013:15ff.)33:

32 33

Unter Handeln wird in diesem Zusammenhang eine spezielle Form von Verhalten verstanden, welches sich durch Sinnhaftigkeit und Intention auszeichnet, im Vergleich zu reinem Verhalten, welches jegliche Form menschlichen Tuns umfasst. Die einzelnen Unterpunkte der jeweiligen Dimensionen entstammen zahlreichen Autoren und Forschungsrichtungen. Für eine detaillierte Übersicht vgl. daher Schmalz (2013:15ff.).

42       

2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

Auf welcher Ebene wird der Konflikt ausgetragen? Zwischen oder in Systemen? Was ist der Streitpunkt des Konfliktes? Wo liegen die Ursachen des Konflikts, geht es um objektive oder subjektive Sachverhalte? Wie nimmt der Konflikt seinen Anfang? Ist er verhaltens- oder strukturinduziert, in welcher Form wird er ausgetragen? Wie sind die Konfliktakteure zu charakterisieren? Welches Macht- und Motivverhältnis besteht zwischen ihnen? Welchen Stand hat der Konflikt und welche Mittel werden eingesetzt? In welchem gesellschaftlichen Rahmen spielt sich der Konflikt ab, welche gesellschaftlichen Normen und Werte finden Beachtung? Welche Ziele werden im Konflikt verfolgt? Worauf soll der Konflikt hinauslaufen? Welche Folgen hat der Konflikt? Hat der Konflikt funktionale oder dysfunktionale Folgen? Wer profitiert oder leidet in welcher Form unter diesen Folgen?

Konflikt und Akzeptanz – Gemeinsamkeiten und Unterschiede Die vorigen Ausführungen zeigen das gemeinsame Fundament der Akzeptanzund Konfliktforschung auf. Im weitesten Sinne mit Bezug zur Entwicklung von Großprojekten werden Akzeptanz und Konflikt im Zusammenhang mit Fragen gesamtgesellschaftlicher Verortung beispielsweise Theorien und Ansätze zur aktuellen Lage moderner Gesellschaften und deren Entwicklung (vgl. z.B. Latour 1991; Rammert 1993) oder Ansätzen der Technikfolgenabschätzung und Technikgeneseforschung (vgl. z.B. Grunwald 2010) behandelt. Auf Ebene gesellschaftlicher bzw. kollektiver Akteure und Prozesse sind Ansätze einzuordnen, die sich beispielsweise der Ergründung sozialer Bewegungen, deren Akteuren und Aktivitäten (vgl. z.B. Ohme-Reinicke 2000; Becké et al. 2011) oder Gruppenprozessen (vgl. z.B. Mendelberg 2002) widmen und vielfach im Spannungsverhältnis zwischen Akzeptanz und Konflikt verlaufen. Konflikttheoretische Ansätze wenden sich dabei den oben aufgeführten sieben Fragestellungen mit Blick auf unvereinbare Situationen zu, wohingegen akzeptanzbezogene Ansätze Objekte, Situationen und Prozesse vor allem in Hinsicht auf Formen positiver Einstellung und Verhalten betrachten. Bei bestimmten Phänomenen ist die Wahl einer der beiden Forschungstraditionen durchaus nachvollziehbar, z.B. die Heranziehung von konflikttheoretischen Ansätzen zur Betrachtung von Kriegen oder akzeptanzbezogenen Ansätzen bei der Betrachtung von Innovations- und Diffusionsvorgängen. Eine Integration dieser beiden Herangehensweisen scheint jedoch bei Forschungsobjekten, die weder dem einen noch dem anderen Bereich

2.3 Akzeptanz und ihre Dimensionen

43

klar zuzuordnen sind, unbedingt notwendig. Dies trifft gerade auf die Erforschung von Großprojekten zu, lassen sich diese doch weder ausschließlich mit der einen noch der anderen Herangehensweise umfassend ergründen. Die Gründe hierfür liegen in den Zusammenhängen zwischen sozialem Konflikt und Akzeptanz34: Sozialer Konflikt beschreibt ein Phänomen von Unvereinbarkeiten und greift die Einstellungskomponente der Akzeptanz in Form einer negativen Einstellung und der Nicht-Akzeptanz der Interessen/Zielvorstellungen etc. anderer Individuen oder Gruppierungen auf. Sowohl Konflikt als auch Akzeptanz können in der Einstellungs- und Verhaltenskomponente in unterschiedlichen Intensitätsformen vorliegen. Im Unterschied zum Konflikt, der nur durch Interaktion wirksam wird, können Akzeptanz und Nicht-Akzeptanz sowohl mit als auch ohne Interaktion (ohne Handlung und Verhalten) vorliegen. Damit ist Akzeptanz (in positiver wie in negativer Ausprägung) im Gegensatz zum Konflikt auch als rein intrapersonales Phänomen möglich, zugleich sind nicht zwingend Beeinträchtigungen oder Einflussnahmen notwendig. Aufgrund der Möglichkeit einer rein psychisch vorliegenden Akzeptanz ist es möglich, nicht nur Interessen und Ziele Anderer abzulehnen, sondern auch Tatbestände und Phänomene, zu denen es keinen Vertreter einer Gegenposition gibt. Konfliktobjekte sind demnach eine besondere Form von Akzeptanzobjekten, denn sie stehen in enger Verbindung mit Akzeptanz- bzw. Konfliktsubjekten, wodurch die soziale Komponente zum Tragen kommt. Akzeptanz kann als psychisches oder soziales Konstrukt vorliegen, für Konflikt bedarf es zwingend mindestens zweier Elemente (Individuen, Gruppierungen etc.), wodurch sich erschließt, weshalb ein Tatbestand oder Phänomen ohne soziale Verknüpfung (also ohne Verbindung zu Konflikt- oder Akzeptanzsubjekten) zwar ein Akzeptanzobjekt, jedoch kein Konfliktobjekt sein kann. Die Akteure eines Konflikts, die Konfliktsubjekte, können dabei in gleicher Weise wie Akzeptanzsubjekte charakterisiert werden. Sie können als individuelle oder kollektive Akteure auftreten, in unterschiedlichen Beziehungen zueinanderstehen, formlos oder organisiert sein. Entscheidend ist jedoch, dass Konfliktsubjekte aktiv involviert sein müssen. Das heißt, passive Subjektformen wie betroffene, aber nicht handelnde Stakeholder oder latente Teilöffentlichkeiten sind aufgrund ihres Nicht-Handelns und den nicht ausgetragenen Unvereinbarkeiten (noch) nicht Teil eines Konflikts und damit keine Konfliktsubjekte. Die Kontextfaktoren spielen bei Akzeptanz- wie auch Konfliktprozessen die gleiche Rolle. Sämtliche Strukturen, Prozesse, Dynamiken und Faktoren, in welche die Subjekte und Objekte von Konflikt oder Akzeptanz eingebunden sind oder durch die sie beeinflusst werden, nehmen Einfluss auf den Verlauf von Konflikten bzw. Akzeptanz. 34

Die nachfolgend erörterten Gemeinsamkeiten und Unterschiede beziehen sich auf die vorab beschriebenen Charakteristika von Akzeptanz und Konflikt.

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2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

2.3.4.2 Akzeptanz- und Konfliktverständnis dieser Arbeit Begriff der Akzeptanz im vorliegenden Kontext Die in dieser Arbeit gewählte Definition von Akzeptanz kann mit Blick auf die vorigen Ausführungen wie folgt beschrieben werden35: 



35

Unter Akzeptanz wird die positive Bewertung (Zustimmung) eines Akzeptanzobjektes (hier: ein Großprojekt inkl. der dazugehörenden Prozesse und Strukturen) durch Akzeptanzsubjekte (hier: Akteure eines Großprojektes) unter den Rahmenbedingungen des Akzeptanzkontextes (hier: Kontexte der Akteure und des Projektes) verstanden. Die Bewertung bezieht sich dabei auf die Einstellungsebene und kann mit entsprechender Handlungs- und Verhaltensabsicht bis hin zu konkretem Handeln und Verhalten einhergehen (Verhaltensebene). Hierzu zählen also zugleich Formen von stillschweigender wie auch ausdrücklicher Zustimmung. Formen negativer Bewertung werden explizit als Nicht-Akzeptanz (Ablehnung) bezeichnet. Formen negativer Bewertung können ebenfalls mit entsprechender Handlungs- und Verhaltensabsicht bis hin zu konkretem Handeln und Verhalten einhergehen. Hierzu zählen damit alle Zustände, bei denen ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung ausbleibt. Lucke (1995) definiert hierzu Nicht-Akzeptanz als „die Wahrscheinlichkeit, mit Meinungen, Maßnahmen etc. bei einer identifizierbaren Personengruppe auf ausdrückliche oder stillschweigende Ablehnung zu stoßen und unter angebbaren Bedingungen auf deren Widerspruch und Widerstand signalisierende Handlungen und dementsprechende Meinungsäußerungen rechnen zu müssen“. Akzeptanz und Nicht-Akzeptanz stellen dabei zwei Extrempositionen dar, zwischen denen jede mögliche Ausprägung vorkommen kann (vgl. z.B. Schenk 2000:14).

Die Definition dieser Arbeit orientiert sich vor allem an der Definition der Forschungsgruppe für Umweltpsychologie (vgl. Schweizer-Ries et al. 2010:12).

2.3 Akzeptanz und ihre Dimensionen

Abbildung 6:

45

Zweidimensionales Modell der Akzeptanz von Großprojekten

Begriff des sozialen Konflikts im vorliegenden Kontext Sozialer Konflikt zeigt sich mit Fokus auf Großprojekte als spezielle Form von Nicht-Akzeptanz. Es liegt eine negative Bewertung eines Projekts, seiner Prozesse oder Strukturen vor (Einstellungsebene), die ergänzt wird durch aktives Handeln oder Verhalten, verbal oder nonverbal (Verhaltensebene). Die in Konfliktdefinitionen beschriebenen Widersprüche und Diskussionen bis hin zu Auseinandersetzungen werden dabei z.B. in Form von Protest, verbaler Ablehnung und Einsprüchen deutlich. Die Definition von Akzeptanz und Nicht-Akzeptanz wird deshalb um das Begriffsverständnis des sozialen Konflikts ergänzt: 

Formen von Nicht-Akzeptanz, die mit sozialer Interaktion in Form von aktivem Verhalten oder Handeln einhergeht, werden als sozialer Konflikt verstanden.

Das integrierte Modell und Begriffsverständnis dieser Arbeit von Konflikt und Akzeptanz besteht damit aus verschiedenen Abschnitten, die fließend ineinander übergehen. Akzeptanz liegt bei positiver Bewertung und ggf. entsprechend gerichteter Verhaltensabsicht oder Verhalten vor. Ein sozialer Konflikt liegt als Sonderform von Nicht-Akzeptanz bei negativer Bewertung sowie entsprechendem Verhalten vor. Der Bereich dazwischen umfasst alle Zustände, die sich nur auf Einstellungsebene und nicht auf Verhaltensebene abspielen, also mit einer negativen

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2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

Bewertung, jedoch ohne Handlung einhergehen. Die vorliegende Arbeit betrachtet alle Formen von Akzeptanz und Nicht-Akzeptanz bei Großprojekten. Abbildung 7:

Zweidimensionales Modell der Akzeptanz von Großprojekten, ergänzt um den Bereich des sozialen Konflikts

2.4 Conclusion zur Akzeptanz- und Großprojektforschung Die Akzeptanzforschung, wie sie heute ausgeführt wird, hat ihre Ursprünge in den 1960er Jahren. Hier wurde das Konzept der Akzeptanz zu den Erklärungsansätzen für sozialen und technologischen Wandel gezählt (vgl. Kollmann 1998)36. Mitte der 1970er Jahre gewann die Akzeptanzforschung vor allem durch die Diskussion über neue Technologien an Bedeutung. Im Mittelpunkt standen dabei Technologien der Umwelt- und Energiepolitik (vgl. Mautz 2010). Akzeptanzfragen wurden hier insbesondere hinsichtlich der gesellschaftlichen Stimmung zur Atomenergie behandelt (vgl. Petermann & Scherz 2005:45). Neben diesen politik- und sozialwissenschaftlich orientierten Ansätzen entwickelte sich parallel ein zweiter Forschungszweig aus Betriebswirtschaft und Arbeitswissenschaften heraus, mit Bezug zu Kauf und Anwendung neuer Güter, vor allem Kommunikationssystemen und Medien sowie deren Verbreitung, Einsatz und Folgen (vgl. Degenhardt 1986; Küpper 2005:126; Kollmann 1998:37ff.; Lucke 1995)37. Seine Entwicklung ver36 37

Wissenschaftliche Fragestellungen mit großer Nähe zur Akzeptanz wurden bereits zu früheren Zeitpunkten untersucht, vgl. hierzu z.B. die Ausführungen von Lucke (1995:251ff.). Einen guten Überblick über verschiedene Studien gibt Kollmann (1998:73ff.) anhand der Unterteilung der Ansätze nach Akzeptanzobjekt, Einstellungs- und Verhaltenskomponente sowie Modellart.

2.4 Conclusion zur Akzeptanz- und Großprojektforschung

47

dankt der Forschungsbereich der Akzeptanz damit vor allem Impulsen aus Ökonomie (vgl. Lucke 1995:46) und Politik (vgl. Petermann & Scherz 2005), die beide wirtschaftliches Interesse an der Akzeptanz neuer Güter bzw. Interesse an der Akzeptanz neuer Technologien zum Umgang mit anstehenden Herausforderungen der Umwelt- und Energiepolitik hatten. Im Mittelpunkt vor allem der ökonomisch basierten Akzeptanzforschung stand und steht der Anwenderbezug von Akzeptanzobjekten, den Reichwald (1982) in drei Teilebenen unterteilt: die Individualebene (Bediener und Nutzerakzeptanz, direkter Nutzen und Auswirkungen auf den Anwender), die Organisationsebene (organisatorische Akzeptanz, Auswirkungen auf institutionelle Bedingungen und Effekte) sowie die Gesellschaftsebene (gesellschaftliche Akzeptanz, Auswirkungen auf gesellschaftliche Prozesse und Wechselwirkungen). Schäfer & Keppler (2013) merken jedoch an, dass die Fokussierung auf den Anwender unzureichend ist bzw. dass je nach Phase von Technikgenese und -diffusion die Akzeptanz anderer (gesellschaftlicher) Akteursgruppen ebenfalls relevant bzw. sogar wichtiger sein kann. Diese Kritik greift die Einteilung des Forschungsbereichs anhand einer anderen Struktur auf: Quer über ökonomische und sozialwissenschaftliche Wurzeln legen sich Ansätze, die nach Petermann & Scherz (2005) in fünf Bereiche eingeordnet werden können (vgl. hierzu Petermann & Scherz 2005: 46f.; Kollmann 1998:44ff.; Schäfer & Keppler 2013:7ff.; Lucke 1995:20ff.): Einstellungsorientierte Ansätze, Begleit-und Wirkungsforschung, (sozial)psychologische Ansätze, soziologische Ansätze sowie normative Ansätze. Lucke (1995:21) sieht in der spezifizierten Akzeptanzforschung eine „horizontale Dimension“ der Integration all dieser Ansätze und eine dadurch ermöglichte umfassende Betrachtung sämtlicher, in der Gesellschaft auftretenden Phänomene, Bereitschaften und Potentiale von gesellschaftlicher Akzeptanz über alle Lebensbereiche und Bevölkerungsgruppen hinweg. Einstellungs- und meinungsorientierte Ansätze, ein Teilbereich der Demoskopie, legen den Fokus auf die Bewertung von Akzeptanzobjekten und deren Hintergründe (vgl. z.B. Jaufmann et al. 1989; Kistler & Jaufmann 1990; Erp 1998; Faas & Blumenberg 2013), die (Sozial)Psychologie beobachtet die dahinter liegenden individuellen Determinanten, Muster und Prozesse sowie die überindividuellen Folgen, die sich daraus in der sozialen Interaktion ergeben (vgl. z.B. Schenk 2000; Davis 1985). Forschungsschwerpunkt normativer Ansätze ist die Akzeptanzwürdigkeit von Objekten, abgeleitet aus gesellschaftlichen Normen und Werten (vgl. z.B. Tschiedel 1989; Eichener & Mai 1993). In den letzten Jahren finden sich zudem interdisziplinäre Arbeiten zu Akzeptanzfragen aus Forschungsbereichen, die eng mit dem jeweiligen Untersuchungsgegenstand verknüpft sind, z.B. zur Akzeptanz von Natur- und Umweltschutzprojekten (vgl. z.B. Erdmann & Jessel 2012; Ruschkowski 2010; Krieger 1998; Liebecke et al. 2011), zu agrartechnischen und -strukturellen Entwicklungen (vgl. z.B. Dabbert 2012; Granoszewski & Spiller 2012b; Granoszewski et al. 2011), zu er-

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2 Konflikt & Akzeptanz – Gesellschaft im Wandel

neuerbaren Energien, vor allem Windenergieanlagen (vgl. z.B. Kleemann et al. 1998; Fischedick & Supersberger 2010; Bosch & Peyke 2011), zu Infrastrukturprojekten (vgl. z.B. Hidber & Lendi 1999) oder allgemein zur Raumplanung (vgl. z.B. Helmholz 2013; Rösener & Selle 2004). Im vorliegenden Kontext sind zweierlei Ansätze von besonderer Bedeutung: Soziologische Ansätze, die die Komponenten des gesellschaftlichen Kontextes und die Folgen für die Gesellschaft und ihre Gruppen mit einbringen (vgl. z.B. Bebnowski 2013; Ohme-Reinicke 2000; Becké et al. 2011), sowie die Begleit- und Wirkungsforschung, die wiederum zahlreiche Ansätze der Innovations- und Diffusionsforschung, inkl. Nutzungs- und Anwendungsforschung sowie der Technikfolgenabschätzung, Risikoforschung und des Konfliktmanagements einbringt (vgl. z.B. Renn 2013d; Fietkau & Weidner 1994; Sünderhauf 1997; Kühnl 2012; Rogers 2003). Ergänzt werden können kommunikationswissenschaftliche Ansätze, die die Rolle von Medien, öffentlicher Meinung und unterschiedlicher Formen von Kommunikation für die Akzeptanz von Technologien beleuchten (vgl. z.B. Renn 1994; Brettschneider 2013b, 2011; Antalovsky 1993; Stransfeld 1993; Kepplinger 1989), sowie politikwissenschaftliche Ansätze, vor allem mit Fokus auf (direktdemokratische) Beteiligungsformen sowie die Folgen von Akzeptanz und Konflikt für politische Prozesse, Akteure und Institutionen (vgl. z.B. Troja & Meurer 2005; Hornig & Baumann 2013; Ueberhorst 2010; Weidner 1996). Die Vielfalt forschender Disziplinen (und damit auch der Herangehensweisen), die Fokussierung auf unterschiedliche Akzeptanzsubjekte, -objekte und -kontexte und hier wiederum die spezialisierte Ergründung einzelner Aspekte lassen generelle Aussagen über die Akzeptanz nicht zu. Entsprechend dem Schwerpunkt dieser Arbeit hilft eine Fokussierung auf Technik als Nachbar (Renn 2005b:31) mit einer weiteren Einschränkung auf Großprojekte (für eine exakte Definition von Großprojekten vgl. Kapitel 2.2). Folgende Aspekte sind mit Blick auf die aktuelle Forschung zu Großprojekten jedoch zu erkennen: 



Ein großer Teil der Forschungsarbeiten beschäftigt sich mit Projekten, die mit einem geringen Maß an gesellschaftlicher Akzeptanz einhergehen. Dies soll jedoch nicht den vorschnellen Schluss auf eine prinzipielle Ablehnung von Großprojekten nahelegen, sondern vielmehr aufzeigen, dass eine Fokussierung der Forschungsarbeiten auf Projekte, die den Forschern durch Konflikte oder durch mangelnde Akzeptanz auffallen, vorliegt. Offen bleibt demnach jedoch die Frage, wie Projekte gestaltet sind, die öffentlich (weitestgehend) akzeptiert werden. Neben der Vielfalt der Akzeptanz- und Konfliktforschung im Allgemeinen zeigt auch die auf Großprojekte fokussierte Forschung eine große Projektvielfalt auf. Aufgrund der hierbei vor allem auf einzelne oder wenige Projekte im Vergleich bezogenen Studien bleibt jedoch offen, wie sich die

2.4 Conclusion zur Akzeptanz- und Großprojektforschung





49

Großprojektlandschaft in Deutschland insgesamt gestaltet, welche Technologie- bzw. Projektarten genau vorzufinden sind und wo die Projekte geografisch verortet werden. Die Akzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz von Artefakten wie Großprojekten beschränkt sich nicht alleine auf psychische Aspekte, sie wird deutlich in vielfältigen Formen von Handeln und Verhalten der Projektakteure. Mit Blick auf das ausdifferenzierte Begriffsverständnis von Akzeptanz wäre eine intensivere Betrachtung von Ausmaß und Gestalt der individuellen bzw. öffentlichen Akzeptanz und damit der Einstellungs- und Verhaltenskomponenten bei Großprojekten spannend. Stakeholder bzw. Projektakteure nehmen als Akzeptanzsubjekte eine zentrale Rolle für den Verlauf von Projekten ein, sei es als Projektträger und -befürworter, Kritiker oder neutrale Personen. Auch hier mangelt es jedoch an projektübergreifenden Erkenntnissen hinsichtlich der Frage, wie sich diejenigen charakterisieren lassen, die sich bei Großprojekten in Deutschland engagieren.

Die in Kapitel 1 eingeführte Leitfrage L1 Wie lässt sich die deutsche Großprojektlandschaft empirisch charakterisieren, vor allem mit Blick auf die Projektarten, Akteure und Formen von Akzeptanz und Konflikt? zur Akzeptanz von Großprojekten kann mit Blick auf obige Erkenntnisse konkretisiert werden. Eine Charakterisierung der Großprojektlandschaft muss sich demnach auf mehrere Dimensionen beziehen. Zum einen stellen sich Fragen auf Projektebene, welche die Gestaltung, Verortung und Wahrnehmung des Projektes insgesamt betreffen. Zum anderen sind Fragen der Akteursebene zu klären, die sich auf die wahrnehmenden und handelnden Individuen und Gruppen beziehen. Folgende Forschungsfragen konkretisieren daher die Leitfrage L1: F1.1: Wie gestalten sich Großprojekte in Deutschland auf Projektebene? Welchen Projektarten und Themenbereichen können sie zugeordnet werden und wo sind Großprojekte räumlich zu verorten? Welche Meilensteine charakterisieren den Verlauf der Projekte? F1.2: Mit welchem Maß und welchen Formen von Akzeptanz auf individueller sowie allgemeiner bzw. öffentlicher Ebene gehen Großprojekte insgesamt einher? F1.3: Wie gestalten sich Großprojekte in Deutschland auf Akteursebene? Wer sind die Träger der Vorhaben? Welche Akteure engagieren sich bei Großprojekten?

3 Die Genese von Konflikt und Akzeptanz

Die phänotypische Beschreibung von Akzeptanz und Nicht-Akzeptanz bzw. Konflikt eines Großprojektes entlang der in Kapitel 2 aufgezeigten Aspekte stellt einen elementaren Grundstein des sozialwissenschaftlichen Umgangs mit Großprojekten dar. Ergänzt werden muss dieser jedoch um genotypische, sich den Ursachen zuwendende Betrachtungen (vgl. Troja 2001:66) unter Beachtung des dem Zeit- bzw. Projektverlauf unterliegenden Wandels aller Elemente (vgl. Schreck 1998). Im Raum steht die Leitfrage nach den Faktoren, die die Genese von Akzeptanz und Konflikt bei Großprojekten beeinflussen. Die strukturbezogene Perspektive der Faktorenidentifizierung wird dabei durch die Ergründung der faktoriellen Wirkungsweise um eine prozessuale Komponente ergänzt (vgl. Schiersmann & Thiel 2011:420). Akzeptanzforschung und Konfliktforschung blicken auf eine getrennte Geschichte zurück und nehmen sich auch bislang vielfach getrennt beider Phänomene an (vgl. Sauer et al. 2005:I-7). Im Fokus der Analyse von Akzeptanz und NichtAkzeptanz steht dabei das Verhältnis zwischen Akzeptanzsubjekt und Akzeptanzobjekt und die direkt damit einhergehenden Erwartungen, Wahrnehmungen, Bewertungen und Reflektionen. Die Interaktion mit anderen Akteuren bzw. Subjekten ist wie bereits erwähnt möglich, jedoch nicht zwingend notwendig (vgl. z.B. Lucke 1995; Reichwald 1978; Kollmann 1998; Dethloff 2004; Fazel 2014). Im Fokus der Konfliktforschung hingegen liegt neben dem Konfliktobjekt und den Akteuren selbst vor allem die bei Konflikten essentielle, soziale Interaktion zwischen mehreren Akteuren mit Bezug auf das Konfliktobjekt (vgl. z.B. Sauer et al. 2005:I-7; Glasl 2013; Holznagel 1990; Kanngießer 2004). Aufgrund des in dieser Arbeit zum Zuge kommenden Verständnisses der Verbindung von Akzeptanz und Konflikt durch die Definition von letzterem als soziale Form der Nicht-Akzeptanz (vgl. Kapitel 2.3.4) wird in den nachfolgenden Ausführungen sowohl konfliktzentrierten als auch akzeptanzfokussierten Ansätzen Aufmerksamkeit geschenkt. Die nachfolgenden Überlegungen zum Thema gehen dabei über den notwendigen theoretischen Unterbau, der für das vorliegende empirische Forschungsinteresse vonnöten ist, hinaus. Nichtsdestotrotz wird das Thema hier ausführlich aufgegriffen, um die Genese von Akzeptanz und Konflikt umfassend beleuchten zu können. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 I. M. Schmalz, Akzeptanz von Großprojekten, Politik gestalten – Kommunikation, Deliberation und Partizipation bei politisch relevanten Projekten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23639-7_3

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3 Die Genese von Konflikt und Akzeptanz

3.1 Einflussgrößen auf Konflikt und Akzeptanz Die Ausführungen in Kapitel 2 zu zentralen Erkenntnissen der Akzeptanzforschung im Bereich von Großprojekten deuten die Vielfältigkeit und Komplexität potentieller Einflussgrößen bereits an. Trotz Aufmerksamkeit durch unterschiedliche Forschungsdisziplinen und der dadurch geförderten Beachtung auch weniger zentraler Aspekte, mangelt es bislang an umfassenden Betrachtungen, die ein vielfältiges Set an Einflussgrößen untersuchen und dies zugleich durch eine projektübergreifende Vorgehensweise anhand einer größeren Zahl von Untersuchungsobjekten vornehmen. Studien zu Großprojekten weisen insgesamt zahlreiche, potentielle Einflüsse auf Konflikte bei Großprojekten auf, wie vorige Betrachtungen mit Fokus auf Projekte des Umwelt- und Technikbereichs gezeigt haben (vgl. Schmalz 2013). In Form einer integrativen Metastudie wurden in sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen, umwelt- und ingenieurswissenschaftlichen sowie rechtswissenschaftlichen Forschungsarbeiten identifizierte Treiber von Konflikten aufgegriffen, umrissen und strukturiert. Ergebnis der Studie ist ein über 240 Einzelfaktoren zählendes Modell, strukturiert durch fünf inhaltliche Kategorien und eine prozessbezogene Kategorie. Das Modell unterscheidet folgende Kategorien: Projekteigenschaften (z.B. Projektart, Projektablauf), Akteursportfolio (z.B. Art und Vernetzung der Akteure), Prozesse (z.B. Prozessabläufe, Umgangsstil), Medien und Kommunikation (z.B. massenmediale Berichterstattung, Art und Qualität der Kommunikation allgemein), Staat und Gesellschaft (z.B. politische Institutionen, rechtliche Vorgaben) sowie ergänzend die Kategorie begleitender Aspekte (Zeit, Dynamik und die Ebenen Mikro, Meso und Makro). Abbildung 8:

Vereinfachtes Modell „Einflussfaktoren auf Großprojektkonflikte“ (vgl. Schmalz 2013) Projekteigenschaften

Dynamik

Ebene

Staat und Gesellschaft

Akteure

Großprojektkonflikt

Konflikt & Prozess Medien, Kommunikation & Information

Zeit

3.1 Einflussgrößen auf Konflikt und Akzeptanz

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Erkenntnisse dieser Studie sollen in den nachfolgenden Ausführungen zusammenfassend dargestellt und um spezifische Faktoren der Akzeptanzforschung ergänzt werden – sowie um Einflüsse, die Projekten aus dem Bereich Leben, Arbeiten und Freizeitgestaltung zuzuordnen sind und damit eine zivilgesellschaftliche, lebensweltsorientierte Perspektive hinzufügen. Auf eine ausführliche Kontexteinbettung der Faktoren wird mit Verweis auf die originären Quellen verzichtet. Das Ziel besteht vielmehr in der übersichtlichen Darlegung der Faktorenvielfalt und -zusammensetzung. Da bei den in späteren Kapiteln erläuterten Akzeptanz- und Konfliktansätzen, welche die Wirkungsweise der Faktoren thematisieren, Faktoren oft simpel nach Zugehörigkeit zu Objekt, Subjekt und Kontext (vgl. Schäfer & Keppler 2013) aufgeführt werden, wird diese Systematik auch für die nachfolgenden Ausführungen herangezogen. Sie ermöglicht gleichermaßen eine übersichtliche Struktur wie auch die Einordnung von Akzeptanzund Konfliktfaktoren. 3.1.1 Einflussgrößen mit Objektbezug Objektbezogene Akzeptanzfaktoren können in direkte und indirekte Faktoren eingeteilt werden. Erstere umfassen originäre Eigenschaften des Objektes, letztere entsprechen eher nachgelagerten Projekteffekten. Zu den direkten Eigenschaften von Großprojekten zählen beispielsweise Projektart und Umfang bzw. die Größe eines Objektes sowie Projektalternativen (vgl. Schweizer-Ries et al. 2010; Allerbeck & Helmreich 1984; Schönecker 1985; Degenhardt 1986; Eidenmüller 1986; Joseph 1990; Davis 1989; Wixom & Todd 2005; Liebecke et al. 2011; Troja 2001; Hilbig 1984; Helmreich 1980; Wallau 1990; Agarwal & Prasad 1997; Reichwald 1978; Sokianos 1981; Zimmermann 2009; Schwarz, Gerhard 2010; Rogers 2003; Hornig & Baumann 2013; Köberle 1994; Scheuch 1990). Hiermit gehen zugleich alle Aspekte einher, die mit den menschlichen Sinnen wahrnehmbar sind, beispielsweise visuelle, auditive oder olfaktorische Auswirkungen eines Projektes (z.B. Lärm, Sichtbarkeit, Geruch, vgl. Schäfer & Keppler 2013). Hinzu kommt die räumliche Verortung des Projektes und seiner Alternativen, also die Frage nach vorgesehenen Standorten und hiermit verbundenen Konsequenzen (vgl. Schweizer-Ries et al. 2010; Feindt 2010). Auch die Frage der Finanzierung scheint von Bedeutung zu sein, z.B. wer für welche Kosten aufkommt und wie sich diese im Projektverlauf entwickeln werden (vgl. Feindt 2010; Flachsbarth 2011; Mautz 2010). Der Projektablauf selbst, also wie Planung, Genehmigung und Einrichtung ablaufen bzw. ablaufen sollen, wird ebenfalls zu den potentiellen Einflüssen gezählt (vgl. Benighaus et al. 2010; Schweizer-Ries et al. 2010; Wittke 2011; Schönecker 1985; Schreck 1998). Hinsichtlich der Kompatibilität eines Großprojektes mit der Lebenswelt eventueller Nutzer

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3 Die Genese von Konflikt und Akzeptanz

bzw. Betroffener stellt sich die Frage, inwiefern das Projekt den Bedürfnissen und Ausgangsvoraussetzungen der Personen entspricht (z.B. hinsichtlich Komplexität und Bedienfreundlichkeit, der Integrationsfähigkeit und Zugänglichkeit sowie der Benutzeradäquanz des Objekts, vgl. Schäfer & Keppler 2013; Davis 1989; Wixom & Todd 2005; Wallau 1990; Agarwal & Prasad 1997; Reichwald 1978; Schönecker 1980; Filipp 1996; Rogers 2003; Appel 2013; Bruijn & Leijten 2008; Köberle 1994). Die direkten Einflüsse müssen dabei nicht ausschließlich dem spezifischen Projekt selbst entstammen, sie können auch Eigenschaften der zugehörigen Technologie bzw. der Wahrnehmungen und Bewertungen dieser umfassen (vgl. Schäfer & Keppler 2013; Schweizer-Ries et al. 2010; Umbach 2011; Ohlhorst & Schön 2010; Reichwald 1978; Schönecker 1980). Zu den indirekten Eigenschaften von Akzeptanzobjekten, insbesondere Großprojekten, zählen die Effekte, die durch ein Projekt entstehen. Hierzu gehören, abstrakt gesprochen, Art und Ausmaß von Input- und Output-, Outcomeund Outflowgrößen eines Projektes sowie alternativer Lösungen. Demnach ist konkret danach zu fragen, welche Arten von Kosten (Belastungen, Aufwand, Risiken etc.) und (praktischem) Nutzen (Erleichterungen, Gewinne, Eignung des Objekts als Problemlösung etc.) in welchem Umfang mit einem Projekt assoziiert werden und mit welcher Aufteilung (auf wen, in welchem Umfang, wann etc.) diese Verteilung positiver und negativer Aspekte einher geht (vgl. Benighaus et al. 2010; Feindt 2010; Schweizer-Ries et al. 2010; Geissmann & Huber 2011; Degenhardt 1986; Huijts et al. 2012; Davis 1989; Venkatesh & Davis 2000; Venkatesh et al. 2003; Wixom & Todd 2005; Schmidt 2015; Pankow 1986; Schreck 1998; Thomas 1976; Troja 2001; Hilbig 1984; Wahl 2001; Schäfer & Keppler 2013; Allerbeck & Helmreich 1984; Renn 1998; Sokianos 1981; Zimmermann 2009; Granoszewski & Spiller 2012a; Schwarz, Gerhard 2010; Kollmann 1998; Köberle 1994; Hüsing et al. 2002). Zweierlei Verteilungsformen und Betroffenheitsarten scheinen hierbei eine besondere Rolle zu spielen: Einerseits ist das Verhältnis von allgemeiner und individueller Betroffenheit, sowohl im positiven als auch im negativen Sinne von Bedeutung, also inwiefern und wie eine Verteilung von Nutzen und Lasten zwischen Gemein- und Individualwohl erfolgt (vgl. Brettschneider 2011; Ohlhorst & Schön 2010). Zweitens wird die Berührung verschiedener Interessen sowie der Wettbewerb dieser Interessen (z.B. Raumnutzungsinteressen, Ausmaß der Interessensunterschiede) als potentieller Faktor gesehen (vgl. Ohlhorst & Schön 2010; Granoszewski & Spiller 2012a; Köberle 1994). Zusammenfassend beziehen sich die indirekten Effekte damit auf die Fragen danach, wer in welcher Form und Ausmaß durch ein Projekt betroffen ist oder betroffen sein wird (z.B. psychischer, räumlicher, kultureller Art, vgl. Schmidt 2015; Schreck 1998; Liebecke et al. 2011; Hüsing et al. 2002) und wie dies im Verhältnis zu anderen Betroffenheiten steht. Ob eine

3.1 Einflussgrößen auf Konflikt und Akzeptanz

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Betroffenheit vorliegt oder nicht, scheint dabei weniger objektiven Maßstäben zu unterliegen, sondern vielmehr der subjektiven Einschätzung im Sinne einer subjektiven Wirklichkeitskonstruktion, die sich in Folge dessen dann auch auf die Ausbildung von Einstellungs- und Verhaltensmustern auswirkt (vgl. Beck & Schwarz 2008:82ff.; Berger et al. 2013; Bardmann 1991). 3.1.2 Einflussgrößen mit Subjektbezug Akzeptanzsubjekte, in diesem Fall Akteure von Großprojekten, verfügen über eine zentrale Rolle bei der Akzeptanz- bzw. Konfliktgenese. Auf Basis ihrer Wahrnehmungen, Beurteilungen und Vorprägungen gestalten sie den Projektprozess. Gleichzeitig werden die Akteure jedoch durch den Prozess selbst und das soziale Umfeld beeinflusst (vgl. Coenen 2002:395). Akzeptanz- bzw. konfliktsubjektbezogene Faktoren umfassen vor allem psychologische, sozialpsychologische sowie soziologische Einflüsse. Neben direkt subjektbezogenen (individuellen) Faktoren können damit auch soziale (überindividuelle) Faktoren identifiziert werden. Eine der ersten Fragen zu Akzeptanz- bzw. Konfliktsubjekten bezieht sich auf die Art der Akteure sowie deren soziodemographische Eigenschaften. Zu den potentiellen Akteuren bei Großprojekten zählen beispielsweise Unternehmen, Nachbarn, Verwaltung und Politik, Medien, Wirtschafts-, Sozial- sowie Umweltund Naturschutzverbände (vgl. Weidner 1996; Saretzki 2010; Bürki 2011; Schäfer & Keppler 2013; Allerbeck & Helmreich 1984; Joseph 1990; Venkatesh et al. 2003; Schmidt 2015; Schreck 1998; Leonhardt 2011; Liebecke et al. 2011; Troja 2001; Wallau 1990; Reichwald 1978; Filipp 1996; Renn 1998; Zimmermann 2009; Wiedemann 1995; Voßebürger & Weber 1998; Granoszewski & Spiller 2012a; Schwarz, Gerhard 2010; Pfetsch 2006; Rogers 2003; Köberle 1994; Hüsing et al. 2002). Hinzu kommen Aspekte der Form bzw. Organisation der Akteure. Hierzu zählt z.B. die Frage, ob ein Akteur individueller oder kollektiver Art ist, ob er professionell organisiert oder formlos-privat agiert (vgl. Glasl 2013; Benighaus et al. 2010). Ebenso wird der Ressourcenstärke von Akteuren, ihren Fähigkeiten sowie Wissens- und Informationenvorräten und dem individuellen Erfahrungsschatz Bedeutung zugesprochen. Dies bezieht alle Faktoren finanzieller, informations-, wissens- und übungsbasierter sowie sozialer Art ein (vgl. Mendelberg 2002; Schweizer-Ries et al. 2010; Deutsch 1976; Feindt 2010; Belloni 2011; Flachsbarth 2011; Brettschneider & Vetter 2011; Bürki 2011; Ewen 2009; Brettschneider 2011; Brinker 2011; Schweizer-Ries et al. 2010; Degenhardt 1986; Huijts et al. 2012; Venkatesh & Davis 2000; Venkatesh et al. 2003; Schmidt 2015; Schreck 1998; Leonhardt 2011; Hilbig 1984; Helmreich 1980; Schönecker 1980; Sokianos 1981; Granoszewski & Spiller 2012a; Rogers 2003). Ergänzt werden die Aspekte durch die Motiv- und Bedürfnissituation der Akteu-

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3 Die Genese von Konflikt und Akzeptanz

re. Eine große Rolle spielt hierbei vor allem das Sicherheitsbedürfnis (vgl. Schweizer-Ries et al. 2010; Mendelberg 2002; Maslow 1954; Degenhardt 1986; Eidenmüller 1986; Pankow 1986; Leonhardt 2011; Wahl 2001; Zimmermann 2009; Granoszewski & Spiller 2012a; Schwarz, Gerhard 2010; Rogers 2003; Hüsing et al. 2002). Im Endeffekt schlagen sich diese und andere Faktoren wiederum auch in der allgemeinen Meinungs- und Einstellungsbildung nieder (vgl. Glasl 2013; Fischer et al. 2002; Galtung 2000; Schweizer-Ries et al. 2010; Degenhardt 1986; Huijts et al. 2012; Wixom & Todd 2005; Schmidt 2015; Liebecke et al. 2011; Wahl 2001; Schwarz, Gerhard 2010; Kollmann 1998), die zusammen mit dem individuellen Werte- und Normenkanon der Akteure deren Verhalten und Handeln beeinflussen (vgl. Huijts et al. 2012; Schmidt 2015; Pankow 1986; Sokianos 1981; Granoszewski & Spiller 2012a; Hüsing et al. 2002). Interessen, Zielvorstellungen und Strategien sowie die Handlungs- und Einflussmöglichkeiten werden ebenfalls zu den zentralen Einflüssen auf Konflikt und Akzeptanz gezählt. Hinzu kommt die Frage, mit wieviel Kooperationsbereitschaft und welchem Maß an Legalität und Legitimität Handeln und Verhalten einhergehen (vgl. Weidner 1996; Galtung 2000; Striegnitz 2010; Saretzki 2010; Schäfer & Keppler 2013; Schönecker 1985; Joseph 1990; Thomas 1976; Leonhardt 2011; Troja 2001; Schönecker 1980; Sokianos 1981; Zimmermann 2009; Schwarz, Gerhard 2010; Pfetsch 2006; Kollmann 1998; Köberle 1994). Bedeutsam ist hierbei, dass nicht ausschließlich die eigentliche Handlung entscheidend ist, sondern bereits die Annahmen und Intentionen bzgl. des eigenen Handelns und Verhaltens sowie des der Anderen und die dadurch entstehenden Wirkungen. Dies umfasst sämtliche Aspekte der Verhaltensabsicht, der wahrgenommenen individuellen Verhaltenskontrolle, der Antizipation des Verhaltens Anderer sowie der Wirksamkeit des eigenen Handelns (vgl. Huijts et al. 2012; SchweizerRies et al. 2010; Ajzen 1991; Schmidt 2015; Schönecker 1980; Thomas 1976; Hilbig 1984; Wahl 2001; Rogers 2003; Kollmann 1998; Köberle 1994). Elementarer Teil des Akteurhandelns ist deren Kommunikation. Die vielen Gestaltungsmöglichkeiten dieser zeigen eine Vielzahl potentieller Stellschrauben bzw. Einflusspunkte für Konflikt und Akzeptanz auf. Basis sind die kommunikative Strategie sowie die daraus resultierenden Kommunikationsmaßnahmen bzw. das Kommunikationsverhalten der Akteure (vgl. Striegnitz 2010; Peterson & Franks 2006; Mautz 2010; Feindt 2010; Saretzki 2010; Schäfer & Keppler 2013; Rogers 2003). Hinzu kommt der Einfluss des Kommunikationszeitpunkts (vgl. Schweizer-Ries et al. 2010; Sarcinelli 2011), der Kommunikationskanäle und -formen (z.B. persönliche Kommunikation, soziale Medien, eigene Medien, Massenmedien, vgl. Brettschneider & Vetter 2011; Stotz & Kaim 2011; Flachsbarth 2011; Brettschneider 2011) sowie die Art der Kommunikation (Einwegkommunikation oder Zweiwegekommunikation? Ausmaß des Mitspracherechts?, vgl. Schweizer-Ries et al. 2010). Entscheidend ist hierbei auch, in welcher Form

3.1 Einflussgrößen auf Konflikt und Akzeptanz

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und welchem Verhältnis emotionale und sachliche Aspekte aufgegriffen werden (vgl. Kroeber-Riel et al. 2011; Fischer et al. 2002; Mendelberg 2002; Ohlhorst & Schön 2010; Huijts et al. 2012; Zimmermann 2009; Schwarz, Gerhard 2010; Hüsing et al. 2002) und mit welchem Maß an Qualität die Kommunikation einhergeht (z.B. von Kommunikationsprodukten, der Umsetzung, vgl. Ewen 2012, 2009; Brettschneider & Vetter 2011; Flachsbarth 2011; Wittke 2011). Dieser durch Feinheiten geprägte Kommunikationsmodus nimmt unter anderem Einfluss darauf, welches Image und welche Glaubwürdigkeit der Kommunikation zugesprochen wird (vgl. Glasl 2013; Schweizer-Ries et al. 2010; Hüsing et al. 2002), die wiederum eng an Image und Glaubwürdigkeit der Akteure selbst geknüpft sind (vgl. Benighaus et al. 2010; Schweizer-Ries et al. 2010; Feindt 2010; Köberle 1994). Dies spiegelt sich auch in dem Maß von Vertrauen und Reputation wider, die den Kommunizierenden entgegengebracht bzw. zugestanden werden (vgl. Schweizer-Ries et al. 2010; Linkohr 2011; Brinker 2011; Wahl 2001; Hüsing et al. 2002). Diese Wirkung wiederum hängt insgesamt davon ab, welche Erwartungen die Akteure an den Prozess mitbringen, wie sie sich selbst, die anderen Akteure und die Situation bzw. das Umfeld wahrnehmen und bewerten und anhand welcher Kriterien diese Bewertungen im Einzelnen vorgenommen werden (vgl. Glasl 2013; Kroeber-Riel et al. 2011; Brettschneider 2011; Ueberhorst 2010; Saretzki 2010; Schreck 1998; Venkatesh & Davis 2000; Pankow 1986; Liebecke et al. 2011; Hilbig 1984; Schwarz, Gerhard 2010; Kollmann 1998). Die individuellen Eigenschaften finden Ergänzung durch überindividuelle Eigenschaften der Akzeptanzsubjekte. Bezeichnet werden hiermit beispielsweise Anzahl und Vollständigkeit der Akteure bzw. des Akteursportfolios sowie die Konstellation und Netzwerke, die sich zwischen den Akteuren eines Großprojektes bilden (vgl. Umbach 2011; Bürki 2011; Brettschneider 2011; Feindt 2010; Ohlhorst & Schön 2010; Saretzki 2000; Glasl 2013; Schweizer-Ries et al. 2010; Zimmermann 2009; Granoszewski & Spiller 2012a; Köberle 1994). Hinzu kommen die sozialen Dynamiken in und zwischen Gruppen sowie die Rollen einzelner (Schlüssel)Personen (vgl. Glasl 2013; Mendelberg 2002; Thomas 1976; Troja 2001; Renn 1998; Schwarz, Gerhard 2010; Köberle 1994). Abhängigkeiten und Machtverhältnisse zwischen den Akteuren wirken sich hierbei steuernd auf diese Prozesse aus (vgl. Österreichischer Ingenieur- und Architektenverein 2003; Mendelberg 2002; Glasl 2013; Benighaus et al. 2010; Sünderhauf 1997; Renn 1998; Sokianos 1981; Zimmermann 2009; Schönecker 1980; Voßebürger & Weber 1998; Wiedemann 1995; Appel 2013; Köberle 1994).

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3 Die Genese von Konflikt und Akzeptanz

3.1.3 Einflussgrößen mit Kontextbezug Einflüsse, die weder ausschließlich den Subjekten noch dem Objekt zugeordnet werden können, sondern Eigenschaften beider Elemente enthalten, werden zu den Kontextfaktoren der Akzeptanz- und Konfliktgenese gezählt. Diese beziehen auch Einflussgrößen ein, die erst durch die Genese von Konflikt bzw. Akzeptanz entstehen, im weiteren Verlauf jedoch ebenfalls beeinflussend wirken können. Ausgangspunkt ist die Situation, die Anlass für die Initiierung eines Großprojekts gibt. Welches Problem/welche Situation soll mithilfe des Objektes gelöst werden? Wie lässt sich die Ausgangssituation charakterisieren (vgl. Degenhardt 1986; Eidenmüller 1986; Joseph 1990; Helmreich 1980; Wahl 2001; Reichwald 1978; Sokianos 1981; Zimmermann 2009; Rogers 2003)? Zu den Eigenschaften der Ausgangssituation kommt der Einfluss der hierauf aufbauenden Prozesse im Rahmen des Projekts. Welche Herangehensweise wird zur Bewältigung der Situation gewählt und welche Prozessziele werden verfolgt? Wie laufen die Prozesse ab und inwiefern finden Transparenz, Fairness, Legalität und Legitimität hierbei Beachtung (vgl. Linkohr 2011; Ueberhorst 2010; Mendelberg 2002; Renn 1994; Flachsbarth 2011; Schweizer-Ries et al. 2010; Brettschneider 2011; Huijts et al. 2012; Schmidt 2015; Thomas 1976, 1976; Troja 2001; Hilbig 1984; Renn 1998; Appel 2013; Köberle 1994)? Der Komplexität dieser Prozesse und Strukturen wird hierbei ebenfalls ein bedeutender Einfluss zugesprochen (vgl. Appel 2013), ebenso wie den Dynamiken eines Prozesses, beispielsweise im Sinne des gelebten Umgangsstils, der Stimmung und der Intensität, mit der die Prozesse ablaufen (vgl. Glasl 2013; Feindt 2010; Saretzki 2010; Benighaus et al. 2010; Ewen 2012; Glasl 2013; Brettschneider 2011; Brinker 2011; Troja 2001; Sokianos 1981; Zimmermann 2009; Granoszewski & Spiller 2012a). Moderierend wirken dabei das Maß an Freiwilligkeit bzw. Zwang oder Einschränkungen im Rahmen der Prozesse (vgl. Venkatesh & Davis 2000; Venkatesh et al. 2003; Schmidt 2015; Thomas 1976; Hilbig 1984; Wallau 1990; Agarwal & Prasad 1997; Pfetsch 2006). Werden in Bezug auf die Akzeptanzsubjekte deren kommunikative Verhaltensweisen zu den Einflussfaktoren gezählt, so darf bei Betrachtung des Kontextes der Einfluss des insgesamt entstehenden Kommunikationsmodus auf den Prozess nicht übersehen werden (vgl. Umbach 2011; Schweizer-Ries et al. 2010; Ewen 2012; Flachsbarth 2011; Ohlhorst & Schön 2010; Schäfer & Keppler 2013; Joseph 1990; Schreck 1998; Liebecke et al. 2011; Hilbig 1984; Wahl 2001; Sokianos 1981; Zimmermann 2009; Granoszewski & Spiller 2012a; Schwarz, Gerhard 2010; Appel 2013). Gleiches gilt für die Themen, die über einzelne Kommunikationsakte hinaus im Rahmen eines Prozesses insgesamt von Bedeutung sind und mit unterschiedlichen Auswirkungen einhergehen können, beispielsweise Priming-Effekten, also der Beeinflussung von individuellen Bewertungs- und Verhaltensmustern (vgl. Bürki 2011; Ohlhorst & Schön 2010; Glasl 2013; Schäfer & Keppler 2013;

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Ewen 2012; Stotz & Kaim 2011; Wixom & Todd 2005; Mathes 1989). Hierbei spielt die Medienberichterstattung eine bedeutende Rolle, die durch Auswahl und Gewichtung von Themen die Bedeutungszuschreibung in der Öffentlichkeit bzw. bei den Akteuren beeinflussen kann (Agenda-Setting, vgl. z.B. McCombs & Shaw 1972; Brettschneider 2005), in deren Anschluss wiederum Priming-Effekte ausgelöst werden können. Ebenso besteht die Möglichkeit der Beeinflussung durch die mediale Gestaltung von Interpretationsschemata der Themen eines Großprojektes bzw. seiner Prozesse (Framing, vgl. Mathes 1989; Kepplinger 1989; Renn 1994). Das im Rahmen der subjektbezogenen Faktoren angeführte individuelle Wert- und Normengefüge findet Ergänzung durch den Normen- und Wertekontext eines Projektes insgesamt (vgl. Noelle-Neumann 1993; Schäfer & Keppler 2013; Thomas 1976; Venkatesh & Davis 2000; Schmidt 2015; Schönecker 1985; Degenhardt 1986; Venkatesh et al. 2003; Pankow 1986; Liebecke et al. 2011; Wallau 1990; Wahl 2001; Reichwald 1978; Filipp 1996; Renn 1998). Diese auf gesellschaftlicher Ebene zu verortenden Einflüsse können um Regelungen, Institutionen und Akteure, die der Gestaltung des Gemeinwesens dienen und damit die politische Komponente miteinbringen, bereichert werden (vgl. Benighaus et al. 2010; Saretzki 2010; Coenen 2002; Ewen 2012; Leonhardt 2011; Renn 1998; Pfetsch 2006). Neben grundsätzlichen politischen Strukturen und Institutionen umfassen diese (politische und rechtliche) Vorgaben und Verfahren, die bei einem Großprojekt Anwendung finden (z.B. Genehmigungsverfahren, Beteiligungsverfahren, Einsatzbestimmungen; vgl. Schäfer & Keppler 2013; Mautz 2010; Linkohr 2011; Ewen 2012; Striegnitz 2010; Flachsbarth 2011; SchweizerRies et al. 2010; Renn 1998; Zimmermann 2009; Granoszewski & Spiller 2012a; Schwarz, Gerhard 2010; Kollmann 1998; Appel 2013) sowie die dazugehörigen politischen Prozesse, Akteure und Entscheidungen (vgl. Schäfer & Keppler 2013; Ohlhorst & Schön 2010; Pütter 2011; Saretzki 2010; Deutsche Akademie der Technikwissenschaften 2011; Wittke 2011; Brettschneider 2011; Pankow 1986; Granoszewski & Spiller 2012a; Appel 2013; Köberle 1994). Neben den politischen Rahmenbedingungen können potentiell auch ökonomische Rahmenbedingungen (vgl. Granoszewski & Spiller 2012a; Renn 1998) oder allgemeine sozio-demographische Strukturen der Gesellschaft (soziale, wirtschaftliche, ökologische, physisch-räumliche, kulturelle Faktoren etc., vgl. Schäfer & Keppler 2013; Reuber 1999; Gruber 2009; Zimmermann 2009; Granoszewski & Spiller 2012a; Schwarz, Gerhard 2010) den Akzeptanz- bzw. Konfliktbildungsprozess bei Großprojekten beeinflussen. Makroperspektivisch kommen zudem historische und aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen, z.B. allgemeine Modernisierungsprozesse oder Grundkonflikte bzw. Konfliktlinien hinzu (vgl. Feindt 2010; Ohlhorst & Schön 2010; Saretzki 2010). Neben diesen eher langfristig einzuschätzenden Faktoren können auch kurzfristige, teilweise überraschende Ereignisse und allgemeine Entwicklungen und Einflüsse höherer Gewalt zu den poten-

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tiellen Determinanten gezählt werden. Dies umfasst z.B. Katastrophen, Wahlen und Großveranstaltungen (vgl. Schäfer & Keppler 2013; Ohlhorst & Schön 2010; Ewen 2009; Brettschneider 2011; Leonhardt 2011). Die Vielfalt und Vielzahl der denkbaren Einflussfaktoren in Akzeptanz- und Konfliktprozessen bei Großprojekten wird von einigen weiteren Aspekten mit katalysatorischer Funktion begleitet. Dies sind zum einen die zeitlichen Aspekte eines Projektes und seiner Prozesse, beispielsweise Zeitpunkte und Zeiträume (vgl. Brettschneider & Vetter 2011; Schweizer-Ries et al. 2010; Stotz & Kaim 2011; Flachsbarth 2011; Ohlhorst & Schön 2010; Ueberhorst 2010; Eidenmüller 1986; Zimmermann 2009), aber auch dynamische Aspekte, z.B. die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Einflussfaktoren (vgl. Feindt 2010; Ewen 2009; Saretzki 2010; Ohlhorst & Schön 2010; Zimmermann 2009; Schwarz, Gerhard 2010; Pfetsch 2006; Appel 2013; Köberle 1994). Hinzu kommt, ob die Prozesse auf Mikro-, Meso- oder Makroebene ablaufen (vgl. Benighaus et al. 2010; Glasl 2013; Ohlhorst & Schön 2010; Feindt 2010; Leonhardt 2011; Troja 2001; Zimmermann 2009). 3.2 Zentrale Ansätze und Modelle von Konflikt und Akzeptanz Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Einflussgrößen legt neben der Identifizierung und Beschreibung dieser die Ergründung ihrer Verbindungen und Wirkungsweisen nahe. Auch hier ist eine integrative Betrachtung von konflikt- und akzeptanzbezogenen Ansätzen empfehlenswert, um eine pragmatische Annäherung an die komplexe Realität von Großprojekten zu ermöglichen. Vorangehende Ausführungen lassen bereits erahnen, dass sich je nach Konflikt- bzw. Akzeptanzobjekt die Faktoren in Zusammensetzung und Wirkungsweise ändern. Um dies gezielt anhand von Großprojekten aus vier zentralen Themenbereichen untersuchen zu können, bedarf es zunächst einer Sichtung und Erläuterung der in der Literatur verzeichneten Modelle und Ansätze. Der Fokus liegt dabei auf der Betrachtung der Gestaltungsideen, die diese Ansätze für die Konflikt- und Akzeptanzgenese entwickeln38. Die Ansätze und Modelle, die sich der Erklärung der Genese von Akzeptanz in Abhängigkeit ihrer Einflussfaktoren verschrieben haben, basieren auf unterschiedlichen Grundannahmen. Zu den häufigsten zählt dabei der in Kapitel 2.3.2 38

Im Hinblick auf diese Zielsetzung wird auf Kritik einzelner Ansätze und Modelle verzichtet, wohlwissend, dass vielerlei Kritik bei den nachfolgend vorgestellten Ansätzen geübt werden kann. Hierfür sei jedoch auf Kollmann (1998); Schnell (2008); Schäfer & Keppler (2013); Fazel (2014); Schmidt (2015); Renn (1998); Benighaus et al. (2010); Zimmermann (2009); Voßebürger & Weber (1998); Troja (2001); Schreck (1998); Schmaltz (2009) und Glasl (2013) verwiesen, die sich mit einzelnen Ansätzen und deren Defiziten detailliert auseinandersetzen.

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erläuterte Gedanke, dass eine bestimmte Einstellung Einfluss auf eine Handlung bzw. Verhaltensweise nehmen kann (vgl. Schmidt 2015:18; bzw. auch Eagly & Chaiken 1993; Kim & Hunter 1993). Aber auch der möglichen Diskrepanz zwischen Einstellung und Verhalten, mit Bezug auf konträr verlaufende Einstellungsund Verhaltensrichtungen, wird in einigen Ansätzen Raum gegeben (vgl. z.B. Preisendörfer 1999). Der Stammbaum (vgl. Schmaltz 2009:41ff.) von Modellen und Ansätzen der Akzeptanzforschung lässt sich dabei vor allem auf Ansätze der Diffusionsforschung sowie der Theory of Reasoned Action (vgl. Fishbein & Ajzen 1975) zurückverfolgen. Letztere stellt die Basis für das vielfach herangezogene Technology Acceptance Model (TAM) nach Davis (1989) und seine Modifikationen (z.B. TAM2, TAM3, vgl. Venkatesh & Davis 2000; Venkatesh & Bala 2008) sowie die Theory of Planned Behavior dar (vgl. Ajzen 1991), die ebenfalls in Teilen weiter modifiziert wurde. Diese Strömungen finden u.a. Ergänzung durch Ansätze, die die Nutzerzufriedenheit in den Mittelpunkt stellten. Inhaltlich beziehen sich Ansätze der Akzeptanzforschung vorwiegend auf technische Innovationen, vor allem der Informations- und Kommunikationstechnologie. Neuere Ansätze befassen sich hingegen auch mit Objekten des Technik-, Umwelt- oder Naturschutzbereiches (z.B. Naturschutzgroßgebiete, erneuerbare Energien). Die Konfliktforschung ist aufgrund ihrer Historie durch Objekte aus dem politischen Bereich (z.B. Staaten, Institutionen) und aus dem wirtschaftlichen Bereich (z.B. Organisationen, Gruppierungen) geprägt. Objekte des Technik-, Umweltoder Naturschutzbereichs haben jedoch mit der Zeit ebenfalls Einzug gehalten. Zur Unterscheidung von Akzeptanzmodellen wird gemeinhin eine Strukturierung dieser anhand der ihnen zugrunde liegenden Beziehung von Ursache und Wirkung der Akzeptanzfaktoren vorgenommen (vgl. Filipp 1996:26). Unterschieden wird hierbei in Input-, Input-Output-, Rückkopplungs- und Phasenmodelle (vgl. Schäfer & Keppler 2013; Filipp 1996; Kollmann 1998). Diese Strukturierungsweise nimmt Bezug auf den Fokus der Modelle, ob beispielsweise ausschließlich Inputgrößen betrachtet werden oder auch Rückkopplungsprozesse Beachtung finden. Bei Konfliktmodellen wird maßgeblich nach Struktur- und Prozessmodellen sowie integrativen Modellen unterschieden. Erstere rücken die Entstehung von Konflikten, zweitere den Verlauf dieser in den Mittepunkt. Integrative Modelle greifen sowohl Struktur- als auch Prozesselemente auf (vgl. Werpers 1999:13). Ergänzend bietet die Sozialwissenschaft allgemeine Strukturierungsweisen beispielsweise nach Ebene (Mikro/Meso/Makro, vgl. z.B. Bonacker 2008) oder in Überschneidung hierzu nach strukturbezogenen, interaktionsbezogenen, sozialpsychologischen, soziologischen/politischen und spieltheoretischen Aspekten (vgl. z.B. Messmer 2003). Mit Blick auf das Ziel der Analyse zentraler Einflussfaktoren auf die Akzeptanz bzw. den Konflikt bei Großprojekten empfiehlt sich die Anwendung einer faktor- und wirkungsweisezentrierten Systematisierung. Die vorliegende

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Arbeit wird deshalb nach Input-, Input-Output-, Rückkopplungs- und Phasenmodellen strukturiert. Auf eine grafische Darstellung der Ansätze wird aus Gründen der Vergleichbarkeit und Übersichtlichkeit verzichtet39. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Darstellung und Erklärung von Faktoren und Prozessen, die für die Entstehung und Entwicklung unterschiedlicher Grade von Akzeptanz respektive Konflikt zentral sind – in entsprechender Weise wurden die nachfolgenden Ansätze und Modelle ausgewählt. Modelle bzw. Ansätze, die den Fokus auf psychische Entscheidungs- und Bewertungsprozesse und Strukturen oder soziologische/politische Abläufe legen, wurden nur am Rande behandelt bzw. dann, wenn der Gesamtprozess und die Wirkungsweise ebenso Beachtung fanden. Obwohl die vorigen Erläuterungen zum Akzeptanz- und Konfliktbegriff dieser Arbeit die gemeinsame Bedeutung von Verhaltens- und Einstellungsdimension hervorheben, werden nachfolgend auch Ansätze vorgestellt, die nur eine der beiden oder andere/weitere Dimensionen in Betracht ziehen. Übergreifende Betrachtungen haben gezeigt, dass vor allem Autoren von Akzeptanzansätzen bzw. -modellen unabhängig von der ihrerseits angenommenen EinstellungsVerhaltens-Relation wichtige Erkenntnisse für die Genese von Akzeptanz bzw. Nicht Akzeptanz und Konflikt beitragen. 3.2.1 Input-Modelle Der Fokus von Input-Modellen liegt auf den direkt und konstituierend wirkenden Einflussgrößen (vgl. Kollmann 1998:73ff.), wodurch der Erklärungsansatz für das Zustandekommen von Akzeptanz bzw. Konflikt auch rein von diesen Einflussgrößen ausgeht. Hauptaugenmerk dieser Ansätze liegt auf einer einfachen Darstellung der Prozesse bzw. Faktoren (vgl. Kollmann 1998:78). Zu den übersichtlichsten Ansätzen zählt der Ansatz von Allerbeck & Helmreich (1984), die bei ihrer Forschung über die Akzeptanz neuer Bürotechnologien die Faktoren Technik, Mensch und die auszuführende Aufgabe in den Mittelpunkt rücken und dabei zugleich Akzeptanzsubjekt, -objekt und -kontext unterscheiden. Die Genese von Akzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz sehen Allerbeck & Helmreich in der gegenseitigen Beeinflussung dieser Faktoren40. Schönecker (1985) differenziert 39

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Die Originalquellen, aus denen die Ansätze entnommen wurden, enthalten teilweise grafische Abbildungen der Ansätze. Da die Ausführungen dieser Arbeit in Teilen auf diesen Modellen basieren, wird im nachfolgenden Text sowohl von Ansätzen als auch von Modellen gesprochen, obwohl hier auf Grafiken verzichtet wurde. Ähnlich gestaltet sich auch der Ansatz von Eidenmüller (1986), der die Faktoren Benutzer (Motivation durch Nutzen, Zeitpunkt des Einbeziehens, Weiterbildung), Technik (Funktionen, Ergonomie und technischer Reifegrad, Datenschutz) und Arbeitsorganisation (Aufgabenstruktur und -gestaltung, Handlungsspielräume) unterscheidet.

3.2 Zentrale Ansätze und Modelle von Konflikt und Akzeptanz

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diese Bedingungen in ähnlichem fachlichen Kontext leicht aus und unterscheidet fünf Faktoren: Technikgestaltung (Handhabungsbedingungen), organisatorische Einsatzbedingungen (situative Rahmenbedingungen), soziales Umfeld (Verhalten des Vorgesetzten), Schulung und Betreuung sowie Einführung der Technologie. Er setzt dabei ebenso wie Joseph (1990), der vier Faktoren unterscheidet (Betreuung der Mitarbeiter, Technik und Ergonomie, Arbeitsorganisation bzw. Kontext, Merkmale der Akzeptanzsubjekte) neben den drei Grundkomponenten (Akzeptanzsubjekt, -objekt und -kontext) auf die Ausweitung der Bedeutung sozialer Einflussgrößen, indem soziale Prozesse und Gegebenheiten in unterschiedlicher Ausprägung (z.B. Betreuung, Partizipation, Vorgesetztenverhältnis) stärker beachtet werden. Auch Degenhardt (1986) erweitert in seinem Ansatz, der sich ebenfalls auf die Akzeptanz von Bürotechnologie bezieht, das klassische Dreigestirn vor allem um einen zentralen Faktor, nämlich das Kosten-NutzenVerhältnis. Hierbei wirken sich die Merkmale des Akzeptanzobjekts (Systemkonfiguration), des Akzeptanzsubjekts (Benutzermerkmale) und der zu erledigenden Aufgabe in Form des Kontextes auf die wahrgenommene Nützlichkeit des Systems sowie das Kosten-Nutzen-Verhältnis aus. Diese beiden Faktoren beeinflussen, ergänzt durch den Faktor der Akzeptierbarkeit (subjektive Bewertung des Akteurs, ob dieser das Akzeptanzobjekt prinzipiell überhaupt akzeptieren möchte), das Maß an Akzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz. Auch Huijts et al. (2012) räumen der Wahrnehmung von Kosten- und Nutzeneffekten Bedeutung ein, wobei sich das Modell nicht auf Bürotechnologie, sondern auf erneuerbare Energien bezieht, womit es besondere Bedeutung für das vorliegende Forschungsinteresse erlangt. Vereinfacht ausgedrückt, wirkt sich aus Sicht von Huijts et al. (2012) das Vertrauen eines Akteurs auf dessen Gefühlswelt sowie die wahrgenommenen Kosten, Risiken und den Nutzen, die durch die Technologie entstehen können, aus. Diese Faktoren, ergänzt durch Fairnesskomponenten (sowohl verfahrensbezogener als auch distributiver Art), beeinflussen wiederum die Einstellung des Akteurs. Die wahrgenommenen Kosten, Risiken und der Nutzen beeinflussen zugleich, zusammen mit der praktischen Wirksamkeit der Technologie und der Problemwahrnehmung, die persönliche Norm, die als eine Art Handlungsmotivation angesehen werden kann. Einstellung und persönliche Norm beeinflussen schlussendlich zusammen mit der sozialen Norm sowie der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle die Intention, eine Technologie prinzipiell zu akzeptieren bzw. nicht zu akzeptieren, woraus sich das endgültige Maß an Akzeptanz entwickelt. Erfahrungswissen und Faktenwissen umranden den gesamten Prozess (vgl. Schäfer & Keppler 2013:30f.). Die Beachtung der durch ein Objekt entstehenden Kosten und Nutzen findet sich auch bei dem Akzeptanzmodell schlechthin, dem Technology Acceptance Model (TAM) von Davis (1989) wieder, das im Laufe der Jahre Stück für Stück modifiziert wurde. Das Modell basiert auf den Annahmen der Theory of Rea-

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soned Action (Fishbein & Ajzen 1975) bzw. der Theory of Planned Behavior (Ajzen 1991). Hierbei wird die Verhaltensabsicht (und das darauffolgende Verhalten) durch Einstellungen und Normen beeinflusst, im Falle der Theory of Planned Behavior zudem ergänzend durch die wahrgenommene Verhaltenskontrolle (Voraussetzungen, die für das Verhalten notwendig sind). Im Technology Acceptance Model (TAM) von Davis (1989)41 beeinflussen externe Einflussvariablen, allen voran das Akzeptanzobjekt selbst, den wahrgenommenen Nutzen sowie die wahrgenommene Komplexität (bzw. Leichtigkeit) der Nutzung. Letztere wirkt sich zugleich auch direkt auf den wahrgenommenen Nutzen aus. Die Einstellung (Einstellungsakzeptanz) hängt von diesen beiden Wahrnehmungen ab. Von der Einstellungsakzeptanz wiederum hängt dann das Maß der Verhaltensakzeptanz (tatsächliche Nutzung) ab. In einer leicht modifizierten Form des Modells (vgl. Davis et al. 1989) wird die Einstellungsakzeptanz ausgelassen und ein direkter Einfluss von wahrgenommenem Nutzen und Leichtigkeit der Nutzung auf die Verhaltensabsicht beschrieben. Im Technology Acceptance Model 2 von Venkatesh & Davis (2000) werden die externen Einflussvariablen (Akzeptanzkontext) differenziert ausgeführt: Der wahrgenommene Nutzen sowie die Verhaltensabsicht werden dabei durch Normen, das Maß an Freiwilligkeit, imagebezogene Einflüsse, die praktische Relevanz des Objekts, die vermutete Qualität der Ergebnisse und die Wahrnehmbarkeit der Ergebnisse beeinflusst, ergänzt durch die von Davis bereits aufgeführte Leichtigkeit der Nutzung. Zudem beeinflussen laufende Erfahrungswerte die Ausbildung der Verhaltensabsicht. Im erneut ergänzten Modell (Technology Acceptance Model 3, vgl. Venkatesh & Bala 2008) werden zusätzlich Faktoren mit Bezug zum Akzeptanzobjekt näher ausgeführt, welche die Leichtigkeit der Nutzung beeinflussen. Sie können unterteilt werden in verankerte Voreinstellungen (z.B. prinzipielle Angst vor dem Objekt) und direkt gebildete Erfahrungen (Spaß, Nützlichkeit). Die vereinheitlichte Technologieakzeptanz und -nutzungstheorie (Unified Theory of Acceptance and Use of Technology, UTAUT, vgl. Venkatesh et al. 2003) integriert zahlreiche Aspekte des Technology Acceptance Models (vgl. Davis et al. 1989), der Theory of Planned Behavior (vgl. Ajzen 1991) sowie der Diffusionstheorie. Erwarteter Nutzen und erwarteter Aufwand sowie der soziale Einfluss wirken sich dabei auf die Verhaltensabsicht aus. Diese und unterstützende Gegebenheiten beeinflussen dann die finale Nutzungsabsicht. Die Faktoren Geschlecht, Alter, Erfahrung sowie der Grad der Freiwilligkeit der Nutzung wirken dabei moderierend auf den Gesamtprozess. Der erwartete Nutzen bzw. die Nützlichkeit eines Objektes steht auch bei Wixom & Todd (2005) im Vordergrund, die aus dem Bereich der Diffusionsund Nutzungsforschung stammen. Sie definieren die Nützlichkeit als zentrale 41

Nach Simon (2001).

3.2 Zentrale Ansätze und Modelle von Konflikt und Akzeptanz

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Determinante der Akzeptanz von Informationstechnologie. Der Ansatz basiert auf der Wahrnehmung und Bewertung von Eigenschaften des Akzeptanzobjekts (hier unterteilt in eine systemische und eine inhaltliche Komponente): Verlässlichkeit, Flexibilität, Integration, Zugänglichkeit und Termingerechtigkeit beeinflussen die Annahmen, die das Individuum (Akzeptanzsubjekt) über die Systemqualität der Technologie trifft. Vollständigkeit, Genauigkeit, Format und Aktualität beeinflussen die Annahmen, die über die Informationsqualität der Technologie getroffen werden. Hieraus bilden sich die objektbasierten Einstellungen, also die Zufriedenheit mit Information und System, wobei die Systemzufriedenheit sich auch auf die Informationszufriedenheit auswirkt. Durch die Systemzufriedenheit wird dann die Wahrnehmung der Systemkomplexität geprägt und hierdurch sowie durch die Informationszufriedenheit die wahrgenommene Nützlichkeit. Nützlichkeit und Komplexität wirken sich schlussendlich auf die Einstellung, gefolgt von der Verhaltensabsicht aus (auf Letztere nimmt zudem auf direktem Weg zusätzlich die Nützlichkeit Einfluss). Auf einen ganz anderen Aspekt gehen Huijts et al. (2012) ebenso wie auch Schweizer-Ries et al. (2010) ein: die Frage des Einflusses von Fairness bzw. Gerechtigkeit auf die Akzeptanz. Der Einfluss von Gerechtigkeit liegt im Fokus des Ansatzes von SchweizerRies et al. (2010), die sich mit der Akzeptanz von erneuerbaren Energien beschäftigen. Der gerechten Verteilung von Kosten und Nutzen wird dabei auf Basis empirischer Erkenntnisse der gleiche Einfluss auf die finale Akzeptanz eines konkreten Projekts eingeräumt wie der prinzipiellen Akzeptanz der dahinterstehenden Technologie. Einen etwas geringeren, jedoch trotzdem wichtigen Einfluss auf die Akzeptanz nimmt die Gerechtigkeit des Verfahrens. Akzeptanz geht in diesem Ansatz von einer positiv gerichteten Einstellung in Kombination mit einer ebenso ausgerichteten Handlung aus. Zöllner (2011 siehe Schäfer & Keppler 2013) greift dies in seinem Ansatz auf: Im Sinne der klassischen Dreiteilung nehmen die Eigenschaften der Technologie als Akzeptanzobjekt, des Objektkontextes und der Akteure als Akzeptanzsubjekte Einfluss auf das Ausmaß von Akzeptanz. Ergänzt werden die drei Determinanten durch Faktoren der Verfahrensgestaltung, die neben der Gerechtigkeits- und Fairnesskomponente beispielsweise auch Beteiligungsmöglichkeiten und Vertrauensaspekte aufgreift. Gerade der Hinweis auf die Bedeutung von Beteiligungsmöglichkeiten scheint hierbei relevant. Zwar weisen bereits vorige Ansätze vereinzelt auf die Bedeutung von Kommunikation hin, jedoch eher in Form von Information, z.B. bei Schulungen und Erklärungen bzgl. des Akzeptanzobjektes. Ein Kommunikationsverständnis, das jedoch neben einseitiger Information auch zweiseitige Interaktion und ein zunehmendes Maß an Einfluss, womit Beteiligungsformen inkludiert werden, umfasst, findet in den bislang erläuterten Ansätzen kaum Beachtung.

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Auch Liebecke et al. (2011) greifen Kommunikation und Beteiligung in ihrem Ansatz zur Akzeptanz von Naturschutzgroßgebieten auf, allerdings ebenfalls nur als Teilaspekt. „Die Akzeptanzsubjekte, die sich in soziodemographischen Variablen, dem Wohnort bzw. den grundlegenden Naturvorstellungen unterscheiden, entwickeln über unterschiedliche Wahrnehmungsebenen eine Einstellung zum Akzeptanzobjekt“ (Liebecke et al. 2011:9). Letztere wird zugleich durch Eigenschaften des Akzeptanzobjekts beeinflusst. Genauer gesagt erfolgt die Einstellungsbildung auf Basis der Wahrnehmungsebenen und des Akzeptanzobjekts über die Operationalisierung durch vier Arten von Akzeptanzfaktoren: kulturelle Faktoren (z.B. traditionelle Nutzungs- und Umgangsformen), persönliche Faktoren (z.B. durch das Objekt ausgelöste Gefühle), Art und Ausmaß der Partizipation und Kommunikation sowie der wirtschaftlichen Bedeutung des Akzeptanzobjekts. Der Ansatz von Schreck (1998), der sich auf die Akzeptanz von „sperrigen Infrastruktureinrichtungen“ bezieht, geht genauer auf die Wirkung von Beteiligung im Zusammenspiel mit anderen Faktoren ein. Schreck berücksichtigt in ihrem Modell vor allem räumliche und soziostrukturelle Dimensionen sowie die Nutzungs-/Betriebsphase von Akzeptanzobjekten. Hinsichtlich der Beteiligung von Akteuren stellt Schreck (1998:113f.) fest, dass die Teilnahmewahrscheinlichkeit mit zunehmender Nähe zum Akzeptanzobjekt ansteigt. Der Beteiligung (an der Planung) schreibt sie dann direkte und indirekte Wirkungen auf die Akzeptanz zu: Direkt wirkt sich Beteiligung negativ auf die Akzeptanz aus. Indirekt führt Beteiligung in Schrecks Modell zu einer schlechteren Bewertung der Planung, wodurch unter anderem die Akzeptanz ebenfalls abnimmt. Zugleich nimmt bei Beteiligung die wahrgenommene Belästigung zu, die sich wiederum negativ auf die Akzeptanz auswirkt. Schreck räumt jedoch einschränkend ein, dass hier vor allem kritische Akteure an den Beteiligungsformen teilgenommen haben, deren negative Einstellung sich durch die Beteiligung also eher weiter verstärkt. Die positiv eingestellten Personen sehen sich durch den Projektträger ausreichend vertreten, wodurch die eigene Beteiligung weniger attraktiv bzw. notwendig erscheint (vgl. Schreck 1998:114). Leonhardt (2011) greift mit ihrem Ansatz aus der Konfliktforschung in der Entwicklungsarbeit einen ganz anderen Aspekt auf. Sie thematisiert den Einfluss von Faktoren der Makroebene als moderierende Faktoren und nennt hierbei beispielsweise Chancen und Trends, Institutionen, Ereignisse und Ebenen eines Konflikts. Gemeinsam mit den verbleibenden Faktoren unterliegen sie dabei keiner bestimmten Ordnung. Zahlen und Fakten eines Konflikts (Konfliktprofil) zählen ebenso wie Art und Ausmaß der beteiligten Stakeholder zu den Einflüssen. Hierbei sind auch die psychologischen und sozialen Strukturen und Prozesse zu beachten. Die auslösenden und beeinflussenden Ursachen beziehen sich dabei auf die Frage des Konfliktkerns. Auch Pankow (1986) thematisierte bereits den Einfluss von auf Makroebene zu verortenden Einflussfaktoren. Gemäß seinem

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Ansatz über die Akzeptanz bei Arbeitsprozessen, wirken sich gesellschaftliche Einflüsse (z.B. politische Entwicklungen, Wertewandel) auf Persönlichkeitsmerkmale des Individuums aus, vor allem dessen Werte, Bedürfnisse, Erwartungen und Wünsche. Hierdurch wird die individuelle Arbeitsmotivstruktur beeinflusst, wodurch schlussendlich ein wünschenswerter Zustand (Soll-Zustand) geprägt wird. Dem gegenüber stehen interne betriebliche Einflüsse, die sich auf die Arbeitssituation auswirken, welche dann insgesamt der Wahrnehmung des Individuums (Ist-Zustand) unterliegt. Der Vergleich von wahrgenommenem Zustand und wünschenswertem Zustand wirkt sich auf das Maß an Akzeptanz aus: Je geringer der Unterschied zwischen den beiden Zuständen, desto mehr Akzeptanz wird dem Akzeptanzobjekt zugesprochen. Obwohl zahlreiche der beschriebenen Ansätze nicht näher auf die Unterscheidung zwischen Einstellungs- und Verhaltensakzeptanz eingehen, wenden sie diese an. Während Akzeptanz entweder als reine Einstellungsakzeptanz definiert wird oder Verhalten einfach als gleichgerichtete Folge von Einstellung verstanden wird, nimmt Schmidt (2015) in ihrem Ansatz bzgl. der Akzeptanz alternativer Energieformen eine detailliertere Betrachtung beider Dimensionen vor. Sie teilt Akzeptanz dabei ganz bewusst in eine Einstellungs- und eine Verhaltensdimension auf. Der wahrgenommene Nutzen und das wahrgenommene Risiko, das von einem Akzeptanzobjekt dabei ausgeht, sowie die Erfahrung mit Technik, Technikskepsis, Wissen über Technik sowie Mediennutzung, Betroffenheit, Freiwilligkeit, Verfahrens-und Verteilungsgerechtigkeit sowie das Umweltbewusstsein des Akzeptanzsubjekts nehmen Einfluss auf die Einstellung bzw. Einstellungsakzeptanz des Akteurs (Akzeptanzsubjekt). Persönliche Überzeugungen, sozialer Druck, der wahrgenommene Output (Leistung hinsichtlich der Lösung des Problems) sowie die wahrgenommene Kontrolle über das eigene Verhalten und prinzipielle Einstellung zum Verhalten (Nützlichkeit des Verhaltens) sowie die vorweg generierte Einstellung beeinflussen das Verhalten und damit die Verhaltensakzeptanz. Der Ansatz von Thomas (1976), der sich auf Konflikte in Organisationen bezieht, wählt eine ganz andere Herangehensweise. Er bezieht sich auf zwei grundsätzlich vorherrschende Strömungen der Konfliktbetrachtung: diejenigen, welche die Gründe für Konflikt in der Struktur bzw. objektbezogen sehen, und die diejenigen, welche die Ursachen in den Prozessen bzw. den Konfliktsubjekten sehen (vgl. Glasl 2013:95). Thomas (1976) beschreibt diese zwei Paradigmen von Konfliktmodellen anhand eines Strukturmodells und eines Prozessmodells: Vertreter der objektbezogenen Perspektive sehen die zentralen Determinanten von Konflikten in sachlichen, nicht auf Konfliktsubjekte bezogenen Einflüssen und verfassen diese in Form von Strukturmodellen. Zu den zentralen Elementen zählen aus Thomas‘ Sicht Verhaltensprädispositionen der sozialen Schicht, der soziale Druck, Leistungsanreizsysteme sowie Rollen und Prozeduren (vgl. auch

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Glasl 2013:97). Vertreter der subjektbezogenen Perspektive hingegen sehen elementare Aspekte von Konflikten in psychischen und sozialen Aspekten der Konfliktsubjekte, beispielsweise im individuellen Frustrationslevel von Konfliktparteien, in subjektbezogenen Konfliktsituationsdefinitionen (Wahrnehmung und Bewertung der Situation) sowie in den Verhaltensweisen und Reaktionen der Subjekte (vgl. auch Glasl 2013:95ff.). Glasl (2013) integriert die beiden Denkrichtungen zu einer linear-kausalen und rekursiv-vernetzten Denkweise. Unter der Bezeichnung „sozial-ökologischer Ansatz“ empfiehlt er eine Verknüpfung struktureller und prozessualer Denkweisen. Saretzki (2010) wählt bezüglich der Betrachtung von Konfliktobjekten aus dem Umwelt- und Technikbereich eine ganz ähnliche Betrachtungsweise und unterscheidet zur Analyse von Konflikten auf Basis der Ausführungen von Bonacker (2008) sachliche (gegenstandsbezogene) Einflüsse, soziale (akteursbezogene) Einflüsse sowie prozedurale Einflüsse. Zu den gegenstandsbezogenen Einflüssen zählt das Konfliktobjekt (Konfliktkern) sowie die dahinterstehende Technologie. Der Konfliktkern bezieht sich dabei weniger auf das konkrete Projekt, sondern viel mehr auf die zentralen Kontroversen des Konflikts, also beispielsweise Interessensunterschiede, Kontroversen um System, Ordnung, Herrschaft, Macht oder Werte. Soziale Einflüsse beziehen sämtliche soziale Elemente eines Konflikts (Konfliktsubjekte) ein, d.h. z.B. Art und Zahl der Akteure, Dritter bzw. Intervenierender, Akteurskonstellation und -strategien, Interaktionsformen und Ebenen der Konfliktaustragung. Einflüsse der prozeduralen Dimension beziehen sich auf Faktoren in Bezug auf eine mögliche Konfliktlösung, d.h. auf den Prozess der Konfliktaustragung, der Konfliktvermittlung und der Konfliktregelung. Zur Beschreibung und Erklärung von Konflikten des Technik- und Umweltbereichs empfiehlt Saretzki die Betrachtung aller drei Dimensionen unter Einbeziehung des institutionellen Rahmens und des gesellschaftlichen Kontextes (Konfliktkontext). Unabhängig davon, ob Ansätze zur Darlegung der Determinanten von Konflikt und Akzeptanz die Unterscheidung von prozessualen und strukturellen Faktoren, die Aufteilung nach Objekt, Subjekt und Kontext, einer Hervorhebung von einzelnen Faktorgruppen wie Kommunikation und Beteiligung oder KostenNutzen-Verhältnisse vornehmen, bleibt jedoch die Betrachtung von Wirkungsfragen außen vor. Diesen Aspekt greifen Input-Output-Modelle auf. 3.2.2 Input-Output-Modelle Input-Output-Modelle berücksichtigen neben den konstituierenden Faktoren und dem Ausmaß von Akzeptanz und Konflikt auch den durch diese Prozesse entstehenden Output (vgl. Kollmann 1998:80; Schäfer & Keppler 2013:35). Ähnlich wie Input-Modelle umfassen diese Ansätze verschiedene Herangehensweisen bei

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der Bestimmung der Einflussfaktoren, hinzu kommt hier jedoch die ansatzspezifische Fokussierung auf unterschiedliche Outputs. Helmreich formuliert bereits 1980 im Zusammenhang mit der Akzeptanz von Bürotechnologie einen solchen Ansatz und konzipiert Akzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz als Ergebnis von Inputfaktoren, beispielsweise Ergonomie, Arbeitsstruktur und Übung. Die Folgen von Akzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz formuliert er durch die Outputfaktoren Ökonomie, Leistung und Arbeitszufriedenheit. Ganz ähnlich geht auch Wallau (1990) vor, wobei er Zufriedenheit als entscheidende Outputgröße definiert. Hilbig (1984) greift hingegen eine Größe auf, die vor allem in der später erläuterten Diffusions- und Nutzungsforschung eine große Rolle spielt. Er fokussiert die Nutzung einer Technologie und zwar nicht nur einmal, sondern in wiederkehrender Art, wodurch eine Implementierung der Technologie stattfindet. Hilbig unterscheidet bei den Inputfaktoren, die sich auf das Maß an Akzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz auswirken, technische Merkmale (Zustandsmerkmale, Prozessmerkmale), personale Merkmale (Erwartungen, Befürchtungen, Selbstverwirklichung, Qualifikation), organisatorische Merkmale (Entscheidungsspielraum, Tätigkeitsspielraum, Freiheitsraum) und damit die drei klassischen Akzeptanzdeterminanten sowie die Bedingungen des Einführungsprozesses. Der durch Akzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz entstehende Output äußert sich durch das Ausmaß an Zufriedenheit mit der Arbeitssituation sowie das Ausmaß der Nutzung der Technologie. Auch der Ansatz von Agarwal & Prasad (1997), der auf dem Modell von Davis (1989) aufbaut, integriert den Nutzungsaspekt, verzichtet jedoch auf den Faktor der Zufriedenheit. Die Eigenschaften der Innovation und die des Akzeptanzsubjektes sowie der Grad der Freiwilligkeit wirken sich hierbei direkt auf die Nutzung aus. Konkreter und ökonomischer orientiert formuliert Wahl (2001) seinen Ansatz zur Akzeptanz von Managementkonzepten, der auf die Frage des Projekterfolgs abzielt. Hierbei unterscheidet er für den Input Gestaltungsvariablen (z.B. sachliche Gestaltung von Objekt und Implementierungsprozess), Kontextvariablen (z.B. Erwartungen und Voreinstellungen) und Effizienzvariablen (z.B. Akzeptanz des Objektes) und legt folgende Funktionsweise zugrunde: Der erste Kontakt mit dem Akzeptanzobjekt durch Implementierungsmaßnahmen stellt den Ausgangspunkt (Informationsstand) für alle weiteren Schritte dar. Diese Maßnahmen sowie das während des Prozesses vorherrschende Vertrauen und die fachliche Eignung des Objekts wirken sich direkt auf die Akzeptanz des Objekts, jedoch auch auf die Bewertung des Implementierungsvorgangs, die nachfolgende Anwendung des Objekts und den schlussendlichen Projekterfolg aus. Die Bewertung des Implementierungsvorgangs beeinflusst dabei als moderierende Variable ebenfalls die Akzeptanz. Auf Basis des Informationsstands bilden sich Voreinstellungen (durch Bewertung angenommener Konsequenzen), die sich gemeinsam mit den wahrgenommenen Einstellungen anderer Personen und situativen

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sowie externen Einflüssen ebenfalls auf die Akzeptanz auswirken. Akzeptanz wird hierbei als Einstellung verstanden, die als einer von mehreren das tatsächliche Verhalten (Anwendung des Objekts) beeinflusst. Zugleich wird von einem Einfluss aller anderen Variablen ausgegangen. Als Output des Prozesses wird schlussendlich der Erfolg eines Projektes angesehen werden, der von Verhalten und Einstellung, jedoch ebenfalls von den anderen Faktoren in direkter Weise beeinflusst wird. Prinzipiell gilt: Die Gestaltungsvariablen sowie die Kontextvariablen wirken allesamt auf die Effizienzvariablen, die wiederum in die Outputvariable, den Projekterfolg, münden. Troja (2001) hingegen orientiert sich für die Frage nach dem Output am sozialwissenschaftlich geprägten Begriff der Legitimität. In seinem Ansatz zur Konfliktforschung bei Großprojekten mit umweltpolitischem Bezug identifiziert er drei Dimensionen (Konfliktkontexte), aus denen sich der Konfliktkern konzipiert. Der personale Kontext umfasst alle psychischen und psychologischen Strukturen und Prozesse der Akteure/Akteursgruppen (Konfliktsubjekte). Der thematische Kontext bezieht sich auf Eigenschaften des Konfliktobjekts sowie die Interessenslagen und Wertvorstellungen. Er zeigt damit die Verbindungen zwischen zentralen Konfliktthemen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, beispielsweise Werten und Ideologien auf und verdeutlicht die Defizite einer isolierten Betrachtung einzelner inhaltlicher Themen. Der institutionelle Kontext weist auf die Bedeutung von politischen und administrativen Entscheidungs- und Regelungsverfahren, die Verflechtung institutioneller Ebenen sowie Regelungen zur Partizipation hin. Die Inputfaktoren wirken sich, begleitet durch Interventionsformen, auf den Ausgang des Konflikts rund um das Konfliktobjekt aus. Der dabei entstehende Output wird im Ausmaß der Legitimität des Ergebnisses gemessen. 3.2.3 Rückkopplungsmodelle Rückkopplungsmodelle berücksichtigen zusätzlich zu Inputfaktoren, der entstehenden Akzeptanz bzw. des entstehenden Konflikts und Outputgrößen auch die Rückwirkung letzterer auf die Ausgangsgrößen. Durch die Implementierung dieser Feedbackeffekte wird die Zirkularität des Akzeptanz- bzw. Konfliktprozesses betont (vgl. Schäfer & Keppler 2013:36)42. Eine Basis hierfür, durch Darlegung eines einfachen Kreislaufes, stellt der Ansatz von Reichwald (1978) dar, der sich auf die Akzeptanz von Bürotechnologie bezieht. Aus seiner Sicht beeinflussen die klassischen Faktoren Akzeptanzobjekt (Technik, determiniert durch die dahinterstehenden technischen Grundideen – das Techniksystem), Akzeptanzkontext (organisatorische Faktoren) und Akzeptanzsubjekt (akteursbezogene 42

Vgl. hierzu auch Filipp (1996); Kollmann (1998) und Reichwald (1981).

3.2 Zentrale Ansätze und Modelle von Konflikt und Akzeptanz

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Merkmale) das Ausmaß von Akzeptanz in der jeweiligen Anwendersituation. Dieses Ergebnis wird als Primäreffekt bezeichnet, welcher sich wiederum auf Strukturen von Akteur und Organisation auswirkt (Sekundäreffekte). Hierdurch entsteht ein Rückkopplungseffekt zwischen dem Maß an Akzeptanz und der Organisation bzw. dem Akteur. Akzeptanzsubjekt, -objekt und -kontext beeinflussen sich hierdurch gegenseitig (vgl. Schäfer & Keppler 2013:37). Auch der Ansatz von Schönecker (1980) greift in seinem Rückkopplungsmodell die Dreiteilung von Subjekt, Objekt und Kontext auf, betont jedoch besonders den Aspekt der subjektiven Situationswahrnehmung. Merkmale der Technik, des organisationalen Umfelds, des Akteurs und seines technikbezogenen Verhaltens wirken sich auf die Art der Wahrnehmung der jeweiligen Anwendungssituation aus. Diese steht im Mittelpunkt des Modells und beeinflusst wiederum den Akteur, der durch sein Verhalten wiederum auf die Faktoren der Ausgangssituation sowie auf die Wahrnehmung direkt Einfluss nimmt. Das Verhalten wird zugleich durch die Faktoren der Ausgangsituation direkt beeinflusst. Auch Filipp (1996) ähnelt mit seinem Ansatz zur Akzeptanz von Kommunikations- und Informationstechnologie dem Modell von Reichwald (1978), unterscheidet jedoch stärker in Einstellungs- und Verhaltensdimension der Akzeptanz durch die Unterscheidung einer inneren und äußeren Akzeptanz. Letztere findet Ausdruck durch die Professionalität, mit der der Akteur das Objekt anwendet, wodurch sich Rückkopplungseffekte auf die Faktoren der Ausgangssituation direkt sowie über den Entwickler der Technologie ergeben. Der geisteswissenschaftlich-hermeneutische Ansatz von Gerhard Schwarz (2010) sieht im Gegensatz zu den vorigen Ansätzen keine genaue Strukturierung von Einflussfaktoren vor. Die Faktoren wie beispielsweise Eigenschaften von Konfliktobjekt und -subjekt sowie zahlreiche kontextuelle Faktoren (z.B. Konfliktgeschichte, Gesetze und Normen) wirken sich in direkter Art auf einen Konflikt aus, zugleich können interfaktorielle Wirkungen auftreten. Ein Rückkopplungseffekt entsteht dabei nicht unbedingt nur durch ein (mögliches) Konfliktergebnis, sondern auch durch den Einfluss, den eine Konfliktintervention und -analyse auf die Konfliktakteure und die Konfliktsituation hat. Neben dem Aspekt des zentrales Einflusses von Interventionsmaßnahmen rückt Gerhard Schwarz (2010) damit den Gedanken einer Veränderung von Wahrnehmungs- und Bewertungskriterien durch Interventionsmaßnahmen (beispielsweise durch Kommunikations- und Partizipationsmaßnahmen bzw. Rückkopplungseffekten hiervon) in den Mittelpunkt. Dieser Aspekt findet sich auch bei Sokianos‘ (1981) „Modell eines systematischen Konflikthandhabungsprozesses“ wieder. In diesem beschreibt Sokianos Faktoren, Prozesse und Wirkungen bei Konflikten mit dem Fokus auf Konfliktanalyse. Die Wahrnehmung der Situation (und des Konflikts) durch die Konfliktakteure, deren Kenntnisse über das Konfliktobjekt und das eventuelle Bewusstsein über die Konfliktursache (Konfliktkern) sowie die eigenen Ziele der Konfliktakteure und die

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3 Die Genese von Konflikt und Akzeptanz

Kenntnis/Einschätzung der Ziele anderer Personen stellen den Ausgangspunkt des Modells dar. Die zwischen den Akteuren ablaufende Kommunikation und Information beeinflusst in Art und Ausmaß die Wirkung dieser Einflüsse umfassend. Hinzu kommt das Interessensausmaß der Akteure an einer Minderung des Konflikts. Bei Verknüpfung aller Ziele zu einem gemeinsamen Zielkomplex ist entscheidend, inwiefern Übereinstimmung über die Ziele und der zur Zielerreichung einzusetzenden Mittel besteht. Entscheidend sind bei dieser Bewertung die Wertpräferenzen der Akteure sowie Prognosen über für die Akteure entstehende Kosten (inkl. Risiken etc.) und Nutzen in Abhängigkeit von Eintrittswahrscheinlichkeiten. Kommt bei dieser Bewertung und Erstellung des Zielkomplexes keine Einigung zustande, so erlangen weitere/andere Bewertungskriterien und Alternativlösungen sowie das Machtpotential der Akteure Bedeutung. Nicht nur Kommunikation und Information, sondern vor allem auch ausdrücklichere Handlungsformen (z.B. feindliche Aktionen) beeinflussen die Dynamik eines Konflikts und können Reaktionen hervorrufen, die wiederum Einfluss nehmen. Die Bedeutung der Rückkopplungseffekte für die Veränderung von Bewertungskriterien kommt auch im Ansatz von Granoszewski & Spiller (2012a), die sich auf Akzeptanz und Konflikte bei der Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für Bioenergie beziehen, durch. Sie weisen darauf hin, dass sich in Form von Rückkopplungseffekten die Wahrnehmung und Bewertung der technologischen Grundidee verändern kann, ebenso wie die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Die Bedeutung von Kommunikation wird auch im Ansatz von Renn (1998) aufgegriffen, der in seinem Arenamodell zu Konflikten im Umwelt- und Technikbereich fünf Subsysteme (Wirtschaft, Sozialsystem, Politik, Wissenschaft, Kultur) einer Gesellschaft definiert, durch deren Eigenschaften und Ressourcen Prozesse beeinflusst werden und in und zwischen diesen Systemen Konflikte ablaufen können (z.B. Verteilungskonflikte im Wirtschaftssystem, Legitimationskonflikte im Wissenschaftssystem). Zu den zentralen Faktoren der Subsysteme zählen dabei die sozialen Ressourcen (Geld, Sozialprestige, Macht, Evidenz, Wertverpflichtung), über die ein Konflikt aktiv beeinflusst werden kann. In jedem Subsystem muss mit der jeweils eigenen Ressource agiert werden. Innerhalb eines Konflikts können die einzelnen Teilkonflikte (Konfliktaspekte) in einzelnen Arenen (inhaltlich zuzuordnenden Subsystemen) ausgetragen werden, unter Austausch der jeweils zugehörigen Ressource und unter Beachtung der für die Arena jeweils geltenden Spielregeln. Teilkonflikte um Wissen und Wahrheit werden demnach im Wissenschaftssystem ausgetragen, Teilkonflikte um Kosten und Nutzen im Wirtschaftssystem usw. Alle Prozesse in den Arenen laufen über Kommunikation ab. Akteure (Einzelakteure, kollektive Akteure etc.) kommunizieren untereinander, um Ressourcen zu mobilisieren und gegenseitige Beeinflussungen vorzunehmen. Die Kommunikation kann dabei nicht nur direkt an die eigentlichen Konfliktakteure, sondern auch an (politische) Interessensgruppen, soziale Gruppen, potentielle Akteure, die Mas-

3.2 Zentrale Ansätze und Modelle von Konflikt und Akzeptanz

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senmedien oder die allgemeine Öffentlichkeit, also an beobachtende Gruppierungen gerichtet werden. Durch Rückkopplungsprozesse (z.B. massenmediale Berichterstattung) werden die Botschaften und deren Resonanz widergespiegelt und in den Konflikt eingebracht, wodurch z.B. weitere Ressourcen oder Unterstützer gewonnen werden können. Kontrollinstanzen achten in der Arena dabei auf die Einhaltung der Spielregeln. Je mehr Ressourcen und Unterstützung ein Akteur durch Kommunikation erwerben kann, desto eher kann er den einen Konflikt zu seinen Gunsten beeinflussen. Die vielfältigen Wirkungsformen einzelner Subsysteme bzw. Themenbereiche werden auch im Ansatz von Vester (1991, 2007), beschrieben durch Zimmermann (2009), deutlich. Hierbei werden Aspekte der Kybernetik auf die Analyse von Konflikten bei Baugroßprojekten angewendet. Die zugrundeliegende, sogenannte Sensitivitätsanalyse von Vester sieht die Analyse von Faktoren eines Systems hinsichtlich ihrer gegenseitigen Wirkungen aufeinander und damit die Erstellung von Rückkopplungsschleifen vor. Die Faktoren werden dabei auf ihre stabilisierende, kritische, puffernde und sensitive Wirkung hin geprüft und bewertet. Zimmermann (2009) gewichtet bei seiner Anwendung der Vernetzungsanalyse auf Baugroßprojekte die einzelnen Faktoren anhand ihrer Relevanz. Die Faktoren umfassen hierbei eine ähnlich große Vielfalt wie die in Kapitel 3.1 dargelegten Einflussgrößen. Im nächsten Schritt wird der gegenseitige Einfluss aller Faktoren aufeinander überprüft, in dem in Form einer Matrix abgeschätzt wird, ob ein Faktor einen anderen überhaupt nicht, wenig oder stark beeinflusst. Hierdurch können Faktoren, die besonders viel/wenig Einfluss nehmen bzw. stark/wenig beeinflusst werden, identifiziert werden. Das Verhältnis von Beeinflussung und Beeinflussbarkeit eines Faktors gibt Auskunft über dessen aktiven/reaktiven Charakter – je größer der Einfluss und je geringer die Beeinflussung, desto aktiver. Das Produkt von Beeinflussung und Beeinflussbarkeit gibt Informationen über die Dynamik, die ein Faktor einbringt – je kleiner das Produkt ist, desto puffernder wirkt der Faktor auf das Konfliktobjekt. Die Ausprägungen dieser Eigenschaften geben Auskunft über Art und Ausmaß der Wechselwirkungen zwischen den Faktoren (z.B. Katalysatoren, lethargische, markante und neutrale Faktoren) und damit auch den Einfluss auf das Konfliktobjekt. Das Modell legt die Strukturen dieser Wechselwirkungen dar. Voßebürger & Weber (1998) sowie Wiedemann (1995) wenden die Sensitivitätsanalyse von Vester zur Einschätzung der Dominanz bzw. Beeinflussbarkeit der Akteure von Konflikten vor allem im Bereich der Planungstheorie an. Nach Identifizierung der Akteure wird der gegenseitige Einfluss der Akteure aufeinander überprüft, indem in Form einer Matrix abgeschätzt wird, ob ein Faktor (hier: ein Akteur/eine Akteursgruppe) einen anderen Akteur überhaupt nicht, wenig oder stark beeinflusst. Anhand dieser Einschätzung von Beeinflussung (Dominanz) und Beeinflussbarkeit können Handlungsspielräume der Akteure aufgezeigt werden.

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3 Die Genese von Konflikt und Akzeptanz

Die Aussagekraft von Verhältnis und Produkt von Beeinflussung und Beeinflussbarkeit verhält sich gleich wie in der Vernetzungsanalyse nach Zimmermann (2009). Dominante, treibende Akteure mit geringer Beeinflussbarkeit gelten als aktiv und mit großer Hebelwirkung. Akteure mit geringer Dominanz und hoher Beeinflussbarkeit gelten als passiv. Akteure, die über geringe Ausprägungen bei beiden Elementen verfügen, werden als puffernd, mit hohen Ausprägungen als ambivalent eingestuft. Das Modell stellt somit Strukturen dynamischer Wechselwirkungen zwischen den Akteuren dar. 3.2.4 Phasenmodelle Dynamische Modelle fokussieren neben dem Prozesscharakter mit Rückkopplungseffekten auf verschiedenen Phasen von Akzeptanz und Konflikt (vgl. Stüber 2011:60). Sie betonen dadurch die hohe Dynamik von Ausprägungen sowie die Bedeutung unterschiedlicher Einflussgrößen zu unterschiedlichen Zeitpunkten (vgl. Kollmann 1998; Fischer 2002; Pfetsch 2006). Einer der zentralen Ansätze bzgl. der Akzeptanz von Innovationen stellt das Konzept von Rogers (2003) dar, der sich mit der Frage der Verbreitung von Innovationen in der Gesellschaft beschäftigt. Hierbei entscheiden aufeinander aufbauende Prozessschritte darüber, ob und wie eine Innovation übernommen oder abgelehnt wird, wodurch Aspekte der Akzeptanz aufgegriffen werden. Die bisherige Situation, die Probleme und Bedürfnisse sowie die Normen und die Innovativität des Akzeptanzobjekts stellen die Ausgangssituation für diesen Prozess dar. Auf dieser Basis entwickelt sich das Wissen des Akzeptanzsubjekts (beeinflusst durch individuelle Merkmale des Akzeptanzsubjekts), das die Einstellung/Überzeugung des Akzeptanzsubjekts gegenüber dem Objekt prägt. Hieraus folgt die Entscheidung für oder gegen das Objekt. Im Falle einer positiven Entscheidung beeinflusst diese die Implementierung sowie die eventuelle Bestätigung (z.B. Handlungswiederholung, vgl. Schäfer & Keppler 2013:39). Akzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz lässt sich dabei aus den Ergebnissen der Überzeugungsphase (Einstellungsakzeptanz) und Implementierungsphase (Handlungsakzeptanz) ableiten. Formen von Kommunikation können den Prozess beeinflussen. Auch Kollmann (1998) greift diesen Grundgedanken aufeinander aufbauender Prozessschritte in seinem Ansatz zur Akzeptanz von Nutzungsgütern und -systemen auf und definiert die Faktoren Wahrnehmung, Interesse am Objekt, die Abwägung von Erwartungen und die schlussendliche Bewertung als Determinanten der Einstellungsakzeptanz. Diese konzipiert sich aus der Einstellung gegenüber dem Objekt selbst, Erwartungen an eine mögliche Handlung (z.B. Kauf) sowie an eine mögliche Nutzung. Hierdurch beeinflusst, konzipiert sich die Handlungsakzeptanz aus Erprobung/Erfahrung (inkl. Einflüsse durch Beratung, etc.), die Hand-

3.3 Conclusion zur Genese von Konflikt und Akzeptanz

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lung selbst (z.B. Kauf/Übernahme) sowie die Implementierung. Sie enthält zudem Erwartungen an eine mögliche Nutzung. Rahmenbedingungen des Nutzungsumfelds sowie die vorausgegangenen Prozesse (z.B. Handlung) beeinflussen die Nutzungsakzeptanz, eine erweiterte Form der Handlungsakzeptanz. Die drei Formen der Akzeptanz bilden schlussendlich die Gesamtakzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz ab. Durchweg andere Prozessschritte, jedoch einen ähnlichen Gedanken aufeinander aufbauender Stufen beschreibt Pfetsch (2006) in seinem Ansatz über zwischenstaatliche Konflikte. Externe und interne Akteure, Formen von Bedrohung oder Unterstützung, Wahrnehmung und Vergleich eigener und fremder Interessen beeinflussen hierbei in der Anfangsphase die Entstehung eines Konflikts. In verschiedenen Stufen der Eskalation kann sich hieraus eine Krise und daraus Krieg entwickeln. Werden die Beziehungen daraufhin nicht abgebrochen, sondern weitergeführt, so sind als Ergebnis von Verhandlungen ein konsensuales Übereinkommen (wechselseitige Zustimmung), ein erzwungenes Ergebnis (Druck) oder weitere Formen von Auseinandersetzungen möglich. Die Möglichkeit von Verhandlungen mit dem Ziel einer gemeinsamen Einigung besteht dabei prinzipiell immer wieder. Dieser Aspekt der wiederkehrenden Möglichkeit zur Konfliktbeilegung durch Findung einer gemeinsam akzeptierten Lösung empfiehlt sich als Übertrag auf das Forschungsfeld der Großprojekte, im Sinne des dynamischen Charakters von Konflikt- bzw. Akzeptanzprozessen. 3.3 Conclusion zur Genese von Konflikt und Akzeptanz Die aufgezeigten Einflussgrößen und ihre Wirkungsweisen weisen auf eine hohe Komplexität der Genese von Akzeptanz und Konflikt bei Großprojekten hin. Die Betrachtung einer großen Bandbreite von Studien hat sich hierbei als besonders wertvoll herausgestellt, um die Vielfalt an Großprojektarten aufgreifen zu können. Hierbei steht vor allem die verstärkte Einbindung zivilgesellschaftlicher, lebensweltlich orientierter Projekte in die bislang umwelt- und techniklastige Großprojektforschung im Vordergrund. Die Vielfalt unterschiedlicher Herangehensweisen ermöglicht eine umfassende Betrachtung des Forschungsgegenstandes. Auf den ersten Blick geben einfach strukturierte Akzeptanz- und Konfliktmodelle (vgl. z.B. Allerbeck & Helmreich 1984; Schönecker 1985; Eidenmüller 1986; Joseph 1990; Helmreich 1980; Schönecker 1980) einen guten Überblick über prinzipielle Einflussgrößen der Genese von Akzeptanz bzw. Konflikt, lassen jedoch kaum konkrete Aussagen über die Wirkungsmechanismen dieser Größen zu. Output-Modelle weisen auf die weiteren Effekte, die durch Akzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz entstehen können, hin und verdeutlichen hierdurch, dass Akzeptanz kein Selbstzweck ist,

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3 Die Genese von Konflikt und Akzeptanz

sondern wiederum weitere Folgen mit sich bringt. Dies kann zugleich als Hinweis darauf gewertet werden, dass höchste Relevanz einer umfassenden Betrachtungsweise bei jenen Prozessen besteht. Rückkopplungsmodelle, die verschiedene Formen von Feedbackeffekten aufzeigen (vgl. z.B. Vester 1991, 2007; Sokianos 1981), weisen auf verschiedene interfaktorielle Wirkungen hin, die einen weiteren Beitrag zur Erklärung der komplexen Ausgangssituation leisten. Der Blick auf unterschiedliche Stufen eines Generierungsprozesses im Zeitverlauf, wie es Phasenmodelle aufzeigen, weist darauf hin, dass sich unterschiedliche Stufen auch bei den Auswirkungen ergeben können. Unter Anwendung der für Controllingzwecke von Kommunikationsprozessen eingesetzten Ansatzes der Unterscheidung der Wirkungsdimensionen Output, Outcome und Outflow (vgl. Rolke & Zerfaß 2010:52) lassen sich Effekte strukturiert darstellen und analysieren. Outputfaktoren umfassen z.B. Kosten- und Nutzenaspekte, die Stimmung unter den Akteuren, Outcomefaktoren beispielsweise die individuelle Wahrnehmung des Prozesses und entsprechend gerichtetes Verhalten. Outflowgrößen beziehen sich z.B. auf Effekte, die durch ein entsprechendes Maß an Akzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz entstehen, z.B. optische oder größenbezogene Veränderungen eines Projektes aufgrund mangelnder Akzeptanz der vorgeschlagenen Ausführung. Gerade Phasen- sowie Rückkopplungsmodelle leisten zur Ergründung dieser vielfältigen Wirkungsprozesse einen wertvollen Beitrag. Beachtung finden sollten auch die thematischen Schwerpunktsetzungen der einzelnen Ansätze. Ansätze mit Bezug zu Informations- und Kommunikationstechnologie im Umfeld einer Organisation bzw. eines Unternehmens legen den Schwerpunkt auf Strukturen und Prozesse der Mikro- und Mesoebene (vgl. z.B. Hilbig 1984; Agarwal & Prasad 1997). Durch diesen Fokus und die Spezifika der mit den Akzeptanzobjektarten einhergehenden Einflussgrößen sind diese Ansätze wichtig, um Gesamtzusammenhänge zu überblicken, jedoch in ihren Details nur bedingt für die Ergründung von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten geeignet. Jüngere konflikt- bzw. akzeptanzorientierte Modelle (vgl. z.B. Saretzki 2010; Huijts et al. 2012; Schmidt 2015; Zöllner 2011 siehe Schäfer & Keppler 2013) befassen sich hingegen gezielt mit Objekten aus dem Umwelt- und Technikbereich und stellen eine solide Grundlage für eine umfassende Betrachtungsweise dar. Hierbei haben sowohl akzeptanz- als auch konfliktbasierte Ansätze ihre Daseinsberechtigung für die Großprojektforschung. Während Akzeptanzmodelle vorwiegend individuelle und nutzerorientierte Sichtweisen einnehmen, wird sozialen Dynamiken sowie gesellschaftlichen oder politischen Einflüssen nur in einzelnen Modellen umfassend Platz eingeräumt. Kontextebene der Modelle und Ansätze ist vor allem die Mesoebene in Form von Gruppen, Institutionen oder Organisationen, die als Umfeld fungieren (vgl. z.B. Kollmann 1998; Rogers 2003). Konfliktbezogene Ansätze hingegen fokussieren weniger auf individuelle Merkmale und Prozesse,

3.3 Conclusion zur Genese von Konflikt und Akzeptanz

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sondern legen ihre Schwerpunkte eher auf meso- oder makrosoziale Elemente und Dynamiken. Die Schwerpunktsetzungen lassen sich auf die Quelldisziplinen (Wirtschafts- bzw. Arbeitswissenschaft und Soziologie bzw. Politikwissenschaft, vgl. hierzu auch Kapitel 2) zurückführen. Um anhand von Modellen und Ansätzen die Genese von Akzeptanz und Konflikt43 ganzheitlich nachvollziehen zu können, eignen sich weder rein auf die Mikro- noch auf Meso- oder Makroebene spezialisierte Konzepte. Vielmehr muss die Beachtung sämtlicher Dimensionen in den Vordergrund rücken und damit, neben den umfassenden Kontextfaktoren, sowohl die Beziehung zwischen Objekt und Subjekt als auch die zwischen Subjekten entstehende Beziehung. Bezüglich der inhaltlichen Schwerpunkte finden sich quer durch alle Modell- und Ansatzarten Hinweise zur Bedeutung der Kommunikation (Art und Ausmaß, Inhalte, Kommunikatoren, Formen, Instrumente etc.) und den KostenNutzen-Verhältnissen (Art und Ausmaß von Kosten und Nutzen, Veränderungen, Auswirkungsgerechtigkeit etc.), wodurch die in den vorigen Erläuterungen angerissenen Überlegungen zur Bedeutung dieser beiden Aspekte gestützt werden. Bedeutung wird im Hinblick auf die Wirkungsweise bestimmter Faktoren auch der subjektiven Wahrnehmung der Akteure eingeräumt. Dies betont den Aspekt individuell konstruierter Realitäten mit entsprechenden Folgen für die Einstellungsbildung und Verhaltensweisen der Akteure. Insgesamt machen die Ausführungen einen Strukturierungsbedarf der Einflussgrößen auf Konflikt und Akzeptanz deutlich. In der Mehrzahl der aufgezeigten Modelle können die Einflussgrößen den Dimensionen Objekt, Subjekt und Kontext zugeordnet werden. Bei Faktoren, die jedoch im Falle direkter Wirkung und engem Zusammenhang eher dem Subjekt oder Objekt, bei weiteren Wirkungskreisen eher dem Kontext zugeordnet werden (z.B. direkte soziale Umgebung eines Akteurs und allgemeines Sozialgefüge), wird eine reliable Zuordnung schwierig. Die Zuordnung zu Objekt, Subjekt oder Kontext ist letztlich jedoch eher eine Strukturierungsmethode für Einflussgrößen, um deren Zugehörigkeit deutlich zu machen. Für weitere, themenbezogene Betrachtungen und Analysen eignet sie sich aufgrund dessen nur bedingt. Hinzu kommt, dass die Strukturierungsweise für eine themenbezogene Betrachtung der Einflussgrößen ungeeignet ist, da sie diese einerseits zu wenig detailliert unterteilt und zugleich aber Faktorengruppen aufteilt, die thematisch zusammengehören (Beispiel: durch einzelne Akteure kommunizierte Themen sind subjektbezogene Faktoren, gesellschaftlich diskutierte Themen sind kontextbezogene Faktoren). Es zeigt sich, dass sich die 43

Konflikt wird hier entsprechend der obigen Ausführungen in Kapitel 2 als Sonderfall von Nicht-Akzeptanz definiert, nämlich als durch Handeln im sozialen Raum wirksam werdende Nicht-Akzeptanz mit Rückkopplungseffekten (z.B. Sichtbarwerden gegensätzlicher Positionen anderer Akteure, gegensätzliche Handlungen). Konflikt spielt sich demnach im sozial wirksam werdenden Bereich von Nicht-Akzeptanz ab.

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3 Die Genese von Konflikt und Akzeptanz

identifizierten Faktoren durch das in Kapitel 3.1 erläuterte Modell zur Strukturierung von Einflussfaktoren auf Großprojektkonflikte (vgl. Schmalz 2013) besser abbilden lassen. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird deshalb bevorzugt auf eine thematische Aufteilung potentieller bzw. empirisch nachgewiesener Einflussgrößen zurückgegriffen. Hinsichtlich der empirischen Relevanz der einzelnen Faktoren wird deutlich, dass viele der Einflussgrößen und ihre Wirkungsweisen weitestgehend auf Basis theoretischer Überlegungen identifiziert und beschrieben werden (vgl. z.B. Huijts et al. 2012). Nur teilweise sind die Ansätze durch empirische Überprüfungen validiert. Qualitativ sind jedoch auch hier Unterschiede zu erkennen. Während einige Ansätze durch begründete Methodik und entsprechend gewählte Art und Anzahl der Untersuchungsobjekte hervorstechen (vgl. z.B. Schweizer-Ries et al. 2010), beruhen andere Ansätze auf intransparent aufgeführter oder unzureichender theoretischer Fundierung, unzureichend detailliert beschriebenen Argumentationsmustern und Methodiken sowie unzureichenden Fallzahlen, teils bei den ausgewählten Projekten/Objekten, teils bei den befragten Personen (vgl. z.B. Schreck 1998; Liebecke et al. 2011). So liegen bei Untersuchungen zu Großprojekten vor allem zweierlei Arten vor: (Repräsentative) Studien, die auf Meinung und Einstellung sowie teilweise auf die Handlungsbereitschaft der Gesellschaft bzw. der Akteure bei Großprojekte fokussieren (vgl. z.B. Henseling et al. 2016; Institut für Demoskopie Allensbach 2011; Bentele et al. 2015a) sowie Einzelfallstudien zu spezifischen Projekten (vgl. z.B. Schäfer & Keppler 2013; Hübner & Hahn 2013; Ruschkowski 2010). Projektvergleichende Studien von Einflussfaktoren und damit Studien, die über den Einzelfall oder den Vergleich einer kleinen Fallzahl an Projekten hinausgehen, stehen jedoch aus. Die obigen Ausführungen legen eine detaillierte Betrachtung der durch Leitfrage L2 „Welche Determinanten von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten lassen sich identifizieren? Auf welche Weise beeinflussen die einzelnen Faktoren die Genese von Akzeptanz bzw. Konflikten bei Großprojekten?“ angeregten Thematiken nahe, vor allem hinsichtlich der konkreten, empirischen Bedeutung von potentiellen Faktoren als Determinanten von Akzeptanz (und Konflikt). Strukturiert durch das in Kapitel 3.1 vorgestellte Modell mit seinen fünf Themenbereichen (Schmalz 2013) lassen sich aus der Leitfrage folgende Forschungsfragen ableiten: F2.1.: In welcher Form beeinflussen Eigenschaften eines Projektes, z.B. der Projektstandort, die Genese? F2.2: In welcher Form beeinflussen Aspekte, die den Akteuren und ihrem sozialen Umgang zuzuordnen sind, die Genese? F2.3: In welcher Form beeinflusst die prozessuale Ausgestaltung der Projekte die Genese?

3.3 Conclusion zur Genese von Konflikt und Akzeptanz

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F2.4: In welcher Form beeinflussen verschiedene Formen der Kommunikation, die im Rahmen eines Projekte stattfindet, die Genese? F2.5: In welcher Form beeinflussen staatsbezogene und gesellschaftlich zu verortende Aspekte die Genese?

4 Kosten- und Nutzenaspekte von Konflikt und Akzeptanz

Eine „Nichtidentität von Gewinnern und Verlierern“ erkennt Feindt (2010:23f.) und bezieht sich dabei auf die positiven und negativen Effekte, die mit einem Großprojekt einhergehen können (vgl. auch Kapitel 3). Das Verhältnis von positiven Effekten, nachfolgend auch Nutzen genannt, beispielsweise in Form von Vorteilen, Erträgen oder Erleichterungen, sowie negativen Effekten, nachfolgend auch Kosten genannt, in Form von Nachteilen, Schäden oder Risiken, wird zu den zentralen Einflussgrößen der Genese von Akzeptanz und Konflikt gezählt (vgl. u.a. Schäfer & Keppler 2013; Huijts et al. 2012; Schreck 1998; Renn & Webler 1998; Hüsing et al. 2002; Schweizer-Ries et al. 2010; Zwick & Renn 2002). Spezifisch auf die Akzeptanz von Großprojekten bezogen, wird hierbei dezidiert von der Verteilung von Kosten und Nutzen auf alle Projektakteure gesprochen, die als Bestandteil der kognitiven Komponente von Einstellungsbildung (vgl. Simon 2001:87) den Akzeptanzprozess insgesamt beeinflusst (vgl. z.B. Schweizer-Ries et al. 2010:93ff.; Feindt 2010:9,18; Benighaus et al. 2010:275). Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive kann unter Kosten ein „bewerteter Verzehr von wirtschaftlichen Gütern materieller und immaterieller Art zur Erstellung und zum Absatz von Sach- und/oder Dienstleistungen sowie zur Schaffung und Aufrechterhaltung der dafür notwendigen Teilkapazitäten“ (Wischermann et al. 2013:1832) verstanden werden. Das betriebswirtschaftliche Pendant zum Kostenbegriff ist jedoch nicht der Nutzen, sondern der Begriff der Leistung, womit das Ergebnis betrieblicher Herstellungsprozesse, z.B. Waren oder Dienstleistungen (vgl. auch Moews 2002), bezeichnet wird. Kosten werden dabei als Inputgrößen, Leistungen als Outputgrößen angesehen (vgl. Audi 2014:152f.). Der Nutzenbegriff entstammt hingegen volkswirtschaftlichen Zusammenhängen und bezeichnet abstrakt gesprochen „die Fähigkeit eines Gutes, ein bestimmtes Bedürfnis des konsumierenden Haushalts befriedigen zu können“ (Suchanek et al. 2013:2229). Entsprechend dieser Begriffshistorie wurden Kosten-NutzenFragen bei (Groß)Projekten in der Vergangenheit meist aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive (z.B. hinsichtlich monetärer Aspekte, vgl. Pöpping 2008) oder ingenieurswissenschaftlicher Perspektive (hinsichtlich prozessbezogener Aspekte, z.B. zeitlichen Verzögerungen, vgl. Diederichs 1999) betrachtet, obwohl es zahlreiche Hinweise darauf gibt, dass auch soziale, ökologische oder © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 I. M. Schmalz, Akzeptanz von Großprojekten, Politik gestalten – Kommunikation, Deliberation und Partizipation bei politisch relevanten Projekten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23639-7_4

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4 Kosten- und Nutzenaspekte von Konflikt und Akzeptanz

psychische Größen relevant sind (vgl. u.a. Degenhardt 1986; Krause 2006; Huijts et al. 2012; Sokianos 1981; Zöllner 2011 siehe Schäfer & Keppler 2013). Eine interdisziplinäre Betrachtung von Kosten und Nutzen bei Großprojekten im Sinne aller positiven und negativen Effekte erfordert daher aus verschiedenen Gründen ein offeneres Begriffsverständnis: Erstens ist für die Einschätzung, Wahrnehmung, Bewertung und Reflektion von Art, Ausmaß, Aufteilung und Verhältnis der negativen und positiven Effekte weniger das faktische Vorkommen bei Großprojekten von Bedeutung, sondern im Sinne einer konstruktivistischen Herangehensweise vielmehr die subjektive Perspektive der Akteure (vgl. hierzu z.B. Beck & Schwarz 2008; Bardmann 1991; Berger et al. 2013). Zweitens ist davon auszugehen, dass sich diese subjektive Sichtweise nicht nur auf das im Fokus stehende Großprojekt erstreckt, sondern ebenfalls alternative Lösungen umfasst. Miteinberechnet werden damit auch Opportunitätskosten bzw. -nutzen. Drittens kann angenommen werden, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis eines Projektes in reziproker Beziehung zu seinem Akzeptanz- bzw. Konfliktprozess steht, da es einerseits als zentraler Konfliktbzw. Akzeptanztreiber fungieren kann, andererseits selbst durch Konflikt und Akzeptanz beeinflusst wird (vgl. u.a. Schweizer-Ries et al. 2010). Letzteres umfasst beispielsweise Kosten und Nutzen, die durch Handlungen (z.B. vermehrte/verminderte Kommunikationstätigkeit) oder Folgen (z.B. finanzielle Belastung/Entlastung) entstehen. Viertens lassen sich Kosten und Nutzen hinsichtlich ihrer Intention unterscheiden, sie können gleichermaßen intendiert wie nicht intendiert auftreten (vgl. Stransfeld 1993). Unter diesen Bedingungen soll nachfolgend der Kostenbegriff sämtliche negative Effekte bzw. negative Aspekte, Aufwendungen, Nachteile und Schäden etc. umfassen, die im Rahmen eines Großprojektes und seiner Prozesse wahrgenommen werden, sei es als aktiv vorgenommene Maßnahme im Zusammenhang mit dem Projekt oder als Folge des Projekts. Der Nutzenbegriff bezeichnet entsprechend nachfolgend alle positiven Effekte bzw. positiven Aspekte, Erlöse, Chancen oder Vorteile etc., die im Rahmen eines Großprojektes und seiner Prozesse wahrgenommen werden. Mit Blick auf obige Ausführungen muss die Grundlagenschaffung für die diesbezüglich formulierte Leitfrage nach der Bedeutung von Kosten- und Nutzenaspekten bei Großprojekten (vgl. auch Kapitel 1) in zwei Stufen unterteilt werden: Zum einen muss geklärt werden, wie Kosten-Nutzen-Verhältnisse prinzipiell operationalisiert werden können. Hierzu werden ausgewählte Ansätze vorgestellt, die verschiedene Arten der Verrechnung von Kosten und Nutzen mit Blick auf die Bewertung eines Objektes umfassen. Im zweiten Schritt stellt sich die Frage, von welchen Kostenformen und Nutzenformen überhaupt gesprochen werden sollte. Die explizite Auseinandersetzung mit den einzelnen Arten von Kosten und Nutzen folgt deshalb im Anschluss.

4.1 Konzepte des Kosten-Nutzen-Ansatzes

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4.1 Konzepte des Kosten-Nutzen-Ansatzes Wenn Kosteneffekte und Nutzeneffekte aus einem Großprojekt heraus entstehen können und dieses unter Berücksichtigung dieser Kosten und Nutzen bewertet wird, nach welchem Schema werden dann welche Effekte zur Bewertung eines Projekts und seiner Prozesse herangezogen und zu welchem Ergebnis führen sie? Zur Annäherung an diese Frage empfiehlt sich ein interdisziplinärer Blick auf verschiedene Analyse-, Bewertungs- und Entscheidungsansätze. Die Entscheidungstheorie bezieht sich hierfür auf das subjektiv empfundene Verhältnis zwischen Befriedigung (sämtliche wahrgenommenen und vermutete Formen von Nutzen44) und Belastung (sämtliche wahrgenommenen und vermuteten Formen von Kosten), das aus einer Alternative heraus entsteht, beeinflusst bzw. gewichtet durch wahrgenommene Eintrittswahrscheinlichkeiten, Motive und Bedürfnisse der bewertenden Individuen sowie die Wahrnehmung der zur Entscheidung stehenden Alternativen (vgl. Simon 2001:91; Portney 1991:26f.; Lober & Green 1995). Der wahrgenommene Nutzen abzüglich der wahrgenommenen Kosten entspricht dabei dem Nettonutzen. Zieht man hingegen den Nutzen von den Kosten ab, wird von den Nettokosten gesprochen. Ob ein Objekt Ablehnung oder Akzeptanz findet, wird demnach vor allem an der Balance zwischen Kosten und Nutzen festgemacht (vgl. Portney 1991:25; Hadden & Hazelton 1980; Mitchell & Carson 1986). Ähnlich modelliert die Subjective Expected Utility-Theorie (vgl. Savage 1954), die der Rational Choice-Theorie nahesteht, die Ausgangssituation und betont zudem die Unsicherheit über die zu erwartenden Konsequenzen einer Alternative. Die bewertenden Individuen entscheiden dabei unter Zuhilfenahme subjektiv bestimmter Wahrscheinlichkeiten des Nutzeneintritts auf Basis vorhandener Informationen (vgl. auch Esser 1993). Ähnlich ist bei diesen Ansätzen die Schlussfolgerung hinsichtlich der Entscheidung: Ist das Ergebnis kleiner als Null, so ist es mit negativen Nettokosten gleichzusetzen und damit überwiegenden Nutzenaspekten (positiver Nettonutzen). Liegt dies vor, so wird von einer Zustimmung zum Projekt ausgegangen. Sind die Nettokosten positiv, so überwiegen die Kostenaspekte und es ist von einer Ablehnung des Projekts auszugehen (vgl. Portney 1991:26; O'Hare et al. 1993:73; Lober & Green 1995). Dabei wird nicht zwingend ein rein monetäres Kosten-NutzenVerständnis angenommen, vielmehr werden sämtliche Belastungen und Erleichterungen, die von den bewertenden Personen wahrgenommen werden, einbezogen, z.B. Arbeitsplätze und Steuereinnahmen ebenso wie Gesundheits- und Umweltrisiken, Belastungen durch Verkehr oder Lärm, Wertverluste bei Immobilien, Imageschädigungen oder wahrgenommene Risiken aller Art (vgl. z.B. Lober & Green 1995; Massey 1978; O'Hare et al. 1993; Hanusch 2011). Ob ein 44

Einschließlich Kompensationen, z.B. Ausgleichszahlungen (vgl. Portney 1991:26f.).

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4 Kosten- und Nutzenaspekte von Konflikt und Akzeptanz

Aspekt bzw. ein Thema insgesamt als Kostenfaktor oder als Nutzenfaktor konnotiert wird, hängt unter anderem von den individuellen Voraussetzungen des Bewertenden ab. Beispielsweise kann die Entfernung zum Großprojekt eine Rolle spielen, wenn bestimmte Aspekte ausschließlich lokal wahrnehmbar sind (z.B. Kosten in Form von Lärmbelästigung), andere Aspekte (z.B. Nutzen in Form von elektrischer Energie) jedoch über eine Region hinaus wirksam werden (vgl. Aeschbacher 2006:14; Portney 1991:25). Betriebswirtschaftliche Ansätze gehen ähnlich wie entscheidungstheoretische Ansätze vor, legen jedoch andere Kriterien zugrunde. Bei der entsprechenden Kosten-Nutzen-Analyse werden beispielsweise vergleichende Beurteilungen zwischen verschiedenen (Handlungs)Alternativen durchgeführt, die Alternative mit der größten Differenz zwischen Kosten und Nutzen ist danach zu bevorzugen (vgl. Müller-Stewens et al. 2013; van Wee & Tavasszy 2008). Notwendig hierfür ist die valide Prognose und Bewertung der monetär fassbaren Kosten- und Nutzengrößen, mit der entsprechende Herausforderungen einhergehen45. Diese Form der Analyse bezieht sich vor allem auf die quantitativen Aspekte verschiedener Alternativen (z.B. benötigte Rohstoffe, Personalaufwand, Flächenbedarf, vgl. Nida-Rümelin & Schulenburg 2013b:225). Qualitative Aspekte, z.B. ökologischer oder sozialer Art, werden kaum einbezogen, vor allem aufgrund der Schwierigkeit einer validen Quantifizierung dieser Größen (vgl. hierzu z.B. Macharzina & Wolf 2008:858). Im Vergleich dazu umfassen Kosten-Wirksamkeits-Analysen keine monetäre Nutzenbewertung. Vielmehr werden hier monetär bewertete Kosten und das damit zu erzielende Ausmaß an Zielerreichung (Nutzenäquivalent), also der Zielerreichungsgrad unterschiedlicher Alternativen verglichen (vgl. Witte & Voigt 1985:33; Meyke 1972). Multikriterienanalysen wiederum können im Vergleich zur monokriteriellen, monetär-fokussierten Kosten-Nutzen-Analyse auch qualitative bzw. schwer quantifizierbare Aspekte enthalten und betonen eine wertbezogene Gewichtung (vgl. van Wee & Tavasszy 2008:41f.). Marketingorientierte, stärker auf individuelle Kaufentscheidungen bezogene Ansätze beziehen sich wiederum auf ein umfassendes Verständnis von Kosten, Nutzen und subjektiven Gewichtungsprozessen, ähnlich den entscheidungstheoretischen Ansätzen (vgl. hierzu Kotler & Armstrong 2016). Erwähnung finden muss bei sämtlichen Ansätzen die beschränkte Rationalität, unter der diese Bewertungs- und Abwägungsprozesse in Bedingungen der Unsicherheit stattfinden. Diese bringt die Heranziehung von Heuristiken sowie die unvollständige Verarbeitung von Informationen bei individuellen Beurteilungs- und Entscheidungsprozessen mit sich. Zu den Heuristiken zählen beispielsweise die Repräsentativität einer Situation, die Verfügbarkeit von Szena45

Für verschiedene Ansätze zur betriebswirtschaftlichen Prognose von Kosten bei Großprojekten vgl. z.B. Wildemann (1982:6ff).

4.1 Konzepte des Kosten-Nutzen-Ansatzes

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rios oder Vergleichsfällen sowie Fixpunkten zum Vergleich (vgl. Tversky & Kahneman 1974; Simon 2001:91). Auch bei kommunikationswissenschaftlichen Ansätzen kommt die Heranziehung unterschiedlicher Parameter (hier: Themen) zur Bewertung einer Sache oder Person zum Tragen, beispielsweise beim Priming-Ansatz aufbauend auf dem Agenda-Setting-Ansatz. Agenda-Setting-Ansätze gehen davon aus, dass Themen, die als relevant erachtet werden, individuell (und gesellschaftlich) strukturiert werden, beeinflusst durch die den Themen zugeordnete Wichtigkeit (vgl. Rogers & Dearing 1988:565). Diese Struktur kann durch thematische Diversifikation und Mehrdimensionalität geprägt sein und selbst verschiedenen Einflussfaktoren unterliegen, z.B. der individuellen Wahrnehmung und Verarbeitung, medialen Einflüssen oder der Interaktion mit dem sozialen Umfeld (vgl. z.B. Iyengar & Kinder 1985; Greendale & Fredin 1977; Ferguson & Weigold 1986; MacKuen 1984; Eichhorn 2005). Als eine Folge dieser Themenstruktur bzw. Themenagenda wird der mögliche Einfluss dieser auf Einstellungs- und Verhaltensmuster (und damit auf die Bewertung einer Sache oder einer Person) des jeweiligen Individuums angesehen (Priming-Effekt). Vereinfacht gesagt, greift das Individuum für Anhaltspunkte bei seiner Bewertung (und ggf. bei darauffolgenden Handlungen) bevorzugt auf jene Themen zurück, denen zuvor eine größere Wichtigkeit zugeordnet wurde (vgl. hierzu z.B. Iyengar & Kinder 1985). „Priming […] bedeutet die Steuerung der Bewertungsgrundlagen eines Objekts auf der Basis der Salienz seiner Merkmale“ (Eichhorn 2005:45). Übertragen auf die Bewertung von Großprojekten und mit Blick auf vorhergehende Kosten-Nutzen-Ansätze könnten beim Priming-Ansatz Kosten- und Nutzenaspekte in Form subjektiv positiv oder negativ konnotierter Themen inklusive ihrer jeweiligen Gewichtung erfasst werden. Goldschmidt (2012) greift in einer sozialwissenschaftlichen Betrachtung Entscheidungssituationen unter Unsicherheiten und Risiko wie auch die Entscheidung unter Berücksichtigung positiver und negativer Effekte des Entscheidungsverfahrens auf: Für die gezielte Bewertung von Verfahren sieht Goldschmidt (2012: 245ff.) in der statischen Bilanzierung von Kosten und Nutzen Defizite, vor allem mit Blick auf die Entscheidungssituation, die beispielsweise durch unvollständige Informationen und Unsicherheiten bezüglich zukünftiger Entwicklungen geprägt sein kann. Er fokussiert bei seiner Argumentation auf Effizienzfragen bei Dialogund Beteiligungsverfahren und regt diesbezüglich zur ganzheitlichen Betrachtung unter Anwendung dynamischer Ansätze, z.B. dem wirtschaftswissenschaftlichen Realoptionsansatz (vgl. z.B. Hommel & Pritsch 1999; Meise 1998), an. Der Ansatz greift im Grundsatz bei der Bewertung von Optionen (hier: Alternativen) auf Kontextbedingungen und damit zusammenhängende Dynamiken einzelner Parameter zurück. Vorteile bei der Anwendung dieses Ansatzes sieht Goldschmidt (2012: 247) vor allem in der Einbeziehung der Kontextfaktoren und in der nicht aus-

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4 Kosten- und Nutzenaspekte von Konflikt und Akzeptanz

schließlich kurzfristig angelegten Bewertung der Alternativen: „Die Bewertung von Investitionsoptionen bezieht neben den unmittelbaren Gewinnen die vermittelten Wirkungen und Handlungsoptionen ein, die durch die direkten Wirkungen einer Investition erst geschaffen werden“ (ebd.). Verteilungs- und Bewertungsfragen von Kosten und Nutzen Die obigen Ausführungen weisen bereits vereinzelt auf die Bedeutung von Gewichtung und Bewertung der einzelnen Kosten- und Nutzeneffekte hin. NidaRümelin & Schulenburg (2013b) unterscheiden „drei Phasen der Auseinandersetzung mit Risiken“, die sich erweitert auf die Betrachtung von Kosten und Nutzen anwenden lassen: Risikoidentifikation, Risikobewertung und Risikobeurteilung. In der Phase der Identifikation stehen die Arten von Kosten und Nutzen, die in die subjektive Bewertung einfließen, im Mittelpunkt. In der zweiten Phase werden die Effekte individuell bewertet. Dies umfasst beispielsweise die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Effekt eintreten könnte und mit welcher Schadens- bzw. Nutzenhöhe dadurch bei einem Projekt für den Bewertenden zu rechnen ist. Die dritte Phase widmet sich der Gesamtbeurteilung dieser Aspekte und der Abschätzung, ob die Kosteneffekte unter diesen Voraussetzungen aus ethischer bzw. subjektiver Hinsicht vertretbar sind. Während die ersten beiden Phasen ökomische Fragen umfassen, bezieht sich die dritte Phase auf Fragen ethischer Art (vgl. ebd.:223). Werden die drei Schritte an die klassische Kosten-Nutzen-Analyse angelegt, so zeigen sich verschiedene Defizite, beispielsweise die bereits erwähnte Fokussierung auf monetär bewertbare Effekte, die fehlende Bewertung der Eintrittswahrscheinlichkeiten und Opportunitätseffekte sowie die nicht vorhandene subjektive Einordnung des Ergebnisses (vgl. ebd.:225). Gerade diese Aspekte scheinen jedoch im vorliegenden Kontext von zentraler Bedeutung. Wie von Nida-Rümelin & Schulenburg bereits angesprochen, werden für die Gewichtung und Bewertung identifizierter vorteil- und nachteilhafter Effekte eines Projektes neben der Eintrittswahrscheinlichkeit auch die Ausmaße der Effekte (Schadens- bzw. Nutzenwert) herangezogen. Hinzu kommt eine Einschätzung qualitativer Merkmale, z.B. anhand der Frage, ob Kosten und Nutzen freiwillig oder erzwungener Maßen auf sich genommen werden und ob die Effekte kontrollierbar oder unkontrollierbar durch den Projektträger oder auch die Betroffenen selbst sind (vgl. u.a. Renn 2012b:185). Die Gewichtung der Kostenund Nutzenaspekte hängt zudem u.a. von der Situation des Gewichtenden ab. Ist dessen Situation (z.B. Wohlstand bzw. Lebensstandard, Gewohnheiten) bereits auf einem hohen Niveau verankert, so bedarf es anderer (und vermutlich höherer) Nutzenaspekte, um Belastungen auszugleichen als bei Personen, die über ein niedrigeres Niveau verfügen (vgl. RWE 2012:44f.,52,228,250). Vereinfacht

4.1 Konzepte des Kosten-Nutzen-Ansatzes

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gesagt sind Akteure, die bereits über viel verfügen, schwerer zufrieden zu stellen, da sie die kommunizierten Nutzenaspekte als selbstverständlich erachten (vgl. RWE 2012:145). Hierbei wird von einer „postmateriellen Sattheit“ gesprochen (RWE 2012:45). Gleiches gilt in umgekehrtem Verhältnis für die Auswirkungen von Kosteneffekten. Hinzu kommt die Frage, wie konkret Effekte vorliegen: Sind die Kosteneffekte eines Projektes (z.B. landschaftliche Veränderungen, Lärmbelastungen) direkt spürbar, die Nutzenaspekte hingegen eher allgemeiner oder überregionaler Natur (z.B. sichere Energieversorgung für die ganze Region), so werden die Aspekte höher gewichtet (in diesem Fall die Kosteneffekte), die greifbarer erscheinen (vgl. z.B. RWE 2012:111). Bestehende Unsicherheiten oder Ängste aufgrund schwerer Einschätzbarkeit von Effekten kann hierbei zu einer Bewertung auf „Nummer sicher“ führen, also einer geringeren Gewichtung von Nutzeneffekten bei gleichzeitiger Höhergewichtung von potentiellen Nachteilen (vgl. z.B. Benighaus et al. 2010:278). Die zu Beginn des Kapitels erwähnte „Nichtidentität von Gewinnern und Verlierern“ (Feindt 2010:23f.) deutet zudem auf die Bedeutung der Verteilung positiver und negativer Aspekte hin. Neben der allgemeinen Relevanz des Nettonutzens ist zu beachten, ob eine gerechte Verteilung von Kosten und Nutzen auf alle Akteure inkl. der Öffentlichkeit vorhanden ist, ob eine Seite vor allem Kosten und die andere Seite vor allem Nutzen erfährt (vgl. Benighaus et al. 2010:280; Aeschbacher 2006:14; Portney 1991:25; Schreck 1998:4) oder inwiefern ein Prozess einen Nutzen für alle Beteiligten erzeugen kann (vgl. Beierle 2000:11ff.). Genau auf diese Verteilungsfrage fokussieren meist bestimmte Interventionsformen bei Großprojektprozessen (z.B. Mediationsverfahren) mit dem Ziel eines für alle Beteiligten nutzenstiftenden Ergebnisses (vgl. Benighaus et al. 2010:294). Obige Ausführungen nehmen sich nur ansatzweise der Gewichtungs- und Bewertungsfrage von Kosten- und Nutzeneffekten eines Großprojektes an. Mit Blick auf das vorliegende Forschungsinteresse wird ebenfalls auf differenziertere Auseinandersetzungen mit dem Thema sowie die dahinterliegenden psychischen Prozesse verzichtet und auf die einschlägige Fachliteratur bekannter Autoren, z.B. Renn (2013d) oder Nida-Rümelin & Schulenburg (2013a, 2013b), verwiesen. In dieser Arbeit ist vor allem der Gesamtgewichtungsfaktor bedeutsam, der sich aus der Vielfalt der verschiedenen Einflüsse auf den Gewichtungs- und Bewertungsprozess zusammensetzt, also Wahrscheinlichkeitsaspekten, Schadens- und Nutzenausmaß, Greifbarkeit, Kontrollierbarkeit und Freiwilligkeit etc. Dieser integrierende Faktor wird dabei als Blackbox behandelt.

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4 Kosten- und Nutzenaspekte von Konflikt und Akzeptanz

4.2 Kostenaspekte und Nutzenaspekte bei Großprojekten Die interdisziplinären Ausführungen zur Genese von Kosten-Nutzen-Verhältnissen lassen insgesamt auf eine große Effektvielfalt bei Großprojekten schließen. In Bezug auf Großprojekte zählen hierzu sowohl jene Effekte, die bei der Gestaltung von Projekt und Prozessinterventionen aufkommen, wie auch solche, die durch das Projekt selbst entstehen. Ob ein Effekt als Kosten- oder Nutzenaspekt wahrgenommen und gewichtet wird, hängt vom jeweiligen Betrachter ab (vgl. Bark 2012:28f.; Simmel 1968:188f.; Nollmann 1997:57). Hinsichtlich Prozesseffekten führte die sozialwissenschaftliche Konfliktforschung lange Zeit einen leidenschaftlichen Diskurs über die Funktionalität oder Dysfunktionalität von Konflikten. Desintegrierende, ordnungsgefährdende Auswirkungen von Konflikt wurden integrierenden, sozialen Wandel bedingenden Kräften gegenübergestellt (vgl. Bark 2012:22f.). Simmel (1968:187) beschrieb bereits früh die Notwendigkeit von konvergierenden und divergierenden Prozessen: „[…] auch die Gesellschaft [braucht] irgendein quantitatives Verhältnis von Harmonie und Disharmonie, Assoziation und Konkurrenz, Gunst und Missgunst, um zu einer bestimmten Gestaltung zu gelangen.“ Eine gleichberechtigende Betrachtung sowohl nutzenstiftender als auch kostenbringender Auswirkungen fand jedoch erst nach und nach Eingang in den wissenschaftlichen Prozess, vor allem durch die Arbeiten von Coser und Dahrendorf. Aus der Zuschreibung von beiderlei Funktionen eines Konflikts lassen sich umgekehrt auch beiderlei Funktionen dem Konsens, als Gegenstück von Konflikt, zuschreiben (vgl. hierzu auch Bark 2012) – und damit auch der Akzeptanz als pragmatisches Schwesterkonstrukt des Konflikts (vgl. hierzu auch Kapitel 2). Zur Strukturierung von Kosten- und Nutzenaspekten bieten sich unterschiedliche Ansätze an. Die Konfliktforschung betrachtet prozessuale Effekte und unterscheidet direkte und indirekte Kosten46. Direkte Kosten entstehen durch Konfliktinterventionen, z.B. Prozesskosten bei Gericht. Indirekte Kosten entstehen hingegen als Effekte eines Konflikts, zu nennen sind hier beispielsweise psychische Belastungen der Beteiligten (vgl. Troja 2006:150). Diese Unterscheidung ist für den vorliegenden Zusammenhang aus drei Gründen kaum ausreichend. Erstens bedarf es nicht nur der Zuordnung von Kosten-, sondern auch von Nutzeneffekten (direkter/indirekter Nutzen), zweitens sollten zusätzlich zu konfliktbezogenen Effekten auch akzeptanzbezogene Effekte betrachtet werden. Außerdem muss drittens das Verständnis vom Konfliktprozess auf das Konfliktobjekt erweitert werden, wodurch auch das Großprojekt und die dadurch direkt entstehenden Effekte Beachtung finden. 46

Ähnlich ist die Unterscheidung nach formellen und informellen Konfliktkosten konzipiert (vgl. z.B. Dana 1996).

4.2 Kostenaspekte und Nutzenaspekte bei Großprojekten

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Eine andere Form der Strukturierung kann durch eine Zuteilung von Ressourcen und deren Effekten zu Generierungsgrößen und Ergebnisgrößen vorgenommen werden (vgl. z.B. Oetzel & Ting-Toomey 2006:XI). Dieser Gedanke basiert auf Input-Output-Modellen wie sie beispielsweise beim strategischen Kommunikationscontrolling und -management eingesetzt werden. Er lässt sich an das Konzept der direkten und indirekten Kosten anknüpfen (vgl. Rolke & Zerfaß 2010): Anstatt von direkten Kosten kann von Inputgrößen gesprochen werden. Indirekte Kosten werden zu den Ergebnissen eines Prozesses/Projekts gezählt und in Output, Outcome und Outflow unterteilt47. Beck & Schwarz (2008:91ff.) unterscheiden wiederum Ressourcen, die zur Intervention und Bewältigung von Konflikten eingesetzt werden können, in persönliche, soziale, ideell-kulturelle und materielle Ressourcen. Persönliche Ressourcen umfassen beispielsweise Wissens- und Erfahrungsaspekte, soziale und kommunikative Fähigkeiten (vgl. Faltermaier 1987:120ff.) sowie Selbstkonzeption und Selbstwertgefühl (vgl. Menaghan 1983). Soziale Ressourcen knüpfen daran an und bezeichnen Ressourcen, die durch Netzwerke und Beziehungen entwickelt werden können (z.B. Beratung, Unterstützung; vgl. House 1981). Ressourcen ideell-kultureller Art beschreiben Möglichkeiten, die sich aus dem Normen-, Wert- und Regelsystem des Systems ergeben (vgl. Beck & Schwarz 2008:93). Materielle Ressourcen beziehen sich auf sämtliche Geld- und Sachmittel, organisationale sowie personale Mittel (vgl. ebd.). Die Bewertung eines Großprojektes und seiner Effekte muss aufgrund der ständigen Veränderungen des Projektes (z.B. durch Planungs- oder Baufortschritt) sowie der ständigen sozialen Interaktion der beteiligten Akteure (beispielsweise durch Kommunikation) nicht als einmalig vorzunehmende Bewertung einer Alternative, sondern als kontinuierlich ablaufender Prozess verstanden werden, in den aktuelle Entwicklungen und Veränderungen einfließen. Es ist davon auszugehen, dass soziale Handlungen (beispielsweise Kommunikation zur Verdeutlichung der persönlichen Bewertung eines Großprojektes) soziale Reaktionen anderer Akteure des Projekts (z.B. in Form der Äußerungen einer divergierenden Haltung), Veränderungen des Projektes selbst (z.B. Änderung von Bauplänen) oder der begleitenden Gegebenheiten (z.B. Änderungen politischer Entscheidungen, politischer Instrumente) provoziert. Dieser Logik folgend, fließt das Ergebnis eines Projektprozesses (Akzeptanz bzw. Nicht-Akzeptanz/Konflikt), unter anderem beeinflusst durch Kostenund Nutzenabschätzungen, ebenfalls in erneute Kosten- und Nutzenabschätzungen ein. Es entsteht dadurch ein reziprokes Verhältnis zwischen Akzeptanz- bzw. Konfliktprozess und Kosten-Nutzen-Verhältnis, da letzteres Treiber von Akzeptanz bzw. Konflikt sein kann, zugleich aber durch Konflikt bzw. Akzeptanz (und

47

Für eine nähere Erklärung der drei Größen vgl. auch Kapitel 3.1.1.

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4 Kosten- und Nutzenaspekte von Konflikt und Akzeptanz

alle damit zusammenhängenden Prozesse) beeinflusst wird (vgl. unter anderem Schweizer-Ries et al. 2010). Nachfolgende Ausführungen widmen sich der umfassenden Darlegung potentieller Kosten- und Nutzenaspekte bei Großprojekten. Um obigen Erkenntnissen hinsichtlich der angedeuteten Vielfalt gerecht zu werden, wurde im Identifizierungsprozess nicht nur wissenschaftliche, sondern auch praxisbezogene Literatur konsultiert sowie Quellen, die zur Gestaltung von Großprojekten von Wirtschaft, Verbänden, Politik und Verwaltung herausgegeben wurden (beispielsweise Projekthandbücher, Leitfäden). Dabei wird die Strukturierungsweise von Beck & Schwarz (2008) aufgegriffen (vgl. obige Ausführungen) und auf Basis der, der Literatur entnommenen, Kosten- und Nutzenaspekte ergänzt. 4.2.1 Materielle und finanzielle Formen von Kosten und Nutzen Harte Effekte eines Großprojektes beziehen sich im engsten Sinne auf Auswirkungen, die durch das Projekt selbst entstehen. Dazu zählen vor allem die originären Beweggründe eines Projektes, die den Akteuren (vor allem dem Projektträger), aber auch weiten Teilen der Öffentlichkeit Nutzen stiften sollen: Infrastrukturausbau, Energietransport und -gewinnung, Schaffung von Wohnraum etc. (vgl. Benighaus et al. 2010:278). Neben Neuerschaffungen geht es dabei vielfach um Ausoder Umbauten bereits bestehender Einrichtungen mit dem Ziel einer effizienteren Nutzung von Ressourcen sowie Einsparung von negativen Effekten durch Innovationen (vgl. RWE 2012:232; Forschungsinitiative ZukunftBAU 2013:25). Dazu zählt beispielsweise auch die Veränderung aktueller Situationen und Objekte, die aus wirtschaftlicher, ökologischer oder ethischer Sicht kaum mehr hinzunehmen sind (z.B. Erhalt umweltgefährdender Industrieanlagen, Export von Sondermüll, vgl. Gans 1994:12). Im Falle einer Projektmodifikation, der Nichteinrichtung oder des Projektabbruchs können die dadurch nicht beseitigten Folgen bzw. nicht genutzten Verbesserungspotentiale als Opportunitätseffekte betrachtet werden (vgl. Tries & Reinhardt 2008:254f.; C.A.R.M.E.N 2014), die für den Projektträger und Nutznießer eines Projekts Opportunitätskosten darstellen (vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2014; RWE 2012; Suhr 1990). Für Akteure, welche die direkt-projektbezogenen Effekte (Beweggründe der Projekte) nicht als Nutzen-, sondern als Kostenaspekte bewerten, entsteht im Falle einer Modifikation, Nichteinrichtung oder des Projektabbruchs Opportunitätsnutzen.

4.2 Kostenaspekte und Nutzenaspekte bei Großprojekten

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4.2.1.1 Direkte ökonomische und ökologische Effekte Die Nutzung der Projektvorteile erfordert den Einsatz finanzieller, sachlicher und personeller Mittel, die zur Entwicklung, Genehmigung und Verwirklichung eines Projektes notwendig sind (vgl. z.B. Europäische Kommission 1997). Hierzu werden vor allem die durch den Projektaufbau und seine Fachprozesse entstehenden Kosten (z.B. Investitionskosten für Projektträger, Verwaltungskosten und -aufwand für Ämter), aber auch Kosten für Rückbau und Entsorgung gezählt (vgl. C.A.R.M.E.N 2014:24). Diese aus Perspektive der einen Akteure als Kosten bewerteten Effekte können gleichzeitig positive Effekte für andere Akteure hervorbringen (z.B. Aufträge für Baufirmen, Gutachter, Berater). Vor allem hinsichtlich Projekten der öffentlichen Hand bzw. aus öffentlichen Mitteln wird dabei die Relevanz von Kostentransparenz und Kostenentwicklung hervorgehoben (vgl. Flachsbarth 2011:65). Für die Allgemeinheit, vor allem das direkte Umfeld und die Region eines Projektes, werden im Falle einer Projektverwirklichung einerseits positive Auswirkungen auf die Attraktivität von Standorten und die Belebung dieser prognostiziert. Dabei wird von wirtschaftlichen Impulsen, Belebungs- und Konjunkturprogrammen gesprochen, beispielsweise durch verbesserte Auftragslagen, Schaffung von Arbeitsplätzen oder vermehrten Tourismus (vgl. Hüsing et al. 2002). Im Falle einer Projektablehnung wird die Schwächung von Standorten bzw. Regionen (vgl. Gans 1994:12f.) durch fehlende Entwicklungs- und Erneuerungsmöglichkeiten befürchtet (vgl. RWE 2012; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2014). Hinweise gibt es zudem auf allgemeine ökonomische Auswirkungen in Abhängigkeit von der Projektentwicklung, z.B. ein höheres/niedrigeres Preisniveau für bestimmte Waren und Dienstleistungen oder Kostenveränderungen für Abwasser/Flächen etc. (vgl. RWE 2012; Europäische Kommission 1997:23f.) oder Wertverfall/Wertsteigerung von Immobilien etc. (vgl. z.B. Reinhardt 2008:36ff.; Schreck 1998:4; RWE 2012:38,260; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2014:60ff.). In gleicher Weise sind die ökologischen Effekte eines Projektes zu beachten, z.B. in Form der Umweltverträglichkeit (vgl. Voßebürger & Weber 1998:83). Diese umfasst sämtliche positiven und negativen Auswirkungen auf Natur und Umwelt (z.B. Temperatur, Luft, Boden, Wasser, Flora, Fauna; vgl. RWE 2012: 58,185,233; C.A.R.M.E.N 2014:21ff.; BUND 2013:12; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2014). Hinzu kommen Effekte der Flächennutzung: Wie gestaltet sich z.B. der Flächenverbrauch bzw. die Flächenumnutzung eines Projektes? Werden landwirtschaftliche oder dem Natur- und Artenschutz unterstehende Flächen berührt oder Konversionsflächen? Welche Landnutzungsinteressen werden insgesamt tangiert (vgl. C.A.R.M.E.N 2014:24ff.; Ohlhorst & Schön 2010:212ff.)? Auch andere Ressourcen, beispielsweise Energieformen wer-

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4 Kosten- und Nutzenaspekte von Konflikt und Akzeptanz

den genannt – hier steht vor allem die Frage im Mittepunkt, ob Projekte eine verbesserte Nutzung (effizienter, effektiver) vorhandener Ressourcen ermöglichen. Obige Aspekte beinhalten vor allem passive Formen der ökologischen und ökonomischen Betroffenheit durch ein Projekt in negativer wie in positiver Weise. Aktive Formen der Teilhabe sind jedoch ebenfalls von Bedeutung (vgl. z.B. RWE 2012). Hierbei wird vor allem die wirtschaftliche Partizipation der Allgemeinheit an der Wertschöpfung genannt, z.B. eine Form finanziellen Ausgleichs für Bürger, die zum Wohle der Allgemeinheit/des Investors Nachteile zu tragen oder Einschränkungen hinzunehmen haben (vgl. RWE 2012:33,75,192,222; C.A.R.M.E.N 2014:232; Führungsakademie Baden-Württemberg 2012:24; Schweizer-Ries et al. 2010:2ff.). 4.2.1.2 Prozesseffekte Neben direkt von einem Projekt ausgehenden Effekten sind Effekte durch die damit verbundenen Prozesse und der damit einhergehenden Kommunikationsbzw. Beteiligungsformen ideeler Art zu beachten. Für die Gestaltung von Kommunikation im Rahmen eines Großprojektprozesses ist der Einsatz materieller bzw. finanzieller Ressourcen notwendig. Glasl (2013:20ff.) unterscheidet drei Phasen bzw. Situationen des Ressourceneinsatzes: Ressourcen zur präventiven Kommunikation (erstmalige Aktivitäten zur Generierung von Akzeptanz bzw. Beeinflussung des Konfliktpotentials), zur kurativen Kommunikation (Intervention im Konfliktprozess) sowie zur Beeinflussung von Konfliktfolgen. Die möglichen Mittel reichen dabei von Instrumenten der einseitigen Informationstätigkeit, die vor allem auf die Verteilung von Informationen oder Aufmerksamkeitserzeugung abzielt, bis hin zu Mitgestaltungsformaten, deren Ergebnisse handlungsweisend sind (vgl. vor allem Kapitel 5 sowie z.B. Grunig & Hunt 1984). Bei der Prävention von Konflikten und der Förderung von Akzeptanz fallen Kosten für eine offene Kommunikation der Belastungen und Nutzenaspekte eines Projekts an (vgl. RWE 2012:129). Aufgrund der Komplexität vieler Großprojekte sind vor allem Nutzenformen oftmals schwer erkennbar, wodurch gerade der Kommunikation dieser eine ganz zentrale Bedeutung zugesprochen werden kann (vgl. RWE 2012:145,217f.,252). Auch während eines Prozesses werden zu den zentralen Effekten vor allem umfassende Kosten für Kommunikation und Beteiligung gezählt (z.B. für Kommunikationsmittel, Personal, Mediatoren/ Moderatoren, Gutachten, Räumlichkeiten; vgl. Kanngießer 2004:263ff.; Kühnl 2012:200ff.; Troja 2001:215f.; RWE 2012:179,221; Städtetag Baden-Württemberg 2012; Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin 2011; BUND 2013). Belastungen entstehen dabei nicht nur für Projektträger oder Ge-

4.2 Kostenaspekte und Nutzenaspekte bei Großprojekten

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nehmigungsbehörden, sondern können grundsätzlich bei allen Beteiligten (Kritiker wie Befürworter) entstehen (vgl. Kanngießer 2004:64,263; Zilleßen 1998a: 17,33; RWE 2012:94,190; Schweizer-Ries et al. 2011; Forschungsinitiative ZukunftBAU 2013; Führungsakademie Baden-Württemberg 2012). Hinsichtlich der Kommunikationskanäle kann zwischen Formen der persönlichen Kommunikation, sozialen Medien, Eigenpublikationen (bzw. eigenen Medien) sowie Massenmedien unterschieden werden (vgl. Brettschneider & Vetter 2011:890). Die Höhe der Effekte hängt dabei von Art, Umfang und Zeitpunkt der Kommunikation ab (vgl. z.B. Städtetag Baden-Württemberg 2012:72; Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin 2011:133ff). Zugleich sind diese Faktoren entscheidend für die Wirkung der Kommunikation und des sich hieraus möglicherweise ergebenden Nutzens bzw. der sich ergebenden Folgekosten (vgl. Brettschneider 2013b:321ff.). Bei Dialog- und beteiligungsorientierten Formen der Kommunikation scheint zudem die Finanzierungsart der Intervention entscheidend, da sich die Art der Finanzierung einer Beteiligungsform auf die Teilnahmemotivation, den Verfahrensablauf und die Glaubwürdigkeit des Verfahrens auswirken kann (vgl. RWE 2012:93). Werden Gelder durch eine Seite alleine aufgebracht (z.B. Projektträger), so kann der Verdacht einseitiger Einflussnahme aufkommen. Werden die Gelder gemeinsam oder durch neutrale Stellen aufgebracht, wirkt sich dies als Kostenfaktor auf alle Geldgeber aus (vgl. Benighaus et al. 2010:291). Als Träger der Kosten kommen z.B. der Projektträger, der Initiator, Verwaltungs- oder Genehmigungsbehörden, gesonderte Einrichtungen (z.B. Stiftungen) oder sämtliche Teilnehmer in Betracht (vgl. Kanngießer 2004:266ff.)48. Bei konflikthaltigen oder konfliktgefährdeten Prozessen sind zudem Kosten der Konfliktintervention durch Kommunikation zu erwarten. Neben den hierbei entstehenden Interventionskosten (z.B. Personal- und Sachkosten bei Bürgerbeteiligungen, vgl. Hein 2004:165f.; Kanngießer 2004) werden als Folge von Kommunikation aber auch Nutzenaspekte durch verminderte Konfliktkosten erwähnt, z.B. in Form der Aufwandsreduzierung für Genehmigungsbehörden, Gerichte und Polizei49 sowie verminderte Kosten für Berater, Anwälte etc. (vgl. Kanngießer 2004:60,64; Kühnl 2012:202). Im Fall von konfliktbehafteten Prozessen, die über dissensuelle Kommunikation hinausgehen, muss mit diesen zusätzlichen Aufwendungen durch Anfragen, Einwände und Beschwerden wie auch konkrete Rechtsstreitigkeiten gerechnet werden. Besonders betroffen ist hierbei vor allem die öffentliche Verwaltung bzw. öffentliche Hand, über die viele dieser Prozesse laufen 48 49

Für eine ausführliche Darlegung von Finanzierungsformen und ihre Folgen vgl. z.B. Kanngießer (2004:263ff.). Z.B. durch weniger Anfragen/Beschwerden/Einwendungen bei Behörden, weniger/kürzere Gerichtsverfahren, weniger Polizeieinsätze.

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4 Kosten- und Nutzenaspekte von Konflikt und Akzeptanz

bzw. die sich vielen dieser Aufgaben widmen muss (vgl. Führungsakademie Baden-Württemberg 2012:64; Gans 1994:12). Schlussendlich werden für alle Beteiligten zudem Kosten zur Beeinflussung direkter Konfliktprozessfolgen sowie Wiederherstellungskosten genannt, beispielsweise für den Wiederaufbau von Vertrauen, Glaubwürdigkeit und Reputation (vgl. Tries & Reinhardt 2008:253f.; Führungsakademie Baden-Württemberg 2012:64). Die maßgeblich bei den Beteiligten eines Prozesses (unabhängig, ob konfliktbelastet oder nicht) entstehenden Kosten können unter dem Transaktionskostenbegriff zusammengefasst werden. Diese bezeichnen beispielsweise materielle und finanzielle Aufwendungen oder persönliche Belastungen (vgl. Beck & Schwarz 2008:110). Transaktionskosten umfassen keine konkrete Ressourcengruppe, vielmehr bezeichnen sie den Grund des Ressourcenverbrauchs. Entscheidend ist dabei die Verfahrensart (vgl. Troja 1998:88), denn unterschiedliche Verfahren bringen unterschiedlich hohe Transaktionskosten für die Akteure mit sich (vgl. Ury et al. 1991:33f.), wobei bei entsprechendem Verfahrensmanagement von einer Chance auf Senkung dieser Verfahrenskosten ausgegangen wird (vgl. Troja 2001:327; RWE 2012:203). Bezug hierauf nehmend kann eine Verfahrensfinanzierung zusätzlich zur Gestaltung des eigentlichen Prozesses eine Aufwandsentschädigungen für Beteiligten notwendig machen, um deren Transaktionskosten zu senken (vgl. z.B. Führungsakademie Baden-Württemberg 2012:62). Zu den zentralen Treibern von (Transaktions)Kosten werden zeitliche Aspekte gezählt, vor allem die Abweichung von ursprünglich angesetzten Zeithorizonten durch Verzögerungen (vgl. Tries & Reinhardt 2008:252f.; Forschungsinitiative ZukunftBAU 2013). Aber auch die Planungs- und Errichtungsdauer insgesamt ist Teil dessen, beispielsweise für Projektträger als finanzieller Kostenfaktor, für Anwohner als Belastungszeitraum (vgl. Benighaus et al. 2010:276; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2014). Die Gründe für zeitliche Verzögerungen sind dabei vielfältig. Einerseits werden Formen von Protest und Konflikt genannt (vgl. RWE 2012:190), andererseits Prozessformen, die einen umfangreichen Dialog mit allen Beteiligten umfassen, z.B. Bürgerbeteiligungsverfahren, da diese sich auf die Entscheidungsphasen von Behörden auswirken können. Bilaterale Verhandlungen zwischen Akteuren sind hingegen oftmals weniger zeitintensiv (vgl. Kanngießer 2004:60f.). Neben diesen Hinweisen auf Auswirkungen in der Planungs- und Genehmigungsphase lassen akzeptierte Ergebnisse von frühzeitigen und umfassenden Dialog- und Beteiligungsverfahren eine Beschleunigung der darauffolgenden Phasen erwarten (vgl. Schmittel 1991; Müller & Holst 1987:17) – und zwar aus folgenden Gründen: Direktdemokratische Verfahren nehmen meist mehr Zeit in Anspruch als Entscheidungen, die durch politische oder administrative Institutionen getroffen werden (vgl. Städtetag Baden-Württemberg 2012:15), der Entscheid erhält jedoch bei legitimer Verfahrensdurchführung ein höheres Maß an

4.2 Kostenaspekte und Nutzenaspekte bei Großprojekten

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Akzeptanz als konventionelle Entscheide durch Behörden, Parlamente oder Regierungen und kann dadurch zu Zeitersparnissen bei nachfolgenden Prozessen, z.B. der Realisierung führen, da Konflikte bereits in einer frühen Phase aufgegriffen und bearbeitet werden können (vgl. Kolb 1999:30; Voßebürger & Weber 1998:82f.; RWE 2012:19). Auch im Vergleich zu Entscheidungen der Judikative werden dialogorientierten Verfahren größere Zeitersparnisse zugesprochen (vgl. z.B. Kühnl 2012:200f.). Die Verlagerung von Kosten und Zeitaufwand in die Planungsphase, weg von darauffolgenden Ausführungsphasen, bringt zugleich aber auch andere Anforderungen mit sich, z.B. eine umfangreiche Visualisierung des Projekts von Beginn an (vgl. Forschungsinitiative ZukunftBAU 2013:33). Neben Effekten, die direkt durch den interaktiven Prozess entstehen, können sich hieraus, abhängig vom Prozessergebnis, Modifikationseffekte für das Projekt insgesamt ergeben, beispielsweise eine alternative Bauweise oder ein anderer Standort (z.B. aufgrund von Ergebnissen aus Bürgerbeteiligungsprozessen; vgl. RWE 2012:35). Auch hierdurch können Kosten- und Nutzeneffekte entstehen. Es wird davon ausgegangen, dass Modifikationen mit zunehmendem Projektfortschritt zunehmende Kosten verursachen (vgl. RWE 2012:8). Der Kenntnis des Vorhabenträgers über Beweggründe der Bürger und die politischgesellschaftliche Bedeutung eines Projekts in frühen Projektphasen wird deswegen eine größere Planungssicherheit, frühe Planungsoptimierung sowie Kosteneinsparung zugeschrieben (vgl. Kanngießer 2004:62). 4.2.1.3 Verhältniseffekte Neben Effekten, die für das Verhältnis von Kosten und Nutzen von Bedeutung sind, können auch Verhältnismäßigkeiten selbst zum Faktor werden. Prominentes Beispiel ist die Effektivität, also das Maß an Zielerreichung eines Projektes und seiner Prozesse, wobei diese als positiv bewertet wird, wenn durch ein Projekt oder einen Prozess eine kontinuierlich und ergebnisorientiert (weiter)entwickelte Lösung zustande kommt (vgl. Kühnl 2012:203; Oppermann & Langer 2000:53; Voßebürger & Weber 1998:81f.; Städtetag Baden-Württemberg 2012: 18; Führungsakademie Baden-Württemberg 2012:64). Daneben spielt die Frage der Dauerhaftigkeit der Lösung eine bedeutsame Rolle, denn erneute Konfliktbzw. Akzeptanzprozesse können zu weiteren Transaktionskosten führen. Hinzu kommt die Bewertung der Qualität des Prozessergebnisses im Vergleich zu alternativen Lösungen, vor allem wenn hierbei auf Öffentlichkeitsbeteiligung gesetzt wurde (vgl. Beierle 2000:11ff.). Dies führt auch zur Frage, ob z.B. durch Dialogverfahren zusätzliche Informationen gewonnen, Analysen verbessert, innovative Ideen eingebracht oder ganzheitlichere Ansätze verfolgt werden konnten – oder nicht (vgl. Beierle 2000:11f.).

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4 Kosten- und Nutzenaspekte von Konflikt und Akzeptanz

Auch Aspekte der Effizienz, also dem Maß an Wirtschaftlichkeit, finden in der Literatur Beachtung. Neben der insgesamt gewünschten, optimalen und bedarfsgerechten Allokation von Ressourcen (vgl. Führungsakademie Baden-Württemberg 2012:64) steht vor allem die Frage im Raum, ob bei der gewählten Interventionsart im Prozess (z.B. beteiligungsbasierte Entscheidungsfindung) kosteneffizienter agiert werden konnte als durch eine andere Form der Entscheidungsfindung. 4.2.2 Individuelle, soziale und ideell-kulturelle Formen von Kosten und Nutzen Während der vorige Abschnitt sich den harten Effekten, vor allem ökonomischer und ökologischer Art widmet, zeigen nachfolgende Ausführungen vor allem die möglichen weichen Effekte von Großprojekten und deren Prozessen auf. Dabei finden gleichermaßen Effekte aus dem psychischen, individuellen Raum wie von sozialer Ebene und dem gesamtgesellschaftlich-kulturellen Modus Erwähnung. 4.2.2.1 Individuelle Formen Zu den meistgenannten Bereichen, deren Betroffenheit im individuellen Bereich sowohl gefürchtet als auch, im Falle eines Nutzenzuwachses, erhofft wird, zählen die von Inglehart (1977), aufbauend auf der Bedürfnispyramide von Maslow (1943) formulierten materiellen Werte, die grundlegende physische Grundbedürfnisse sowie das Bedürfnis nach Sicherheit umfassen. In Bezug auf Großprojekte werden vor allem Auswirkungen auf die persönliche Gesundheit und Sicherheit (vgl. Schreck 1998:4; RWE 2012:260; C.A.R.M.E.N 2014:21ff.; BUND 2013:12; Luge 2011:98) bzw. allgemeine optische, akustische, physische oder psychische Beeinträchtigungen durch ein Projekt genannt (vgl. RWE 2012: 168,218,232,267; C.A.R.M.E.N 2014:21ff.). Wie in Kapitel 3.1.1 unter den objektbezogenen Akzeptanzfaktoren bereits erwähnt, zählen hierzu beispielsweise veränderte Strahlen- oder Lärmbelastungen, Veränderungen des Landschaftsbildes oder eine veränderte Sicherheitslage (vgl. u.a. Benighaus et al. 2010:278). Hinzu kommen Effekte, die sich auf emotionale und kognitive Vorgänge und deren Ergebnisse niederschlagen können. Dazu zählen beispielsweise Auswirkungen auf die Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse von Individuen, die dann in Form physischer oder psychischer Veränderungen sichtbar werden. Beispielhaft zu nennen sind Frustration oder Stress (vgl. z.B. Tries & Reinhardt 2008:250f.), aber auch allgemeine Wahrnehmungsveränderungen sowie Veränderungen der Motivation und des Vertrauens (vgl. Glasl 2013; Schwarz, Gerhard 2010; Audi 2014; Kanngießer 2004:60).

4.2 Kostenaspekte und Nutzenaspekte bei Großprojekten

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Bei Informations-, Wissens- und Lerneffekten werden explizit positive Effekte beobachtet. Der Wissens- und Informationsstand spielen dem Anschein nach vor allem bei Beteiligungsprozessen (vgl. Beierle 200015ff.) eine zentrale Rolle: Das Einbringen von persönlichem Wissen durch Akteure kann bei Absendern und Empfängern für Nutzeneffekte sorgen, beispielsweise durch die Möglichkeit, einen Informations- und Wissenszuwachs im Prozessverlauf zu generieren (vgl. Oppermann & Langer 2000:53f.; Voßebürger & Weber 1998:80f.; Führungsakademie Baden-Württemberg 2012:64; Ewen 2009:160; Brettschneider & Vetter 2011; Brettschneider 2011), wobei dies bei zu hoher Komplexität oder Masse an Informationen schwierig werden kann (vgl. RWE 2012:95). Der Wissenszuwachs muss sich hierbei nicht ausschließlich auf fachlich-sachliche Aspekte beziehen, sondern kann auch soziale Aspekte von Gruppen- und Konfliktdynamiken umfassen (vgl. z.B. Bercovitch 1984:32f.). Ebenfalls Erwähnung findet der mögliche positive Einfluss auf die Kreativität und Innovationsprozesse (vgl. Führungsakademie Baden-Württemberg 2012:64) sowie die Modifizierung oder Flexibilisierung der eigenen Positionen (vgl. z.B. Bercovitch 1984:32f.; Coser 1956). Mit den aufgezeigten Effekten sind die individuellen Auswirkungen jedoch nicht final beschrieben. Auch auf die Ergebnisse dieser Vorgänge kann sich ein Projektprozess erneut auswirken. Zu den Nutzeneffekten wird dabei vor allem die Wahrnehmung einer erhöhten Transparenz von Plänen, Entscheidungsgrundlagen und Verfahren gezählt (vgl. Kühnl 2012:206f.; RWE 2012:33; Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin 2011; BUND 2013:11; Brettschneider 2011:47) sowie verschiedene Aspekte der Teilhabe, Mitsprachemöglichkeiten und Eingebundenheit in den Verfahrensablauf bzw. die Projektgestaltung (vgl. Kanngießer 2004:63; Arbter 2010; Arbter et al. 2005; Schweizer-Ries et al. 2010:95; Oppermann & Langer 2000:54; Voßebürger & Weber 1998:83f.; RWE 2012:19; Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin 2011:80f.; Umbach 2011:162). Letzteres kann gleichermaßen zum oben erwähnten Vertrauensaufbau (vgl. Kühnl 2012:205; Oppermann & Langer 2000:53; RWE 2012:203; Arbter et al. 2005; Arbter 2010; Führungsakademie BadenWürttemberg 2012:63f.) wie auch dem persönlichen Ausmaß an Zufriedenheit eines Individuums beitragen. Diese wiederum kann sich sowohl aus der Prozessverlaufsweise heraus sowie aus dem Umfang, mit dem ein Prozessergebnis zur persönlichen Zielerreichung beiträgt, ergeben (vgl. Ury et al. 1991:28ff.). 4.2.2.2 Soziale Formen Die bisherigen Ausführungen individueller Kosten- und Nutzeneffekte haben bereits vereinzelt Verbindungen zu handlungs- und verhaltensbezogenen Effekten gezogen, jedoch diese sozialen Aspekte noch nicht vollumfänglich behandelt.

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4 Kosten- und Nutzenaspekte von Konflikt und Akzeptanz

Wird eine Unterteilung von sozialen Effekten, die einem Großprojekt selbst, und Effekten, die seinen Prozessen entstammen, vorgenommen, so wird ersichtlich, dass die sozialen Effekte, die durch Prozesse entstehen, weitaus überwiegen. Soziale Formen von Kosten und Nutzen im Rahmen von Großprojektprozessen umfassen sämtliche Effekte auf Vorgänge und Ergebnisse sozialer Interaktion der Akteure bzw. der Öffentlichkeit. Im Rahmen von Großprojekten entstehen fast zwangsläufig soziale Interaktionsformen zwischen den Beteiligten. Konflikte bzw. Diskurse im Ringen um unterschiedliche Sichtweisen und Bewertungen des Projekts erhalten den kommunikativen Austausch zwischen Individuen bzw. Gruppen (vgl. Luhmann 1984: 530) und geben Raum zur Austragung unterschiedlicher Ansichten (vgl. Bark 2012:54ff.). Der Austausch bildet zugleich die Voraussetzung zur Schaffung einer einheitlichen Grundlage (z.B. desgleichen Informationsstands), u.a. durch Fokussierung auf die zentralen Anliegen (vgl. Himes 1966), Kennenlernen gegenseitiger Standpunkte, Themen und Motive, Annahmen und Erwartungen sowie zur Entwicklung von gegenseitigem Verständnis (vgl. z.B. Bercovitch 1984:32f.; Coser 1956). Infolgedessen ist zugleich eine veränderte Bekanntheit, der Gewinn oder Verlust von Image, Reputation und Glaubwürdigkeit bei Sympathisanten, Kunden, Kapitalgebern, Wählern, Bürgern, Mitarbeitern etc. sowie daraus folgenden Verhaltensweisen (z.B. Wahlverhalten, Kaufverhalten) möglich (vgl. Brettschneider 2013b:320; Brettschneider & Schwarz 2013; Voßebürger & Weber 1998:82f.; Schreck 1998:4). Auch Beziehungsgefüge und -strukturen bleiben durch vermehrte Interaktion nicht unberührt, die möglichen Veränderungen sind vielfältig. Beziehungsverhältnisse (z.B. Rangfolgen und Strukturen, vgl. Simmel 1968:189) können dadurch erhalten bzw. erschaffen werden (z.B. durch gleichzeitiges Interesse am Prozessgegenstand mit unterschiedlichen Interessen; vgl. z.B. Coser 2009:144ff.; Simmel 1968:194f.) oder ähnlichen Interessen (z.B. Koalitionen, vgl. z.B. Coser 1967: 166ff.; Bark 2012:62f.). Gerade bei Technik- und Umweltthematiken sind oftmals Machtunterschiede und Barrieren z.B. bei Behörden, Bürgern, Verbänden und Unternehmen vorhanden (vgl. Benighaus et al. 2010:292). Auch diese bestehenden Strukturen in und zwischen Gruppen (z.B. Verteilung der Macht, Hierarchie; vgl. Bark 2012:47) können Veränderung erfahren (vgl. Oppermann & Langer 2000:54; Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin 2011:59; Arbter 2010; Arbter et al. 2005; BUND 2013:6; Führungsakademie Baden-Württemberg 2012:63f.). War in einer bislang bestehenden Beziehung das Verhältnis zwischen den Beziehungspartnern fixiert, so kann ein Großprojekt als besonders dynamisches und von vielen Faktoren (und Akteuren) abhängiges Konfliktobjekt dieses Verhältnis verändern. Die Definition, wer David und wer Goliath ist, kann sich in der Situation eines Großprojektes völlig neu gestalten.

4.2 Kostenaspekte und Nutzenaspekte bei Großprojekten

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Abhängig ist dies unter anderem von der Teilbarkeit eines Konflikts50: Je teilbarer ein Konflikt, je eher Kompromisslösungen möglich sind, desto eher werden demnach Beziehungsverhältnisse gleich beibehalten (vgl. Hirschmann 1999: 158f.). Dieser Logik folgend, wäre die Veränderung einer Beziehung bei einem Großprojekt dann am wahrscheinlichsten, wenn Kompromisse unwahrscheinlich oder sogar unmöglich („Entweder-Oder-Projekte“) sind. Nicht nur Strukturen, sondern auch der Modus des direkten Umgangs kann Veränderungen erfahren, z.B. im Rahmen von Umgangsweise und -stil (von oben herab vs. auf Augenhöhe, Respekt, Wertschätzung) (vgl. Brettschneider 2011:40ff.; Führungsakademie Baden-Württemberg 2012:63ff,) sowie der Umgangs- und Verfahrensfairness (vgl. Schweizer-Ries et al. 2010:93; Henseling et al. 2016:51). Bezugnehmend auf obige Ausführungen wird deutlich, dass sich die in und zwischen Gruppen herrschenden Beziehungen durch vermehrte Interaktion verbessern, aber auch verschlechtern können (vgl. z.B. Beck & Schwarz 2008:111). Mögliche Änderungen der Beziehungsqualität und -stabilität in Folge von Großprojektprozessen lassen sich insgesamt wie folgt zusammenfassen: Wo vorher keine Beziehungen zwischen Akteuren (in und zwischen Akteursgruppen) waren, können solche entstehen. Bereits bestehende Beziehungen können durch die soziale Interaktion zwischen den Akteuren erhalten und verbessert werden (vgl. Kühnl 2012:205; Oppermann & Langer 2000:54; Voßebürger & Weber 1998: 80f.; RWE 2012:203; Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin 2011:255; Arbter et al. 2005; Arbter 2010; BUND 2013; Führungsakademie Baden-Württemberg 2012:63f.). Dies trifft nicht nur auf konfliktfreie Prozesse zu; Konflikte können ebenfalls zur Beziehungsstärkung beitragen, beispielsweise durch Spannungsabbau (an Ersatzobjekten oder innerhalb der sozialen Beziehung selbst), der Konflikt fungiert dabei als eine Art „Ventil“ (vgl. z.B. Bercovitch 1984:32f.; Simmel 1968:189f.; Freud 1996; Coser 2009:51ff.; Bark 2012:39)51. Führt ein Prozess aber nach und nach zur Verdeutlichung von Unterschieden zwischen Gruppen, so kann dies die Ausbildung bzw. Verbesserung der intragruppalen Identität und Kohäsion fördern (vgl. Giesen 1993:108; Zick 2008:414; Schwarz, Gerhard 2010:19; Audi 2014:49). Grund können die Teilung gemeinsamer Werte sowie deutlichere Unterscheidung zwischen „uns“ (allen Gruppenangehörigen bzw. allen, welche die selbe Meinung vertreten) und „den Anderen“ (allen, die eine konträre Meinung vertreten, vgl. u.a. Auer 2008:254; 50 51

„Teilbare Konflikte zeichnen sich durch die Möglichkeit aus, Konfliktgegenstände oder Konfliktziele auf die beteiligten Konfliktparteien aufzuteilen“ (Bark 2012:53, vgl. auch Hirschmann 1999: 158f.). Bei andauernder Spannungsentladung an Ersatzobjekten besteht jedoch die Gefahr des Erhalts von sozialen Beziehungen ohne Zukunft, aufgrund mangelnder direkter Auseinandersetzungen (vgl. auch Bark 2012:39f.).

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4 Kosten- und Nutzenaspekte von Konflikt und Akzeptanz

Coser 2009:43; Coser 1956) sein und die dabei vorgenommene Definition eines Feindbildes (vgl. z.B. Bark 2012:41ff.; Simmel 1968:239). Im Falle eines intergruppalen Konflikts aufgrund eines Großprojektes, der schlussendlich beigelegt werden kann, kann auch diese Form der sozialen Interaktion zur Reintegration der gesamten Gruppe führen (vgl. Bark 2012:44f.; Schwarz, Gerhard 2010:20f.; Himes 1966). Ein großer Teil der Metadiskurse über Großprojekte beschäftigt sich hingegen mit der Verschlechterung bis hin zum Abbruch von Beziehungen in Folge von Großprojektprozessen. Vor allem auf lokaler bzw. kommunaler Ebene können die komplexen Sachlagen, die spezifischen Auswirkungen und unterschiedlichen Wahrnehmungen sowie Einschätzungen im Rahmen von Großprojektekonflikten zu Spannungen und Streit bis hin zum Beziehungsabbruch führen (vgl. Benighaus et al. 2010:279). Ein Beziehungsabbruch durch einen entsprechenden Prozess kann in einzelnen Fällen jedoch auch nutzenstiftend sein, durch die Auflösung sozialer Beziehungen ohne Zukunft, unterstützt durch die Kommunikation und Interaktion, mit deren Hilfe Widersprüche oder Einverständnisse überhaupt erst kundgetan werden können (vgl. Bark 2012:37). 4.2.2.3 Gesellschaftliche, ideell-kulturelle und politische Formen Die Makroebene der nutzenstiftenden oder auch kostenbringenden Folgen von Großprojektprozessen kann sich auf das Verhältnis von Zivilgesellschaft und Politik, die Rolle und den Stand politischer Institutionen, das gesellschaftliche Normen- und Wertegefüge sowie Stabilität und Wandel der Gesellschaft auswirken. Neben formellen Beteiligungsverfahren (z.B. frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung) werden vielfach (zusätzlich) informelle Verfahren und Vorgehensweisen bei Projekten durchgeführt, die auf die jeweilige Situation, die Beteiligten und deren Bedürfnisse zugeschnitten werden. Vor allem dann, wenn diese aufgrund von Defiziten formeller Verfahren Anwendung finden, kann es zu einer Infragestellung politischer Grundinstitutionen und Entscheidungen gewählter politischer Organe kommen (vgl. Hornig & Baumann 2013:20). Findet diese Veränderung Zugang zur politischen Agenda, so wird von einer Weiterentwicklung politischer bzw. rechtlicher und demokratischer Instrumente, z.B. in Form der Schaffung von behördlichen Prozessen und Strukturen für Beteiligung ausgegangen. Versprechen alternative Verfahren keine Lösung, so werden Konflikte um Großprojekte in Teilen vor Gerichten entschieden statt durch Beteiligte. Damit erfolgt eine Verlagerung hin zur Dritten Gewalt, der Judikative (Türke 1981:2 nach Gans 1994:12). Der freiwilligen Beteiligung von Bürgern an den Prozessen von Großprojekten, unabhängig davon wie diese Prozesse gestaltet sind und welche Position die Bürger einnehmen, wird eine Förderung der Motivation zu bürgerlichem oder

4.2 Kostenaspekte und Nutzenaspekte bei Großprojekten

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politischem Engagement, Interesse zur Mitwirkung am Gemeinwesen und dadurch auf lange Frist die eventuelle Entlastung der öffentlichen Hand, z.B. der Verwaltung zugeschrieben (vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin 2011:60,127; Arbter 2010; Arbter et al. 2005; Führungsakademie Baden-Württemberg 2012:63). Auswirkungen durch und auf das gesellschaftliche Wert- und Normengefüge werden ebenfalls beobachtet, beispielsweise ist der Erhaltungswunsch bisheriger Zustände, z.B. in Bezug auf das Landschaftsbild, Ausdruck eines gelebten Normen- und Wertesystems (vgl. Benighaus et al. 2010:279ff.). Werden vorhandene Normen umgesetzt und angewendet, können sie durch Prozesse Stabilisierung erfahren. Dies gilt vor allem für Normen und Werte, die die Prozessaustragung regeln, aufgrund deren Anwendung durch alle Prozessakteure (vgl. Simmel 1968:200). Der Einfluss auf Normen, Strukturen, Prozesse oder Institutionen ist dabei jedoch nicht binär codiert – vielmehr werden dem Konflikt auch Zwischenformen der Einflussnahme, z.B. als Reflexions-, Indikations- oder Validierungsinstrument, zugeschrieben (vgl. Bark 2012: 79ff.; Coser 2009; Giesen 1993; Schwarz, Gerhard 2010). Eine häufige Auslegung und Umsetzung von Normen und Werten der Legalität und Legitimität lässt zugleich eine Weiterentwicklung dieser, aufgrund der situativen Anpassung an das Zeitgeschehen, annehmen (vgl. hierzu Brinker 2011:56; Feindt 2010:23; Benighaus et al. 2010:291). Die Ausführungen der Kapitel 1 und 2 zeigen mögliche Auswirkungen von Großprojekten auf die Stabilität und den Wandel einer demokratischen Gesellschaft auf. Die Gestaltung des Kreislaufs aus abwechselnd stabilisierenden und wandelnden Elementen wird den Prozessen der Projekte zugeschrieben. Kurz gesagt ermöglichen soziale Prozesse, vor allem dissensueller Art, Wandel und Innovation und hierdurch eine Weiterentwicklung gesellschaftlicher Werte und Institutionen (vgl. Coser 1956). Vor allem die Wandlungs- und Stabilisierungsfunktionen von Konflikten steht dabei in enger Verbindung zu Großprojekten – zählen Konflikte über aktuelle Zustände doch zu den zentralen Initiierungsgründen eines Großprojekts (vgl. hierzu Kapitel 2.1). Die Hinweise auf Konflikte als treibende Kraft sozialen Wandels (vgl. z.B. Schwarz, Gerhard 2010:26), auf Wandel als gesellschaftlichen Normalfall (vgl. Imbusch 2010), den damit einhergehenden Kreislauf von Schaffung, Stabilisierung und Wandel von Strukturen, Normen und Institutionen (vgl. z.B. Bark 2012:69f.), die Erringung von Fortschritt und Entwicklungen sowie dadurch entstehende Innovationen technischer, kultureller oder sozialer Art, die dem momentan Zustand der Gesellschaft und ihren zukünftigen Herausforderungen angepasst sind (vgl. z.B. Coser 1967: 279f.; Gumplowicz 1926), fassen die positiven und negativen Effekte von sozialen Prozessen diesbezüglich zusammen. Diese Möglichkeit der Weiterentwicklung und der ständigen Modifikation integrierender Prozesse und Strukturen sowie das Nebeneinanderbestehen unterschiedlicher Interessen erlaubt insgesamt

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4 Kosten- und Nutzenaspekte von Konflikt und Akzeptanz

gesellschaftliche Stabilität, wo anderenfalls die Gefahr des Auseinanderfallens der Gesellschaft bestünde (vgl. Messmer 2003:20f.; Bark 2012:46f.; Giesen 1993:108f.). 4.3 Conclusion zu Kosten- und Nutzenaspekten bei Großprojekten Welche Schlussfolgerungen hinsichtlich Kosten und Nutzen bei Großprojekten können mit Blick auf die obigen Ausführungen gezogen werden? Die aufgezeigte Vielfalt potentieller Kosten und Nutzen bei Großprojekten lässt davon ausgehen, dass diese nicht nur auf monetäre bzw. quantitativ fassbare Aspekte zu beziehen sind, sondern sämtliche positiven und negativen Effekte einschließen, die für Akteure eines Großprojektes Relevanz entfalten. In Annahme subjektiv gebildeter Realitäten ist dabei die individuelle Wahrnehmung entscheidend, unabhängig von der Faktizität eines Aspektes (vgl. Benighaus et al. 2010; Renn 1998; Meuer & Troja 2004; aus volkswirtschaftlicher Perspektive vgl. Hanusch 2011). Dies schließt nicht nur zu bewertende Objekte, sondern auch alle damit einhergehenden Prozesse ein. Einzelnen Themen wird hierbei besondere Bedeutung zugesprochen. Hierzu zählen z.B. verschiedene Effekte, die umgangssprachlich unter dem Begriff der Lebensqualität subsumiert werden können. Zu nennen sind vor allem Effekte auf die persönliche Gesundheit und den Wohn- und Lebensraum, z.B. die Veränderungen des Landschaftsbildes, gesundheitliche Risiken oder den Verlust des eigenen Wohnraums (vgl. Schreck 1998; Benighaus et al. 2010; Luge 2011; RWE 2012; BUND 2013). Augenmerk ist außerdem auf externe Effekte zu richten, die in Bezug auf verschiedene Themen im Zusammenhang mit Großprojekten und vor allem mit Blick auf eine wahrgenommene Ungerechtigkeit Erwähnung finden. Vereinfacht gesagt, gehen bei externen Effekten Kosten oder Nutzen ohne Gegenleistung bzw. Kompensation auf Außenstehende bzw. Unbeteiligte über (vgl. Europäische Kommission 1997:23f.)52. Es lassen sich drei Arten externer Effekte unterscheiden: Erstens technologische externe Effekte; sie „liegen dann vor, wenn Handlungen eines Akteurs den Nutzen bzw. den Gewinn eines anderen Akteurs direkt beeinflussen, ohne dass dieser Zusammenhang durch den Marktmechanismus erfasst wird; es findet also kein Ausgleich – etwa in Form einer Kompensationszahlung – statt“ (Fritsch 2001:93, Beispiel: Lärmverminderung, Luftverschmutzung). Zweitens pekuniäre externe Effekte, die als Folge einer Marktbeziehung entstehen, z.B. wenn andere Marktteilnehmer ihr Angebots- oder Nachfragever52

Für eine ausführlichere Definition externer Effekte vgl. auch Pigou (1979:26) oder Reinhardt (2008:36f.).

4.3 Conclusion zu Kosten- und Nutzenaspekten bei Großprojekten

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halten verändern (vgl. Fritsch 2014:81, Beispiel: Verteuerung von Flächen, günstigere Mieten). Drittens psychische externe Effekte; hierbei wird das Nutzenniveau eines Individuums „durch das Konsum- oder Nutzenniveau von Dritten beeinflusst[…], ohne dass ein physischer Zusammenhang vorliegt oder eine entsprechende Marktbeziehung besteht“ (Fritsch 2014:81, Beispiel: Gunst oder Missgunst bzw. Neid). Insgesamt lassen diese Erkenntnisse zur verschiedenen Effektarten jedoch noch keine Rückschlüsse darauf zu, ob und wie die Effekte explizit bei Großprojekten vorzufinden sind und welche Wirkung sie entfalten. Hinsichtlich der Bewertung all dieser Effekte kann mit Blick auf den Aspekt der Entscheidung unter Unsicherheit und unvollständiger Information (vgl. Goldschmidt 2012), die Anwendung von Heuristiken (vgl. Tversky & Kahneman 1974) und die damit einhergehende individuelle Wahrnehmung und Bewertung von Kontrollmöglichkeiten, Entscheidungsfreiheit, Schadenspotential sowie der Vertrautheit mit dem zu bewertenden Objekt (vgl. z.B. Zwick 2002; Wiedemann & Eitzinger 2006) die besondere Beachtung der individuellen Relevanzbewertung und zugeordneten, wahrgenommenen oder vermuteten, individuellen Eintrittswahrscheinlichkeiten der einzelnen Kosten- und Nutzenaspekte nahegelegt werden. Diese und andere Formen der subjektiven Gewichtung beeinflussen den Abwägungsprozess entscheidend, denn durch eine hohe Gewichtung wird einem Effekt ein entsprechend starker Einfluss auf das Verhältnis von Kosten und Nutzen eingeräumt. Unabhängig von der konkreten Art der Verrechnung positiver und negativer Aspekte, also der Konzeption des Kosten-Nutzen-Verhältnisses, ist davon auszugehen, dass schlussendlich das Ziel eines möglichst hohen Nettonutzens, also der größten Differenz zwischen (gewichteten) Kosten und Nutzen im Raum steht und sich verschiedene Projektalternativen53 daran messen lassen müssen. In diesem Zusammenhang ist anzunehmen, dass bei der Bewertung und Auswahl einer Alternative auch die Bedeutung von entgangenem Nutzen (Opportunitätskosten) bzw. nicht entstandenen Kosten (Opportunitätserlöse) eine Rolle spielt (vgl. z.B. Weiß 2008; Preuß 2011). Hierbei darf vermutet werden, dass zwischen Kosten-Nutzen-Verhältnis und dem Akzeptanzkonstrukt eine reziproke Beziehung besteht: Das Kosten-Nutzen-Verhältnis kann einerseits als zentrale Einflussgröße von Akzeptanz und Nicht-Akzeptanz angesehen werden, andererseits ist anzunehmen, dass es selbst durch das Ausmaß von Akzeptanz bzw. NichtAkzeptanz beeinflusst wird (vgl. Schweizer-Ries et al. 2010). Eine differenziertere Betrachtung dieser Beziehung liegt jedoch bislang kaum vor. Aufgrund der Dynamik eines Projekts, seiner Prozesse und Einflussfaktoren muss zudem davon ausgegangen werden, dass diese Abwägungs- und Entschei53

Dies kann sich auch auf eine Situation beziehen, in der nur die Alternative zwischen Umsetzung und Nicht-Umsetzung (Nullvariante) besteht.

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4 Kosten- und Nutzenaspekte von Konflikt und Akzeptanz

dungsprozesse immer wieder vorgenommen werden und zu unterschiedlichen Ergebnissen (verändertes Kosten-Nutzen-Verhältnis, Veränderung des Grades an Akzeptanz etc.) führen können. Die obigen Ausführungen zeigen bedeutende Aspekte, aber auch Wissenslücken hinsichtlich der empirischen Relevanz dieser Themen bei Großprojekten auf. Maßgeblich zweierlei Aspekte scheinen hierbei von besonderer Relevanz: Zum einen Art und Gewicht der Kosten und Nutzen, die bei Großprojekten Bedeutung entfalten, sowie deren Wirkung auf andere Aspekte der Projekte, vor allem die Akzeptanz. Leitfrage L3 „Welche Kosten- und Nutzeneffekte entwickeln bei Großprojekten Bedeutung? In welchem Zusammenhang stehen diese Kosten und Nutzen mit der Akzeptanz bzw. Konflikten bei Großprojekten?“ lässt sich diesbezüglich durch folgende Fragen ausdifferenzieren: F3.1: Welche Arten von Kosten und Nutzen entfalten bei Großprojekten empirische Bedeutung? F3.2: Welche Relevanz wird einzelnen Effekten zugeordnet? Welche Unterschiede gibt es hierbei bei Akteuren, Projekten und Projektträgern? F3.3: Wie gestalten sich Kosten und Nutzen sowie deren Verhältnis insgesamt?

5 Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten

„Frühzeitige und umfassende Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung sichern die inhaltliche Angemessenheit der technischen Lösung für den gesellschaftlichen Bedarf und senken damit die Wahrscheinlichkeit eskalierender Konflikte. Daher sind sie der Effizienz und Effektivität von Bauprojekten zuträglich“, so formuliert Brettschneider (2016:223) die Potentiale von Kommunikation und Beteiligung für Großprojekte. Methoden wie „Decide – Announce – Defend“ (Zilleßen 1993:36), also die interne Entscheidung nach Beratungen, dann die öffentliche Bekanntgabe und die Verteidigung gegenüber kritischen Stimmen, werden teilweise noch angewendet, haben aber zunehmend weniger Erfolg, wie zahlreiche Beispiele zeigen. „Die Zeit der Basta-Politik ist vorbei, auch Parlamentsbeschlüsse werden hinterfragt, vor allem, wenn es Jahre dauert, bis sie realisiert werden. Sie müssen jedenfalls in dieser Zeit immer wieder begründet und erläutert werden“ (Konfliktschlichter Heiner Geißler im Zusammenhang mit dem Projekt Stuttgart 21, zitiert durch Brettschneider 2013a:206). Kommunikation, Information und Beteiligung werden gerade bei Großprojekten zentrale Bedeutungen zugeschrieben, da die alleinige Legitimation von Großprojekten durch Verfahren nicht mehr ausreicht (vgl. z.B. Zilleßen 2007:84f.; Renn & Webler 1994:16ff.). Dies zeigt sich u.a. daran, dass zahlreiche Projekte zwar prozedural legitimiert sind, jedoch öffentlich keine Akzeptanz finden (vgl. Grunwald & Hocke 2006: 20ff.). „Die repräsentative Demokratie, so wie sie heute in Deutschland funktioniert, verliert zusehends an Unterstützung in der Bevölkerung. Es ist nicht nur ein Rückgang der Demokratiezufriedenheit zu beobachten, sondern auch ein fortschreitender Vertrauensverlust ihrer Institutionen und Akteure“ (Glaab 2016:4). Dabei werden nicht nur Beteiligungsformen als mögliche Intervention gesehen, sondern zugleich die Rollen von Information und Kommunikation als essentielle Begleiter von Beteiligung hervorgehoben, um auch diejenigen thematisch mitzunehmen, die nicht beteiligt werden wollen oder können (vgl. Renn 2013b:92). Zugleich wird die Rolle der Kommunikation immer öfter hinterfragt und es bedarf weiterer Forschung, um diese deutlicher herauszuarbeiten (vgl. Brettschneider 2011). Hierbei werden auch Stimmen laut, die auf potentielle negative Aspekte von Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten hinweisen, beispielsweise der starke Einfluss von Bildungsgrad, Alter und Zeitressour© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 I. M. Schmalz, Akzeptanz von Großprojekten, Politik gestalten – Kommunikation, Deliberation und Partizipation bei politisch relevanten Projekten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23639-7_5

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5 Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten

cen auf die Teilnahmewahrscheinlichkeit eines Bürgers bei einem Beteiligungsverfahren (vgl. Schmidt 2010; Masser 2008:177ff.) oder die Missbrauchsmöglichkeiten von Beteiligung als PR-Instrument (vgl. Neunecker 2015:52f.). Nachfolgend werden verschiedene Formen der Kommunikation und Beteiligung näher betrachtet, wobei im ersten Teil näher auf die verschiedenen Strukturierungsweisen von Informations-, Kommunikations- und Beteiligungsformen eingegangen wird. Im zweiten Teil werden mit Blick auf die von Brettschneider (2016) angeführten Potentiale verschiedene Effekte und Funktionen der unterschiedlichen Formen aufgezeigt und erörtert. 5.1 Ansätze zu Kommunikation und Beteiligung Informationsbroschüren und Webcams, Runde Tische und Kreativwerkstätten, Bürgerbeiräte, Soziale Medien und animierte Visualisierungen: Die Vielfalt der bei Großprojekten eingesetzten Kommunikationsinstrumente ist groß. Hinzu kommen unterschiedliche Ausführungs- und Gestaltungsmodi sowie verschiedene Kommunikatoren. Denn neben Projektträgern kommunizieren auch andere Projektakteure, z.B. Behörden und Bürgerinitiativen, Natur- und Umweltschutzverbände oder Wirtschaftsvertreter. Ganz allgemein können Formen der Kommunikation in persönliche und massenmediale, monologische und dialogische sowie direkte und indirekte Formen unterteilt werden (vgl. Zerfaß 2010:159). Diese Unterscheidungen alleine können jedoch die Kommunikationsweisen bei Großprojekten nur ansatzweise charakterisieren und lassen keine erklärenden Schlüsse für die Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten zu. Ein, vor allem die deutschsprachige Diskussion über die Strukturierung von PR- bzw. Kommunikations(management)formen, prägender Ansatz sind die vier Public Relations-Modelle von Grunig & Hunt (1984; vgl. hierzu auch Knödler 2005:88ff.). Die Modelle beschreiben vier Grundtypen der Kommunikation von der Propaganda hin zum symmetrischen Dialog und fokussieren neben Zweck, Art und Kommunikationsflussrichtung zwischen Sender und Empfänger unter anderem auf typische Anwendungsgebiete (vgl. Grunig & Hunt 1984). Beteiligung als wirkungsvolle und selbstbestimmte Teilhabe von Bürgern spielt in dieser Definition von Botschaftsabsender und -empfänger jedoch keine Rolle. Partizipatorische Ansätze hingegen betrachten verschiedene Formen, Übergänge und Modi von Kommunikation und Beteiligung mit Fokus auf den Teilhabeaspekt. Die alleinige Unterscheidung nach Einweg- und Zweiwegekommunikation oder persönlichen und massenmedialen Formen kann die Intentionen partizipatorischer Ansätze damit nicht ausreichend abbilden, wodurch eine andere Systematik zur Strukturierung dieser Ansätze vonnöten wird. Reed (2008) unterscheidet hierzu vier Typologien der Partizipation, die in Teilen an kommu-

5.1 Ansätze zu Kommunikation und Beteiligung

107

nikationswissenschaftliche Strukturierungsweisen anknüpfen, jedoch maßgeblich durch das spezifische Partizipationsverständnis der Kontexte, denen sie entstammen, z.B. ideologische, soziale, politische sowie methodologische Kontexte, geprägt sind (vgl. Reed 2008; Lawrence 2006). Unterschieden werden Ansätze, die Partizipation anhand des Grades der Stakeholderbeteiligung klassifizieren, Ansätze, die anhand der Kommunikationsflussrichtung einteilen, Ansätze, die anhand normativer und pragmatischer Prägung unterscheiden, sowie Ansätze, die Partizipation hinsichtlich der angesetzten Zielsetzung charakterisieren (vgl. Reed 2008:2419ff.). Die jeweiligen Ansätze sind originär nicht ausschließlich mit Blick auf die Strukturierung unterschiedlicher Kommunikations- und Partizipationsformen entstanden, sondern auch, um Defizite im Verhältnis zwischen Bürgern und Eliten aufzuzeigen (Stichwort Empowermentbewegung, vgl. z.B. hierzu Herriger 2014:14ff.; Herriger 2006). Reeds (2008) vier Typologien repräsentieren ähnlich wie die Modelle von Grunig & Hunt (1984) weniger Real- als vielmehr Idealtypen partizipatorischer Ansätze. Vor allem hinsichtlich des Grades der Stakeholdereinbeziehung und der Richtung des Kommunikationsflusses sind einige Ansätze, die beiderlei Elemente aufgreifen, zu verzeichnen. Aus Perspektive der angewendeten Kommunikationsformen bzw. der durch die Projektträger getriebenen Kommunikationsmodi heraus, eignen sich vor allem Ansätze dieser ersten beiden Typologien zur Strukturierung im vorliegenden Kontext, da weder der Vergleich zwischen normativ erwünschten und empirisch vorliegenden Partizipationsformen, noch die Diskussion zwischen unterschiedlichen Zielsetzungen dieser hier im Mittelpunkt steht54. Eines der grundlegenden Modelle zur Strukturierung partizipatorischer Formen ist Arnsteins (1969) „Ladder of Citizen Participation“. Das Modell wurde ursprünglich nicht zur Einordnung unterschiedlicher Beteiligungsformen im Sinne einer wertfreien Typologisierung erdacht, sondern als Kritikmodell der Empowermentbewegung an unterschiedlichen Formen praktizierter Bürgerbeteiligung. Neben akzeptierten Beteiligungsformen enthält dieser Ansatz auch Formen, die aus Arnsteins Perspektive als weniger qualifiziert oder wirkungslos beurteilt werden. Arnstein (1969:217; vgl. auch Nanz & Fritsche 2012) unterscheidet acht Stufen, zugeordnet zu drei Kategorien, die den Grad der Partizipation von Bürgern widerspiegeln. Der untersten Kategorie „Non-Participation“, die aus Arnsteins Sicht eher durch erzieherische Motive geprägt ist, ordnet sie aufsteigend Manipulation und Therapie zu. Den „Degrees of Tokenism“ weist 54

Kommunikation und (ideelle) Beteiligung bei Großprojekten geht oftmals mit materieller Beteiligung einher, diese steht jedoch hier nicht im Mittelpunkt (vgl. hierzu z.B. Granoszewski & Spiller 2012a). Ebenso wird nicht genauer auf Verfahren eingegangen, die im Rahmen von Konfliktvorbeugung und -bearbeitung entwickelt wurden, z.B. Konfliktmanagement oder -lösungsstrategien, wie sie z.B. von Voßebürger & Weber (1998); Audi (2014); Renn & Webler (1994); Boulding (1962) oder Zerfaß (2010) behandelt werden.

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5 Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten

sie im Sinne einer Alibi-Teilhabe Information, Konsultation und inszenierte Mitwirkung bzw. Beschwichtigung zu. Die „Degrees of Citizen Power“ umfassen partnerschaftliche Kooperationen, Machtabgabe und die umfassende Entscheidungsmacht durch die Bürger. Mit jeder zunehmenden Stufe nimmt der Grad der Beteiligung zu, zugleich impliziert der hierarchische Aufbau, dass höhere Stufen niedrigeren Stufen vorzuziehen sind (vgl. Arnstein 1969; Reed 2008; Johnson et al. 2004). Richtige Beteiligung geht aus Arnsteins Sicht (1969:219) erst dann los, wenn mehr als die konsultative Wahrnehmung von Bürgerinput stattfindet; alles darunter wird als zu oberflächlich beurteilt. Abbildung 9:

„Ladder of Citizen Participation“ von Arnstein (1969), eigene Darstellung

Die Quintessenz, dass sich verschiedene Formen der Beteiligung hinsichtlich Umfang, Reichweite und Qualität unterscheiden, zählt zu den maßgeblichen Verdiensten dieses Modells (vgl. Nanz & Fritsche 2012:23f.). Schwerpunkt die-

5.1 Ansätze zu Kommunikation und Beteiligung

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ses sowie ähnlicher Ansätze sind Kommunikations- und Beteiligungsformen, die durch Projektträger oder Behörden initiiert werden. Mit Blick auf die zentrale Rolle des Projektträgers hinsichtlich der Moduswahl (vgl. hierzu auch Kapitel 6.5.) stehen diese Ansätze auch hier im Mittelpunkt Ein deutsches Modell in Anlehnung an Arnsteins Ansatz wurde von Trojan (2001) im Kontext der Gesundheitsforschung entwickelt. Dieser differenziert vor allem in den mittleren und oberen Bereichen von Arnsteins Leiter weiter aus. So werden beispielsweise die konsultativen und dialogorientierten Stufen sowie die Formen der (Mit)Entscheidung differenzierter unterteilt. Ähnlich ist das neunstufige Modell von Wright et al. (2010) konzipiert. Neben Formen der Nicht-Partizipation, Vorstufen der Partizipation und der eigentlichen Partizipation ergänzt dieses Stufenmodell eine Stufe der Selbstorganisation, die über den partizipatorischen Prozess hinausgeht. Einen weiteren, achtstufigen Ansatz, der sich stark an Arnsteins Modell anlehnt, entwickelte Hart (1992) im Kontext von Kinderrechten. Alle bislang vorgestellten Modelle thematisieren Beteiligungsformen unter starker Betonung negativ konnotierter und oktroyierte Formen des Umgangs (z.B. Bevormundung, Erziehung, Manipulation) und weniger aus Sicht einer Strukturierungsidee von beteiligungsermöglichenden und kommunikativen Formen. Im Gegensatz dazu fokussiert das Partizipationsmodell von Köster (2009) wertfrei auf verschiedene Beteiligungsmöglichkeiten und unterscheidet Stufen der Nichtbeteiligung, des Informierens, Mitwirkens, Mitentscheidens sowie des Selbstverwaltens und der Selbstorganisation, deren Auswahl und Anwendung unter anderem von der allgemeinen und individuellen Situation (z.B. Interesse, Informationsverhalten, Betroffenheit)55 abhängt. Der ermöglichende Gedanke wird auch Macintoshs Modell (2004) vorangestellt, das die Level Enabling, Engaging und Empowering unterscheidet und auf dem Ansatz der OECD (2001) aufbaut, bei dem die Zurverfügungstellung von Information, die Möglichkeit in den Dialog einzutreten (Konsultation) und die Gelegenheit politische Prozesse mitzugestalten (aktive Partizipation) unterschieden wird. Die Schaffung von Beteiligungsmöglichkeiten kann zugleich als eine Form der Einräumung von Beteiligung verstanden werden, die ausschließlich die Seite der Beteiligenden repräsentiert, während Formen der Beteiligung, die durch Bürger bzw. Beteiligtenseite eingebracht werden, kaum eine Rolle spielen (vgl. hierzu Fritsche 2011:63). Dieses Defizit aufgreifend, entwickelte Lüttringhaus (2000) das „Stufenmodell der Partizipation“, das pyramidenartig angebotene Formen der Machthabenden (z.B. Behörden) und durchgesetzte bzw. durchgeführte Formen der Teilnahme durch Bürger gegenüberstellt.

55

Dieser Ansatz wurde im gerontologischen Kontext entwickelt.

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5 Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten

Abbildung 10: „Stufenmodell der Partizipation“ von Lüttringhaus (2000), eigene Darstellung TEILHABE Staatssystem

TEILNAHME Bürger/innen 5. Eigenständigkeit 4. Selbstverantwortung

4. Delegation von Entscheidungen 3. Partnerschaftliche Kooperation 2. Austausch, Dialog, Erörterung 1. Information Nichtbeteiligung Manipulation

3. Mitentscheidung 2. Mitwirkung 1. Beobachtung/Information Desinteresse

Das Gegenstück zu manipulativen Versuchen der Machthabenden besteht auf Seiten der Bürgerschaft dabei aus Desinteresse, dem Angebot von kommunikativem Austausch und fachlicher Erörterung steht die Mitwirkung durch die Bürger gegenüber, dem partnerschaftlichen Kooperationsangebot die Mitwirkung, der Delegation durch die Machthabenden die Selbstverantwortung der Bürger. Dieser Logik folgend steht der fünften und letzten Stufe der bürgerinitiierten Teilnahme, dem eigenständigen Bürgerhandeln, kein Pendant der Machthabenden gegenüber56. Diese Aufteilung nach Beteiligungsangebot und Beteiligungsteilnahme führen Schweizer-Ries et al. (2011) in ihrer Partizipationspyramide weiter, indem sie auf vier Stufen den Grad der Einbeziehung und den Grad der Mitwirkung unterscheiden: 1. Informieren – sich informieren, Information suchen/anfragen, 2. Konsultation, Meinung einholen – Mitdenken, Meinung äußern, 3. Kooperation, Mitentscheidung gewähren – Kooperation, Mitentscheiden, 4. Gewähren und Fördern von Handlungsspielräumen – Eigenverantwortlich handeln. Im Gegensatz zu den anfangs vorgestellten Ansätzen, die Stufen mit einem höheren Grad an Partizipation den Vorzug geben, plädieren diese Ansätze für eine kontextabhängige Anwendung einzelner Stufen bzw. die Prüfung jeder Stufe auf Eignung in der jeweiligen Situation, abhängig von der Stakeholderzahl und dem Prozessziel (vgl. Reed 2008; Richards et al. 2004; Tippett et al. 2007). 56

Auf eine kritisch-normative Diskussion der Legitimität von bottom-up oder top-down sowie freiwillig eingeräumten oder gesetzlich vorgesehenen Beteiligungsformen wird bewusst verzichtet und auf entsprechende Literatur, z.B. Kost & Wehling (2010) oder Nanz & Fritsche (2012) verwiesen.

5.1 Ansätze zu Kommunikation und Beteiligung

111

Dies unterstreicht auch der Ansatz von Selle (2013), in dem die Beteiligungsformen Information, Partizipation, Koordination und Kooperation unterschieden werden. Bezeichnenderweise wird hierbei unter Partizipation eine Form wechselseitiger Kommunikation verstanden, bei der eine Mitwirkung an Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen stattfindet, jedoch keine gleichberechtigte Zusammenarbeit; diese findet Raum in der Kooperation. Davidsons (1998) „Wheel of Participation“ hebt die geforderte Gleichberechtigung verschiedener Formen grafisch hervor und stellt der Metapher der Leiter ein Rad der Partizipation zur Seite. Davidson gestaltet sein Modell aus den Kommunikations- und Partizipationsformen Information, Consultation, Participation und Empowerment. Jede Form kann aus seiner Sicht in drei verschiedenen Ausprägungsstufen vorliegen. Einer minimalen, limitierten Ausführung, einer mittleren sowie einer qualitativ hochwertigen und wahrhaftigen Ausführungsweise. Jede Form soll demnach so eingesetzt werden, dass sie möglichst effektiv die Ziele des Beteiligungsprozesses unterstützt. Die hier vorgestellten Ansätze und Modelle repräsentieren bei weitem nicht alle vorhandenen Arbeiten zu diesem Thema. Ganz im Gegenteil. Die Liste unterschiedlicher Partizipationsmodelle ist lang, sie umfasst verschiedenste thematische Kontexte und fachliche Ausrichtungen. Hussey (2017) hat, aufbauend auf der Arbeit von Karsten (2012), eine Liste der englischsprachig verfügbaren Modelle zusammengestellt und ist alleine für die Jahre 1969 bis 2017 auf 54 Modelle gestoßen. Neben partizipationsgradorientierten Modellen sind hier auch andere Modelltypen der oben beschriebenen Struktur von Reed (2008) vertreten, beispielsweise solche, die ausschließlich oder in Kombination mit dem Partizipationsgrad auf die Richtung der Kommunikationsflüsse und damit auf Kommunikation als eigenständiges Phänomen fokussieren. Modelle dieser Art umfassen eher nur drei oder vier Formen von Kommunikation und Beteiligung und behandeln ergänzend zum unterschiedlichen Ausmaß des Stakeholdereinflusses die Richtung des Kommunikationsflusses. Renn (2005a:21ff.) unterscheidet beispielsweise bei den Instrumenten der Kommunikation drei Formen: Informationsbasierte Instrumente, dialogbasierte Instrumente und beteiligungsbasierte Instrumente. Letztere wiederum können in Orientierungsinstrumente, Selbstverpflichtungsinstrumente und Entscheidungsinstrumente unterteilt werden. Informationsbasierte Instrumente wie Formen der Öffentlichkeitsarbeit (z.B. Presseinformationen), Projektwebsites oder Informationsbroschüren ermöglichen eine reine Einwegkommunikation zwischen Sender und Empfänger. Renn erachtet diese Form besonders dann als geeignet, wenn das Ziel eine reine Informationsübertragung, der Adressatenkreis besonders groß ist oder die Informationstätigkeit als Begleitung von dialog- und beteiligungsorientierten Instrumente dient. Dialog- und Beteiligungsinstrumente ermöglichen eine Zweiwegekommunikation, bei der alle Teilnehmer sowohl Sender als auch Empfänger von Botschaf-

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5 Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten

ten sein können. Dialog umfasst aus Sicht von Renn (ebd.:20f.) „Fragen und Antworten, Erläuterungen und Nachfragen, Abfragen von Meinungen und Urteilen sowie gegenseitige Unterrichtung“, belässt jedoch die schlussendliche Bewertungsund Entscheidungshoheit beim Absender. Hierzu zählen Formen des persönlichen Gesprächs, Diskussionsrunden, Veranstaltungen, z.B. Tag der offenen Tür oder auch Onlineforen mit Feedbackfunktion. Beteiligungsformen hingegen beziehen den Botschaftsempfänger „direkt oder indirekt in die Entscheidungsfindung“ ein, wobei die Grenzen zwischen Dialog und Beteiligung fließend verlaufen (Renn 2005a:21). Die Einbeziehung kann erstens dadurch vorgenommen werden, dass die Entscheider Orientierung durch Stakeholder bzw. Bürger erhalten und deren Sichtweisen kennenlernen, zweitens kann Beteiligung durch Selbstverpflichtungsinstrumente erfolgen. Hierbei stellen die Entscheider die Plattform für Beteiligungsverfahren zur Verfügung, Ausführung und Umsetzung obliegt jedoch den Beteiligten selbst. Drittens kann Beteiligung über die Generierung von Entscheidungen bzw. Entscheidungsempfehlungen für den Projektträger bzw. die Behörde erfolgen (vgl. ebd.). Abbildung 11: „Formate der Beteiligung“ von Renn (2011a, 2013a), eigene Darstellung Bürgerprojekte, Selbstverwaltung Runde Tische, Mediation, Schlichtung Konsensuskonferenz, World Café, Bürgergipfel, Zukunftswerkstatt, Delphi Bürgerforen, Planungszellen, Online-Partizipation Bürgertelefon, Ombudsperson, Web2.0 Anhörung, Planspiele, Interviews, Fokusgruppen, Umfragen Flyer, Artikel, webbasierte Infos, Ausstellungen, Medienarbeit

Gemeinsame Entscheidungen, Bürger sind (Mit-)Entscheidungsträger oder Träger der Projekte Präferenzen der Bürger, Zweiweg-Kommunikation ist möglich, Entscheidung bleibt bei den Behörden Einweg-Kommunikation

Auch Brettschneider (2013c, 2016) unterscheidet bei seiner Strukturierung von Kommunikation bei Großprojekten drei Ebenen; eine Informationsebene, eine dialogorientierte Konsultationsebene sowie eine Ebene der Mitgestaltung. Welche Ebene sich in welcher Situation am besten eignet, hängt aus seiner Sicht vom jeweiligen Kontext ab, der sich neben wahrgenommenen Nutzenaspekten und dem Konflikt-und Eskalationspotential auch beispielsweise durch vorhandene Zeit- und Geldressourcen definiert und der aufgrund der unterschiedlichen Funktionen Instrumente mehrerer Formen im Rahmen eines Großprojektes notwendig machen kann (vgl. Brettschneider 2013c:15).

5.1 Ansätze zu Kommunikation und Beteiligung

113

Durch die verstärkte Beachtung informations- und kommunikationsbezogener Aspekte kristallisieren sich bei Kommunikations- und Beteiligungsansätzen zwei grundsätzliche Formen heraus: zum einen politikwissenschaftliche bzw. demokratietheoretische Ansätze mit Fokus auf Form und Ausmaß der Öffentlichkeitsbeteiligung, zum anderen Ansätze, die verschiedenen Kommunikationsformen und modi kontextabhängige Einsatzberechtigungen oder -empfehlungen zuschreiben (vgl. Mast & Stehle 2016:20f.). In eine ähnliche Kerbe schlägt die Unterscheidung zwischen politischer und sozialer Teilhabe. Während politische Partizipation beispielsweise die Beeinflussung von politischen Entscheidungen durch Bürgerinnen und Bürger bezeichnet (vgl. Kaase 2011:1781), der durch verfasste und nicht verfasste, direkte und indirekte, legale und illegale sowie legitime und illegitime Formen Ausdruck verliehen wird (vgl. Gabriel & Völkl 2005:531), impliziert die soziale Partizipation die „Beteiligung von Bürgern im halb-öffentlichen oder öffentlichen Raum, welcher nicht der staatlichen oder privatwirtschaftlichen Sphäre zugeordnet werden kann“ (Radtke 2016:66, H.n.i.O.). Trotz der Betonung, dass Letzteres sich auf Teilhabe ohne direkte politische Motivation bezieht (vgl. Roßteutscher 2009), ist die Abgrenzungsfrage zwischen den beiden Arten bislang nicht eindeutig beantwortet und scheint aufgrund der aktuellen Anwendungsfelder noch an Komplexität zuzunehmen (für einen Überblick über diese Diskussion vgl. Radtke 2016:67). Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten trifft genau in diesen offensichtlichen Überschneidungsbereich, da Adressat durch Beteiligung formulierter Botschaften sowohl politische Akteure und Prozesse wie auch gesellschaftliche oder wirtschaftliche Akteure sein können. Während aufgrunddessen eine feste Einordnung großprojektbezogener Kommunikation und Beteiligung weder sinnnoch zweckstiftend wirkt, ist eine klare Abgrenzung zur ökonomischen Form der Teilhabe jedoch sinnvoll (vgl. hierzu auch Mast & Stehle 2016:18). Eine materielle Beteiligung, z.B. in Form finanzieller Kompensationen, ist möglich und vor allem im Kontext von Großprojekten auch realistisch, steht aber aufgrund der weiteren Spezifika, die mit dieser Partizipationsform und der Kombination dieser mit anderen Formen einhergehen (vgl. z.B. Granoszewski & Spiller 2012a:13ff.), nicht im Mittelpunkt des Kapitels. Beteiligung kann weiter in Bürgerbeteiligung und Stakeholder- bzw. Akteursbeteiligung (Öffentlichkeitsbeteiligung) unterteilt werden, wobei Letzteres verfasste Akteure bzw. Akteursgruppen umfasst und Ersteres nicht oder kaum organisierte Bürger (vgl. Arbter et al. 2005:6)57.

57

Auf eine weitere Unterscheidung zwischen den Begriffen Partizipation und Beteiligung wird hier verzichtet, obwohl der Partizipationsbegriff eher sozialwissenschaftlicher Herkunft ist und der Beteiligungsbegriff auch im rechtlichen Sinne Anwendung findet (vgl. z.B. Hafner 2012:39f.). Die Begriffe werden in dieser Arbeit synonym verwendet.

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5 Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten

Im Kontext der zahlreichen Fachbereiche (Politik(wissenschaft), Kommunikationswissenschaft, Soziologie, Kinder- und Jugendarbeit, Gerontologie, Raum- und Stadtplanung etc.), in denen der Partizipationsbegriff wissenschaftlich ergründet wird und praktische Anwendung findet, sind neben den verschiedenen Strukturierungsweisen auch unterschiedliche Interpretationen des Verhältnisses zwischen Kommunikation und Beteiligung bzw. Partizipation in Gebrauch (vgl. Mast & Stehle 2016:17ff.; Pfaffenberger 2007). Kux (1980:116) sieht in Partizipation beispielsweise die „Einbringung konkreter Interessen an politischen Entscheidungen in Phasen des Entscheidungsprozesses zur Erhöhung der Chancen“ und lässt dabei offen, ob dies in Form der Konsultation oder Mitgestaltung mit Entscheidungsbefugnis erfolgt. Wie Backes & Nickels (2016) erwähnen, bezieht auch die Begriffsbestimmung von de Nève und Olteanu (2013:14) die verschiedenen Dimensionen der Partizipation umfassender mit ein, da alle Handlungen und Verhaltensweisen inkludiert werden, die „gesellschaftspolitische Prozesse anregen, initiieren, gestalten und/oder beeinflussen bzw. über bereits bestehende Strukturen und Entscheidungen reflektieren“. Autoren wie Roßnagel et al. (2016:50) sehen Beteiligung eher als Konstrukt, das in verschiedenen Formen, Richtungen und Machtverhältnissen vorliegen kann und definieren alle Stufen ihrer Ansätze als Beteiligungsarten. Andere sehen in Kommunikation, die oft nur als Information verstanden wird (vgl. Mast & Stehle 2016:24), ein Teilelement von Beteiligung (vgl. z.B. Schweizer-Ries et al. 2010:2; Buchholz & Huge 2014:7). Mast und Stehle (2016:17ff.) unterscheiden insgesamt fünf mögliche Modelle, die das Verhältnis zwischen Kommunikation und Beteiligung definieren und der Kommunikation damit ein unterschiedliches Maß an Bedeutung zuordnen: Kommunikation steht gleichberechtigt neben Beteiligung, Kommunikation ist Teil von Beteiligung, Kommunikation ist Beteiligung, Kommunikation kommt vor Beteiligung sowie Beteiligung kommt vor Kommunikation. Zusammenfassend formuliert, beziehen kommunikationsbezogene Ansätze Kommunikation integrativ als eigenständiges und berechtigtes Konstrukt ein und formulieren in diesem Zusammenhang, wie mögliche Kommunikationsformen ausgestaltet werden können, z.B. hinsichtlich Instrumentenwahl, Durchführungsmodi und Qualitätskriterien. Politikwissenschaftliche Ansätze mit Fokus auf spezifische Formen von Beteiligung hingegen vernachlässigen Kommunikation und Information vielfach (vgl. Mast & Stehle 2016:24). Echte Partizipation wird bei vielen Ansätzen erst dann als eine solche definiert, wenn mindestens Entscheidungs- oder Mitentscheidungsmacht der Teilhabenden vorliegt, da die Teilung von Macht als entscheidendes Kriterium angesehen wird (vgl. z.B. Arnstein 1969; Unger 2012; Bruner et al. 1999; Nanz & Fritsche 2012; Bogumil 2001), womit eine enge Sichtweise des Partizipationsbegriffes und damit eine klare Abgrenzung zur Kommunikation beschrieben wird.

5.1 Ansätze zu Kommunikation und Beteiligung

115

Für den vorliegenden Kontext der Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten wird ein empirischer Ansatz gewählt. Dieser inkludiert den   

Gedanken von Kommunikation als eigenständiges Element und Beteiligung als weit gefassten Begriff sämtlicher sozialer und politischer Einbringungsformen der Öffentlichkeit sowie verschiedene Formen mit unterschiedlichem Grad an Öffentlichkeitsbzw. Bürgereinfluss und verschiedenen Kommunikationsflussrichtungen,

wobei Orientierung an Brettschneider (2013c, 2016) und der VDI Richtlinie 7001 „Kommunikation und Öffentlichkeitsbeteiligung bei Planung und Bau von Infrastrukturprojekten – Standards für die Leistungsphasen der Ingenieure“ (vgl. Verein Deutscher Ingenieure 2013), die explizit für die Kommunikation und Öffentlichkeitbeteiligung bei Infrastrukturprojekten entwickelt wurde, genommen wird. Das Grundgerüst wird durch Kommunikation gebildet. Sie kann als einseitiger (Information) oder zweiseitiger Prozess (Konsultation, Mitgestaltung) sozialen Handelns abgebildet werden, der massenmedial oder interpersonal, direkt oder indirekt abläuft. Mit zunehmender dialogischer Ausrichtung kann ein zunehmender Einfluss der Bürger bzw. der Akteure/der Öffentlichkeit einhergehen, der auf der Konsultationsebene und der Ebene der Mitgestaltung sichtbar wird und in verschiedenen Formen von der Initiierung über Reflektion, Entscheidung und Selbstbestimmung vorliegen kann. Kommunikation beginnt oder endet dabei in keiner Ebene, sondern bildet als sozialer Handlungsprozess die Basis, mit der ein zunehmender Einfluss der Beteiligten einhergehen kann. Verschiedene Formen und Instrumente der Kommunikation fungieren hierbei als Werkzeuge dieser Prozesse. Rechtlich implementierte, formale Verfahren lassen sich hier ebenso einordnen wie zusätzliche, informelle Verfahren. Abbildung 12: Ebenen von Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten, angelehnt an Brettschneider (2013c) und die Richtlinie 7001 des Vereins Deutscher Ingenieure (2013), eigene Darstellung Ebene der Mitgestaltung Konsultationsebene Informationsebene

Zunehmender Einfluss der Bürger/Öffentlichkeit bzw. der Akteure

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5 Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten

Jede Ebene ist mit unterschiedlicher Eignung für Projektphasen, Zielgruppen und Zielsetzungen sowie Anforderungen an Situation und Kommunikationsinstrumente verbunden (vgl. u.a. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin 2011:77), womit sich die Präferenz oberer vor unterer Ebenen ausschließt. 5.2 Effekte und Funktionen von Kommunikation und Beteiligung Die Kommunikation stellt eine der wichtigsten Maßnahmen zur Vorbeugung von und Interaktion bei Konflikten dar, sie ist jedoch zugleich oft deren erstes Opfer (vgl. Bercovitch 1984:27). Bercovitchs Hinweis auf die Bedeutung und Verletzlichkeit von Kommunikation lädt ein zu untersuchen, durch welche Effekte und Funktionen der Kommunikation diese Rolle zugeordnet wird, aber auch wie die Gestaltung von Kommunikation diese Effekte und Funktionen beeinflusst. Der Schwerpunkt der vorliegenden Betrachtung liegt aus zwei Gründen auf informellen Verfahren. Erstens reichen aus Sicht vieler Experten formelle Verfahren alleine nicht (mehr) aus, um die gesetzlich vorgesehenen Funktionen (beispielsweise den Schutz der Rechte Betroffener) zu erfüllen. Ergänzend kommt hinzu, dass sie kaum mehr dem veränderten Politikverständnis der Bürger gerecht werden (vgl. z.B. Gaentzsch 2010; Versteyl 2011:3; Verein Deutscher Ingenieure 2013; Kapitel 1). Zweitens werden informelle Beteiligungsformen vielfach als wirkungsvoller eingeschätzt als formelle Verfahren, da bei den formellen Verfahren die Bedürfnisse der Bürger nach Anhörung meist keine Beachtung finden (vgl. Kahle 2014:47ff.). Obige Ausführungen zeigen bereits die Vielfalt wissenschaftlicher Betrachtungsweisen, Definitionen, Einschätzungen und Bewertungen von Kommunikation und Beteiligung auf. Ähnliches zeigt sich auch in der Praxis. Die Sichtweisen von Projektakteuren, was unter Beteiligung und Kommunikation verstanden werden kann und mit welchen Effekten diese einher gehen können, weichen teils stark voneinander ab (vgl. Antalovsky 1993). Aufgrund dieser unterschiedlichen Grundverständnisse und Effekte, die den Formen von Beteiligung und Kommunikation zugeordnet werden, besteht von Beginn an eine gewisse Grundherausforderung bei Wirkungsfragen (vgl. Antalovsky 1993:124; C.A.R.M.E.N 2014:15). Aus normativer Perspektive zählen zu vermuteten oder bestätigten Wirkungen von Kommunikation und Beteiligung nur solche, die Fragen nach einer zu stärkenden Bürgerteilhabe beantworten. Nachfolgende Erörterungen verstehen jedoch mit Blick auf die offene Strukturierungsweise, die im vorigen Teilkapitel vorgestellt wurde, unter Wirkung sämtliche Effekte, die durch Kommunikations- und Beteiligungsformen eintreten bzw. deren Eintritt vermutet wird, unabhängig davon, ob sie normativen Anforderungen diesbezüglich gerecht werden oder nicht.

5.2 Effekte und Funktionen von Kommunikation und Beteiligung

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5.2.1 Kommunikation mit geringem Öffentlichkeitseinfluss: Information Die Ebene der Information steht vor allem bei klassischer Öffentlichkeitsarbeit, wie sie beispielsweise von Unternehmen betrieben wird, im Vordergrund. Hier spielt Beteiligung im Sinne einer politischen Beteiligung von Öffentlichkeit kaum eine Rolle. Vielmehr bedient man sich hier vor allem der Information, um über Fakten, Aktuelles und seine Bemühungen bzgl. bestimmter Themen (z.B. Umweltbelange) zu kommunizieren und so das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit zu decken (vgl. Reinhardt 2011). In umfassenderem Kontext betrachtet, kann Information jedoch weit mehr. Sie ist eine grundlegende Voraussetzung für Kommunikation, vor allem solche mit größerem Stakeholdereinfluss, aufgrund der Rahmenbedingungen, die sie für alle nachfolgenden Kommunikationsprozesse erschafft (vgl. Antalovsky 1993:122). Denn Information bildet die Basis einer fundierten Meinungs- und Einstellungsbildung bzgl. eines Objekts bzw. Projekts sowie der Fähigkeit, Funktionen und Effekte eines Objekts einschätzen zu können (vgl. z.B. Schäfer & Keppler 2013:43; Schweizer-Ries et al. 2010; Antalovsky 1993). Dies wiederum beeinflusst die Ausbildung von Stakeholder- bzw. Akteursgruppen aus der Öffentlichkeit. Die Versorgung dieser Gruppen mit Informationen ist wiederum die Voraussetzung für diese, sinnstiftendes Feedback auf das Wahrgenommene vorzubereiten (vgl. O'Faircheallaigh 2010:20), wobei das Bedürfnis nach weiterer Information von Akteur zu Akteur ganz unterschiedlich ausgeprägt sein kann (vgl. Antalovsky 1993:122). Es hängt unter anderem mit der Frage zusammen, ob Projektträger und Behörden im Ruf stehen, grundsätzlich sparsam oder eher offen mit Informationen umzugehen – je sparsamer, desto mehr Information wird vorsichtshalber gefordert, auch auf die Gefahr einer „Informationsüberflutung“ hin (Antalovsky 1993:123). Bezüglich der Ausbildung von Akteursgruppen helfen entsprechende Informationen den Betroffenen abzuschätzen, ob sie sich mit dem Projekt und seinen Maßnahmen identifizieren können und das Projekt aus ihrer Sicht in das soziale und kulturelle Umfeld passt und ob das Projekt als Issue zu bewerten ist oder nicht (vgl. Antalovsky 1993; Renn 2014:76). Wichtig sind dabei besonders Informationen, „die den Anwohner einzuschätzen helfen, ob sie selber oder andere, die ihnen nahestehen, einen Nutzen von dem Vorhaben erfahren werden. Denn ohne Informationen über den Nutzen lässt sich schwer die Wünschbarkeit der Planungsvorhaben beurteilen“ (Renn 2014:76). Neben dieser selbstständigen Funktion ist Information auch als Begleitung von Konsultations- und Mitgestaltungsformen bedeutsam, z.B. um einen einheitlichen Informations- und Wissensstand zu ermöglichen (Bildung einer „kommunikativen Infrastruktur“), um Glaubwürdigkeit von Akteure untereinander (wieder) herzustellen und eine Gesprächsbasis sowie gemeinsame Verfahrensregeln zu schaffen (vgl. Hörschinger & Nessmann 2007: 246f.).

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5 Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten

Um Partizipationshemmungen bei zweitseitigen Kommunikationsprozessen mit stärkerer Beteiligung und Einfluss von Stakeholdern zu senken und die Aufmerksamkeit hierfür zu fördern, hat dabei nicht nur das Erreichen direkt Betroffener, sondern vor allem jener, die nicht direkt am Projekt interessiert oder davon betroffen sind, eklatante Bedeutung (vgl. Antalovsky 1993). Durch die Motivation dieser weniger aktiven Personen zur Teilnahme kann das vielfach bei Beteiligungsformen verzerrte Teilnehmerfeld (vgl. hierzu die weiter unten folgenden Ausführungen bzgl. Beteiligungsformen) qualitativ verbessert werden (vgl. Keppler 2010:24). Ergänzend kommt hinzu, dass nicht alle Bürger aktiv beteiligt werden wollen (oder können) und daher die öffentliche Kommunikation über Beteiligungsverfahren besonders wichtig ist, damit auch die nicht direkt eingebundene Öffentlichkeit über das Projekt sowie den Verfahrensverlauf informiert ist (vgl. Ewen 2009:162). Gerade den (klassischen) Massenmedien kommt hinsichtlich der Erreichbarkeit (bislang) weniger interessierter Menschen eine zentrale Bedeutung zu, aufgrund der Chance, auch hier eine transparente Informationsbasis zu schaffen und ggf. so zur Versachlichung von Diskussionen beizutragen (vgl. Brettschneider 2011:40ff.)58. Zu beachten ist jedoch, dass Medien hierbei zwar eine Übermittlungsfunktion übernehmen, diese aber unter den Bedingungen einer eigenen Medienlogik abläuft, die beeinflusst, wie wann welche Ereignisse aufgegriffen und publiziert werden (vgl. z.B. Renn 1994:182ff.). Aus dieser Sichtweise heraus spiegeln die Medien nicht die objektive Realität eines Projektes wider, sondern konstruieren eine eigene, mediale Realität (vgl. z.B. Schulz 1976). Letztlich werden Kommunikationsformen, im speziellen Informationsformen, aufgrund ihrer transparenzschaffenden und Informationsdefiziten vorbeugenden Einsatzmöglichkeiten dennoch überwiegend positive Effekte, vor allem auf die Akzeptanz von Projekten zugeschrieben (vgl. Bentele 2016:84; Schink 2011a; Schuster & Lantermann 2002; Brettschneider 2016:236). Für die Entfaltung dieser Effekte gelten jedoch zahlreiche Bedingungen. Zu den am häufigsten genannten Anforderungen an Information und Kommunikation zählen ihr frühzeitiger Beginn sowie ihre kontinuierliche, dauerhafte und umfassende Umsetzung, unter Begleitung wiederholender Erläuterungen und Begründungen bzw. Argumenten, auch hinsichtlich anderer oder verworfener Alternativen (vgl. z.B. Brettschneider 2012:436; Brettschneider 2013b:322; Appel 2013:347; Funke 2017:16; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2014:11f.; Renn 2011b:5; Renn 2011b; Renn 2014:75f.; Renn & Webler 1998:15). Zu späte oder unvollständige Informationen können hingegen Protest hervorrufen, also eine Form der Ablehnung, die mit entsprechenden Handlungen unterstrichen wird (vgl. Brettschneider 2012:436). Bei Personen mit bereits stark ausgeprägten Einstellungen bezüglich des Projekts und seiner Prozesse kann es zudem zur selektiven Wahrnehmung 58

Für die weitere Rolle der Medien bei Beteiligungsprozessen vgl. z.B. Bentele (1999).

5.2 Effekte und Funktionen von Kommunikation und Beteiligung

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neuer Inhalte kommen: Sie nehmen dann vor allem jene Aspekte wahr, die ihre eigenen Positionen unterstützen. Informationen, die ihrer Position widersprechen, werden seltener wahrgenommen. Dies bedeutet, dass mit zunehmendem Eskalationsniveau bzw. vertiefendem Prozess die Verfestigung von Einstellungen und damit auch die Informationsselektion zunimmt. Eine frühere Kommunikation hat damit größere Chancen auf Erfolg (vgl. Brettschneider 2011:44ff.). Hinzu kommen jedoch unterschiedliche Konsumeigenschaften von Informationen, verschiedene soziale Kontexte und Kommunikationsprozesse und so kann trotz umfassender Bemühungen der Absender beim Botschaftsempfänger, dem Akteur, der Eindruck entstehen, zu spät oder anders bzw. falsch informiert worden zu sein. Diese Diskrepanz zwischen Sender und Empfänger sollte bei der Informationsvermittlung ebenfalls Beachtung finden (vgl. Roßnagel et al. 2016:73). Dem Hinweis auf frühzeitige Kommunikation steht entgegen, dass Projektträger oftmals Hemmungen haben, mit halbfertigen Entwürfen in die Öffentlichkeit zu treten, u.a. im Vertrauen darauf, dass eine fachlich ausgereifte und damit später vorgestellte Lösung größere Überzeugungskraft besitzt. Unterschätzt wird dabei jedoch die vertrauensbildende Wirkung eines unfertigen Planes oder verschiedener Variantenlösungen, die in der Öffentlichkeit vorgestellt werden (vgl. Antalovsky 1993:123). Vertrauensbildende Inhalte alleine reichen jedoch nicht aus. Um die Infragestellung von Aussagen zu vermeiden, bedarf es zusätzlicher kontextueller Faktoren (z.B. einem glaubwürdigen Sender und eine Einbeziehung der Empfänger in die Formulierung von Botschaften; vgl. Roßnagel et al. 2016:75) – „im Sinne von Partizipation bei der Sammlung und Erstellung von Informationsinhalten“ (ebd.:76). Hinzu kommen Kriterien der Fairness, der fachlichen Korrektheit sowie der Legitimität. Das bedeutet im Detail, dass Informationen ehrlich und fachlich korrekt aufbereitet sowie fair gegenüber den Beteiligten gestaltet sein sollten, sodass Vor- und Nachteile bzw. Kosten und Nutzen gerecht verteilt sind (vgl. z.B. Ewen 2009; Brettschneider 2012:436; Brettschneider 2013b:322). Inhaltlich wird dabei empfohlen, nicht nur harte, sondern auch weiche Fakten anzusprechen und auf große Verständlichkeit der Inhalte zu achten (vgl. z.B. Brettschneider 2012:436; Brettschneider 2013b:322; Ewen 2009). Beispielsweise sollte aus „ExpertenExperten-Kommunikation“ „Experten-Laien-Kommunikation“ werden (Brettschneider 2011:43), um Kommunikation auf Augenhöhe überhaupt technisch erst möglich zu machen, denn „Fachsprache wird als unverständlich und distanzierend wahrgenommen (vgl. Brettschneider 2012:436). Dies gilt insbesondere für die Pressearbeit (vgl. Brettschneider & Vetter 2011). Für die Verbreitung von Informationen wird insgesamt zudem die Wahl geeigneter und unterschiedlicher Medien empfohlen, um die bereits thematisierte Bandbreite unterschiedlicher Personen ansprechen und die Zugänglichkeit zu den Informationen gewähren zu können (vgl. Brettschneider 2011:46; Brettschneider 2012:436; Appel 2013:347). Unter-

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stützende Wirkung wird hierbei verschiedenen Visualisierungsformen zugeschrieben (vgl. Brettschneider 2012:436; Brettschneider 2013b:322), da sie für eine Vielzahl der genannten Aspekte förderlich sind, beispielsweise Transparenz und Verständlichkeit. Ebenso wird eine proaktive statt reaktive Herangehensweise (also beispielsweise die Darlegung von Begründungen auch ohne Aufforderung oder der Anstoß von Kommunikationsprozessen unabhängig von gesetzlichen Genehmigungsverfahren) als protestmindernd bzw. akzeptanzfördernd wahrgenommen (vgl. Brettschneider 2011:41f.; Funke 2017:15). Zusammenfassend können folgende Effekte skizziert werden (vgl. Brettschneider 2011; Bürki 2011; Brettschneider & Vetter 2011; Brinker 2011; Stotz & Kaim 2011; Flachsbarth 2011; Ewen 2012; Schweizer-Ries et al. 2010): Unvollständige, späte, einseitige, exklusive, unverständliche oder intransparente Kommunikation kann zu Eskalationen, Vertrauensverlust und Missverständnissen führen. Massenmediale wie auch Grassroots-Kommunikation vergrößern die teilnehmende Öffentlichkeit. Transparente, verständliche, umfassende und neutrale Kommunikation kann zur Versachlichung einer Diskussion, zur Schaffung einer gemeinsamen Informationsgrundlage bis hin zu Meinungsänderung führen. Zu den Instrumenten der Information zählen beispielsweise Printmedien (Broschüren, Flyer, Plakate), digitale Medien (z.B. Projektwebsite oder -blog, Newsletter), klassische Presseund Öffentlichkeitsarbeit (z.B. Pressemitteilungen) sowie Veranstaltungen und Events, die rein informativen Charakter haben (z.B. Ausstellungen, Fachvorträge), aber auch zahlreiche Visualisierungsformen (z.B. Architekturmodelle, Filme; vgl. Renn 2012a:88). Roßnagel et al. (2016) haben es bei der partizipativen Erstellung von Inhalten bereits anklingen lassen und auch andere Autoren weisen darauf hin: Mit Blick auf das gesteigerte Teilhabebedürfnis der Bürger, die oft komplexen und selten eindimensional interpretierbaren Aspekte bei Großprojekten, steigt die Bedeutung der Ergänzung von Einweg- bzw. Informationsinstrumenten durch dialogorientierte Formen, die mit unterschiedlichem Maß an Stakeholdereinfluss einhergehen (vgl. Brettschneider 2012:436; Brettschneider 2013b:322; Renn 2011a:33). 5.2.2 Kommunikation mit mittlerem Öffentlichkeitseinfluss: Konsultation Die Ergänzung einseitiger Informationsformen durch zweiseitige Kommunikation, die Möglichkeit für Feedback und Dialog gibt und zugleich mit steigendem Einfluss der Stakeholder einhergeht, wird mit unterschiedlichen Effekten verbunden. Ausgangspunkt ist die These, dass durch Dialogverfahren eine gesellschaftliche Verständigung beispielsweise bezüglich eines Projektes herbeigeführt werden kann (vgl. Roßnagel et al. 2016:76f.; Reinhardt 2011). Aus Sicht von Roßnagel et al. (2016) kann diese entweder durch Verhandlungen auf Basis von Machtressourcen

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und Verhandlungsstrategien (vgl. Hopmann 1996) oder durch echte Verständigung, basierend auf strikter Logik (vgl. Renn 2012b:191) in Form des „zwanglose[n] Zwang[s] des besseren Arguments“ (Habermas 1991:123, H.n.i.O.) erfolgen. Zu Kommunikationsinstrumenten dieser Stufe zählen beispielsweise Gesprächsrunden und Veranstaltungen mit Feedbackmöglichkeit, persönliche Kontakte (z.B. Projektbüro vor Ort, persönlicher Ansprechpartner) oder digitale Medien (z.B. Soziale Medien, vgl. u.a. Renn 2012a:88). Entscheidend für die Wahl der Kommunikationsform ist u.a. die Stärke der Stakeholdergruppe(n), ihre Interaktionshäufigkeit, das Vertrauensverhältnis sowie Abhängigkeits- und Einflussgrad der Gruppe(n) (vgl. Reinhardt 2011:150). „Ziel sind symbiotische Veränderungen in den Einstellungen und Verhaltensweisen des Unternehmens wie auch der Gruppen im Umfeld“ (Mast 2010:33). Diese auf wechselseitigem Verständnis beruhende Sichtweise stellt in der Öffentlichkeitsarbeit vielerorts die Maximalausprägung einer Zweiwege-Interaktion dar. In der Weiterentwicklung der vier PR-Grundmodelle von Grunig & Hunt (1984), dem Win-Win-Modell (vgl. Dozier et al. 1995: 48), wird hingegen das gegenseitige Verständnis und mögliche Veränderungen von Einstellung und Verhalten durch den Aspekt des beidseitigen Nutzens erweitert. Ziel und Aufgabe der Kommunikation ist es demnach, zwischen Organisationsund Stakeholderinteressen zu vermitteln und zwar so, dass beide Seiten Nutzen erfahren. Diese Erweiterung lässt eine zunehmende Stakholderorientierung der Öffentlichkeitsarbeit erkennen. Ähnlich wie bei informationsbasierten Formen der Kommunikation, wird auch der zweiseitigen Kommunikation durch den Einfluss auf Einstellungen ein Effekt auf die Akzeptanz eines Projektes zugeschrieben. Es wird angenommen, dass die Schaffung transparenter Verfahren durch Kommunikation und Konsultation die Akzeptanz von Vorhaben erhöht (vgl. z.B. Buchholz & Huge 2014; Schweizer-Ries et al. 2010; Erp 1998; Kahle 2014), da ein Austausch von Informationen, Betroffenheiten, Interessen und Bewertungen auch im Falle eines subjektiv unerwünschten Ergebnisses die Chance hat, legitimiert zu werden (vgl. Schink 2011b:386f.; Pünder 2005) und dieser Prozess eine Vergrößerung der Schnittmenge aus Expertenmeinung, subjektiver Einschätzung der Beteiligten und allgemein anerkannten, öffentlich konsensfähigen Meinungen erzeugen kann (vgl. Keck 2011:46ff.). In Anspielung auf die Unterscheidung zwischen Verfahrens- und Ergebnisakzeptanz weist Kahle (2014:76) jedoch darauf hin, dass aus der grundsätzlichen Akzeptanz eines Verfahrens keinesfalls zwingend die Akzeptanz des Prozessergebnisses erfolgen muss. Die Akzeptanz eines Verfahrens trägt jedoch maßgeblich zur Akzeptanz des Ergebnisses bei (vgl. Brettschneider 2013c:15). Zugleich wird mit konsultativen Prozessen auch die Hoffnung auf frühzeitige Identifizierung kritischer Themen und Akteure verbunden (vgl. Hörschinger & Nessmann 2007:244) sowie die Eruierung von Informationen, (subjektiven) Aspekten und Bedürfnissen, die bislang keinen Eingang in das Projekt gefunden

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haben, beispielsweise da sie in keinem Gutachten verzeichnet waren (vgl. Keck 2011:48). Die frühzeitige Konsultation vor allem kritischer Akteure gibt die Möglichkeit, deren Belange in den Entscheidungsprozess einfließen zu lassen (vgl. Nanz & Fritsche 2012:34) und auf diese Weise soziale Konflikte zu verhindern oder zumindest zu vermindern. Die zweiseitige Kommunikation ermöglicht damit nicht nur die Chance auf Wissens- und Kompetenzzunahme bei allen, sondern setzt auf die gegenseitige Beratung (vgl. Nanz & Fritsche 2012:33ff.). Wird hingegen auf die Konsultation von Stakeholdern verzichtet, so kann dies Konflikte provozieren, die dann Kommunikationsformen mit intensiverem Stakeholdereinfluss und -beteiligung notwendig machen (vgl. Hörschinger & Nessmann 2007:246). Bei allen Konsultationen sollte jedoch bedacht werden, dass aufgrund der oftmals mangelnden Repräsentativität der Dialogpartner von keiner prinzipiellen Verallgemeinerungsfähigkeit der Erkenntnisse und Ergebnisse ausgegangen werden darf (vgl. Keck 2011:47). Von welchen Faktoren hängt der Erfolg einer konsultativen Kommunikationsform nun konkret ab? Wie bei Formen der Information wird auch bei Konsultationsformen auf die Bedeutung eines frühzeitigen Beginns hingewiesen, einerseits um den Eindruck einer scheinheiligen Konsultation zu vermeiden, in deren Rahmen der Öffentlichkeit bereits fertige Pläne präsentiert werden und kein wahrhaftiges Interesse an einem offenen Dialog entsteht, andererseits um aus planerischer Sicht noch die Chance zu haben, mögliche Veränderungen aufgrund des Stakeholderinputs vornehmen zu können (vgl. auch Hörschinger & Nessmann 2007:245). Offenheit als Erfolgskriterium von Konsultation bezieht sich hierbei nicht nur auf eine planungsbezogene Offenheit, sondern auch den wahrhaftigen Willen des Projektträgers, da sonst ein Vertrauensverlust droht. Beachtung sollte hierbei jedoch auch das Planungsparadoxon finden. Dieses besagt, dass bei anfänglich hoher Abstraktion des Projekts das Bürgerinteresse an Projekt und Beteiligungsverfahren meist gering ist, beispielsweise aufgrund unklarer Betroffenheiten. Mit zunehmendem Projektfortschritt und damit einhergehender sinkender Abstraktion zeichnet sich ab, inwiefern wer wo betroffen sein wird, das Bürgerinteresse steigt, jedoch sinken zugleich die Einflussmöglichkeiten auf das Projekt aufgrund fortgeschrittener Planungen und Projektfestlegungen (vgl. Roßnagel et al. 2016:21; Hitschfeld & Eichenseer 2014:54). Egal zu welchem Zeitpunkt ein Kommunikationsprozess begonnen wird, empfiehlt sich die Absprache klarer Rahmenbedingungen zu den Absichten, Zielen und Ansprechpartnern des Prozesses, um Unklarheiten zu vermeiden (vgl. Hörschinger & Nessmann 2007:245) und die Basis für eine symmetrische Interaktion und einen Dialog auf Augenhöhe schaffen (vgl. Renn & Webler 1996:190). Gewichtige Faktoren hierfür sind zum einen eine umfassende Begründung des Vorgehens, der Legitimität des Projekts und der Prozess- bzw. Verfahrensgestaltung seitens der Projektträger (vgl. Hörschinger & Nessmann 2007:245), zum anderen

5.2 Effekte und Funktionen von Kommunikation und Beteiligung

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die Beachtung und Erörterung verschiedener Sichtweisen zwischen und mit allen Stakeholdern, um eine Verhärtung von Fronten durch Missachtung zu vermeiden (vgl. Brettschneider 2011:40). Dies setzt voraus, dass neben allen Interessierten und Betroffenen auch potentiell betroffene Personen und Gruppen einbezogen werden (vgl. Geis 2005:19). Hierfür bietet sich der Einsatz von Kommunikationsformen mit niedrigen Beteiligungshürden (z.B. persönliche Gespräche) oder Dialogformen, die zeit- und ortsungebunden sind (z.B. soziale Medien, vgl. Brettschneider & Vetter 2011) an. Um zu vermeiden, dass bei den Konsultationsformen immer die „üblichen Verdächtigen“ zu Worte kommen, empfiehlt es sich zudem beispielsweise Gesprächspartner auch zufällig auszuwählen oder Formen der aufsuchenden Beteiligung anzuwenden. Hierbei muss nicht der Bürger aktiv werden, sondern die Kommunikatoren kommen aktiv auf den Bürger zu. Gerade dies senkt die Hürden der Beteiligung. Persönliche Gespräche, Beiräte und persönliche Ansprechpartner werden hierbei als besonders wirkungsvolle und vertrauensbildende Kommunikationsformen angesehen (vgl. z.B. Funke 2017:16; Roßnagel et al. 2016:99f.; Hörschinger & Nessmann 2007:245). Ergänzend sollte beachtet werden, aus welchen menschlichen Typen der Stakeholderkreis sich zusammensetzt. Mast & Stehle (2016:141) stellen vier Stakeholdertypen vor, die unterschiedliche Interessensschwerpunkte und Neigungen verkörpern und damit auch unterschiedliche Ansprüche an die Kommunikation stellen, z.B. hinsichtlich der Dialog- und Austauschbereitschaft, der Anforderungen an Informationen, bevorzugter Medienarten sowie der Kompromissbereitschaft. Unterschieden werden können der „anspruchsvolle Informationstyp“, der „aktive Dialogtyp“, der „nutzenorientierte Gesprächstyp“ sowie der „verschlossene Heimatverbundene“ (ebd.). Kommunikative Formen, die einen Einfluss von Stakeholdern in Form von gegenseitiger Konsultation umfassen, werden zu den zentralen und wirkungsvollen Bausteinen der Akzeptanz eines Projektes gezählt. Je nach Fall wird jedoch die Ergänzung durch Formen der Mitgestaltung bzw. Mitentscheidung empfohlen (vgl. z.B. Eisenkopf et al. 2014:48f.; Kahle 2014:74ff.) bzw. als unbedingt notwendig erachtet (vgl. Appel 2013:347). 5.2.3 Kommunikation mit hohem Öffentlichkeitseinfluss: Mitgestaltung Beteiligungsformen bei Großprojekten werden besonders dann als notwendig erachtet, wenn Kommunikationsformen mit geringerem Stakeholdereinfluss, also Information und Konsultation, nicht mehr ausreichen, um zentrale Voraussetzungen von Akzeptanz (Nutzen, Identität, Orientierung, Selbstwirksamkeit) zu unterstützen. Dies ist besonders dann der Fall, wenn Projekte besondere Einschnitte in die Lebenswelt mitbringen (vgl. Renn 2014:75f.; Fisch et al. 2010:177). Die Mit-

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gestaltungsebene bietet die Möglichkeit einer Einbeziehung und Reflektion bei konkreten Fragen sowie Kontroversen und gegensätzlichen Interessenslagen mit dem Ziel, eine fokussierte fachliche Orientierung, die Erarbeitung von gemeinsamen Richtlinien oder Standards, eine gemeinsame Lösungsfindung oder zumindest die Klärung von konsensfähigen und dissensgeprägten Aspekten zu erreichen (vgl. u.a. Renn 2012a:88f.). Inwiefern dabei die Macht der (Mit)Entscheidung auf die Teilnehmenden übergeht, ist situationsabhängig. Zentraler Aspekt ist vielmehr die gemeinsame Gestaltung. Zu den typischen Instrumenten der Mitgestaltungsebene zählen z.B. Runde Tische, Arbeitsgruppen, Zukunftswerkstätten oder Mediationen (vgl. u.a. Renn 2012a:88f.). Am Anfang eines Mitgestaltungsprozesses stehen der Austausch und Transfer von Informationen, Fachwissen und Sichtweisen sowie der Aufbau von Kompetenzen bei den Beteiligten und zwar sowohl bei Projektträgern als auch beteiligten Stakeholdern (vgl. Nanz & Fritsche 2012:33ff.; O'Faircheallaigh 2010:20ff.; Wiedemann et al. 1991:165; Irvin & Stransbury 2004:55ff.). Dies ist vor allem bei komplexen Situationen von Vorteil, da der Akteurs- bzw. Stakeholderinput eine wichtige Ergänzung zum Expertenwissen sein kann (vgl. Renn 2011a:32f.) und durch den Austausch ausgewogene und innovative Informationen, Verbesserungsvorschläge und technische Ergänzungen generiert werden können, die sonst nicht aufgekommen wären (vgl. O'Faircheallaigh 2010:20ff.; Beierle 2000; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2014:11f.). Es muss jedoch einschränkend davon ausgegangen werden, dass nur ein gewisser Teil von Stakeholdern über ausreichend technisches oder naturwissenschaftliches Vorwissen verfügt, um technische Ergänzungen einbringen zu können (vgl. Beierle 2000). Nutzten Verwaltung und Behörden Beteiligungsformate früher, um sicher zu gehen, dass sie im Sinne der Öffentlichkeit handelten, so werden die Formate heute eingesetzt, um festzustellen, was überhaupt das Interesse der Öffentlichkeit ist (vgl. Beierle & Cayford 2002:5). Denn neben objektiven bzw. fachlichen Aspekten spielt der Austausch subjektiver Aspekte und Empfindungen eine zentrale Rolle; Präferenzen, Ansichten und Werte der Betroffenen eines Projekts stellen eine wichtige Grundlage der Entscheidungsfindung dar (vgl. Renn 2011a:33; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2014:11f.). Diese Formen der Kommunikation werden von den meisten Autoren unter Beteiligung subsummiert, unterscheiden sich jedoch in ihrer Art so gesehen noch nicht von den Konsultationsformen. Die Funktionen einer tatsächlichen Mitgestaltung entfalten sich hingegen erst unter gewissen Voraussetzungen, die sich auf das Verhältnis von Kosten und Nutzen beziehen. Hier hinein zählen ganz allgemein z.B. die Transaktionskosten

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und -nutzen eines Verfahrens59, die Zufriedenheit mit dem Ergebnis60, der Einfluss auf die Qualität der Stakeholderbeziehungen sowie die Nachhaltigkeit bzw. Dauerhaftigkeit eines Prozessergebnisses (vgl. z.B. Ury et al. 1991:28ff.; Schäfer & Keppler 2013:42; Nanz & Fritsche 2012:32ff.). Bei entsprechendem Verhältnis von Kosten und Nutzen wird Mitgestaltungsformen das Potential zugeschrieben, wahrgenommene Nachteile bei Großprojekten reduzieren zu können (vgl. Erp 1998), beispielsweise durch die Internalisierung externer Effekte (vgl. Coase 1990:174ff.). Die ist zum einen möglich, indem durch Einbeziehung von Beteiligten in Verfahren und gemeinsame Beschlüsse externe Effekte nicht mehr als solche gezählt werden. Zum anderen bietet Beteiligung eine Art Ausgleichsfunktion und ermöglicht die Bildung eines Gegengewichts zum Projektträger (vgl. Appel 2012:1362), wodurch für die Beteiligten die Chance auf das Gefühl steigt, durch ein bzw. das gemeinsame Ergebnis hinzu gewonnen zu haben (vgl. auch Beierle 2000). Sollte es im Rahmen eines Prozesses jedoch nicht gelingen, die wahrgenommenen Kosten zu senken oder zu kompensieren, so besteht das Risiko, dass die beteiligten Stakeholder auch keinen Nutzen (mehr) in der Mitgestaltung sehen, da diese nach wie vor Zugeständnisse ihrerseits erfordert bzw. erfordern wird und zudem Geld und Zeitressourcen eingesetzt werden müssen (vgl. Schäfer & Keppler 2013:42; Zilleßen 1998b:34; Holtkamp & Stach 1995:8). Diese Konzeption des Kosten-Nutzen-Verhältnisses durch Mitgestaltungsprozesse lässt sich nun weiter durch eine Vielzahl von Aspekten charakterisieren. Konkret wird beispielsweise in der Bildung eines Gegengewichts zum Projektträger nicht nur eine Ausgleichsfunktion gesehen, sondern die konkrete Möglichkeit zur Abwägung von Expertise und Gegenexpertise (vgl. Wiedemann et al. 1991:165f.), wodurch eine ganzheitliche und integrierende Betrachtung eines Projekts gestattet wird (Beierle 2000). Denn im Vergleich zu rein technischen Entscheidungen spielen bei Entscheidungen, die durch Mitgestaltung der Öffentlichkeit zustande gekommen sind, auch ethische Aspekte, Fragen der Mittelwahl sowie die Bewertung von Konsequenzen eine Rolle. Beteiligte Laien können soziale und normative Aspekte entsprechend ihres Normen- und Wertesystems einbeziehen – im Vergleich zu Experten, die eher auf Basis „harter Fakten“ begründen (vgl. hierzu die umfangreichen Ausführungen, unter Nennung zahlreicher weiterer Autoren, von Goldschmidt 2012:39ff.). Aus Sicht von Irvin & Stransbury (2004) erhalten Entscheidungen dadurch eine realitätsnähere Basis. Nicht nur aus Perspektive der beteiligten Stakeholder kann ein Ergebnis durch Mitgestaltung selbiger hinzugewinnen. Zahlreiche Autoren weisen auch auf die 59 60

Beispielsweise materielle und persönliche Kosten, Einbußen, Zeitaufwand, Verlust/Gewinn von Reputation, gewonnene/verlorene Anerkennung. Inwiefern spiegeln das Ergebnis und der Prozess die Vorstellungen der einzelnen Akteure wider? Lief das Verfahren fair ab?

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verbesserte Prozessergebnisqualität hin. Zu den möglichen Effekten zählen beispielsweise Prozessergebnisse mit höherer Individualität, Flexibilität und Innovativität sowie gesteigerter Effizienz, hinzu kommt die verbesserte Legitimation und Umsetzung von Entscheidungen ebenso wie eine höhere Beständigkeit der Ergebnisse und eine bessere Qualität im Vergleich zu anderen Alternativen (vgl. Jansen 1997:275; Newig 2005:11; Reed 2008:2418; Beierle 2000; Troja 1998; Irvin & Stransbury 2004; Kühnl 2012 unter Nennung weiterer Autoren). Beachtung finden sollte jedoch auch der Einwand, dass der gesellschaftliche Allgemeinnutzen durch die Mitgestaltung von Stakeholdern gefährdet sein kann, wenn eine Überbetonung von Einzelinteressen der am Prozess beteiligten Stakeholdern stattfindet (vgl. Dietz 1998:14; Meyer-Oldenburg 2003:63f.; Wiedemann et al. 1991:167; Zilleßen 1998b:22). Diese oder andere Formen negativ zu bewertender Ergebnisse sind vor allem dann wahrscheinlich, wenn einzelne (kritisch eingestellte) Gruppen einen Prozess massiv dominieren (vgl. Irvin & Stransbury 2004:58ff.). Neben Qualitätseffekten werden auch quantitative Auswirkungen wie beispielsweise Zeiteinsparung vermerkt, wobei vor allem der Vergleich zu gerichtlichen Verfahren, die im Falle eskalierter Konflikte drohen, herangezogen wird. Dabei wird angenommen, dass Mitgestaltungsprozesse die Eskalation von Konflikten oder Konflikte insgesamt verhindern bzw. vermindern und im Schnitt hierdurch schneller bzw. zeitsparender als bei gerichtlichen Verfahren Prozessergebnisse generiert werden können (vgl. Kühnl 2012:200ff. unter Nennung weiterer Autoren; Pünder 2005:73). Erwähnt werden muss jedoch auch der zeitliche Aufwand, der auf Teilnehmer eines Mitgestaltungsprozesses zukommt (vgl. Irvin & Stransbury 2004:58ff.), und die Dauer eines solchen Verfahrens selbst (vgl. Wiedemann et al. 1991:167). Letztere kann sich vor allem dann in die Länge ziehen, wenn ein Mitgestaltungsprozess zur intendierten Verschleppung von Prozessen genutzt wird (vgl. Versteyl 2011:9; Irvin & Stransbury 2004). Wird jedoch auf die Verfahren verzichtet, besteht die Gefahr von entsprechenden Reaktionen der Betroffenen (z.B. Protest), wodurch erst recht zeitliche Verzögerungen zu befürchten sind (vgl. Goldschmidt 2012:44, auch mit Verweis auf weitere Autoren). Auch im Falle einer erfolgreichen Ergebnisfindung spielt die Zeit eine Rolle: Ein zu langer Zeitraum zwischen Beteiligungsverfahren mit Ergebnis und Umsetzung dessen sollte vermieden werden, vor allem wenn dazwischen Generationen (z.B. Regierungen, Aktive Gruppen) wechseln. Sonst kann der Eindruck entstehen, dass ein mittlerweile nicht mehr zeitgemäßes Ergebnis nur umgesetzt wird, um nicht ein neues Beteiligungsverfahren ausrollen zu müssen (vgl. Appel 2013:347ff.). Der Faktor Zeit wird auch bei der Frage nach dem passenden Zeitpunkt für ein Mitgestaltungsverfahren relevant. Für einen erfolgreichen Prozess sprechen viele Autoren, ebenso wie bei Informations- und Konsultationsformen, auch bei Mitgestaltungsprozessen von der Bedeutung eines frühzeitigen Beginns, also besser in der Planungs- als in der Entscheidungs- oder Genehmigungsphase (vgl. z.B.

5.2 Effekte und Funktionen von Kommunikation und Beteiligung

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Nietzel 2010:147ff.; Antalovsky 1993:124). Die Gründe hierfür sind vielfältig. Einerseits besteht zu frühen Zeitpunkten noch die Möglichkeit, auf nicht komplett gefestigte Ansichten bei Bürgern und potentiellen Prozessteilnehmern zu treffen, wodurch ein ergebnisoffener Prozess wahrscheinlicher wird (vgl. Appel 2013:342), zugleich kann der Input der Öffentlichkeit zu frühen Zeitpunkten noch mit aufgenommen und ggf. umgesetzt werden (vgl. Vetter et al. 2013:264f.; Appel 2013: 347ff.). Dies scheint ein wichtiger Punkt zu sein, da die Klage, zu spät beteiligt worden zu sein, wenn keine Änderungen mehr möglich sind, oft zu hören ist (vgl. Kahle 2014:76). Durch die Verhinderung bzw. Verminderung von Protesten bzw. Konflikt und damit einhergehenden Zeiteinsparungen, geringer ausfallenden Transaktions- und Beratungskosten sowie qualitativ besseren Ergebnissen wird dem Einsatz von Mitgestaltungsinstrumenten im Endeffekt die Einsparung finanzieller Ressourcen prognostiziert (vgl. z.B. Beierle 2000; Broß 2016:292; Kühnl 2012:200ff.; Goldschmidt 2012:44, Goldschmidt und Kühnl jeweils unter Nennung weiterer Autoren). Nicht vergessen werden darf jedoch, dass die Verfahren selbst auch mit finanziellen Kosten einhergehen (vgl. Troja 1998:88ff.; Irvin & Stransbury 2004:55ff.), wobei hier nicht nur der Financier des Verfahrens, sondern auch alle anderen Beteiligten betroffen sind, die Geld- und Zeitressourcen einsetzen (vgl. Zilleßen 1998b:34; Holtkamp & Stach 1995:8). Neben diesen vor allem ökonomisch zu bewertenden Effekten werden Mitgestaltungsformen auch rechtliche, administrative, politische und soziale Effekte zugeschrieben. Die Beteiligung der Öffentlichkeit erhöht die Transparenz von Verfahren und ermöglicht den Bürgern die Kontrolle der Verwaltung und ihrer Entscheidungen. Gleichzeitig kann eine Sicherung des Grundrechtsschutzes stattfinden, da den Bürgern eine frühe Kenntlichmachung eventueller Verletzungen dieses Schutzes möglich gemacht wird und damit früh interveniert werden kann (vgl. z.B. Buchholz & Huge 2014; Appel 2012, 2013; Regener 2010; Pünder 2005; Bachof 1972). Als eine mögliche Konsequenz der frühen Einbindung von Grundrechten der Betroffenen wird daher die Vermeidung von gerichtlichen Verfahren gesehen (vgl. Roßnagel et al. 2016:52ff.; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 2014:11f.), die wiederum zur Vermeidung weiterer Aufwendungen und Kosten für staatliche Institutionen, private Projektträger oder beteiligte Stakeholder nach sich zieht, hierdurch schließt sich der Kreis zu obigen, ökonomischen Aspekten (vgl. Irvin & Stransbury 2004:55ff.; Pünder 2005:73; Kühnl 2012:200ff., unter Nennung weiterer Autoren). Unabhängig von einem konkreten Prozessergebnis wird Beteiligungsformen insgesamt die Verbesserung der Kommunikation unter den Beteiligten zugeschrieben, selbst wenn keine Einstimmigkeit bzgl. eines Ergebnisses erzielt wird (vgl. Bingham 1986:71). Dies ist vor allem dann bedeutsam, wenn bislang angewendete Verfahren mit geringerem Stakeholder-einfluss zum Stillstand ge-

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kommen sind, begleitet durch Misstrauen und feindselige Einstellungen. Durch die Verbesserung der Kommunikation, die Einbindung in den Prozess und die oft damit einhergehende Versachlichung von Diskussionen können Mitgestaltungsformen zur Lösung komplexer Situationen beitragen (vgl. Irvin & Stransbury 2004:55ff.; Pünder 2005:73; Broß 2016:292ff.). Zugleich besteht jedoch auch die Gefahr, dass Prozesse hin zu irrelevanten Themen verlagert oder um diese erweitert werden (z.B. von standortbezogenen Prozessen zu Grundsatzdiskussionen, zu irrelevanten Detailfragen; vgl. Jansen 1997:282ff.). Auch Effekte sozialer Art werden durch den Einsatz von Mitgestaltungsverfahren registriert, z.B. eine vertrauensvollere Atmosphäre im Vergleich zu gerichtlichen Verfahren, verbesserte Beziehungen zwischen den Akteuren und vermiedene Beziehungsabbrüche, der Abbau von Voreingenommenheit sowie abnehmendes Misstrauen (vgl. Irvin & Stransbury 2004:55ff.; Kühnl 2012:200ff. unter Nennung weiterer Autoren), wodurch Beteiligungsformen eine gewissen Integrationsfunktion zugeschrieben werden kann (vgl. Buchholz & Huge 2014:8). Zu den politischen Effekten zählt die Möglichkeit der Teilhabe an gesellschaftlichen und politischen Prozessen, Stichwort Empowerment, und damit ein Ausdruck des Demokratieprinzips (Artikel 20, Abs. 2 Grundgesetz), das besagt, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, auch in der Zeit zwischen den Wahlen und in Bezug auf konkrete Projekte (vgl. Nanz & Fritsche 2012:33ff.; Mast & Stehle 2016:20; Irvin & Stransbury 2004:55ff.; Roßnagel et al. 2016:53). Miteinher geht bei dieser gemeinsamen Gestaltung von Gemeinschaft zugleich auch die Übernahme einer gewissen Verantwortung durch die Teilnehmenden (vgl. Renn 2011a:33) und eine gewisse Sozialisationsfunktion (vgl. Vetter 2002:7). Aufgrund dieser politischen und administrativen Effekte wird Formen der Mitgestaltung damit insgesamt eine Legitimationsfunktion zugeschrieben, die sich vor allem auf den legitimierten Prozess bezieht, der zugleich auch die Erlangung legitimierter Entscheidungen begünstigt (vgl. z.B. Irvin & Stransbury 2004:55ff.; Jansen 1997:275; Newig 2005:11) und ein Großprojekt damit auf ein öffentlich akzeptiertes Fundament von Begründungen stellen kann (vgl. Renn 2011a:33)61. Die bereits erwähnte Begünstigung der Faktoren Nutzen, Identität, Orientierung und Selbstwirksamkeit mithilfe von Kommunikationsformen, welche die Öffentlichkeit umfassend in den Willensbildungsprozess einbinden (vgl. Renn 2014:76; Fisch et al. 2010:177), verbleibt jedoch nicht als Selbstzweck. Zu dem Effekt und Grund für den Einsatz von Beteiligungsinstrumenten zählt die durch die Förderung dieser Faktoren begünstigte Entwicklung sowie die Sicherung der Akzeptanz von Großprojekten und ihren Prozessen (vgl. z.B. Appel 2013:342; Rege61

In Bezug auf politische Effekte von Beteiligungsverfahren könnte noch weitaus umfangreicher referiert werden. In Hinblick auf den Fokus der vorliegenden Arbeit sei jedoch darauf verzichtet und auf die vielfältige Fachliteratur verwiesen.

5.2 Effekte und Funktionen von Kommunikation und Beteiligung

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ner 2010:97; Goldschmidt 2012:39ff.; Zschocke 2007:77ff.; Broß 2016:292ff.; Schäfer & Keppler 2013:45; Irvin & Stransbury 2004:55; Nietzel 2010:147ff.). Zweierlei Einschränkungen sollten jedoch nicht unerwähnt bleiben: Ähnlich wie konsultative Verfahren stellen Beteiligungsprozesse eine wichtige Determinante der Akzeptanz dar, jedoch muss auch hier aus der Zustimmung zu einem Prozessergebnis nicht zwingend die Akzeptanz eines Projekts folgen (vgl. Kahle 2014:76). Zum anderen kann gerade das durch Partizipation gesteigerte Gefühl der Selbstwirksamkeit, zumindest zu Beginn eines Prozesses, vorerst zu einer verstärkten Vertretung der eigenen Position (und damit ggf. zur Akzeptanzverweigerung) kommen (vgl. Renn 2014:76). Voraussetzung für die Entfaltung der positiven Effekte ist jedoch die Ergebnisoffenheit des Prozesses, dieser sollte weder von den Projektträgern noch von anderen Akteuren vorherbestimmt sein, das heißt sämtliche Alternativen, Varianten und Standorte, aber auch die Frage des grundsätzlichen Bedarfs sollten in die Diskussion aufgenommen werden können (vgl. Appel 2013:347ff.; Zilleßen 1998b:31; Geis 2005:83). Kompliziert wird es jedoch dann, wenn unterschiedliche Auffassungen von Sinn und Ziel des Prozesses vorherrschen (Wiedemann et al. 1991:167). Es empfiehlt sich deshalb eine präprozessuale, gemeinsame Festlegung, wie mit dem Ergebnis verfahren werden soll. Hierbei zahlt sich die Zielsetzung eines gemeinsamen Ergebnisses aus, denn es zeigt sich, dass diese Prozesse bessere Qualität- und Prozessergebnisse erzielen als Prozesse, die ohne gemeinsames Ergebnis enden (vgl. Beierle 2000). Wichtig ist schlussendlich auch, dass das wie auch immer geartete Ergebnis von den Entscheidern nicht ignoriert, sondern entsprechend der vereinbarten Regeln beachtet bzw. umgesetzt wird (vgl. Irvin & Stransbury 2004:58ff.; Nanz & Fritsche 2012:32). Werden zudem vermittelnde Dritte (z.B. Moderatoren) hinzugezogen, so ist hier eine neutrale Position dieser Personen bedeutsam, um damit die Basis für einen vertrauensvollen Prozess insgesamt und die Akzeptanz durch alle Beteiligten zu legen (vgl. Irvin & Stransbury 2004:61f.; Appel 2013:347ff.). Mit Blick auf die zahlreichen Chancen durch Mitgestaltungsformen stellt sich die Frage, ob Beteiligung institutionalisiert werden sollte, um eine verbesserte Berücksichtigung von Bürgerinteressen zu ermöglichen (vgl. Wiedemann et al. 1991:165f.). Antalovsky (1993) gibt hierzu verschiedene Aspekte an die Hand, die bei der Erörterung dieser Frage Berücksichtigung finden sollten. Einerseits könnte Institutionalisierung bei der Vermeidung von politischer Willkür und Scheinbeteiligungen helfen und autonomes und spontanes Handeln von Akteuren eingrenzen, wodurch ein Prozess eine höhere Verbindlichkeit und Berechenbarkeit erhalten könnte, diese aber auch von den Beteiligten gefordert wäre. Andererseits würde eine Institutionalisierung für mehr Bürokratie sorgen. Insgesamt sollten Beteiligungsformate aus Antalovskys Sicht kein Ersatzinstrument für bestehende Instrumente sein bzw. Beteiligungsformate sollten kein Aushebeln von geltenden Ver-

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5 Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten

fahren ermöglichen, damit keine „Minderheit die Mehrheit majorisiert“ (Antalovsky 1993:125). Diese Gefahr der Majorisierung durch eine Minderheit steht in engem Zusammenhang mit der Zusammensetzung der Gruppe. Für einen optimalen Prozess sollte dieser für alle Interessierten offen sein (vgl. Appel 2013:347ff.). Hierfür wird eine geringe räumliche Entfernung zwischen den Beteiligten als positiv empfunden, um die Teilnahme möglichst einfach zu gestalten (vgl. Irvin & Stransbury 2004:61f.). Bingham (1986:79) prognostiziert für standortbezogene Prozesse einen höheren Erfolg, da aufgrund des räumlichen Bezugspunktes der Kreis der zu beteiligenden Stakeholder kleiner ist als bei Projekten mit mehreren Standorten oder ohne räumliche Festlegung (z.B. Grundsatzdiskussionen). Gleiches wird einer homogenen im Vergleich zu einer heterogenen Öffentlichkeit bzw. Gruppe der Prozessbeteiligten zugeschrieben (vgl. Irvin & Stransbury 2004). Hinsichtlich gleicher Teilnahmechancen für verschiedene Personengruppen wird der Blick auf die finanzielle Kompensation bei einem Mitgestaltungsprozess notwendig. Fehlt diese, so wirkt sich dies aus Sicht von Irvin & Stransbury (2004) vor allem für Personen ohne die notwendigen sozioökonomischen Voraussetzungen (z.B. ausreichend hohes Einkommen) wenig begünstigend auf deren Teilnahmemöglichkeit aus, da diese Personen in dieser Zeit dem Einkommenserwerb nachgehen müssen. Ähnlich ausschließend wirken komplexe Themen und Sachgebiete, die bestimmte Bevölkerungsgruppen ohne entsprechende Bildung oder Sachkenntnis von einer Beteiligung abhalten (vgl. Newig 2003:114ff.). Abgesehen von der Exklusion bestimmter Personen durch bestimmte Themen kann die Themenart auch insgesamt für wenig Teilnahmeinteresse an Prozessen sorgen, wenn das Thema öffentlich nicht als dringlich bzw. als Issue wahrgenommen wird und damit auch kein besonderer Bedarf an der Mitgestaltung einer Lösung hierfür besteht (vgl. Irvin & Stransbury 2004:62). Hinzu kommen Aspekte wie eine ungleiche Verteilung von Geld-, Zeit- oder Machtressourcen (vgl. z.B. Zilleßen 1998b:33; Newig 2005:14), eine gegenseitige Voreingenommenheit (vgl. Beierle & Cayford 2002:439), mangelnde Wertschätzung (vgl. Jansen 1997:281) oder bereits bestehende Beziehungsstörungen zwischen den Akteuren (vgl. Jungermann et al. 1991:167), die sich wenig positiv auf ein sachliches Verfahren auswirken62. Es sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass die genannten Einflüsse in vielen Fällen unveränderbar vorliegen, d.h. eine andere Ausprägung in Bezug auf einen reibungslosen Ablauf günstiger wäre, dies jedoch nicht der Realität entspricht (z.B. Heterogenität bzw. Homogenität der Gruppe der Beteiligten). 62

Die Bedeutung einzelner Eigenschaften der Teilnehmergruppe bzw. einzelner Teilnehmer für den Prozessverlauf und sein Ergebnis ist facettenreich und bedarf einer differenzierten Betrachtung, die mit Blick auf den Forschungsschwerpunkt in der vorliegenden Arbeit nicht durchgeführt werden kann. Es sei daher auf andere Fachliteratur verwiesen. Einen bemerkenswerten Überblick über zahlreiche Einflüsse bieten z.B. die Ausführungen von Mendelberg (2002).

5.3 Conclusion zu Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten

131

Wenn die aufgeführten sowie zahlreiche weitere Faktoren die Zusammensetzung einer Teilnehmergruppe beeinflussen, welche Folgen hat diese Zusammensetzung dann auf das Prozessergebnis? Viele Autoren sprechen in diesem Zusammenhang von einer verzerrten Teilnehmerstruktur und einer mangelnden Repräsentativität der Teilnehmergruppe. Roßnagel et al. (2016:93f.) stellen hierzu folgende Überlegungen an: Obwohl Großprojekte meist eine große Öffentlichkeit betreffen, nehmen an Beteiligungsprozessen meist nur kleine Gruppen mit hochengagierten Personen teil, die tendenziell kritisch eingestellt (dies geht mit einem höheren Motivationsmoment einher) und gut informiert sind. Positiv eingestellte oder weniger informierte Personen nehmen seltener teil, wodurch das Teilnehmerfeld einer gewissen Verzerrung unterliegt. Zwei Probleme können hierdurch auftreten (vgl. Roßnagel et al. 2016:94f.): Erstens besteht aufgrund der Teilnahme vor allem von Personen mit gefestigten und extremen Positionen die Gefahr, bestehende Konflikte zu verschärfen und zweitens besteht das Risiko des Eindrucks, dass das verzerrte Teilnehmerfeld die Mehrheitsmeinung der Öffentlichkeit repräsentiert oder es zur tatsächlichen Majorisierung der Mehrheit durch die Minderheit kommt, wie Antalovsky (1993) angemerkt hat. Da eine tatsächliche Repräsentativität nicht vorhanden ist und vermutlich auch nie sein wird, da beispielsweise Bürgerinitiativen nicht aufgrund und in Form von Repräsentativität, sondern aufgrund ihres Anliegens bestehen, plädiert Antalovsky (1993) für eine qualitative Diskussion, um mit dieser immer vorhandenen Verzerrung umgehen zu können. Bei allen Ideen der Prozessoptimierung verbleibt bei den Prozessteilnehmern vielfach der Wunsch, die eigene Sichtweise möglichst durchzusetzen. Die Abgabe von Macht oder drohender Kontrollverlust kommt den Teilnehmern hierbei wenig gelegen (vgl. z.B. Zilleßen 1998b:36; Irvin & Stransbury 2004:58ff.). 5.3 Conclusion zu Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten und Aufstellung eines integrierenden Modells wesentlicher Determinanten der Akzeptanz 5.3 Conclusion zu Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten Wie lassen sich die Erkenntnisse zu Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten nun zusammenfassen und welche Rückschlüsse lassen sich aus den zahlreichen Effekten und Funktionen der unterschiedlichen Formen ziehen? Grundsätzlich lassen sich zwei maßgebliche Strömungen unterscheiden, die sich dem Thema Kommunikation und Beteiligung nähern: Erstens politikwissenschaftliche bzw. demokratietheoretische Ansätze, die das Thema aus der Position einer zu stärkenden und selbstbestimmten Öffentlichkeit mit Entscheidung- oder Selbstbestimmungsmacht angehen und den Fokus auf Fragen des Empowerments der Bürgerschaft legen, sowie zweitens kommunikationsbezogene Ansätze, die

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5 Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten

Kommunikation offener, als eigenständiges und berechtigtes Konstrukt definieren und in diesem Zusammenhang die Ausgestaltung dieser Formen hinsichtlich Instrumentenwahl, Durchführungsmodi und Qualitätskriterien sowie den damit einhergehenden Akteurs- bzw. Stakeholdereinfluss erörtern. Während Ansätze der ersten Strömung deutlich eine möglichst starke Beteiligung von Bürgern bzw. Akteuren favorisieren, werden in Ansätzen der zweiten, kommunikationsbezogenen Strömung verschiedenen Kommunikationsformen und -modi kontextabhängige Einsatzberechtigungen und -empfehlungen zugeschrieben (vgl. Mast & Stehle 2016:20f.). Die kommunikationsbezogene Perspektive aufgreifend, lassen sich die Stufen verschiedener Kommunikations- und Beteiligungsformen auf drei grundsätzliche Ebenen herunterbrechen, die in Anlehnung an Brettschneider (2013c, 2016) und die VDI Richtlinie 7001 (vgl. Verein Deutscher Ingenieure 2013) als Informationsebene, Konsultationsebene und Ebene der Mitgestaltung beschrieben werden können und neben zunehmender dialogischer Ausprägung mit einem zunehmenden Maß an Stakeholder- bzw. Akteurseinfluss einhergehen. Information bildet die Basis, um Großprojekte hinsichtlich ihrer Fähigkeiten, Funktionen und Effekte einschätzen und bewerten zu können (vgl. Schäfer & Keppler 2013:43; Schweizer-Ries et al. 2010) und stellte zugleich die kommunikative Infrastruktur und Voraussetzung für nachfolgende Kommunikations- und Beteiligungsprozesse (vgl. Antalovsky 1993:122; Funke 2017:16). Diesbezüglich ist nicht nur die Schaffung einer transparenten Informationsbasis bei denjenigen, die betroffen oder interessiert sind wichtig, sondern auch bei Personen mit geringerem Interesse (vgl. Antalovsky 1993:122). Hierbei kommt der vielfältigen Instrumentenwahl und den Massenmedien eine besondere Bedeutung zu (vgl. Brettschneider 2011:40ff.). Für die Gestaltung von Information empfiehlt sich eine vollständige, umfassende, verständliche und transparente Vorgehensweise, um so vor allem zur Versachlichung von Diskussionen und der Schaffung einer gemeinsamen Informationsgrundlage beizutragen (vgl. Brettschneider 2011; Bürki 2011; Brettschneider & Vetter 2011; Ewen 2012; Schweizer-Ries et al. 2010). Konsultationsformen ermöglichen durch Dialog den Austausch von Informationen, Betroffenheiten, Interessen und Bewertungen zwischen Akteuren, der durch eine offene Gestaltung auch im Falle eines subjektiv unerwünschten Ergebnisses die Chance hat, legitimiert zu werden (vgl. Schink 2011b; Pünder 2005). Zugleich wird hierdurch eine gegenseitige Beratung (vgl. Nanz & Fritsche 2012:33ff.) sowie die Aufnahme von neuen Informationen, (subjektiven) Aspekten und Bedürfnissen in den Prozess ermöglicht, die bislang keinen Eingang in das Projekt gefunden haben (vgl. Keck 2011). Für eine positive Wirkung konsultativer Formen sind in jedem Fall eine symmetrische Interaktion und ein Dialog auf Augenhöhe bedeutsam (vgl. Renn & Webler 1996:190). Formen der Mitgestaltung erhalten besonders dann Relevanz, wenn bestehende Formen der Kommunikation bzw. Konsultation und der Information nicht

5.3 Conclusion zu Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten

133

mehr ausreichen, um die Voraussetzungen für Akzeptanz zu schaffen. Dies wird besonders bei Projekten, die mit besonderen Einschnitten in die Lebenswelt einhergehen, bedeutsam (vgl. Renn 2014:75f.; Fisch et al. 2010:177). Dem Verhältnis von Kosten und Nutzen kommt hier besondere Bedeutung zu, da Mitgestaltungsprozessen zum einen die Chance eingeräumt wird, Nutzenaspekte von Großprojekten zu verstärken, zum anderen Kosten einzudämmen, z.B. durch ihre Ausgleichsfunktion, die Internalisierung externer Effekte, die Verbesserung der Ergebnisqualität oder zeitliche Optimierungen (vgl. z.B. Erp 1998; Coase 1990; Appel 2012; Newig 2005; Beierle 2000; Irvin & Stransbury 2004). Konflikte, die dadurch vermindert oder verhindert werden können, werden wiederum mit geringer ausfallenden Transaktions- und Beratungskosten sowie im Endeffekt mit der Einsparung finanzieller Ressourcen verbunden (vgl. z.B. Beierle 2000; Broß 2016; Kühnl 2012). Hinzu kommen Hinweise auf eine Integrations-, Sozialisations- und Legitimationsfunktion (vgl. Buchholz & Huge 2014; Vetter 2002; Irvin & Stransbury 2004; Jansen 1997; Newig 2005). Aufgrund des bei Mitgestaltungsformen mit großer Wahrscheinlichkeit verzerrten Teilnehmerfeldes (vgl. Roßnagel et al. 2016:94f.) wird jedoch für die allgemeine Öffentlichkeit das Risiko einer Majorisierung durch eine Minderheit (vgl. Antalovsky 1993:125) gesehen. Aus diesem Grund wird auf Bedeutung niedriger Teilnahmebarrieren für solcher Prozesse hingewiesen (vgl. Appel 2013:347ff.). Während aufgrund der unterschiedlichen Disziplinen und Forschungstraditionen Uneinigkeit hinsichtlich der Frage herrscht, welches Ausmaß an Öffentlichkeits- bzw. Stakeholdereinfluss anzustreben ist, zeigen sich überraschend viele Überschneidungen hinsichtlich der von den unterschiedlichen Formen ausgehenden Effekte, teils mit empirischem Nachweis, teils als reine These bzw. Prognose. Hierzu zählt auch die Einsicht, dass keine Kommunikationsform alleine ausreicht, sondern verschiedene Formen der Information, Kommunikation und Beteiligung notwendig sind, um die Betroffenen bzw. die Öffentlichkeit in einen Zustand der Mündigkeit zu versetzen, also eine persönliche Beurteilung von Phänomenen möglich zu machen (vgl. Renn 2005a:11). „Dabei sind die unterschiedlichen Kommunikationsformen von der Information bis zur Beteiligung als ein Kontinuum zunehmender Intensität und Wechselhaftigkeit der Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern zu sehen“ (ebd.). Während Formen der einseitigen Information den Transfer von umfassenden Aspekten sowie vor allem der Moderation von Kosten- und Nutzenaspekten über ein Projekt ermöglicht, wodurch Aufmerksamkeit, Interesse, Betroffenheit und Bewertung beeinflusst werden können, dient die Konsultation dem Dialog darüber zwischen Öffentlichkeit und Projektträger. Mitgestaltungsformen binden die Öffentlichkeit noch intensiver und geregelter in den Kommunikationsprozess ein und statten sie mit einem steigenden Maß an Einfluss aus, z.B. in Form von Beratungs-, Mitentscheidungs- bis hin zu Selbstgestaltungs-

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5 Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten

rechten. Sämtliche Kommunikationsformen beinhalten dabei Formen von Kosten und Nutzen des Projekts selbst wie auch ihrer eigenen Durchführung. Neben der katalysatorischen Wirkung auf die erörterten Faktoren, vor allem die Kosten- und Nutzenaspekte (vgl. auch Schiersmann & Thiel 2011), wird allen drei Formen der Kommunikation das Potential für einen positiven Einfluss auf die Akzeptanz zugeschrieben (vgl. z.B. Appel 2013; Goldschmidt 2014; Bürki 2011; Beierle & Cayford 2002; Renn 1994; Gans 1994; Brettschneider 2016; Schäfer & Keppler 2013; Broß 2016; Irvin & Stransbury 2004). Kommunikation, egal ob im Rahmen formeller oder informeller Verfahren, fungiert dabei selbst als Faktor von Akzeptanz bzw. Konflikt. Bezüglich des Verhältnisses von informellen Instrumenten zu formellen Verfahren und bestehenden Institutionen wird nicht der Ersatz von letzteren, sondern eine Ergänzung durch enge Verzahnung der formellen und informellen Verfahren empfohlen (vgl. z.B. Bentele et al. 2015b:7f.; Ewen 2009; Schink 2011a, 2011b). Die „Legitimation durch Verfahren“ wird durch die „Legitimation durch Kommunikation“ ergänzt (Brettschneider 2011:42). Die Effekte von Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten wurden bislang vor allem an Umwelt- oder Infrastrukturprojekten untersucht, maßgeblich anhand von zahlreichen Fallstudien, wenigen repräsentativen Bevölkerungsumfragen oder vereinzelten Metastudien. Erkenntnisse, die sich über diese spezifischen Projektarten hinaus sowie projektübergreifenden Phänomenen widmen, sind bislang kaum zu finden. Weiter beruhen viele der genannten Effekte verschiedener Kommunikations- und Beteiligungsformen auf reinen Prognosen, einzelnen Kontexten, individuellen Erfahrungswerten und Eindrücken, die teilweise auch zu konträren Erkenntnissen führen (vgl. Reed 2008:2418). Vergleichende, empirische Untersuchungen der Effekte auf die zwei zentralen Aspekte, das Kosten- undNutzen-Verhältnis sowie die Projektakzeptanz werden jedoch kaum durchgeführt. Vor allem bezüglich des Vergleichs zwischen den einzelnen Kommunikations- und Beteiligungsarten sind Forschungslücken zu finden (vgl. hierzu auch Mast & Stehle 2016:26). Mit Blick auf diese Herausforderungen und die zentrale Bedeutung von Kommunikation für Großprojekte in vielfältiger Hinsicht (vgl. hierzu z.B. Brettschneider 2016:223; Zilleßen 2007:84f.) im gesellschaftlichen Spannungsfeld (vgl. z.B. Glaab 2016:4) kann und muss die oben genannte Leitfrage L4 „Welche Rolle nehmen Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten ein? Welche Zusammenhänge bestehen hierbei zu den anderen Dimensionen bei Großprojekten, z.B. den Kosten- und Nutzeneffekten und der Akzeptanz?“ durch detaillierte Forschungsfragen konkretisiert werden. Besonders in den Fokus werden dabei die eingesetzten Kommunikations- und Beteiligungsformen und deren Wirkung auf die Prozesse und Akteure von Großprojekten gerückt. Den Hinweisen auf vielfältige Vernetzungen zwischen kommunikativen Aspekten, den Kosten und

5.3 Conclusion zu Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten

135

Nutzen bei Großprojekten sowie dem Maß an Akzeptanz soll dabei ebenfalls Rechnung getragen werden. Folgende Fragen greifen diese Aspekte auf: F4.1: Welche Formen der Kommunikation und Beteiligung werden bei Großprojekten eingesetzt? Lassen sich dabei bestimmte Muster erkennen? F4.2: Welche Zusammenhänge zeigen sich zwischen der Kommunikation und Beteiligung bei Projekten und den wahrgenommenen Kosten- und Nutzeneffekten? F4.3: Welche Zusammenhänge zeigen sich zwischen der Kommunikation und Beteiligung bei Projekten und dem Maß an Akzeptanz und mit welchen Effekten und Bedingungen gehen sie einher? F4.4: Wie wirken sich eventuelle Zusammenhänge zwischen Kommunikation und Beteiligung mit dem Maß an Akzeptanz auf Kosten und Nutzen bei Großprojekten, vor allem für den Projektträger, aus? Abbildung 13: Integrierendes heuristisches Modell wesentlicher Determinanten der Akzeptanz von Großprojekten

Das Modell fasst die bisherigen Erkenntnisse zu den wesentlichen Determinanten der Akzeptanz von Großprojekten knapp zusammen. Ausgangspunkt sind folgende zentrale Dimensionen: Prozesseigenschaften, gesellschaftliche und politische Fak-

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5 Kommunikation und Beteiligung bei Großprojekten

toren, akteursbezogene Determinanten, Aspekte der Kommunikation und Beteiligung sowie projektbezogene Faktoren und hier vor allem Kosten- und Nutzenaspekte. Im Hinblick auf den aktuellen Forschungsstand zu Kommunikations- und Beteiligungsformen bei Großprojekten kann eine Unterscheidung von Kommunikation und Beteiligung in drei Ebenen vorgenommen werden: Information, Konsultation und Mitgestaltung. Die bisherigen, allgemeinen Erkenntnisse zur Rolle von Kosten- und Nutzenaspekten bei der Bildung von Einstellungen und Findung von Entscheidungen legen eine Unterscheidung folgender sieben Effektarten nahe: ökonomische, soziale, ökologische, politische/gesellschaftliche und individuell Effekte sowie Verhältnis- und Prozesseffekte.

6 Forschungsdesign zur Analyse von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

Die vorangegangenen Ausführungen zur Genese von Akzeptanz, der Rolle von Kosten und Nutzen sowie verschiedenen Formen der Kommunikation zeigen die Lücken dieser Bereiche in Bezug auf Großprojekte sowie den Mangel kommunikationswissenschaftlicher Betrachtungsweisen hierbei auf. Nachfolgende Ausführungen erläutern ein Forschungsdesign, mit dessen Hilfe zur Schließung dieser Lücken und der Generierung fundierter Erkenntnisse für die Projektpraxis beigetragen werden soll. Das Gebiet der Großprojektforschung präsentiert sich dabei gerade im aktuellen Zeitgeschehen als äußerst schwieriges Terrain für sozialwissenschaftliche Forschung. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Impliziert durch den Terminus Großprojekt ist meist eine größere Anzahl von Akteuren und eine weitreichende Öffentlichkeit von einem Projekt betroffen, Gelder und Machtpositionen sind im Spiel, gegensätzliche Meinungen bis hin zu rechtlichen oder sogar handgreiflichen Auseinandersetzungen sind zu beobachten. Dies gilt nicht nur für konfliktbeladene Projekte – auch die Akteure konfliktfreier Projekte achten auf ihre Positionierung, spielen mit Machtverhältnissen, üben strategisches Verhalten zur Durchsetzung ihrer Interessen aus und lassen subjektive Wahrnehmungen und Bewertungen von Situationen erkennen (vgl. hierzu z.B. Boger et al. 2012). Hierzu kommen die Eigenheiten der Erforschung von Eliten (vgl. z.B. Scholl 2015:234ff.), zu denen die Projektakteure größtenteils zählen. Durch diese projektspezifische Logik befindet sich die empirische Forschung auf diesem Themengebiet in einer spannungsgeladenen und komplexen Situation. Potentielle Einflussversuche auf den Forschungsprozess, Vorbehalte und Misstrauen gegenüber hinzukommenden Dritten (wozu der Forscher ab dem Moment der Kontaktaufnahme zu allen zentralen Akteuren eines Projekts zählt) und eine mögliche Zurückhaltung oder Falschangabe von Informationen aus strategischen Zwecken sind nicht selten anzutreffen. Es bedarf daher einer bedachten und komplexen methodischen Vorgehensweise, um sich der Aufgabe einer objektiven Ergründung deutscher Großprojekte widmen zu können.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 I. M. Schmalz, Akzeptanz von Großprojekten, Politik gestalten – Kommunikation, Deliberation und Partizipation bei politisch relevanten Projekten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23639-7_6

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6 Forschungsdesign zur Analyse von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

6.1 Überblick über Forschungsdesign und Studienablauf Zur Gewinnung einer geeigneten Datengrundlage für die Untersuchung von Großprojekten wurde mit einem komplexen dreiteiligen Studiendesign unter Kombination verschiedener quantitativer und qualitativer Methoden gearbeitet, die durch Integration eine umfassende und vielschichtige Ergründung des Themenfeldes ermöglichten (vgl. hierzu auch Jakob 2001; Scholl 2015:59ff.,107f.). Die Studie S1 diente dem Scanning und Monitoring sowie der Analyse und Auswahl deutscher Großprojekte auf Basis von Onlinekommunikation (z.B. Medienberichterstattung, Öffentlichkeitsarbeit, Grassroots-Kommunikation). Sie wurde mit der Ergründung des Forschungsfeldes im Sinne einer Identifizierung und Beobachtung von Projekten begonnen. Auf dieser Basis erfolgte die kriteriengeleitete Zusammenstellung eines Samples (Auswahl A1). Studie S1 gibt damit erstmalig einen Überblick über eine deutsche Großprojektlandschaft mit besonderem Fokus auf Kommunikationsformen, Themengebieten und dem Akzeptanzlevel. Die darauf aufbauende Studie S2 wurde als mehrheitlich standardisiertes (voll-standardisiert mit teil-standardisierten Elementen) Onlinetool zur Befragung von Projektakteuren konzipiert. Sie diente vor allem der Untersuchung des Akzeptanzlevels (als zentrale abhängige Variable), der Untersuchung von Akzeptanzbzw. Konfliktfaktoren sowie der Ergründung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses aus Perspektive der einzelnen Projektakteure und der mit dem Projekt verbundenen Kommunikationsformen. Das Sample dieser Studie setzte sich aus den zentralen Vertretern von Projektakteuren (z.B. Projektträger, Politik, Behörden/Verwaltung, Sozial- und Wirtschaftsverbände, Bürgerinitiativen, Natur- und Umweltschutzverbände, Medien etc.) der in Studie S1 identifizierten Projekte zusammen. Die dritte Studie S3 ergänzt die bisherigen Sichtweisen auf Großprojekte durch eine weitere qualitative Betrachtung in Form teil-standardisierter Leitfadengespräche mit Projektakteuren zum Zweck der tieferen Ergründung einzelner Aspekte. Neben den Projektträgern der in Studie S2 enthaltenen Projekte wurden Akteure zur Teilnahme eingeladen, die durch ihre aktiven Rückmeldungen (telefonisch, per Mail etc.) ein hohes Involvement vermuten ließen. Studie S3 umfasste im Wesentlichen Aspekte der zeitlichen und rechtlichen Einordnung der Projekte, Aspekte der Projektkommunikation sowie negative respektive positive Effekte durch die Prävention, Behandlung und Folgenbeseitigung bei Konflikten. Die Leitfadeninterviews mit Projektträgern fokussierten dabei auf die Vertiefung und Reflektion der kompletten Geschichte des Projekts aus Projektträgerperspektive. Die Interviews mit den weiteren Akteuren hingegen setzten den Schwerpunkt auf die Reflektion der Knackpunkte von Akzeptanz (bzw. Konflikt) bei dem jeweiligen Projekt und die Auswirkungen der zum Einsatz gekommenen Kommunikationsformen.

6.1 Überblick über Forschungsdesign und Studienablauf

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Abbildung 14: Untersuchungsaufbau der vorliegenden Arbeit

Mehrebenenintegration durch triangulative Vorgehensweise „Die Verbindung von quantitativer und qualitativer Forschung kann […] die Nachteile beider Methodologien überwinden helfen und Erkenntnisse gewinnen, die einerseits über rein statistische Zahlen und andererseits über einzelne Fälle hinausweisen“ (Schneider 2014:15). Dieser Gedanke der Komplementarität von Erkenntnissen (vgl. Lamnek 1995:252) bezieht sich jedoch nicht ausschließlich auf Daten: „Triangulation beinhaltet die Einnahme unterschiedlicher Perspektiven auf einen untersuchten Gegenstand oder allgemeiner: bei der Beantwortung von Forschungsfragen“ (Flick 2011:12). Dabei kann Triangulation neben der Datenebene auch auf Ebene von Methode, Theorie, Forschenden und Disziplinen vollzogen werden (vgl. Schneider 2014:18) und dabei der Erhöhung von Tiefe, Breite und Konsequenz der methodischen Vorgehensweise dienen (vgl. z.B. Flick 2011)63. Das hier verfolgte Studiendesign machte sich diese Möglichkeiten zunutze. Auf Datenebene wurden gleiche Daten aus verschiedenen Quellen (Studie S2, Wahrnehmungen und Bewertungen der Großprojekte durch ihre Akteure) mit verschiedenen Daten aus gleichen Quellen (Befragung von Projektträgern und weiteren Akteuren in Studie S2 und S3) ergänzt. Eine Triangulation der Methoden fand sowohl innerhalb der Methode der Befragung (within-methods, quantitative bzw. standardisierte Befragung bei S2 und teil-standardisierte, qualitative Befra63

Für ausholende Erläuterungen zum Begriff der Triangulation vgl. z.B. Flick (2011).

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6 Forschungsdesign zur Analyse von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

gung bei S3) sowie durch die Kombination von Befragung (S2, S3) und Inhaltsanalyse (S1, between-methods) statt. Ergänzung fand dies durch das Aufgreifen von Ansätzen verschiedenster theoretischer Perspektiven auf das Phänomen der Großprojekte. Die Kombination unterschiedlich stark standardisierter Erhebungsformen kann entweder mit qualitativen Instrumenten als explorative Vorarbeit für weitere, quantitative Erhebungen durchgeführt werden oder umgekehrt durch vorangestellte quantitative Erhebungen, deren Erkenntnisse mithilfe weniger standardisierter, qualitativer Vorgehensweisen konkretisiert und ergänzt werden. Letzteres ermöglicht es, bestimmte Zusammenhänge und Phänomene, die z.B. aus standardisierten Befragungen ersichtlich wurden, hinsichtlich ihrer „zugrunde liegenden Mechanismen“ (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014:182) genauer zu untersuchen. Die angewendete Kombination verschiedener Befragungsformen64 in diesem Projekt ließ in Studie S3 eine vertiefende Behandlung von Aspekten zu, die in Studie S2 noch offen waren bzw. in S2 nicht umfassend behandelt werden konnten (vgl. hierzu auch Seipel & Rieker 2003:224ff.). Die Kombination schriftlicher und mündlicher Verfahren sorgte einerseits für die notwendige Anonymität (Onlinebefragung S2), um Aspekte aufzudecken, andererseits für die notwendige persönliche Situation (telefonische Leitfadengespräche S3), um Aspekte zu vertiefen. Die Kombination von Inhaltsanalyse und Befragung erlaubte eine komplementäre Betrachtung von medial vermittelter und subjektiv wahrgenommener Wirklichkeit. Eine ausschließliche Betrachtung medial konstruierter Wirklichkeit durch inhaltsanalytische Vorgehensweisen hätte eine direkte Analyse subjektiver Wahrnehmungen und Bewertungen der Projektakteure und damit ihrer subjektiv konstruierten Realität verhindert, welcher jedoch eine zentrale Rolle mit Blick auf ihre Zusammenhänge zum Akteursverhalten zugeschrieben wird (vgl. Kapitel 2.3.2, Kapitel 6.2). 6.2 Ansatz zur Messung der Akzeptanz von Großprojekten Die Ausführungen in Kapitel 2.3 zu verschiedenen Ansätzen des Verhältnisses von Einstellung und Verhalten zur Erklärung von Akzeptanz sowie der Mangel an validen Optionen zur Messung von Akzeptanz legen die Konzeptionierung eines neuen Ansatzes nahe. Zentraler Aspekt scheint hierbei die Erfassung beider Dimensionen (Verhalten und Einstellung), jedoch in getrennter Form zu sein, um eine freie Kombination unterschiedlicher Ausmaße von Einstellungs- und Verhaltens-

64

Für eine allgemeine und umfassende Darstellung unterschiedlicher Befragungsformen vgl. z.B. Schnell et al. (2013:314ff.) oder Atteslander (1984:108).

6.2 Ansatz zur Messung der Akzeptanz von Großprojekten

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stärke möglich zu machen65. Zugleich ermöglicht die getrennte Erhebung die Identifikation von Hinweisen auf gezwungene oder verhinderte Nutzer (vgl. MüllerBöling & Müller 1986) bei starken Abweichungen zwischen Einstellung und Verhalten. Eindimensionale Ansätze, die beispielsweise direkt danach fragen, wie akzeptabel ein Objekt empfunden wird, werden diesen Anforderungen nicht ausreichend gerecht (vgl. z.B. Schreck 1998). Differenzierter vorgehende Ansätze z.B. zur Messung der Akzeptanz von Personen (z.B. Akzeptanz von Migranten, vgl. Weimer et al., Selbstakzeptanz/Akzeptanz Anderer, vgl. Bergemann & Johann 1985) beziehen sich vor allem auf die Einstellungsdimension und lassen sich aufgrund des großen Unterschieds der Akzeptanzobjekte kaum transferieren. Ansätze der eher objektbezogenen Akzeptanz, die sowohl die Einstellungs- als auch die Verhaltensdimension umfassen, lassen zumeist keine freie Kombination von Einstellung und Verhalten zu (vgl. z.B. London 1976) oder verfügen nur über eine ungenaue oder schlussendlich nicht umgesetzte Operationalisierung der Verhaltensdimension (vgl. z.B. Schweizer-Ries et al. 2010; Müller-Böling & Müller 1986). Der Ansatz dieser Arbeit zur Messung der Akzeptanz bei Großprojekten umfasst daher beide Dimensionen: Einstellung und Verhalten. Er nimmt Anleihen bei den Modellen von Liebecke et al. (2011), Hofinger (2001), Helmreich (1980) und London (1976). Verhalten und Einstellung werden jeweils getrennt erfasst und können anschließend integriert dargestellt und analysiert werden (vgl. Modell zur Abbildung und Messung von Akzeptanz in Kapitel 2.3). Der Ansatz wurde folgendermaßen operationalisiert: Die Einschätzung der Einstellung gegenüber dem Akzeptanzobjekt wurde als Single-Item basierte Bewertung mit Abstufungen hinsichtlich Richtung und Stärke erfasst, angelehnt an die Ansätze von Liebecke et al. (2011) und Hofinger (2001), mit dem Ziel, das Ausmaß von Zustimmung zum bzw. Ablehnung des Großprojekts zu erheben (13-Punkte-Skala, Antwortvorgaben von „lehne komplett ab“ über „neutral/ambivalent“ bis hin zu „stimme voll zu“)66. Die Erfassung der Verhaltensdimension erfolgte über die Aktivitätsstärke, angelehnt an die Ansätze von London (1976), Liebecke et al. (2011), Schweizer-Ries et al. (2010), Hofinger (2001) und Helmreich (1980). Die konkrete Operationalisierung wurde über die Erhebung der Durchführungshäufigkeit von Aktivitäten, die im Zusammenhang mit Großprojekten ausgeführt werden können, vorgenommen. Einen passenden Anknüpfungspunkt bot hierfür der Ansatz von Barnes & Kaase (2014), die konventionelle politische Partizipationsformen in eine eindimensionale, 65 66

Hier soll zugleich der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Einstellung und Verhalten gleich ausgerichtet sein können, aber nicht zwingend müssen, vgl. hierzu die Ausführungen in Kapitel 2.3. „Wie schätzen Sie aktuell Ihre Zustimmung zu dem Projekt, so wie es momentan angedacht ist, ein?“

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6 Forschungsdesign zur Analyse von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

kumulative Guttman-Skala überführen, um ein Maß zur Quantifizierung politischer Partizipation zu bieten. Zur Konzeptionierung einer für den vorliegenden Zweck geeigneten Guttman-Skala wurden sechs Items zu Aktivitätsformen formuliert, die sich inhaltlich an empirisch vorgefundenen Aktivitätsarten bei Großprojekten orientierten (vgl. Baumgarten & Rucht 2013). Die Aktivitäten umfassten die Tätigkeiten „sich informieren“, „Gespräche führen“, „Andere überzeugen“, „an Aktionen teilnehmen (z.B. Demonstrationen)“, „medial kommunizieren (z.B. Leserbriefe/ Postings etc. schreiben)“ sowie „Aktionen organisieren“. Die Häufigkeitsangabe erfolgte anhand einer Sechs-Punkte-Skala mit Antwortvorgaben von „nie“ bis „sehr häufig“67. Dieses Konzept wurde im Rahmen eines Skalentests mithilfe einer Onlinebefragung überprüft. Die Kurzstudie, an der insgesamt 253 Personen teilnahmen, bezog sich auf das Infrastruktur- und Verkehrsprojekt Stuttgart 21. Zur Auswertung wurden die Antwortvorgaben der sechs Items im Nachhinein binär recodiert. Bei den drei Items Information, Gespräche sowie Überzeugungsarbeit wurden 0=nie, 1 und 2 in „nein“ sowie 3, 4 und 5=sehr häufig in „ja“ recodiert. Bei den Items zur Teilnahme an Aktionen (z.B. Demonstrationen), medialen Kommunikationsformen (z.B. Leserbriefe/Postings schreiben) sowie die Organisation von Aktionen wurde 0=nie und 1 in „nein“ sowie 2, 3, 4 und 5=sehr häufig in „ja“ recodiert68. Der für die Items zur Einschätzung der individuellen Aktivität in Bezug auf ein Großprojekt berechnete Reproduktionskoeffizient69 ergab einen Wert von CR=0,9470 sowie einen Skalierbarkeitskoeffizienten in Höhe von CS=0,7371. Aufgrund dessen konnte die Skala als intern konsistent und eindimensional angesehen werden. Die sich daraus ergebende Guttman-Skala zur Messung der Aktivität bei Großprojekten konzipierte sich demnach aus den genannten sechs Items in folgender Rangfolge: 1. 2. 3. 4.

Ich informiere mich darüber (z.B. über Zeitungen, Internet etc.). Ich spreche mit Anderen darüber. Ich versuche Andere von meiner Meinung zu überzeugen. Ich nehme an Treffen/Gesprächen/Veranstaltungen/Aktionen teil.

67

„Nachfolgend finden Sie eine Liste mit Tätigkeiten, die Menschen allgemein in Bezug auf Großprojekte durchführen. Bitte geben Sie jeweils an, wie häufig Sie so etwas in Bezug auf das Großprojekt momentan tun bzw. wie häufig das bei Ihnen vorkommt.“ Aufgrund der Vermutung, dass die Tätigkeiten der drei letztgenannten Items prinzipiell weniger häufig ausgeführt werden können, z.B. aufgrund des organisatorischen/zeitlichen Aufwands, wurde die spätere Recodierung in „ja“ hier umfassender vorgenommen. Goodenough-Edwards Technik (vgl. McIver & Carmines 1981:42f.). Coefficient of Reproducibility (CR): 0 bis 1, Schwellenwert 0,90 (vgl. McIver & Carmines 1981:48). Coefficient of Scalability (CS): 0 bis 1, Schwellenwert 0,60 (vgl. Menzel 1953).

68 69 70 71

6.3 Methodik von Studie S1: Analyse der deutschen Großprojektlandschaft

5. 6.

143

Ich schreibe/bringe Pressemitteilungen/Stellungnahmen oder Beiträge/Artikel/Leserbriefe in (sozialen) Medien. Ich organisiere Treffen/Gespräche/Veranstaltungen/Aktionen.

Gemäß dem Prinzip einer konsistenten Guttman-Skala ergibt die Anzahl der bejahten Items den Skalenwert. Dieser ist Anhaltspunkt für das Maß an Aktivität, das die Verhaltensdimension widerspiegelt. Ein hoher Skalenwert entspricht damit einem hohen Maß an Aktivität. Wird kein Item mit ja beantwortet, so beträgt der Skalenwert 0 (vgl. auch Bortz & Döring 2013:207). Im vorliegenden Fall ergab sich dadurch eine siebenstufige Skala. Die Einstellungsdimension wurde durch das Maß an Zustimmungsstärke, die von vollkommener Ablehnung über neutrale bzw. ambivalente Einstellungen bis hin zur vollkommener Zustimmung reicht, repräsentiert. Das Maß an Akzeptanz konzipierte sich demnach durch die so erfasste Zustimmungs- und Aktivitätsstärke. Der hier konzipierte Ansatz wurde in Studie S2 zum Einsatz gebracht. Für die finale Version der an die Stichprobe von Studie S2 angepassten Skala sei auf Kapitel 6.4.2.2 verwiesen. 6.3 Methodik von Studie S1: Analyse der deutschen Großprojektlandschaft 6.3.1 Grundsätzliche Überlegungen und Studienaufbau Vor dem Hintergrund einer qualitativen Vorarbeit zur Ergründung des Forschungsfeldes (vgl. Lamnek 2005) gingen Studie S1 und Auswahlverfahren A1 miteinander einher. Ziel war die Deskription der deutschen Großprojektlandschaft durch die Identifizierung, Beobachtung und grundlegende Analyse von Projekten hinsichtlich zentraler Merkmale sowie die Erstellung eines Großprojektsamples für die darauffolgenden Studien S2 und S3 auf Basis online abrufbarer Kommunikationsbeiträge (z.B. Produkte von Medienberichterstattung, Öffentlichkeitsarbeit und Grassroots-Kommunikation). Die Studie S1 gliederte sich in drei Arbeitsschritte: Schritt 1, die Scanningund Monitoringphase, diente der Erkennung und Beobachtung relevanter Großprojekte über die Identifizierung von Kommunikationsbeiträgen. In Schritt 2, der Analysephase, wurden identifizierte Projekte hinsichtlich vorgegebener Kriterien, die sich in vorigen Studien als zentral erwiesen hatten (vgl. Schmalz 2013), analysiert. In der letzten Phase, Schritt 3, wurde auf Basis der Analyseergebnisse

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6 Forschungsdesign zur Analyse von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

aus Schritt 2 eine Auswahl relevanter Projekte sowie eine erste Analyse des Akzeptanzlevels der Projekte vorgenommen72. Die Schritte 1 und 2 wurden in einem achtwöchigen Zeitraum (Welle 1) sowie sieben Monate später in einem vierwöchigen Zeitraum (Welle 2) durchgeführt. Die Vorgehensweise der zweiten Welle glich dabei der ersten Welle, jedoch mit dem Ziel einer Aktualitätsüberprüfung und Ergänzung der Erkenntnisse aus Welle 1. Durch die doppelte Prüfung von Kommunikationsbeiträgen zu unterschiedlichen Zeitpunkten konnte sichergestellt werden, dass alle identifizierten Projekte über längere Zeit den notwendigen Kriterien entsprachen und keine saisonalen Einflüsse die Untersuchung beeinflussten. Auf eine Messung der Intracoderreliabilität wurde jedoch aus zwei Gründen verzichtet. Zum einen musste während des Zeitraums zwischen Welle 1 und 2 von einer natürlichen Veränderung des Untersuchungsmaterials ausgegangen werden. Zum anderen verfügte das Datenmaterial über eine hohe Spezifität je Projekt. Der damit einhergehende hohe Erinnerungswert an die erste Codierung hätte bei der zweiten Codierung desselben Materials (zur Überprüfung der Intracoderreliabilität) zu einer Überlagerung von fachlicher Einschätzung auf Basis des Codebuchs und Erinnerungswert geführt und damit Gültigkeit der Intracoderreliabilitätsprüfung in Frage gestellt. Dies zeigte sich bei probeweise durchgeführten Reliabilitätstests. Mit Blick auf die tiefe fachliche Verankerung der Forscherin, ihre enge Orientierung am Codebuch sowie der fachlichen Reflektion des Codebuchs und der Codierungen durch andere Forscher wurde deshalb auf eine Prüfung der Intracoderreliabilität verzichtet. Da sämtliche Arbeitsschritte von der Forscherin selbst durchgeführt wurden, entfiel zudem eine Messung der Intercoderreliabilität. Auf Basis der Ergebnisse der Schritte 1 und 2 wurde am Ende der zweiten Welle die Bestimmung des Akzeptanzlevels sowie die Durchführung von Schritt 3 (Auswahl relevanter Projekte) vorgenommen. 6.3.2 Schritt 1: Scanning und Monitoring der Großprojektlandschaft Die grundsätzliche Idee der Identifikation und des Beobachtens von Projekten wurde den Methoden des Issues Management (Scanning und Monitoring) entnommen. Scanning und Monitoring sind Verfahren, die die „Beobachtungs- und Informationsverarbeitungsfähigkeit sicher[stellen]“ (Röttger 2001:11) und damit der Gewinnung und Interpretation von relevanten Umfeldinformationen dienen (vgl. z.B. Lütgens 2001:60; Hafner & Reineke 1992:30). Die vor allem im wirt72

Ein umfassendes Codebuch und Lastenheft sicherte die regelgeleitete Vorgehensweise ab. Alle Anweisungen zur Vorgehensweise, genaue Definitionen und Schlagwörter sind im Codebuch und Lastenheft (siehe Anhang) zu finden.

6.3 Methodik von Studie S1: Analyse der deutschen Großprojektlandschaft

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schaftlichen und politischen Kontext angewendete Methodik zur Abschätzung der „Karrierechancen relevanter Themen der öffentlichen Kommunikation“ (Imhof & Eisenegger 2001:257) wurde in der vorliegenden Arbeit auf deutsche Großprojekte adaptiert. Unter einem Issue wird nach Heath (1997:4), aufbauend auf der Definition von Heath & Nelson (1986), eine „contestable question of fact, value or policy that affects how stakeholders grant or withhold support […]“ verstanden, die über Konfliktpotential mit öffentlichem Interesse verfügt (Röttger 2001:16). Scanning kann als induktive Beobachtung der Umwelt ohne bestimmte Vorgaben definiert werden, Monitoring als deduktive Beobachtung der Umwelt mit bestimmten Vorgaben. Hierunter fällt beispielsweise die Beobachtung bereits identifizierter Issues (vgl. Liebl 1996181ff.; Imhof & Eisenegger 2001:263ff.). Im Zuge des klassischen Issues Management bezieht sich dieses Verständnis meist auf die Umwelt von Organisationen. Bei der hier vorliegenden Identifizierung relevanter Projekte und damit zusammenhängender Fragen (Akteure, Themenfelder etc.) wurden Issues jedoch nicht aus der klassischen Perspektive einer Organisation (z.B. Unternehmen, Partei, Verband) eruiert, sondern es wurde, um den Definitionen von Heath (1997:4) und Röttger (2001: 16) zu folgen, nach strittigen Fragen gesucht, die über Konfliktpotential mit öffentlichem Interesse verfügten und die zugleich für mehrere Akteure gültig waren. Erst diese Vorgehensweise ermöglichte die Identifizierung von Großprojekten, da jeder Großprojektkonflikt bzw. jedes Konfliktpotential sowie jede Zuoder Absprechung von Akzeptanz ein Issue für die beteiligten Akteure darstellte. Aufgrund der geringen Kenntnisse über die Grundgesamtheit von Großprojekten in Deutschland73 wurde der erste Schritt auf die Identifizierung und Beobachtung von Projekten von öffentlichem Interesse und mit Konfliktpotential ausgerichtet. Raum der Beobachtung und damit zugleich das allem zugrundeliegende Mediensample war die Kommunikation im Internet (nachfolgend auch Kommunikationsbeiträge genannt). Diese umfasste sämtliche im Internet zum Untersuchungszeitraum frei und öffentlich abrufbare Onlinekommunikation von und über Großprojekte. Quellen der Kommunikationsbeiträge waren die massenmediale Onlineberichterstattung, online abrufbare Instrumente bzw. Ergeb73

Definiert wird hierbei allgemein die angestrebte „Menge von Individuen, Fällen, Ereignissen […], auf die sich Aussagen der Untersuchung beziehen sollen und die im Hinblick auf die Fragestellung und die Operationalisierung vorher eindeutig abgegrenzt werden muss“ (Kromrey 2009:255). Im vorliegenden Projekt wurde dabei auf die in Kapitel 2.2 angeführte Begriffsbestimmung, in Abgrenzung zu anderen Phänomenen ähnlicher Art, Bezug genommen. Aufgrund der dispersen und heterogenen Forschungslandschaft und Disziplinenvielfalt sowie der fehlenden einheitlichen Definition des Großprojektterminus fehlen bislang konkrete Angaben zu einer möglichen Grundgesamtheit in der Literatur. Hinsichtlich der späteren Aussagekraft wissenschaftlicher Erkenntnisse (Stichwort Repräsentativität) wäre deren Bestimmung jedoch wünschenswert (vgl. Friedrichs 1982:125).

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6 Forschungsdesign zur Analyse von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

nisse der Öffentlichkeitsarbeit von Akteuren eines Großprojekts (z.B. Websites, Pressemittteilungen) sowie Grassroots-Kommunikation, also eine durch Bürger getriebene Kommunikation von Themen und Meinungen, die z.B. durch soziale Medien (z.B. soziale Netzwerke, Blogs) übermittelt wurde. Warum sich zur Identifizierung, Beobachtung und Analyse dessen, was von öffentlichem Interesse ist, ein medial gestalteter Raum eignete, lässt sich anhand des Konzepts von Öffentlichkeit erläutern. Unter Öffentlichkeit wird in diesem Zusammenhang der soziale Raum verstanden, „wo der Einzelne [und auch das Einzelne] von allen gesehen und beurteilt wird“ (Noelle-Neumann 2004:401), gemeinsame Aufmerksamkeits- und Deutungsmuster, Images und Ideologien entstehen und zerfallen sowie Konfliktentstehung und Konfliktabbau stattfinden (vgl. Imhof & Eisenegger 2001:263). In der gegenwärtig funktional stark ausdifferenzierten Gesellschaft spielen (Massen)Medien eine besondere Rolle: Sie sind es, die den Kontakt zur Umwelt überhaupt erst herstellen (vgl. Schenk 1995:1). „Öffentlichkeit [ist] in modernen Gesellschaften empirisch in erster Linie eine massenmedial hergestellte Öffentlichkeit, meint öffentliche Meinung, insbesondere veröffentlichte Meinung“ (Gerhards 1993:98). In der vorliegenden Studie wurde zur Auffindung von Projekten, die im öffentlichen Interesse stehen, deshalb auf die Kommunikation durch bestimmte Medien als Indikator zurückgegriffen: Es wurde festgelegt, dass nur Kommunikation erfasst wird, die über quartäre Medien erfolgt (vgl. Dittmar 2010:38), gemeint sind damit digitale Medien. Die Digitalisierung ermöglicht in dieser vierten Medienstufe die Möglichkeit der Mischung und Integration primärer Medien (kein Gerät notwendig), sekundärer (Gerät bei Sender/Produzent notwendig) und tertiärer Medien (Gerät bei Sender/Produzent und Empfänger/Konsument notwendig) und damit dynamische Optionen sowohl für massenmediale als auch für individuelle Kommunikation (vgl. ebd.). Kommunikation, die online abläuft, kann somit die Vorzüge verschiedener Medien vereinen und spielt vor allem bei Großprojekten eine bedeutsame Rolle: Neben online verfügbarer Medienberichterstattung wird das Internet auch von den Akteuren bei Großprojekten z.B. zur Öffentlichkeitsarbeit (z.B. durch Websites) genutzt. Aber auch die bereits genannte Grassroots-Kommunikation, der bürgerbasierte Journalismus bzw. bürgerbetriebene Kommunikation ist bedeutsam: Soziale Medien aller Art (z.B. Facebook, Twitter, Blogs) werden vor allem von Bürgerinitiativen zur Kommunikation verwendet, wie vorausgehende Studien gezeigt haben (vgl. Boger et al. 2012). Der Rückgriff rein auf sekundäre Medien (z.B. Printberichterstattung) hätte aus organisationspraktischer Sicht zu Problemen geführt, da Datenbanken, die Zugriff auf Printberichterstattung ermöglichen, zahlreiche regionale und lokale Zeitungen nicht enthalten, die für die Entwicklung von Großprojektkonflikten jedoch von zentraler Bedeutung sind (vgl. ebd.). Gleichzeitig hätte dies die Beobachtung onlinebasierter Öffentlichkeitsarbeit und vor allem die Grassroots-Aktivitäten ausgeschlossen.

6.3 Methodik von Studie S1: Analyse der deutschen Großprojektlandschaft

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Die mögliche Diskrepanz zwischen veröffentlichter Meinung und öffentlicher Meinung über ein Großprojekt wurde bei dieser Suche nach Phänomenen von öffentlichem Interesse nicht gänzlich ignoriert, jedoch wurde mit Blick auf die essentielle Bedeutung der Medien für die Selbstbeobachtung der Gesellschaft (vgl. Luhmann 1996:173ff.) die Onlinekommunikation als vorerst ausreichender Indikator dafür gesehen, welche Themen (bzw. Projekte) überhaupt Teil einer gesellschaftlichen Diskussion sind (vgl. z.B. Schulz 1976; Perrin 2010). Die Kommunikationsbeiträge dienten damit nur als Trägermaterial, die eigentliche Analyse galt den in den Beiträgen genannten Großprojekten; damit stellte jedes Projekt eine eigene Analyseeinheit von Studie S1 dar. Der Ablauf der Scanning- und Monitoringphase orientierte sich an der Vorgehensweise des Issues Management (vgl. z.B. Imhof & Eisenegger 2001; Schmidt 2001) und erfolgte durch Schlagwortsuchen in verschiedenen Suchmaschinen (beispielsweise Goggle, Yahoo, Duckduckgo). Für die Schlagwortsuche wurden mehr als 30 zentrale Begriffe bestimmt, diese hatten sich zuvor als zentral und wiederkehrend für den Forschungsgegenstand Großprojekt erwiesen. Die Vorgehensweise beruhte dabei auf dem Prinzip der Linkpopularität (vgl. Deg 2012:153): Projekte, deren Kommunikationsbeiträge die genannten Schlagworte (bzw. mindestens eines davon) beinhalteten, konnten prinzipiell durch die Schlagwortsuche gefunden werden. Je öfter ein Kommunikationsbeitrag an anderer Stelle verlinkt war, desto höher war dabei seine Linkpopularität. Je höher die Linkpopularität, desto weiter vorne bzw. oben war der Beitrag bei den Ergebnissen der Suchmaschinen zu finden und konnte daher auch leichter identifiziert werden. Die Suchmöglichkeit über das Internet war bedingt durch die erläuterte Relevanz lokaler Medien und der Grassroots-Kommunikation, dabei wurde die Suche auf deutsche Kommunikationsbeiträge über Projekte auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt. Es wurden zudem nur Beiträge über Projekte erfasst, die der gewählten Definition von Großprojekten entsprachen (vgl. hierzu ausführlich Kapitel 2.2). Diese impliziert gewisse zeitliche, finanzielle oder räumliche Umfänge, ein spezifisches Verfahren durch Politik und/oder Verwaltung, eine soziale bzw. politische Dimension sowie das Thematisieren eines Artefakts. Weiter wurde eine Zuteilung der identifizierten Projekte zu Leistungsphasen vorgenommen, um sicherzustellen, dass Projekte, die über kein bestimmtes Maß an Entwurf bzw. Planung verfügen, sowie Projekte, die bereits abgeschlossen und in Betrieb sind, nicht einbezogen werden. Zur Einordnung wurde, angelehnt an die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI), Paragraph 34 „Leistungsbild Gebäude“ (vgl. Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz 2013), eine leicht vereinfachte und allgemeinere Leistungsübersicht mit vier Leistungsphasen, von den ersten Vorgesprächen bis

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6 Forschungsdesign zur Analyse von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

hin zur Fertigstellung des Projekts, entwickelt74. Weiter wurden nur Kommunikationsbeiträge zu Projekten beachtet, die sich einem der globalen Megatrends („Energie und Klima“, „Mobilität und Verkehr“, „Leben und Arbeiten“, „Natur und Umwelt“, vgl. hierzu Kapitel 2.1) zuordnen ließen, um eine gesellschaftliche Relevanz der Projekte sicherzustellen. Projekte, die durch das Scanningverfahren identifiziert wurden, wurden registriert und hinsichtlich ihrer Entwicklung weiter beobachtet (Monitoring). Grundsätzlich wurden die Ergebnisse aller Arbeitsschritte für den weiteren Ablauf schriftlich festgehalten. Für jedes identifizierte Projekt wurde eine Projektnummer (fortlaufend), ein Projektname (zur eindeutigen Identifikation), URLs zu den Kommunikationsbeiträgen sowie der zugehörige Themenbereich (Globaler Megatrend) festgehalten. Projekte, die nicht den Kriterien entsprachen oder im Laufe des Prozesses verworfen wurden, wurden auf einer gesonderten Liste vermerkt (siehe Anhang). 6.3.3 Schritt 2: Analyse der identifizierten Projekte hinsichtlich zentraler Kriterien Der Phase des Scannings und Monitorings schloss sich die Projektanalyse, zur Vorbereitung der Auswahl A1, an. Anhand von zentralen Merkmalen (Merkmale zweiter Ordnung75), die als potentielle Einflüsse auf Akzeptanz und Konflikt angesehen werden (vgl. Schmalz 2013), wurden die identifizierten Projekte charakterisiert. Zu den zentralen Merkmalen zählen Projekteigenschaften bzw. Projektarten, die ablaufende Kommunikation, Prozesse und Kontexte der Projekte und das Akteursportfolio. Deuteten die Kommunikationsbeiträge bzw. deren Inhalt auf eine besondere Ausprägung der einzelnen Merkmale bei einem Projekt hin, so wurde dies ebenfalls festgehalten. 6.3.4 Schritt 3: Auswahl relevanter Projekte Da hinsichtlich deutscher Großprojekte weder vollumfänglich eine Anzahl noch eine vollständige Auflistung möglicher Projektarten vorgelegt werden konnte, muss im vorliegenden Fall von einer „angestrebten Grundgesamtheit“ (Kromrey 2009:255) ausgegangen werden. Die Definition einer möglichen Grundgesamt74 75

Ausführliche Erläuterungen zur Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) sowie die daraus entwickelte, vereinfachte Übersicht der Leistungsphasen ist in Kapitel 2.2 zu finden. Als Merkmal erster Ordnung wird hier der Themenbereich/globale Trend eines Projektes angesehen, da eine Zuordnung zu diesem Merkmal als notwendige Bedingung für eine potentielle Samplezugehörigkeit definiert wurde. Die Merkmale zweiter Ordnung dienen der weiteren Unterscheidung der Projekte in den Themenbereichen.

6.3 Methodik von Studie S1: Analyse der deutschen Großprojektlandschaft

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heit beschränkt sich daher auf die Beschreibungen zu Großprojekten in Kapitel 2.2. Eine Vollerhebung der Projekte schloss sich aus diesen sowie aus zeit- und sachlogischen Gründen aus und machte die Ziehung einer Stichprobe erforderlich (vgl. hierzu Schulze & Porath 2012:410). Mit Blick auf diese Ausgangssituation erfolgte die Zusammenstellung der für die weiteren Studien relevanten Projekte auf Basis von Überlegungen der qualitativen Sozialforschung, die eine strukturierte Auswahl von Untersuchungsobjekten auch unter diesen Bedingungen zulässt (vgl. Heinze 2001:27). Bei der Fallauswahl stand deshalb nicht die der quantitativen Forschung vorstehende Repräsentativität, die numerische Schlüsse einer kleineren Gruppierung auf eine definierte Grundgesamtheit zulässt (vgl. Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014:32), im Vordergrund. Es wurde vielmehr die inhaltliche (vgl. Lamnek 2005:193) bzw. konzeptuelle (vgl. Strübing 2004:31) Repräsentativität angestrebt, „d.h. es sollen alle Fälle und Daten erhoben werden, die für eine vollständige und analytische Entwicklung sämtlicher Eigenschaften und Dimensionen der jeweiligen gegenstandsbezogenen Theorie, relevanten Konzepte und Kategorien erforderlich sind“ (ebd.:31). Geht die quantitative Forschung zum Zweck der Repräsentativität (bzw. schlussendlich zum Zweck des Inferenzschlusses, vgl. hierzu z.B. Schnell et al. 2013:261ff.) über die Zufallsauswahl, um so auch theoretische Verzerrungen und willkürliche Häufungen auszuschließen, so wählt die qualitative Forschung zur Vermeidung von Verzerrungen und Häufungen gezielt und regelgeleitet Fälle aus (vgl. Kelle & Kluge 2010:42). Zwei grundsätzliche Varianten des Samplings aufzeigend, kann zwischen theoretischem Sampling (zugehörig zur Grounded Theory, der gegenstandsbezogenen Theorie, vgl. Glaser & Strauss 1998), bei dem sich die Auswahlkriterien datengetrieben im Laufe des Forschungsprozesses herausbilden (vgl. Wiedemann 2008:443), und selektivem Sampling nach vorab definierten Kriterien unterschieden werden (vgl. Kelle & Kluge 2010:43f.). Eine dritte Samplingart stellt das purposeful Sampling (vgl. Patton 1990) dar, das eine Zwischenform der vorab erläuterten Samplingarten ist und eine Verbindung zwischen der Samplingstrategie und dem Forschungszweck schafft und sich über selektives und theoretisches Sampling spannt (vgl. Coyne 1997). Hierbei werden die zu untersuchenden Fälle nach forschungszweckbezogenen Kriterien ausgewählt, z.B. typische Fälle oder politisch wichtige Fälle. Bei dem in dieser Arbeit angewendeten selektiven Sampling wurden auf Basis von Vorüberlegungen Merkmale identifiziert, die der Fallauswahl mit dem Bestreben dienten, alle relevanten Merkmalskombinationen zu berücksichtigen (vgl. Kelle & Kluge 2010:43ff.). Durch die Heranziehung von Merkmalen kann ein qualitativer Stichprobenplan erstellt werden, der vor allem auf die Untersuchung möglichst unterschiedlicher Fälle ausgerichtet ist (vgl. Kelle & Kluge 2010). Diese, der allgemeinen sozialwissenschaftlichen Methodenlehre zuzuordnende Vorgehensweise fand im Rahmen dieser Arbeit Ergänzung durch quasi-

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6 Forschungsdesign zur Analyse von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

experimentelle Methoden zur Fallauswahl aus der Politikwissenschaft, begründet durch die zentrale Bedeutung politischer und sozialer Aspekte bei Großprojekten. Die Politologie bedient sich dieser alternativen Vorgehensweise vor allem in der Staatenforschung: Aufgrund der fehlenden Möglichkeit, Staaten bzw. Systeme wie bei experimentellen Methoden zu verändern bzw. zu kontrollieren, wird hier auf den Vergleich zwischen Staaten bzw. Systemen zur Erkennung kausaler Zusammenhänge gesetzt; aus diesem Grund kommt auch hier der Auswahl der Fälle eine zentrale Rolle zu (vgl. Sartori 2016:224). Prinzipiell unterschieden werden kann hierbei zwischen der Arbeit mit gleichen bzw. ähnlichen Fällen zum Zwecke der Suche nach Unterschieden und der Arbeit mit unterschiedlichen Fällen zum Zwecke der Suche nach Gemeinsamkeiten der Fälle. Oftmals unkonkret abgegrenzt oder bisweilen gleichgesetzt, werden Methoden der Fallauswahl und Methoden zur Analyse von Fällen, nachfolgend in Anlehnung an Hönnige (2007:144ff.) dargestellt: Während die vielfach angewendete Konkordanzmethode und Differenzmethode eher den Analysemethoden bei bereits ausgewählten Fällen zuzuordnen sind und auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen einzelnen Variablen fokussieren, zählen das Most Different System Design (MDSD) und das Most Similar System Design (MSSD) (vgl. Przeworski & Teune 1970) tendenziell zu den Auswahlmethoden und beziehen sich eher auf Fälle als auf einzelne Variablen (vgl. Jahn 2013). Mit den beiden Designs nach Przeworski & Teune (1970) können unterschiedliche Zielsetzungen verfolgt werden: Das Most Similar System Design dient dazu, Unterschiede bei ansonsten gleichen bzw. sehr ähnlichen Fällen zu erklären (vgl. Przeworski & Teune 1970:32), wodurch das Design der Grundidee eines Experiments ähnelt. Das Most Different System Design verfolgt einen anderen Ansatz: Hier werden möglichst unterschiedliche Fälle herangezogen und anschließend auf Gemeinsamkeiten hin überprüft (vgl. ebd.:34)76. Kombination von selektivem Sampling und Most Different System Design zur Untersuchung der Akzeptanz von Großprojekten Aufgrund der Frage nach wiederkehrenden Einflüssen auf die Akzeptanz, Kosten-Nutzen-Verhältnissen und den Auswirkungen von Kommunikationsformen bei Großprojekten wurde im vorliegenden Projekten zum selektiven Sampling das Most Different System Design ergänzt, das eine Analyse verschiedener 76

Voraussetzung für die Annahme kausaler Effekte ist neben dem Kriterium der Unabhängigkeit zweier Variablen die Homogenitätsannahme (vgl. Przeworski & Teune 1970; Hönnige 2007). Das heißt, dass bei zwei verschiedenen Entitäten bei Änderung einer unabhängigen Variable auch bei beiden mindestens eine ähnliche Änderung der abhängigen Variable eintreten muss, also bei gleicher Ursache eine ähnliche (bis gleiche) Wirkung eintritt (vgl. King et al. 1994:91ff.).

6.3 Methodik von Studie S1: Analyse der deutschen Großprojektlandschaft

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Großprojekte hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten zuließ. Die Erstellung eines Auswahlschemas diente dem Ziel der Vorteilsnutzung beider Verfahren und der Eliminierung von Nachteilen77. Weiter implizierte die gewählte Vorgehensweise eine analytische Positivauswahl, also der Auswahl von Fällen bei Vorliegen bestimmter Aspekte (vgl. Jahn 2013:233f.). Wird im klassischen Most Different System Design-Ansatz auf größtmögliche Vielfalt bzw. Unterschiede bei den politischen Systemen geachtet (vgl. Przeworski & Teune 1970:34), so wurde in dieser Arbeit die Heterogenität von Projekten durch die in Schritt 2 vorgenommene Einordnung in verschiedene Themenbereiche (globale Trends) sichergestellt (Merkmal erster Ordnung). Mit dem Ziel der Maximierung von Unterschieden wurde innerhalb der Themenbereiche erneut auf eine möglichst große Bandbreite von Projekten geachtet. Diese Bandbreite konnte anhand der weiteren zur Analyse bzw. Charakterisierung (siehe ebenfalls Schritt 2) herangezogenen zentralen Merkmale (Merkmale zweiter Ordnung) erreicht werden. Das Kriterium Themenbereich wurde dabei aus zweierlei Gründen gewählt: Zum einen stellen die aufgezeigten Themenbereiche zentrale globale Trends dar, aus denen sich die Initiierungsgründe für deutsche Großprojekte ableiten lassen (beispielsweise zahlreiche Projekte zu erneuerbaren Energien aufgrund der nur endlich vorhandenen Ressourcen), zum anderen zeigen sie die Vielfalt der deutschen Großprojektlandschaft auf; eine Eigenschaft, die für die Auswahl nach dem Most Different System Design von Bedeutung ist. Neben der Zielsetzung größtmöglicher Unterschiede auf systemischer Ebene (beschriebene Maximierung der Unterschiede unabhängiger Variablen) sucht das Most Different System Design nach Gemeinsamkeiten der zu untersuchenden Fälle bei anderen Variablen (hier: abhängige Variable). Dabei sind in allererster Linie Gemeinsamkeiten auf Individualebene gemeint, jedoch werden bei fehlenden Zusammenhängen auch höher gelagerte Ebenen (z.B. Mesoebene) einbezogen. Dadurch besteht bei der Fallauswahl die Gefahr eines Selection Bias (vgl. Geddes 1990), also einer verzerrten Auswahl, die bereits mit Blick auf die Ausprägung der abhängigen Variable erfolgt und somit in diesem Fall die Gefahr besteht, dass vor allem Fälle ausgewählt werden, die bereits offensichtliche Gemeinsamkeiten auf der Ebene abhängiger Variablen besitzen. Da das Forschungsinteresse die Akzeptanz von Großprojekten in den Mittelpunkt stellte und damit bereits eine abhängige Variable definiert wurde, war diese Gefahr der verzerrten Auswahl hier besonders groß. Um dieser Verzerrung vorzubeugen und nicht ausschließlich Projekte mit hoher Akzeptanz oder niedriger Akzeptanz auszuwählen, wurde das Most Different System Design doppelt angewendet – 77

Da das Design in dieser Studie schwerpunktmäßig für die Auswahl der Fälle und nicht die Auswertung herangezogen wurde, wurde die Nicht-Kontrolle der Sekundärvarianz bzw. der externen Varianz (vgl. Jahn 2013; Hönnige 2007) billigend in Kauf genommen.

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6 Forschungsdesign zur Analyse von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

einmal durch die Auswahl von Projekten mit hoher Akzeptanz und einmal durch die Auswahl von Projekten mit niedriger Akzeptanz. So bot sich die Möglichkeit, bei den späteren Analysen die doppelten Konkordanzmethode bzw. indirekten Differenzmethode (vgl. Mill 1890) anzuwenden. Die Bestimmung des Akzeptanzlevels wurde dabei mithilfe eines mehrdimensionalen Ansatzes vorgenommen: Zuerst erfolgte eine Einschätzung der Zustimmungsstärke zum Projekt (Einstellungsdimension) der identifizierten Akteure bzw. Akteursgruppen auf Basis einer dreistufigen, bipolaren Skala (Ablehnung, indifferente/ambivalente Bewertung, Zustimmung). Anschließend wurden die Akteure bzw. Akteursgruppen hinsichtlich ihrer Aktivitätsstärke, mit der sie ihrer Überzeugung Ausdruck verliehen (Verhaltensdimension), bewertet, mithilfe einer unipolaren, dreistufigen Skala (keine oder nur selten ausgeübte, geringe Aktivität, niedrige Aktivität, hohe Aktivität). Zum Zwecke einer eindeutigen, späteren Zuteilung wurden die beiden Dimensionen zu einem rein binären Akzeptanzlevel (hohe Akzeptanz/geringe Akzeptanz) zusammengeführt. Dies erfolgte durch eine integrierte Betrachtung von Zustimmungsstärke und Aktivitätsstärke (vor allem die der Kritiker) sowie das mengenmäßige Verhältnis von Befürwortern und Kritikern. Alle exakten Anweisungen zur Vorgehensweise, genaue Definitionen und Regeln zur integrierten Betrachtung der Akzeptanzdimensionen sind im Codebuch und Lastenheft (siehe Anhang) zu finden. Folgendes Schema ergab sich dadurch: Abbildung 15: Finale Merkmalsmatrix zur Projektauswahl der Studie S1: Strukturierung durch Themenbereich/globaler Trend (Merkmal erster Ordnung mit dem Ziel maximale Heterogenität) sowie Akzeptanzlevel (maximale Homogenität)78 Themenbereich

Mobilität & Verkehr

Energie & Klima

Leben & Arbeiten

Natur & Umwelt

Akzeptanzlevel Hohe Akzeptanz Geringe Akzeptanz

Im Unterschied zu dem in Kapitel 6.2 ausführlich dargestellten Messkonzept wurde in dieser Studie die vereinfachte Form der Zustimmungs- und Aktivitätsstärkeskalen angewandt, bei der die ursprünglich feingliedrige Unterteilung der Skalen 78

Auf die Darstellung des mehrdimensionalen Merkmalraums (Merkmale zweiter Ordnung) wird aus Gründen der Übersichtlichkeit hier verzichtet.

6.4 Studie S2: Onlinebefragung von Akteuren deutscher Großprojekte

153

auf drei Stufen heruntergebrochen wurde, um eine valide Fremdeinschätzung der Projekte bzw. der einzelnen Akteure auf Basis der identifizierten Kommunikationsbeiträge überhaupt möglich zu machen. Für eine Anwendung der eigens entwickelten Guttman-Skala (vgl. Kapitel 6.2) wäre eine Kenntnis aller Aktivitätsformen der Akteure notwendig gewesen. Diese konnten jedoch aus den vorliegenden Materialien nicht vollständig erschlossen werden, weshalb auf diese vereinfachte Einstufung der Aktivität durch den Vergleich der Aktivitätsformen der Akteure zurückgegriffen wurde. Für die Zwecke von Studie S1 (Einschätzung und Unterteilung der Projekte nach Akzeptanzlevel) war diese vereinfachte Arbeitsweise völlig ausreichend. Um eine größtmögliche Heterogenität (Sampling anhand der Themenbereiche und zentralen Merkmale) und zugleich größtmögliche Homogenität (Sampling anhand des Akzeptanzlevels) der ausgewählten Projekte (Fälle) zu erreichen, wurde bei Vorliegen gleicher Ausprägungskombinationen bei Projekten jeweils das Projekt präferiert, das stärker kommuniziert wurde, d.h. quantitativ über mehr Publikationen bzw. Kommunikationsbeiträge verfügte. Im Rahmen des Scanning- und Monitoringprozesses wurden über 90 Projekte identifiziert und beobachtet. Nach anschließender Analyse schieden über 30 Projekte aus (siehe Anhang). Das finale Sample setzte sich aus 60 Projekten, verteilt auf die vier Themenbereiche, zusammen. 6.4 Studie S2: Onlinebefragung von Akteuren deutscher Großprojekte 6.4.1 Grundsätzliche Überlegungen und Studienaufbau Ausgangspunkt der Onlinebefragung in mehrheitlich standardisierter Form war der Gedanke der umfassenden Analyse deutscher Großprojekte durch Einschätzungen der beteiligten Akteure. Die Betrachtung und die Analyse von Objekten sind nach empirisch-analytischem Wissenschaftsverständnis auf Daten angewiesen, die entweder durch eine unmittelbar-objektive oder zumindest intersubjektiv nachvollziehbare Datenerfassung von statischen und dynamischen Phänomenen erfolgt oder durch eine mittelbare Erfassung der zu untersuchenden Phänomene über Teilnehmende der Situation, beispielsweise durch Befragung. Die mittelbare Erfassung bietet sich vor allem dann an, wenn keine unmittelbare und objektive (bzw. intersubjektiv nachvollziehbare) Zugangsmöglichkeit zu Daten vorhanden ist. Die Situationsteilnehmer sind damit zugleich Beobachter und Handelnde; die Sozialforschung unterteilt bei der Befragung von Personen in dieser Doppelfunktion daher in „direktes Messen von Merkmalen am Befragten als Untersuchungsob-

154

6 Forschungsdesign zur Analyse von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

jekt“79 und „indirektes Messen durch den Befragten“ (Kromrey 2009:237), wobei der Befragte bei der indirekten Messung Angaben zu Zuständen macht, also über die Merkmalsausprägungen der Forschungsobjekte (aus seiner Perspektive heraus) informiert (vgl. hierzu ausführlich Kromrey 2009; Meulemann 1993). Im vorliegenden Projekt waren die Akteure als Träger beider Rollen gefragt: Ihre Wahrnehmung einer Situation bzw. des Großprojektes (hier Untersuchungsobjekt = Großprojekt) trug ebenso zum Erkenntnisgewinn bei wie Merkmale der Akteure selbst (hier Untersuchungsobjekt = Akteur, vgl. Kromrey 2009:366f.; NoelleNeumann & Petersen 1996). Unter Projektakteuren wurden dabei, angelehnt an die klassische Stakeholderdefinition von Freeman (1984:52), alle Gruppen und Personen verstanden, die ein Großprojekt beeinflussten oder durch ein Großprojekt beeinflusst wurden. Es konnte dabei mit Blick auf den gemeinsamen Sachverhalt, dem die Akteure bewusst und vielfach organisiert gegenüberstanden, auch von einer situativen Öffentlichkeit (vgl. Mast 2010:119f., H.n.i.O., mit Verweis auf Grunig und Hunt 1984) gesprochen werden. Mit dem Ziel fallübergreifender Analysen anhand einer möglichst aussagekräftigen Stichprobe wurde das Erhebungsinstrument in mehrheitlich standardisierter Form konzipiert. Dies ermöglichte zugleich bezüglich organisatorischer, zeitlicher und finanzieller Aspekte im Rahmen zu bleiben (vgl. hierzu auch Scholl 2015:44f.). Durch Kombination mit einzelnen offenen Elementen wurde trotzdem Raum für ergänzende Beschreibungen gegeben. Der Einbau von Triggerelementen in den Onlinefragebogen ermöglichte dann, die durch die Befragungsteilnehmer selbst eingetragenen Inhalte (z.B. Themen) in anderem Kontext später erneut aufzuführen (z.B. zur Bewertung dieser Themen). Mit Blick auf die sensible Thematik der Großprojektforschung (vgl. hierzu auch die Einführung in Kapitel 6) musste von Versuchen einseitiger, persönlicher Einflussnahme auf die Forscherin durch die Projektakteure ausgegangen werden, zugleich jedoch von einem hohen Bedürfnis nach einer anonymen Befragungssituation, um strategisch weniger angreifbar zu sein. Diese Anonymität konnte durch die online durchgeführte Befragung geboten werden. Zugleich konnte dadurch der Herausforderung der geographisch weit verteilten Projekte (und Projektakteure) begegnet werden, weshalb eine Präsenzbefragung auch aus zeit- und sachlogischen Gründen ausschied (vgl. Taddicken 2007:98f.). Weiter 79

Genau genommen wird mithilfe der Befragung nicht das Merkmal eines Befragten selbst, sondern das kommunikativ vermittelte Substitut hiervon erfasst. Dieses Inferenzproblem (vgl. Scholl 2015: 22f.) kommt jeweils dann zum Tragen, wenn „Bewusstseinselemente (Gedanken, Gefühle) und Verhaltensweisen nur indirekt erschließbar sind“ (ebd.:22). Dies tritt aber laut Scholl nicht nur bei der Methode der Befragung, sondern ebenso bei Inhaltsanalysen (vgl. Merten 1995) und Beobachtungen (vgl. Gehrau 2002) auf, bei denen von Texten respektive Verhaltensweisen auf latente Konstrukte geschlossen wird.

6.4 Studie S2: Onlinebefragung von Akteuren deutscher Großprojekte

155

erforderte die hohe Komplexität und Individualität der zu untersuchenden Großprojekte sowie der zu befragenden Akteure ein dem jeweiligen Akteur angepasstes Erhebungsinstrument, um den unterschiedlichen Ausgangslangen der Projekte gerecht zu werden. Auch diesem Anspruch konnte mithilfe des Onlinefragbogens und dem hierbei möglichen Einsatz dynamischer Elemente nachgekommen werden. Elemente wie automatische Filterführung, Setzung von Verweisen, dynamische Antwortfelder sowie Trigger zur Auslösung von Follow-up Aktionen ermöglichten eine gezielte Fragbogenführung auf Basis der durch die Befragungsteilnehmer angegebenen Daten80. 6.4.2 Konstruktion des Befragungsinstruments Das Befragungsinstrument setzte sich aus einzelnen Elementen zusammen, die das komplette Feld der im Fokus stehenden Forschungsfragen aufgreifen.81 Der Fragebogen wurde dabei so konzipiert, dass allgemeine, das Projekt auf Metaebene behandelnde Fragen (z.B. Akzeptanzlevel) zuerst gestellt wurden. So konnte sichergestellt werden, dass Einstellung und Verhalten gegenüber dem jeweiligen Großprojekt unbeeinflusst durch die nachfolgenden Fragebogeninhalte erhoben werden konnten. Im weiteren Verlauf wurden dann konkretere Fragen zu bestimmten Themen sowie Kosten-und Nutzenaspekten gestellt. Um eine strategische Anpassung der Antworten auf nachfolgende, themenbezogene Fragen zu vermeiden, konnten bereits beantwortete Fragen nicht mehr aufgerufen bzw. verändert werden. Der Fragebogen setzt sich aus offenen, halboffenen und geschlossenen Fragen zusammen. Mehrheitlich wurde dabei mit einer siebenstufigen Skala gearbeitet, in Orientierung an das vorab beschriebene Modell zur Messung des Akzeptanzlevels. 6.4.2.1 Gestaltung des Onlinefragebogens Mit der Bitte um die Einschätzung der persönlichen Akzeptanz des jeweiligen Projektes wurde zu Beginn eine bereits vorhandene Einstellung abgefragt und zugleich eines der zentralen Elemente der Befragung bestimmt. Dies erfolgte 80 81

Zur Effizienz von Onlineerhebungen vgl. z.B. auch Gadeib (1999). Für weitere Gründe und Vorteile sowie Nachteile und Risiken mehrheitlich standardisierter Befragungen und Onlinebefragungen vgl. z.B. Scholl (2015). Bei der Zusammensetzung der Fragearten, Skalen und Antwortvorgaben wurde nach grundsätzlichen Regeln der Fragebogengestaltung gearbeitet, wie sie z.B. von Scholl (2015); Schnell et al. (2013); Brosius et al. (2012); Noelle-Neumann & Petersen (1996) oder Kromrey (2009) beschrieben werden.

156

6 Forschungsdesign zur Analyse von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

durch den zweidimensionalen Ansatz zur Akzeptanzmessung, bestehend aus der individuellen Zustimmungsstärke und Aktivitätsstärke (vgl. Kapitel 6.2 sowie die nachfolgenden Ausführungen in diesem Kapitel zur Anpassung der Skala für die vorliegende Studie). Ergänzend wurde zudem die Zustimmungsstärke der allgemeinen Öffentlichkeit durch die Einschätzung der Projektakteure erhoben. Mit dem Ziel, den Einfluss zentraler Projektereignisse (z.B. Auftaktveranstaltungen), gesellschaftlicher Ereignisse (z.B. Wahlen) und Vorkommnisse (z.B. Umweltkatastrophen) auf die Projektakzeptanz (vgl. z.B. Brettschneider 2011; Boger et al. 2012) betrachten zu können widmete sich der Fragebogen in einem nächsten Schritt der Einordnung des Projekts in das gesellschaftliche Gesamtgeschehen. Um die zentralen Ereignisse im Verlauf von Großprojekten und damit möglichen Wendepunkte der Entwicklung von Projekten und ihrer Akzeptanz nachvollziehen zu können, wurde nach Meilensteinen gefragt, die für das jeweilige Großprojekt besonders wichtig oder von großem öffentlichen bzw. medialen Interesse waren oder in deren Zusammenhang sich die Zustimmung oder Aktivität der Akteure entscheidend veränderte. Den Befragungsteilnehmern wurde hierzu eine Liste mit potentiellen Ereignissen vorgelegt, die zudem selbstständig ergänzt werden konnte. Die Auswahlliste enthielt mögliche Ereignisse, die im Laufe eines Großprojekts auftreten, z.B. Elemente des standardisierten Projektablaufs nach HOAI (z.B. Beginn der Umsetzungsphase), Elemente eines öffentlichen und/oder medialen Diskurses (z.B. öffentliche Diskussion über Projektalternativen), gesellschaftliche Ereignisse (z.B. Wahl, Großveranstaltung) sowie Elemente der politischen und juristischen Willensbildung. Vorhergehende Studien (vgl. z.B. Schmalz 2013) lassen erahnen, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren die Akzeptanz eines Projektes beeinflussen kann. Bislang wurden die tatsächliche empirische Bedeutung der einzelnen Faktoren jedoch vor allem anhand von Fallstudien oder repräsentativen Bevölkerungsumfragen ergründet. Vergleichende, empirische Betrachtungen verschiedener Großprojekte sind jedoch kaum zu finden. Mit dem Ziel, den Einfluss der zahlreichen prognostizierten Einflussfaktoren auf die Akzeptanz von Großprojekten näher zu ergründen (vgl. Kapitel 3.1), wurden diese deshalb vor allem in Form von Thesen in den Fragebogen aufgenommen, mit der Bitte an die Befragungsteilnehmer, anzugeben, inwiefern die Behauptungen mit Blick auf das von ihnen bewertete Projekt zutreffen. Die Vielzahl potentieller Faktoren erforderte hierfür einige vorhergehende Maßnahmen: Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden ähnliche Faktoren jeweils zusammengefasst, Faktoren ausgelassen, die keine Variation zwischen den Projekten erwarten ließen (z.B. Art des politischen Systems), nur solche aufgenommen, die sich nicht aus anderen Faktoren ergaben, und jene ausgelassen, die intensiv in Studie S3 behandelt wurden. Final wurden dadurch Faktoren mit direktem Bezug zu Projekteigenschaften (z.B. Standort des Projekts, individu-

6.4 Studie S2: Onlinebefragung von Akteuren deutscher Großprojekte

157

elle Entfernung zum Projekt) und der zugrundeliegenden Technologie, mit Bezug zu Kommunikationseigenschaften und -formen (z.B. mediale Berichterstattung, Öffentlichkeitsarbeit) mit Bezug zum zugehörigen Sozialgefüge im Projekt (z.B. Stimmung unter den Akteuren, Kooperationsbereitschaft), dem politisch-gesellschaftlichen Umfeld (z.B. politische Entscheidungen) und den ablaufenden Prozessen (z.B. Zufriedenheit mit den Prozessen) aufgenommen. Mit Blick auf die Bedeutung von Kommunikation bei Großprojekten (vgl. z.B. Brettschneider 2016; Renn & Webler 1994; Beierle & Cayford 2002; Appel 2013) wurde im nächsten Schritt das kommunikative Verhalten der Akteure näher betrachtet. Hierzu wurden verschiedene Kommunikationsformen und -maßnahmen gestützt, mit Möglichkeiten zur eigenen Ergänzung, abgefragt. Interessensschwerpunkt waren hier Art und Häufigkeit (dauerhaft, in regelmäßigen Abständen, anlassbezogen/phasenweise) der angewendeten Maßnahmen. Zur Erstellung einer möglichst umfassenden Übersicht potentieller Instrumente wurden verschiedene Ordnungsprinzipien herangezogen: ein objektorientiertes Ordnungsprinzip zur Unterscheidung von Primär-, Sekundär-, Tertiär- und Quartärmedien, eine Unterscheidung zwischen Text- und Bildorientierung, ein dialogorientiertes Ordnungsprinzip hinsichtlich Ein- und Mehrwegekommunikation sowie ein entscheidungsbasiertes Ordnungsprinzip zur Unterscheidung von Instrumenten mit und ohne Mitentscheidungsmöglichkeiten. Die Liste umfasste beispielsweise Kommunikationsformen wie persönliche Gespräche, Infomaterialien, Pressegespräche, werbliche Kommunikationsformen, digitale Kommunikationsarten sowie verschiedene Visualisierungsmöglichkeiten. Das letzte Themenfeld des Fragebogens wurde der Erhebung von Kosten- und Nutzenaspekten gewidmet. Die Ausführungen in Kapitel 4 unterstreichen die Rolle dieser, machen jedoch zugleich deutlich, dass diesbezüglich noch große Forschungslücken zu schließen sind, vor allem hinsichtlich der Frage, welche Aspekte bei Großprojekten von Bedeutung sind und welche Relevanz diesen durch die Akteure zugeordnet wird. Zur Erhebung der im Zusammenhang mit Großprojekten bedeutsamen Kosten- und Nutzenformen wurden assoziierte, wahrgenommene und vermutete positive und negative Auswirkungen des jeweiligen Projekts und seiner Prozesse in offener Form abgefragt. Diese ungestützte Abfrage war aufgrund der mangelnden Datenlage notwendig. Vorab durchgeführte Inhaltsanalysen von Projektberichten, Projekthandbüchern, Projektevaluationen, Leitfäden und Studien über Großprojekte (mit dem Ziel der Identifikation zentraler Kosten- und Nutzenaspekte zur geschlossenen Abfrage) ergaben zwar eine Vielzahl einzelner positiver wie negativer Auswirkungen (über 250 Aspekte, unterteilt in 28 Kategorien) erlaubten aber keine praktikable Aufnahme dieser in den Fragebogen. Aus Mangel valider Quellen zur Zusammenfassung bzw. zusammengefassten Präsentation der identifizierten Effekte wurde die Entscheidung für eine ungestützte Abfrage inklu-

158

6 Forschungsdesign zur Analyse von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

sive subjektiver Bedeutungszuweisung zu den einzelnen Effekten getroffen. In einem nächsten Schritt wurden die Befragten um eine Gewichtung der genannten Kosten- und Nutzenaspekte gebeten, um so einen Eindruck bzgl. der Bedeutung der einzelnen Aspekte erheben zu können. Die Abfrage von Akteurseigenschaften (soziodemographische Daten, u.a. Akteursgruppe) rundeten den Fragebogen ab. Die Fragen82 sind im Anhang zu finden. 6.4.2.2 Finale Skala zur Messung der Akzeptanz von Großprojekten Der in der Vorstudie (vgl. Kapitel 6.2) entwickelte Ansatz zur Messung von Akzeptanz wurde im Onlinefragebogen der Studie S2 mit den sechs Items in folgender Reihenfolge eingesetzt: 1) Informieren, 2) Gespräche führen, 3) Überzeugungsarbeit leisten, 4) Teilnahme an Aktionen, 5) medial kommunizieren, 6) Organisieren von Aktionen. Ähnlich wie bei der vorab durchgeführten Kurzstudie wurde auch hier eine binäre Recodierung der Antwortvorgaben vorgenommen (vgl. Kapitel 6.2). Anschließend wurden zur Überprüfung der theoretischen Annahmen die notwendigen Gütekriterien anhand der vorliegenden Daten berechnet. Nach Umstellung der Itemreihenfolge (neue Reihenfolge: 2, 4, 5, 6, 3) und Entfernung eines Items (Item 1: informieren)83 ergab sich final ein Reproduktionskoeffizient von CR=0,9384 sowie ein minimaler marginaler Reproduktionskoeffizient von MMR=0,8185, wodurch ein Skalierbarkeitskoeffizient in Höhe von CS=0,6186 berechnet werden konnte. Den Anforderungen einer konsistenten und eindimensionalen Skala konnte damit entsprochen werden. Final konnte für diese Studie eine sechsstufige (statt siebenstufige) Guttman-Skala (fünf Aktivitätsformen sowie die Ausprägung „keine Aktivität“) zur Messung der individuellen (bzw. akteursgruppenbezogenen) Aktivität bei Großprojekten erstellt werden. Nach Sortierung der Items anhand der Häufigkeiten ihrer Nennung ergab sich folgende Reihenfolge:

82 83 84 85 86

Der Fragebogen wurde vor der Datenerhebung entsprechenden Pretests unterzogen. Für die zentralen Aspekte eines Pretests bei Befragungen sei auf Scholl (2015); Kurz et al. (1999); Jacob et al. (2013) oder Schnell et al. (2013) verwiesen. Dieses Item musste ausgeschlossen werden, da es nicht sinnvoll in die Rangfolge einreihen ließ und zur eklatanten Verschlechterung der Kennwerte führte. Coefficient of Reproducibility (CR): 0 bis 1, Schwellenwert 0,90 (vgl. McIver & Carmines 1981). Minimal marginal Reproducibility (MMR), vgl. ebd. Coefficient of Scalability (CS): 0 bis 1, Schwellenwert 0,60 (vgl. Menzel 1953).

159

6.4 Studie S2: Onlinebefragung von Akteuren deutscher Großprojekte

0. 1. 2. 3. 4. 5.

(Keine Aktivität) Ich/wir spreche(n) mit Anderen über das Projekt. Ich/wir nehme(n) an Treffen/Gesprächen/Veranstaltungen/Aktionen teil. Ich/wir schreibe(n)/bringe(n) Pressemitteilungen/Stellungnahmen oder Beiträge/Artikel/Leser-briefe in (sozialen) Medien. Ich/wir organisiere(n) Treffen/Gespräche/Veranstaltungen/Aktionen. Ich/wir versuche(n) Andere von meiner/unserer Meinung zu überzeugen.

Der Skalenwert ergibt sich durch die Summe der bejahten Items. Wird keines der Items bejaht, so ist der Skalenwert 0. Es lassen sich außerdem folgende Kennzahlen beschreiben: Abbildung 16: Prozentuale Häufigkeitsverteilung, Mittelwerte und Standardabweichungen der einzelnen Aktivitätsitems (alte Rangfolge, inklusive Informationsitem) 1) Informieren

2) Gespräche führen

3) Überzeugungsarbeit leisten

4) Teilnahme an Aktionen

5) Medial kommunizieren

6) Organisieren von Aktionen

0: Nie

1,55

1,55

10,47

4,71

12,50

13,47

1

1,04

2,07

6,81

6,28

7,81

10,88

2

2,59

3,11

8,90

5,24

7,81

10,88

3

5,70

12,95

9,95

15,71

15,63

15,54

4

24,35

24,87

24,61

23,04

21,35

20,21

5: Sehr häufig

64,77

55,44

39,27

45,03

34,90

29,02

N

193

193

191

191

192

193

M

5,45

5,24

4,49

4,81

4,30

4,05

SD

0,98

1,09

1,70

1,45

1,75

1,77

6.4.3 Auswahlverfahren und Zusammensetzung der Stichprobe von Studie S2 Die Auswahl der Untersuchungsteilnehmer folgte wie bereits Studie S1 dem Gedanken der inhaltlichen bzw. konzeptuellen Repräsentativität (vgl. hierzu

160

6 Forschungsdesign zur Analyse von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

ausführlich Kapitel 6.3.4): Ziel war die Auswahl aller zentralen Akteure87 der in Studie S1 eruierten Projekte. Diese Form der Fallauswahl ähnelt der Ziehung einer Klumpenstichprobe (Cluster-Sampling, vgl. allgemein hierzu z.B. Schnell et al. 2013:270ff.; Kromrey 2009:289f.), aufgrund der Intention einer Vollerhebung der Clusterelemente (Erhebungseinheiten, Akteure). Sie weicht jedoch von ihr ab, weil die Cluster selbst (Auswahleinheiten, Großprojekte) nicht in Form einer Zufallsstichprobe, sondern bewusst durch selektives Sampling in Kombination mit dem Most Different System Design ausgewählt wurden (vgl. hierzu ausführlich Kapitel 6.3.4). Diese Auswahlmethode kann mit der Relevanz des sozialen Umfelds eines Akteurs für dessen Interaktion und Handlung (vgl. Kromrey 2009:287) begründet werden. Der Handlungskontext, hier vorliegend in Form des Projektkontextes inklusive aller zentralen Akteure, wäre bei Teilerhebungen verloren gegangen. Notwendig zur Ermöglichung einer Vollerhebung je Cluster war in einem ersten Schritt die Identifizierung aller zentralen Akteure (Person oder Gruppe) der Projekte sowie im zweiten Schritt die Wahl eines Ansprechpartners je identifiziertem Akteur. Dieser zweite Auswahlschritt folgte dem Gedanken der Expertenauswahl der qualitativen Forschung. Unter einem Ansprechpartner (Experte) wurde dabei ein Mitglied bzw. Vertreter der Akteursgruppe verstanden, das bzw. der „in irgendeiner Weise Verantwortung trägt für den Entwurf, die Implementierung einer Problemlösung“ und „über einen privilegierten Zugang zu Informationen zu Personengruppen oder Entscheidungsprozesse[n] verfügt“ (Meuser & Nagel 1991:443). Der Ansprechpartner sollte zudem als Repräsentant von Problemlösungen oder Entscheidungsstrukturen erkennbar sein (vgl. ebd.:444)88. Die Identifizierung und Codierung anhand zentraler Merkmale erfolgte anhand des Codebuchs zur Projektidentifikation und -analyse (S1), der bereits vorhandenen Informationen aus S1 über die Projekte und im Rahmen von S1 identifizierte Quellen sowie einer Liste mit potentiellen Akteursgruppen. In insgesamt vier mehrstündigen Sitzungen wurde ein Codiererteam mit dem Ziel geschult, im Anschluss daran eine möglichst valide und reliable Akteursidentifikation durchführen

87

88

Bei Akzeptanzkonzepten der Innovations- und Diffusionsforschung werden vielfach ausschließlich die Nutzer als relevante Akteure angesehen, obwohl sich gerade bei Großprojekten zeigt, dass die Gruppe der eventuellen Nutzer eine untergeordnete Rolle spielt, im Vergleich zu anderen Akteuren (vgl. Schäfer & Keppler 2013:5). Da die endgültige Datenerhebung mit Bitte um Beantwortung der Fragen im Sinne der gesamten Akteursgruppe (bzw. bei Einzelpersonen mit Blick auf die persönliche Meinung dazu) erfolgte, intendierte die Vorgehensweise die Wahl einer Person (Experten), der als Repräsentant die Meinung der gesamten Akteursgruppe wiedergeben konnte.

6.4 Studie S2: Onlinebefragung von Akteuren deutscher Großprojekte

161

zu können. Auf Basis einer ausreichend hohen Intercoderreliabilität (rH=0,9489) konnte die Identifikation und Codierung vorgenommen werden. Insgesamt konnten 426 Experten (Ansprechpartner der Akteursgruppen) aus den in Studie S1 selektierten 60 Projekten identifiziert werden. Hiervon haben 194 Personen mit der Beantwortung des Fragebogens begonnen, 131 komplett ausgefüllte Bögen konnten schlussendlich gewonnen werden. Sofern dies möglich war, wurden für die Auswertungen jedoch auch teilweise ausgefüllte Fragebögen herangezogen. Damit waren 56 der in Studie S1 eruierten 60 Großprojekte durch Studienteilnehmer in der Studie S2 vertreten. Vier Projekte (P17, 19, 34, 3590) entfielen, da keine Akteure dieser Projekte an der Befragung teilnahmen91. 34 (17,5 Prozent) der Befragten waren Frauen, 159 (82 Prozent) Männer, ein Teilnehmer konnte keinem Geschlecht eindeutig zugeordnet werden. 37,9 Prozent der Befragten entstammten dem Themenbereich „Mobilität und Verkehr“, 28,2 Prozent dem Bereich „Leben und Arbeiten“. Die restlichen rund 34 Prozent entfielen auf die Bereiche „Energie und Klima“ (22,1 Prozent) sowie „Natur und Umwelt“ (11,8 Prozent). Aufgrund verschiedener Gründe der Nicht-Teilnahme von Akteuren (vgl. hierzu ausführlich Kapitel 0) repräsentierte die endgültige Stichprobe die eigentlich anvisierte Stichprobe hinsichtlich der gewählten Merkmale (vgl. hierzu Kromrey 2009:262f.) nur unzureichend. Bezugnehmend hierauf und auf die Basis der zugrundeliegenden Großprojekte liegt keine klassische Repräsentativität der Fälle vor, die valide inferenzstatistische Aussagen ermöglicht hätte. Die Ergebnisse der nachfolgenden deskriptiven Auswertungen sind daher eher hinweisend als beweisend, leisten jedoch trotzdem einen Beitrag zur Ergründung des noch weitestgehend unbekannten Feldes der deutschen Großprojektlandschaft. 6.4.4 Vorgehensweise und Ablauf Für die Datenerhebung per Onlinefragebogen92 wurde allen Akteuren des Samples (Ausgangssample) zur Erlangung erster Aufmerksamkeit, der Bekanntgabe 89

90 91 92

Reliabilitätskoeffizient nach Holsti (vgl. Rössler 2005:190). Die Intracoderreliabilität wurde hier nicht gemessen, da aufgrund der wenigen, jedoch komplexen Codierschritte die Erinnerung an den vorigen Codiervorgang möglicherweise zu einem Bias der Testergebnisse geführt hätte. Ersatzweise wurde jedoch eine Überprüfung der identifizierten Akteure durch denselben Codierer vor der Finalisierung des Samples S2 vorgenommen. Zudem erfolgten regelmäßige, gemeinsame Besprechungen der Ergebnisse sowie problematischer oder unklarer Fälle. Zuordnungen siehe Anhang. Damit ein Projekt Teil von Stichprobe S2 wurde, musste mindestens ein Projektakteur an der Befragung teilnehmen. Die Vorgehensweise orientierte sich an zentralen Hinweisen zur optimalen Durchführung von schriftlichen Befragungen (vgl. hierzu Scholl 2015:47ff.).

162

6 Forschungsdesign zur Analyse von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

von Vorabinformationen zur Studie sowie der Überprüfung von Ansprechpartner und Kontaktdaten eine Ankündigungsmail93 gesendet. Zwei Wochen später erfolgte per Mail die Versendung der eigentlichen Einladung zur Studie mit weiteren Informationen und direktem Link zum Onlinefragebogen. Damit startete die Feldphase. Zur Erhöhung der Teilnahmequote wurde zwei Wochen nach Beginn der Feldphase eine schriftliche Erinnerungsmail an die Akteure gesendet. Für eine letzte Erinnerung (telefonisch, sechs Wochen nach Beginn der Feldphase) wurde das Codiererteam erneut geschult. Während der gesamten Feldphase erfolgte die Beantwortung von Rückfragen. Um möglichst viele Teilnehmer zu gewinnen, wurde die Feldphase erst nach vier Monaten beendet. 6.5 Studie S3: Leitfadengespräche mit Projektträgern und High-Involvement-Akteuren 6.5 Studie S3: Leitfadengespräche mit Projektträgern und High-Involvement-Akteuren

6.5.1 Grundsätzliche Überlegungen und Studienaufbau Durch die mehrheitlich standardisierte Onlinebefragung von Akteuren (Studie S2) konnte eine breite Datenbasis erstellt werden, die einen Blick auf zahlreiche Projekte und Akteure erlaubt. Ein tieferer und verstehender Einblick in die Sichtweise der an den Projekten beteiligten Personen, die als Handelnde die soziale Interaktion sowie die einzelnen Großprojekte in ihrem Verlauf gestalten, bleibt durch standardisierte Verfahren jedoch verschlossen. Vor allem individuelle Kontextfaktoren werden aufgrund der Standardisierung nur am Rande erfasst. Die Notwendigkeit, diesen Beachtung zu schenken, besteht jedoch, um erstens eine valide Einordnung der in Studie S2 gewonnen Erkenntnisse (z.B. hinsichtlich Projektbeginn, Genehmigungsverfahren, Beteiligungsverfahren) zu ermöglichen und zweitens zur ganzheitlichen Nachvollziehung kompletter Projektabläufe und -stadien sowie zur Ergründung neuralgischer Punkte der Projektgeschichte. In Manier der qualitativen Sozialforschung dient die Beachtung eines Kontextes in der wissenschaftlichen Untersuchung der aktiven Einbeziehung des Verweiszusammenhangs einer Handlung bzw. Situation (vgl. Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014:16f.) und arbeitet mit einer verstehenden Herangehensweise. Dieses methodisch kontrollierte Fremdverstehen (vgl. Schütze et al. 1973) wird dabei so durchgeführt, „dass die Erforschten ihre Relevanzsysteme formal und inhaltlich eigenständig entfalten können. Die einzelnen Äußerungen werden erst in diesem Kontext, innerhalb der Selbstreferenzialität der gewählten Einheit, interpretierbar“ (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014:17). Durch Differenzierung 93

Zu den positiven Effekten von Ankündigungsschreiben zählen zudem eine geringere Verweigerungsrate und eine verbesserte Datenqualität (vgl. Dillman et al. 1976).

6.5 Studie S3: Leitfadengespräche mit Projektträgern und High-Involvement-Akteuren

163

zwischen Interpretationsrahmen des Forschers und dem des Erforschten findet eine methodische Kontrolle statt (vgl. ebd.). Im Setting kommunikativer Erhebungsmethoden eignete sich die qualitative Befragungsform des Leitfadengesprächs mit Experten94 in besonderer Weise für die hier vorliegende Situation, um „tieferes Verstehen und Verständnis vom Forschungsgegenstand“ (Scholl 2015:25) zu erlangen. Die Heranziehung einer qualitativen Methodik empfahl sich zur Abrundung der Empirie dieses Forschungsvorhabens daher unbedingt. Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie S3 standen die Träger der Großprojekte aus der Stichprobe der Studie S2. In ihrer Rolle als zentrale Gestalter eines Großprojekts und seiner Kommunikationsformen, boten sich Leitfadengespräche zur näheren Untersuchung dieser Rolle an. Ergänzt wurden diese Gespräche um Interviews mit weiteren Akteuren (Verbandsvertreter, Medienvertreter, Bürger etc.), die durch ihre aktiven Rückmeldungen (per Mail, telefonisch etc.) ein hohes Involvement bezüglich der ihnen zuzuordnenden Großprojekte vermuten ließen. Durch die Gesprächsform gestaltete sich diese Datenerhebung persönlicher und individueller als der vorangegangene schriftliche Fragebogen und lud zu einem umfassenden Austausch ein, was sich motivationssteigernd auf die angefragten Gesprächsteilnehmer auswirkte95. Die Gespräche wurden telefonisch durchgeführt, um einen respektvollen Abstand zum Gesprächspartner zu halten und unerwünschte Interviewereinflüsse zu minimieren. Telefoninterviews gelten zudem als weniger störanfällig für Veränderungen (z.B. bei leicht abgeänderter Frageformulierung) und ermöglichen daher eine höhere Datenqualität durch die Reduzierung der sozialen Interaktion auf eine akustische Dimension (vgl. Fuchs 1994:188f.). Die ggf. abgeschwächte Vermittlung emotionaler Sachverhalte (vgl. ebd.) war hinnehmbar, da es sich um Experteninterviews handelte. Das Begriffsverständnis eines Experten wurde aus Studie S2 übernommen. Eine lückenlose Dokumentation der Interviews durch Audioaufnahmen und daraus angefertigten, wortwörtlichen Transkripten (Transkription in Anlehnung an Kallmeyer & Schütze 1976) sowie eine transparente und intersubjektiv nachvollziehbare Auswertung durch qualitative Inhaltsanalysen in quasi-nomothetischer Vorgehensweise (vgl. Kvale & Brinkmann 2009:201ff.; Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014:369ff.) tragen dazu bei, den Gütekriterien der qualitativen Forschung (vgl. z.B. Rubin & Rubin 2005) gerecht zu werden.

94 95

Auf eine umfassendere Erläuterung allgemeiner Hinweise und Möglichkeiten dieser Methode sei an dieser Stelle verzichtet und auf einschlägige Fachliteratur verwiesen, z.B. auf die Ausführungen von Scholl (2015); Schnell et al. (2013) oder Przyborski & Wohlrab-Sahr (2014). Zur Steigerung der Teilnahmemotivation von Personen an Expertengesprächen vgl. z.B. Krafft & Günter (1995).

164

6 Forschungsdesign zur Analyse von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

6.5.2 Konstruktion der Interviewleitfäden Zur Strukturierung der Interviews wurden zwei unterschiedliche Leitfäden erstellt. Ein ausführlicher Leitfaden diente dem geleiteten Gespräch mit Projektträgern, ein etwas kürzerer Leitfaden diente dem Gespräch mit High-InvolvementAkteuren. Das Telefongespräch sollte durch eine sehr offene Frageweise dem Projektträger die Möglichkeit geben, die Geschichte des Projekts, die besonderen Eigenschaften, Akteure und Ursachen und Wirkungen dieser Prozesse aus der eigenen Perspektive wiederzugeben und dabei auch eigene Schwerpunkte zu setzen. Durch die Gespräche entstand dabei keineswegs ein vollständiges Abbild der Projekte, vielmehr wurden einige, in den vorigen Studien noch nicht behandelte Themenbereiche aufgegriffen. Zugleich enthielt der Leitfaden auch Fragen und Gesprächsaufforderungen zu Themen, die bereits in Studie S2 behandelt wurden, einerseits, um durch die Betrachtung desselben Phänomens mithilfe unterschiedlicher Methodik eine Verifizierung von gewonnenen Erkenntnissen sowie die Validierung der Ergebnisinterpretation zu ermöglichen, andererseits um weitere Erkenntnisse zu gewinnen. Der Fragebogen für die Projektträger setzte sich demnach maßgeblich aus Fragen zu konkreten Projekteigenschaften (Genehmigungsverfahren, Projektbeginn, aktuelle Leistungsphase) sowie Fragen zum Ausmaß von Konflikt bzw. Akzeptanz des Projektes zusammen. Hierdurch wurde eine Unterteilung der Projekte nach Konfliktausmaß und gezielte Fragen bezüglich der Konfliktgründe möglich. Durch offene Frageformulierungen wurde zugleich zu einer Nacherzählung der Projektgeschichte angeregt. Aufbauend auf dieser konfliktursachenbezogenen Betrachtung folgte eine kostenbezogene Betrachtung. Im Fokus standen dabei Kosten, die durch Kommunikations- und Beteiligungsmaßnahmen bei Konflikt bzw. durch präventive oder behandelnde Maßnahmen entstanden sind, inkl. einer Einschätzung ihrer Bedeutung. Die Definition des Kostenbegriffs folgte dabei der in Kapitel 4 erarbeiteten Bedeutung und bezog sich demnach nicht nur auf betriebswirtschaftliche, sondern z.B. auch auf soziale oder ökologische Aspekte. Entsprechend wurden bei konfliktfreien Projekten Fragen zu allgemeinen Kosten gestellt, die für Kommunikation und Beteiligung aufgenommen wurden, sowie Fragen zu eingesparten Kosten insgesamt. Auch hier folgte die Bitte um Einschätzung der Bedeutung (Gewichtung) der einzelnen Kosten. Darauf aufbauend wurden die Rolle und die Effekte eingesetzter Kommunikations- und Beteiligungsformen näher betrachtet. Die Gespräche mit den High-Involvement-Akteuren hatten vor allem die Erörterung der Knackpunkte von Akzeptanz (bzw. Konflikt) bei dem jeweiligen Projekt zum Ziel sowie die Reflektion von Effekten unterschiedlicher Kommunikationsformen, die in dem Projekt zum Einsatz kamen. Der Leitfaden umfasste

6.5 Studie S3: Leitfadengespräche mit Projektträgern und High-Involvement-Akteuren

165

deshalb auch hier Fragen zu Ausmaß und Form von Akzeptanz bzw. Konflikt bei dem jeweiligen Projekt, ebenso wurde zur Nacherzählung der Projektgeschichte angeregt, wodurch zugleich Kosten- und Nutzenaspekte des Projekts aufgegriffen wurden. Fragen zur Wahrnehmung von Rolle und Effekten der Kommunikation und Beteiligung ergänzten den Leitfaden. Die finalen Gesprächsleitfäden96 sind im Anhang zu finden. 6.5.3 Auswahlverfahren und Zusammensetzung der Stichprobe von Studie S3 Ausgangspunkt der Studie war die gestaltende Rolle der Träger von Projekten und Vorhaben. Sie wird vielfach deutlich, z.B. durch die originäre Planungskompetenz sowie die taktgebende Funktion des Projektträgers für den grundlegenden Modus von Kommunikation, Beteiligung und Interaktion im Projekt (vgl. Appel 2013:347). Sein Handeln und die dominante Stellung (vgl. ebd.) ist damit Ausgangspunkt für das Handeln anderer Akteure und Dynamiken. Es kann entsprechend von einem hohen Involvement der Projektträger ausgegangen werden. Eine Analyse seiner Wahrnehmungen, Bewertungen und Verhaltensweisen ist daher von besonderer Bedeutung. Ergänzend zeigte sich in Studie S2, dass weitere Akteure (Verbandsvertreter, Medienvertreter, Bürger etc.) durch besonders aktive Rückmeldungen (per Mail, telefonisch etc.) in den Vordergrund traten, wodurch ein ebenfalls hohes Aktivitätslevel und Involvement vermutet werden konnte. Um diese Vielfalt an Informationen und Rückmeldungen in einen für die wissenschaftliche Auswertung geeigneten Modus zu überführen, wurden auch diese Akteure zu einem Leitfadengespräch eingeladen. Hierdurch wurde eine ergänzende Datenlage geschaffen, die vor allem der Kontextinterpretation diente. Die Auswahlmethode der Studienteilnehmer von Studie S3 entsprach damit den Kriterien des selektiven Samplings97, wobei diese Auswahl auf der Basis der in Studie S2 identifizierten Projektträger (und der weiteren Akteure) getroffen wurde. Die Auswahl nach vorab festgelegten Kriterien eignete sich mit Blick auf die Integration der drei Studien besonders, da sie eine stringente Verknüpfung von Daten unterschiedlich stark standardisierter Erhebungen (vgl. Przyborski & Wohlrab-Sahr 2014:182) möglich machte. Angefragt wurden sämtliche Projektträger sowie weitere Akteure mit hohem Involvement der in Studie S2 beinhalteten Projekte, außer diejenigen, die schon bei Studie S2 eine Teilnahme abgelehnt hatten. Existierte bei einem Projekt (noch) kein expliziter Projektträger (z.B. aufgrund eines noch frühen Pro96

97

Beide Leitfäden wurden vor der Datenerhebung entsprechenden Pretests unterzogen, methodisch wurde hierbei Orientierung an Prüfer & Rexroth (1996), vor allem den Verfahren des Probings und Paraphrasings, genommen. Für die zentralen Aspekte eines Pretests vgl. auch Scholl (2015); Jacob et al. (2013); Kurz et al. (1999); oder Schnell et al. (2013). Selektionskriterium: Projektträgerschaft bzw. besonders hohes, vermutetes Involvement.

166

6 Forschungsdesign zur Analyse von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

jektstadiums oder unklarer Sachlage), so wurden ersatzweise Akteure herangezogen, die vorrübergehend bzw. vorbereitend die Rolle des Projektträgers innehatten oder eine anderweitig zentrale, einem Projektträger ähnliche Rolle einnahmen (z.B. Geldgeber/Investoren). Von 54 angefragten Projektträgern nahmen schlussendlich 25 teil, von den weiteren High-Involvement-Akteuren nahmen neun von 22 angefragten Personen teil. Insgesamt wurden somit 34 Interviews geführt. Das Sample der Interviewpartner erstreckt sich über 31 Projekte, dabei wurden bei zwei Projekten sowohl Interviews mit dem Projektträger als auch mit einem High-InvolvementAkteur geführt, bei einem Projekt wurden zwei Interviews mit verschiedenen Vertretern des Projektträgers geführt, aufgrund einer Stellenteilung. Die weiteren neun High-Involvement-Akteure konnten folgenden Akteursgruppen zugeordnet werden: Naturschutzvertreter (N=2), Journalisten (N=2), Lokalpolitiker (N=1), Behördenvertreter (N=2), Vertreter von Bürgerinitiativen (N=2). Von diesen Akteuren definierten sich vier als Projektbefürworter und fünf als Projektkritiker der jeweiligen Projekte. Der Anteil männlicher Studienteilnehmer lag bei rund 82 Prozent (N=28) und entsprach damit dem der männlichen Studienteilnehmer aus Studie S2. Von den vertretenen Projekten stammten insgesamt zwölf aus dem Themenfeld „Energie und Klima“, jeweils acht aus den Bereich „Mobilität und Verkehr“ und „Leben und Arbeiten“ sowie drei aus dem Feld „Natur und Umwelt“. Projekte, die ausschließlich durch High-Involvement-Akteure (nicht durch den Projektträger) vertreten waren, entstammten den Bereichen „Energie und Klima“ (drei Projekte), „Mobilität und Verkehr“ (zwei Projekte) sowie „Leben und Arbeiten“ (ein Projekt). Von den 34 geführten Interviews bezogen sich 23 auf Projekte öffentlicher Träger (bzw. Träger mit Beteiligung der öffentlichen Hand) und elf Gespräche auf Projekte privater Träger. Die vertretenen Projekte deckten dabei alle vier Entwicklungsstadien ab (Entwurfsphase, Planungs- und Genehmigungsphase, Einrichtungs-oder Erstellungsphase und Anlaufphase/Phase der Inbetriebnahme). Auch hinsichtlich der gesetzlichen Rahmenbedingungen waren bei den Projekten verschiedene Verfahren vertreten, maßgeblich handelte es sich hierbei um Genehmigungsverfahren nach Bundesimmissionsschutzgesetz (BimSchG), Verfahren rund um Flächennutzungs- und Bebauungspläne, Planfeststellungsverfahren sowie Raumordnungsverfahren. Bezüglich der Akzeptanz der thematisierten Projekte charakterisierten 18 Gesprächspartner ihr jeweiliges Projekt als insgesamt stark konfliktbelastet und wenig akzeptiert, zehn nahmen kleine bzw. leise Konflikte und eine insgesamt mäßige Akzeptanz wahr, die verbleibenden sechs Gesprächspartner attestierten dem von ihnen bewerteten Projekt eine weitestgehend gute Akzeptanz. Die Gesprächspartner unterschieden bei ihrer Einschätzung nicht in Zustimmung und Aktivität, sondern schilderten nur ihre Eindrücke bezüglich der Gesamtakzeptanz und ggf. vorkommenden Konflikten.

6.6 Exkurs

167

Da die vorliegende Fallauswahl auf den Mechanismen und Ergebnissen der Fallauswahlen der Studien S1 und S2 beruhte und den vorliegenden Situationen und Sachlagen der einzelnen Projekte angepasst wurden, sind auch hier Aussagen, die über die untersuchten Fälle hinausgehen, kaum möglich. Deskriptive Analysen dieser Daten tragen jedoch ebenfalls zur weiteren explorativen Ergründung des Forschungsfeldes bei. 6.5.4 Vorgehensweise und Ablauf Die Projektträger sowie die High-Involvement-Akteure wurden per Mail zur Teilnahme an der Studie eingeladen. Für die Projektträger wurde dabei eine Beantwortung des Onlinefragebogens vorausgesetzt, um auf Erkenntnissen daraus aufbauen zu können. Der Ablauf der Interviews sowie die Gestaltung orientierte sich an Hermanns (2000), dabei wurden bestimmte Schlüsselworte (projektbezogene, zentrale Jahreszahlen, Genehmigungsverfahren, Orte etc.) genannt, um eine vertraute Situation zu erschaffen. Andererseits wurde auf eine passiv-rezeptive Haltung des Interviewers geachtet (vgl. Hopf 2000). Die digitalen Aufnahmen der Telefongespräche wurden im Anschluss daran durch ein dreiköpfiges Team verschriftlicht (wortwörtlich, in Anlehnung an Kallmeyer & Schütze (1976), das vorab in einer mehrstündigen Transkriptionsschulung geschult wurde. Bei der anschließenden Auswertung wurde zum einen die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse in Form einer inhaltlich-strukturierten Analyse (deduktive Analyseschritte) mit evaluativen Elementen sowie einer zusammenfassenden Analyse (induktive Analyseschritte) (vgl. Mayring 2010) eingesetzt. 6.6 Exkurs: Teilnahmeverhalten, Feedback von Akteuren und Maßnahmen zur Erhöhung der Teilnahmebereitschaft 6.6 Exkurs Während der Datenerhebungen der Studien S2 und S3 traten verschiedene Herausforderungen auf, die sich vor allem auf die Teilnahmebereitschaft der Projektakteure bzw. die Thematik der Nicht-Kooperation bezog (vgl. hierzu z.B. Lucke 1995:277ff.; Scholl 2015:228ff.). Die Rückmeldungen setzten sich sowohl aus positiven aber auch aus kritischen und negativen Antworten zusammen. Neben Zusendung zusätzlicher Informationen zu verschiedenen Projekten (z.B. Positionierungsschreiben, Fachgutachten etc.) standen vor allem Rückmeldungen zu einzelnen Themen bzw. zu den Studien insgesamt sowie zur individuellen Teilnahmebereitschaft im Vordergrund. Die einzelnen Rückmeldungen lassen sich zusammengefasst folgendermaßen beschreiben:

168

6 Forschungsdesign zur Analyse von Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

Inhaltliche und prozessuale Rückfragen  Fragen zu einzelnen Inhalten  Zweck und Ablauf der Studien  Finanzierung der Studien  Art und Bezeichnung der in die Studien aufgenommenen Großprojekte Individuelle, personenbezogene Rückmeldungen  Absage aus zeitlichen Gründen (Ausschließlich von Vertretern aus Politik und Verwaltung vorgebracht)  Hinweis auf Überfrachtung mit Anfragen dieser Art (z.B. „Ich habe meine Meinung bereits so oft kundgetan“) Forschungsinstitutions- und verwertungsbezogene Rückmeldungen  Misstrauen gegenüber dem Forscherteam bzw. der Wissenschaft in diesem Themenfeld allgemein  Befürchtungen und Vorwürfe von mangelnder Neutralität des Forscherteams (sowohl durch Projektträger als auch durch Bürgerinitiativen und Naturschutzverbände)  Befürchtung und Resignation, dass Studienergebnisse der unbalancierten Stärkung von Wirtschaftsunternehmen und Politik für deren Vorgehen gegen Bürgerinitiativen bzw. Verbände dienen könnten Rückmeldungen bzgl. Gründe des Teilnahmeabbruchs  Aufgrund Kritik an den gestellten Fragen (z.B. Fragebogen thematisiert das Falsche, taugt nichts, erfasst Problemstellung nicht)  Aufgrund unzureichenden Wissens über das jeweilige Projekt und/oder dessen Entwicklung der letzten Zeit  Aufgrund der Dauer, die die Beantwortung der Fragen in Anspruch nahm Projektbezogene Rückmeldungen  Absage aufgrund eines laufenden Verfahrens, an dem die Akteure beteiligt waren (z.B. Gerichtsangehöriger bzw. Projektträger bei Gerichtsverfahren, Genehmigungsbehörde bei laufendem Genehmigungsverfahren, Gerichtsgutachter)  Hinweis, dass das Projekt bereit beendet wäre und Teilnahme an Studie deswegen nutzlos sei (von anderer Seite kam jedoch die Information, dass Projekt nur auf Eis gelegt wurde wegen Protest)  Forderungen, die Untersuchung bestimmter Projekte einzustellen, teilweise ergänzt mit verbalen Ausfällen (durch Projektträger und Bürgerinitiativen).

6.6 Exkurs

169

Ergänzend zu diesen explizit formulierten Rückmeldungen muss die komplexe Ausgangslage der Großprojektforschung (vgl. hierzu die einleitenden Worte in Kapitel 6) zur Einordnung der Ergebnisdaten herangezogen werden. Bei heiklen oder unangenehmen Frageinhalten, wozu Fragen rund um Großprojekte zumeist zählen, kann insgesamt von einer höheren Zahl an Non-Responses sowie einer niedrigeren Zuverlässigkeit der Daten (hinsichtlich des Wahrheitsgehalts) ausgegangen werden (vgl. Schnell et al. 2013:331). Die Non-Response-Gründe und Rückmeldungen der Akteure weisen auf eine hohe Sensibilität hin, mit der das Thema und seine Beteiligten zu behandeln sind. Das Vorkommen heikler Fragen, die eine mögliche Antwortverweigerung nach sich ziehen, ist jedoch kaum zu verhindern. Zugleich muss beachtet werden, dass die originäre Aufgabe und Motivation der Projektakteure in der expliziten Kommunikation ihrer Sichtweise liegt. Dies wiederum spricht gegen eine Teilnahmeverweigerung aus Sensibilitätsgründen. Ergänzend zu den bereits vorab vorgenommenen Maßnahmen (z.B. Versendung von Ankündigungsmails) wurden deshalb weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Teilnahmebereitschaft durchgeführt:  

  

Beim Onlinefragebogen wurde die Feldzeit verlängert, um so vielen Akteuren die Möglichkeit zur Teilnahme zu geben. Rückmeldungen wurden umfassend schriftlich oder telefonisch beantwortet, vor allem unter Erläuterungen von Aufbau und Relevanz der Studien, zu Teilnehmerfeld bzw. Heterogenität der Stichprobe sowie zur Neutralitätsverpflichtung und dem Datenschutz. Zudem wurde auf die Relevanz aller Meinungen und Perspektiven hingewiesen. Rückfragen direkt zum Fragebogen wurden ebenfalls telefonisch und per Mail beantwortet. Die Anzahl der Pflichtfragen im Fragenbogen bei Studie S2 wurde so gering wie möglich gehalten, um die Abbruchsquote zu minimieren. Der Zeitraum für die Leitfadengespräche bei Studie S3 wurde ebenfalls ausgedehnt und es wurde auf eine teilnehmerorientierte Terminfindung geachtet.

7 Empirische Erkenntnisse zu Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

Nachfolgende Ausführungen umfassen die Erläuterung, Interpretation und Einordnung der Ergebnisse der empirischen Studien S1, S2 und S3. Eine integrierte Darstellung mit inhaltlich getriebener statt studienorientierter Struktur ermöglicht die Herstellung thematischer Bezüge zwischen den Themengebieten und die Anwendung der Vorteile einer triangulativen Vorgehensweise mit dem Ziel der Komplementarität von Erkenntnissen (vgl. Lamnek 1995:252). Durch die Begleitung von Hinweisen bzgl. der Ergebnisherkunft bzw. der zugehörigen Studie, sollen Irritationen vermieden und zugleich eine Einordnung in den Gesamtzusammenhang ermöglicht werden. Die thematisch geprägte Struktur lässt jedoch trotzdem Bezüge zwischen verschiedenen Themenbereichen zu, die aufgrund der zahlreichen Verflechtungen zwischen den Themen entstehen. Aufgrund der komplexen Ausgangssituation und die hierdurch determinierte Studiengestaltung, die keine klassischstatistische Repräsentativität und damit direkte Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit ermöglicht (vgl. hierzu Kapitel 6), wurde auf die Durchführung von Signifikanztests verzichtet und stattdessen mit deskriptiven Ansätzen gearbeitet. 7.1 Großprojekte in Deutschland – ein Überblick Wie kann man sich eine deutsche Großprojektlandschaft vorstellen? Welche Projekte sind von öffentlicher Bedeutung, wer engagiert sich hier und mit welcher Akzeptanz gehen die Projekte einher? Die zur Charakterisierung des Forschungsfelds durchgeführt Studie S1 zeigt eine Landschaft aus final 60 gesichteten Großprojekten auf, die sich über vier Themenbereiche „Mobilität und Verkehr“, „Energie und Klima“, „Leben und Arbeiten“ sowie „Natur und Umwelt“ (mit Land- und Forstwirtschaft) erstreckt98. Die auf Basis online verfügbarer Kommunikationsbeiträge selektierten Großprojekte stellen eine Auswahl der sich in Deutschland befindlichen Großprojekte in der Entwurfs-, Planungs-/Genehmigungs-, Einrich98

Sämtliche Ergebnisse beziehen sich auf den Zeitraum der Datenerhebung und damit auf den Stand der Projekte zu dieser Zeit. Spätere Änderungen (z.B. Änderung des Akzeptanzlevels) sind in diesen Ergebnissen nicht enthalten.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 I. M. Schmalz, Akzeptanz von Großprojekten, Politik gestalten – Kommunikation, Deliberation und Partizipation bei politisch relevanten Projekten, https://doi.org/10.1007/978-3-658-23639-7_7

172

7 Empirische Erkenntnisse zu Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

tungsphase oder Anlaufphase/Phase der Inbetriebnahme dar. Viele zu Beginn der Datenerhebung identifizierten Projekte schieden im weiteren Analyseverlauf aus, da sie bereits in den Normalbetrieb übergegangen waren. Da nur Großprojekte innerhalb der definierten Leistungsphasen, endend mit der Anlaufphase/Phase der Inbetriebnahme (vgl. Kapitel 2.2), erfasst werden sollten, konnten diese Projekte nicht weiter berücksichtigt werden. Die Vorgehensweise bei der Fallauswahl für diese Studie erfolgte nach einem regelgeleiteten, qualitativen Auswahlverfahren definierter Elemente. Aufgrund der bislang jedoch geringen Kenntnisse über die deutsche Großprojektlandschaft insgesamt kann nur eine theoretische, keinesfalls empirische Aussage über die Grundgesamtheit getätigt werden, wodurch zugleich keine Aussage darüber getätigt werden kann, ob die gezogene Stichprobe der Projekte das verkleinerte Abbild ihrer Grundgesamtheit darstellt99. Trotz der sorgfältigen Vorgehensweise sind die final ausgewählten Projekte damit nicht repräsentativ im eigentlichen Sinne. Nichtsdestotrotz wurde die Identifikation und Auswahl mit dem Ziel durchgeführt, eine Deskription von Großprojekten zu ermöglichen, die zum Erhebungszeitpunkt von zentraler öffentlicher Bedeutung waren. Mit Blick auf die entsprechend formulierten Kriterien kann dem Sample daher trotzdem die Zielerreichung zugesprochen werden, einen wichtigen Beitrag zur Ergründung der deutschen Großprojektlandschaft zu leisten. 7.1.1 Erkenntnisse auf Projektebene 7.1.1.1 Themenfelder, Projektträgerstrukturen und Akzeptanzlevel Die 60 in Studie 1 selektierten Großprojekte100 verteilen sich zu ungleichen Teilen über die vier Themenbereiche. 16 Projekte entfallen auf den Bereich „Mobilität und Verkehr“ (P1-16), ebenso wie auf den Bereich „Energie und Klima“ (P17-32). Mit 20 Projekten (rund 33 Prozent) umfasst das Themenfeld „Leben und Arbeiten“ die meisten Projekte (P33-52). Die geringste Projektanzahl (acht Projekte) entfällt auf den Bereich „Natur und Umwelt“ (mit Land- und Forstwirtschaft). 99

Für das Ziel einer repräsentativen Stichprobenziehung formuliert Friedrichs (1982) vier zur erfüllende Kriterien: „1. Die Stichprobe muss ein verkleinertes Abbild der Grundgesamtheit hinsichtlich der Heterogenität der Elemente und hinsichtlich der Repräsentativität der für die Hypothesenprüfung relevanten Variablen sein. 2. Die Einheiten oder Elemente der Stichprobe müssen definiert sein. 3. Die Grundgesamtheit sollte angebbar oder empirisch definiert sein. 4. Das Auswahlverfahren muss angebbar sein und Forderung (1) erfüllen“. 100 Die Projekte werden nachfolgend unter anderem abgekürzt bezeichnet. Die abgekürzte Bezeichnung der Projekte besteht aus dem Buchstaben P für „Projekt“ sowie der eindeutigen Nummer des Projektes, entsprechend der sich nachfolgend und im Anhang befindlichen Auflistung.

173

7.1 Großprojekte in Deutschland – ein Überblick

Abbildung 17: Verteilung der selektierten Großprojekte auf die Themenfelder

Hohe Akzeptanz Geringe Akzeptanz Gesamt

Mobilität & Verkehr 7

Energie & Klima 4

Leben & Arbeiten 10

Natur & Umwelt 5

Gesamt

9

12

10

3

34

16

16

20

8

60

26

Rund 43 Prozent (N=26) der Projekte können zum Erhebungszeitpunkt in ihrer vorliegenden Form als öffentlich weitestgehend akzeptiert eingestuft werden können, 34 Projekte und damit knapp 57 Prozent werden entsprechend der Kriterien als wenig akzeptiert charakterisiert. In allen Themenbereichen bis auf den Bereich „Natur und Umwelt“ kann die Mehrheit oder mindestens die Hälfte der Projekte zum Erhebungszeitpunkt als nicht akzeptiert eingestuft werden. Den größten Anteil an den 34 nicht akzeptierten Projekte machen Projekte aus den Bereichen „Energie und Klima“ (N=12) sowie „Leben und Arbeiten“ (N=10) aus. Der Grund für die höhere Zahl akzeptanzloser Projekte kann in einer tatsächlich höheren Zahl akzeptanzloser Projekte liegen, bezogen auf die (bislang nicht exakt bestimmbare) Grundgesamtheit der Großprojekte in Deutschland. Da negative Ereignisse, hierzu zählen auch Nicht-Akzeptanz und Konflikt von Großprojekten, allgemein jedoch eine hohe Aufmerksamkeit geschenkt wird (vgl. Schwarz, Andreas 2010:15), negative Ereignisse höher gewichtet werden als positive (vgl. z.B. Baumeister et al. 2001) und im Rahmen von Nachrichtenfaktoren eher Eingang in die mediale Berichterstattung finden (vgl. z.B. Scheufele & Haas 2008:89f.), ist es hingegen auch möglich, dass konfliktbeladene Projekte eher als Auslöser von Kommunikationsbeiträgen fungieren als Projekte, die mit Akzeptanz einhergehen. Durch diese erhöhte Chance, eher konfliktbeladene Projekte über onlineverfügbare Beiträge zu identifizieren, besteht die Möglichkeit, dass dadurch die finale Selektion der Projekte entsprechend beeinflusst wurde, also nicht akzeptierte Projekte schlichtweg online mehr Aufmerksamkeit erhielten und eher identifiziert werden konnten, auch wenn sie ggf. zahlenmäßig in der Grundgesamt keinen größeren Anteil einnehmen. Der Bereich „Natur und Umwelt“ ist insgesamt am schwächsten vertreten (acht Projekte) und die Mehrzahl der hier registrierten Projekte gilt als akzeptiert. Dieses Ergebnis kann mehrere Ursachen haben. Einerseits ist es auch hier möglich, dass insgesamt weniger Projekte auf Forst- und Landwirtschaft sowie den Schutz von Umwelt und Natur entfallen. Andererseits kann ebenfalls die Wahl der Untersuchungskriterien ausschlaggebend hierfür sein: Projekte des Bereichs „Natur und Umwelt“ sind aufgrund ihrer inhärenten Eigenschaften vermutlich

174

7 Empirische Erkenntnisse zu Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

eher in ländlichen Räumen zu finden101. Da Anzahl und Art der online verfügbaren Kommunikationsbeiträge entscheidend die Selektion beeinflusst haben, ist es möglich, dass Projekte, die insgesamt eine zahlenmäßig kleinere Öffentlichkeit erreicht haben (z.B. aufgrund geringerer Bevölkerungsdichte in ländlichen Räumen, vgl. Gerber 2011:62ff.), prinzipiell über weniger Kommunikationsbeiträge verfügen als Projekte in urbanen Räumen. Außerdem war während der Datenerhebungsphase zu beobachten, dass Projektträger land- und forstwirtschaftlicher Projekte bei Protest und Konflikt die Projekte an den vorgesehenen Orten eher komplett zurückziehen (Nullvariante), anstatt über längere Zeit hinweg mit Projektakteuren nach alternativen Lösungen zu suchen. Aus diesem Grund ist zu vermuten, dass nicht akzeptierte Projekte sich nur kurze Zeit auf der Agenda der öffentlichen Kommunikation befinden und Umfang und Ausmaß der Onlinekommunikation insgesamt geringer ausfallen. Die hohe Zahl der Großprojekte aus dem Themenfeld „Leben und Arbeiten“ (N=20) kann möglicherweise ebenfalls auf die Menge der betroffenen Personen und die in diesem Fall höhere Bevölkerungsdichte in urbanen Räumen (vgl. ebd.) zurückzuführen sein: Viele der diesem Themenbereich zuzuordnenden Projekte sind städtebaulicher Art und gehen dadurch mit einer großen Zahl an Betroffenen einher, wodurch die Anzahl derjenigen, die Kommunikationsbeiträge online veröffentlichen, vermutlich ebenfalls hoch ausfällt. Hierdurch konnten diese Projekte ggf. mit größerer Wahrscheinlichkeit in die Stichprobe eingehen. Im Themenbereich „Energie und Klima“ ist die größte Diskrepanz zwischen der Zahl der akzeptierten (N=4) und nicht akzeptierten (N=12) Projekte zu finden, einhergehend mit dem größten Anteil abgelehnter Projekte – 35 Prozent der abgelehnten Projekte entfallen auf den Bereich „Energie und Klima“. Dies lässt eine besondere Brisanz des Themenfeldes vermuten. Die Projekte des Themenbereiches „Mobilität und Verkehr“ teilen sich annähernd gleichmäßig in sieben akzeptierte und neun abgelehnte Projekte auf. Projektträgerstrukturen Werden die Projekte hinsichtlich ihrer Projektträgerstrukturen unterteilt, so zeigt sich eine veränderte Aufteilung. Rund 72 Prozent (N=43) aller Projekte laufen unter Beteiligung der öffentlichen Hand in direktem oder indirektem Sinne ab102. Hierbei sind Projekte, deren Projektträgerschaft eine Beteiligung der öffentlichen Hand umfasst, fast zu gleichen Teilen hoch akzeptiert (N=21) wie gering akzep101 Bis auf Projekt 54 (Bundesgartenschau 2019), das sich in urbanem Umfeld befindet. 102 Projekte erhielten dann die Bezeichnung „Projekt mit öffentlichem Projektträger“, wenn mindestens einer der Träger die öffentliche Hand selbst war oder ein Unternehmen, an dem die öffentliche Hand entsprechende Anteile hält (z.B. Deutsche Bahn AG).

175

7.1 Großprojekte in Deutschland – ein Überblick

tiert (N=22). Bei Projekten ohne Beteiligung der öffentlichen Hand findet mit rund 30 Prozent (N=5) ein deutlich geringerer Anteil Akzeptanz. Es muss hierbei beachtet werden, dass im vorliegenden Fall nur Projekte, an denen die öffentliche Hand überhaupt nicht, also weder direkt oder indirekt über Tochterunternehmen, an einem Projekt beteiligt ist als „Projekt ohne Beteiligung der öffentlichen Hand“ bezeichnet werden. Hält die öffentliche Hand also Anteile an einem Unternehmen, das als Projektträger fungiert (alleine oder zusammen mit anderen Projektträgern), so wird dies als Beteiligung der öffentlichen Hand verstanden. Bei Rückschlüssen mit Blick auf diese Verteilung sollte daher die angewendete Definitionsweise auf jeden Fall beachtet werden103. Abbildung 18: Verteilung der selektierten Großprojekte hinsichtlich Projektträgerstrukturen

Hohe Akzeptanz Geringe Akzeptanz Gesamt

Projekte mit Beteiligung der öffentlichen Hand 21 22

Projekte ohne Beteiligung der öffentlichen Hand 5 12

Gesamt

43

17

60

26 34

7.1.1.2 Projektarten Themenbereich „Mobilität und Verkehr“ Die spezifische Verteilung der Projekte auf die vier Themenbereiche lädt zur näheren Betrachtung der einzelnen Projekte bzw. Projektarten in den Merkmalsräumen ein104. Der Themenbereich „Mobilität und Verkehr“ umfasst vor allem Projekte für den (Aus)Bau von Straßen- und Bahninfrastruktur (N=13), zwei Projekte (P13, 14) entfallen auf flugverkehrsbezogene Maßnahmen, ein Projekt auf die Automobilentwicklung (P6). Die aufgeführten Projekte setzen sich zu gleichen Teilen (je sieben Projekte) aus Projekten des öffentlichen Verkehrs (P2, 5, 7, 11, 13, 14, 15) 103 Eine andere Möglichkeit wäre die Einteilung von Projekten danach, welchen Einfluss die öffentliche Hand direkt auf ein Projekt nehmen kann und wie genau sie von möglichen Folgen betroffen ist. Diese Einteilung erfordert jedoch noch umfassendere Kenntnisse über die Besitz- und Einflussverhältnisse bei den einzelnen Projektträgern und konnte im vorliegenden Rahmen aus zeitund sachlogischen Gründen nicht vorgenommen werden. 104 Die Ergebnisse entstammen Studie S1. Vollständige Beschreibungen aller Projekte können dem Anhang entnommen werden.

176

7 Empirische Erkenntnisse zu Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

und des Individualverkehrs105 (P1, 3, 6, 8-10, 16) zusammen106. Zwei Projekte umfassen beiderlei Verkehrsarten (P4, 12). Diese paritätische Aufteilung zwischen Individualverkehr und öffentlichem Verkehr ist sowohl bei den Projekten mit Akzeptanz wie auch bei den Projekten ohne Akzeptanz vorzufinden. Abbildung 19: Projekte des Themenbereichs „Mobilität und Verkehr“, unterteilt nach Akzeptanzlevel (im Zeitraum Sommer 2014 bis Sommer 2015) Mobilität und Verkehr Hohe Akzeptanz

Geringe Akzeptanz

1.

Bundesautobahn A 81 (Böblingen)

2.

Bahnhof Hamburg Altona

3.

Jagdbergtunnel Jena

4.

Kombilösung Karlsruhe

5.

Nord-Süd-Stadtbahn Köln

6.

Prüf- und Technologiezentrum Immendingen

7.

Zweite Stammstrecke München

8.

Bundesautobahn A 98 „Hochrheinautobahn“ (Rheinfelden)

9.

Bundesstraße B 50 „Hochmoselbrücke“

10. Bundesautobahn A 39 (Lüneburg-Wolfsburg) 11. Dritte Startbahn Flughafen München 12. Fehmarnbeltquerung 13. Flughafen Berlin Brandenburg BER 14. Flughafen Frankfurt Terminal 3 15. S-Bahn Nürnberg-Fürth 16. Zweite Rheinbrücke (Karlsruhe-Wörth)

105 Das Prüf- und Technologiezentrum Immendingen wird hier dem Individualverkehr zugerechnet, da Ziel des Projektes die Erprobung und Entwicklung von Autos, also Verkehrsmitteln des Individualverkehrs, ist. 106 Die Einteilung in öffentlichen Verkehr und Individualverkehr orientierte sich an Gather et al. (2008:27).

177

7.1 Großprojekte in Deutschland – ein Überblick

Themenbereich „Energie und Klima“ Die 16 Projekte des Bereichs „Energie und Klima“ umfassen verschiedene Formen der Energiegewinnung bzw. der Gewinnung von Rohstoffen zur Energieherstellung, der Energiespeicherung und des Energietransports. Projekte der Energiegewinnung/Gewinnung von Rohstoffen (N=12) nehmen mit 75 Prozent den größten Anteil ein. Im Detail umfasst der größte Teil der Projekte die Einrichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen (ca. 44 Prozent, P17-19, 29-32), gefolgt vom Abbau/Gewinnung fossiler Brennstoffe (ca. 19 Prozent, P21,22,28) und abschließend zu gleichen Teilen (je zwei Projekte) der Energiegewinnung aus Kohle (P23, 25), der Energiespeicherung (P20, 24) und des Energietransports (P26, 27). Abbildung 20: Projekte des Themenbereichs „Energie und Klima“, unterteilt nach Akzeptanzlevel (im Zeitraum Sommer 2014 bis Sommer 2015) Energie und Klima Hohe Akzeptanz

Geringe Akzeptanz

1.

Bioenergiepark Saerbeck

2.

Bürgerwindpark Südliche Ortenau

3.

Offshore Windpark Nordsee Ost

4.

Pumpspeicherkraftwerk Forbach

5.

Braunkohletagebau Garzweiler

6. 7.

Fracking Bohrstelle „Bötersen Z11“ (Rotenburg/Wümme) Steinkohlekraftwerk Datteln IV

8.

Pumpspeicherkraftwerk Atdorf

9.

Steinkohlekraftwerk RDK8 Karlsruhe

10. Gleichstrompassage Süd-Ost (Neuburg-Schrobenhausen) 11. Süd-West-Kuppelleitung (Schalkau) 12. Braunkohletagebau Hambach 13. Windpark Mönchberg 14. Windpark Thalheim/Meßkirch 15. Windpark Denklingen/Fuchstal 16. Windpark Tautenhain

178

7 Empirische Erkenntnisse zu Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

Projekte, die schwerpunktmäßig im Zusammenhang mit der Energiewende entstehen, also dem Übergang zur Nutzung nachhaltiger und regenerativer Energien dienen (P17-20, 24, 26, 27, 29-32), sind sowohl im Bereich der akzeptierten als auch der nicht akzeptierten Projekte zu finden. Die zahlreichen gering akzeptierten Projekte (75 Prozent der Projekte des Themenbereichs) unterscheiden sich von den akzeptierten Projekten vor allem durch jene Projekte, die im Zusammenhang mit der Gewinnung und Verarbeitung fossiler Energieträger stehen (P21-23, 25, 28). Keines dieser Projekte mit Bezug auf fossile Energieträger erfährt in der vorliegenden Stichprobe Akzeptanz, ebenso wie die Projekte im Zusammenhang mit Energietransport (P26, 27). Themenbereich „Leben und Arbeiten“ Auf den Themenbereich „Leben und Arbeiten“ entfällt mit 20 Objekten ein Drittel der in der Stichprobe enthaltenen Großprojekte. Abbildung 21: Projekte des Themenbereichs „Leben und Arbeiten“, unterteilt nach Akzeptanzlevel (im Zeitraum Sommer 2014 bis Sommer 2015) Leben und Arbeiten Hohe Akzeptanz

1.

Messe Essen

2.

BND-Zentrale Berlin

3.

Bundestag Besucher- und Informationszentrum

4.

Dorotheenquartier Stuttgart

5.

Jüdisches Museum Köln

6.

Kölner Moschee

7.

Quartier Schwabinger Tor München

8.

Staatsoper Berlin

9.

Stadtschloss Berlin

10. Tempelhofer Feld Berlin Geringe Akzeptanz

11. Porschezentrum Weissach 12. CO-Pipeline (Krefeld/Dormagen) 13. Elbphilharmonie Hamburg 14. Esso Häuser Hamburg/Wohnen am Spielbudenplatz

7.1 Großprojekte in Deutschland – ein Überblick

179

15. Freizeitpark Nürburgring 16. Fußballstadion Freiburg 17. Goldscheidefabrik Hafner/C. Hafner Edelmetall Technologie (Wimsheim) 18. JVA Rottweil 19. Quartier Sedelhöfe Ulm 20. Schrebergartenkolonie „Oeynhausen“

Alle Projekte befinden sich in bzw. zumindest am Rand urbaner Räume und lassen sich zu vier Themenblöcken zusammenfassen: Acht Projekte (40 Prozent, P35, 37, 38, 40, 41, 45, 47, 48) zählen zum Block Kultur, Bildung, Freizeitgestaltung und Religion, sechs Projekte (30 Prozent, 36, 39, 42, 46, 51, 52) sind den Themen urbanes Wohnen, Gastronomie und Handel zuzuordnen, vier Projekte (20 Prozent, P33, 43, 44, 49) vorwiegend wirtschaftlich-industriellen Themen und zwei Projekte (10 Prozent) der Erfüllung staatlicher Aufgaben (P 34, 50). Alle vier Themenblöcke sind sowohl bei den akzeptierten als auch bei den nicht akzeptierten Projekten zu finden. Unter den akzeptierten Projekten sind jedoch etwas mehr Kulturprojekte (N=5), bei den nicht akzeptierten etwas mehr Industrieprojekte (N=3) enthalten. Themenbereich „Natur und Umwelt“ Auf diesen Themenbereich entfällt mit rund 13 Prozent (N=8) der geringste Anteil der Projekte dieser Stichprobe. Zugeordnet wurden hier Projekte des Natur- und Umweltschutzes, aber auch der Forst- und Landwirtschaft. Naturschutzgroßgebiete machen rund die Hälfte dieser Projekte aus (P53, 55, 56, 59), gefolgt von drei landwirtschaftlichen Projekten (P57, 58, 60) sowie einem gartenbaulichen Projekt (P54). Landwirtschaftliche und naturschutzbezogene Projekte verteilen sich sowohl über akzeptierte als auch über nicht akzeptierte Projekte. Die Naturschutzprojekte sind jedoch mit drei Projekten bei den akzeptierten Projekten etwas stärker vertreten, die landwirtschaftlichen Projekte mit zwei Projekten bei den nicht akzeptierten Projekten.

180

7 Empirische Erkenntnisse zu Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

Abbildung 22: Projekte des Themenbereichs „Natur und Umwelt“, unterteilt nach Akzeptanzlevel (im Zeitraum Sommer 2014 bis Sommer 2015) Natur und Umwelt Hohe Akzeptanz

Geringe Akzeptanz

1.

Naturschutzgroßprojekte „Bergwiesen im Osterzgebirge“

2.

Bundesgartenschau 2019 Heilbronn

3. 4.

Naturschutzgebiet „Grünes Band Eichsfeld-Werratal“ Naturschutzgroßprojekt „Vogelsberg“

5.

Schweinemastanlage Pasewalk

6.

Hähnchenmastanlage Gumtow

7.

Nationalpark Schwarzwald

8.

Schweinemastanlage Handorf

7.1.1.3 Räumliche Lage und Verteilung Ergänzend zur themenbezogenen Betrachtung der in der Stichprobe von Studie S1 befindlichen Großprojekte gibt eine räumliche Betrachtung der Projekte Einblick in geografische Verteilung der Projekte. Mehr als dreiviertel aller Projekte (zudem ein Projekt (P55) bundeslandübergreifend) sind in den alten Bundesländern zu verorten. Darin enthalten sind 90 Prozent (N=14) der Energie- und Klimaprojekte und der Mobilitäts- und Verkehrsprojekte sowie 70 Prozent (N=14) der Projekte des Themenbereiches „Leben und Arbeiten“. Hingegen wird die Hälfte (N=4) der Projekte aus dem Bereich „Natur und Umwelt“ in den neuen Bundesländern umgesetzt. Die Betrachtung der Projektverteilung auf urbane und ländliche Räume zeigt Projekte des Bereiches „Leben und Arbeiten“ (Symbol Stern) vor allem in der Nähe von bzw. in urbanen Räumen, naturschutzbezogene und landwirtschaftliche Projekte (Symbol Dreieck) sind eher in ländlichen Räumen zu finden. Mobilitäts- und Verkehrsprojekte (Symbol Quadrat) befinden sich sowohl in direkter Nähe von bzw. in urbanen Räumen, zugleich aber auch zwischen diesen. Mit Blick auf die einzelnen Projektarten dieses Themenbereichs kann vermutet werden, dass sich die Verteilung auf die Zielsetzung einer besseren infrastrukturellen Verbindung urbaner Räume oder die Anbindung ländlicher Räume bezieht. Süddeutschland (Baden-Württemberg, Bayern) zeigt sich in der Studie besonders projektstark, 25 Projekte (ca. 42 Prozent) sind dort insgesamt angesiedelt. Daneben sind zahlreiche Projekte im Rheinland, in Berlin sowie in Hamburg und in Niedersachsen zu finden.

7.1 Großprojekte in Deutschland – ein Überblick

181

Abbildung 23: Lage der Großprojekte (jede Zahl steht für ein Projekt107, Abbildung mit Material von d-maps.com108, eigene Ergänzung der Bundeslandbezeichnungen) (im Zeitraum Sommer 2014 bis Sommer 2015)

107 Die Ziffern entsprechen den im Anhang zugeordneten Projektziffern. 108 http://d-maps.com/m/europa/germany/allemagne/allemagne70.gif.

182

7 Empirische Erkenntnisse zu Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

Abbildung 24: Lage der Großprojekte, unterteilt nach Themenbereichen (Abbildung mit Material von d-maps.com109, eigene Ergänzung der Bundeslandbezeichnungen) (im Zeitraum Sommer 2014 bis Sommer 2015)

109 http://d-maps.com/m/europa/germany/allemagne/allemagne70.gif.

7.1 Großprojekte in Deutschland – ein Überblick

183

Abbildung 25: Lage der Großprojekte, unterteilt nach Akzeptanzlevel (Abbildung mit Material von d-maps.com 110, eigene Ergänzung der Bundeslandbezeichnungen) (im Zeitraum Sommer 2014 bis Sommer 2015)

110 http://d-maps.com/m/europa/germany/allemagne/allemagne70.gif.

184

7 Empirische Erkenntnisse zu Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

Die Aufteilung nach akzeptierten und nicht akzeptierten Projekten zeigt knapp die Hälfte der nicht akzeptierten Projekte (47 Prozent, N=16) in Baden-Württemberg und Bayern. Im nördlichen und mittleren Teils Deutschlands sind hingegen akzeptierte wie nicht akzeptierte Projekte gleichermaßen zu finden. Berlin sticht mit fünf akzeptierten von insgesamt sieben Projekten besonders hervor. 7.1.1.4 Meilensteine bei Großprojekten Die Pläne für das Projekt wurden bekanntgegeben, der Gemeinderat entscheidet, der Bagger kommt – Entwicklungen eines Großprojekts und seiner Akzeptanz stehen nicht im luftleeren Raum, sondern manifestieren sich anhand konkreter Ereignisse. Nicht nur projektbezogenen Meilensteinen, sondern auch gesellschaftlichen Ereignissen oder Vorkommnissen wie Wahlen, Großveranstaltungen oder Umweltkatastrophen wird eine Bedeutung für die Akzeptanz und Entwicklung von Großprojekten zugesprochen (vgl. z.B. Brettschneider 2011; Boger et al. 2012). Welche Meilensteine sind aus Sicht von Akteuren im Prozess eines konkreten Projektes von Bedeutung, welchen Ereignissen und Entwicklungen wird eine zentrale Rolle zugeschrieben? Gefragt waren dabei Ereignisse, die aus Sicht der Akteure aus Studie S2 das Projekt entscheidend beeinflussten oder in deren Zusammenhang sich die Zustimmung zum bzw. Ablehnung des Projekts entscheidend änderte. Folgende Meilensteine bzw. Meilensteingruppen wurden bei der Entwicklung eines Großprojektes von den Akteuren als relevant erachtet: Abbildung 26: Zentrale Ereignisse der Großprojektentwicklung (Entwurfs- bis Anlaufphase, N=1093) Meilensteine

Anzahl der Nennungen (N)

Ereignisse mit spezifischem Bezug zu Kommunikation und Medienberichterstattung Gruppe „Information“

208

Gruppe „Ereignisse der Medienberichterstattung“

187

Gruppe „Konsultation“

84

Gruppe „Mitbestimmung“

55

Gruppe „Öffentliche Diskussionen über inhaltliche Themen“

47

185

7.1 Großprojekte in Deutschland – ein Überblick

Ereignisse mit Bezug zu einzelnen Projektphasen und der Projektverwirklichung Gruppe „Ereignisse der Entwurfsphase“

134

Gruppe „Ereignisse der Planungs- und Genehmigungsphase“

107

Gruppe „Organisations-, prozess- und vorgehensbezogene Ereignisse“

42

Gruppe „Ereignisse der Erstellungsphase“

16

Gruppe „Ereignisse bezüglich Fachgutachten/Studien“

9

Ereignisse mit Bezug zu juristischen, administrativen oder politischen Aspekten Gruppe „Behördenbezogene/politische Ereignisse“

143

Gruppe „Juristische/gerichtliche Ereignisse“

53

Ereignisse mit wirtschaftlichen oder individuellen Bezügen Gruppe „Ereignisse mit wirtschaftlichem Hintergrund“

4

Gruppe „Psychische/Individuelle Aspekte“

4

Gesamt

1093

Ereignisse mit spezifischem Bezug zu Kommunikation und Medienberichterstattung Mit 581 von 1093 Nennungen haben rund 53 Prozent der genannten Ereignisse Bezug zu einer Form von Kommunikation. Mit den meisten Nennungen führen Ereignisse, die im Bezug mit Information stehen, die Liste an. Hierzu zählen beispielsweise Veranstaltungsformate wie Informationsveranstaltungen für Bürger aber auch Demonstrationen von Gegnern sowie das zur Verfügung stellen von Informationen (z.B. online auf einer Projektwebsite) oder öffentliche Stellungnahmen und Informationskampagnen einzelner Akteursgruppen (z.B. des Projektträgers oder von Bürgerinitiativen). Die Bekanntgabe von bestimmten Informationen sowie Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem Projekt werden von den Projektakteuren damit am häufigsten genannt, wenn es um die Frage geht, welche Meilensteine und Ereignisse die Entwicklung und Akzeptanz eines Projektes beeinflusst haben. Eine wichtige Rolle spielen dabei auch die Massenmedien durch ihre Berichterstattung über das Projekt, seine Prozesse und Akteure, aber auch konkrete inhaltliche Aspekte, vor allem dann, wenn durch Medien Aspekte aufgedeckt

186

7 Empirische Erkenntnisse zu Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

oder thematisiert werden, die bislang noch keine Rolle gespielt haben oder unbekannt waren. Als Beispiel kann hier die Aufdeckung von Projektmissständen durch die Presse genannt werden. Öffentliche Diskussionen, die u.a. aufgrund der Medienberichterstattung entstehen, können dabei ebenfalls zum zentralen Ereignis werden. Dies umfasst beispielsweise Diskussionen in der Öffentlichkeit über die Frage, ob öffentliche Gelder in einem Projekt mit der notwendigen Sorgfalt verwendet werden. Kommunikationsformen wie Konsultation und Mitgestaltung, die mehr Einfluss durch die Bürger wie auch organisierten Akteure implizieren, werden ebenfalls häufig als zentrale Ereignisse genannt. Beispielhaft können hier der Beginn von Dialogverfahren mit Bürgern und organisierten Akteuren (z.B. Umwelt- und Naturschutzverbänden), öffentliche Arbeitsgruppen zu bestimmten Fachthemen, Bürgerbefragungen und vor allem auch die öffentliche Prüfung und Diskussion von Themen (sognannte Faktenchecks) genannt werden. Bei Faktenchecks werden z.B. sämtliche offenen Sachfragen in einer öffentlichen Veranstaltung durch Experten erläutert und diskutiert Ereignisse mit Bezug zu einzelnen Projektphasen und der Projektverwirklichung Die Entwicklungen, die ein Projekt im Laufe seines Verwirklichungsprozesses macht, werden von den Akteuren anhand von 308 Nennungen zu den zentralen Ereignissen gezählt. Hiermit sind konkrete Fortschritte des Projektes gemeint. Besonders Ereignisse der Entwurfsphase fallen darunter. Diese bezieht sich auf Ereignisse, die in der frühen Phase der Projektentwicklung vonstattengehen, in der noch viele Fragen offen sind und mögliche Alternativen diskutiert werden. Hierzu zählen beispielsweise Abwägungsprozesse bzgl. verschiedener Standorte oder Umsetzungsvarianten oder auch, wenn zum ersten Mal bekannt wird, dass überhaupt ein Projekt geplant ist. Etwas weniger häufig werden verschiedene Ereignisse der Planungs- und Genehmigungsphase genannt, also dann, wenn aus der grundsätzlichen Idee konkrete Pläne entstehen und damit auch Vorbereitungen zur Genehmigungen dieser getroffen werden. Hierzu zählen beispielsweise die Bekanntgabe konkretisierter Projektdetails (z.B. genaue Objektgröße) oder die Durchführung gesetzlich festgelegter Verfahren, die die Einbindung der Öffentlichkeit implizieren. Hierzu zählen verschiedene Verfahren (z.B. Planfeststellungsverfahren), bei denen die Ansichten der Öffentlichkeit, bzw. von Betroffenen, angehört, erörtert und abgewogen werden. Auch diesen Terminen kommt demnach aus Sicht der Akteure eine Bedeutung für die Entwicklung und Akzeptanz eines Projektes zu. In Ereignissen in Bezug zur Erstellungsphase, also die konkrete Ausführung, den Bau oder die Einrichtung eines Projekts, sehen ebenfalls einige Befrag-

7.1 Großprojekte in Deutschland – ein Überblick

187

te bedeutsame Meilensteine. Hierzu zählen beispielsweise vorbereitende Maßnahmen (Auszug bisheriger Geländenutzer, Umsiedlungen, Baumfällungen etc.), aber auch offizielle Ereignisse, wie Spatenstich oder Richtfest und die Zeitpunkte, wenn die optischen Ausmaße eines Projekts deutlich werden. Ebenso genannt werden (Arbeits)Unfälle oder Schädigungen Anderer (z.B. Gebäudeschäden), die im Rahmen der Erstellungsphase auftreten. Phasenunabhängig wird das Bekanntwerden bzw. -geben von Studienergebnissen und Gutachten (z.B. zu den Auswirkungen eines Projekts auf die Umwelt) ebenfalls als möglicher Eckpunkt von Projekten angesehen, vor allem dann, wenn die Ergebnisse strittig oder unerwartet sind. Nicht nur Ereignisse, die der eigentlichen Projektentwicklung zuzuordnen sind, sondern auch Themen, die der Organisation und Vorgehensweise insgesamt angehören, können bei Bekanntwerden zu einem wichtigen Dreh- und Angelpunkt der Akzeptanz werden. Hierbei nennen die Befragten vor allem negativ auffallende Themen: Das Bekanntwerden von Baumängeln, von Zeit- und/oder Kostenüberschreitungen oder von Intransparenzen und Unwahrheiten. Aber auch Aspekte wie die Formierung von oder Veränderung der Akteursstrukturen (z.B. Veränderungen bei den verantwortlichen Personen, Wechsel des Projektträgers, Gründung von Bürgerinitiativen, Ausscheiden von Akteuren) werden zu den relevanten Ereignissen gezählt. Bei Betrachtung der Ereignisse in einzelnen Projektphasen ist zu beachten, dass sich die Projekte, auf deren Basis die Akteure die Bewertungen vornehmen, in unterschiedlichen Phasen befinden. Möglicherweise verfügen beispielsweise Ereignisse der Entwurfsphase deshalb über so viele Nennungen, weil eine große Zahl der Projekte sich in dieser Phase zum Zeitpunkt der Datenerhebung befand. Der Fokus sollte hier also weniger auf die Zahl der Nennungen als vielmehr auf die Art der Ereignisse gelegt werden. Ereignisse mit Bezug zu juristischen, administrativen oder politischen Aspekten Ereignisse, die der politischen oder administrativen Ebene zuzuordnen sind, werden von den Akteuren ebenfalls als projekt- bzw. akzeptanzdeterminierend erachtet. Hierzu zählen sämtliche Ereignisse der staatlichen Administration, des politischen sowie des juristischen Systems. Zu nennen sind z.B. politische Wahlen und Wahlergebnisse (beispielsweise mit nachfolgendem Regierungswechsel), Entscheidungen politischer Gremien oder Behörden sowie das Verhalten politischer Akteure (z.B. Verwaltungs- oder Gemeinderatsentscheidungen, politische Unterstützung eines Projekts, plötzliche Änderung politischer Ziele). Kommt es im Falle strittiger Situationen zu rechtlichen Auseinandersetzungen, so wird vor allem die schlussendliche Urteilsverkündung eines Verhandlungs- oder Gerichtsurteils zu relevanten rechtsbezogenen Meilensteinen gezählt. Jedem dieser

188

7 Empirische Erkenntnisse zu Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

Ereignisse wird das Potential zur Veränderung der Akzeptanz bzw. Entwicklung eines Projektes zugesprochen. Ereignisse mit wirtschaftlichen oder individuellen Bezügen Auch die ökonomische Komponente jenseits oben genannter Kostenüberschreitungen findet Eingang als Eckpfeiler der Projektentwicklung. Und zwar dann, wenn bedeutende betriebswirtschaftliche Vorgänge im Zusammenhang mit einem Projekt zu beobachten sind. Dies können beispielsweise Insolvenzverfahren oder Verkaufsprozesse ganzer Unternehmen sein, sei es der Projektträger oder auch mit dem Projekt anderweitig verbundene Unternehmen. Aber auch die Entstehung oder der Wegfall von Arbeitsplätzen sowie wirtschaftliche Auswirkungen auf die umliegende Region zählen hierzu. Nicht nur große wirtschaftliche Betroffenheit, sondern auch individuelle Betroffenheit von Bürgern können zum Meilenstein werden, beispielsweise wenn durch Konkretisierung von Planungen oder dem Fortschreiten des Projekts eine plötzliche räumliche oder sachliche Betroffenheit wahrgenommen wird. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn Anwohner optische oder akustische Beeinträchtigungen wahrnehmen. 7.1.2 Erkenntnisse auf Akteursebene Die Charakteristika von Großprojekten auf Ebene der einzelnen Projekte kommen nicht ohne die Gestaltung durch die jeweils zugehörigen Akteure zustande. Nachfolgende Ausführungen widmen sich deswegen gezielt der Beschreibung und Analyse der Akteursarten sowie ihren Einstellungen und Verhaltensweisen unter Zuhilfenahme des spezifisch entwickelten Ansatzes zur Messung der Akzeptanz bei Großprojekten (vgl. auch Kapitel 6.2). 7.1.2.1 Art und Anzahl der Akteure Unter den 194 Teilnehmern der Befragung (Studie S2) konnten elf Akteursgruppenarten identifiziert werden, wobei maßgeblich sechs Gruppen zu nennen sind, die rund 93 Prozent der Akteure einschließen: 180 Akteure sind den Gruppen Projektträger/zentrale Akteure, Initiativen/Bündnisse/Aktive, Politiker, Natur- und Umweltschutzvertreter, Behörden/Verwaltung oder Medienvertreter zuzurechnen. Die verbleibenden sieben Prozent (N=14) der Befragungsteilnehmer entstammen den restlichen fünf Gruppen (Sachverständige/Experten, Vertreter von Wirt-

189

7.1 Großprojekte in Deutschland – ein Überblick

schaft/Handel/Gewerbe, Vertreter von Forst- und Landwirtschaft, Vertreter von Planung/Organisation/Bau, Intervenierende (z.B. Mediatoren/Moderatoren). Diese Zusammensetzung der Stichprobe, vor allem hinsichtlich der sechs meistgenannten Gruppen, spiegelt insgesamt die Erkenntnisse anderer Autoren und Studien wider (vgl. z.B. Gobert 2016; Boger et al. 2012; ferner auch Schäfer & Keppler 2013). Der hohe Anteil von (Bürger)Initiativen und Projektträgern zeigt zum einen den (vermutlich) insgesamt hohen Anteil dieser Akteursgruppen auf; im Schnitt entfällt knapp auf jeden Projektträger eine (Bürger)Initiative. Andererseits ist zu vermuten, dass das Teilnahmeinteresse an der Studie dieser Akteure aufgrund hohen Involvements verhältnismäßig hoch ist. Abbildung 27: Verteilung der Befragungsteilnehmer (N=194) auf elf Akteursgruppenarten Akteursgruppe

N

Prozent

Projektträger/zentraler Akteur

44

22,7

Initiativen/Bündnisse/Aktive

42

21,6

Politiker

28

14,4

Natur- und Umweltschutzvertreter

22

11,3

Vertreter von Behörden/Verwaltung

22

11,3

Medienvertreter

22

11,3

Sachverständige/Experten

5

2,6

Vertreter von Wirtschaft/Handel/Gewerbe

4

2,1

Vertreter von Forst- und Landwirtschaft

3

1,5

Vertreter von Planung/Organisation/Bau

1

0,5

Intervenierende (z.B. Mediatoren/Moderatoren)

1

0,5

194

100,0

Gesamt

7.1.2.2 Formen der Akzeptanz: Einstellung und Verhalten von Akteuren Die Akzeptanz der einzelnen Projekte wurde mit Hilfe des zweidimensionalen Ansatzes (vgl. Kapitel 2.3.4.2, 6.2, 6.4.2.2), bestehend aus Einstellung (Zustimmungsstärke) und Verhalten (Aktivitätsstärke), gemessen. Neben der Erhebung der individuellen Ausprägungen (bzw. der Haltung, die der Akteur als Vertreter seiner Gruppe einnimmt) wurde versuchsweise die allgemeine, öffentliche Akzeptanz der jeweiligen Projekte durch Einschätzung der einzelnen Akteure analysiert.

190

7 Empirische Erkenntnisse zu Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

Zustimmungsdimension Die Erhebung der Zustimmungsstärke auf einer bipolaren 13-Punkte Skala ergibt 75 Akteure (rund 39 Prozent), die das von ihnen bewertete Projekt ablehnen, 16 neutral oder ambivalent eingestellte Personen (rund 8 Prozent) sowie 103 (rund 53 Prozent) dem jeweiligen Projekt zustimmende Personen. Wird nur die Stärke der Einstellung, unabhängig ob pro, contra, oder neutral betrachtet, so verfügen knapp 69 Prozent (N=133) der 194 Befragten über eine extreme Einstellung, lehnen das Projekt also vollständig oder fast vollständig ab oder stimmen ihm vollständig oder fast vollständig zu. Insgesamt 16 Akteure schätzen sich als neutrale bzw. ambivalent eingestellte Personen ein. Abbildung 28: Verteilung der Zustimmungsstärke der Befragungsteilnehmer (N=194) in Prozent. Eine negative Zustimmung ist als Ablehnung zu werten.

Die Anteile der extrem eingestellten Personen verwundern wenig, denn die Definition einer Person oder Gruppe als Akteur, beruhend auf Freemans (1984) Stakeholderdefinition oder der Einteilung von Publics nach Grunig & Hunt (1984), lässt bereits erahnen, dass die Motive Jener, die sich (ehrenamtlich) für oder gegen ein Projekt engagieren und damit als Akteur oder auch aktive Teilöffentlichkeit auftreten, unter anderem durch die persönliche Betroffenheit und die hierdurch geprägte (positive oder negative) Bewertung des Projektes beeinflusst werden. Anders gesagt kann vermutet werden, dass moderat eingestellte Personen oder Gruppen tendenziell seltener aktiv werden, da die notwendige Betroffenheit fehlt.

191

7.1 Großprojekte in Deutschland – ein Überblick

Bei Betrachtung der durchschnittlichen Zustimmungsstärken (arithmetisches Mittel, 13-Punkte-Skala) der einzelnen Akteursgruppen zeigen sich deutliche Unterschiede. Während die Vertreter der Projektträger, der Wirtschaft und des Bau- bzw. Planungsgewerbes hohe Zustimmungen aufweisen (M=11,75-13; SD=0-1,5), sind Vertreter von Behörden/Verwaltung und Medien als moderate Befürworter einzuschätzen (M=9,36 bzw. 8,73) wobei sich hier eine höhere Streuung der Werte zeigt (SD=4,04 bzw. 3,21). Politiker (M=6,36) und Initiativen (M=4,84) zählen zu den eher projektablehnenden Akteuren, weisen jedoch zugleich die höchsten Streuungen auf (Politiker SD=5,55; Initiativen SD=4,84). Vertreter von Forst- und Landwirtschaft, Sachverständige/Experten sowie Naturund Umweltschutzvertreter lehnen die von ihnen bewerteten Projekte eher ab (M=3,18-4,67; SD=2,07-3,54). Mit einem Gesamt-Mittelwert von M=7,67 (SD=5,01) zeigt sich die Stichprobe im Gesamten fast neutral bzw. ambivalent. Abbildung 29: Durchschnittliche Zustimmungsstärke der Akteursgruppen auf der 13-Punkte-Skala (1-6=contra, 7=neutral/ambivalent, 8-13=pro) N

M

SD

Vertreter von Planung/Organisation/Bau

1

13,00

-

Projektträger/zentraler Akteur

44

12,34

1,43

Vertreter von Wirtschaft/Handel/Gewerbe

4

11,75

1,50

Vertreter von Behörden/Verwaltung

22

9,36

4,04

Medienvertreter

22

Intervenierende (z.B. Mediatoren/ Moderatoren)

1

Politiker Initiativen/Bündnisse/Aktive

Pro

Akteursgruppe

3,21 -

28

6,36

5,55

42

4,76

4,84

Vertreter von Forst- und Landwirtschaft

3

4,67

3,06

Sachverständige/Experten

5

3,60

2,07

Natur- und Umweltschutzvertreter

22

3,18

3,54

Gesamt

194

7,67

5,01

Contra

Neutral/ ambivalent

8,73 7,00

192

7 Empirische Erkenntnisse zu Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

Die Unterteilung nach Projekt mit Beteiligung der öffentlichen Hand als Projektträger vs. komplett private Projekte zeigt bei den hier vorliegenden Daten eine leicht höhere, durchschnittliche Zustimmung bei privaten Projekten (M=8,26; SD=5,00, N=54) als bei öffentlichen Projekten (M=7,44; SD=5,02; N=140). Bei Betrachtung der einzelnen Themenfelder entfallen die höchsten durchschnittlichen Zustimmungswerte auf die Bereiche „Leben und Arbeiten“ (M=8,65; SD=4,69; N=55) und „Natur und Umwelt“ (M=8,00, SD=5,27; N=22), wohingegen die Projekte der Bereiche „Energie und Klima“ (M=7,30, SD=5,05; N=43) und „Mobilität und Verkehr“ (M=7,05; SD=5,12; N=74) im Schnitt annähernd neutral/ambivalent bewertet werden. Über alle Themenfelder hinweg sind hohe Streuungswerte zu erkennen. Exkurs: Allgemeine Akzeptanz der Öffentlichkeit Die Erhebung bzw. Berechnung einer allgemeinen Akzeptanz, also der Akzeptanz, die einem Projekt von seiner direkten Umgebung (Community Acceptance) oder der weiteren, politischen Öffentlichkeit (Socio-political Acceptance111, vgl. Hampl & Wüstenhagen 2012:572) entgegengebracht wird, wäre wünschenswert. Eine hierfür geeignete, repräsentative Befragung der Öffentlichkeit bzw. der Bürger rund um die hier inkludierten 60 Großprojekte wäre jedoch mit methodischen wie auch zeitlichen und sachlogischen Problemen behaftet gewesen. Ersatzweise wurde in der vorliegenden Studie der Versuch unternommen, die allgemeine Akzeptanz durch Konglomerierung der Einschätzungen der allgemeinen Akzeptanz durch die den einzelnen Projekten zuzurechnenden Akteuren zu erheben. Konkret wurden die Akteure darum gebeten, anzugeben, wie hoch die Zustimmung zum jeweiligen Projekt in der allgemeinen Öffentlichkeit ausfällt. Bezüglich dieser Einschätzung der allgemeinen Zustimmung zeigen sich interessante Ergebnisse: Es ist erkennbar, dass zwischen den Mittelwerten der verschiedenen Akteursgruppen erkennbare Unterschiede vorherrschen, wodurch die These aufgestellt werden kann, dass die Einschätzung der allgemeinen Zustimmung sich in Teilen durch die eigene, individuelle Zustimmung der Akteure beschreiben lässt. Die daraufhin durchgeführte lineare Regression (Einschlussverfahren, N=182), in der die allgemeine Zustimmung auf die individuelle Zustimmung regrediert wurde, ergab einen Erklärungswert von immerhin R²=0,425 bzw. R²korr=0,422. Dies entspricht einem Anteil von fast 43 Prozent erklärter Streuung der Einschätzung der allgemeinen Zustimmung durch die individuelle Zustimmung der Akteure. Stichprobenartig vorgenommene Betrachtungen der eingeschätzten, allgemeinen Zustimmungswerte bei einzelnen Projekten zeigen umfassende Unter111 Weiter kann die Marktakzeptanz hiervon unterschieden werden (vgl. Hampl & Wüstenhagen 2012:572).

7.1 Großprojekte in Deutschland – ein Überblick

193

schiede zwischen den Einschätzungen der Akteure ein und desselben Projekts auf. Von einer objektiven Wahrnehmung bzw. Einschätzung allgemeiner Zustimmung (bzw. insgesamt der allgemeinen Akzeptanz) durch Akteure eines Projektes kann also nicht ausgegangen werden, die herangezogene Vorgehensweise stellt sich damit als wenig geeignet heraus. Es darf vermutet werden, dass hier Formen der selektiven Wahrnehmung bei den Akteuren zum Tragen kommen (vgl. z.B. Leese 2013) und diese sich auf das (Bewertungs)Verhalten der Akteure auswirkt, auch mit Blick auf die Einschätzung anderer Personen. Die Betrachtung psychische Verarbeitungsprozesse zeigt, dass nach selektiver Aufmerksamkeit und Wahrnehmung u.a. komplexe zyklische Bewertungs- und Bewältigungsprozesse folgen, die sich primär auf die individuelle Bewertung auswirken (vgl. z.B. Ruff 1993). Im vorliegenden Kontext aber angenommen werden darf, dass sich diese Prozesse auch auf die individuelle Einschätzung, wie Andere diese Bewertung vornehmen bzw. vornehmen werden, auswirken kann. Die Hinweise lassen durchaus aufmerken, vor allem mit Blick auf die Praxis, wenn die Einstellung der allgemeinen, nicht organisierten Öffentlichkeit zur weiteren Gestaltung eines Großprojektes eingeschätzt werden soll. Neben der Frage, wie valide solche Einschätzungen dann sind, besteht die Gefahr der Instrumentalisierung dieser. Aktivitätsdimension Unter Anwendung der neu konzipierten sechsstufigen Guttmanskala (1=keine Aktivität, 6=hohe Aktivität, vgl. Kapitel 6.4.2.2112) zeigt sich bezüglich der akteursbezogenen Aktivität eine wenig überraschende Verteilung der Häufigkeiten. Rund 73 Prozent der Befragten (N=193) sind demnach sehr aktiv, lassen sich also der höchsten Aktivitätsstufe 6 zuordnen sowie rund 9 bzw. 8 Prozent den Stufen 5 bzw. 4. Auf die verbleibenden Stufen 3 und 2 entfallen jeweils 3,6 Prozent, auf Stufe 1 und damit auf die Ausprägung „keine Aktivität“ entfallen 3,1 Prozent. Im Durschnitt zeigen die Akteure insgesamt eine hohe Aktivität von M=5,35 (SD=1,29; N=193)113. Bei Betrachtung der verschiedenen Akteursgruppen (vgl. Abbildung I im Anhang) zeichnet sich ein differenziertes Bild ab. Vertreter der Wirtschaft und der Organisations- und Baubranche fallen hierbei durch 112 Aus methodischen Gründen wurde die Skala von ursprünglich 0-5 auf 1-6 transformiert. 113 Aufgrund der grundsätzlichen Einstufung von Guttmanskalen als Ordinalskalen dürften hier streng genommen nur Verfahren und Kennwerte zum Einsatz kommen, die für Ordinalskalen geeignet sind. Zur besseren Vergleichbarkeit wird jedoch in der vorliegenden Arbeit von äquidistanten Beziehungen der Skalenwerte dieser Skala ausgegangen und metrische Verfahren zum Einsatz gebracht (vgl. auch die ausführlichen Begründungen diesbezüglich von Opp & Schmidt 1976).

194

7 Empirische Erkenntnisse zu Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

den höchsten Mittelwert und die geringste Streuung, jedoch auch durch eine geringe Fallzahl auf (M=6; SD=0,0, N=5). Projektträger/zentrale Akteure, Vertreter von Natur- und Umweltschutz, Initiativen, Politiker sowie Vertreter von Forst- und Landwirtschaft sind ebenfalls hoch aktiv (M=5,50-5,90, SD=0,481,01). Verhältnismäßig geringe Aktivitätswerte weisen die Vertreter von Behörden und Verwaltung (M=4,68; SD=1,67; N=22) sowie Sachverständige/Experten (M=4,00, SD=2,35; N=5) und Medienvertreter auf (M=3,64; SD=1,56; N=22). Zwischen privaten Projekten (M=5,31; SD=1,31; N=54) und Projekten mit Beteiligung der öffentlichen Hand (M=5,36; SD=1,29; N=139) besteht kein nennenswerter Unterschied hinsichtlich der durchschnittlichen Aktivität (vgl. Abbildung J im Anhang). Die Betrachtung der einzelnen Themenfelder zeigt ebenfalls kaum Unterschiede auf, die Mittelwerte der Aktivität liegen zwischen M=5,12 („Energie und Klima“, SD=1,47; N=42) und M=5,73 („Natur und Umwelt“, SD=0,63; N=22, vgl. Abbildung K im Anhang). Zusammenhang zwischen Zustimmung und Aktivität: Akzeptanzformen Welche Zusammenhänge lassen sich nun zwischen individueller (bzw. auf die Akteursgruppe bezogener) Zustimmung und Aktivität erkennen? Wie gestaltet sich also die Akzeptanz der Akteure? Die Darstellung der aus Übersichtsgründen zusammengefassten Zustimmungs- und Aktivitätswerte als zweidimensionales Streudiagramm mit Interpolationslinie zeigt hohe Aktivitätswerte bei extrem hohen Zustimmungswerten (Zustimmungsstärke 5 im Streudiagramm) wie auch bei extrem niedrigen Zustimmungswerten (Zustimmungsstärke 1). Niedrigere Aktivitätswerte sind hingegen bei weniger extrem bis hin zu neutral/ambivalent ausgeprägter Zustimmung bzw. Ablehnung (z.B. Zustimmungsstärke 3) zu erkennen. Für einen besseren Überblick wurde die 13-stufige Zustimmungsskala auf fünf Stufen zusammengefasst und die sechsstufige Aktivitätsskala auf drei Stufen114. Beim Vergleich der Aktivitätswerte bei niedriger Zustimmung (entspricht Ablehnung, linke Hälfte der Abbildung) mit den Aktivitätswerten bei hoher Zustimmung (rechte Hälfte der Abbildung) zeigt sich ein in den Grundzügen Vförmiger Aufbau, der den Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten, wie ihn das Modell von Liebecke et al. (2011)115 beschreibt, mit empirischen Daten unterlegt und bestätigt. Der hier gewählte Ansatz der freien Kombination 114 Die ursprünglichen Ausprägungen der 13-stufigen Zustimmungsskala und der sechsstufigen Aktivitätsskala wurden folgendermaßen zusammengefasst: Zustimmung: 1/2=1; 3/4/5=2; 6/7/8=3; 9/10/11=4; 12/13=5; Aktivität: 1/2=1; 3/4=2; 5/6=3. 115 Vgl. Kapitel 2.3.2.

7.1 Großprojekte in Deutschland – ein Überblick

195

jeder Zustimmungsstärke mit jeder Aktivitätsstärke erweist sich mit Blick auf die Ausprägungen als hilfreich, um auch Akzeptanzformen außerhalb des Vförmigen Aufbaus darstellen zu können. Der spiegelbare Aufbau eignet sich für die genauere Ergründung des Zusammenhangs der beiden Variablen, denn um den Zusammenhang zu quantifizieren, kann nun auf eine Korrelationsberechnung zurückgegriffen werden. Hierfür wird die Zustimmungsstärke in eine Einstellungsstärke (Betrag der Zustimmungsstärke) umgewandelt. Letztere fokussiert nur auf die Höhe der Ausprägung, die Richtung der Ausprägung (pro oder contra) wird jedoch außen vorgelassen. Entsprechend wurden die spiegelbaren Ausprägungen der Zustimmungsstärke folgendermaßen zusammengefasst und neu benannt: 13 und 1 der Zustimmungsstärke wurden zur Einstellungsstärke 7; 12 und 2 zu 6 usw., die 7 wurde zur 1. Zur übersichtlichen Visualisierung wurde die Skala nochmals zusammengefasst, es ergibt sich nun das folgende Streudiagramm mit Interpolationslinie116. Abbildung 30: Streudiagramm mit schrittweiser Interpolationslinie: Kombinationen von Aktivität und Zustimmung (zusammengefasste Ausprägungen). Die Anzahl der jeweiligen Kombination findet sich in den Kästchen, N=194.

116 Die ursprünglichen Ausprägungen der 13-stufigen Zustimmungsskala und der sechsstufigen Aktivitätsskala wurden folgendermaßen zusammengefasst: Einstellungsstärke: 6/7/8=1; 3/4/5/9/10/ 11=2; 1/2/12/13=3; Aktivität: 1/2=1; 3/4=2; 5/6=3. Die Berechnungen wurden auf Basis der 13stufigen Zustimmungsskala (bzw. siebenstufigen Skala der Einstellungsstärke) sowie der sechsstufigen Aktivitätsskala vorgenommen. Die zusammengefassten Ausprägungen dieser Abbildungen dienen nur der visuellen Darstellung.

196

7 Empirische Erkenntnisse zu Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

Abbildung 31: Streudiagramm mit schrittweiser Interpolationslinie: Kombinationen von Aktivität und Einstellungsstärke (zusammengefasste Ausprägungen). Die Anzahl der jeweiligen Kombination findet sich in den Kästchen, N=194.

Die berechnete Korrelation zeigt einen positiven Zusammenhang zwischen Einstellungsstärke und Aktivitätsstärke (Kendalls-Tau b r=0,438; N=194): Je stärker die Einstellung für oder gegen ein Projekt bei einem Akteur ausgeprägt ist, desto tendenziell aktiver handelt der Akteur im Rahmen des Akzeptanzobjekts bzw. seiner Prozesse117. Findet entsprechend der Auswertungen niedrige Zustimmung (bzw. hohe Ablehnung) eines Projektes Begleitung durch entsprechendes, aktives Handeln der Akteure bei Großprojekten, so entstehen soziale Konflikte, da einem projektablehnend handelnden Akteur mindestens immer ein Projektträger gegenübersteht, wodurch die zentralen Bedingungen für soziale Konflikte (konträre Meinungen, soziales Handeln, zwei oder mehr Akteure) abgedeckt werden (vgl. z.B. Anhut 2008; Bonacker & Imbusch 2010; Dahrendorf 1965). Die Erkenntnis bezüglich der Gestaltung von Akzeptanz durch Einstellung und Verhalten entspricht den Auffassungen anderer Ansätze (vgl. z.B. Sauer et al. 2005; Liebecke et al. 2011; London 1976), wonach im Grundsatz mit zunehmend extremerer Einstellung im Hinblick auf ein Akzeptanzobjekt mit einem entspre117 Aufgrund der vergleichsweise niedrigen Aktivität, die Medienvertreter aufweisen (s.o. Aktivitätsstärke je Akteursgruppe), wurde vermutet, dass dieser positive Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten bei Medienvertretern weniger stark oder überhaupt nicht ausgeprägt ist. In Betracht gezogen wurde beispielsweise eine mögliche (beruflich begründete) neutrale Haltung von Journalisten bei gleichzeitig hoher (beruflicher) Aktivität. Die gesonderten Auswertungen zeigten jedoch bei Journalisten einen ähnlich positiven Zusammenhang wie bei Nicht-Journalisten bzw. wie bei der Gesamtauswertung.

7.1 Großprojekte in Deutschland – ein Überblick

197

chend aktiver werdenden Verhalten diesem Objekt einhergeht bzw. einhergehen kann118. Wird im vorliegenden Fall die Annahme zugrunde gelegt, dass unter bestimmten Umständen die individuelle Einstellung in gewissem Maß das individuelle Verhalten beeinflusst (vgl. z.B. Kroeber-Riel et al. 2011; Eagly & Chaiken 1993; Kim & Hunter 1993), so kann von einem Einfluss der Zustimmung auf die Aktivität bei einem Großprojekt ausgegangen werden. Zur Analyse diesbezüglich wird ebenfalls auf die Einstellungsstärke (Betrag der Zustimmungsstärke) zurückgegriffen. Die diesbezüglich berechnete lineare Regression119 (Einschlussverfahren, N=194) zur Beschreibung des Einflusses der Einstellung auf die Aktivität besitzt einen Erklärungswert von R²=0,212 bzw. R²korr=0,208; damit können durch das Modell rund 21 Prozent der Streuung der Aktivität erklärt werden. Für den einzig aufgenommenen Prädiktor „Einstellungsstärke“ wird dabei ein Regressionskoeffizient von b=0,312 bzw. beta=0,46 ausgewiesen wodurch sich insgesamt folgende Modellgleichung beschreiben lässt: Individuelle Aktivität = 3,564 + 0,312 * Einstellungsstärke 7.1.3 Conclusion zur Großprojektlandschaft in Deutschland Welche Antworten geben die Studienergebnisse nun auf die Frage nach der empirischen Charakterisierung der Großprojektlandschaft in Deutschland? Die identifizierten Projektarten der vier Themenbereiche „Mobilität und Verkehr“, „Energie und Klima“, „Leben und Arbeiten“ sowie „Natur und Umwelt“ (mit Land- und Forstwirtschaft) spiegeln weitestgehend die in anderen Studien behandelten Projektarten wider, vor allem hinsichtlich klassischer Infrastrukturprojekte, Projekten zu erneuerbaren Energien sowie zu Naturschutzgroßgebieten (vgl. z.B. Schweizer-Ries et al. 2010; Ruschkowski 2010; Benighaus et al. 2010; Brettschneider 2015; Flachsbarth 2011). Gleichzeitig können jedoch auch besondere bzw. neue Projektarten beispielsweise der Bau von Teststrecken oder Justizvollzugsanstalten identifiziert werden. Die Zahl der Projekte, die mit solider, öffentlicher Akzeptanz einhergehen (rund 40 Prozent der Projekte), zeigt, dass entgegen der allgemeinen, wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Fokussierung auf konfliktbehaftetet Projekte, auch zahlreiche Projekte in Deutschland ohne oder mit nur wenig Konflikt gestaltet werden können. Dass diese jedoch im subjektiven Eindruck kaum existieren, könnte möglicherweise darauf zurückzu118 Nicht-freiwillige Verhaltensweisen werden hierbei nicht behandelt. 119 Sowohl bei der Aktivitäts- als auch bei der Zustimmungsskala wird von äquidistanten Beziehungen der Skalenwerte ausgegangen, vgl. auch die obigen Hinweise in diesem Kapitel bzgl. der Aktivitätsskala.

198

7 Empirische Erkenntnisse zu Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

führen sein, dass sie aufgrund der geringeren Konflikthaltigkeit nicht in gleicher Weise Eingang in überregionale bzw. bundesweite öffentliche Diskussionen oder die Medienberichterstattung finden (vgl. hierzu Scheufele & Haas 2008). Die Zahl der Projekte, die sich auf erneuerbare Energien, nachhaltige Mobilitätsformen oder den Schutz von Umwelt und Natur beziehen, verleihen dem gesellschaftlichen Wunsch nach einer nachhaltigen Lebensweise (vgl. z.B. Ruschkowski 2010; Walz et al. 2013) Ausdruck, auch wenn aus unterschiedlichsten Gründen nicht alle Projekte davon mit hoher Akzeptanz einhergehen. Geografisch gesehen zeigen sich vor allem Süddeutschland mit BadenWürttemberg und Bayern, das Rheinland und Berlin besonders projektstark. Berlin zeichnet sich dabei durch besonders viele Projekte aus dem Bereich „Leben und Arbeiten“ aus. Hinsichtlich der Meilensteine, die den Entstehungsprozess eines Projektes sowie die Entwicklung der Projektakzeptanz zeitlich charakterisieren und markieren, werden vor allem kommunikationsbezogene Ereignisse von den Akteuren genannt, gefolgt von entwicklungsbezogenen Ereignissen. Die hierdurch definierte Stellung von Kommunikation unterstreicht die vielfach betonte Bedeutung der Kommunikation als Ankerelement im Akzeptanzprozess von Großprojekten bzw. die Sensibilität von Akzeptanz auf Kommunikation (vgl. z.B. Antalovsky 1993; Renn 1994; Brettschneider 2013b; Stransfeld 1993). Bezogen auf die Akzeptanz der Projekte stellen die Ereignisse bzw. Meilensteine häufig Wendepunkte dar, an deren sich das bisherige Akzeptanzniveau spürbar ändert. Mit Projektträgern/zentralen Akteuren, Initiativen/Bündnissen/Aktiven, Politikern, Natur- und Umweltschutzvertretern, Vertretern von Behörden/Verwaltung sowie Medienvertretern engagieren sich themenfeldübergreifend bereits bekannte Akteursarten bei Großprojekten (vgl. z.B. Gobert 2016; Boger et al. 2012; ferner auch Schäfer & Keppler 2013). Ein großer Teil der Akteure verfügt hierbei über eine stark ausgeprägte positive oder negative Einstellung zum jeweiligen Projekt oder positioniert sich bewusst (annähernd) neutral (z.B. Medienvertreter, intervenierende Dritte, Politiker). Dies steht im Gegensatz zu den auf die allgemeine Öffentlichkeit bezogenen Einschätzungen, dass Jene, die sich (annähernd) neutral positionieren, dies aus Gründen mangelnden Interesses oder sozialer Erwünschtheit tun (vgl. Rentsch 1988; Liebecke et al. 2011). Die stark projektzustimmenden Haltungen der Projektträger/zentralen Akteure, der Vertreter von Planung/Organisation/Bau sowie der Vertreter von Wirtschaft/Handel/Gewerbe erstaunen wenig, da diese Gruppen meist bei der Umsetzung von Projekten involviert sind oder davon in direkter Weise profitieren (vgl. hierzu auch die unten folgenden Erkenntnisse zu Kosten und Nutzen). Ebenso wenig überraschend fällt die im Durchschnitt ablehnende Haltung von Initiativen und Bündnissen aus, da deren Engagement oft als eine Art Gegengewicht zur Position des Projektträgers gesehen wird (vgl. Appel 2012).

7.1 Großprojekte in Deutschland – ein Überblick

199

Die empirische Betrachtung der Akzeptanzdimensionen Einstellung (Zustimmung) und Verhalten (Aktivität) und ihrer Zusammenhänge bei den Akteuren von Großprojekten konkretisiert den Gedanken des prinzipiellen Zusammenhangs zwischen Einstellung und Verhalten bzw. die verhaltensprägende Wirkung von Einstellungen (vgl. Kroeber-Riel et al. 2011; Eagly & Chaiken 1993; Kim & Hunter 1993; Knoll 2015). Im vorliegenden Kontext zeigen die Analysen, dass die Dimensionen miteinander moderat korrelieren (Kendalls-Tau b r=0,438; N=194) und sich die Aktivitätsstärke zu einem gewissen Maß durch die Einstellungsstärke (Betrag der Zustimmungsstärke) erklären lässt (R²=0,212 bzw. R²korr=0,208; N=194; Individuelle Aktivität = 3,564 + 0,312 * Einstellungsstärke). Das Korrelations- wie auch das Regressionsmodell dienen hierbei weniger der festen Bestimmung einzelner Zahlenwerte. Statt einer beweisenden geht es vielmehr um eine hinweisende Auswertung der vorhandenen Daten, weshalb teilweise vereinfachende Transformationen (z.B. bezüglich der Skalen) vorgenommen wurden. Trotz des nur mäßig hohen Erklärungswertes der Regression von R²=0,212 bzw. R²korr=0,208 ist zu beobachten, dass sich die Verhaltensstärke der Akteure in gewissem Maß durch deren Einstellung beschreiben lässt. Mit Blick hierauf wird deshalb in den folgenden Analysen vor allem die Einstellung bzw. die Zustimmungsstärke der Akteure im Mittelpunkt stehen, da sich das Verhalten bzw. die Aktivität hieraus zumindest in Teilen erschließen ließe. Abbildung 32: Das empirische Verhältnis von Zustimmung (Einstellung) und Aktivität (Verhalten) bei Großprojekten; zweidimensionales Modell der Akzeptanz von Großprojekten

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7 Empirische Erkenntnisse zu Konflikt und Akzeptanz bei Großprojekten

7.2 Empirische Erkenntnisse zu Determinanten der Akzeptanz von Großprojekten Die im vorigen Kapitel aufgezeigten Formen der Akzeptanz von Großprojekten machen neugierig auf die Frage, welche der zahlreichen Faktoren, die seitens verschiedener Forschungsdisziplinen in den Raum gestellt werden, als Determinanten der Akzeptanz fungieren bzw. die aufgezeigten Formen der Akzeptanz bedingen. Nachfolgende Ausführungen erörtern die empirische Bedeutung verschiedener Faktoren bzw. Faktorengruppen, unterteilt in Anlehnung an das in Kapitel 3.1 vorgestellte fünfteilige Konzept (vgl. Schmalz 2013) in die Bereiche Projekteigenschaften, Akteure, Prozesse, Kommunikation sowie Staat und Gesellschaft. Zur Beschreibung der Zusammenhänge zwischen der abhängigen Variablen Zustimmung und den potentiellen Akzeptanzfaktoren (unabhängige Variablen) wurde aufgrund der besonderen Eignung hierfür maßgeblich auf (lineare) multiple Regressionsanalysen zurückgegriffen, wenn konkrete Wirkungsrichtungen zwischen den Variablen angegeben werden konnten (vgl. Backhaus et al. 2011). Die Projektträger wurden bei allen Analysen ausgeschlossen, da bei ihnen eine, weitestgehend von den beschriebenen Faktoren unabhängige Zustimmung angenommen wird. Ergänzt werden diese quantitativen Analyseergebnisse aus Studie S2 durch qualitative Ergebnisse aus Studie S3. 7.2.1 Einflüsse mit Bezug zu Projekteigenschaften Faktoren, die den direkten Eigenschaften eines Projekts zuzurechnen sind, umfassen vor allem Fragen der Projektart bzw. der Technologie, des Projektstandorts sowie mit dem Projekt einhergehende Veränderungen. Die Vorabüberprüfung diesbezüglich in Betracht gezogener Einflussfaktoren ergab sechs Faktoren, die in das multiple Regressionsverfahren aufgenommen wurden: Ausmaß der Gemeinwohlorientierung des Projekts, die Transparenz von Kosten (vor allem jenen, die für die Öffentlichkeit entstehen), Nutzungskonkurrenzen um die vorgesehene Fläche, vom Projekt ausgehende Risiken sowie die Ablehnung bzw. Bevorzugung der Projekteinrichtung am vorgesehenen Standort. Die spezifisch standortbezogene Ablehnung kann dabei als ein Aspekt des sogenannten NIMBY-Phänomens (Not In My Backyard) oder SanktFlorian-Prinzips verstanden werden, wonach ein Projekt vor allem deswegen abgelehnt wird, weil es aus Sicht des Bewertenden aufgrund örtlicher Nähe persönliche Räume und damit seine eigene Lebensqualität verletzt. Die Belastung anderer Personen durch Positionierung an einem anderen Standort wird dabei in Kauf genommen (vgl. u.a. Vatter & Heidelberger 2012; Brettschneider 2013c). Das Gegenstück hierzu stellt die persönliche Wahrnehmung erhöhter Lebensqua-

201

7.2 Empirische Erkenntnisse zu Determinanten der Akzeptanz von Großprojekten

lität durch ein Projekt in räumlicher Nähe dar: YIMBY (Yes In My Backyard, vgl. z.B. Vatter & Heidelberger 2012). Auch dieser Aspekt wurde in das Modell aufgenommen. Bei Faktoren wie dem sogenannten NIABY (Not In Anyone’s Backyard), also eine Ablehnung des Projekts prinzipiell, egal an welchem Standort bzw. seinem Gegenstück hierzu, wonach das Projekt an jedem Standort begrüßt wird (vgl. Kullmann 2012), dem Einfluss von Verbindungen zu anderen Großprojekten (vgl. Schweizer-Ries et al. 2010) sowie die Frage, inwiefern das Projekt emanzipiert im Lichte der Öffentlichkeit steht und wieviel diese darüber weiß (vgl. Ohlhorst & Schön 2010), zeigte sich auf Basis der vorliegenden Daten kein eindeutiger Zusammenhang mit der individuellen Zustimmung der Akteure. Bezüglich der letztgenannten Faktoren ist hierbei auch die verzerrte Wahrnehmung der Akteure in Bezug auf Einflüsse, welche die Öffentlichkeit betreffen, als Grund in Betracht zu ziehen (vgl. hierzu Kapitel 7.1.2). Diese Faktoren wurden deshalb nicht in das Regressionsmodell aufgenommen. Abbildung 33: Ausgewählte, den Projekteigenschaften zuzurechnende Einflüsse auf die individuelle Zustimmung von Akteuren, berechnet durch die multiple Regressionsanalyse120, N=93 Regressoren

b

beta

Gemeinwohlorientierung

0,273

0,133

Transparenz der Kosten für die Öffentlichkeit

0,236

0,103

Unterschiedliche/Andere Nutzungs-oder Verwendungsinteressen des vorgesehenen Standorts.

-0,292

-0,123

Ablehnung des vorgesehenen Standorts

-0,624

-0,340

Präferenz des vorgesehenen Standorts

0,694

0,349

Die Regressionsanalyse (Einschlussverfahren, N=93) zur Erklärung der individuellen Zustimmung anhand der individuellen Einschätzung von Projekteigenschaften durch die Akteure zeigt einen positiven Einfluss der Regressoren „Gemeinwohlorientierung“ und „Kostentransparenz“ sowie einen starken positiven Einfluss der „Präferenz des vorgesehenen Standorts“. Steigen diese Aspekte aus Sicht der Bewertenden durch das Projekt an, so fördert dies eine Steigerung der individuellen Zustimmung, vor allem die persönliche „Präferenz des vorgesehenen Standorts“ scheint hierbei bedeutsam (b=0,694). Ähnlich bedeutsam, jedoch in negativer Form, präsentieren sich die „Ablehnung des vorgesehenen Stand120 Der Regressionskoeffizient zu „Vom Projekt ausgehendes Risiko“ zeigt einen kaum merklichen Einfluss (b

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